BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf Diesel

1858 - 1913

 

Die Entstehung des Dieselmotors

 

1913

 

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E. Der Compoundmotor.

 

Das D. R. P. 07 207 vom 28. Februar 1892 enthielt über den Compoundmotor die in Fig. 73 wiedergegebene Abbildung. Aus dem dazu gehörigen Text sei folgendes wieder­gegeben:

 

 

„Man kann die Kompression der Luft sowohl als die Expansion der Verbrennungsgase stufenweise vornehmen und kommt dadurch beispielsweise auf die Ausführungsform Fig. 73.

In dieser Figur sind die Ventile nur schematisch angedeutet, das Gestell, die Pleuelstange, das Schwungrad usw. weggelassen. In dieser Ausführungsform sind zwei Verbrennungszylinder C vorhanden, die vollkommen [131] identisch mit dem Zylinder der Einzylinderanordnung sind. Diese beiden Zylinder C sind vermittels der gesteuerten Ventile b an die zwei Seiten eines größeren Mittelzylinders B angeschlossen. Durch die ebenfalls gesteuerten Ventile a sind die beiden Verbrennungszylinder mit dem Luftgefäße L in Verbindung.

Das neue Verfahren bei dieser Ausführungsform gestaltet sich wie folgt: Kolben Q saugt beim Aufwärtsgang unter sich atmosphärische Luft durch Ventil d an, komprimiert dieselbe beim Aufwärtsgang auf einige Atmosphären und drückt die Luft hierauf durch Ventil g nach dem Luftgefäß L. Der untere Teil des Mittelzylinders dient also lediglich als Luftpumpe und bewirkt die Vorkompression der Verbrennungsluft. Bei g–g sind noch Wasserdüsen sichtbar, durch welche man während der Vorkompression Wasser einspritzen kann. Das Verfahren kann sowohl mit als ohne Wassereinspritzung durchgeführt werden.

Der Vorgang in den Zylindern C ist genau derselbe wie beim Einzylindermotor geschildert wurde. Nur saugt der Kolben P beim Abwärtsgehen die Luft nicht aus der Atmosphäre, sondern aus dem Gefäß L, wo die Luft bereits unter Druck steht. Beim Aufwärtsgehen vollbringt also der Kolben P die zweite Stufe der Kompression bis auf die vorgeschriebene Höhe. Die Endstellungen des Kolbens unten und oben sind punktiert mit 1 und 2 bezeichnet. Hierauf geht Kolben P wieder abwärts unter allmählicher Brennmaterialeinfuhr, wie früher geschildert. Bei der Stellung 3 des Kolbens hört die Brennstoffzufuhr auf und die Luft expandiert weiter; ist der Kolben in der untersten Stellung 1 angekommen, so öffnet sich das Ventil b; Kolben Q ist in diesem Moment gerade oben infolge der Versetzung der Kurbeln unter 180°.

Beim Weitergang geht Kolben P aufwärts und Kolben Q abwärts und es findet weitere Expansion der Verbrennungsgase bis auf das Volumen des Zylinders B statt. Hierauf schließt sich Ventil b und f öffnet sich, so daß beim nächsten Aufwärtsgang vom Kolben Q die Verbrennungsgase durch f in die Atmosphäre entlassen werden.“

Noch in meinem Kasseler Vortrag im Juni 1897 sprach ich die Ansicht aus, daß mit dieser Verbundanordnung die Wärmeausnutzung eine weit bessere sein würde als mit der Einzylinderanordnung.

Die Konstruktionszeichnungen zu einer solchen Verbundmaschine hatte ich schon in den Jahren 1894/95 in Berlin durch Ingenieur Nadrowski herstellen lassen. Dieser Herr kam später nach Augsburg, wo er auf Grund der dortigen Erfahrungen [132] an den einzylindrigen Versuchsmaschinen die Zeichnungen verbesserte. Die ersten Modellzeichnungen für Zylindergestell und Grundrahmen kamen Ende Dezember 1895 in die Schreinerei.

Da aber die Versuche an den Einzylindermotoren immer wieder neue Ergebnisse zutage förderten, so wurde die Ausführung der Verbundmaschine nicht eifrig betrieben. .Sämtliche Modelle waren erst Ende 1896 fertig und bis zum Beginn der Montage vergingen wiederum 6 Monate.

Mein Assistent Herr R. Pawlikowski wurde dann mit der Aufstellung dieser Maschine und Durchführung der Versuche betraut, die endlich im September 1897 begannen. [133]

Er wurde dabei von den Herren Böttcher und Reichenbach unterstützt, soweit diese Herren nicht auch anderwärts beschäftigt waren.

 

 

 

Da die konstruktiven Einzelheiten der Compoundmaschine, soweit die Verbrennungszylinder in Betracht kamen, genau diejenigen des Einzylindermotors entsprachen, und da die ganze Anordnung nicht zu praktischer Bedeutung gelangte, so unterlasse ich es an dieser Stelle, Ausführungszeichnungen wiederzugeben, aber die Figuren 74 und 75 geben photographische Ansichten dieser Maschine von verschiedenen Seiten und Fig. 76 zeigt sie im Laboratorium neben dem Einzylinderversuchsmotor. [134]

 

 

Die Dimensionen dieser Maschine waren die folgenden: Durchmesser des Verbrennungszylinders 200 mm, des Expansionszylinders 510 mm; gemeinsamer Hub 400 mm; Kolbenstange 80 mm; Tourenzahl 150 pro Minute.

Die Versuche selbst können sehr kurz geschildert werden.

 

 

Es zeigt sich zunächst, daß die Luft in dem Zwischengefäße zwischen Niederdruck- und Hochdruckzylinder sich zu stark abkühlte; es wird dort nach Fig. 77 eine Dampfheiz­spirale eingebaut, worauf Ende September 1897 die ersten Zündungen erfolgen.

 

 

Fig. 78 zeigt diese ersten Verbrennungsdiagramme in ihrer wilden Aufeinander­folge. [135]

Es wird dann die Luft vom Niederdruckzylinder direkt in den Hochdruckzylinder übergeführt, ohne sie erst durch das Zwischengefäß hindurch zu leiten; dies hat den gewünschten Erfolg, daß die Heizspirale für die vorverdichtete Luft überflüssig wird. Nach etwa 8 Minuten Transmissionsbetrieb entstehen schon gute, rauchfreie und regelmäßige Zündungen im Hochdruckzylinder, ohne Anheizung der Luft durch Dampf. Eine Vorwärmung der Luft oder der Maschine wird demnach nur noch für das Anlassen erforderlich sein (ähnlich wie das Vorwärmen des Zylinders bei Dampfmaschinen).

So entstand nach und nach mit Petroleum ein sehr regelmäßiger Betrieb; das Diagramm (Fig. 79) ist beispielsweise 30 mal geschrieben.

 

 

Es zeigen sich bald verschiedene Fehler an der Maschine; der Hochdruckzylinder wird sehr heiß, das Mantelwasser kocht, der ungekühlte Kolben brummt, die Übergangsventile verziehen sich usw.

 

 

Es gelingt, diese Fehler allmählich zu beseitigen, worauf stundenlanger guter Leerlaufbetrieb ohne jede Störung möglich wird mit Diagrammen nach Fig. 80, wobei die Luft aus dem Vorkompressionszylinder direkt in den Hochdruckzylinder geht, also nicht durch das Zwischengefäß hindurch.

Die Versuche zeigen einen sehr bedeutenden Spannungsabfall beim Überströmen der verbrannten Gase aus dem Hochdruck- in den Niederdruckzylinder. Zur Verminderung desselben wird ein Teil der Abgase im Niederdruckzylinder [136] zurückbehalten und auf 12–14 at verdichtet, so daß beim Öffnen des Überströmventils ein Spannungsabfall nicht eintreten kann. Dieses Ergebnis wird allerdings durch die sehr bedeutende negative Verdichtungsarbeit bezahlt.

 

 

Auf Fig. 81 sind in den kleinen Figuren rechts mittlere Originaldiagramme vom 18. November 1897 wiedergegeben. Der mittlere Druck des Vorkompressionsdiagramms, also im Niederdruckzylinder unten, beträgt

pmn · o = 2,40 kg qcm,

der mittlere Druck im Hochdruckzylinder rechts (der linke Zylinder war dabei [137] nicht im Gange)

pmh · r = 19,4 kg/qcm,

der mittlere Druck der Expansion im Niederdruckzylinder oben

pmn · o = 3,74 kg/qcm.

In der Hauptfigur links sind diese Diagramme rankinisiert, wobei in der unteren Hilfsfigur die verschiedenen Zylinderräume nach ihrer wirklichen Größe eingetragen sind.

In der Zahlentabelle links sind endlich die Ergebnisse zusammengestellt, wobei alle mittleren Drucke auf den Niederdruckzylinder oben umgerechnet sind, um sofort einen Vergleich mit der Einzylindermaschine gleicher Größe wie dieser Mittelzylinder zu ermöglichen. Diese Umrechnung kann auf Grund der Seite 134 angegebenen Maschinendimensionen leicht nachkontrolliert werden.

Die Originaldiagramme ergeben auf diese Weise einen umgerechneten mittleren Druck von 4,39 kg/qcm.

Die rankinisierten Diagramme ergeben einen mittleren Druck von 4,48, d. i. nur 2 % mehr, so daß die Fehlergrenze dieser Berechnung innerhalb 2 % liegt.

In der Hauptfigur ist dann noch das ideale Diagramm eingezeichnet, welches im mittleren Zylinder allein entstehen würde, wenn Vorkompression und Nachexpansion nicht vorhanden wären, und es zeigt sich das erschreckende Resultat, daß von diesem Idealdiagramm in der Compoundmaschine nur 54,1 % nutzbar gemacht werden. [138]

[139] Dementsprechend ergibt die Messung bei Leerlauf einen Brennstoffverbrauch für die PSi/Stunde von 499 g.

Als bedeutendster Verlust des ganzen Verfahrens stellt sich der Wärmeverlust beim Überströmen der Verbrennungsgase vom Hochdruck- in den Niederdruckzylinder heraus. Es war nämlich dort nicht wie in der Fig. 73 schematisch angedeutet, ein einziges Überströmventil vorhanden, sondern es mußten zwei Ventile angebracht werden, und zwar eines direkt am Hochdruckzylinder und das zweite direkt am Niederdruckzylinder, um den bedeutenden Raum zwischen diesen beiden Zylindern von den eigentlichen Zvlinderräumen abzuschalten. Diese beiden Ventile waren gekühlt und es konnte die in das Kühlwasser der Ventile übergehende Wärmemenge ganz genau festgestellt werden. Diese durch die Ventilkühlung abgeführte Wärme betrug auf der einen Maschinenseite 5,9 % der gesamten disponiblen Wärme des Brennstoffes und auf beiden Seiten zusammen demnach 11,8 % oder fast die Hälfte derjenigen Wärmemenge, welche in dem Einzylindermotor in effektive Arbeit umgewandelt wurde. Ein jedes dieser vier Ventile entzog in seinem Kühlwasser rund 3 % von der gesamten disponiblen Wärme. Wieviel Wärme dabei gleichzeitig durch die gekühlten Wandungen der Überströmkanäle selbst abgeführt wurde und wieviel außerdem durch Strahlung verloren ging, konnte dabei nicht durch Messung festgestellt werden; es ist jedoch anzunehmen, daß diese Verluste wegen der großen Oberfläche dieser Kanäle und ihrer energischen Kühlung ganz beträchtliche waren.

Diese enormen Verluste konnten mit den damals üblichen Methoden der Berechnung des Wärmeübergangs durch geheizte Flächen absolut nicht in Einklang gebracht werden. Selbstverständlich waren über diese Verluste im voraus auf Grund der damals gebräuchlichen Annahmen der Wärmeübergangskoeffizienten Berechnungen angestellt worden, die aber so kleine Werte für diesen Verlust ergeben hatten, daß ich mir darob keine großen Sorgen machte. Zeuner, mit dem ich lange vor den Versuchen diesen Punkt öfter besprach, hatte mir allerdings mitgeteilt, daß seiner Ansicht nach bei so heftig bewegten Gasen Überraschungen wahrscheinlich seien; aber das war nur eine Gefühlssache, die er zahlenmäßig nicht begründen konnte. Die Praxis warf die ganzen Berechnungen über den Haufen. Dieser eine Verlust allein war so groß, daß an eine praktische Durchführbarkeit dieses Systems schon aus diesem Grunde nicht mehr gedacht werden konnte. Angesichts dieses Umstandes ist es auch überflüssig, noch die anderen zahlreichen Verluste und Versuche zu behandeln, welche mit dem Herumschieben der Luft von einem Zylinder in den anderen bei der Kompression und Expansion [140] zusammenhingen. Die gesamten Verluste brachten das Verbundsystem zum Scheitern.

Ich mußte daher meine großen Hoffnungen, die Wärmeausnutzung des Einzylindermotors noch wesentlich zu übertreffen, schmerzerfüllt zu Grabe tragen. Vielleicht verhindert aber die kurze Schilderung dieser Versuche und die wissenschaftliche Begründung des Mißerfolges andere, sich ähnliche Enttäuschungen zu holen.