BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf Diesel

1858 - 1913

 

Die Entstehung des Dieselmotors

 

1913

 

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Die Entstehung des Dieselmotors.

 

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Die Idee.

 

Eine Erfindung besteht aus zwei Teilen: der Idee und ihrer Ausführung (1) 1).

Wie entsteht die Idee?

Mag sein, daß sie manchmal blitzartig auftaucht, meistens wird sie sich aber durch mühevolles Suchen aus zahllosen Irrtümern langsam herausschälen, sich allmählich durch Vergleiche, Ausscheiden des Wichtigen vom Unwichtigen, mit immer größerer Deutlichkeit dem Bewußtsein aufdrängen, bis sie endlich klar vom Geiste geschaut wird. Die Idee selbst entsteht dabei weder durch Theorie, noch durch Deduktion, sondern intuitiv. Die Wissenschaft ist bloß Hilfsmittel zum Suchen, zum Prüfen, aber nicht Schöpferin des Gedankens.

Aber selbst wenn die wissenschaftliche Nachprüfung die Richtigkeit des Gedankens erwiesen hat, ist die Erfindung noch nicht reif. Erst wenn die Natur selbst die durch den Versuch an sie gestellte Frage bejahend beantwortet hat, ist die Erfindung vollendet. Auch dann ist sie immer nur ein Kompromiß zwischen dem Ideal der Gedankenwelt und dem Erreichbaren der realen Welt.

Als mein verehrter Lehrer, Professor Linde, am Polytechnikum in München 1878 seinen Zuhörern in der thermo-dynamischen Vorlesung erklärte, daß die Dampfmaschine nur 6 – 10° der disponiblen Wärme des Brennstoffes in effektive Arbeit umwandle, als er den Carnotschen Lehrsatz erläuterte und ausführte, daß bei der isothermischen Zustandsänderung eines Gases alle zugeführte Wärme in Arbeit verwandelt werde, da schrieb ich an den Rand meines Kollegienheftes: „Studieren, ob es nicht möglich ist, die Isotherme praktisc h zu verwirklichen“. Damals stellte ich mir die Aufgabe! Das war noch keine Erfindung, auch nicht {2} die Idee dazu. Der Wunsch der Verwirklichung des Carnotschen Idealprozesses beherrschte fortan mein Dasein. Ich verließ die Schule, ging in die Praxis, mußte mir meine Stellung im Leben erobern. Der Gedanke verfolgte mich unausgesetzt.

Damals setzte man in den überhitzten Wasserdampf alle Hoffnung zur Verbesserung der Wärmeausnutzung der Dampfmaschine. Da mir als Kältemaschinen-Mann der Ammoniakdampf geläufig war, ging ich dazu über, an Stelle der Wasserdämpfe überhitzte Ammoniakdämpfe anzuwenden, die, weil bei normalen Betriebsverhältnissen weit von ihrem Kondensationspunkt entfernt, gegen die kühlende Wirkung der Zylinderwände viel weniger empfindlich sind. In der Lindeschen Eisfabrik zu Paris richtete ich ein Laboratorium für das gründliche Studium der überhitzten Ammoniakdämpfe und Ammoniaklösungen, sowie zum Bau kleiner Ammoniakmotoren mit Absorption des Abdampfes ein (2). Die Hand in Hand gehenden theoretischen Untersuchungen ergaben für eine rationelle Ausnutzung der Überhitzungswärme die Notwendigkeit der gleichzeitigen Anwendung sehr hoher Drucke.

Solche hochgespannte und hoch überhitzte Dämpfe befinden sich schon beinahe in dem Zustand eines Gases. Wie nun die Grundgedanken entstanden, das Ammoniak durch ein wirkliches Gas, nämlich hochgespannte, hoch erhitzte Luft zu ersetzen, in solche Luft allmählich fein verteilten Brennstoff einzuführen und sie gleichzeitig mit der Verbrennung der einzelnen Brennstoffpartikel so expandieren zu lassen, daß möglichst viel von der entstehenden Wärme in äußere Arbeit übergeht, das weiß ich nicht. Aber aus dem fortwährenden Jagen nach dem angestrebten Ziel, aus den Untersuchungen der Beziehungen zahlloser Möglichkeiten wurde endlich die richtige Idee ausgelöst, die mich mit namenloser Freude erfüllte. Nachdem ich auf dem Umwege über die Dampfüberhitzung auf eine besondere Art von Verbrennungsprozeß gestoßen war, prüfte ich diese Idee an Hand der Thermodynamik und veröffentlichte diese zunächst rein theoretischen Betrachtungen in einer kleinen Schrift 2), die im Jahre 1893, 14 Jahre nach jener Randbemerkung im Kollegienhefte, veröffentlicht wurde, und in welcher ich nach Untersuchung aller Arten von Verbrennungskurven die isothermische Verbrennung als die rationellste erklärte. Das deutsche Patent No. 67 207 war kurz vorher angemeldet.

Es würde zu weit führen, den Inhalt dieser Schrift hier wiederzugeben; für diejenigen, welche sich speziell für den allmählichen Übergang von der Theorie zur praktischen Maschine interessieren, muß auf diese Schrift verwiesen und hinzugefügt {3} werden, daß ich durch weiteres Vertiefen dieser Studien auch nach der praktischen Seite, insbesondere unter Berücksichtigung der mechanischen Arbeitsverluste erkannte, daß dem Carnotschen Kreisprozeß sein Ruf als „einzig vollkommener“ nur theoretisch gebühre, und daß für die praktische Maschine nicht die Maximaltemperatur, sondern der Maximaldruck ausschlaggebend sei. Danach mußte in der Praxis nicht nur bei der Kompression, wie ich in meiner theoretischen Schrift angenommen hatte, sondern auch bei der Verbrennung die Isotherme für die Erreichung großer spezifischer Leistungen und brauchbarer mechanischer Wirkungsgrade verlassen werden, allerdings gegen beträchtliche Opfer an der ursprünglich berechneten Wärmeausnutzung. Deshalb meldete ich noch im gleichen Jahre, 1893, ein zweites deutsches Patent No. 82 168 an, in welchem neben der Isotherme noch jede andere Form von Verbrennungslinien im Diagramm geschützt war (3). Hierdurch wurde erst volle Freiheit für die Entfaltung der ursprünglichen und eigentlichen Erfindungsgedanken gewonnen, welche, wie bereits erwähnt, die folgenden waren:

1. Erhitzung reiner Luft im Arbeitszylinder der Maschine durch ihre mechanische Kompression vermittels des Kolbens weit über (4) die Entzündungstemperatur des zu benutzenden Brennstoffes.

2. Allmähliches Einführen von fein verteiltem Brennstoff unter Verbrennung desselben in diese hoch erhitzte und verdichtete Luft bei gleichzeitiger Arbeitsleistung derselben auf den ausschiebenden Kolben.

Da ein Brennstoff nur brennen kann, wenn er zuvor vergast ist, so war für alle nicht gasförmigen Brennstoffe die unmittelbare Folge aus diesem zweiten Grundgedanken:

3. allmähliche Vergasung des Brennstoffes im Arbeitszylinder selbst, jeweils nur in geringsten Mengen auf einmal, für jeden Hub des Kolbens besonders unter Entnahme der Vergasungswärme zur Einleitung der Verbrennung aus der Verdichtungswärme.

Der dritte Grundgedanke sollte den umständlichen und verlustreichen Gasgenerator beseitigen.

Es wird häufig von Laien, auch selbst in wissenschaftlichen Kreisen kurzerhand ausgesprochen, das Wesensmerkmal des Dieselverfahrens sei die Selbstzündung des Brennstoffes, der Zweck der hohen Verdichtung sei, daß der im Totpunkt eingespritzte Brennstoff sich von selbst entzündet, und die Höhe der Verdichtung sei bedingt durch die sichere Selbstzündung.

Nichts ist unrichtiger als diese oberflächliche Anschauung, die den Tatsachen und insbesondere der geschichtlichen Entstehung direkt zuwiderläuft. {4}

Motoren mit Selbstzündung des Brennstoffes hat es schon früher gegeben; ich habe die Selbstzündung weder jemals in meinen Patenten beansprucht, noch in meinen Schriften als ein zu erreichendes Ziel angegeben. Ich suchte einen Prozeß mit höchster Wärmeausnutzung und dieser gestaltete sich so, daß die Selbstzündung ganz von selbst in ihm enthalten war. Wenn die Luft weit über die Entzündungstemperatur des Brennstoffes durch Verdichtung erhitzt ist, dann ergibt sich die Entzündung des Brennstoffes an dieser Luft automatisch, sie ist aber nicht der Grund für diese hohe Kompression. Die Selbstzündung aller flüssigen und gasförmigen Brennstoffe geht in der betriebswarmen Maschine schon bei niedrigen Drucken, von 5-10, höchstens 15 Atm., vor sich. Es wäre demnach viel einfacher, leichtere billigere Maschinen für diese Verdichtungsgrade zu bauen und die Schwierigkeiten der ersten Zündung bei noch kalter Maschine durch eine vorübergehend gebrauchte künstliche Zündung zu überbrücken. Es wäre unsinnig, bloß wegen der Zündung bei kalter Maschine so schwere mul schwierige Maschinen für 30-40 Atm. Verdichtung zu bauen, da die Motoren einmal betriebswarm, gerade so gut mit niedriger Verdichtung weiter laufen, wie Versuche oft gezeigt haben.

Der Zweck des Verfahrens, das jahrelang Gesuchte und so schwer Verwirklichte ist aber etwas ganz anderes, nämlich die Erzielung der höchstmöglichen Brennstoffausnutzung; dieser Zweck verlangt die hochverdichtete Luft. Da letztere aber den der Luft beigemischten Brennstoff viel zu früh zur Selbstzündung bringt, so war die Selbstzündung durch Kompression, wie sie in den damaligen Gasmotoren bekannt war, ein Hindernis zur Durchführung des Verfahrens und mußte in dieser Form vermieden werden, es mußte die Luft allein durch mechanische Verdichtung so hoch verdichtet werden, daß die gewünschte günstige Wärmeverwertung entstand.

Die Höhe dieser Verdichtung ist nicht durch die Zündung des Brennstoffes gegeben, sondern entsprechend dem ursprünglichen Zweck durch das Maximum der wirtschaftlichen Brennstoffausnutzung (4).

Nach meinen theoretischen Studien habe ich, wie bereits erwähnt, auch diese praktische Frage nach dem günstigsten Kompressionsgrade untersucht und in Rechnungen und graphischen Darstellungen festgelegt, daß die richtige Verdichtungsgrenze bei 30-35 Atm. liegt. Wird weniger verdichtet, so wird die hohe Wärmeausnutzung nicht erreicht, wird höher verdichtet, so sinkt die Wärmeausnutzung wieder unter das Maximum infolge der mit der negativen Verdichtungsarbeit verbundenen mechanischen Verluste, außerdem liegt bei diesen Kompressionsgraden auch ungefähr das Maximum der Leistung pro 1 cbm Zylindervolumen. {5} Der günstigste Kompressionsgrad war so zu wählen, daß sowohl der wirtschaftliche Wirkungsgrad als die Raumleistung gleichzeitig ungefähr ihr Maximum erreichten. Diese Studien wurden nicht veröffentlicht, da kein Interesse bestand, interne praktische Winke vorzeitig bekanntzugeben, sie sind aber in Korrespondenzen mit der Firma Krupp niedergelegt und haben sich dann durch die Erfahrungen der Versuchsjahre bestätigt (5).

Auch der zweite, wichtige Vorgang, die allmähliche Einführung von fein verteiltem Brennstoff in die hochverdichtete Luft, wird bei jener vereinfachten, summarischen Definition des Diesel-Verfahrens übergangen, ebenso der dritte, die Vergasung im Zylinder selbst und die Entnahme der Vergasungswärme aus der Verdichtungswärme.

Gerade zur Zeit der Entstehung des Dieselmotors wurden von anderer Seite Versuche gemacht, die schweren Öle, wie sie heute in dieser Maschine Verwendung finden, in Generatoren zu vergasen. Letztere scheiterten an ihrer Umständlichkeit und der Notwendigkeit besonderer Bedienung, an dem Kampf mit Teer- und Kohlebildungen, chemischen und physikalischen Zersetzungen der Öle und an ihren Wärme- und sonstigen Verlusten, abgesehen von der nach der Vergasung aufzuwendenden und verlorenen Kompressionsarbeit. Es ist sehr zu bezweifeln, ob ein Motor für schwere flüssige Brennstoffe auf dieser Basis zu Bedeutung gekommen wäre. Die Vergasung des Brennstoffes aus der Verdichtungswärme im Arbeitszylinder selbst durchzuführen, war aber, wie die späteren Ausführungen beweisen werden, die größte, fast unüberwindliche Schwierigkeit bei der praktischen Durchführung der Grundideen, und gerade an dieser Bedingung wäre fast alles gescheitert.

Das Dieselverfahren besteht also nicht darin, die Luft so hoch zu verdichten, daß der eingespritzte Brennstoff sich daran von selbst entzündet, sondern in einer Reihe aufeinander folgender Vorgänge, wovon jeder einzelne für das Gelingen notwendig ist.

Die Veröffentlichung meiner Broschüre löste heftige Kritiken von verschiedenen Seiten aus, die durchschnittlich sehr ungünstig, ja eigentlich vernichtend ausfielen; es würde zu weit führen, diese Dinge zu wiederholen. Günstig waren nur drei Stimmen, diese aber von Gewicht. Ich nenne die Namen: Linde, Schröter, Zeuner. Lindes Urteil wurde mündlich gegeben, Zeuners brieflich und Schröters wurde veröffentlicht. Diese Urteile gingen im wesentlichen dahin, daß die erfinderischen Grundgedanken und die daran geknüpften theoretischen Erörterungen richtig seien und waren von großem Einfluß auf den Entschluß der beiden Firmen: {6} Maschinenfabrik Augsburg und Fried. Krupp, Essen, die neuen Ideen praktisch zu erproben.

Am 21. Februar 1893 unterzeichnete ich einen Vertrag mit der Maschinenfabrik Augsburg, wonach diese gegen gewisse Alleinrechte für Süddeutschland und allgemeine Verkaufsrechte für ganz Deutschland sich verpflichtete, nach meinen Plänen eine Versuchsmaschine innerhalb sechs Monaten aufzustellen und alsdann die Versuche vorzunehmen.

Am 10. April 1893 trat ich alle übrigen deutschen Rechte an die Firma Fried. Krupp in Essen ab, ebenfalls gegen die Verpflichtung, nach meinen Konstruktionszeichnungen eine Versuchsmaschine zu bauen. Bald darauf einigten sich beide Firmen dahin, die Versuchsarbeiten in einem gemeinsamen Laboratorium auf gemeinsame Kosten zu machen, während ich mich ausschließlich der Leitung des Laboratoriums bis zur Herstellung einer verkaufsfähigen Maschine zu widmen hatte.

 

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1) Die im Text mit (1), (2), (3) usw. vermerkten Hinweise beziehen sich auf die gleich- bezeichneten Stellen im Kapitel „Randbemerkungen“ am Schluß des Buches Seite 151. 

2) Theorie und Konstruktion eines rationellen Wärmemotors. Berlin, Julius Springer 1893.