BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Das Geheimniß der Vorsehung und Schöpfung aus Nichts.

 

Die Schöpfung ist das ausgesprochene Wort Gottes, das schöpferische kosmogenetische Wort, das innerliche, mit dem Gedanken identische Wort. Aussprechen ist ein Willensact, die Schöpfung also ein Product des Willens. Wie der Mensch in dem Worte Gottes die Göttlichkeit des Wortes, so bejaht er in der Schöpfung die Göttlichkeit des Willens, und zwar nicht des Willens der Vernunft, sondern des Willens der Einbildungskraft, des absolut subjectiven, unbeschränkten Willens. Der höchste Gipfel des Subjectivitätsprincips ist die Schöpfung aus Nichts. Wie die Ewigkeit der Welt oder Materie nichts weiter bedeutet als die Wesenhaftigkeit der Materie; so bedeutet die Schöpfung der Welt aus Nichts weiter nichts als die Nichtigkeit der Welt. Mit dem Anfang eines Dings ist unmittelbar dem Begriffe, wenn auch nicht der Zeit nach, das Ende desselben gesetzt. Der Anfang der Welt ist der Anfang ihres Endes. Wie gewonnen, so zerronnen. Der Wille hat sie ins Dasein gerufen, der Wille ruft sie wieder zurück ins Nichts. Wann? die Zeit ist gleichgültig. Das Schwert, das ihr Todesurtheil vollstreckt, schwebt stets über ihrem Nacken. Ihr Sein oder Nichtsein hängt [127] nur vom Willen ab. Aber dieser Wille ist nicht ihr eigner Wille – kein Ding kann sein Nichtsein wollen – aber auch schon deßwegen nicht, weil sie selbst willenlos ist. Daß sie also nichtig ist, das ist nur die Kraft des Willens. Der Wille, daß sie ist, ist in Einem der Wille, wenigstens der mögliche Wille, daß sie nicht ist. Die Existenz der Welt ist daher eine momentane, willkührliche, unzuverlässige, d. h. eben nichtige Existenz.

Die Schöpfung aus Nichts ist der höchste Ausdruck der Allmacht. Aber die Allmacht ist nichts als die allen objectiven Bestimmungen und Begränzungen sich entbindende, diese ihre Ungebundenheit als die höchste Macht und Wesenheit feiernde Subjectivität – die Macht des Vermögens, subjectiv alles Wirkliche als ein Unwirkliches, alles Vorstellbare als ein Mögliches zu setzen – die Macht der Einbildungskraft oder des mit der Einbildungskraft identischen Willens, die Macht der Willkühr  1). Der bezeichnendste, stärkste Ausdruck subjectiver Willkühr ist das Belieben, das Wohlgefallen. – „Es hat Gott beliebt, eine Körper- und Geisterwelt ins Dasein zu rufen“ – der unwidersprechlichste Beweis, daß die eigne Subjectivität, die eigne Willkühr als das höchste Wesen, als allmächtiges Weltprincip gesetzt wird. Die Schöpfung aus Nichts als ein Werk des allmächtigen Willens fällt aus diesem Grunde in eine Kategorie mit dem Wunder 2), oder vielmehr sie ist das erste Wunder nicht [128] nur der Zeit, sondern auch dem Range nach – das Princip, aus dem sich alle weitern Wunder von selbst ergeben. Der Beweis ist die Geschichte selbst. Alle Wunder hat man aus der Allmacht, die die Welt aus Nichts geschaffen, gerechtfertigt, erklärt und veranschaulicht. Wer die Welt aus Nichts gemacht, wie sollte der nicht aus Wasser Wein machen, aus einem Efel menschliche Worte hervorbringen, aus einem Felsen Wasser hervorzaubern können? Aber das Wunder ist, wie wir weiter sehen werden, nur ein Product und Object der Einbildungskraft – also auch die Schöpfung aus Nichts als das primitive Wunder. Man hat deßwegen die Lehre von der Schöpfung aus Nichts für eine übernatürliche erklärt, auf welche die Vernunft nicht von selbst hätte kommen können und sich auf die heidnischen Philosophen berufen, als welche aus einer schon vorhandenen Materie die Welt durch die göttliche Vernunft bilden ließen. Allein dieses übernatürliche Princip ist kein andres, als das Princip der Subjectivität, welches sich im Christenthume zur unbeschränkten Universalmonarchie erhob, während die alten Philosophen nicht so subjectiv waren, das absolut subjective Wesen als das schlechtweg, das ausschließlich absolute Wesen zu erfassen, weil sie durch die Anschauung der Welt oder Wirklichkeit die Subjectivität beschränkten – weil ihnen die Welt eine Wahrheit war.

Die Schöpfung aus Nichts ist, als identisch mit dem Wunder, eins mit der Vorsehung; denn die Idee der Vorsehung ist – ursprünglich, in ihrer wahren religiösen Bedeutung, wo sie noch nicht bedrängt und beschränkt worden durch den ungläubigen Verstand – eines mit der Idee des [129] Wunders. Der Beweis der Vorsehung ist das Wunder  3). Der Glaube an die Vorsehung ist der Glaube an eine Macht, der alle Dinge zu beliebigem Gebrauche und Gebote stehen, deren Kraft gegenüber alle Macht der Wirklichkeit Nichts ist. Die Vorsehung hebt die Gesetze der Natur auf; sie unterbricht den Gang der Nothwendigkeit, das eiserne Band, das unvermeidlich die Folge an die Ursache knüpft; kurz sie ist derselbe unbeschränkte, allgewaltige Wille, der die Welt aus Nichts ins Sein gerufen. Das Wunder ist eine Creatio ex nihilo, eine Schöpfung aus Nichts. Wer Wein aus Wasser macht, der macht Wein aus Nichts, denn der Stoff zum Wein liegt nicht im Wasser; widrigensfalls wäre die Hervorbringung des Weins keine wunderbare, sondern natürliche Handlung. Aber nur im Wunder bewährt, beweist sich die Vorsehung. Dasselbe, was die Schöpfung aus Nichts, sagt daher die Vorsehung aus. Die Schöpfung aus Nichts kann nur im Zusammenhang mit der Vorsehung, mit dem Wunder begriffen und erklärt werden; denn das Wunder will eigentlich nichts weiter aussagen, als daß der Wunderthäter Derselbe ist, welcher die Dinge durch seinen bloßen Willen aus Nichts hervorgebracht – Gott, der Schöpfer.

Die Vorsehung bezieht sich aber wesentlich auf den Menschen. Um des Menschen willen macht die Vorsehung mit den Dingen, was sie nur immer will, um seinetwillen hebt sie die Gültigkeit und Realität des sonst allmächtigen Gesetzes auf. Die Bewunderung der Vorsehung in der Natur, namentlich der Thierwelt, ist nichts andres als eine [130] Bewunderung der Natur und gehört daher nur dem, wenn auch religiösen, Naturalismus an 4); denn in der Natur offenbart sich auch nur die natürliche, nicht die göttliche Vorsehung, die Vorsehung, wie sie Gegenstand der Religion. Die religiöse Vorsehung offenbart sich nur im Wunder – vor Allem im Wunder der Menschwerdung, dem Mittelpunkt der Religion. Aber wir lesen nirgends, daß Gott um der Thiere willen Thier geworden sei – ein solcher Gedanke schon ist in den Augen der Religion ein ruchloser, gottloser – oder daß Gott überhaupt Wunder um der Thiere oder Pflanzen willen gethan habe. Im Gegentheil: wir lesen, daß ein armer Feigenbaum, weil er keine Früchte trug zu einer Zeit, wo er keine tragen konnte, verflucht wurde, nur um den Menschen ein Beispiel zu geben, was für eine Macht der Glaube über die Natur sei, daß die dämonischen Plagegeister zwar den Menschen aus-, aber dafür den Thieren eingetrieben wurden. Wohl heißt es: „kein Sperling fällt ohne des Vaters Willen vom Dach;“ aber diese Sperlinge haben nicht mehr Werth und Bedeutung, als die Haare auf des Menschen Haupt, die alle gezählt sind.

Das Thier hat – abgesehen vom Instinkt – keinen andern Schutzgeist, keine andere Vorsehung als seine Sinne oder überhaupt Organe. Ein Vogel, der seine Augen verliert, hat [131]seine Schutzengel verloren; er geht nothwendig zu Grunde, wenn nicht ein Wunder geschieht. Aber wir lesen wohl, daß ein Rabe dem Propheten Elias Speisen gebracht habe, nicht jedoch (wenigstens meines Wissens), daß je um seinetwillen ein Thier auf andere Weise als natürliche erhalten worden sei. Wenn nun aber ein Mensch glaubt, daß auch er keine andere Vorsehung habe, als die Kräfte seiner Gattung, seine Sinne, seinen Verstand; so ist er in den Augen der Religion und aller Derer, welche der Religion das Wort reden, ein irreligiöser Mensch, weil er nur eine natürliche Vorsehung glaubt, die natürliche Vorsehung aber eben in den Augen der Religion so viel als keine ist. Die Vorsehung bezieht sich darum wesentlich nur auf den Menschen – selbst unter den Menschen eigentlich nur auf die religiösen. „Gott ist der Heiland aller Menschen, sonderlich aber der Gläubigen.“ Sie gehört wie die Religion nur dem Menschen an – sie soll den wesentlichen Unterschied des Menschen vom Thiere ausdrücken, den Menschen der Gewalt der Naturmächte entreißen. Jonas im Leibe des Fisches, Daniel in der Löwengrube sind Beispiele, wie die Vorsehung den (religiösen) Menschen vom Thiere unterscheidet. Wenn daher die Vorsehung, welche in den Fang- und Freßwerkzeugen der Thiere sich äußert und von den frommen christlichen Naturforschern so sehr bewundert wird, eine Wahrheit ist, so ist die Vorsehung der Bibel, die Vorsehung der Religion eine Lüge, und umgekehrt. Welch' erbärmliche und zugleich lächerliche Heuchelei, leider, Natur und Bibel zugleich huldigen zu wollen! Die Natur, wie widerspricht sie der Bibel! die Bibel, wie widerspricht sie der Natur! Der Gott der Natur offenbart sich darin, daß er dem Löwen die Stärke und schicklichen Organe gibt, um zur Erhaltung [132] seines Lebens im Nothfall selbst ein menschliches Individuum erwürgen und fressen zu können; der Gott der Bibel aber offenbart sich darin, daß er das menschliche Individuum den Freßwerkzeugen des Löwen wieder entreißt  5)!

Die Vorsehung ist ein Vorzug des Menschen; sie drückt den Werth des Menschen im Unterschied von den andern natürlichen Wesen und Dingen aus; sie entreißt ihn dem Zusammenhange des Weltganzen. Die Vorsehung ist die Ueberzeugung des Menschen von dem unendlichen Werth seiner Existenz – eine Ueberzeugung, in der er den Glauben an die Realität der Außendinge aufgibt – der Idealismus der Religion – der Glaube an die Vorsehung daher eins mit dem Glauben an die persönliche Unsterblichkeit, nur mit dem Unterschiede, daß hier in Beziehung auf die Zeit der unendliche Werth als unendliche Dauer des Daseins sich bestimmt. Wer keine besondern Ansprüche macht, wer gleichgültig gegen sich ist, wer sich mit der Natur identificirt, wer sich als einen Theil im Ganzen verschwinden sieht, der glaubt keine Vorsehung, d. h. keine besondere Vorsehung; aber nur die besondere Vorsehung ist Vorsehung im Sinne der Religion. Der Glaube an die Vorsehung ist der Glaube an den eignen Werth – daher die wohlthätigen Folgen dieses Glaubens, aber auch die falsche Demuth, der religiöse Hochmuth, der sich zwar nicht auf sich verläßt, aber dafür dem lieben Gott die Sorge für sich überläßt – der Glaube des Menschen an sich selbst. Gott bekümmert sich um mich; er beabsichtigt mein Glück, mein Heil; er will, daß ich selig werde; aber Dasselbe will ich [133] auch; mein eignes Interesse ist also das Interesse Gottes, mein eigner Wille Gottes Wille, mein eigner Endzweck Gottes Zweck; – die Liebe Gottes zu mir nichts als meine vergötterte Selbstliebe. Woran glaube ich also in der Vorsehung, als an die göttliche Realität und Bedeutung meines eignen Wesens?

Aber wo die Vorsehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an die Vorsehung abhängig gemacht. Wer läugnet, daß eine Vorsehung ist, läugnet, daß Gott ist; oder – was dasselbe – Gott Gott ist; denn ein Gott, der nicht die Vorsehung des Menschen, ist ein lächerlicher Gott, ein Gott, dem die göttlichste, anbetungswürdigste Wesenseigenschaft fehlt. Folglich ist der Glaube an Gott nichts als der Glaube an die menschliche Würde  6), der Glaube des Menschen an die absolute Realität und Bedeutung seines Wesens. Aber der Glaube an die (religiöse) Vorsehung ist der Glaube an die Schöpfung aus Nichts und vice versa: diese kann also auch keine andere Bedeutung haben, als die eben entwickelte Bedeutung der Vorsehung, und sie hat auch wirklich keine andere. Die Religion spricht dieß hinlänglich dadurch aus, daß sie den Menschen als den Zweck der Schöpfung setzt  7). Alle Dinge sind um des Menschen willen, nicht um ihretwillen. Wer diese Lehre, wie die frommen christlichen Naturforscher, als Hochmuth bezeichnet, erklärt das Christenthum selbst für Hochmuth; denn daß die [134]materielle Welt“ um des Menschen willen ist, das will unendlich weniger sagen, als daß Gott oder wenigstens, wenn wir Paulus folgen, ein Wesen, das fast Gott, kaum zu unterscheiden von Gott ist, um des Menschen willen Mensch wird. Wenn aber der Mensch der Zweck der Schöpfung, so ist er auch der wahre Grund derselben, denn der Zweck ist das Princip der Thätigkeit. Der Unterschied zwischen dem Menschen als Zweck der Schöpfung und dem Menschen als Grund derselben ist nur, daß der Grund der verborgne, innerliche Mensch, das Wesen des Menschen, der Zweck aber der sich offenbare, der empirische, individuelle Mensch ist, daß der Mensch sich wohl als den Zweck der Schöpfung weiß, aber nicht als den Grund, weil er den Grund, das Wesen als ein andres persönliches Wesen von sich unterscheidet  8). Allein dieses andre Wesen, dieses schöpferische Princip ist in der That nichts andres als sein von den Schranken der Individualität und Materialität, d. i. Objectivität abgesondertes subjectives Wesen, der unbeschränkte Wille, die außer allen Zusammenhang mit der Welt gesetzte Persönlichkeit, welche sich durch die Schöpfung, d. h. das Setzen der Welt, der Objectivität, des Andern als eines unselbstständigen, endlichen, nichtigen Daseins die Gewißheit ihrer Alleinwirklichkeit [135] gibt. Bei der Creation handelt es sich nicht um die Wahrheit und Realität der Natur oder Welt, sondern um die Wahrheit und Realität der Persönlichkeit, der Subjectivität im Unterschiede von der Welt. Es handelt sich um die Persönlichkeit Gottes; aber die Persönlichkeit Gottes ist die von allen Bestimmungen und Begränzungen der Natur befreite Persönlichkeit des Menschen. Daher die innige Theilnahme an der Creation, der Abscheu vor pantheistischen Kosmogonien; die Creation ist, wie der persönliche Gott überhaupt, keine wissenschaftliche, sondern persönliche Angelegenheit, kein Object der freien Intelligenz, sondern des Gemüthsinteresses; denn es handelt sich in der Creation nur um die Garantie, die letzte denkbare Bewährung und Bescheinigung der Persönlichkeit oder Subjectivität als einer ganz aparten, gar nichts mit dem Wesen der Natur gemein habenden, einer supra- und extramundanen Wesenheit  9).

Der Mensch unterscheidet sich von der Natur. Dieser sein Unterschied ist sein Gott – die Unterscheidung Gottes von der Natur nichts andres als die Unterscheidung des Menschen von der Natur. Der Gegensatz von Pantheismus und Personalismus oder Anthropotheismus löst sich in die Frage auf: ist das Wesen des Menschen ein transcendentes oder immanentes, ein supranaturalistisches oder naturalistisches Wesen? Unfruchtbar, [136] eitel, kritiklos, ekelhaft sind darum die Speculationen und Streitigkeiten über die Persönlichkeit oder Unpersönlichkeit Gottes; denn die Speculanten nennen das Kind nicht beim rechten Namen; sie stellen das Licht unter den Scheffel; sie speculiren in Wahrheit nur über sich selbst, speculiren selbst nur im Interesse ihres eignen Glückseligkeitstriebes, und doch wollen sie es nicht Wort haben, daß sie sich nur über sich selbst die Köpfe zerbrechen, speculiren in dem Wahne, die Geheimnisse eines andern Wesens auszuspähen. Der Pantheismus identificirt den Menschen mit der Natur – sei es nun mit ihrer augenfälligen Erscheinung oder ihrem abgezogenen Wesen – der Personalismus isolirt, separirt ihn von der Natur, macht ihn aus einem Theile zum Ganzen, zu einem absoluten Wesen für sich selbst. Dieß ist der Unterschied. Wollt ihr daher über diese Dinge ins Reine kommen, so vertauscht eure mystische, verkehrte Anthropologie, die ihr Theologie nennt, mit der wirklichen Anthropologie und speculirt im Lichte des Bewußtseins und der Natur über die Differenz oder Identität des menschlichen Wesens mit dem Wesen der Natur. Ihr gebt selbst zu, daß das Wesen des pantheistischen Gottes nichts ist als das Wesen der Natur. Warum wollt ihr denn nun nur die Splitter in den Augen eurer Gegner, nicht aber die doch so leicht wahrnehmbaren Balken in euren eignen Augen bemerken, warum bei euch eine Ausnahme von einem allgemein gültigen Gesetz machen? Also gebt auch zu, daß euer persönlicher Gott nichts andres ist als euer eigenes persönliches Wesen, daß ihr, indem ihr die Ueberund Außernatürlichkeit eures Gottes glaubt und construirt, nichts andres glaubt und construirt als die Ueberund Außernatürlichkeit eures eignen Selbstes. [137]

Wie überall, so verdecken auch in der Creation die beigemischten, allgemeinen, metaphysischen oder selbst pantheistischen Bestimmungen das eigentliche Princip der Creation. Aber man braucht nur aufmerksam zu sein auf die nähern Bestimmungen, um sich zu überzeugen, daß das Princip der Creation nichts andres als die Selbstbewährung der Subjectivität im Unterschiede von der Natur ist. Gott producirt die Welt außer sich – zuerst ist sie nur Gedanke, Plan, Entschluß, jetzt wird sie That und damit tritt sie außer Gott hinaus als ein von ihm unterschiednes, relativ wenigstens, selbstständiges Object. Aber eben so setzt die Subjectivität überhaupt, die sich von der Welt unterscheidet, sich als ein von ihr unterschiednes Wesen, erfaßt die Welt außer sich als ein andres Wesen – ja dieses Außersichsetzen und das Sichunterscheiden ist Ein Act. Indem daher die Welt außer Gott gesetzt wird, so wird Gott für sich selbst gesetzt, unterschieden von der Welt. Was ist also Gott anders als euer subjectives Wesen, wenn die Welt außer ihn tritt  10)? Was anders wird durch diese That eingestanden, als was mit Worten geläugnet wird, nämlich, daß das göttliche Wesen das Wesen der eignen Subjectivität ist? Indem die listige Reflexion hinzutritt, so wird freilich der Unterschied zwischen Extra und Intra als ein endlicher, menschlicher (?) [138] Unterschied geläugnet. Aber auf das Läugnen des Verstandes, der ein purer Miß- und Unverstand der Religion, ist nichts zu geben. Ist es ernstlich gemeint, so zerstört es das Fundament des religiösen Bewußtseins; es hebt die Möglichkeit, ja das Princip der Schöpfung auf, denn sie beruht nur auf der Realität dieses Unterschieds. Ueberdieß geht der Effect der Schöpfung, die ganze Majestät dieses Actes für Gemüth und Phantasie verloren, wenn das Außersichsetzen nicht im wirklichen Sinne genommen wird. Was heißt denn machen, schaffen, hervorbringen anders als etwas, was zunächst nur ein Subjectives, insofern Unsichtbares, Nichtseiendes ist, gegenständlich machen, versinnlichen, so daß nun auch andre, von mir unterschiedne Wesen es kennen und genießen, also Etwas außer mich setzen, zu etwas von mir Unterschiedenem machen? Wo nicht die Wirklichkeit oder Möglichkeit eines Außer mir Seins ist, da ist von Machen, Schaffen keine Rede. Gott ist ewig, aber die Welt entstanden; Gott war, als die Welt noch nicht war; Gott ist unsichtbar, unsinnlich; aber die Welt ist sinnlich, materiell; also außer Gott; denn wie wäre das Materielle als solches, die Masse, der Stoff in Gott? Die Welt ist in demselben Sinne außer Gott, in welchem der Baum, das Thier, die Welt überhaupt außer meiner Vorstellung, außer mir selbst ist – ein von der Subjectivität unterschiednes Wesen. Nur da, wo ein solches Außersichsetzen zugegeben wird, wie bei den ältern Theologen, haben wir daher die unverfälschte, unvermischte Lehre des religiösen Bewußtseins. Die speculativen Theologen dagegen schwärzen allerlei pantheistische Bestimmungen mit ein, obwohl sie das Princip des Pantheismus negiren, aber sie bringen deßwegen auch nur ein absolut sich widersprechendes, unausstehliches Geschöpf zur Welt. [139]

Die Schöpfung der Welt drückt nichts aus als die Subjectivität, welche sich durch das Bewußtsein, daß die Welt erschaffen, ein Product des Willens, d. h. eine selbstlose, machtlose, nichtige Existenz ist, die Gewißheit der eignen Realität und Unendlichkeit gibt. Das Nichts, aus dem die Welt hervorgebracht wurde, ist ihr eignes Nichts. Indem Du sagst: die Welt ist aus Nichts gemacht, denkst Du Dir die Welt selbst als Nichts, räumst Du alle Schranken Deiner Phantasie, Deines Gemüths, Deines Willens aus dem Kopfe; denn die Welt ist die Schranke Deines Willens, Deines Gemüths; die Welt allein bedrängt Deine Subjectivität; sie allein ist die Scheidewand zwischen Dir und Gott, Deinem seligen vollkommen Wesen. Du vernichtest also subjectiv die Welt; Du denkst Dir Gott allein für sich, d. h. die schlechthin unbeschränkte Subjectivität, die Subjectivität, die sich selbst allein genießt, die nicht der Welt bedarf, die nichts weiß von den schmerzlichen Banden der Materie. Im innersten Grunde Deiner Seele willst Du, daß keine Welt sei; denn wo Welt ist, da ist Materie, und wo Materie, da ist Druck und Stoß, Raum und Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwohl ist aber doch eine Welt, doch eine Materie. Wie kommst Du aus der Klemme dieses Widerspruchs hinaus? Wie schlägst Du Dir die Welt aus dem Sinne, daß sie Dich nicht stört in dem Wonnegefühl der unbeschränkten Subjectivität? Nur dadurch, daß Du die Welt selbst zu einem Willensproduct machst, daß Du ihr eine willkührliche, stets zwischen Sein und Nichtsein schwebende, stets ihrer Vernichtung gewärtige Existenz gibst. Allerdings läßt sich die Welt, oder die Materie – denn beide lassen sich nicht trennen – nicht aus dem Creationsacte erklären; [140] aber es ist gänzlicher Mißverstand, solche Forderung an die Creation zu stellen; denn es liegt dieser der Gedanke zu Grunde: es soll keine Welt, keine Materie sein; und es wird daher auch täglich ihrem Ende sehnlichst entgegengeharrt. Die Welt in ihrer Wahrheit existirt hier gar nicht; sie ist nur als der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenstand; wie sollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus einem Princip, das die Welt negirt, sich deduciren, begründen lassen?

Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen, bedenke man nur dieß Eine ernstlich, daß es sich in der Creation keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von Wasser und Erde, für die ja kein Gott ist, sondern um die Schöpfung von persönlichen Wesen, von Geistern, wie man zu sagen pflegt, handelt. Gott ist der Begriff oder die Idee der Persönlichkeit als selbst Person, die in sich selbst seiende von der Welt abgeschlossene Subjectivität, das als absolutes Sein und Wesen gesetzte bedürfnißlose Fürsichselbstsein, das Ich ohne Du. Da aber das absolute nur für sich selbst Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe widerspricht, da das Selbstbewußtsein wesentlich gebunden ist an das Bewußtsein eines Du, da in die Dauer wenigstens die Einsamkeit sich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit und Einförmigkeit bewahren kann: so wird sogleich von dem göttlichen Wesen fortgeschritten zu andern bewußten Wesen, der Begriff der Persönlichkeit, der zuvörderst nur in Ein Wesen condensirt ist, zu einer Vielheit von Personen erweitert 11). [141] Wird die Person physisch gefaßt, als wirklicher Mensch, als welcher sie ein bedürftiges Wesen ist, so tritt sie erst am Ende der physischen Welt, wenn die Bedingungen ihrer Existenz vorhanden, als der Endzweck der Creation auf. Wird dagegen der Mensch abstract als Person gedacht, wie es von der religiösen Speculation geschieht, so ist dieser Umweg abgeschnitten; es handelt sich in gerader Linie um die Deduction der Person, d. h. um die Selbstbegründung, die letzte Selbstbewährung der menschlichen Persönlichkeit. Zwar wird die göttliche Persönlichkeit auf alle mögliche Weise von der menschlichen distinguirt, um ihre Identität zu verschleiern; aber diese Unterschiede sind entweder rein phantastische oder bloße Versicherungen, Vorspiegelungen, welche die That der Deduction in ihrer Nichtigkeit zeigt. Alle positiven Gründe der Creation reduciren sich nur auf die Bestimmungen, auf solche Gründe, welche dem Ich das Bewußtsein der Nothwendigkeit eines andern persönlichen Wesens aufdrängen. Speculirt so viel als ihr wollt: ihr werdet nie eure Persönlichkeit aus Gott herausbringen, wenn ihr sie nicht schon vorher hineingebracht habt, wenn nicht Gott selbst schon der Begriff eurer Persönlichkeit, euer eignes subjectives Wesen ist.

 

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1) Der tiefere Ursprung der Schöpfung aus Nichts liegt im Gemüth – was eben so wohl direct als indirect in dieser Schrift ausgesprochen und bewiesen wird. Die Willkühr aber ist eben der Wille des Gemüths, die Kraftäußerung des Gemüths nach Außen. 

2) Creatio est miraculosa. Albertus M. (I. P. Summae de quatuor coaequaevis. Qu. I. art. 8.) Darum ist auch die Schöpfung aus Nichts der natürlichen Vernunft unbegreiflich, nur ein Articulus fidei, wie derselbe sagt: de mirab. sci. Dei. P. I. Tract. 13. Qu. 53. membr. I. 

3) Certissimum divinae providentiae testimonium praebent miracula. H. Grotius de verit. rel. christ. l. I. §. 13. 

4) Der religiöse Naturalismus ist allerdings auch ein Moment der christlichen – mehr noch der mosaischen, so thierfreundlichen Religion. Aber er ist keineswegs das charakteristische, das christliche Moment der christlichen Religion. Die christliche, die religiöse Vorsehung ist eine ganz andere, als die Vorsehung, welche die Lilien kleidet und die Raben speist. Die natürliche Vorsehung läßt den Menschen im Wasser untersinken, wenn er nicht schwimmen gelernt hat, aber die christliche, die religiöse Vorsehung führt ihn an der Hand der Allmacht über das Wasser hinweg. 

5) Der Verfasser hatte bei dieser Entgegensetzung der religiösen oder biblischen und natürlichen Vorsehung besonders die fade, bornirte Theologie der englischen Naturforscher vor Augen. 

6) Qui Deos negant, Nobilitatem generis humani destruunt. (Baco. Verul. Serm. Fidel. 16.) 

7) Bekanntlich sagten auch die Stoiker: deorum et hominum causa factum esse mundum, quaeque in eo sint omnia. (Cicero de nat. Deor. l. II.) 

8) Bei Clemens Alex. (Coh. ad gentes) findet sich eine interessante Stelle. Sie lautet in der lateinischen Uebersetzung (der schlechten Würzburger Ausgabe 1778): At nos ante mundi constitutionem fuimus, ratione futurae nostrae productionis, in ipso Deo quodammodo tum praeexistentes. Divini igitur Verbi sive Rationis, nos creaturae rationales sumus, et per eum primi esse dicimur, quoniam in principio erat Verbum. Hier ist das menschliche Wesen – denn dieses ist das Geheimniß des Logos, als welcher nichts will und denkt, als das Heil des Menschen – deutlich genug als das schöpferische Princip ausgesprochen. 

9) Hieraus erklärt es sich, warum alle Versuche der speculativen Theologie und der ihr gleichgesinnten Philosophie, von Gott auf die Welt zu kommen oder aus Gott die Welt abzuleiten, mißglücken und mißglücken müssen. Nämlich darum, weil sie von Grund aus falsch und verkehrt sind, nicht wissen, worum es sich eigentlich in der Creation handelt. 

10) Man kann hiegegen auch nicht einwenden die Allgegenwart Gottes, das Sein Gottes in allen Dingen, oder das Sein der Dinge in Gott. Denn abgesehen davon, daß durch den einstigen wirklichen Untergang der Welt das außer Gott Sein der Welt, d. h. ihre Ungöttlichkeit deutlich genug ausgesprochen ist – Gott ist nur im Menschen auf specielle Weise; aber nur da bin ich zu Hause, wo ich speciell zu Hause bin. Und das Sein der Dinge in Gott ist, wo es keine pantheistische Bedeutung hat, die aber hier wegfällt, eben so nur eine Vorstellung ohne Realität, drückt nicht die speciellen Gesinnungen der Religion aus. 

11) Hier ist auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche Macht, sondern auch die göttliche Liebe repräsentirt. Quia bonus est (Deus), sumus. (Augustin.) Anfangs, vor der Welt war Gott allein für sich. Ante omnia Deus erat solus, ipse sibi et mundus et Iocus et omnia. Solus autem; quia nihil extrinsecus praeter ipsum. (Tertullian.) Aber kein höheres Glück gibt es, als Andere zu beglücken, Seligkeit liegt im Actus der Mittheilung. Aber mittheilend ist nur die Freude, die Liebe. Der Mensch setzt daher die mittheilende Liebe als Princip des Seins. Extasis boni non sinit ipsum manere in seipso (Dionysius A.) Alles Positive begründet sich nur durch sich selbst. Die göttliche Liebe ist die sich selbst begründende, sich selbst bejahende Lebensfreude. Das höchste Selbstgefühl des Lebens, die höchste Lebensfreude ist aber die Liebe, die beglückt. Gott ist das Glück der Existenz.