BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Das Geheimniß des kosmogonischen Princips in Gott.

 

Die zweite Person ist als der sich offenbarende, äußernde, sich aussprechende Gott (Deus se dicit) das weltschöpferische Princip in Gott. Das heißt aber nichts Andres als: die zweite Person ist das Mittelwesen zwischen dem unsinnlichen Wesen Gottes und dem sinnlichen Wesen der Welt, das göttliche Princip des Endlichen, des von Gott Unterschiedenen. Die zweite Person hat einen, obwohl der Vorstellung nach zeitlosen, Anfang, einen Grund; sie ist gezeugt, das erste der erzeugten Wesen. Sie hat also als gezeugt, als nicht a se, von sich seiend, die allgemeine Grundbestimmung des Endlichen in sich  1). Aber zugleich ist sie noch [97] nicht ein wirkliches endliches Wesen, außer Gott gesetzt; sie ist vielmehr noch identisch mit Gott – so identisch als es mit dem Vater der Sohn ist, der zwar eine andre Person, aber doch gleiches Wesen mit dem Vater hat. Die zweite Person repräsentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber auch nicht den reinen Begriff der Menschheit oder Wirklichkeit überhaupt – sie ist ein Mittelwesen zwischen beiden Gegensätzen. Der Gegensatz von dem unsinnlichen oder unsichtbaren göttlichen Wesen und dem sinnlichen oder sichtbaren Wesen der Welt ist aber nichts andres als der Gegensatz zwischen dem Wesen der Abstrac­tion und dem Wesen der sinnlichen Anschauung, das die Abstraction mit der sinnlichen Anschauung Verknüpfende aber die Phantasie oder Einbildungskraft: folglich ist der Uebergang von Gott zur Welt vermittelst der zweiten Person nur der vergegenständlichte Uebergang von der Abstractions­kraft vermittelst der Phantasie zur Sinnlichkeit. Die Phantasie ist es allein, durch die der Mensch den Gegensatz zwischen Gott und Welt aufhebt, vermittelt. Alle religiösen Kosmogonien sind Phantasien – jedes Mittelwesen zwischen Gott und Welt, es werde nun bestimmt, wie es wolle, ein Phantasiewesen. Die psychologische Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen diesen Theound Kosmogonien zu Grunde liegt, ist die Wahrheit und Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des Terminus medius zwischen dem Abstracten und Concreten. Und die Philosophie, die ihrer selbstbewußte Philosophie [98] hat daher, in Beziehung auf diese Materie, wenn sie dieselbe zu einem Gegenstande ihrer Untersuchung macht, nur die allgemeine Aufgabe, das Verhältniß der Einbildungskraft zur Vernunft, die Genesis des Bildes, wodurch ein Object des Gedankens zu einem Object des Sinnes, des Gefühls wird, zu begreifen.

Das Wesen der Einbildungskraft ist jedoch die volle erschöpfende Wahrheit des kosmogonischen Wesens nur da, wo der Gegensatz von Gott und Welt nichts ausdrückt als den unbestimmten Gegensatz von dem unsinnlichen, unsichtbaren, unfaßlichen Wesen, Gott, und dem sichtbaren, handgreiflichen Wesen der Welt. Wird dagegen das kosmo­gonische Wesen abstracter erfaßt und ausgedrückt, so, wie es von der religiösen Speculation geschieht, so haben wir auch eine abstractere psychologische Wahrheit als seine Grundlage zu erkennen.

Die Welt ist nicht Gott, sie ist das Andere, der Gegensatz Gottes, oder wenigstens – wenn dieser Ausdruck zu stark sein sollte, weil er das Kind beim rechten Namen nennt – das von Gott Unterschiedene. Aber das von Gott Unterschiedene kann nicht unmittelbar aus Gott kommen, sondern nur aus einem Unterschied von Gott in Gott. Die andere Person ist der sich in sich von sich unterscheidende, sich selbst sich gegenüber und entgegen setzende, darum sich Gegenstand seiende, bewußte Gott. Die Selbstunterscheidung Gottes von sich ist der Grund des von ihm Unterschiedenen – das Selbstbewußtsein also der Ursprung der Welt. Gott denkt die Welt erst dadurch, daß er sich gedacht – sich Denken ist sich Zeugen, die Welt denken die Welt schaffen. Die Zeugung geht der Schöpfung vor. Die productive Idee der Welt, eines [99] anderen Wesens, das nicht Gott ist, wird vermittelt durch die productive Idee eines anderen Wesens, das Gott gleich ist.

Dieser kosmogonische Proceß ist nun aber nichts andres als die mystische Periphrase eines psychologischen Processes, nichts andres als die Vergegenständlichung der Einheit des Bewußtseins und Selbstbewußtseins. Gott denkt sich – so ist er bewußt, selbstbewußt – Gott ist das Selbstbewußtsein als Object, als Wesen gesetzt; aber indem er sich weiß, sich denkt, so denkt er auch damit zugleich ein Andres als Er selbst ist; denn Sich wissen ist Sich unterscheiden von Anderem, sei dieses nun ein mögliches, nur vorgestelltes, oder ein wirkliches. So ist also zugleich die Welt – wenigstens die Möglichkeit, die Idee der Welt – gesetzt mit dem Bewußtsein oder vielmehr vermittelt durch dasselbe. Der Sohn, der von sich gedachte, der gegenständliche, der urabbildliche, der andere Gott ist das Princip der Weltschöpfung. Die Wahrheit, die zu Grunde liegt, ist das Wesen des Menschen: die Identität seines Selbstbewußtseins mit dem Bewußtsein von einem Andern, welches mit ihm identisch, und von einem Andern, welches nicht mit ihm identisch ist. Und das zweite, das wesensgleiche Andre ist nothwendig das Mittelglied, der Terminus medius zwischen dem Ersten und Dritten. Der Gedanke eines Andern überhaupt, eines wesentlich Andern entsteht mir erst durch den Gedanken eines im Wesen mir gleichen Andern.

Das Bewußtsein der Welt ist das Bewußtsein meiner Beschränktheit – wüßte ich nichts von einer Welt, so wüßte ich nichts von Schranken – aber das Bewußtsein meiner Beschränktheit steht im Widerspruch mit dem Triebe meiner Selbstheit [100] nach Unbeschränktheit. Ich kann also von der Selbstheit, sie absolut gedacht – Gott ist das absolute Selbst – nicht unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen; ich muß diesen Widerspruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Bewußtsein eines Wesens, welches zwar auch ein anderes ist und in sofern mir die Anschauung meiner Beschränktheit gibt, aber so, daß es zugleich mein Wesen bejaht, mein Wesen mir vergegenständlicht. Das Bewußtsein der Welt ist ein demüthigendes Bewußtsein – die Schöpfung war ein „Act der Demuth“ – aber der erste Stein des Anstoßes, an dem sich der Stolz der Ichheit bricht, ist das Du, der Alter Ego. Erst stählt das Ich seinen Blick in dem Auge eines Du, ehe es die Anschauung eines Wesens erträgt, welches ihm nicht sein eignes Bild zurückstrahlt. Der andere Mensch ist das Band zwischen mir und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Welt, weil ich zuerst von andern Menschen mich abhängig fühle. Bedürfte ich nicht des Menschen, so bedürfte ich auch nicht der Welt. Ich versöhne, ich befreunde mich mit der Welt nur durch den andern Menschen. Ohne den Andern wäre die Welt für mich nicht nur todt und leer, sondern auch sinn- und verstandlos. Nur an dem Andern wird der Mensch sich klar und selbstbewußt; aber erst, wenn ich mir selbst klar, wird mir die Welt klar. Ein absolut für sich allein existirender Mensch würde sich selbstlos und unterschiedslos in dem Ocean der Natur verlieren; er würde weder sich als Menschen, noch die Natur als Natur erfassen. Der erste Gegenstand des Menschen ist der Mensch. Der Sinn für die Natur, der uns erst das Bewußtsein der Welt als Welt erschließt, ist ein späteres Erzeugniß; denn er entsteht erst durch den Act der Absonderung des Menschen von sich. Den Naturphilosophen Griechenlands gehen [101]die sogenannten sieben Weisen voran, deren Weisheit sich unmittelbar nur auf das menschliche Leben bezog.

Das Bewußtsein der Welt ist also für das Ich vermittelt durch das Bewußtsein des Du. So ist der Mensch der Gott des Menschen. Daß er ist, verdankt er der Natur, daß er Mensch ist, dem Menschen. Wie er nichts physisch vermag ohne den andern Menschen, so auch nichts geistig. Vier Hände vermögen mehr als zwei; aber auch vier Augen sehen mehr als zwei. Und diese vereinte Kraft unterscheidet sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der vereinzelten. Einzeln ist die menschliche Kraft eine beschränkte, vereinigt eine unendliche Kraft. Beschränkt ist das Wissen des Einzelnen, aber unbeschränkt die Vernunft, unbeschränkt die Wissenschaft, denn sie ist ein gemeinschaftlicher Act der Menschheit, und zwar nicht nur deßwegen, weil unzählig Viele an dem Bau der Wissenschaft mit arbeiten, sondern auch in dem innerlichen Sinne, daß das wissenschaftliche Genie einer bestimmten Zeit die Gedankenkräfte der vorangegangenen Genies in sich vereinigt, wenn auch selbst wieder auf eine bestimmte, individuelle Weise, seine Kraft also keine vereinzelte Kraft ist. Witz, Scharfsinn, Phantasie, Gefühl, als unterschieden von der Empfindung, Vernunft als subjectives Vermögen, alle diese sogenannten Seelenkräfte sind Kräfte der Menschheit, nicht des Menschen als eines Einzelwesens, sind Culturproducte, Producte der menschlichen Gesellschaft. Nur wo sich der Mensch am Menschen stößt und reibt, entzündet sich Witz und Scharfsinn – mehr Witz ist daher in der Stadt als auf dem Lande, mehr in großen, als kleinen Städten – nur wo sich der Mensch am Menschen sonnt und wärmt, entsteht Gefühl und Phantasie – die Liebe, ein gemeinschaftlicher Act, ohne Erwiederung [102] darum der größte Schmerz, ist der Urquell der Poesie – und nur wo der Mensch mit dem Menschen spricht, nur in der Rede, einem gemeinsamen Acte, entsteht die Vernunft. Fragen und Antworten sind die ersten Denkacte. Zum Denken gehören ursprünglich Zwei. Erst auf dem Standpunkt einer höhern Cultur verdoppelt sich der Mensch, so daß er jetzt in und für sich selbst die Rolle des Andern spielen kann. Denken und Sprechen ist darum bei allen alten und sinnlichen Völkern identisch; sie denken nur im Sprechen, ihr Denken ist nur Conversation. Gemeine Leute, d. h. nicht abstract gebildete Leute verstehen noch heute Geschriebenes nicht, wenn sie nicht laut lesen, nicht aussprechen, was sie lesen. Wie richtig ist es in dieser Beziehung, wenn Hobbes den Verstand des Menschen aus den Ohren ableitet!

Auf abstracte logische Kategorien reducirt, drückt das kosmo­genetische Princip in Gott nichts weiter aus als den tautologischen Satz: das Verschiedene kann nur aus einem Princip der Verschiedenheit, nicht aus einem einfachen Wesen kommen. So sehr die christlichen Philosophen und Theologen der Schöpfung aus Nichts das Wort geredet, so haben sie doch wieder den alten Grundsatz: aus Nichts wird Nichts, weil er ein Gesetz des Denkens ausspricht, nicht ganz umgehen können. Sie haben zwar keine wirkliche Materie als Princip der unterschiednen materiellen Dinge gesetzt, aber sie haben doch den göttlichen Verstand – der Sohn aber ist die Weisheit, die Wissenschaft, der Verstand des Vaters – als den Inbegriff aller Dinge, als die geistige Materie zum Princip der wirklichen Materie gemacht. Der Unterschied zwischen der heidnischen Ewigkeit der Materie und der christlichen Schöpfung in dieser Beziehung ist nur, daß die Heiden der Welt eine [103] reale, objective, die Christen eine nicht sinnliche Ewigkeit vindicirten. Die Dinge waren, ehe sie existirten, aber nicht als Object des Sinnes, sondern des subjectiven Verstandes. Die Christen, deren Princip das Princip der absoluten Subjectivität, denken Alles nur durch dieses Princip vermittelt. Die durch ihr subjectives Denken gesetzte, die vorgestellte, subjective Materie ist ihnen daher auch die erste Materie – weit vorzüglicher als die wirkliche objective Materie. Aber dessen ungeachtet ist dieser Unterschied nur ein Unterschied in der Weise der Existenz. Die Welt ist ewig in Gott. Oder ist sie etwa in ihm entstanden, wie ein plötzlicher Einfall, eine Laune? Allerdings kann sich auch dieß der Mensch vorstellen, aber dann vergöttlicht der Mensch nur seinen eignen Unsinn. Bin ich dagegen bei Vernunft, so kann ich die Welt nur ableiten aus ihrem Wesen, ihrer Idee, d. h. eine Art ihrer Existenz aus einer andern Art – mit andern Worten: ich kann die Welt immer nur aus sich selbst ableiten. Die Welt hat ihren Grund in sich selbst, wie Alles in der Welt, was auf den Namen einer Gattungs­wesenheit Anspruch hat. Die differentia specifica, das eigenthümliche Wesen, das, wodurch ein bestimmtes Wesen ist, was es ist, dieß ist immer ein im gemeinen Sinne Unerklärliches, Unableitbares, ist durch sich, hat seinen Grund in sich.

So ist es nun auch mit der Vielfachheit und Verschiedenheit, wenn wir die Welt auf diese abstracte Kategorie im Gegensatz zur Einfachheit und Identität des göttlichen Wesens reduciren. Die wirkliche Verschiedenheit kann nur abgeleitet werden aus einem in sich selbst verschiedenen Wesen. Aber ich setze die Verschiedenheit nur in das ursprüngliche Wesen, weil mir schon ursprünglich die Verschiedenheit eine positive [104] Realität ist. Wo und wenn die Verschiedenheit an sich selbst Nichts ist, da wird auch im Princip keine Verschiedenheit gedacht. Ich setze die Verschiedenheit als eine wesentliche Kategorie, als eine Wahrheit, wo ich sie aus dem ursprünglichen Wesen ableite und umgekehrt: beides ist identisch. Der vernünftige Ausdruck ist: die Verschiedenheit liegt eben so nothwendig in der Vernunft, als die Identität.

Da nun aber eben die Verschiedenheit eine positive Vernunft­bestimmung ist, so kann ich die Verschiedenheit nicht ableiten, ohne schon die Verschiedenheit vorauszusetzen; ich kann sie nicht erklären außer durch sich selbst, weil sie eine ursprüngliche, durch sich selbst einleuchtende, durch sich selbst sich bewährende Realität ist. Wodurch entsteht die Welt, das von Gott Unterschiedene? durch den Unterschied Gottes von sich in Gott selbst. Gott denkt sich, er ist sich Gegenstand, er unterscheidet sich von sich – also entsteht dieser Unterschied, die Welt, nur von einem Unterschied anderer Art, der äußere von einem innerlichen, der seiende von einem thätigen, einem Unterscheidungsacte, also begründe ich den Unterschied nur durch sich selbst, d. h. er ist ein ursprünglicher Begriff, ein Non plus ultra meines Denkens, ein Gesetz, eine Nothwendigkeit, eine Wahrheit. Der letzte Unterschied, den ich denken kann, ist der Unterschied eines Wesens von und in sich selbst. Der Unterschied eines Wesens von einem andern versteht sich von selbst, ist schon durch ihr Dasein gesetzt, eine sinnfällige Wahrheit: es sind zwei. Für das Denken begründe ich aber erst den Unterschied, wenn ich ihn in ein und dasselbe Wesen aufnehme, wenn ich ihn mit dem Gesetze der Identität verbinde. Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unterschieds. Das kosmogenetische Princip in Gott, auf seine letzten Elemente [105] reducirt, ist nichts andres als der nach seinen einfachsten Momenten vergegenständliche Denkact. Wenn ich den Unterschied aus Gott entferne, so gibt er mir keinen Stoff zum Denken; er hört auf ein Denkobject zu sein; denn der Unterschied ist ein wesentliches Denkprincip. Und wenn ich daher Unterschied in Gott setze, was begründe, was vergegenständliche ich anders, als die Wahrheit und Nothwendigkeit dieses Denkprincipes?

 

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1) Hylarius .... Siquis innascibilem et sine initio dicat filium, quasi duo sine principio et duo innascibilia, et duo innata dicens, duos faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est principium omnium, filius. Caput autem quod est principium Christi, deus. .... Filium innascibilem confiteri impiissimum est. Petrus Lomb. Sent. I. I. dist. 31. c. 4.