BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Irmgard Bock

* 1937

 

„So kommen auch Frauen

schon auf die verrückte Idee,

Hochschullehrer zu werden.“

 

Frauen in den Fächern

Psychologie und Pädagogik,

am Beispiel der LMU München

 

2003

 

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4.

Frauen im Lehrkörper der Universität

 

Auch hier muß eine Bemerkung vorausgestellt werden, die für das Verständnis der Stellung der Frau wichtig ist. Der Lehrköper setzte sich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aus folgenden Personengruppen zusammen, die unterschiedliche Befugnisse bzw. Einflußmöglichkeiten hatten. An der Spitze stand der Ordinarius, der zumeist auch Institutsleiter war. Er war eigentlich der unumschränkte Herrscher, seine wissen­schaftliche Ausrichtung bestimmte die Ausrichtung des Fachs, seine Reputation war entscheidend. Daneben gab es seit etwa 1870 die nur z. T. etatmäßigen Extraordinarien sowie die Honorarprofessoren, die häufig nicht bezahlt wurden. Ihre Zahl machte am Ende des 19. Jh. in den Philosophischen Fakultäten schon etwa 60% aus, ohne daß sie die Stellung der Ordinarien eingegrenzt hätten (vgl. Wiater 1997, 686). Erst am Ende der Weimarer Republik wurden ihnen Mitwirkungsrechte eingeräumt (vgl. Wiater, 1997, 687). Die Privatdozenten, habilitierte Wissenschaftler, die diesen Status oft sehr lange einnahmen, bildeten den Sockel dieser Pyramide. Sie waren nicht bezahlt, und dadurch ergab sich eine massive soziale Schranke für den Zugang zur wissenschaftlichen Laufbahn. Hinzu kamen Dozenten – Lektoren, die besondere Aufgaben wahrnahmen (z.B. Sprachen)

Diese Struktur hat sich in den Grundzügen bis heute erhalten, auch wenn das Prinzip der Kollegialität stärker hervorgehoben worden ist und die Bezeichnungen (C-Professuren) sich geändert haben. Außerdem wurde der Titel des apl.-Professors geschaffen, der immer dann verliehen wird, wenn ein Privatdozent sich wissenschaftlich weiter ausgezeichnet hat.

Assistenten, wurden für bestimmte Aufgaben – vor allen an den Instituten – privat­rechtlich eingestellt. Erst seit dem Ende des ersten Weltkriegs – mitbedingt durch die Inflation – wurden bezahlte Assistentenstellen geschaffen.

Ab 1920 3) wurden auch Frauen generell zur Habilitation zugelassen (vorher gab es wie bei der Promotion den dornigen Weg über die Ausnahmegenehmigung), übrigens erstritten von der Husserl-Schülerin Edith Stein, die selber nie diese Prüfung ablegen konnte. (Vgl. Wobbe, 1996, 345). Da die Habilitation aber die Voraussetzung für die venia legendi und mit dem Kooptationsrecht der Universitäten verbunden war, ist vor dieser Zeit nur in Ausnahmefällen mit einer Frau im Lehrkörper der Universität zu rechnen. Die erste Professorin war in München Marianne Plehn, die Begründerin der Fischpathologie, die 1914 den Titel verliehen bekam.

Die erste Habilitation in München erfolgte 1919 (Medizin) (Boehm 1958, 326); die zweite war die der Zoologin Ruth Beutler (Philosophische Fakultät, Sektion II), die 1937 auch apl. Prof. wurde (Boehm 1958, 326). Die Philosophische Fakultät, Sektion I lehnte dagegen den Antrag der Historikerin Paula Lanyi-Geist auf Habilitation ab, eine Ablehnung, die in den Fakultätsrichtlinien 1930 formal verankert und damit für rund 25 Jahre festgeschrieben wurde. Erst 1947 wurde (wieder eine Historikerin) habilitiert (vgl. Bußman 1993, 56).

In den 70er Jahren (1970; 1974; 1978) wurden das Hochschul- und Hochschul­lehrergesetz in verschiedenen Stufen mehrfach geändert. Das hatte vor allem Aus­wirkungen auf den sog. Mittelbau. Die vorher seltenen Stellen für Assistenten – seit dem WS 1965/6 arbeitete Dipl. Psychologin Dr. Gerda Metz als Wiss. Angestellte am Institut für Psychologie, ein halbes Jahr früher hatte ich ein Assistentenstelle am Institut für Pädagogik angetreten – wurden kräftig angehoben; es gab die Möglichkeit, diese Stellen zu teilen und die Promotion war nicht mehr Voraussetzung, eine solche Stelle zu erhalten, sondern sie dienten verstärkt auch zur Qualifikation. Daneben gab es zunehmend Stellen, die aus Drittmitteln bezahlt wurden, deren Inhaber aber in einer unsicheren Position und verstärkt weisungsabhängig sind. Hier ist es sehr viel schwieriger, sich zu qualifizieren. Dennoch war mit dieser Änderung eine Möglichkeit geschaffen, daß auch mehr Frauen in der Universität Fuß fassen konnten. Ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse belehrt aber, daß von dieser Möglichkeit sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht wurde, wobei zu bedenken ist, daß der Instituts-/Seminarvorstand, ein Ordinarius, die Stellen vergab und auch heute noch – trotz der Ausschreibepflicht – vergibt. Es gibt an unserer Fakultät Institute, an denen kaum Frauen im Mittelbau auftauchten und auftauchen, andere, wie die Pädagogik, die klinische Psychologie und die Sozialpsychologie, die in etwa eine gleichmäßige Verteilung der Stellen auf Männer und Frauen anstreben. 1984/5 waren von insgesamt 64 Mitarbeiterstellen in den beiden Fächern 24 mit Frauen besetzt. Heute sind es von insgesamt 101 Stellen 42. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß vor allem in den lehrerbildenden Fächern ein Teil der Stellen auf Lebenszeit besetzt sind, so daß eine Änderung zu Gunsten von Frauen nur über längere Zeiträume möglich ist. Das belegen zwei Vergleichszahlen: Von insgesamt 23 Lebenszeitstellen waren 1984/5 5 mit Frauen besetzt. Heute gibt es eine weitere solche Stelle, die mit einer Frau besetzt wurde (von 24 Stellen 6 mit Frauen besetzt). Über die Zahl der heute aus Drittmitteln bezahlten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen liegen mir ebenso wenig Angaben vor wie über den Vertragsstatus der Wissenschaftlichen Angestellten.

Diese Änderung hat zur Folge, daß die Anzahl der Habilitationen langsam zunimmt, vor allem, wenn man bedenkt, daß nach Röhrich (1988) der Anteil der Frauen an Stipendien nur rund 10% ausmachte.

In unserer Fakultät sieht das so aus, daß Renate de Jong 1975 als erste Frau in Psychologie (klinische Psychologie) habilitiert wurde, ich selber 1977 in Pädagogik. 1987 fand die erste Habilitation einer Frau in Sonderpädagogik statt; 1994 habilitierte die erste Frau in Grundschulpädagogik und –didaktik; 2000 wurde an die erste Frau die venia für Pädagogik und Pädagogische Psychologie erteilt. Von den insgesamt 143 Habilitationen in den Fächern Psychologie und Pädagogik – wobei Vollständigkeit nicht garantiert werden kann – waren 32 solche von Frauen in der Mehrheit aus der Psychologie, eine Zahl, die sicher auch widerspiegelt, daß die Anzahl der Assistentenstellen in der Psychologie im Verhältnis zu den pädagogischen Fächern sehr viel stärker angewachsen ist.

Die erste Ordinaria an der Philosophischen Fakultät I wurde am 18. 9. 1969 Laetitia Boehm für „Mittlere und neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Bildungs- und Universitätsgeschichte“.

Als 1975 der Fachbereich 11 begründet wurde, gab es in ihm keine einzige Professorin. Die ersten (C 4) an unserer Fakultät verdanken wir der Auflösung des Fachbereichs 21 1977. Der Lehrstuhl für Didaktik des Erst- und Sachkundeunterrichts (später Grundschuldidaktik), seit 1973 besetzt mit Frau Prof. Dr. G. Heuß-Giehrl und der Lehrstuhl für Sprachgeschädigtenpädagogik, seit 1974 besetzt mit Frau Prof. Dr. Anni Kotten-Sederqvist, wurden in unsere Fakultät integriert (vgl. Frauenstudium an der Universität München 1975). 1977 wurde ich zur C 3-Professorin für Pädagogik ernannt. Seit 1983 gehört Frau Dr. Anna-Maria Bäuml-Roßnagl als C 3-Professorin unserem Lehrkörper an. Frau Dr. Speck-Hamdan, 1994 habilitiert für Grundschulpädagogik und –didaktik, wurde 1995 ebenfalls auf eine C 3-Stelle berufen. Nach der Emeritierung der beiden Lehrstuhlinhaberinnen wurden ihre Stellen dann aber mit Männern besetzt. Trotzdem haben wir an unserer Fakultät wieder zwei C 4-Professorinnen. 1993 gelang es, Frau Dr. Annette Leonhard für den Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhöri­genpädagogik zu gewinnen, 2001 Frau Dr. Beate Sodian als Nachfolgerin von Rolf Oerter für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie; und last not least ist Sabine Walper zu nennen, die seit 2002 die C 3-Stelle für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Jugend- und Familienforschung am Institut für Pädagogik innehat. Am Institut für Psychologie, das die meisten Frauen habilitiert hat, gibt es keine einzige Professorin, wenn man die bei uns habilitierten beiden apl. Professorinnen (Helga Bilden und Karin Münzel) einmal ausklammert.

Besondere Erwähnung verdienen noch die Frauen, die an unserer Fakultät C 4- bzw. C 3-Stellen vertreten haben. Es handelt sich um Frau Prof. Dr. Annette Leonhard, die uns als einzige erhalten blieb; Prof. Dr. Ursula Frost, derzeit Lehrstuhlinhaberin an der Universität zu Köln, Frau Prof. Dr. Beck-Gernsheim, Professorin in Erlangen-Nürnberg, Frau PD Dr. Sigrun Anselm, apl. Prof. in Berlin, Frau PD Reitemeier-Witt, Frau Dr. Jaumann-Graumann. Dieser Hinweis, ist mir besonders wichtig, da er belegt, daß auch die Fakultät 11 sich durchaus bewußt war, daß nicht nur die bei uns habilitierten Frauen hervorragend qualifiziert sind, wie ihre Rufe an andere Universitäten belegen, sondern daß es auch Frauen gibt, die für eine Vertretung geeignet erscheinen, wobei ich unterstelle, daß man auch dabei auf gute Leute achtet. Warum dann so wenige Frauen berufen worden sind, ist deshalb eine Frage, der man nachgehen sollte.

Generell werden in der Literatur folgende Gründe immer wieder genannt (Vgl. Röhrich u.a. 1989; Macha/Boeser 2001, Kuntz-Brunner 2003) Frauen haben weniger Kontakt zu Professoren, die sie dann entsprechend fördern und ermutigen, den dornigen Weg zu beschreiten; ein Problem ist immer noch die Verbindung von Beruf und Privatleben (Kinder). Auch die soziale Umwelt übt einen nicht geringen Druck auf die Frauen aus, auf eine Karriere zu verzichten, wenn sie Kinder haben; sie haben auch eher Schwierigkeiten, den Ortsveränderungen zuzustimmen, die häufig mit dem Beruf des Hochschullehrers verbunden sind; und nicht zuletzt haben Männer mehr informelle Netzwerke, mit denen sie sich gegenseitig unterstützen. (Vgl. Schultz 1991) Es scheint auch immer noch das Ideal der bescheidenen Frau, die sich nicht in den Vordergrund spielt, nicht überwunden. Außerdem neigen sie eher zu Selbstzweifeln. Professorinnen bezeichnen außerdem die Lehre als eine ihnen besonders wichtige Aufgabe. Diese schlägt aber bei den Berufungsverfahren nicht so zu Buche und kann auch schwerer kontrolliert werden als Veröffentlichungen oder die heute so wichtig gewordenen Einerwerbung von Geldern.

So ist es nicht verwunderlich, daß viele nur einen Ruf bekommen und annehmen. Weniger verständlich ist allerdings, daß die meisten von ihnen eher einen Ruf auf eine C2/3-Stelle bekommen als auf eine C4-Stelle. Das spiegelt sich in der Situation an unserer Fakultät nicht unbedingt wieder. Zwei aktiven Ordinariae stehen drei C3 Professorinnen gegenüber aber eben nur fünf Frauen bei einer Anzahl von insgesamt 32 nicht entpflichteten oder pensionierten Professoren.

 

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3) laut Boehm (1958) ab dem Jahre 1918