BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des Gebetes.

 

Israel ist die historische Definition der specifischen Natur des religiösen Bewußtseins, nur daß dieses hier noch mit der Schranke eines besondern, des Nationalinteresses behaftet war. Wir dürfen daher diese Schranke nur fallen lassen, so haben wir die christliche Religion. Das Judenthum ist das weltliche Christenthum, das Christenthum das geistliche Judenthum. Die christliche Religion ist die vom Nationalegoismus gereinigte jüdische Religion, allerdings zugleich eine neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung bringt, namentlich in religiösen Dingen, wo selbst das Unbedeutende Bedeutung hat, eine wesentliche Veränderung hervor. Dem Juden war der Israelite der Mittler, das Band zwischen Gott und Mensch; er bezog sich in seiner Beziehung auf Jehovah auf sich als Israeliten; Jehovah war selbst nichts andres als die Identität, das sich als absolutes Wesen gegenständliche Selbstbewußtsein Israels, das Nationalgewissen, das [155] allgemeine Gesetz, der Centralpunkt der Politik 1). Lassen wir die Schranke des Nationalbewußtseins fallen, so bekommen wir statt des Israeliten – den Menschen. Wie der Israelite in Jehovah sein Nationalwesen vergegenständlichte, so vergegenständlichte sich der Christ in Gott sein von der Schranke der Nationalität befreites, menschliches und zwar subjectiv menschliches Wesen. Wie Israel das Bedürfniß, die Noth seiner Existenz zum Gesetz der Welt machte, wie es in diesem Bedürfniß selbst seine politische Rachsucht vergötterte; so machte der Christ die Bedürfnisse des menschlichen Gemüths zu den absoluten Mächten und Gesetzen der Welt. Die Wunder des Christenthums, die eben so wesentlich zur Charakteristik desselben gehören, als die Wunder des A. T. zur Charakteristik des Judenthums, haben nicht das Wohl einer Nation zu ihrem Gegenstande, sondern das Wohl des Menschen – allerdings nur des christgläubigen, denn das Christenthum anerkannte den Menschen nur unter der Bedingung, der Beschränkung der Christlichkeit, im Widerspruch mit dem wahrhaft, dem universell menschlichen Herzen, aber diese verhängnißvolle Beschränkung kommt erst später zur Sprache. Das Christenthum hat den Egoismus des Judenthums zur Subjectivität vergeistigt – obwohl sich auch innerhalb des Christenthums diese Subjectivität wieder, z. B. im Herrnhutianismus, als purer Egoismus ausgesprochen – das Verlangen nach irdischer Glückseligkeit, das Ziel der israelitischen Religion, in die Sehnsucht himmlischer Seligkeit, das Ziel des Christenthums, verwandelt. [156]

Der höchste Begriff, der Gott eines politischen Gemeinwesens, eines Volks, dessen Politik aber in der Form der Religion sich ausspricht, ist das Gesetz, das Bewußtsein des Gesetzes als einer absoluten, göttlichen Macht; der höchste Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitischen menschlichen Gemüths, die Liebe – die Liebe, die dem Geliebten alle Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum Opfer bringt, die Liebe, deren Gesetz der Wunsch des Geliebten und deren Macht die unbeschränkte Macht der Phantasie, der intellectuellen Wunderthätigkeit ist.

Gott ist die Liebe, die unsre Wünsche, unsre Gemüthsbedürfnisse befriedigt – Er ist selbst der realisirte Wunsch des Herzens, der zur Gewißheit seiner Erfüllung, seiner Realität, zur zweifellosen Gewißheit, vor der kein Widerspruch des Verstandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt besteht, gesteigerte Wunsch. Gewißheit ist für den Menschen die höchste Macht; was ihm gewiß, das ist ihm das Seiende, das Göttliche. Gott ist die Liebe – dieser Ausspruch, der höchste des Christenthums – ist nur der Ausdruck von der Selbstgewißheit des menschlichen Gemüthes, von der Gewißheit seiner als der allein seienden, d. i. absoluten, göttlichen Macht – der Ausdruck von der Gewißheit, daß des Menschen innere Herzenswünsche objective Gültigkeit und Realität haben, daß es keine Schranke, keinen positiven Gegensatz des menschlichen Gemüths gibt, daß die ganze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts ist gegen das menschliche Gemüth. Gott ist die Liebe – d. h. das Gemüth ist der Gott des Menschen, ja Gott schlechtweg, das absolute Wesen. Gott ist das sich gegenständliche Wesen des Gemüths, das schrankenfreie, reine Gemüth – Gott [157] ist der in das Tempus finitum, in das gewisse selige Ist verwandelte Optativ des menschlichen Herzens, die rücksichtslose Allmacht des Gefühls, das sich selbst erhörende Gebet, das sich selbst vernehmende Gemüth, das Echo unserer Schmerzenslaute. Aeußern muß sich der Schmerz; unwillkührlich greift der Künstler nach der Laute, um in ihren Tönen seinen eignen Schmerz auszuhauchen. Er befriedigt seinen Schmerz, indem er ihn vernimmt, indem er ihn vergegenständlicht; er erleichtert die Last, die auf seinem Herzen ruht, indem er sie der Luft mittheilt, seinen Schmerz zu einem allgemeinen Wesen macht. Aber die Natur erhört nicht die Klagen des Menschen – sie ist gefühllos gegen seine Leiden. Der Mensch wendet sich daher weg von der Natur, weg von den sichtbaren Gegenständen überhaupt – er kehrt sich nach Innen, um hier verborgen und geborgen vor den gefühllosen Mächten, Gehör für seine Leiden zu finden. Hier spricht er seine drückenden Geheimnisse aus, hier macht er seinem gepreßten Herzen Luft. Diese freie Luft des Herzens, dieses ausgesprochne Geheimniß, dieser entäußerte Seelenschmerz ist Gott. Gott ist eine Thräne der Liebe in tiefster Verborgenheit, vergossen über das menschliche Elend. „Gott ist ein unaussprechlicher Seufzer, im Grund der Seelen gelegen“ – dieser Ausspruch 2) ist der merkwürdigste, tiefste, wahrste Ausspruch der christlichen Mystik.

Das tiefste Wesen der Religion offenbart der einfachste Act der Religion – das Gebet – ein Act, der unendlich mehr oder wenigstens eben so viel sagt, als das Dogma der [158] Incarnation, obgleich die religiöse Speculation dasselbe als das größte Mysterium anstiert. Aber freilich nicht das Gebet vor und nach der Mahlzeit, das Mastgebet des Egoismus, sondern das schmerzensreiche Gebet, das Gebet der trostlosen Liebe, das Gebet, welches die den Menschen zu Boden schmetternde Macht seines Herzens ausdrückt, das Gebet, welches in der Verzweiflung beginnt und in der Seligkeit endet.

Im Gebet redet der Mensch Gott mit Du an; er erklärt also laut und vernehmlich Gott für sein Alter Ego; er beichtet Gott, als dem ihm nächsten, innigsten Wesen seine geheimsten Gedanken, seine innigsten Wünsche, die er außerdem sich scheut, laut werden zu lassen. Aber er äußert diese Wünsche, in der Zuversicht, in der Gewißheit, daß sie erfüllt werden. Wie könnte er sich an ein Wesen wenden, das kein Ohr für seine Klagen hätte? Was ist also das Gebet, als der mit der Zuversicht in seine Erfüllung geäußerte Wunsch des Herzens? 3) was anders das Wesen, das diese Wünsche erfüllt, als das sich selbst Gehör gebende, sich selbst genehmigende, [159] sich ohne Ein- und Widerrede bejahende menschliche Gemüth? Der Mensch, der sich nicht die Vorstellung der Welt aus dem Kopf schlägt, die Vorstellung, daß Alles hier nur vermittelt ist, jede Wirkung ihre natürliche Ursache hat, jeder Wunsch nur erreicht wird, wenn er zum Zweck gemacht und die entsprechenden Mittel ergriffen werden, ein solcher Mensch betet nicht; er arbeitet nur: er verwandelt die erreichbaren Wünsche in Zwecke reeller Thätigkeit, die übrigen Wünsche, die er als subjective erkennt, negirt er oder betrachtet sie eben nur als subjective, fromme Wünsche. Kurz, er beschränkt, bedingt sein Wesen durch die Welt, als deren Mitglied er sich denkt, seine Wünsche durch die Vorstellung der Nothwendigkeit. Im Gebete dagegen schließt der Mensch die Welt und mit ihr alle Gedanken der Vermittlung, der Abhängigkeit, der traurigen Nothwendigkeit von sich aus; er macht seine Wünsche, seine Herzensangelegenheiten zu Gegenständen des unabhängigen, allvermögenden, des absoluten Wesens, d. h. er bejaht sie unbeschränkt. Gott ist das Jawort des menschlichen Gemüths – das Gebet die unbedingte Zuversicht des menschlichen Gemüthes zur absoluten Identität des Subjectiven und Objectiven, die Gewißheit, daß die Macht des Herzens größer als die Macht der Natur, daß das Herzensbedürfniß die absolute Nothwendigkeit, das Schicksal der Welt ist. Das Gebet verändert den Naturlauf – es bestimmt Gott zur Hervorbringung einer Wirkung, die mit den Gesetzen der Natur im Widerspruch steht. Das Gebet ist das absolute Verhalten des menschlichen Herzens zu sich selbst, zu seinem eigenen Wesen – im Gebete vergißt der Mensch, daß eine Schranke seiner Wünsche existirt, und ist selig in diesem Vergessen. [160]

Das Gebet ist die Selbsttheilung des Menschen in zwei Wesen – ein Dialog des Menschen mit sich selbst, mit seinem Herzen. Es gehört mit zur Wirkung des Gebets, daß es laut, deutlich, nachdrucksvoll ausgesprochen wird. Unwillkührlich quillt das Gebet über die Lippen heraus – der Druck des Herzens zersprengt das Schloß des Mundes. Aber das laute Gebet ist nur das sein Wesen offenbarende Gebet: das Gebet ist wesentlich, wenn auch nicht äußerlich ausgesprochene Rede – das lateinische Wort oratio bedeutet beides – im Gebete spricht sich der Mensch unverhohlen aus über das, was ihn drückt, was ihm überhaupt nahe geht; er vergegenständlicht sein Herz; – daher die moralische Kraft des Gebets. Sammlung, sagt man, ist die Bedingung des Gebets. Aber sie ist mehr als Bedingung: das Gebet ist selbst Sammlung – Beseitigung aller zerstreuenden Vorstellungen, aller störenden Einflüsse von Außen, Einkehr in sich selbst, um sich nur zu seinem eignen Wesen zu verhalten. Nur ein zuversichtliches, aufrichtiges, herzliches, inniges Gebet, sagt man, hilft, aber diese Hülfe liegt im Gebete selbst. Wie überall in der Religion das Subjective, Secundäre, Bedingende die prima causa, die objective Sache selbst ist – so sind auch hier diese subjectiven Eigenschaften das objective Wesen des Gebets selbst 4)[161]

Die oberflächlichste Ansicht vom Gebet ist, wenn man in ihm nur einen Ausdruck des Abhängigkeitsgefühles sieht. Allerdings drückt es ein solches aus, aber die Abhängigkeit des Menschen von seinem Herzen, von seinen Gefühlen. Wer sich nur abhängig fühlt, der öffnet seinen Mund nicht zum Gebete; das Abhängigkeitsgefühl nimmt ihm die Lust, den Muth dazu; denn Abhängigkeitsgefühl ist Nothwendigkeitsgefühl. Das Gebet wurzelt vielmehr in dem unbedingten, um alle Nothwendigkeit unbekümmerten Vertrauen der Subjectivität, daß ihre Angelegenheiten Gegenstand des absoluten Wesens sind, daß das allmächtige unendliche Wesen der Vater der Menschen, ein theilnehmendes, gefühlvolles, liebendes Wesen ist, daß also die dem Menschen theuersten, heiligsten Empfindungen göttliche Realitäten sind. Das Kind fühlt sich aber nicht abhängig von dem Vater als Vater; es hat vielmehr im Vater das Gefühl seiner Stärke, das Bewußtsein seines Werths, die Bürgschaft seines Daseins, die Gewißheit der Erfüllung seiner Wünsche; auf dem Vater ruht die Last der Sorge; das Kind dagegen lebt sorglos und glücklich im Vertrauen auf den Vater, seinen lebendigen Schutzgeist, der nichts will, als des Kindes Wohl und Glück. Der Vater macht das Kind zum Zweck, sich selbst zum Mittel seiner Existenz. Das Kind, welches seinen Vater um Etwas bittet, wendet sich nicht an ihn als ein von ihm unterschiedenes, selbstständiges Wesen, als Herrn, als Person überhaupt, sondern an ihn, wie und wiefern er abhängig bestimmt ist von seinen Vatergefühlen, von der [162] Liebe zu seinem Kinde 5). Die Bitte ist nur ein Ausdruck von der Gewalt, die das Kind über den Vater ausübt – wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf, da die Gewalt des Kindes nichts ist, als die Gewalt des Vaterherzens selbst. Die Sprache hat für Bitten und Befehlen dieselbe Form – den Imperativ. Die Bitte ist der Imperativ der Liebe. Und der amatorische Imperativ hat unendlich mehr Macht als der despotische. Die Liebe befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wünsche nur leise anzudeuten, um schon der Erfüllung derselben gewiß zu sein; der Despot muß schon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um andere, gegen ihn an sich gleichgültige Wesen zu Vollstreckern seiner Wünsche zu machen. Der amatorische Imperativ wirkt mit elektro-magnetischer Kraft, der despotische mit der mechanischen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innigste Ausdruck Gottes im Gebet ist das Wort: Vater – der innigste, weil sich hier der Mensch zu dem absoluten Wesen als dem seinigen verhält, das Wort Vater eben selbst der Ausdruck der innigsten, intensivsten Identität ist, der Ausdruck, in dem unmittelbar die Gewähr meiner Wünsche, die Garantie meines Heils liegt. Die Allmacht, an die sich der Mensch im Gebete wendet, ist nichts als die Allmacht der Güte, die zum Heile des Menschen auch das Unmögliche möglich macht – in Wahrheit nichts andres als die Allmacht des Herzens, des Gefühls, welches alle Verstandesschranken durchbricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß [163] nichts Andres sei als Gefühl, nichts sei, was dem Herzen widerspricht. Der Glaube an die Allmacht ist der Glaube an die Irrealität der Außenwelt, der Objectivität, – der Glaube an die absolute Realität des Gemüths. Das Wesen der Allmacht drückt nichts aus als das Wesen des Gemüths. Die Allmacht ist die Macht, vor der kein Gesetz, keine Determination gilt und besteht, aber diese Macht ist eben das Gemüth, welches jede Determination, jedes Gesetz als Schranke empfindet und deßwegen aufhebt. Die Allmacht thut nichts weiter, als daß sie den innersten Willen des Gemüths vollstreckt, realisirt. Im Gebete wendet sich der Mensch an die Allmacht der Güte – das heißt also nichts andres als: im Gebete betet der Mensch sein eignes Herz an, schaut er das Wesen seines Gemüths als das absolute Wesen an.

 

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1) „Der größte Theil der hebräischen Poesie, den man oft nur für geistlich hält, ist politisch.“ Herder. 

2) Sebastian Frank von Wörd in Zinkgrafs Apophthegmata deutscher Nation. 

3) Es wäre ein schwachsinniger Einwand, zu sagen, Gott erfülle nur die Wünsche, die Bitten, welche in seinem Namen oder im Interesse der Kirche Christi geschehen, kurz nur die Wünsche, welche mit seinem Willen übereinstimmen; denn der Wille Gottes ist eben der Wille des Menschen, oder vielmehr Gott hat die Macht, der Mensch den Willen: Gott macht den Menschen selig, aber der Mensch will selig sein. Ein einzelner, dieser oder jener Wunsch kann allerdings nicht erhört werden; aber darauf kommt es nicht an, wenn nur die Gattung, die wesentliche Tendenz genehmigt ist. Der Fromme, dem eine Bitte fehlschlägt, tröstet sich daher damit, daß die Erfüllung derselben ihm nicht heilsam gewesen wäre. Nullo igitur modo vota aut preces sunt irritae aut infrugiferae et recte dicitur, in petitione rerum corporalium aliquando Deum exaudire nos, non ad voluntatem nostram, sed ad salutem. Oratio de precatione. in Declamat. Melanchthonis. T. III.v 

4) Aus subjectiven Gründen vermag auch mehr das gemeinschaftliche als einzelne Gebet. Gemeinsamkeit erhöht die Gemüthskraft, steigert das Selbstgefühl. Was man allein nicht vermag, vermag man mit Andern. Alleingefühl ist Beschränktheitsgefühl; Gemeingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen sich die Menschen, von Naturgewalten bedroht, zusammen. Multorum preces impossibile est, ut non impetrent, inquit Ambrosius ... Sanctae orationis fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac intensius cor Divinum penetrat ... Negatur singularitati, quod conceditur charitati. Sacra Hist. de gentis hebr. ortu. P. Paul. Mezger. Aug. Vind. 1700. p. 668. 669. 

5) Trefflich ist der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der Allmacht, des Gebetes, der Liebe in der lesenswürdigen Schrift: Theanthropos. Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt.