BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Konrad von Megenberg

1309 - 1374

 

 

Buch der Natur

 

I. Von dem Menschen

in seiner gemainen Natur.

 

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12.

Von der zungen.

 

Diu zung hât zwaierlai ampt. daz êrst ist, daz si erkennt allez daz, daz versuochen und gerüerd erkennen mag, wann si erkent warm und kalt, fäuht und trucken, hert und waich an allen irn stucken. daz ander ampt ist, daz si der rede slüzzel ist, wann kain mensch gereden mag ân die zungen. Aristotiles spricht, daz diu zung diu pest sei, die weder ze prait noch ze smal sei noch ze dik noch ze dünn. ain löbleich zung ist mitelmæzich, wan die mag der mensch leichticleichen füern nâch seim willen. ain ledig zung, die niht haft, wirt gehindert an der sprâche oft von pœser gewonhait. als geschiht an den kinden, die in ir kinthait zärtlent, die lispent gern wenn si gewachsent. Diu zung wirt ain stumminn von zwairlai sachen. des êrsten daz der mensch ungehœrnd ist von seinr gepurt. dar umb mag ez kain sprâch gevesten und dar umb missagent die juden, die dâ sprechent: züg man ain kint an ainer ainœd, sô künd ez hebraisch. wær dem also, sô künd ain stumme von gepurt hebraischen sprechen, und daz ist niht wâr. diu ander sach ist, daz diu zung geheft ist in den munt oder daz ireu pant, dâ mit si der mensch zeuht, verwarlôst werdent. sam geschiht wann si daz parilis sleht. diu zung, die gar ze dick ist, macht lispend leut, und die ze dünn ist macht stamelnd und verzuckend sprâch.

Aristotiles spricht, daz kain tier sô vil gir hab sam der mensch, dar umb ist dem menschen diu sprâch nütz und nôtdürftig, dâ mit ez mangerlai aisch; aber ain taub oder ain ander tier aischt mit ainer stimm wes ez begert. diu zung verleust oft irn ganch und ir sprâch. daz geschiht von dem geprechen der wegenden kraft der sêl, und der geprech kümpt oft von dem hirn, wenn daz ain geswær hât, oder von kalter vergift, die di âdern besleuzt, oder von andern sachen.