BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Das Geheimniß der Natur in Gott.

 

Einen interessanten Stoff zur Kritik der kosmo- und theogonischen Phantasien liefert die von Schelling aufgefrischte, aus Jacob Böhm geschöpfte Lehre von der ewigen Natur in Gott.

Gott ist reiner Geist, lichtvolles Selbstbewußtsein, sittliche Persön­lichkeit; die Natur dagegen ist, wenigstens stellenweise, verworren, finster, wüste, unsittlich oder doch nicht sittlich. Es widerspricht sich aber, daß das Unreine aus dem Reinen, die Finsterniß aus dem Lichte komme. Wie können wir also aus Gott diese offenbaren Instanzen gegen eine göttliche Abkunft ableiten? Nur dadurch, daß wir dieses Unreine, dieses Dunkle in Gott setzen, in Gott selbst ein Princip des Lichtes und der Finsterniß unterscheiden. Mit andern Worten: nur dadurch können wir den Ursprung des Finstern erklären, daß wir überhaupt die Vorstellung eines Ursprungs aufgeben, die Finsterniß als seiend von Anbeginn an voraussetzen 1). [106]

Das Finstere in der Natur ist aber das Irrationelle, Materielle, die eigentliche Natur im Unterschiede von der Intelligenz. Der einfache Sinn dieser Lehre ist daher: die Natur, die Materie kann nicht aus der Intelligenz erklärt und abgeleitet werden; sie ist vielmehr der Grund der Intelligenz, der Grund der Persönlichkeit, ohne selbst einen Grund zu haben; der Geist ohne Natur ist ein unreelles Abstractum; das Bewußtsein entwickelt sich nur aus der Natur. Aber diese materialistische Lehre wird dadurch in ein mystisches, aber gemüthliches Dunkel gehüllt, daß sie nicht allgemein, nicht mit den klaren schlichten Worten der Vernunft ausgesprochen, sondern vielmehr mit dem heiligen Empfindungsworte Gottes betont wird. Wenn das Licht in Gott aus der Finsterniß in Gott entspringt, so entspringt es nur, weil es in dem Begriffe des Lichts überhaupt liegt, daß es Dunkles erhellt, also das Dunkle voraussetzt, aber nicht macht. Wenn Du also einmal Gott einem allgemeinen Gesetze unterwirfst – was denn nicht anders als nothwendig ist, wofern Du nicht Gott zum Tummelplatz der sinnlosesten Einfälle machen willst – wenn also eben so gut in Gott, als an und für sich, als überhaupt, das Selbstbewußtsein durch ein natürliches Princip bedingt ist, warum abstrahirst Du nicht von Gott? Was einmal Gesetz des Bewußtseins an sich, ist Gesetz für das Bewußtsein jedes persönlichen Wesens, es sei Mensch, Engel, Dämon, Gott oder was Du nur immer Dir sonst noch als Wesen einbilden magst. Worauf reduciren sich denn, bei Lichte besehen, die beiden Principien [107] in Gott? Das eine auf die Natur, wenigstens die Natur, wie sie in Deiner Vorstellung existirt, abstrahirt von ihrer Wirklichkeit, das andere auf Geist, Bewußtsein, Persönlichkeit. Nach seiner einen Hälfte, nach seiner Rück- und Kehrseite nennst Du Gott nicht Gott, sondern nur von seiner Vorderseite, sein Gesicht, wornach er Dir Geist, Bewußtsein zeigt: also ist sein specifisches Wesen, das worin er Gott ist, Geist, Intelligenz, Bewußtsein. Warum machst Du denn aber, was das eigentliche Subject in Gott als Gott, d. i. als Geist ist, zu einem bloßen Prädicat, als wäre Gott als Gott, auch ohne Geist, ohne Bewußtsein Gott? warum anders als weil Du denkst als Sklave der mystisch religiösen Imagination, weil das primäre Princip in Dir die Imagination, das secundäre, formelle nur, das Denken ist, weil es Dir nur wohl und heimlich ist im trügerischen Zwielicht des Mysticismus?

Mysticismus ist Deuteroskopie. Der Mystiker speculirt über das Wesen der Natur oder des Menschen, aber in und mit der Einbildung, daß er über ein anderes, von beiden unterschiedenes, persönliches Wesen speculirt. Der Mystiker hat dieselben Gegenstände, wie der einfache, selbstbewußte Denker; aber der wirkliche Gegenstand ist dem Mystiker nur Object, nicht als er selbst, sondern als ein eingebildeter, und daher der eingebildete Gegenstand ihm der wirkliche Gegenstand. So ist hier, in der mystischen Lehre von den zwei Principien in Gott, der wirkliche Gegenstand die Pathologie, der eingebildete die Theologie; d. h. die Pathologie wird zur Theologie gemacht. Dagegen ließe sich nun eigentlich nichts sagen, wenn mit Bewußtsein die wirkliche Pathologie als Theologie erkannt und ausgesprochen würde; unsre Aufgabe ist es ja eben, zu zeigen, daß die Theologie [108] nichts ist als eine sich selbst verborgene, als die esoterische Patho-, Anthropo- und Psychologie, und daß daher die wirkliche Anthropologie, die wirkliche Pathologie, die wirkliche Psychologie weit mehr Anspruch auf den Namen Theologie haben, als die Theologie selbst, weil diese doch nichts weiter ist als eine imaginäre Psychologie und Anthropologie. Aber es soll der Inhalt dieser Lehre oder Anschauung – und darum ist sie eben Mystik und Phantastik – nicht Pathologie, sondern Theologie, Theologie im alten oder gewöhnlichen Sinne des Wortes sein; es soll hier das Leben eines andern von uns unterschiednen Wesens aufgeschlossen werden, und es wird doch nur unser eignes Wesen aufgeschlossen, aber zugleich wieder verschlossen, weil es das Wesen eines andern Wesens sein soll. Bei Gott, nicht bei uns menschlichen Individuen – das wäre eine viel zu triviale Wahrheit – soll sich die Vernunft erst nach der Leidenschaft der Natur einstellen, nicht wir, sondern Gott soll sich aus dem Dunkel verworrner Gefühle und Triebe zur Klarheit der Erkenntniß emporringen, nicht in unsrer subjectiven beschränkten Vorstellungsweise, sondern in Gott selbst soll der Nervenschrecken der Nacht eher sein, als das freudige Bewußtsein des Lichtes; kurz, es soll hier nicht eine menschliche Krankheitsgeschichte, sondern die Entwicklungs- d. i. Krankheits­geschichte Gottes – Entwicklungen sind Krankheiten – dargestellt werden. Leider! gehört aber das Sollen der Einbildung, die Wahrheit, die Objectivität nur dem pathologischen Element an.

Wenn daher der kosmogenetische Unterscheidungsproceß in Gott uns das Licht der Unterscheidungskraft als eine göttliche Wesenheit zur Anschauung bringt; so repräsentirt uns dagegen die Nacht oder Natur in Gott die Leibnitz'schen [109] Pensées confuses als göttliche Kräfte oder Potenzen. Aber die Pensées confuses, die verworrnen, dunkeln Vorstellungen und Gedanken, richtiger Bilder repräsentiren das Fleisch, die Materie: eine reine, von der Materie abgesonderte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln, d. i. fleischliche Vorstellungen, keine materiellen, die Phantasie erregende, das Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die Nacht in Gott sagt daher nichts andres aus, als: Gott ist nicht nur ein geistiges, sondern auch materielles, leibliches, fleischliches Wesen; aber wie der Mensch Mensch ist und heißt nicht nach seinem Fleisch, sondern seinem Geist, so auch Gott.

Aber die Nacht spricht dieß nur in dunkeln, mystischen, unbestimmten, hinterhaltigen Bildern aus. Statt des kräftigen, aber eben deßwegen präcisen und picanten Ausdrucks Fleisch setzt sie die vieldeutigen, abstracten Worte: Natur und Grund. „Da nichts vor oder außer Gott ist, so muß er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien, aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirklichem zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d. h. sofern er existirt; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz. Er ist die Natur – in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiednes Wesen. Analogisch (?) kann dieses Verhältniß durch das der Schwerkraft und des Lichts in der Natur erläutert werden.“ Aber dieser Grund ist das Nichtintelligente in Gott. „Was der Anfang einer Intelligenz (in ihr selber) ist, kann nicht wieder intelligent sein.“ „Aus diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand [110] geboren. Ohne dieß vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Creatur.“ „Mit solchen abgezognen Begriffen von Gott als Actus purissimus, dergleichen die ältere Philosophie aufstellte, oder solchen, wie sie die neuere, aus Fürsorge, Gott ja recht weit von aller Natur zu entfernen, immer wieder hervorbringt, läßt sich überall nichts ausrichten. Gott ist etwas Realeres, als eine bloße moralische Weltordnung und hat ganz andre und lebendigere Bewegungskräfte in sich, als ihm die dürftige Subtilität abstracter Idealisten zuschreibt. – Der Idealismus, wenn er nicht einen lebendigen Realismus zur Basis erhält, wird ein eben so leeres und abgezogenes System, als das Leibnitzische, Spinozische oder irgend ein anderes dogmatisches.“ „So lange der Gott des modernen Theismus das einfache, rein wesenhaft sein sollende, in der That aber wesenlose – Wesen bleibt, das er in allen neuern Systemen ist, so lange nicht in Gott eine wirkliche Zweiheit erkannt und der bejahenden, ausbreitenden Kraft eine einschrän­kende, verneinende entgegengesetzt wird; so lange wird die Läugnung eines persönlichen Gottes wissenschaftliche Aufrichtigkeit sein.“ „Alles Bewußtsein ist Concentration, ist Sammlung, ist Zusammennehmen, Zusammenfassen seiner selbst. Diese verneinende, auf es selbst zurückgehende Kraft eines Wesens, ist die wahre Kraft der Persönlichkeit in ihm, die Kraft der Selbstheit, der Egoität.“ „Wie sollte eine Furcht Gottes sein, wenn keine Stärke in ihm wäre? Daß aber Etwas in Gott sei, das bloß Kraft und Stärke sei, kann nicht befremden, wenn man nur nicht behauptet, daß er allein dieses und sonst nichts andres sei.“  2)

Aber was ist denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft und Stärke ist im Unterschiede von der geistigen Macht der Güte und Intelligenz, als die leibliche Kraft und Stärke? Ist denn eine bloße Kraft, eine bloße Stärke ohne ein wirkliches leibliches Substrat nicht auch „dürftige Subtilität eines abstracten Idealismus?“ Kennst Du im Unterschiede von der Macht der Güte und der Macht der Vernunft eine andere Dir zu Gebote stehende Kraft als die Muskelkraft? Wenn Du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannst, so mußt Du zur Stärke Deine Zuflucht nehmen. Kannst Du aber etwas „ausrichten“ ohne kräftige Arme und Fäuste? Kennst Du im Unterschiede von der Macht der moralischen Weltordnung „andere und lebendigere Bewegungskräfte“ als die Hebel der pein­lichen Halsgerichtsordnung? Gibt es ein anderes System „lebendigen Realismus's“ als das System des organischen Leibes? Ist Natur ohne Leib nicht ein leerer, abgezogner Begriff? das Geheimniß der Natur nicht das Geheimniß des Leibes? Kennst Du eine andere Existenz, ein anderes Wesen der Natur, als die leibliche Existenz, als das leibliche Wesen? Ist aber nicht der höchste, der realste, der lebendigste Leib der Leib von Fleisch und Blut? Kennst Du eine andere der Intelligenz entgegengesetzte Kraft, als die Kraft von Fleisch und Blut, eine andere Stärke der Natur als die Stärke der sinnlichen Triebe? Ist aber nicht der stärkste, der der Intelligenz entgegengesetzteste Naturtrieb der Geschlechtstrieb? Wer erinnert sich nicht an den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo competit? Wenn wir also eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz entgegengesetztes Wesen in Gott setzen wollen, können wir uns einen lebendigeren, realeren Gegensatz denken, als den Gegensatz [112] von Amare und Sape­re, von Geist und Fleisch, von Freiheit und Geschlechtstrieb? Du entsetzest Dich über diese Descendenzen und Consequenzen? O! sie sind die legitimen Sprossen von dem heiligen Ehebündniß zwischen Gott und Natur. Du selbst hast sie gezeugt unter den günstigen Auspicien der Nacht. Ich zeige sie Dir jetzt nur im Lichte.

Persönlichkeit, Egoität, Bewußtsein ohne Natur ist Nichts oder, was eins, ein hohles, wesenloses Abstractum. Aber die Natur ist, wie bewiesen und von selbst klar ist, nichts ohne Leib. Der Leib ist allein jene verneinende, einschränkende, zusammenzie­hende, beengende Kraft, ohne welche keine Persön­lichkeit denkbar ist. Nimm Deiner Persönlichkeit ihren Leib – und Du nimmst ihr ihren Zusammenhalt. Der Leib ist der Grund, das Subject der Persönlichkeit. Nur durch den Leib unterscheidet sich die reale Persönlichkeit von der eingebildeten eines Gespen­stes. Was wären wir für abstracte, vage, leere Persönlichkeiten, wenn uns nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an dem­selben Orte, in derselben Gestalt, worin wir sind, zugleich Andere sich befinden könnten? Nur durch die räumliche Ausschließung bewährt sich die Persönlichkeit als eine wirkliche. Aber der Leib ist nichts ohne Fleisch und Blut. Fleisch und Blut ist Leben, und Leben allein die Realität, die Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleisch und Blut ist nichts ohne den Sauerstoff der Geschlechtsdifferenz. Die Geschlechtsdifferenz ist keine oberflächliche oder nur auf gewisse Körpertheile beschränkte; sie ist eine wesentliche; sie durchdringt Mark und Bein. Die Substanz des Mannes ist die Männlichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch noch so geistig und hyperphysisch – er bleibt doch immer Mann; [113] eben so das Weib. Die Persönlichkeit ist daher nichts ohne Geschlechtsdifferenz; die Persönlichkeit unterscheidet sich wesentlich in männliche und weibliche Persönlichkeit. Wo kein Du, ist kein Ich; aber der Unterschied von Ich und Du, die Grundbedingung aller Persönlichkeit, alles Bewußtseins, ist nur ein realer, lebendiger, feuriger als der Unterschied von Mann und Weib. Das Du zwischen Mann und Weib hat einen ganz andern Klang, als das monotone Du zwischen Freunden.

Natur im Unterschiede von Persönlichkeit kann gar nichts anderes bedeuten als Geschlechtsdifferenz. Ein persönliches Wesen ohne Natur ist eben nichts andres als ein Wesen ohne Geschlecht, und umgekehrt. Natur soll von Gott prädicirt werden „in dem Sinne wie von einem Menschen gesagt wird, er sei eine starke, eine tüchtige, eine gesunde Natur.“ Aber was ist krankhafter, was unausstehlicher, was naturwidriger als eine Person ohne Geschlecht oder eine Person, die in ihrem Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen ihr Geschlecht verläugnet? Was ist die Tugend, die Tüchtigkeit des Menschen als Mann? die Männlichkeit. Des Menschen als Weibes? die Weiblichkeit. Aber der Mensch existirt nur als Mann und Weib. Die Tüchtigkeit, die Gesundheit des Menschen besteht demnach nur darin, daß er als Weib so ist, wie er als Weib sein soll, als Mann so, wie er als Mann sein soll. Du verwirfst „den Abscheu gegen alles Reale, der das Geistige durch jede Berührung mit demselben zu verunreinigen meint.“ Also verwirf vor allem Deinen eignen Abscheu vor dem Geschlechtsunterschied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt, so wird er auch nicht durch das Geschlecht verunreinigt. Deine Scheu vor einem geschlechtlichen Gott ist eine falsche [114] Schaam – falsch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die Nacht, die Du in Gott gesetzt, Dich der Schaam überhebt; die Schaam schickt sich nur für das Licht; dann, weil Du mit ihr Dein ganzes Princip aufgibst. Ein sittlicher Gott ohne Natur ist ohne Basis. Aber die Basis der Sittlichkeit ist der Geschlechtsunterschied. Selbst das Thier wird durch den Geschlechtsunterschied aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit der Natur, all' ihre Macht, all' ihre Weisheit und Tiefe concentrirt und individualisirt sich in der Geschlechtsdifferenz. Warum scheust Du Dich also, die Natur Gottes bei ihrem wahren Namen zu nennen? Offenbar nur deßwegen, weil Du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit hast, weil Du Alles nur durch den trügerischen Nebel des Mysticismus erblickst. Aber eben deßwegen, weil die Natur in Gott nur ein trügerischer, wesenloser Schein, ein phantastisches Gespenst der Natur ist, – denn sie stützt sich, wie gesagt, nicht auf Fleisch und Blut, nicht auf einen realen Grund – also auch diese Begründung eines persönlichen Gottes eine fehlgeschossene ist: so schließe auch ich mit den Worten: „die Läugnung eines persönlichen Gottes wird so lange wissenschaftliche Aufrichtigkeit,“ ich setze hinzu: wissenschaftliche Wahrheit sein, als man nicht mit klaren, unzweideutigen Worten ausspricht und beweist, erstens a priori, aus speculativen Gründen, daß Gestalt, Oertlichkeit, Fleischlichkeit, Geschlechtlichkeit nicht dem Begriffe der Gottheit widersprechen, zweitens a posteriori – denn die Realität eines persönlichen Wesens stützt sich nur auf empirische Gründe – was für eine Gestalt Gott hat, wo er existirt – etwa im Himmel – und endlich welchen Geschlechtes er ist, ob er ein Männlein oder Weiblein oder [115] gar ein Hermaphrodit. Uebrigens hat schon anno 1682 ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: „Ob Gott auch ehelich sei und ein Weib habe? Und wie viel er Weisen (modos) habe, Menschen zu Wege zu bringen?“ Mögen sich daher die tiefsinnigen speculativen Religions-Philosophen Deutschlands diesen ehrlichen, schlichten Pfarrherrn zum Muster nehmen! Mögen sie den gênanten Rest von Rationalismus, der ihnen noch im schreiendsten Widerspruch mit ihrem innersten Wesen anklebt, muthig von sich abschütteln und endlich die mystische Potenz der Natur Gottes in einen wirklich potenten, zeugungskräftigen Gott realisiren! Amen.

 

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Die Lehre von der Natur in Gott ist Jakob Böhm entnommen. Aber im Original hat sie eine weit tiefere und interessantere Bedeutung als in ihrer zweiten castrirten und modernisirten Auflage. J. Böhm ist ein tiefinniges, tiefsinniges religiöses Gemüth; die Religion ist das Centrum seines Lebens und Denkens. Aber zugleich hat sich die Bedeutung, welche die Natur in neuerer Zeit erhielt – im Studium der Naturwissenschaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus – seines religiösen Gemüthes bemächtigt. Er hat seine Sinne der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnißvolles Wesen geworfen, aber sie erschreckt ihn; und er kann diesen Schrecken der Natur nicht zusammenreimen mit seinen religiösen Vorstellungen. „Als ich anschauete die große Tiefe dieser Welt, darzu die Sonne und Sternen, sowohl die Wolken, darzu Regen und Schnee, und betrachtete in meinem Geiste die ganze Schöpfung dieser Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böses und Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Creaturen, [116] als in Holz, Steinen, Erden und Elementen, sowohl als in Menschen und Thieren. .... Weil ich aber befand, daß in allen Dingen Böses und Gutes war, in den Elementen sowohl als in den Creaturen und daß es in der Welt dem Gottlosen so wohl ginge als den Frommen, auch die Barbarischen Völker die besten Länder inne hätten und daß ihnen das Glück noch wohl mehr beystünde als den Frommen: ward ich derowegen ganz melancholisch und hoch betrübet und konnte mich keine Schrift trösten, welche mir doch fast wohl bekannt war: darbey dann gewißlich der Teufel nicht wird gefeyret haben, welcher mir dann oft Heidnische Gedanken einbleuete, deren ich allhie verschweigen will.“  3) Aber so schrecklich sein Gemüth das finstre, nicht mit den religiösen Vorstellungen eines himmlischen Schöpfers zusammenstimmende Wesen der Natur ergreift, so entzückend afficirt ihn andrerseits die Glanzseite der Natur. J. Böhm hat Sinn für die Natur. Er ahndet, ja empfindet die Freuden des Mineralogen, die Freuden des Botanikers, des Chymikers, kurz die Freuden der „gottlosen Naturwissenschaft.“ Ihn entzückt der Glanz der Edelsteine, der Klang der Metalle, der Geruch und Farbenschmuck der Pflanzen, die Lieblichkeit und Sanftmuth gewisser Thiere. Ich kann es (nämlich die Offenbarung Gottes in der Lichtwelt, den Proceß wo „aufgehet in der Gottheit die wunderliche und schöne Bildung des Himmels in mancherley Farben und Art und erzeiget sich jeder Geist in seiner Gestalt sonderlich“) ich kann es, schreibt er an einer andern Stelle, mit nichts vergleichen als mit den alleredelsten Steinen als Jerubin, Schmaragden, Delfin, Onir, Saffir, Diamant, Jaspis, Hyacinth, Amethyst, [117] Berill, Sardis, Carfunkel und dergleichen.“ Wo anders: „Anlangend aber die köstlichen Steine, als Carfunkel, Jerubin, Schmaragden, Delfin, Onyr und dergleichen, die die allerbesten seynd, die haben ihren Ursprung wo der Blitz des Lichtes in der Liebe auffgangen ist. Dann derselbe Blitz wird in der Sanfftmuth geboren und ist das Hertze im Centro der Quellgeister, darum seynd dieselben Steine auch sanffte, kräftig und lieblich.“ Wir sehen, J. Böhm hatte keinen übeln mineralogischen Geschmack. Daß er aber auch an den Blumen Wohlgefallen, folglich botanischen Sinn hatte, beweisen unter Anderm folgende Stellen: „Die himmlischen Kräfte gebären himmlische freudenreiche Früchte und Farben, allerley Bäume und Stauden, darauf wächst die schöne und liebliche Frucht des Lebens: Auch so gehen in diesen Kräfften auf allerley Blumen mit schönen himmlischen Farben und Geruch. Ihr Schmack ist mancherley, ein jedes nach seiner Qualität und Art, ganz heilig, Göttlich und Freudenreich.“ „So du nun die himmlische Göttliche Pomp und Herrlichkeit willst betrachten, wie die sey, was für Gewächse, Lust oder Freude da sey, so schaue mit Fleiß an diese Welt, was für Früchte und Gewächse aus dem Salniter der Erden wächst von Bäumen, Stauden, Kraut, Wurzeln, Blumen, Oehle, Weine, Getreide und alles was da ist und dein Herz nur forschen kann: Das ist alles ein Vorbild der himmlischen Pomp.“  4)

J. Böhm'n konnte nicht ein despotischer Machtspruch als Erklärungsgrund der Natur genügen; die Natur lag ihm zu sehr im Sinne und auf dem Herzen; er versuchte daher eine natürliche Erklärung der Natur; aber er fand natürlicher [118] und nothwendiger Weise keine andern Erklärungsgründe als eben die Qualitäten der Natur, die den tiefsten Eindruck auf sein Gemüth machten. J. Böhm – dieß ist seine wesentliche Bedeutung – ist ein mystischer Naturphilosoph, ein theosophischer Vulkanist  5) und Neptunist, denn im „Feuer und Wasser urständen nach ihm alle Dinge.“ Die Natur hatte Jakob's religiöses Gemüth fascinirt – nicht umsonst empfing er von dem Glanze eines zinnernen Geschirres sein mystisches Licht – aber das religiöse Gemüth webt nur in sich selbst; es hat nicht die Kraft, nicht den Muth, zur Anschauung der Dinge in ihrer Wirklichkeit zu dringen; es erblickt Alles durch das Medium der Religion, Alles in Gott, d. h. Alles im entzückenden, das Gemüth ergreifenden Glanze der Imagination, Alles im Bilde und als Bild. Aber die Natur afficirte sein Gemüth entgegengesetzt; er mußte diesen Gegensatz daher in Gott selbst setzen – denn die Annahme von zwei selbstständig existirenden entgegengesetzten Urprincipien hätte sein religiöses Gemüth zerrissen – er mußte in Gott selbst unterscheiden ein sanftes, wohlthätiges und ein grimmiges, verzehrendes Wesen. Alles Feurige, Bittere, Herbe, Zusammenziehende, Finstere, Kalte kommt aus einer göttlichen Herbigkeit, Bitterkeit, alles Milde, Glänzende, Erwärmende, Weiche, Sanfte, Nachgiebige aus einer milden, sanften, erleuchtenden Qualität in Gott. „Das seynd nun die Creaturen auf Erden, im Wasser und in der Luft, die Vögel, eine jede Creatur aus seiner eignen Scientz, aus Gutem und Bösem ..... [119] wie man das vor Augen siehet, daß gute und böse Creaturen seynd; als gifftige Thiere und Würmer nach dem Centrum der Natur der Finsterniß, aus Gewalt der grimmen Eigenschaft, welche auch nur begehren im Finstern zu wohnen, als da sind diejenigen, so in den Löchern wohnen und sich vor der Sonnen verbergen. An jedes Thieres Essen und Wohnung siehet man, woraus das herkommen sey, denn eine jede Creatur begehret in seiner Mutter zu wohnen und sehnet sich nach ihr, wie das klar vor Augen ist.“ „Das Gold, Silber, Edelgesteine und alles lichte Ertzt hat seinen Ursprung vom Lichte, welches vor den Zeiten des Zornes êc. geschienen hat.“ „Alles was im Wesen dieser Welt weich, sanft und dünn ist, das ist ausfließend und sich selber gebend und ist dessen Grund und Urstand nach der Einheit der Ewigkeit, da die Einheit immerdar von sich ausfleußt, wie man dann an dem Wesen der Dünnheit, als am Wasser und Lufft keine Empfindlichkeit oder Peinen verstehet, was dasselbe Wesen einig in sich selber ist.“  6) Kurz, der Himmel ist so reich als die Erde. Alles was auf der Erde, ist im Himmel, was in der Natur, in Gott. Aber hier ist es göttlich, himmlisch, dort irdisch, sichtbarlich, äußerlich, materiell, aber doch dasselbe. „Wann ich nun schreibe von Bäumen, Stauden und Früchten, so mußt Du es nicht irdisch, gleich dieser Welt verstehen, dann das ist nicht meine Meinung, daß im Himmel wachse ein todter harter hölzerner Baum oder Stein der in irdischer Qualität stehet. Nein, sondern meine Meinung ist himmlisch und geistlich, aber doch wahrhaftig und eigentlich, also ich meine kein ander [120] Ding, als wie ich's in Buchstaben setze,“ d. h. im Himmel sind dieselben Bäume und Blumen, aber die Bäume im Himmel sind die Bäume, wie sie in meiner Imagination duften und blühen, ohne grobe materielle Eindrücke auf mich zu machen; die Bäume auf Erden die Bäume in meiner sinnlichen, wirklichen Anschauung. Der Unterschied ist der Unterschied zwischen Imagination und Anschauung. „Nicht ist das mein Fürnehmen, sagt er selbst, daß ich wollte aller Sternen Lauff, Ort oder Namen beschreiben oder wie sie jährlich ihre Conjunction oder Gegenschein oder Quadrat und dergleichen haben, was sie jährlich und stündlich wirken. Welches durch die lange Verjährung ist erfahren worden von den hochweisen und klugen Geistreichen Menschen, durch fleißiges Anschauen und Auffmerken und tiefen Sinn und Rechnen. Ich habe dasselbe auch nicht gelernet und studiret und lasse dasselbe die Gelehrten handeln: sondern mein Fürnehmen ist nach dem Geist und Sinne zu schreiben, und nicht nach dem Anschauen.“  7)

Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Naturalismus den Theismus, namentlich den Theismus, welcher das höchste Wesen als ein persönliches Wesen betrachtet, begründen. Der persönliche Theismus denkt sich aber Gott als ein von allem Materiellen abgesondertes persönliches Wesen; er schließt von ihm alle Entwicklung aus, weil diese nichts andres ist als die Selbstabsonderung eines Wesens von Zuständen und Beschaffenheiten, die seinem wahren Begriffe nicht entsprechen. Aber in Gott findet dieß nicht statt, weil in ihm Anfang, Ende, Mitte sich nicht unterscheiden lassen, weil er [121] mit einem Mal ist, was er ist, von Anbeginn an so ist, wie er sein soll, sein kann; er ist die reine Einheit von Sein und Wesen, Realität und Idee, That und Wille. Deus suum Esse est. Der Theismus stimmt hierin mit dem Wesen der Religion überein. Alle auch noch so positiven Religionen beruhen auf Abstraction; sie unterscheiden sich nur in Dem, was gesetzt wird als Das, wovon abstrahirt werden soll. Auch die Homerischen Götter sind bei aller Lebenskräftigkeit und Menschenähnlichkeit abstracte Gestalten; sie haben Leiber wie die Menschen, aber doch keine so plumpe, beschwerliche, beschränkte, keine sterbliche. Die erste Bestimmung des göttlichen Wesens ist: es ist ein abgesondertes, destillirtes Wesen. Es versteht sich von selbst, daß diese Abstraction keine willkührliche, sondern durch den wesentlichen Standpunkt des Menschen bestimmte ist. So wie er ist, so wie er überhaupt denkt, so abstrahirt er.

Die Abstraction drückt ein Urtheil aus – ein bejahendes und verneinendes zugleich, Lob und Tadel. Was der Mensch lobt und preist, das ist ihm Gott;  8) was er tadelt, verwirft, das Ungöttliche. Die Religion ist ein Urtheil – die Affirmation dessen, was der Mensch als sein Wesen anschaut. Was dem Menschen werth und theuer, das gibt er nicht den zerstörenden Elementen der Außenwelt preis; er verwahrt es in sein Schatzkästchen, d. h. er macht es zu einem unantastbaren Heiligthum. Die wesentlichste Bestimmung in der Religion, in der Idee des göttlichen Wesens ist demnach die Abscheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des Vollkommnen vom Unvoll­kommnen, kurz des Positiven vom [122] Negativen. Der Cultus selbst besteht in nichts Anderm als in der fortwährenden Erneuerung des Ursprungs der Religion – in der kritischen, aber feierlichen Sonderung des Göttlichen vom Ungöttlichen.

Das göttliche Wesen ist das durch den Tod der Abstraction verklärte menschliche Wesen – der abgeschiedene Geist des Menschen. In der Religion befreit sich der Mensch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen, was ihn drückt, hemmt, widerlich afficirt; Gott ist das von aller Widerlichkeit befreite Selbstgefühl des Menschen; frei, glücklich, selig fühlt sich der Mensch nur in seiner Religion, weil er nur hier seinem Genius lebt, seinen Sonntag feiert. Die Vermittlung, die Begründung der göttlichen Idee liegt für ihn außer dieser Idee – die Wahrheit derselben schon im Urtheil, darin, daß Alles, was er von Gott ausschließt, die Bedeutung des Ungöttlichen, das Ungöttliche aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die Vermittlung dieser Idee in die Idee selbst aufnehmen, so würde sie ihre wesentlichste Bedeutung, ihren wahren Werth, ihren beseligenden Zauber verlieren. Das göttliche Wesen ist die reine, von allem Andern, allem Objectiven losgemachte, sich nur zu sich selbst verhaltende, nur sich selbst genießende, sich selbst feiernde Subjectivität des Menschen – sein subjectivstes Selbst, sein Innerstes. Der Proceß der Absonderung, der Scheidung des Intelligenten vom Nicht-intelligenten, der Persönlichkeit von der Natur, des Vollkommnen vom Unvollkommnen fällt daher nothwendig in das Subject, nicht in das Object, und die Idee der Gottheit nicht an den Anfang, sondern an das Ende der Sinnlichkeit, der Welt, der Natur – „wo die Natur aufhört, fängt Gott an[123] – weil Gott das Non plus ultra, die letzte Gränze der Abstraction ist. Das, wovon ich nicht mehr abstrahiren kann, ist Gott, – der letzte Gedanke, den ich zu fassen fähig bin – der letzte, d. i. der höchste. Id quo majus nihil cogitari potest, Deus est. Daß nun dieses Omega der Sinnlichkeit auch das Alpha wird, ist leicht begreiflich, aber das Wesentliche ist, daß es das Omega ist. Das Alpha ist erst die Folge; weil es das Letzte, so ist es auch das Erste. Und das Prädicat: das erste Wesen hat keineswegs sogleich kosmogonische Bedeutung, sondern nur die Bedeutung des höchsten Ranges. Die Schöpfung in der mosaischen Religion hat den Zweck, Jehovah das Prädicat des höchsten und ersten, des wahren, ausschließlichen Gottes im Gegensatz zu den Götzen zu sichern  9).

Dem Bestreben, die Persönlichkeit Gottes durch die Natur begrün­den zu wollen, liegt daher eine unlautere, heillose Vermischung der Philosophie und Religion, eine völlige Kritik- und Bewußtlosigkeit über die Genesis des persönlichen Gottes zu Grunde. Wo die Persönlichkeit für die wesentliche Bestimmung Gottes gilt, wo es heißt: ein unpersönlicher Gott ist kein Gott, da gilt die Persönlichkeit schon an und für sich für das Höchste und Realste, da liegt das Urtheil zu Grunde: was nicht Person, ist todt, ist Nichts; nur persönliches Sein ist reales, ist absolutes Sein, ist Leben und Wahrheit; die Natur ist aber unpersönlich, also ein nichtiges [124] Ding. Die Wahrheit der Persönlichkeit stützt sich nur auf die Unwahrheit der Natur: die Persönlichkeit ist Alles, weil die Natur Nichts ist. Die Persönlichkeit von Gott prädiciren heißt nichts andres als die Persönlichkeit für das absolute Wesen erklären; aber die Persön­lichkeit wird nur im Unterschiede, in der Abstraction von der Natur erfaßt. Freilich ist ein nur persönlicher Gott ein abstracter Gott; aber das soll er sein, das liegt in seinem Begriffe; denn er ist nichts andres als das sich außer allen Zusammenhang mit der Welt setzende, sich von aller Abhängigkeit von der Natur frei­machende persönliche Wesen des Menschen. In der Persön­lichkeit Gottes feiert der Mensch die Uebernatürlich­keit, Unsterblichkeit, Unabhängigkeit, Unbeschränkt­heit seiner eignen Persönlichkeit.

Das Bedürfniß eines persönlichen Gottes hat überhaupt darin seinen Grund, daß der persönliche Mensch erst in der Persönlichkeit bei sich ankommt, erst in ihr Sich findet. Substanz, reiner Geist, bloße Vernunft genügt ihm nicht, ist ihm zu abstract, d. h. drückt nicht ihn selbst aus, führt ihn nicht auf sich zurück. Befriedigt, glücklich ist aber der Mensch nur, wo er bei sich, bei seinem Wesen ist. Je persönlicher daher ein Mensch, desto stärker ist für ihn das Bedürfniß eines persönlichen Gottes. Der freie Geist kennt nichts Höheres, als die Freiheit; er braucht sie nicht an ein persönliches Wesen anzuknüpfen; die Freiheit ist ihm durch sich selbst, als solche, ein reales, positives Wesen. Ein mathematischer, astronomischer Kopf, ein reiner Verstandesmensch, ein objectiver Mensch, der nicht in sich befangen ist, der frei und glücklich sich nur fühlt in der Anschauung objectiv vernünftiger Verhältnisse, in der Vernunft, die in den Dingen selbst liegt, ein solcher wird [125] die Spinozische Substanz oder eine ähnliche Idee als sein höchstes Wesen feiern, voller Antipathie gegen einen persönlichen, d. i. subjectiven Gott. Jacobi war darum ein classischer, weil (in dieser Beziehung wenigstens) consequenter, mit sich einiger Philosoph. Wie sein Gott, so war seine Philosophie – persönlich, subjectiv. Der persönliche Gott kann nicht anders wissenschaftlich begründet werden, als wie ihn Jacobi und seine Schüler begründeten. Die Persönlichkeit bewährt sich nur auf selbst persönliche Weise.

Sicherlich läßt sich, ja soll sich die Persönlichkeit auf natürlichem Wege begründen; aber nur dann, wann ich aufhöre, im Dunkeln des Mysticismus zu munkeln, wenn ich heraustrete an den hellen lichten Tag der wirklichen Natur, und den Begriff des persönlichen Gotres mit dem Begriff der Persönlichkeit überhaupt vertausche. Aber in den Begriff des persönlichen Gottes, dessen positiver Begriff eben die befreite, abgeschiedene, von der einschränkenden Kraft der Natur erlöste Persönlichkeit ist, eben diese Natur wieder einzuschwärzen, das ist eben so verkehrt, als wenn ich in den Nektar der Götter Braunschweiger Mumme mischen wollte, um dem ätherischen Trank eine solide Grundlage zu geben. Allerdings lassen sich nicht aus dem himmlischen Safte, der die Götter nährt, die Bestandtheile des animalischen Blutes ableiten. Allein die Blume der Sublimation entsteht nur durch Verflüchtigung der Materie; wie kannst Du also in der sublimirten Substanz eben die Stoffe vermissen, von welchen Du sie geschieden? Allerdings läßt sich das unpersönliche Wesen der Natur nicht aus dem Begriffe der Persönlichkeit erklären. Erklären heißt Begründen; aber wo die Persönlichkeit eine Wahrheit oder vielmehr die absolute Wahrheit ist, da hat die [126] Natur keine positive Bedeutung und folglich auch keinen positiven Grund. Die eigentliche Schöpfung aus Nichts ist hier allein der zureichende Erklärungsgrund; denn sie sagt nichts weiter als: die Natur ist Nichts, spricht also präcis die Bedeutung aus, welche die Natur für die absolute Persönlichkeit hat.

 

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1) Es liegt außer unserm Zwecke, diese craß mystische Ansicht zu kritisiren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finsterniß nur dann erklärt wird, wenn sie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß aber nur dann die Ableitung des Dunkeln in der Natur aus dem Lichte als eine Unmöglichkeit erscheint, wenn man so blind ist, daß man nicht auch in der Finsterniß noch Licht erblickt, nicht bemerkt, daß das Dunkel der Natur kein absolutes, sondern gemäßigtes, durch das Licht temperirtes Dunkel ist. 

2) Schelling über das Wesen der menschlichen Freiheit. 429. 432. 427. Denkmal Jacobi's S. 82, 97–99. 

3) Kernhafter Auszug ... J. Böhms. Amsterdam 1718. p. 58. 

4) L. c. p. 480. 338. 340. 323. 

5) Merkwürdiger Weise wandelte der Philosophus teutonicus wie geistig, so auch physisch auf vulkanischem Grunde. „Die Stadt Görlitz ist durchaus mit lauter Basalt gepflastert.“ Charpentier Mineral. Geographie der Chur­sächsischen Lande. p. 19. 

6) L. c. p. 468, 617–18. 

7) L. c. p. 339, p. 69. 

8) Quidquid enim unus quisque super caetera colit: hoc illi Deus est. (Origenes Explan. in Epist. Pauli ad Rom. c. I.) 

9)Ich bin der Herr, der alles thut.“ „Ich bin der Herr und ist keiner mehr.“ „Ich bin Gott und keiner mehr.“ „Ich bin es der Herr, beides der Erste und der Letzte.“ Jesaias c. 41–47. Hieraus ergibt sich die erst später ausführlicher zu entwickelnde Bedeutung der Creation.