BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Die Bedeutung der Creation im Judenthum.

 

Die Creationslehre stammt aus dem Judenthum; sie ist selbst die charakteristische Lehre, die Fundamentallehre der jüdischen Religion. Das Princip, das ihr hier zu Grunde liegt, ist aber nicht sowohl das Princip der Subjectivität, als vielmehr des Egoismus. Die Creationslehre in ihrer charakteristischen Bedeutung entspringt nur auf dem Standpunkt, wo der Mensch praktisch die Natur nur seinem Willen und Bedürfniß subjicirt, und daher auch in seiner Vorstellungskraft zu einem bloßen Machwerk, einem Product des Willens degradirt. Jetzt ist ihm ihr Dasein erklärt, indem er sie aus sich, in seinem Sinne erklärt und auslegt. Die Frage: woher ist die Natur oder Welt? setzt eigentlich eine Verwunderung darüber voraus, daß sie ist, oder die Frage: warum sie ist? Aber diese Verwunderung, diese Frage entsteht nur da, wo sich der Mensch bereits von der Natur separirt und sie zu einem bloßen Willensobject gemacht hat. Der Verfasser des Buchs der Weisheit sagt mit Recht, daß „die Heiden vor Bewunderung der Schönheit der Welt sich nicht zum Begriffe des Schöpfers erhoben hätten.“ Wem die Natur ein schönes Object ist, dem erscheint sie als Zweck ihrer selbst, für den hat sie den Grund ihres Daseins in sich selbst, in dem entsteht nicht die Frage: warum ist sie? Der Begriff der Natur und Gottheit identificirt sich in seinem Bewußtsein, seiner Anschauung von der Welt. Die Natur, wie sie in seine Sinne fällt, ist ihm wohl entstanden, erzeugt, aber nicht erschaffen im eigentlichen Sinne, im Sinne der Religion, nicht ein willkührliches Product, nicht gemacht. Und mit diesem Entstandensein drückt er nichts Arges aus; die Entstehung involvirt für ihn nichts Unreines, Ungöttliches; er denkt sich [143] seine Götter selbst als entstanden. Die zeugende Kraft ist ihm die erste Kraft: er setzt als Grund der Natur daher eine Kraft der Natur; eine reale, gegenwärtige, in seiner Anschauung sich bethätigende Kraft als Grund der Realität. So denkt der Mensch, wo er sich ästhetisch oder theoretisch – denn die theoretische Anschauung ist ursprünglich die ästhetische, die Aesthetik die prima philosophia – zur Welt verhält, wo ihm der Begriff der Welt der Begriff des Kosmos, der Herrlichkeit, der Göttlichkeit selbst ist. Nur da, wo solche Anschauung Grundprincip war, konnten Gedanken gefaßt und ausgesprochen werden, wie der des Anaxagoras: der Mensch sei geboren zur Anschauung der Welt  1). Der Standpunkt der Theorie ist der Standpunkt der Harmonie mit der Welt. Die subjective Thätigkeit, diejenige, in welcher der Mensch sich befriedigt, sich freien Spielraum läßt, ist hier allein die sinnliche Einbildungskraft. Er läßt hier, indem er sich befriedigt, zugleich die Natur in Frieden gewähren und bestehen, indem er seine Luftschlösser, seine poetischen Kosmogonien nur aus natürlichen Materialien zusammensetzt. Wo dagegen der Mensch nur auf den praktischen Standpunkt sich stellt und von diesem aus die Welt betrachtet, den praktischen Standpunkt selbst zum theoretischen macht, da ist er entzweit mit der Natur, da macht er die Natur zur unterthänigsten Dienerin seines selbstischen Interesses, seines praktischen Egoismus's. Der theoretische Ausdruck dieser egoistischen, praktischen Anschauung, welcher die Natur an und für sich selbst Nichts [144] ist, ist: die Natur oder Welt ist gemacht, geschaffen, ein Product des Befehls. Gott sprach: es werde die Welt und es ward die Welt, d. i. Gott befahl: es werde die Welt und ohne Verzug stand sie auf diesen Befehl hin da  2).

Aber der Utilismus ist die wesentliche Anschauung des Judenthums. Der Glaube an eine besondere göttliche Vorsehung ist charakteristischer Glaube des Judenthums; der Glaube an die Vorsehung der Glaube an Wunder; der Glaube an Wunder aber ist es, wo die Natur nur als ein Object der Willkühr, des Egoismus, der eben die Natur nur zu willkührlichen Zwecken gebraucht, angeschaut wird  3). Das Wasser theilt sich entzwei oder ballt sich zusammen, wie eine feste Masse, der Staub verwandelt sich in Läuse, der Stab in eine Schlange, der Fluß in Blut, der Felsen in eine Quelle, an demselben Orte ist es zugleich Licht und Finsterniß, die Sonne steht bald stille in ihrem Laufe, bald geht sie zurück. Und alle diese Widernatürlichkeiten geschehen zum Besten Israels, lediglich auf Befehl Jehovah's, der sich um nichts als Israel kümmert, nichts ist als die personificirte Selbstsucht des israelitischen Volks, mit Ausschluß aller andern Völker, die absolute Intoleranz – das Geheimniß des Monotheismus.

Die Griechen betrachteten die Natur mit den theoretischen Sinnen; sie vernahmen himmlische Musik in dem harmonischen [145] Laufe der Gestirne; sie sahen aus dem Schaume des allgebärenden Oceans die Natur in der Gestalt der Venus Anadyomene emporsteigen. Die Israeliten dagegen öffneten der Natur nur die gastrischen Sinne; nur im Gaumen fanden sie Geschmack an der Natur; nur im Genusse des Manna wurden sie ihres Gottes inne. „Zwischen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen Brots satt werden und inne werden, daß ich der Herr euer Gott bin.“  4) Essen ist der feierlichste Act oder doch die Initiation der jüdischen Religion. Im Essen feiert und erneuert der Israelite den Creationsact; im Essen erklärt der Mensch die Natur für ein an sich nichtiges Object. Als die siebenzig Aeltesten mit Mose den Berg hinanstiegen, da „sahen sie Gott und da sie Gott geschauet hatten, tranken und aßen sie.“  5) Der Anblick des höchsten Wesens beförderte also bei ihnen nur den Appetit zum Essen. „Und Jacob that ein Gelübde und sprach: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein.“  6)

Der Grieche trieb Humaniora, die Artes liberales, die Philosophie; der Israelite erhob sich nicht über das Brotstudium der Theologie. Dem Griechen war die Natur ein Diamant; er konnte sich nicht satt sehen an seinem wundervollen Farbenspiel, an seinen regelmäßigen Formen, an seiner [145] himmlischen Klarheit und Durchsichtigkeit; er erblickte in ihm seinen reinen, von keinem praktischen Egoismus getrübten Geist im Spiegel; er erkannte Vernunft, Geist in der Natur; er blickte in ihre Tiefe – darum war ihm die Natur ewig. Kurz, der Grieche betrachtete die Natur mit den Augen des enthusiastischen Mineralogen, der Jude mit den Augen des seinen Vortheil berechnenden Mineralienhändlers.

Die Juden haben sich in ihrer Eigenthümlichkeit bis auf den heutigen Tag erhalten. Ihr Princip, ihr Gott ist das praktischste Princip von der Welt – der Egoismus und zwar der Egoismus in der Form der Religion. Der Egoismus ist der Gott der seine Diener nicht zu Schanden werden läßt. Der Egoismus ist wesentlich monotheistisch, denn er hat nur Eines, nur Sich zum Zweck. Der Egoismus sammelt, concentrirt den Menschen auf sich; er gibt ihm ein consistentes Lebensprincip; aber er macht ihn theoretisch bornirt, weil gleichgültig gegen Alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des Selbst sich bezieht. Die Wissenschaft entsteht daher – wie die Kunst, nur aus dem Polytheismus, denn der Polytheismus ist der offne, neidlose Sinn für alles Schöne und Gute ohne Unterschied, der Sinn für die Welt, für das Universum. Die Griechen sahen sich in der weiten Welt um, um ihren Gesichtskreis zu erweitern; die Juden beten noch heute mit gen Jerusalem gekehrtem Gesichte. Kurz, der monotheistische Egoismus raubte den Israeliten den freien theoretischen Trieb und Sinn. Salomo allerdings übertraf „alle Kinder gegen Morgen“ an Verstand und Weisheit und redete (handelte, agebat) sogar „von Bäumen, von der Ceder zu Libanon bis zu dem Ysop, der an der Wand wächst,“ auch von [147] „Vieh, Vögeln, von Gewürme und von Fischen.“ (I. Könige 4, 30–34.) Aber Salomo diente auch dem Jehovah nicht mit ganzem Herzen; Salomo huldigte fremden Göttern und Weibern; Salomo hatte also polytheistischen Sinn und Geschmack. Der polytheistische Sinn ist die Grundlage der Wissenschaft. Naturstudium ist vom Standpunkt des Jehovah aus Götzendienst; denn der Naturforscher vertieft sich in den Gegenstand um des Gegenstandes willen; er widmet ihm enthusiastische, göttliche Verehrung. Kein Studium ist wahr, fruchtbar, productiv ohne Enthusiasmus. Ein der Wissenschaft unwürdiges, ein feiles Subject ist Jeder, dem sein Gegenstand nicht der höchste, der absolute ist. Heilig muß dem Menschen sein, was er zum wesentlichen Gegenstand seines Lebens und Denkens macht. Heuchelei ist alle Wissenschaftlichkeit mit einer ihrem Gegenstande fremden Religiosität. In der Wissenschaft gilt keine andre als die wissenschaftliche Frömmigkeit – die Pietät gegen die Wissenschaft, die Gesinnung der Gründlichkeit, der Treue, der Aufrichtigkeit, der Wahrhaftigkeit, mit welcher sich der Mensch seinem Gegenstande ergibt.

Eins nun mit dieser Bedeutung, welche die Natur überhaupt für den Hebräer hatte, ist auch die Bedeutung ihres Ursprungs. In der Art, wie ich mir die Genesis eines Dings erkläre, spreche ich nur unverhohlen meine Meinung, meine Gesinnung von demselben aus. Denke ich despectirlich davon, so denke ich mir auch einen despectirlichen Ursprung. Das Ungeziefer, die Insecten leiteten sonst die Menschen vom Aas und sonstigem Unrath ab. Nicht weil sie das Ungeziefer von einem so unappetitlichen Ursprung ableiteten, dachten sie so verächtlich davon, sondern weil sie so dachten, weil ihnen ihr Wesen so verächtlich [148] erschien, dachten sie sich einen, diesem Wesen entsprechenden, einen verächtlichen Ursprung. Den Juden war die Natur ein bloßes Mittel zum Zwecke des Egoismus, ein bloßes Willensobject. Das Ideal, der Abgott des egoistischen Willens ist aber der Wille, welcher unbeschränkt gebietet, welcher, um seinen Zweck zu erreichen, sein Object zu realisiren, keiner Mittel bedarf, welcher, was er nur immer will, unmittelbar durch sich selbst, d. h. den bloßen Willen ins Dasein ruft. Den egoistischen Menschen schmerzt es, daß die Befriedigung seiner Wünsche und Bedürfnisse eine vermittelte ist, daß für ihn eine Kluft vorhanden ist zwischen der Realität und dem Wunsche, zwischen dem Zwecke in der Wirklichkeit und dem Zwecke in der Vorstellung. Er setzt daher, um diesen Schmerz zu heilen, um sich frei zu machen von den Schranken der Wirklichkeit als das wahre, als sein höchstes Wesen das Wesen, welches durch das bloße: Ich will den Gegenstand hervorbringt. Deßwegen war dem Hebräer die Natur, die Welt das Product eines dictatorischen Wortes, eines kategorischen Imperativs, eines zauberischen Machtspruchs.

Was für mich keine theoretische Bedeutung hat, was mir kein Wesen in der Theorie ist, dafür habe ich auch keinen theoretischen, keinen positiven Grund. Durch den Willen bekräftige, realisire ich nur seine theoretische Nichtigkeit. Was wir verachten, das würdigen wir keines Blickes. Was man ansieht, achtet man. Anschauung ist Anerkennung. Was man anschaut, das fesselt durch geheime Anziehungskräfte, das überwältigt durch den Zauber, den es auf das Auge ausübt, den frevelnden Uebermuth des Willens, der Alles nur sich unterwerfen will. Was einen Eindruck auf den theoretischen Sinn, auf die Vernunft macht, das entzieht sich [149] der Herrschaft des egoistischen Willens; es reagirt, leistet Widerstand. Was der vertilgungssüchtige Egoismus dem Tode weiht, das gibt die liebevolle Theorie dem Leben wieder.

Die so sehr verkannte Ewigkeit der Materie oder Welt bei den heidnischen Philosophen hat keinen andern Sinn, als daß ihnen die Natur eine theoretische Realität war  7). Die Heiden waren Götzendiener, d. h. sie schauten die Natur an; sie thaten nichts andres, als was die tiefchristlichen Völker heute thun, wenn sie die Natur zum Gegenstande ihrer Bewunderung, ihrer unermüdlichen Forschung machen. „Aber die Heiden beteten ja die Naturgegenstände an.“ Allerdings; allein die Anbetung ist nur die kindliche, die religiöse Form der Anschauung. Anschauung und Anbetung unterscheiden sich nicht wesentlich. Was ich anschaue, vor dem demüthige ich mich, dem weihe ich das Herrlichste, was ich habe, mein Herz, meine Intelligenz zum Opfer. Auch der Naturforscher fällt vor der Natur auf die Kniee nieder, wenn er eine Flechte, ein Insect, einen Stein selbst mit Lebensgefahr aus der Tiefe der Erde hervorgräbt, um ihn im Lichte der Anschauung zu verherrlichen und im Andenken der wissenschaftlichen Menschheit zu verewigen. Naturstudium ist Naturdienst, und Götzendienst nichts als die erste Naturanschauung des Menschen; denn die Religion ist nichts andres als die erste, darum kindliche, volksthümliche, aber befangene, unfreie Naturund Selbstanschauung des Menschen. Die Hebräer dagegen [150] erhoben sich über den Götzendienst zum Gottesdienste, über die Creatur zur Anschauung des Creators, d. h. sie erhoben sich über die theoretische Anschauung der Natur, welche den Götzendiener bezauberte, zur rein praktischen Anschauung, welche die Natur nur den Zwecken des Egoismus unterwirft. „Daß Du auch nicht Deine Augen aufhebest gen Himmel und sehest die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels und fallest ab und betest sie an und dienest ihnen, welche der Herr, dein Gott verordnet hat (d. i. geschenkt, largitus est) allen Völkern unter dem ganzen Himmel.“ 8) Nur in der unergründlichen Tiefe und Gewalt des hebräischen Egoismus hat also die Schöpfung aus Nichts, d. h. die Schöpfung als ein bloßer befehlshaberischer Act, ihren Ursprung.

Aus diesem Grunde ist auch die Schöpfung aus Nichts kein Object der Philosophie – wenigstens in keiner andern Weise, als in welcher sie hier es ist – denn sie schneidet mit der Wurzel alle wahre Speculation ab, bietet dem Denker, der Theorie keinen Anhaltpunkt dar; sie ist eine für die Theorie bodenlose, aus der Luft gegriffene Lehre, die nur den Utilismus, den Egoismus bewahrheiten soll, nichts enthält, nichts andres ausdrückt, als den Befehl, die Natur nicht zu einem Gegenstande des Denkens, der Anschauung, sondern der Nutznießung zu machen. Aber freilich je leerer sie für die natürliche Philosophie, um so tiefer ist ihre „speculative“ Bedeutung; denn eben weil sie keinen theoretischen Anhaltspunkt hat, läßt sie der Speculation einen unendlichen Spielraum zu willkührlicher bodenloser Deutelei. [151]

Es ist in der Geschichte der Dogmen und Speculationen, wie in der Geschichte der Staaten. Uralte Gebräuche und Institute schleppen sich mit fort, nachdem sie längst ihren Sinn verloren. Was einmal gewesen, das will sich nicht mehr das Recht nehmen lassen, für immer zu sein; was einmal gut war, das will nun auch für alle Zeiten gut sein. Hinterdrein kommen dann die Deutler, die Speculanten und sprechen von dem tiefen Sinne, weil sie den wahren Sinn nicht mehr kennen  9). So betrachtet auch die religiöse Speculation die Dogmen, losgerissen aus dem Zusammenhang, in welchem sie allein Sinn haben; sie reducirt sie nicht kritisch auf ihren wahren innern Ursprung; sie macht vielmehr das Secundäre zum Primitiven und das Primitive zum Secundären. Gott ist ihr das Erste; der Mensch das Zweite. So kehrt sie die natürliche Ordnung der Dinge um! Das Erste ist gerade der Mensch, das Zweite das sich gegenständliche Wesen des Menschen: Gott. Nur in der spätern Zeit, wo die Religion bereits Fleisch und Blut geworden, kann man sagen: wie der Gott so der Mensch, obwohl auch dieser Satz immer nur eine Tautologie ausdrückt. Aber im Ursprung ist es anders und nur im Ursprung kann man Etwas in seinem wahren Wesen erkennen. Erst schafft der Mensch Gott nach seinem Bilde und dann erst schafft wieder dieser Gott den Menschen nach seinem Bilde. Dieß [152] bestätigt vor Allem der Entwicklungsgang der israelitischen Religion. Daher der Satz der theologischen Halbheit, daß die Offenbarung Gottes gleichen Schritt mit der Entwicklung des Menschengeschlechts hält. Natürlich; denn die Offenbarung Gottes ist nichts andres als die Offenbarung, die Selbstentfaltung des menschlichen Wesens. Nicht aus dem Creator ging der supranaturalistische Egoismus der Juden hervor, sondern umgekehrt jener aus diesem: in der Creation rechtfertigte nun gleichsam vor dem Forum seiner Vernunft der Israelite seinen Egoismus.

 

Allerdings konnte sich auch der Israelite als Mensch, wie leicht begreiflich, selbst schon aus praktischen Gründen, nicht der theoretischen Anschauung und Bewunderung der Natur entziehen. Aber er feiert nur die Macht und Größe Jehovahs, indem er die Macht und Größe der Natur feiert. Und diese Macht Jehovahs hat sich am herrlichsten gezeigt in den Wunderwerken, die sie zum Besten Israels gethan. Es bezieht sich also der Israelite in der Feier dieser Macht immer zuletzt auf sich selbst; er feiert die Größe der Natur nur aus demselben Interesse, aus welchem der Sieger die Stärke seines Gegners vergrößert, um dadurch sein Selbstgefühl zu steigern, seinen Ruhm zu verherrlichen. Groß und gewaltig ist die Natur, die Jehovah gemacht, aber noch gewaltiger, noch größer ist Israels Selbstgefühl. Um seinetwillen steht die Sonne stille; um seinetwillen erbebt nach Philo bei der Verkündigung des Gesetzes die Erde; kurz, um seinetwillen verändert die ganze Natur ihr Wesen. „Die ganze Creatur, so ihre eigene Art hatte, veränderte sich wieder nach Deinem Gebote, dem sie dient, auf daß Deine Kinder unversehrt [153] bewahrt würden.“ 10) Gott gab Mose nach Philo Macht über die ganze Natur. Jedes der Elemente gehorchte ihm als dem Herrn der Natur. 11) Israels Bedürfniß ist das allmächtige Weltgesetz, Israels Nothdurft das Schicksal der Welt. Jehovah ist das Bewußtsein Israels von der Heiligkeit und Nothwendigkeit seiner Existenz – eine Nothwendigkeit, vor welcher das Sein der Natur, das Sein anderer Völker in Nichts verschwindet – Jehovah die Salus populi, das Heil Israels, dem Alles was im Wege steht aufgeopfert werden muß, Jehovah das ausschließliche, monarchische Selbstgefühl, das vernichtende Zornfeuer in dem racheglühenden Auge des vertilgungssüchtigen Israels, kurz, Jehovah das Ich Israels, das sich als der Endzweck und Herr der Natur Gegenstand ist. So feiert also der Israelite in der Macht der Natur die Macht Jehovahs und in der Macht Jehovahs die Macht des eignen Selbstbewußtseins. „Gelobt sei Gott! Ist Hülfsgott uns, ein Gott zu unserm Heil.“ „Jehovah Gott ist meine Kraft.“ „Gott selbst des Helden (Josua) Wort gehorchte, denn Er, Jehovah selbst stritt mit vor Israel.“ „Jehovah ist Kriegsgott.&ldquo 12) Wenn sich gleich im Verlaufe der Zeit der Begriff des Jehovah in einzelnen Köpfen erweiterte und seine Liebe, wie von dem Verfasser des Buchs Jona, auf die Menschen überhaupt ausgedehnt wurde, so gehört dieß doch nicht zur wesentlichen Charakteristik der israelitischen Religion. Der Gott der Väter, an den sich die theuersten Erinnerungen knüpfen, der [154] alte historische Gott bleibt doch immer die Grundlage einer Religion 13).

 

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1) Bei Diogenes L. lib. II. c. III. §. 6. heißt es wörtlich „zur Anschauung der Sonne, des Mondes und des Himmels.“ Aehnliche Gedanken bei andern Philosophen. So sagten auch die Stoiker: Ipse autem homo ortus est ad mundum contemplandum et imitandum. (Cic. de nat.) 

2) Hebraei Numen verbo quidquid videtur efficiens describunt et quasi imperio omnia creata tradunt, ut facilitatem in eo quod vult efficiendo, summamque ejus in omnia potentiam ostendant. Psal. 33, 6. Verbo Jehovae coeli facti sunt. Ps. 148, 5. Ille jussit eaque creata sunt. J. Clericus. Comment. in Mosem. Genes. I. v. 3. 

3) Quidquid est creatum, δυνάμει tale est, ut possit ex quocunque fieri quodlibet, respectu omnipotentiae Dei et misericordiae. C. Peucer de praec. divinationum generibus. p. 81. Servestae 1591. 

4) Mose II. c. 16, 12. 

5) Mose II. 24, 10, 11. Tantum abest, bemerkt ein Exeget, ut mortui sint, ut contra convivium hilares celebrarint. 

6) Mose I. c. 28, 20. 

7) Uebrigens dachten sie bekanntlich verschieden hierüber. (S. z. B. Aristoteles de coelo l. I. c. 10.) Aber ihre Differenz ist eine untergeordnete, da das schaffende Wesen bei ihnen mehr oder weniger selbst ein kosmisches Wesen ist. 

8) Deuteron, c. 4, 19. 

9) Aber natürlich nur bei der absoluten Religion, denn bei den andern Religionen heben sie die uns fremden, ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck nach unbekannten Vorstellungen und Gebräuche als sinnlos und lächerlich hervor. Und doch ist in der That die Verehrung des Kuhurins, den der Parse und Indier trinkt, um Vergebung der Sünden zu erhalten, nicht lächerlicher als die Verehrung des Haarkamms oder eines Fetzens vom Rocke der Mutter Gottes. 

10) Weisheit, 19, 6. 

11) S. Gfrörer's Philo. 

12) Nach Herder. 

13) Die Bemerkung stehe noch hier, daß allerdings die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit Gottes überhaupt, so auch Jehovahs in der Natur zwar nicht im Bewußtsein des Israeliten, aber doch in Wahrheit nur die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit der Natur ist. (S. hierüber P. Bayle, Ein Beitrag etc. p. 25–29.) Aber dieß förmlich zu beweisen, liegt außer unserm Plan, da wir uns hier nur auf das Christenthum, d. h. die Verehrung Gottes im Menschen (Deum colimus per Christum. Tertullian. Apolog. c. 21.) beschränken. Gleichwohl ist jedoch das Princip dieses Beweises auch in dieser Schrift ausgesprochen.