BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Baptista Rexius

um 1565 - 1598

 

Ilias Homeri

 

1. Buch

 

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Rexius 1584

 

Das erst buech Homeri vom

Troianischen khrieg

 

Ich hab im willen zu schreiben, was für ein große {Schlacht} der vnsinige Achilles vnder dem Griechischen Khriegsvolkh erwirkht habe, ia auch so ein {große}, das die Vögell vndt wilten Thire von den todten Cörpern der streitbaren Helten sein {gespeist} worden. Derhalben so ruffe ich Dich an Calliopem vndt auch alle andern Göttinen, die ir denjenigen vorstehet, die solches schreiben; bett auch, dass ir mich dis wolt lernen, welches ich schier andern khundte fürschreiben.

Zum allerersten bin ich willens anzuzeigen, was der Vrsprung vnd die vrsach gewest sey, nemblich der zankh Achillis mit dem höchsten griechischen Fürsten Agamemnone, darnach was für ein Gott vnder inen den zankh erwekht hab, nemblich Apollo, ein Sohn Jouis vndt Latonae. Leztlich vnd beschließlich wer die Griechen aus solchem vnglükh herausgezogen habe, nemblich der Wille des höchsten Gotts Jouis, iezt aber will ich diß alles weittlaufiger anzaigen.

Der Zankh des Achillis vndt Agamemnonis ist daher entsprungen (obgleich woll Apollo vrsach darzue geben hatt): Apollo hat ein Priester gehabt aus der Insell Chrysa, welcher auch Chryses genant wardt. Dieser hat ein ainige Dochter mit namen Chryseidam, diese haben die Griechen, als siy die Statt Thebas vnd alle vmbligende flekhen beraubtt hatten, gefangen, vnd dem obristen Khönige Agamemnonj, als der ir voll wert war, verehrt. Als si aber für Troiam khamen, siehe da kham ir vatter Chryses mit vill geschänkhnussen vnd herlichen gaben, sein Dochter widerumb darmit zu erlösen, vnd trueg in seiner hand ein zepter, wardt auch mit priesterlichen khlaidern angethan, zue denn griechischen fürsten, viernemblich aber zum Agamemnone vndt Menelao, die er mit diesen wortten anredet:

„O ir griechischen fürsten! Gott gebe euch glükh vndt beistandt die Statt Troiam einzunemen, wie ir dann begert; allain stellt mir widerumb haimb mein einige Dochter, welche mein ainiger Trost ist, vndt nembt diese geschänkh für ir erlösunge, erzaigt auch ehr vndt [reverenz] dem Gott Apollinj, welches ich priester bin vndt zu einem Warzeichen sehet an die khlaider, die ich antrage.“

Von solchem gebett sein alle obristen bewegt worden vnd haben beuolchen, dem vatter die dochter widerumb zu geben, dan es sei billich vnd recht, das man in von wegen solcher großen geschänkh erhöre, auch das man den priester des Gotts Apollinis nicht veracht'. – Allein der Agamemnon ist heftig darüber gewest, nicht allain wider des priesters gebott, sondern auch wider der andern bewilligung vnd sprach zum Chryse:

„Zwar dir alten sage ich, las dich hinfortan bei diesen schiffenn nicht mehr finden, oder es würd dich dein zepter vnd dein priesterliche khlaidung wenig helffen. Ich sage dir auch, ich will dein Dochter nicht hinwekh laßen, bis sy in meinem haus vnd im Griechenland würd eraltnen. – Derhalben gehe von meinem angesicht, wilstu anderst ohne schaden haimkhomen, vnd höre auff, mich hinfort weiter anzuraizen!

Diese wortt, als der Alt gehöret, ist er nicht wenig erschrokhen vnd ist als balt still vnd traurig von den lagern hinweggangen. Als er aber schon weitt von den schiffen hindan gewestt, hat er mit traurigem vnd beschmerzten herzenn zum Gott Apolline also sein stimb erhöbet:

„Apollo, du herliches khindt Jouis vnd Latonae! O Apollo, welchen die Inwohner der Innsell Chrysa, Cilla vnd Tenedos mit einem silbernen Bogen ehren, wan dir ainmall mein opffer vnd geistliches [gebeü] ist angenemb gewest, da ich dir billich ochßen vnd gais auffopferte, erhöre dein Priester, welcher zu dir schreit, vnd gib im, was er begeret! Scheuß deinen pfeil in das griechische kriegsher, auf das sy gestrafft werden von wegen, das sie mir solche betrübnuß vnd khumernuß auffgethan haben.“

Solches gebett hat Apollo erhöret vnd ist als balt vol zorns vom hohem himel gleich wie die nacht herab khomen, hat auch gleich ein gereusch gemacht mit den bogen vndpfeilen, die er am rükhen in seinen khöcher trueg, gieng strakhs zun schiffen vnd legern, blib daselbst verborgen nein Tege vnd nein nacht; entlich hat er erschrökhlich seinen pfeill geschoßen. Erstlich schlueg er das viech vnd die hund, darnach auch die mentschen, vnd schlugs. Also, das man täglich in opffern die todten leiber gebrant hatt.

Aber am 10. Tage, als Pallas einen solchen schaden vername, hat sie sich erbarmet vnd gab dem Achilli in sin, das er die sach für den rath bringen soll, derhalben als man alle obristen vnd daz ganz volkh zusamengerufft hatte, ist Achilles mitten vnder inen auffgestanden vnd hat also sein redt angefangen:

„Agamemnon, ich siehe wie die sach noch einen vortgang hat, daz würr wider vnnser hoffnung werden müßen zue haub kehren, ia wan wan wür nur füeglich khundten; dan ich erfahr, daz schier alle Griechen vmbkhomen sein, ein theil durch das schwert, ein theil durch pestilenz, darumb acht ich für gutt, das man sich soll befragen mit einem warsager oder mit einem, der sich nach der Vögell geschrei richten khan, oder mit einem, der die traum ausleget, auff daz er vns die vrsach des zorns anzeige, welchen Apollo wider vns geschöpfet hat. Villeicht haben wür im nicht zur rechten zeit geopfert oder haben in sonst verlezt; derselbige sage vns auch, ob wür in khinnen versönen mit dem opfer der Lemmer vnd Böckh, auf daz er doch die pestilenz genediglich wölle von vns aufheben.“

Als solches der Achilles geredt, ist er widerumb nider gesessen vnd Calchas, Thestoris Sohn, stundt auf, welcher fast berüembt war in der warsagerey, die er vom Apolline gelehrnet hatt, dan er wuste alles, was geschehen war, was geschicht vnd was geschechen soll, welchen die Griechen auch zu einem obristen vber die schiff erwölet haben. Diser Calchas, als ein weiser vnd verstendiger hat also zueinen geredet:

„Achilles, du gebeuts, daz ich dir die vrsach, warumb Apollo zürnet, soll anzaigen; dem will ich nach khomen, aber du schwere mir entgegen ein teures Eid, wan ich [villeicht] destwegen für gericht gefordert würde, das du mich nie weder mit worthen noch mit that wolltest verlaßen, dan ich weis für gewis, daz der am maisten wider mich ist, dem vor allen anderen die Griechen gehorchen. Achilles, es würd mir aber nicht genug sein, daz du mich nur heüt beschützest, sondern auch darnach; den der Fürst, wan er ain zorn auf einen fast, ob er denselben schon in gegenwart verblumelt, so spartt er die rach doch bis zu seiner gelegenhait auf, daz sein muett khüle. Darumb Achilles, wan du wilst, daz ich soll weißagen, so antwordt, ob du mich khanst vnd auch wilst iezt vnd hinfür an vor allem übel beschüzen?“

Auff welche Wortt Achilles also geantwordet hat: „Calchas lege von dir alle forcht! Was dir bewust, das sage frisch vnd beherzt heraus, den ich schwerr dir bey dem lebendig Gott: Welches Prophecey du iezundt sagen würst, vnd so war ich lebe: niemants soll dir bey diesen schiffen den khleinesten schaden zuefüegen, khainer, sage ich, aus allen Griechen solle dich betrüben oder ein härlein khrümben, ob es gleich der Agamemnon selbst wäre (wan du vileicht von im reden würst), vnder allen der fürtrefflichist.“

Nach diesem hat der weitberümbte Calchas alle forcht hindan gelegt vnd gesprochen: „Apollo ist nit erzürnet von wegen der erzelten vrsachen sondern, dieweill seinem priester Chrysi vom Agamemnone vnnbilt ist zugefugt worden, welchem man sein ainige dochter auch vmb geld nit hat widervmb wöllen zuestellen; darumb hat er solche straff vber vns khomen laßen, er will auch größere vnd schwerere schikhen vnd nicht aufhören, bis man dem Vatter sein Dochter vmbsunst widerumb zuestelle, dieweill wirs vmb gold nicht geben wöllen, wür soll'n auch zue im mit geschänkhnussen diemietig khumen, die man aufopfere, weill wir in sambt den geschänkhen schmechlich von vns wekhgetriben haben, daselbst werden wür durch vnnser roj vnd durch das gebett Chrysae frid erlangenn, vnd alle straff von vns abladen.“

 

 

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[v. 544 - 611]

 

Auf welche wort der Götter vndt mentschen vatter also geantwordet hatt: „Iuno, nimb dir nur nicht vier, das du alle meine reden oder anschleg wissen werdest, dan es wirdt solches hart geschehen, ob du schon mein hausfrau bist. Aber was sich gezimbt dir zu offenbaren, das wirstu vor allen Göttern vndt mentschen am ersten wissen. Wan ich aber etwas verborgens vor mir hab, so solstus nicht begern zu wissen, noch demselben so embsig nachvorschen“

Da sprach die Iuno: „Du scharpfer Gott luppiter, was hastu vier ein wort schiessen lassen? Pfleg ich doch nie nachzufragen oder von andern auszufischen, was du redest. Sondern was du handlen wilst, das thustu in der still vndt pflegst meines raths nicht. Sondern ich besorg mich, es werde dich die Thetis, welche in aller früe zu dir komen vndt dich vmbfangen hatt, gebetten haben, auf das du rechen soltest die schant Achillis, die flucht der Griechen vndt etliche scharmüzell, die sich bei den schiffen verloffen haben.“

Darauf redet Iuppiter also: „O zum teüffell, du arkwenest allzeit, vndt ich waiß nicht, auf was weiß ich etwas vor dir kündt verborgen haben. Aber du bemühest dich vmbsonst vndt dein boßhait wirdt mich vom viernemen nicht abwenden, sondern mehr darzuo fördern, auf das ich etwas thuo, welches dich verdroissen wirdt. Wan dem schon also wär, wie du vermainst, was ists mer? Also gefelts mir. Demnach schweig still vndt setz dich, lain dich auch wider mein reich nicht mehr auf. Dan bringst mich an, so will ich dich also zerschlagen, das dir kainer aus den Göttern wirt helfen können.“

Durch dise wort ist die Iuno erschroken, hat die künhait ires gemüts beseits gelegt vndt ist still nidergesessen, hat auch den andern Göttern vmb der vrsach willen beuolhen still zu sein. Nachdem ist der Vulcanus gegen der mutter aus gotsforcht bewegt worden vndt hat si sanftmütig also angeredt:

„Mutter, ich furchte, daß sich die sach nicht weiter ausreisse vndt kome zu einem bösem ausgang, wan ir vnsterbliche Götter vonwegen der sterblichen mentschen also miteinander zanket. Ir macht die andern Götter vnruwig vndt bringtt vns so von einem köstlichem mall, dan wo man zankt, da erhalten allzeit die bösesten das feldt. Derhalben, mutter, ich verman dich treülich:

Erzaig dich dem vatter nicht widerspennig, sonder vnderthenig, auf das er nicht zu zorn bewegt werde, das nachtmall verderbe vndt die andern all (wie er dan der sterkest ist) haiß aufstehen vndt hinausweichen. Darumb redt in fein freündtlich an.“

Als er diß geredt, hat er der mutter einen becher, welcher auf das künstlichist ausgestochen war, dargeraicht vndt gesprochen: „Mutter, leidt alles gedultig. Vndt wiewoll du ein vrsach hattest zu trauren, so übertrag doch den gewalt Iouis, auf das ich nicht gezwungen werde ein werkzeüg zu sein der plagen, die er dir wirdt aufthun, vndt auf das ich nich müste meiner allerliebsten mutter wider den scherpfesten Gott zu hilf komen. Dan ich hab in mit meinem schaden erfarn vndt fürcht mich iezt an deiner statt. Dan als er dich auf ein zeitt schlug vndt ich helfen wolt, da hat er von dir gelassen vndt mich bei einem fuß erwischt vndt kuglet vom himel auf die erden hinabgeworfen. Es gieng aber gleich zur selbigen zeit die son auf. Da fiell ich den ganzen tag durch die lüfft bis zur nacht. Leztlich bin ich in der insell Lemnos nidergefallen. Da haben mich die frembling halb todt aufgehebt vndt widerumb erfrischt.“

Als die Iuno diß gehört, ist sie senftmütig worden, lachet vndt nam den becher von irem sohn. Welche als si das trank der vnsterblikaitt kostete, hats der Vulcanus den andern Göttern herumbgetragen vndt ist gleich wie ein leitgeb gewest. Vndt als er oft hin- vndt widergieng, haben si das gantz dischmall seiner gelacht, dan er hinket.

Das nachtmall hatt sich erstrekt bis zum vndergang der sonnen. Dan der Apollo schlug auf der harpfen, welche mit golt vndt edlem gestain besezt war, vndt hat auch lieblich darein gesungen. Nachdem si aber satt waren der speiß vndt des gesangs, sein si haimgangen zu ruhen, dan ein ieder hatte sein aigne wohnung, welche im der kunstreich maister Vulcanus aufgebaut hatt. Aber der Gott Iuppiter ist in sein schlaffkamer gangen vndt hatt sich sambt der Iunone an sein gewöhnliches bett zu ruhe gelegt.

 

Endt des ersten buchs.

Kütner 1771

 

Der Ilias

erstes Buch.

 

Singe, Göttin, den verderblichen Groll des Peliden Achilles, der unzählichen Jammer auf die Achäer lud, viele wackere Seelen der Helden früh in den Orkus stieß, und die Leichname den Hunden und Vögeln zum Raube gab: – so ward Jupiters Rathschluß erfüllt; sint Agamemnon Atrides, der König der Schaaren, mit dem göttlichen Achill sich überwarf.

Aber welche Gottheit erregte Zwiespalt unter den beiden? – Jupiters und der Latona Sohn. Er war zornig auf den König, und sandte durchs Heer eine tödtliche Seuche, die das Volk wegraffte, weil der Atride den Priester Chryses entehrt hatte. Dieser kam, den goldnen Stab und die Inful {Wollbinde} Apolls in der Hand, ins Schifflager der Achäer, und brachte große Gaben, seine Tochter loszukaufen. Flehend bat er die Achiver alle, vornehmlich die beiden Atriden, die Führer der Schaaren. Möchten euch, sprach er, Atriden und fußgeharnischte Achäer, die olympischen Götter Priams Stadt zerstören und dann glücklich nach eurer Heimath zurückziehn lassen! Aber schenkt meiner Tochter die Freyheit, nehmt dieß Lösegeld an, und scheut Jupiters Sohn, den weitzielenden Apollo! – Alle waren geneigt, den Priester zu ehren, und die prächtigen Gaben anzunehmen. Nur Agamemnon war ihm zuwider, und wies ihn schimpflich ab mit den drohenden Worten:

Hüte dich, Alter, daß ich nicht noch einmal bey den hohlen Schiffen dich treffe, wenn entweder du jetzt verweilst, oder künftig wiederkommst; sonst möchte weder dein Stab, noch des Gottes Inful dich schützen. Deine Tochter will ich nicht eher freygeben, als sie daheim in meinem Palaste zu Argos veraltet ist. Da soll am Webestuhle sie würken und mein Bett mit mir theilen. Itzt geh, und reize meinen Zorn nicht, wenn du wohlbehalten heimkehren willst.

So sprach er; der Greis erschrack, gehorchte, wallte schweigend am Gestade des weitrauschenden Meers hin, und betete auf seinem einsamen Wege zum König Apoll, den die schönlockige Latona geboren:

Höre mich, Smintheus, der du den Silberbogen spannst, Chrysa bewachst und im heilgen Cilla und Tenedos allgewaltig gebeutst! Hab ich je mit Blumen deinen Tempel geschmückt, und fette Keulen von Farren und Ziegen auf deinem Altare verbrannt, so erfülle die Bitte: räche meine Thränen an den Danaern mit deinen Geschossen.

Also betete der Priester, und ihn erhörte Phöbus Apollo. Zornig stieg er die Zinnen des Olympus hinab, den Bogen und vollen Köcher auf den Schultern; und auf dem Rücken des Zornigen rasselten mit jedem Tritte die Pfeile. Der Nacht gleich, kam er, satzte, fern von den Schiffen sich nieder, drückte den Pfeil ab; und fürchterlich schwirrte der silberne Bogen. Erst schoß er das Lastvieh und die flüchtigen Hunde; bald aber trieb er den mördrischen Pfeil auch unter die Menschen; und Leichname brannten unaufhörlich in den brennenden Holzhaufen. Neun Tage flogen die Geschosse des Gottes durchs Lager, aber am zehnten rief Achill das Volk in eine Versammlung; dieß gab die weißarmige Juno ihm ein, die besorgt ward für die Danaer, als sie so viele sterben sah. – Alle versammleten sich, und der behendfüßige Achill trat auf vor ihnen und sprach:

Nun, Atrides, werden wir wohl, nach abermaliger langer Irrfahrt, wieder heimkehren müssen; wenn wir dem Tode nur entkommen, da Krieg und Pest zugleich die Achiver hinraffen. Laß uns aber einen Priester, Seher, oder Traumdeuter, denn auch der Traum kommt vom Zeus, – fragen, warum Apoll so sehr auf uns zürnt; ob vergeßner Gelübde, oder einer Hekatombe wegen. Vielleicht wendet er, durch den Geruch von verbrannten Schaafen und Ziegen versöhnt, die Pest wieder von uns.

Er sprachs und setzte sich nieder. Nach ihm stund Kalchas Thestorides, der erfahrenste Seher, auf, der alles gegenwärtige, zukünftige und vergangne wußte, und um der Gabe der Weissagung willen, die ihm Phöbus Apollo verliehn, die Schiffe der Achäer gen Ilium geführt hatte. Dieser redte redlichgesinnt also:

Liebling des Zeus, Achill, du willst, daß ich den Zorn Apollos enthülle: drum will ich reden; aber versprich und betheure mirs, daß du mit Wort und That mich vertreten wollst. Denn ich fürchte, mir wird deßhalb ein Mann feind werden, der über alle Griechen gebeut, und dem jeder gehorsamt. Zürnt aber ein mächtiger König einmal auf den geringern Mann, so bleibt sein Groll, obgleich er ihn unterdrückt, doch so lang im Herzen, bis er gerochen ist. Darum sag, ob du mich schützen willst?

Ihm erwiederte der schnellfüßige Achill: Sag frey die Deutung, die du weißt: ich schwöre dir beym Apoll, Jupiters Sohne, von dem erhört, du den Danaern weissagst: keiner soll, so lang ich lebe und hienieden das Licht seh, bey den hohlen Schiffen gewaltsam Hand an dich legen; nicht, wenn du selbst Agamemnon, den mächtigsten im Heere, nennen solltest.

Da faßte der erhabne Seher Muth und sprach: Nicht vergeßner Gelübde, nicht der Hekatombe wegen, zürnt Apoll auf uns, sondern um des Priesters willen, den Agamemnon beschimpfte, dem er, gegen sein Lösegeld, die Tochter nicht wiedergab. Darum hat er, der weittreffende Gott, bisher uns mit Unglück gestraft, und wird noch ferner strafen, und nicht eher die Pest abwenden, als Agamemnon dem zärtlichen Vater seine schwarzäugige Tochter zurückgiebt, und eine heilge Hekatombe nach Chrysa sendet. So nur werden wir den Apollo wieder aussöhnen.

 

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Ihr gab der Vater der Götter und Menschen zur Antwort: Glaub nicht, Juno, alle meine Rathschlüsse zu ergründen: dunkel und unenthüllt bleiben sie vor dir, obgleich du meine Gemahlin bist. Was ich offenbaren kann, soll kein Gott und kein Sterblicher eher wissen, als du; was ich aber, fern von andern, für mich unter­nehme, das frage nicht alles, und forsche nicht danach!

Die schönäugige Juno versetzte: Harter Saturnius, wie redest du? Nie hab ich gefragt, nie dich ausge­forscht; ruhig beschließest du ja, was dir gut dünkt. Nur itzt fürchte ich, des alten Meergottes Tochter, die silberfüßige Thetis, hat dich ungekehrt. Schon früh saß sie bey dir, und umschlang deine Kniee; und ihr hast du versprochen, den Achill zu rächen, und bey der Achäer Schiffen viele zu verderben.

Zeus antwortete: Boshafte, du bist immer argwöh­nisch, und nichts bleibt verborgen vor dir. Aber so wirst du wenig ausrichten, und mein Herz noch mehr von dir abneigen; und dieß soll doch hart genug für dich seyn. –Ists nun auch so, so ists einmal mein Wille! – Sitz aber du ruhig, und folge meinen Worten; sonst möchten die Götter alle dich nicht schützen können, wenn ich gewaltige Hand an dich legte.

Er sprachs, und die schönäugige Juno fürchtete sich, und saß, in sich gekehrt, schweigend da. Jeder der himmlischen Götter im Palaste des Zeus seufzte, bis Vulkan, der berühmte Künstler, seiner geliebten Mutter zu Gefallen, also begann:

Arg ists wahrlich und unerträglich, daß ihr der Sterblichen wegen hadert, und Unruh unter den Göttern erregt! So wird an unsrer Tafel kein Vergnügen mehr seyn, da Misvergnügen es stört. Ich vermahne darum meine Mutter, obschon sie selbst es einsieht, Va­ter Jupitern nachzugeben, daß er nicht von neuem zan­ke, und die Ruhe des Mahls unterbreche. Wollte der olympische Donnerer, er könnte von unsern Sitzen uns alle herabstürzen; denn er ist allmächtig. Erweich ihn durch liebkosende Worte, so wird er auch uns wieder gnädig seyn. Und nun stund er auf, reichte der gelieb­ten Mutter einen runden Doppelkelch, und sprach: Er­trag es, Mutter, und faß dich, so gekränkt du bist, daß ich dich, die ich zärtlichst liebe, nur mit meinen Augen nicht schlagen sehe, da ich dann mit alle meinem Schmerze dir nicht helfen könnte; denn Jupitern wider­stehn bringt Verderben. Ehedem schon, als ich helfen wollte, ergriff er mich beym Fuß, und schleuderte mich über des Himmels Schwellen hinunter. Einen Tag lang fiel ich, und erst mit Untergehen der Sonne auf Lemnus hinab, wo die Sintier mich vom Fall aufhuben.

Er sprachs, und die weißarmige Juno lächelte, und nahm den Pokal lächelnd von der Hand des Sohnes. Aus einem Weineimer den süßen Nektar schöpfend, gab er mit Anstande den Pokal unter den Himmlischen herum; und lautes Gelächter verbreitete sich unter den seligen Göttern, da sie Vulkan, als Mundschenken, im Saal herumhinken sahn.

So schmausten sie den Tag hindurch, bis die Sonne unterging, und genossen der Speisen, die ihr Herz wünschte. Auch fehlte die schöne Zither nicht, die Apollo schlug, auch nicht die Musen, die mit reizenden Stimmen einen Wechselgesang anhuben. Als aber die leuchtende Sonne sich verbarg, begaben alle sich in die Schlafgemächer, die der lahme Vulkan mit erfindsamen Geist jedem bereitet hatte. Auch der Donnerer ging in sein Bett, wo er immer der Ruhe pflog, wenn ihn süßer Schlummer befiel; dieß bestieg er, und ihm zur Seite die goldthronende Juno.