BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Glückel von Hameln

um 1646 - 1724

 

Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln

übersetzt von Alfred Feilchenfeld

 

Sechstes Buch.

 

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[251]

Sechstes Buch.

Glückels zweite Heirat

und ihre ersten Erlebnisse

in Metz.

 

Hiermit will ich mein sechstes Buch anfangen, in welchem ich von einer Veränderung meines Standes berichten will, die ich ganze vierzehn Jahre 1) hindurch vermieden hatte. Es waren mir in dieser Zeit viele Partien vorgeschlagen worden und darunter wirklich die vornehmsten in ganz Deutschland. Aber so lange ich konnte und so lange mir deuchte, daß ich mich mit dem, was mein seliger Mann mir hinterlassen, ernähren könnte, kam es mir nicht in den Sinn mich zu verändern. Der Höchste hat wohl meine vielfältigen Sünden angesehen und mir nicht in den Sinn gegeben einen Mann zu nehmen, als mir Partien vorgeschlagen wurden, durch die ich mit meinen Kindern hätte glückselig sein und mich auf mein betrübtes, mühseliges Alter hätte in einen ruhigen Stand versetzen können.

 

Anzünden des Sabbathleuchters

 

Solches war dem großen Gott nicht wohlgefällig und er hat mich wegen meiner Sünden veranlaßt mich zu dieser Partie zu resolvieren, von der ich jetzt sprechen werde. Bei alledem danke ich [252] doch meinem Schöpfer, der mir mehr Gnade und Barmherzigkeit in meiner schweren Strafe erweist, als ich unwürdige Sünderin wert bin, und der mich bei allen Leiden Geduld lehrt. Zwar müßte ich Gott mit vielem Fasten oder sonstigen Bußübungen meinen Dank bezeigen; aber meine großen Sorgen und der Aufenthalt im fremden Lande haben mich nicht dazu kommen lassen. Ich weiß, daß solche Entschuldigungen mir vor Gott wenig helfen werden. Darum schreibe ich dies mit zitternder Hand und mit bitteren, heißen Tränen; denn es steht (in der heiligen Schrift), daß wir Gott „mit ganzem Herzen und mit ganzem Vermögen“ dienen sollen. Also gehört es sich, daß der sündige Mensch im Dienste Gottes seinen Körper und sein Vermögen nicht achte, und alle Rechtfertigungen (derer, die dies vernachlässigen) sind eitel Nichtigkeiten. Ich bitte Gott den Allmächtigen, daß er mich in seiner Gnade kräftige und mir in den Sinn gebe nichts andres zu tun als ihm zu dienen, auf daß ich nicht in meinen beschmutzten Kleidern 2) vor ihn trete, wie es heißt (Sprüche der Väter 2,10): Kehre einen Tag vor deinem Tode um! Nun wissen wir ja nicht, wann der Tag kommt, da wir sterben sollen; darum ist der Mensch verpflichtet jeden Tag umzukehren und Buße zu tun. Solches hätte ich auch tun und betrachten sollen; denn ich hätte es gar gut tun können. Zwar habe ich eine lumpige Rechtfertigung für mich: ich wollte erst meine verwaisten Kinder einigermaßen versorgen und dann nach dem heiligen Lande ziehen. Aber solches hätte ich sehr wohl tun können, zumal da mein [253] Sohn Moses verlobt war und ich nachher nur noch meine jüngste Tochter Mirjam zu versorgen hatte. Also hätte ich Sünderin keinen Mann nehmen, sondern nur meine Tochter Mirjam verheiraten und dann tun sollen, was sich für eine gute, fromme jüdische Frau geziemt; ich hätte alle Nichtigkeiten dieser Welt verlassen und mich mit dem bißchen, was ich noch übrig hatte, ins heilige Land begeben sollen. Denn dort hätte ich als eine gute Jüdin leben können und die Sorgen und Leiden meiner Kinder und Freunde und sonstige Nichtigkeiten der Welt hätten mir keine Beschwerden gemacht und dort hätte ich Gott mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Kraft dienen können. Aber (wie gesagt) meine Sünden haben bewirkt, daß Gott mich zu anderen Gedanken geführt und mich dessen nicht gewürdigt hat. Nun wollen wir wieder anfangen, wo wir gehalten haben.

Inzwischen hat es ein ganzes Jahr gewährt, ehe ich auf die Hochzeit meines Sohnes Moses habe kommen können. Unterdessen sind mir allerhand Widerwärtigkeiten und Leiden zum Teil von meinen Kindern zugestoßen, die mich schon vorher und allezeit viel Geld gekostet haben. Aber es ist nicht nötig darüber zu schreiben. Es sind doch meine lieben Kinder und ich verzeihe ihnen, sowohl denen, die mich viel gekostet als auch denen, die mich nichts gekostet haben, daß ich so in meinen Vermögensverhältnissen herabgekommen bin. Dabei habe ich noch ein großes Geschäft geführt – denn ich hatte noch großen Kredit bei Juden und Nichtjuden – und habe mich sehr gequält, bin im Sommer bei der Hitze und im Winter bei Regen und Schnee auf die Messen gefahren und habe dort ganze Tage in meinem Gewölbe gestanden. Weil [254] ich nun gar wenig von allem Meinigen übrig behalten habe, habe ich es mir sehr sauer werden lassen und immer danach getrachtet in Ehren weiterzukommen um nicht, Gott behüte, meinen Kindern zur Last zu fallen und von dem Tische anderer abhängig zu sein. Obschon es meine Kinder gewesen wären, so wäre es mir doch noch weher als bei Fremden gewesen; denn meine Kinder hätten sich, Gott behüte, an mir versündigt und dies wäre mir alle Tage ärger als der Tod gewesen. Nach alledem habe ich aber doch die große Mühe und das Reisen und das Herumgehen in der Stadt nicht länger aushalten können. Denn wenn ich auch noch ein großes Geschäft hatte und einen bedeutenden Kredit genoß, so war ich doch immer in Angst, wenn mir einmal etliche Ballen Waren oder ausstehende Schulden verloren gingen, daß ich, Gott behüte, ganz bankerott gehen und meine Gläubiger um das Ihrige bringen müßte, was mir und meinen Kindern und meinem frommen Manne unter der Erde eine Schande gewesen wäre. Damals habe ich angefangen zu bereuen, daß ich so viele gute Heiratspartien hatte fahren lassen, durch die ich mein Alter in Reichtum und Ehre hätte verbringen und vielleicht auch meinen Kindern hätte wohltun können. Aber alle Reue hilft nichts; es war zu spät; Gott hat es nicht haben wollen und mir zu meinem Unstern etwas anderes in den Sinn gegeben, wie jetzt folgen wird.

Solches ist im Jahre 5459 (= 1698/99) geschehen. Wie schon erwähnt, wollte ich meinen Sohn Moses verheiraten. Es ist aber damals nicht dazu gekommen, wie schon erwähnt. Unterdessen bekam ich einen Brief von meinem Schwiegersohn Moses (Krumbach) aus Metz, [255] der am 15. Siwan 5459 (= Juni 1699) geschrieben war. Darin stand, daß Hirz Levy ein Witwer geworden und daß er ein vortrefflicher Jude und hervorragend an Gelehrsamkeit und Reichtum sei und was er für eine Haushaltung führe. Kurz – er rühmte den Mann gar sehr, wie auch allem Anschein nach die Wahrheit war. Aber „der Mensch sieht nach dem Augenschein, Gott aber sieht ins Herz.'' (1. B. Sam. 16,7.)

Dieser Brief kam mir gerade zu Händen, als ich über meine Sorgen nachdachte. Ich war damals eine Frau von 54 Jahren und hatte mein ganzes Leben lang so viele Sorgen um meine Kinder ausgestanden. Wenn die Verhältnisse so waren [wie mein Schwiegersohn sie schilderte], konnte ich noch in meinem Alter in eine so fromme Gemeinde kommen, wie Metz damals den Namen hatte, und dort den Rest meines Lebens in Ruhe zubringen und auch meiner Seele wohltun. Ich habe mich auch darauf verlassen, daß meine Kinder mir nicht zuraten würden, wenn es nichts für mich wäre. So schrieb ich meinem Schwiegersohn als Antwort: Ich bin vierzehn Jahre Witwe gewesen 3) und habe niemals die Absicht gehabt wieder einen Mann zu nehmen, wenn es auch allgemein bekannt war, daß ich die größten und vornehmsten Partien in ganz Deutschland hätte machen können; aber ich habe mich niemals dazu entschließen wollen. Nichtsdestoweniger wolle ich mich dazu entschließen, weil er mir so sehr dazu rate, wenn meine Tochter Esther auch derselben Ansicht sei. Darauf schrieb mir meine Tochter Esther gleichfalls, was sie wußte und vor sich gesehen hatte. Wegen der Mitgiftsumme haben wir nicht viel [256] Auseinandersetzungen gehabt. Ich habe meinem Mann wirklich alles gegeben, was ich hatte, und er hat mir verschrieben, daß, wenn ich zuerst stürbe, meine Erben mein Geld wieder erhalten sollten; wenn aber mein Mann zuerst stürbe, so sollte ich 500 Reichstaler mehr erhalten als mein Eingebrachtes, welches 1500 Reichstaler betrug. Mein Mann verpflichtete sich noch, meine Tochter Mirjam, die damals 11 Jahre alt war, umsonst bei sich zu behalten, bis sie Hochzeit hätte. Wenn ich noch viel mehr Geld gehabt hätte, hätte ich es meinem Mann auch gegeben; denn ich dachte, daß ich mein Geld nirgendwo sicherer und besser haben könnte als bei diesem Mann. Zudem meinte ich auch meiner Tochter Mirjam eine Wohltat zu tun: sie brauchte nichts zu verzehren und ihr Geld lag doch auf Zinsen. Auch hat der Mann einen großen Ruf im Geschäft. Wer weiß, was ich meinen Kindern noch ins Geschäft bringen kann. Aber „viele Gedanken sind im Herzen eines Menschen“ „Der im Himmel thront, lacht darüber“ Der hochgepriesene Gott hat leider über meine Pläne und Anschläge gelacht und bei ihm war schon längst mein Verderben und meine Not beschlossen um mich für die Sünde zu strafen, daß ich mich auf Menschen verlassen hatte. Denn ich hätte nicht daran denken sollen mir einen anderen Mann zu nehmen; ich hätte doch keinen Chajim Hameln wieder bekommen können; ich hätte lieber bei meinen Kinderchen bleiben und mit Gut und Böse, wie es Gott haben wollte, vorlieb nehmen sollen.

Nun, das sind alles Dinge, die vorbei sind, und was geschehen ist, ist nicht zu ändern. Ich habe jetzt [257] nur noch Gott zu bitten, daß ich nur Gutes von meinen Kindern hören und sehen möchte. Was mich anbelangt, so nehme ich alles von dem hochgepriesenen Gott mit Liebe auf. Möchte mir der große, gerechte Gott nur die Geduld geben, wie er es bisher getan hat, und alles eine Sühne für meine Sünden sein lassen!

Nun hat die Verlobung stattgefunden, aber in größter Heimlichkeit. Ich wollte es nicht veröffentlichen; denn es hätte mir wegen des Abzugsgeldes, das ich an den Rat zu zahlen hatte, große Gefahr bringen können. Es hätte mich mehrere Hunderte gekostet; denn ich bin in Hamburg sehr bekannt gewesen. Alle Kaufleute, die mit mir Geschäfte machten, meinten nicht anders, als daß ich viele Tausende im eigenen Vermögen hätte. Unterdessen habe ich gesehen meine Waren und andere Gegenstände zu Geld zu machen und allen, denen ich etwas schuldig war, das Ihrige zu bezahlen, so daß ich – Gott sei Lob und Dank – als ich aus Hamburg wegzog, keinem Menschen, seien es Juden oder Nichtjuden, auch nur einen Taler schuldig geblieben bin. Meine Kinder, auch meine Geschwister und Freunde haben alle vorher von der Heirat gewußt; denn ich habe mich mit ihnen beraten, und wenn sie mir auch alle zugeraten haben, so ist die Heirat doch unglücklich ausgeschlagen, wie weiter folgen wird. Denn „was ich befürchtet, hat mich betroffen“. (Job 3,25.) Als ich diese Ehe eingehen sollte, fürchtete ich, wenn ich noch länger so sitzen bliebe, ganz um das Meinige zu kommen und Gott behüte in Schande zu geraten, indem ich andere Leute, Juden und Nichtjuden, schädigen müßte, und dann in die Hände meiner Kinder zu fallen. Aber das hat mir alles nichts [258] geholfen; ich mußte leider in die Hand eines Mannes fallen und dieselbe Schande erleben, vor der ich mich gefürchtet hatte. Obschon ich nichts dazu kann, so ist es doch mein Mann, mit dem ich meinte in Ehre und Reichtum zu leben. Zudem befinde ich mich jetzt in solchem Zustand, daß ich nicht weiß, ob ich in meinem Greisenalter noch ein Lager zum Uebernachten und ein Stück Brot zum Essen haben werde. Worüber ich mir Sorge gemacht, daß ich Gott behüte meinen Kindern zuteil werden könnte, das kann mir jetzt zukommen. Ich meinte dadurch, daß ich einen Mann nähme, der so angesehen und ein so großer Geschäftsmann war, meinen Kindern zu helfen, daß sie durch ihn zu großen Geschäften kommen sollten. Aber gerade das Gegenteil ist geschehen; denn mein Sohn Nathan ist um mehrere Hunderte gekommen, die mein Mann ihm noch schuldig ist, und ist durch meinen Mann halb ruiniert worden. Seine Wechsel wären alle protestiert worden, wenn nicht Gott, gelobt sei er, ihn sichtbar behütet und ihm geholfen hätte. Meiner Tochter Mirjam meinte ich ganz wohlzutun, daß sie von ihrem Gelde zurücklegen könnte; so aber habe ich sie mit mir in das äußerste Verderben gerissen, das Gott, gelobt sei er, noch gnädiglich abgewendet hat, wie weiter folgen wird.

Also, meine herzlieben Kinder, ist zu ersehen, daß ich alles wohl überlegt habe, daß aber alles, was ich für gut gehalten habe, gerade zum Aergsten ausgeschlagen ist. Ich kann also nichts anderes annehmen, als daß meine bitteren Sünden daran schuld sind. Darum, meine herzlieben, getreuen Kinder, was soll ich viel davon sagen oder schreiben? „Es gibt nichts Neues unter der [259] Sonne.“ (Kohelet 1, 9.) Ich bin es nicht aliein, der es so gegangen ist, sondern noch viele andere, die frommer und besser waren als ich, in deren Fußtapfen ich nicht wert bin zu gehen. . . .

 

Vorbereitungen fürs Passahfest

 

Um wieder zu unserem Zweck zu kommen – unsere Verbindung ist im Siwan 5459 (etwa Juni 1699) in Metz durch meinen Schwiegersohn Moses und dessen Vater Abraham Krumbach und seine Frau angeknüpft worden. Von ihnen kann ich sicher nur das Beste annehmen, daß sie alles in guter Absicht getan und gemeint haben, ich käme sehr gut an, wie es auch so den Anschein hatte. Aber es ist leider in der Tat anders herausgekommen. Die Zeit der Hochzeit wurde auf Lagbeomer 4) 5460 (etwa Mai 1700) angesetzt; es blieb alles in der Stille aus dem Grunde, den ich oben erwähnt habe 5). Unterdessen machte ich das Meinige zu Geld um nichts schuldig zu bleiben und schickte die Wechsel an den reichen Gabriel Levi 6) in Fürth, der das Geld dafür annehmen und bis zu unserer Ankunft aufbewahren sollte. Inzwischen wechselte ich Briefe mit meinem Manne und er hat seine Briefe so gestellt 7), daß ich und alle, die sie lasen, [260] die besten Versicherungen und lauter Angenehmes darin fanden und nichts von dem Schlimmen darin zu merken war, worein ich nachher leider geraten bin. Ungefähr im Tebet 5460 (= Januar 1700) wollte ich mich zur Hochzeit meines Sohnes Moses auf den Weg machen um von dieser Hochzeit aus nach Metz zu fahren. Da schickte mir Gott eine Krankheit zu, die mich sechs Wochen bettlägerig machte. Mein Mann wurde das durch einen Kaufmann gewahr. Was für tröstliche Briefe er damals an mich und an meinen Schwager Joseph geschrieben und mit welcher Fürsorge er mich diesem empfohlen hat, ist nicht zu beschreiben. In was für einer Absicht dies geschehen ist, ist nur Gott bekannt. Ob es auf das bißchen Geld abgesehen war, kann ich nicht wissen. Als mir nun Gott wieder zu meiner völligen Gesundheit verholfen hatte, reiste ich von Hamburg mit meinem Sohn Moses und meiner Tochter Mirjam nach Braunschweig; denn dort war Messe und ich verkaufte dort noch etwas von meinen restanten Waren. Nach der Messe reiste ich in guter Gesellschaft mit meinen Kindern nach Baiersdorf, in der Meinung am Neumondstage des Nissan 7a) die Hochzeit meines Sohnes Moses zu feiern. Ich blieb Purim in Bamberg und reiste gleich nach Purim mit meinem Sohne Samuel nach Baiersdorf. Dort wohnten wir in einem Wirtshaus Samson Baiersdorf gegenüber; denn sein neues Haus war noch nicht fertig und in seinem alten Hause war es zu eng. Wir wurden aber alle Tage dreimal zum Essen zu ihm geholt und fürstlich traktiert. Aber das alles hat mir doch nicht gepaßt. Ich sagte darum zu Samson Baiersdorf und seiner [261] Frau: „Ich habe zwar keine Ursache von hier wegzueilen; aber ich habe doch meinen Grund, warum ich gern haben wollte, daß meines Sohnes Hochzeit schon am Neumondstage des Nissan sein soll. Denn ihr wißt ja von der Verbindung, die ich angeknüpft habe, und daß ich bis Lagbeomer in Metz sein muß. Der Mann hat auch mein Geld schon in Händen“ – wie es die Wahrheit war, denn mein Unglück hat es so gewollt. Aber es wurde viel geredet und viel vorgeschlagen. Endlich sagte Samson Baiersdorf, ich möchte tun, was ich wollte; es sei ihm nicht möglich vor dem Wochenfeste Hochzeit zu machen; ich sollte nur nach Metz reisen um dort Hochzeit zu machen und meine Kinder zur Gesellschaft mitnehmen; er wollte mir hundert Dukaten für meine Auslagen geben. Solches wollte ich nun nicht tun, es hätte mir auch nicht angestanden.

So entschloß ich mich denn das, was nicht zu ändern war, mit Geduld anzunehmen, und wenn wir auch einige Differenzen wegen der Mitgift hatten, wie diese bis nach der Hochzeit am besten aufzuheben sei, so wurden sie doch in Güte und mit Ehren beigelegt. So brachte ich zehn Wochen –von Purim bis zum Wochenfeste 1700 – in Baiersdorf zu. Die Hochzeit wurde dann im Monat Siwan mit aller Herrlichkeit der Welt gefeiert; von beiden Seiten kamen viele wackere Leute und die Hochzeit verlief sehr vergnügt. Der hochgelobte Gott möge ihnen (dem jungen Paare) Glück und Segen geben, daß sie in Reichtum und Ehre ihr Leben dahinbringen 8), bis [262] der Erlöser kommt, und möge ihnen treffliche Nachkommen geben, die sich mit der Gotteslehre beschäftigen. In ihren und in unseren Tagen möge Gott uns helfen und uns den Messias senden! Amen!

 

Umgebung von Metz um 1700

 

Nach der Hochzeit machte ich mich auf den Weg nach Metz und glaubte mich auf meine alten Tage in einen guten, ruhigen Stand zu begeben und in einer so frommen Gemeinde meiner Seele wohlzutun. Ich habe mir in Baiersdorf einen Mann gedungen, namens Koppel, der dort Synagogendiener war; der sollte mich bis Frankfurt begleiten; denn mein Mann hatte mir nach Baiersdorf geschrieben, daß er mir nach Frankfurt jemanden aus Metz schicken wolle, der mich bis Metz akkompagnieren sollte. So reiste ich denn mit meiner Tochter Mirjam und dem Koppel nach Bamberg. Mein Sohn Moses wollte mit mir bis Bamberg reisen, aber ich habe es nicht gelitten, da es noch in seiner Hochzeitswoche war. So nahmen wir denn schmerzlichen Abschied voneinander und weinten beide sehr. Ich war zwar voll Freude, daß ich meinen Sohn in Ehren unter den Trauhimmel geführt und ihn Gottlob in gute Verhältnisse hineingebracht hatte, und in Wirklichkeit weinte das Auge und das Herz war froh. Aber die Natur kann es nicht anders machen. So kam ich denn nach Bamberg und blieb nur eine Nacht dort. Am andern Morgen nahm ich eine Kutsche, die ich schon längst in Bamberg bestellt hatte, und machte mich auf den Weg nach Frankfurt. Ich konnte es aber nicht verwehren, daß mein Sohn Samuel mit mir bis Würzburg ritt. In Würzburg nahmen wir voneinander ewigen Abschied und uns beiden lag der Gedanke in unseren betrübten Herzen, daß wir uns in dieser Welt nicht mehr [263] wiedersehen sollten, wie an seinem Ort erwähnt werden wird. Dann zog ich weiter meines Weges und kam Freitag, den 20. Siwan 5460 (=11. Juni 1700), glücklich nach Frankfurt. Dort fand ich einen Familienvater aus Metz mit Namen Leser und einen Brief von meinem Manne. Er schickte uns Lebkuchen und andere Kleinigkeiten für die Reise und schrieb gar höflich, so daß ich mir mein großes bevorstehendes Unglück nicht habe träumen lassen. In Frankfurt hat man mir alle mögliche Ehre angetan, die man einer Frau nur antun kann, sowie man mir auch auf dem ganzen Wege, auf dem ich gereist bin, alle mögliche Ehre angetan hat, mehr als ich wert gewesen bin. Besonders große Ehre und viel Gutes habe ich in Fürth gehabt 9). Dieser Ort ist nur drei Meilen von Baiersdorf entfernt. Dorthin hatte mir mein Sohn Nathan die Mitgift meines Sohnes Moses und das bißchen Geld, das ich noch übrig hatte, (es war gar wenig) an den reichen Gabriel Levi überwiesen. Soll ich nun schreiben, was für Ehre ich von seinem ganzen Hause hatte? Ich kann nicht genug davon schreiben.. Nicht genug, daß die ehrlichen Leute große Mühe mit mir gehabt haben um das Geld für die Wechsel aufzunehmen; sie haben es mir auch zum Teil gegeben, zum Teil es nach meiner Ordre an andere Plätze geschickt. Denn ich hatte das Geld meines Sohnes Moses bis zu seiner Hochzeit an verschiedene Leute auf Zinsen ausgeliehen – der Schwiegervater meines Sohnes Samuel, Moses Brilin in [264] Bamberg, hatte mir zu Gefallen 1000 Taler auf Zinsen genommen, der Rabbiner Mendel Rothschild gleichfalls 1000 Taler und Loeb Biber aus Bamberg auch 1000 Taler. Den Rest haben wir für ihn in Baiersdorf auf Zinsen verliehen. Nachher habe ich mit dem reichen Gabriel Levi abgerechnet und wollte ihm, wie sich's gehört, meine Provision zahlen. Aber er wollte keinen Pfennig nehmen und sagte, das sei kein Geld von Geschäften, das sei eine Pflichtsache und ein gutes Werk. Ich habe ihm zwar viele Gründe gebracht. Aber – kein Gedanke – er hat nicht einmal Postgeld 10) verrechnet. Gott wolle es ihm bezahlen!

Nun wieder zu unserer Reise zu kommen – Montag bin ich mit meinem Geleitsmann Leser von Frankfurt weggereist. In Frankfurt habe ich auch noch den Liebermann aus Halberstadt gefunden, der von Halberstadt nach Metz reiste um seinen alten Vater Abraham Speyer zu besuchen, und auch den Arzt Hirz [Wallich]. Diese sind mit mir in Gesellschaft nach Metz gefahren und wir haben eine sehr hübsche Reise gehabt.

Zwei Meilen, bevor wir nach Metz gekommen sind, hat mein Mann seinen Schreiber zu Pferd geschickt. Der ist neben unserm Wagen hergeritten, bis wir in das Gasthaus gekommen sind. Er hat allerlei Speise und Trank bei sich gehabt, soviel er auf seinem Pferde fortbringen konnte. Dieser Schreiber, Lemle Wimpfen, hat mir im Auftrage meines Mannes sein Kompliment gemacht. Nachdem wir gegessen und getrunken hatten, sind wir noch ungefähr zwei oder drei Stunden weiter gereist [265] und der abgesandte Lemle ist nachts bei uns geblieben. Aber ehe wir uns haben zur Ruhe begeben wollen, hat er von uns Abschied genommen; er müsse zu guter Zeit in Metz sein. Jener Ort, wo wir gelegen sind, ist keine 5 Stunden von Metz entfernt gewesen. Aber obwohl ich alles Herrliche und Gute und dem Anschein nach allen Reichtum vor mir gesehen habe und obwohl die Briefe meines Mannes voll Ehrfurcht und Vergnüglichkeit waren, so bin ich doch – Gott weiß es – nicht ohne Schwermut gewesen. Ob mir mein betrübtes Herz das [schlimme] Ende zugetragen hat oder ob mir doch weh gewesen ist, daß ich mich zu einem anderen Manne begeben sollte? Aber die Betrachtung ist viel zu spät gewesen. So habe ich denn meinem Unmut und meinem bekümmerten Herzen großen Zwang antun müssen um solches zu verbergen.

Als wir nun Freitag, den 22. Siwan, eine Stunde vor Metz gekommen sind, da kommt der Schreiber Lemle Wimpfen wieder angeritten und noch einer mit ihm; sie ritten neben einer Kutsche, in der drei vornehme Frauen saßen: die Rabbinerin von Metz 11), die Frau des Rabbiners R. Ahron [Worms] 12) und die reiche Jachet, die Mutter meines Schwiegersohns 13). Diese haben mich dort auf das allerangenehmlichste mit allen Ehren [266] empfangen; ich habe mich in ihre Kutsche setzen müssen und wir sind so zusammen nach Metz gefahren. Dieses war zwar eine große Ehre, daß drei so vornehme Frauen mir geringen Frau entgegengekommen sind; aber diese Ehre ist mir [später] sehr versalzen worden. Als ich nun unweit Metz war, kam uns meine Tochter Esther entgegen, die hochschwanger war und sich in einer Sänfte ihrer Mutter entgegentragen ließ. Ich stieg im Hause meines Schwiegersohns Moses ab, der damals im Hause der Bela Krumbach wohnte – mein Schwiegersohn war damals nicht zu Hause, er war in Paris. Nun gingen die vornehmen Frauen, die mir entgegengefahren waren, wieder heim mit höflicher Entschuldigung, da es schon kurz vor dem Einzug des Sabbat wäre. Ich sprach ihnen für so große Ehre und Bemühung meinen Dank aus, so gut ich es konnte und die aufrichtige deutsche Art es mich gelehrt hatte 14). Darauf machte meine Tochter mir eine Suppe, damit ich etwas essen sollte. Aber mein Herz war mir so schwer, daß ich selbst nicht wußte, woran es mir fehlte. Ich schrieb es bei mir selbst den Reisestrapazen zu.

 

Metz um 1650

 

Eine Stunde danach kam mein Bräutigam mit dem reichen Vorsteher Abraham Krumbach; sie bewillkommneten mich, blieben ein wenig dort und gingen dann wieder ihres Weges. Zuerst wußte ich wahrhaftig nicht, wer der Bräutigam wäre – denn ich hatte beide mein Lebtag [267] nicht gesehen 14a) – wenn nicht der Vater meines Schwiegersohns, der reiche Abraham Krumbach, im Scherz gesagt hätte: ich solle mich nicht irren und meinen, daß er der Bräutigam wäre – was ich mit Stillschweigen beantwortete. So verging die Zeit und es wurde Sabbat. Ich ging aber nicht in die Betschule; meine Töchter Esther ging hin, wie überhaupt jeder von ihr bezeugen konnte, daß sie nie die Betschule versäumt hat. Was für einen guten Namen sie bei jedermann hatte, ist nicht zu beschreiben. Das war auch alle meine Freude und all mein Trost in Metz, so lange Gott sie gesund ließ. Während der Zeit des Betens kamen meine Stiefkinder und begrüßten mich; ich kannte sie aber nicht, es war auch niemand gegenwärtig, den ich darum befragen konnte. So sagte ich zu ihnen: „Ich weiß nicht, von wem mir diese Ehre zukommt, da ich fremd bin und keinen kenne.“ Da sagte Hendele: „Kennt Ihr uns nicht? Ihr sollt ja unsere Mutter sein.“ Darauf sagte ich zu ihnen: „Wenn ich eure Mutter sein soll, so werdet ihr auch meine Kinder sein.“ Nach etlichen wenigen Worten gingen sie, da man schon aus der Betschule zurückkam, wieder in aller Höflichkeit fort. Als meine Tochter aus der Betschule kam, setzten wir uns zu Tisch. Jesaias Krumbach war bei meiner Tochter. Als wir gegessen hatten, kam der Bursche Salomo, der so eine Art Kammerdiener bei meinem Manne war, und die Dienerin und hatten zwei große vergoldete Platten. In der einen waren die besten und schönsten Konfekten, [268] in der anderen die besten Früchte, sowohl ausländische, wie Limonen und Apfelsinen, als auch die besten inländischen Früchte. Darauf lag eine goldene Kette mit einem Stück Gold und zwei ganz große vergoldete Becher mit Wein. Das war mein Sabbatobst; es war etwas sehr Rares. Ich dachte mir in meinen schweren Gedanken: Gäbe Gott, daß das Ende so gut sei wie der Anfang! Aber – mein Gott und Herr – aus der goldenen Kette sind leider wirklich Stricke und eiserne Bande geworden. Ungefähr eine Stunde danach kam mein Bräutigam und die Mutter meines Schwiegersohns, die reiche Frau Jachet; sie saßen etwa eine halbe Stunde bei uns; dann ging ein jeder wieder nach Hause. Ich sah nun zwar, daß alles herrlich und magnifique zugeht, und hätte mich mehr freuen sollen statt meinen schweren, unmutigen Gedanken nachzuhängen. Es beneidete mich ja jedermann und alle sagten mit voller Ueberzeugung: ich müßte viel Gutes getan haben, daß ich so glücklich wäre und zu einem so guten, wackeren Mann und einem solchen Reichtum käme. Dennoch ist mein besorgtes Herz nicht recht ruhig gewesen und das Ende hat mir leider Recht gegeben. Am Sabbat Morgen hat man meine Tochter Mirjam durch meine Stieftochter Fummet rufen lassen und ihr als Sabbatobst ein goldenes Kettchen gegeben. So ist alles herrlich und gut zugegangen. Alle Briefe, die mein Schwiegersohn aus Paris an meine Tochter geschrieben hat, sind lauter Rekommandation gewesen, daß meine Tochter mich gut bewirten solle, und die Briefe sind lauter Liebe und Anhänglichkeit gewesen, wie es auch hat sein sollen. Aber die Liebe hat nicht länger gewährt, als „bis der [269] Tag verweht und die Schatten fliehen“ (Hohelied 2,17), wie an seinem Orte alles folgen wird. Mein Schwiegersohn hat gemeint, er hätte vielleicht ein gar gutes Werk verrichtet und ich würde sehr gut ankommen 15).

 

Metz um 1700

 

Die Woche ist so hingegangen, ohne daß etwas Besonderes passiert ist. In der anderen Woche, am Donnerstag, am Neumondstage des Tamus, ist die Hochzeit gewesen. Man hat mich am Morgen aus dem Hause meiner Tochter in das benachbarte Haus meines Mannes geführt. Dort habe ich bis nach 12 Uhr mittags gesessen; dann hat mich mein Mann durch einen wertvollen Trauring von einer Unze sich angetraut. Die Rabbinerin Breinle und die reiche Frau Jachet sind die Unterführerinnen 16) gewesen; die Trauung ist in unserem Sommerhöfchen gewesen. Nach der Trauung hat man mich in unsere Kammer vor dem Kabinett geführt, die gar schön möbliert gewesen ist. Dorthin hat man uns Essen und einen Hochzeitskuchen gebracht, wie es in Deutschland üblich ist. Obwohl ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte 17), habe ich es doch nicht übers Herz bringen können [etwas zu genießen]; denn mein Herz ist mir noch zu voll gewesen von dem vielen Weinen [beim Abschied]. Als ich von meiner Tochter Esther weggegangen bin, haben wir beide so viele Tränen vergossen, wie uns zu Mute gewesen ist. Mein Mann hat mich nun in sein Kabinett geführt und mich eine große Schachtel mit allerhand Ketten und Ringen sehen lassen. Aber [270] er hat mir doch von jener Zeit an bis jetzt nicht das kleinste Ringchen oder irgendwelche silberne oder goldene Münze gegeben, so daß er sich an mir nicht bankerott gemacht hat. Abends hat man eine prächtige Mahlzeit gemacht, wobei alles wieder aufs herrlichste hergegangen ist. Diener und Jungfern habe ich genug in meinem Hause gefunden und allerwegen, wo ich nur hingesehen und gehört habe, ist vieles im Ueberfluß gewesen.

Sein Kontor hat voll Gold und Silber gesteckt, so daß man nach dem Anschein ganz anderes hätte erwarten sollen, als wie es leider gekommen ist. Er ist schon lange Vorsteher der Gemeinde gewesen und nach seinem Befehl ist man wirklich aus- und eingegangen. Jedermann hat ihn geehrt und gefürchtet, Juden sowohl wie Nichtjuden. In der Woche nach unserer Hochzeit sind die angesehensten Leute gekommen und haben mich bewillkommnet und beglückwünscht. Ich habe mir nichts mehr gewünscht, als daß ich Französisch könnte um einem jeden Rede und Antwort zu geben. So hat mein Mann für mich geredet.

Eine Zeitlang ist so, wirklich in großer Vergnüglichkeit, dahingegangen. Denn es hat mir nichts gefehlt; mein Mann hat mir Geld gegeben, soviel in der Haushaltung auszugeben nötig war. Ich habe aber gefunden, daß die Jungfer im Hause Herr und Meister gewesen ist und daß sie alles unter ihren Händen gehabt hat,, alle Speisen, ganze Hüte Zucker und andere Sachen,, so daß sie mich gar nicht gefragt hat, was sie kochen oder machen sollte.

Mir hat solches zwar nicht sehr gefallen, da ich es in meiner Haushaltung in Hamburg nicht gewohnt gewesen war, daß man eine Dienerin Herr und Meister [271] sein läßt. Ich habe darum oft mit meinen Stiefkindern und meiner Schwägerin Freudchen geredet. Aber sie sagten mir alle, daß die selige Blümchen 18) sie über alles hätte herrschen lassen und ihr alles unter Händen gelassen hätte, da sie an ihrer Treue nicht zweifelte. Als ich in mein Haus kam, fand ich zwei Diener und zwei Dienerinnen und dabei noch verschiedene Handlanger und Läufer 19). Obwohl mir solches alles nicht sehr gefallen hat, hat man es mir doch ausgeredet und gesagt, daß das alles noch wenig wäre im Vergleich zu der Zeit, wo die erste Frau meines Mannes noch gelebt hätte. Wirklich haben meine Stiefkinder, die schon verheiratet waren, solches gar oft beseufzt und haben mir auch gar oft anzuhören gegeben, was für Gutes und Angenehmes sie von ihrer seligen Mutter gehabt hätten. Einigen von ihnen hatte sie wirklich ihre Haushaltung ganz ausgehalten. Ich konnte nun solches nicht tun und habe meinen Sdefkindern nichts anderes von Eßwaren geschickt, als was öffentlich war, wenn wir irgend etwas Besonderes gehabt haben. Wenn ich am Freitag für 1/4 Reichstaler oder 1 Livre 20) Sabbatobst gekauft habe, hat man mich ausgelacht und gesagt, daß sonst immer für mehr als einen Reichstaler Sabbatobst gekauft und jedem Kinde ganze Körbe voll ins Haus geschickt worden seien. Ich habe mir solches eine Zeitlang gefallen lassen und habe doch Gott gedankt und gemeint mein langes [272] Warten in meinem betrübten Witwenstand gut angelegt zu haben, wenn mir auch, wie schon erwähnt, alles nur eine „Freude mit Zittern“ 21) gewesen ist. Mein Gatte ist doch ein wackerer Mann gewesen und, wie er vorgegeben, auch ein reicher Mann. Ich habe auch bei ihm so viel rares Silber und Gold gesehen wie bei keinem reichen Mann in ganz Deutschland. Ich habe auch gesehen, daß der Mann ein großes Geschäft führte und sehr richtig in seinen Sachen war und daß keiner, der Geld von ihm zu bekommen hatte, zweimal gekommen ist um ihn zu mahnen und daß er alles sofort mit dem größten Respekt bezahlt hat. Er hat allen Leuten, Juden und Nichtjuden, an allen Plätzen Kredit gegeben und hat große Geldsummen in der Gasse verliehen gehabt. Außerdem hat man ihn für einen so treuen und zuverlässigen Mann gehalten, daß jeder, der Geld an einem sicheren Platze bewahren wollte, es zu meinem Manne gegeben hat. So hat auch mein Schwiegersohn Moses, da er einige Wochen, bevor ich hierher kam, nach Paris reisen mußte, alles Seinige genommen und es für die Zeit seiner Abwesenheit meinem Manne in Verwahrung gegeben. Er hat es also lieber bei meinem Manne als bei seinem Vater gehabt. Denn man hat meinen Mann nicht nur für reich sondern auch für sehr zuverlässig und ehrlich gehalten, so daß ich wenig daran zu zweifeln hatte, daß ich mich gut verheiratet hätte 22). Zwar hat mein Mann bei Nacht viel gestöhnt [273] und ich habe ihn verschiedene Male gefragt, was ihm fehle. Er hat aber immer gesagt, daß ihm nichts fehle, es sei so seine Natur und Gewohnheit. Ich habe auch die Kinder und meine Schwägerin Freudchen gefragt, was das bedeute; denn ich habe mir anfangs eingebildet, da alle Welt mir sagte, daß er mit seiner ersten Frau so gut gelebt hatte – daß er diese noch nicht vergessen könnte. Aber sie haben mir alle gesagt, daß sie solches (d. i. das Stöhnen und Jammern) bei ihm gewohnt wären und daß er es zu Lebzeiten seiner ersten Frau auch getan hätte. Da habe ich mich zufrieden gegeben und es hat mich nur zuweilen verdrossen; aber ich wußte ja nicht, daß hinter seinem Stöhnen solche Sorgen steckten. Sein Schlafen und sein Essen ist sehr unruhig gewesen.

Als ich nun ungefähr acht Wochen hier war, ist meine Tochter Esther zu gutem Glück mit einem Sohn ins Kindbett gekommen, worüber ich sehr erfreut gewesen bin. Denn meine Tochter hat keine Kinder mehr gehabt; es waren ihr mehrere schöne Kinder gestorben. Daher haben wir uns alle mit dem lieben Kind – Gott behüte es – gefreut. Mein Mann und ich haben die Gevatterschaft gehabt. Mein Mann hat ihnen auch ein kostbares Gevattergeschenk gegeben, eine Schale, die innen und außen vergoldet war [im Gewicht] von drei Unzen. Als meine Tochter aus dem Kindbett gehen sollte, hat er ihr eine Dublone 23) als Kindbettgeschenk geschickt. Bei der Beschneidung ist sie schon auf gewesen und hat alles versehen helfen. Am dritten Tage nach der Beschneidung [274] hat sie selbst gekocht 23a), so daß sich ein jeder gewundert hat. Ihre Schwiegermutter Jachet hat mir über ihr gutes Kochen und ihre guten Anordnungen auch viele Male gesagt: Ich muß gestehen, daß Esther besser kochn kann als ich.“ Wirklich hat Jachet, wenn sie etwas Gutes gekocht haben wollte, meine Tochter Esther rufen lassen; sie hat es ihr kochen müssen.

Den Ruf von Frömmigkeit, Sittigkeit und aller Tugend, den meine Tochter bei arm und reich gehabt hat, kann ich nicht beschreiben. Sie ist zwar oft traurig über den Verlust der vielen Kinder gewesen, hat sich aber solches nicht viel merken lassen. In ihrer Haushaltung ist sie sehr vorsichtig, karg und genau gewesen; es ist aber alles immer mit Ehren zugegangen. Sie hat allezeit einen Hausrabbiner und einen Talmudjünger an ihrem Tisch gehabt und arm und reich Zucht und Ehre angetan, so daß ich Ursache genug gehabt hätte mich zu freuen. Aber daß sich Gott erbarme über unsere Freude und unser wankelmütiges Glück, welches der Anfang von meiner Trübsal und meinem Leid in Metz gewesen ist. Denn am Versöhnungstag ist mein Enkel Elia krank geworden und hat viele schwere Anfälle gehabt, die wohl acht Tage dauerten. Wir haben an dem lieben Kind so viele Schmerzen gesehen, daß ich oft Gott im Herzen gebeten habe dem lieben Kinde seine großen Leiden zu kürzen. Denn kein Arzt oder [anderer] Mensch hat gemeint, daß es davonkommen würde. Aber der allgütige Gott hat sich in einem Augenblick erbarmt [275] und ihm seine Heilung geschickt: woraus zu ersehen ist, daß Gott helfen kann, wenn alle menschliche Hilfe schon verloren ist, und daß er mit seiner Hilfe alle Doktoren und Weisen zu Narren macht, wie es heißt (2. B. M., 15,26): „Denn ich, der Ewige, bin dein Arzt.“ Den lobe und dem danke ich allezeit und der große, gütige Gott möge geben, daß seine Eltern ihn zur Thora, zur Hochzeitsfeier und zu guten Werken erziehen! Amen! Nun kann man wohl denken, was meine Tochter für eine Freude gehabt und was sie für Spenden für das Leben des lieben Kindes gegeben hat – offen und heimlich. Denn mein Schwiegersohn war, wie auch andere Leute mehr, sehr auf das leidige Geld erpicht . . .

. . . Der Groschen, der ehrlich gewonnen wird, kommt einem schwer an. Aber man muß in allem einen Unterschied wissen, wie man sich zu verhalten hat; denn dieses ist ein allgemeines Sprichwort: „Alle Kargheit bereichert nicht und mäßige Mildtätigkeit macht nicht arm.“ Alles geschehe zu seiner Zeit: Geld ausgeben und auch Geld sparen. Der Holländer sagt: „Chelt autzucheben in siner tid, dat makt profit 24).“ Man findet nichtjüdische Weise, die sehr viel von solchen Sachen gar schön beschreiben. [276]

Das (d. i. die schwere Erkrankung des kleinen Enkelchens) war der erste Sturm, den ich hier ausgehalten habe. Aber es ist – Gott erbarme sich – nicht dabei geblieben; denn es erging mir wie jenem, der vor dem Todesengel entlaufen und nach Lus 25) gehen wollte, wo die Leute nicht sterben. Als er in hohem Alter unter das Tor kommt, sagt der Todesengel zu ihm: „Du bist mir da recht in meine Hand gekommen, daß ich dich töten kann; ich habe nirgends Macht über dich gehabt als hier.“ So ist es mir leider ergangen. Ich bin von Hamburg, von meiner Heimat, von meinen Kindern und Freunden weggezogen und habe mir gedacht: ich will so weit von ihnen wegziehen, damit ich nichts Böses von ihnen sehen kann. Aber du, gerechter Gott, hast mir gezeigt und zeigst mir noch, daß ich vor deiner Zornrute nicht hinweglaufen kann. „Wohin soll ich gehen und wohin vor deinem Angesichte fliehen?“ Ich sehe wohl, daß ich an einen solchen Ort gekommen bin, wo ich wenig Freude und Befriedigung habe, aber sehr viel Leid und Verdruß an mir und an meinen lieben Kindern hören und sehen muß. Bei alledem erkenne ich Gott als gerechten Richter an; denn Gott gibt mir die Geduld, daß ich bei allen meinen Leiden und Strafen noch menschengleich bin, während doch Gottes Strafe noch viel ärger hätte sein können. Nicht lange danach habe ich die traurige Botschaft bekommen, daß mein Sohn Loeb im Alter von noch [277] nicht 28 Jahren gestorben sei 26). Obwohl ich mit diesem Sohne viel Widerwärtigkeit und Elend ausgestanden hatte, so ist mir doch sein Tod sehr beschwerlich und sauer angekommen, wie dies von Eltern natürlich ist. Man kann von dem frommen König David lesen, daß ihm sein Sohn Absalon viel Böses und viel Herzeleid angetan hat; als er aber mit ihm Krieg führen sollte, befahl er seinen Leuten den Absalon zu schonen, und als er gewahr wurde, daß er ums Leben gekommen, jammerte er sehr und rief siebenmal: „Absalon, mein Sohn!“ Dadurch hat er ihn aus sieben Staffeln der Hölle gerettet und in den Garten Eden gebracht. So verzeihe ich auch vom Grund meines Herzens diesem meinem Sohn alles, was er an Jugendstreichen verübt hat. Er hat sich leider verführen lassen und war [sonst] der beste Mensch von der Welt, hat auch gut gelernt und hatte ein jüdisches Herz für arme Leute, daß sein Wohltun einen Namen weit und breit hatte. Aber leider ist er gar zu liederlich in seinem Geschäft gewesen und böse Menschen haben das gemerkt und ihn leider um das Seinige gebracht. Nun will ich ihn ruhen lassen und bitte meinen Gott, er möge ihn das Verdienst der Vorfahren genießen lassen. Was soll oder kann ich tun? Ich muß zu ihm, wenn es Gottes Wille ist, und er kommt nicht zu uns 27). Dem allmächtigen Gott hat es nicht gefallen mich frühzeitig vor meinem frommen, braven Mann Chajim Hameln hinwegzunehmen, der seinem Alter nach gar wohl noch hätte leben können. [278] Aber „vor dem Unglück wurde der Fromme dahingerafft“ (Jesaias 57,1), damit er nicht so viele Sorgen erleben und so viele Leiden ausstehen sollte. Er ist im Reichtum gestorben und hat bei seinen Kindern alles Gute gesehen. Was soll ich viel davon erwähnen? Ich habe schon genug davon erwähnt. Also will ich hiermit mein sechstes Buch beschließen. Gott der Allmächtige möge allen Meinigen und ganz Israel weiter kein Leid schicken und was wir sündigen Menschen verschuldet haben, uns mit seiner großen Gnade und Barmherzigkeit verzeihen und uns ins heilige Land führen, „daß unsere Augen den Aufbau des Heiligtums und unsere Herrlichkeit sehen“.

 

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1) Muß heißen: elf Jahre. Ihr Gatte Chajim Hameln war im Januar 1689 gestorben und im Sommer 1700 ging sie ihre zweite Ehe ein.  

2) d. h. ohne meine Sünden gutgemacht zu haben. Secharja III 3, 4.  

3) Muß heißen: 10 Jahre. Siehe Anmerkung 1.  

4) 33. Tag des Omer, d, i. der Zählung vom Passah- bis zum Wochenfeste.  

5) siehe oben S. 257.  

6) Wahrscheinlich ist der reiche und angesehene Gabriel Fränkel gemeint, der mit dem Hofe zu Ansbach in Geschäftsverbindung stand und große Vergünstigungen daselbst genoß. Siehe Hänle, Juden im Fürstentum Ansbach, S. 87. Gabriel Levi (Fränkel) war zwar nicht, wie Kaufmann annimmt, der Gründer der Fürther Talmudklause, wohl aber der eines anderen Bet- und Lehrhauses in Fürth, das noch bis in das 19. Jahrhundert hinein unter dem Namen Gabrielschule bestanden hat (Mitteilung des Herrn Rabbiner Dr. Neubürger in Fürth.) 

7) d. h. seine Briefe waren so abgefaßt. Vgl. die Bezeichnung „Briefsteller“.  

7a) im März oder Anfang April.  

8) Moses Hameln kam wirklich später zu großer Ehre und wurde Rabbiner in Baiersdorf. (Siehe Einleitung, S. 7.)  

9) Fürth liegt nicht auf der Strecke von Baiersdorf nach Bamberg, sondern 3 Meilen südlich von Baiersdorf. Glückel scheint also den Abstecher nach Fürth vor Beginn ihrer Reise nach Bamberg und Frankfurt gemacht zu haben.  

10) Das Postgeld für die Uebersendung der Geldbeträge.  

11) wahrscheinlich die Gattin des damaligen Rabbiners Gabriel Eskeles (Kaufmann, S. 295, Anm. 1).  

12) Ahron Worms war früher Rabbiner in Mannheim und Neu-Breisach gewesen und lebte damals als einer der angesehensten Talmudgelehrten in Metz. Vgl. S. 294. Kaufmann, Samson Wertheimer, S. 90.  

13) Agathe, die Gattin Abraham Krumbach-Schwabs, siehe S. 157 ff.  

14) Gl. hebt hier und noch öfter die einfache, aufrichtige deutsche Art gegenüber den Komplimentierkünsten der Franzosen hervor. In Metz, das seit 1552 französisch war, hatte sich namentlich im Zeitalter Ludwigs XIV. die – damals in Europa mustergültige – feine französische Sitte und Lebensweise vollkommen einge­bürgert. 

14a) Damit stellt die Angabe (S. 186) im Widerspruch, daß Abraham Krumbach zur Hochzeit seines Sohnes nach Amsterdam gekommen und dort mit Glückel zusammengetroffen sei.  

15) d. h. in der Ehe glücklich werden.  

16) So nennt man die Frauen, die die Braut unter den Trauhimmel führen.  

17) Nach alter jüdischer Sitte pflegt das Brautpaar am Hochzeitstage bis nach der Trauung zu fasten.  

18) Blümchen war Cerf Levys erste Gattin.  

19) So die Lesung nach Landau, a. a. O., S. 41/42. Läufer = Ausläufer. Kaufmann liest hier: Livrées.  

20) Livre (L. tournois) war eine alte französisclie Silbermünze, die erst 1795 durch den ungefähr gleichwertigen Franc ersetzt wurde.  

21) Wendung nach Psalm 2, 11.  

22) Glückel sagt: daß ich wenig zu zweifeln gehabt, daß ich nicht nach Wunsch gut angekommen wäre. Die überflüssige Negation scheint durch die Konstruktion von douter im Französischen beeinflußt zu sein.  

23) frühere spanische Goldmünze im Werte von 66 M.  

23a) Die festliche Bewirtung der Frauen am dritten Tage nach der Beschneidung ist in manchen Gegenden noch üblich. (Mitteilung von Herrn Direktor Dr. Deutsch in Fürth.)  

24) = Geld auszugeben in seiner Zeit das bringt Profit. Die Kenntnis des Holländischen, die aus der Anführung dieses Sprichwortes hervorgeht, verdankte Gl. wohl ihrem Geschäftsverkehr mit Holland oder mit den in Hamburg zahlreich wohnenden Niederländern. „Schon die Wiedergabe des holländischen g durch ch deutet darauf hin, daß sie die Sprache durch mündliche Uebung, nicht durch die Schrift kennen gelernt hat.“ Landau, Die Sprache der Glückel von Hameln, Mitteilungen der Gesellsch. f. jüd. Volkskunde, Jahrgang 1901, Seite 25.  

25) Von der im Buche der Richter (1, 26) erwähnten Stadt Lus wird im Talmud, Traktat Sukka fol. 53 a und Sota fol. 46 b die Legende erzählt, daß der Todesengel dort keine Gewalt gehabt habe und daß Greise, die des Lebens überdrüssig waren, die Stadt verließen, um außerhalb der Mauern zu sterben.  

26) Juda Loeb, Sohn des Chaim Hameln, starb am 17. Tamus 5461 = 1701. (Grabstein Nr. 1221 auf dem alten jüdischen Friedhof zu Altona.)  

27) Ausspruch des Königs David, als sein kleiner Sohn von der Batseba gestorben ist (2. B. Samuel 12,23).