BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Philipp Moritz

1756 - 1793

 

Blunt oder der Gast

 

1780/81

 

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Blunt oder der Gaſt.

Ein Schauſpiel in einem Aufzuge.

 

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Vorrede.

 

Ohne zu wiſſen, daß Lillo den Stoff zu dieſem Stück ſchon be­arbeitet hat, und ohne einmal die Ballade *) zu kennen, woraus derſelbe genommen iſt, veranlaßte mich eine dunkle Erinnerung aus meiner Kindheit, wo ich dieſe Geſchichte hatte erzählen hören, ſie dramatiſch zu bearbeiten. Ich entwarf einzelne Scenen davon, welche ich im 25ſten, 29ſten und 33ſten Stück der Berliner Litteratur- und Theaterzeitung vom Jahr 1780 drucken ließ, wo ſie, ſo viel ich aus mündlichen Urtheilen von Kennern ſchließen konnte, nicht ohne Beifall aufgenommen wurden. Wie mir nun die Zuſammenſetzung und Verbindung des Ganzen gelungen iſt, darüber muß ich das Urtheil der Kunſtrichter erwarten, wenn anders dieſer Verſuch ihre Aufmerkſamkeit verdienen ſollte.

 

 

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Perſonen:.

 

Blunt.

Sein Weib Gertrude.

Adelheid ihre Tochter, ein Kind von acht Jahren.

Der Bürgermeiſter Blunt.

Mariane ſeine Tochter.

Ein Fremder.

 

 

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Mitternacht.

(Eine düſtere Lampe brennt auf einem Tiſche. Blunt und ſein Weib Gertrude, in alte Decken gehüllt, ſitzen am Tiſche. Adelheid, ihre Tochter, ein Kind von acht Jahren, ſchläft auf einem Stuhle.)

 

Gertrude. Was ſitzeſt du da, Mann, und ſiehſt aus, als ob du mit Mord umgiengeſt?

Blunt. Stille, liebes Weib, ſtille! – wecke mich noch nicht auf – ich habe dir eben einen herrlichen Traum gehabt, aber – hin iſt er!

Gertrude. Gott, ſteh mir bei, ſeine böſe Stunde kömmt!

Blunt. Hin iſt er – und, Fluch dir, daß du es mir entriſſen haſt, das ſüſſe Blendwerk, das meiner Seelen ein Labſal reichte, das ſie in zehn Jahren nicht geſchmeckt hat!

Gertrude. Er ſchläft und träumt mit ofnen Augen – und meine Augen haben keine Thränen mehr – Gott, mach' unſerm Leiden ein Ende!

Blunt. So recht! – Bete, Weib, immer bete! Ich will nachbeten: Gott mach unſerm Leiden ein Ende!

Gertrude. Erweiche ſein hartes Herz, und gieb ihm Thränen!

Blunt. Erweiche mein hartes Herz – nicht! und gieb mir – keine Thränen! – – Höre auf zu beten, Weib! Ich will keine Thränen, ich will Blut, Blut!

Gertrude. Morde mich, Mörder, und ſtille deinen Blutdurſt!

Blunt. Dich nicht, liebes Weib, dich nicht – du ſollſt noch an meiner Glückſeeligkeit Theil nehmen – und überdem ſollte es ja auch ein Mann ſeyn, den ich ihm opferte – Laß das gut ſeyn! – Sieh wie der Mond durch unſre alten zerbrochnen Fenſter ſcheint – So ſchien er auch einſt, als ich noch der feurige Jüngling war, mein edles Roß beſtieg, und zu dir flog in die Arme der Liebe, – und alle deine Anverwandten wünſchten dir Glück, daß Blunt. dich zum Weibe nahm – aber dein alter Vater ſah dich an, und ſagte –

Gertrude. Es wird ein Schwerdt durch deine Seele gehn – –

Blunt. Recht, ſo wars! Was es doch für eine herrliche Sache ums Gedächtnis iſt, daß einem die Sachen, und ſogar die Worte wieder beifallen – Und als du mir einen Sohn gebahrſt –

Gertrude. Ach, zum Elende hab' ich ihn geboren!

Blunt. Noch kann ich mir ihn vorſtellen, wie er in ſeinem Huſarenhabit vor mir ſtand, und blühte wie eine Roſe – Wo liegt er begraben, Weib?

Gertrude. In den Wellen des Meeres, Böſewicht! du verſtieſſeſt ihn – weil du arm wurdeſt – Armuth und Noth hätte er gerne mit uns getragen, und du haſt ihn verſtoſſen! –

Blunt. Gott hat mich ja verſtoſſen, Weib, und er iſt doch auch mein Vater –

Gertrude. O fliehe zu –

Blunt. Störe mich nicht! – iezt halte ich mich wieder an einer ſüßen Erinnerung – weißt du noch wohl, wie wir einmal ein herrliches Gaſtmahl gaben, wo alle unſre reiche Nachbarn verſammlet waren, die ſich nicht genug über unſre Tapeten und Schildereien verwundern konnten, und ſagten, daß ſie im churfürſtlichen Schloß nicht ſchöner wären – Stopfe doch einen Lumpen in die Fenſterſcheibe, daß die Luft nicht ſo hereingeht! – Und wie da mein hochtrabender Bruder, der kriechende Bürgermeiſter hereintrat, und ich konnte zu ihm ſagen: ſetz dich, iſs und trink, und ſey guter Dinge! aber das ſoll er nicht zu mir ſagen, ſowahr ich lebe, das ſoll er nicht!

Gertrude. Warum nicht ſtolzer, barbariſcher Mann? – Weißt du nicht, daß wir geſtern unſern letzten Biſſen verzehrt haben, und morgen verſchmachten müſſen, wenn er ſich unſrer Noth nicht annimmt?

Blunt. Er ſoll ſich unſrer Noth nicht annehmen! – Fluchen will ich ihm, ſo lange meine Zunge noch ſtammeln kann, dem niederträchtigen, hohnlächelnden Verräther, der meiner im Unglück ſpotten, und ſagen konnte: Blunt, du biſt tief geſunken! – Aber höre Weib, Gefährtin meines kummervollen Lebens, ich will dir ein Geheimniß entdecken – wenn du ſchweigen und gehorchen kannſt – Mein Demon, wie du weißt, der mich oft des Nachts aus dem Schlafe ſchüttelt, und mir zuruft: Blunt, Blunt, du ſollſt noch einmal reich werden, reicher wie zuvor! – der führte mich eben itzt, da ich hier ſitze, und träume, auf eine ſteile Anhöhe, und zeigt mir unſägliche Schätze, und einen Pallaſt, der von Golde flimmerte, daß mir die Augen dunkel wurden, – und dies alles ſoll dein ſeyn, ſagte er, wenn du mir das Blut eines Mannes opferſt, den ich dir ſenden will! – Und ich ſchwur, die Haut ſchauderte mir, aber ich ſchwur: Sende mir den Mann, und ich will ihn opfern! bei allen Teufeln, ich will ihn opfern! (Die Lampe verliſcht.)

Gertrude. Ich bitte dich, Mann, höre auf – mir wird der Kopf ſchwer – Gönne mir doch eine Viertelſtunde Schlaf!

Blunt. Ja! – leg du dich mit dem Kopf auf den Tiſch, und ich will mich hier auf die beiden Stühle legen, und meine müden Glieder erquicken. Hätten wir den Fremden nicht beherbergt, ſo könnte wir im Bette ſchlafen; doch iſts auch recht gut, daß wir den Fremden beherbergt haben – Wie mir das im Kopf herumgeht – halb bin ich ſchon im Schlafe, und immer geht's mir noch im Kopf herum – Gute Nacht, Gertrude!

Gertrude. Gieb ihm Schlaf, gütiger Gott, daß ſeine zerrütteten Sinne ſich wieder ſammlen, und bewahre ihn vor gottloſen Gedanken, und läſterlichen Träumen! Ich will doch verſuchen, ob ich einſchlafen kann – wenn auch nicht – der Fremde wird uns ſein Nachtlager wohl gut bezahlen! (legt ſich mit dem Kopf auf den Tiſch.)

Adelheid. (ſpringt vom Stuhl auf, und läuft ihrer Mutter in die Arme.) Mutter! Mutter!

Gertrude. Was iſt dir, Kind?

Adelheid. Ach ſiehſt du ihn nicht, ſiehſt du ihn nicht?

Gertrude. Wen?

Adelheid. Den Mann mit dem blanken Schwerdt und mit den glühenden Augen – wie er auf mich zukömmt! – O hülle mich in deine Decke!

Gertrude. Das iſt ein Leiden mit dir, daß du immer Geſichte ſiehſt! – Komm hierher an Fenſter, und reibe dir die Augen aus!

Adelheid. Das iſt ja auf einmal ſo helle, Mutter, und iſt doch kein Licht in der Stube.

Gertrude. Siehſt du nicht, daß der Mond ſcheint?

Adelheid. Ach ja! wie er da ſo hell und klar am Himmel ſteht! Aber ganz klar iſt er doch nicht. Das Schwarze iſt ja wohl der Mann im Mond, nicht wahr, Mutter?

Gertrude. O ſchweig, Mädchen, und ſetze dich wieder auf den Stuhl hin! Oben auf dem Boden liegt noch ein Bund Heu, da hätteſt du dich gleich hinlegen ſollen, ſo hätteſt du ruhig geſchlafen. – Setz dich hin! –

Adelheid. Aber liebe Mutter, ſchläft denn der fremde Herr noch in unſerm Bette?

Gertrude. Freilich.

Adelheid. O ich bin ihm recht gut! Es iſt auch ein hübſcher Herr – er ſagte ſo freundlich gute Nacht zu mir – Wenn er nur gut ins unſerm Bett ſchläft, ſo will ich gern auf den Stühlen liegen! – Da hängt noch ſein Überrock auf meinem Stuhle. Was das für goldne Treſſen ſind, und die Knöpfe, ach die blitzen! Ich muß ihn nur da wegnehmen, daß er nicht herunterfällt – weiß ich doch nicht, was unten oder oben iſt – Ach, was fällt da aus der Taſche heraus? wenn es nur nicht entzwei geht! Ich wills geſchwinde wieder aufheben – Hab' ich doch in meinem Leben ſo eine ſchöne Doſe noch nicht geſehn – Da oben ſteht gar ein Bild – ich kann nur nicht recht erkennen –

Gertrude. Was haſt du vor, Mädchen, kannſt du nicht ruhig ſeyn, und ſchlafen?

Adelheid. Ach Mutter, ſieh einmal! (zeigt ihr die Doſe.)

Gertrude. (die ſie nimmt, und aufmerkſam betrachtet) Das muß ein reicher Gaſt ſeyn, den wir beherbergen – Wo haſt du die Doſe her?

Adelheid. Als ich den Überrock weghängen wollte, fiel ſie aus der Taſche. Nun? – wenn wir ſie beſehn haben, ſo wollen wir ſie gleich wieder hineinſtecken!

Gertrude. (betrachtet noch immer die Doſe. Adelheid ſteht neben ihr. Eine Pauſe.)

Blunt. (erwacht.) Bei allen Teufeln, ich will ihn opfern!

Gertrude. (fährt zuſammen) Wen?

Blunt. Unſern Gaſt!

Gertrude. Was ſagſt du?

Blunt. Nichts! – Zeig, was haſt du in der Hand, das mir ſo in die Augen blitzt?

Gertrude. (giebt ihm die Doſe) Sieh!

Blunt. Ei ſieh! – Eine goldne Doſe mit Brillanten beſetzt? Was meinſt du wohl, wieviel die werth wäre? – Höre, du Mädchen, auf dem Boden liegt noch ein Bund Heu – da leg dich hin, und ſchlaf! – Du magſt ja ſonſt gern im Heu ſchlafen.

Adelheid. Ach Vater, laßt mich doch unten bleiben! Auf dem Boden ſteht die Luke offen, da können ja Eulen und Fledermäuſe hereinkommen.

Blunt. Du kannſt die Luke zumachen – geh hinauf, ſag' ich! – (Adelheid geht.) Komm Getrude! – Nimm die eiſerne Schaufel und den Spaden, die da hinterm Ofen ſtehn, und folge mir!

Gertrude. Was willſt du machen?

Blunt. Folge mir!

 

 

Eine Kammer.

 

Der Fremde. (halbangezogen, ſitzt auf dem Bette.) Schon ein Uhr – Müde bin ich, daß mir die Augen zufallen möchten, und doch kann ich nicht einſchlafen – Wie mir das Herz ſchlägt! – iſt es Freude, iſt es Furcht, die mich nicht ſchlafen läßt? – Es iſt ſo todtenſtill, ſo eng' um mich her – Aber was fürcht' ich denn, bin ich nicht in dem Hauſe meiner Eltern, und ſo nahe bei ihnen? – Schlaft wohl, gute Eltern, noch dieſe Nacht, auf euren harten Betten, und in eurer ſchlechten Wohnung! Bald ſollt ihr beßer ſchlafen, und beßer wohnen – Sind nun nicht alle, alle die Wünſche meines Herzens erfüllt? – Mariane! du willſt die Gefährtinn meines Lebens werden, und meine Eltern leben beide noch, das war ja alles, was ich während meiner langen Wanderſchaft wünſchte und hoffte – O es giebt doch noch frohe Tag' im Leben, und nun fängt es erſt an, mir wieder lieb zu werden – Wie manchen Kummer, wie manche ängſtliche Beſorgniß wird mir der morgende Tag belohnen? Wenn er doch ſchon anbräche! – – Aber horch! was war das für ein dumpfes Geräuſch, als ob einer mit einer eiſernen Schaufel in ein ſteinigtes Erdreich grübe – das iſt mir doch von Jugend auf ein widriger Ton geweſen – Noch immer währt es fort, kruſch, kruſch – wie mir's durch Mark und Bein fuhr! – Nun iſts vorbei – Nun will ich doch verſuchen, ob ich einſchlafen kann – Vorher aber will ich noch Marianens Bild betrachten – aber ich finde die Doſe nicht? – Sollt' ich ſie vielleicht im Überrock gelaſſen haben? – o wie unangenehm iſt wir das, koſtbares Geſchenk, auch nur auf eine kurze Zeit, dich zu entbehren – – Doch ich will einſchlafen, damit ich deſto heitrer wieder erwachen kann! – Aber warum hab' ich mich meinen Eltern nicht entdeckt? – wunderbar! was ſchadet's denn? Wie kann ich mir darüber Vorwürfe machen? – Als ob es nicht Morgen – Morgen eben ſo gut geſchehen könnte, wenn dieſe ängſtliche Nacht vorüber iſt – und warum wäre ſie denn ängſtlich? – – Kruſch, kruſch – ſchon wieder hebt das fatale Geräuſch an – Ich muß doch ſehn, was da für ein Nachtgeiſt iſt, der ſo ſpät vielleicht noch eine n Schatz graben will – (tritt ans Fenſter) hier ſeh' ich nichts, als eine Mauer, die ſo dicht am Fenſter iſt, daß der Mond kaum dazwiſchen ſcheinen kann – Wie enge wird es hier um mich her, Gott! wie enge! wie enge! – Welch eine Angſt, welch ein Toben in meiner Bruſt! – O ich kann nicht hier bleiben, ich will meine Eltern aus dem Schlafe wecken, und ihnen zurufen: Ich bin eur Sohn, ich bin eur Sohn! – Aber würde ich nicht dadurch ihre erſte Freude in Schrecken verwandeln? – Und ſoll ich den Eingebungen einer thörichten Furcht gehorchen, die ganz gewiß blos ein Werk meiner erhitzten Einbildungſkraft iſt? – Nun hat das Graben aufgehört – Aber hört' ich nicht jemand gehen? – es kömmt immer näher – gerade auf meine Kammer zu – ob ich die Thüre verrammle? – –

 

(Adelheid ſtürzt wild herein.)

 

Der Fremde. (betroffen) Was ich doch für ein Thor war! – Was willſt du, liebes Kind?

Adelheid. Ach, laßen Sie mich doch hier bei Ihnen in der Kammer bleiben. Ich will mich neben Ihrem Bette auf die Erde legen, und will ganz ſtille liegen!

Der Fremde. Was fehlt dir? Du ſiehſt ſo wild, ſo verſtört aus, warum biſt du denn aufgeſtanden?

Adelheid. Ach, ich lag auf dem Heuboden, und wollte ſchlafen, aber ich konnte nicht – Da war es immer, als ob einer grübe, und dann kam ein gräßlicher Vogel in die Luke herein, und gerade auf mich zugeflogen. Da fürchtete ich mich, und lief herunter.

Der Fremde. Warum haſt du denn aber nicht im Bette geſchlafen?

Adelheid. Ja, wir haben keins mehr, wie dies eine. Die andern ſind uns weggehohlt worden, weil ſie der Vater verkauft hat.

Der Fremde. Wo ſchlafen denn itzt deine Eltern?

Adelheid. Auf den Stühlen.

Der Fremde. (für ſich) Entſetzlich! So gar weit konntet ihr herabſinken von eurer vorigen Gröſſe, wovon mir noch ein dunkles Bild aus den Jahren meiner Kindheit vor den Augen dämmert. Und ich machte euch eine ſchlafloſe Nacht? – Aber ich wollte auch von einem der froheſten Tage in eurem Leben gern von ſeinem Anfange an ein Zeuge ſeyn. – Wollte eure ganze Noth ſelbſt kennen lernen, weil ihr zu ſtolz dachtet, ſie jemanden zu entdecken. – Wollte – ja was wollt' ich? – und wenn es auch Grille wäre. Warum ſollte ich den gerade dieſe unſchuldige Grille unterdrücken, eine Nacht unerkannt in dem Hauſe meiner Eltern zuzubringen? – Wem ſchadet ſie? – Zwar Mariane rieth es mir ab – aber doch wollte ſie mir auch nicht mein Vergnügen rauben, wie ſie ſahe, daß ich darauf beſtand. – (zu Adelheid.) Hör' einmal, ſäheſt du es wohl gerne, wenn ich hier bei deinen Eltern bliebe? –

Adelheid. O, wenn Sie doch bei uns blieben, – Ich wollte Sie ſo lieb haben, als ob Sie mein Bruder wären –

Der Fremde. Haſt du denn einen Bruder, daß du weiſt, wie lieb man einen Bruder hat?

Adelheid. Ach nein! – Ich habe einen gehabt – den hab' ich aber gar nicht gekannt, und der ſoll auch ſchon lange todt ſeyn, ſagen meine Eltern – er ſoll im Waſſer ertrunken ſeyn – ich habe oft geweint, wenn ichs gehört habe – denn da iſt unſers Nachbars Tochter, die hat einen Bruder, den hat ſie ſo lieb – ich aber bin ganz allein, und habe weder Bruder noch Schweſter.

Der Fremde. Gehſt du denn nicht zuweilen zu deinem Onkel, der am andern Ende der Stadt wohnt?

Adelheid. O ja, da geh ich wohl zuweilen hin. Der Onkel ſpricht auch eben ſo freundlich zu mir, wie Sie, und manchmal ſchenkt er mir auch was. Das darf aber mein Vater nicht wiſſen, ſonſt wär' ich ein unglückliches Kind.

Der Fremde. Warum darf das dein Vater nicht wiſſen?

Adelheid. Ja der mag den Onkel gar nicht leiden, und ſagt immer, wenn ich zu ihm gienge, ſo wollte er mich todtſchlagen.

Der Fremde. Kennſt du denn auch des Onkels ſeine Tochter wohl?

Adelheid. Marianen? – o ja! kennen Sie die auch? – o der bin ich recht gut, und ſie iſt mir auch gut – ſie nimmt mich immer auf den Schooß, und erzählt mir allerlei ſchöne Geſchichten, und ſagt, ich ſoll meinen Eltern hübſch gehorſam ſeyn.

Der Fremde. Biſt du denn das auch?

Adelheid. Ach nicht immer – denn ich gehe ja doch zuweilen zum Onkel hin, ob es der Vater gleich verboten hat – Ach der Onkel iſt immer ſo gut – aber mein Vater ſieht manchmal den ganzen Tag ſo böſe aus, und ſpricht kein Wort mit mir, und dann iſt er oft ſehr zornig, und ſchlägt mich. – – Aber ſagen Sie mir doch einmal, warum wohnt denn der Onkel in ſo einem groſſen ſchönen Hauſe, und in einer Straße, wo lauter ſchöne Häuſer ſtehn, und wir müſſen hier drauſſen wohnen, in ſo einem kleinen Hauſe, das halb in die Erde gebaut iſt.

Der Fremde. Das macht, weil dein Onkel reich iſt, und dein Vater nicht.

Adelheid. Warum iſt denn der Vater nicht reich?

 

(Blunt mit einem Licht tritt herein.)

 

Blunt. Was machſt du hier, Mädchen, und ſtörſt den Herrn in ſeiner Ruhe?

Der Fremde. Laſſen Sie's immer gut ſeyn! Wir plaudern ein wenig zuſammen, und ich konnte ohnedem nicht einſchlafen.

Blunt. Wenn Sie noch nicht geſchlafen haben, ſo werden Sie nun gewiß müde ſeyn. Komm Mädchen – ſag dem Herrn Gutenacht!

Adelheid. O ſchlafen Sie recht wohl! (giebt ihm die Hand.)

Der Fremde. (drückt ſie feſt an ſeine Bruſt und küßt ſie) Schlaf auch du wohl, liebes Mädchen, ſchlaf ſanft und wohl, bis ich dich Morgen wiederſehe! – dann wollen wir noch mehr miteinander ſprechen.

Blunt. Komm, Adelheid! – Schlafen Sie wohl, mein Herr! – Wir ſind arme Leute – Sie müſſen ſchon einmal eine Nacht ſo mit uns vorlieb nehmen! (geht ab.)

Der Fremde. Mein Vater! – wie mir das Wort auf der Zunge erſtarb, als ich es auſſprechen wollte – Mein Vater! – Welche Güte! welche Beſorgniß für einen Fremden! – o ſein Herz iſt gut, wenn gleich das Alter ihn mürriſch gemacht, und der Kummer ſeine Stirn in düſtre Falten gezogen hat. – Itzt hätte ich mich ihm entdecken ſollen – aber warum denn itzt? – – Ich will nun mit den frölichen Gedanken einſchlafen, wie ich mich morgen meinen Eltern nach und nach zu erkennen geben werde – erſtlich will ich ihnen den Irrthum zu benehmen ſuchen, als ob ihr Sohn todt wäre; dann will ich ſie allmälig auf ſeine Ankunft vorbereiten, und ihnen zuletzt zu verſtehn geben, daß er in der Nähe ſey – bis ſie endlich fragen, wo iſt unſer Sohn, wo iſt unſer Wilhelm? und ich ihnen dann um den Hals falle, und ſage: ich bins! ich bins! – – Wie ruhig iſt nun meine Seele! – alle Schreckenbilder meiner Einbildungſkraft ſind verſchwunden – und ſanfter, ſtiller Friede kehrt wieder in meine Bruſt zurück. – In die Arme deiner Liebe will ich mich werfen, Allgütiger! – wie ſanft werde ich da ruhen – wie ſanft – (legt ſich nieder.)

 

 

Des Bürgermeiſter Blunts Wohnung.

Der Bürgermeiſter. Mariane.

 

Der Bürgermeister. (im Schlafrock vor dem Schreibtiſch) Wenn ich doch einmal mit der verdrießlichen Arbeit fertig wäre! – Daſs auch das gerade zuſammentreffen muß – morgen ſoll einer der froheſten Tage in meinem Leben ſeyn, und ich muß nun gerade die Nacht arbeiten – und morgen wird' ich ſchläfrig und träge ſeyn, und mein Vergnügen nur halb empfinden – (Mariane tritt herein) Woher meine Tochter? – ich dachte du ſchliefeſt noch ſo feſt, da du erſt vor ein paar Stunden zu Bette gegangen biſt. –

Mariane. Ach, mein Vater, ich habe kein Auge zugethan – wenn doch Wilhelm bei uns geblieben wäre! –

Der Bürgermeister. Aber ſo laß doch die thörichten Grillen fahren! – Was kann ihm denn für ein Unglück begegnen, da er in ſeiner Eltern Hauſe iſt – und die Straße von hier bis dahin iſt nicht unſicher, wie du weißt – alſo iſt deine Beſorgniß ſehr ungegründet.

Mariane. Warum folgte er aber meinen Bitten nicht, und blieb die Nacht über bei uns zu Hauſe, und gieng lieber bei Tage zu ſeinen Eltern?

Der Bürgermeister. Warum wollteſt du aber dem guten Jungen nicht das Vergnügen gönnen, ſeinen Eltern eine ganz unerwartete Freude zu machen? – Horch! es ſchlägt erſt zwei Uhr – immer leg dich wieder zu Bette – du verdirbſt dir ja ſonſt muthwilliger Weiſe den morgenden Tag, wie ich es leider thun muß.

Mariane. O ich kann unmöglich wieder einſchlafen, mein Vater – und doch wollt' ich Sie auch nicht gerne ſtören – aber allein zu ſeyn, das iſt mir gar zu peinlich. – Laßen Sie mich hier für mich in einem Buche leſen – das ſtört Sie doch nicht?

Der Bürgermeister. Wie du willſt. – Da liegt ja noch dein Buch von geſtern aufgeſchlagen – aber nein – mach lieber's Buch zu – ich muß mich ohnedem ein wenig von meiner Arbeit erholen – und ſo lange will ich mit dir plaudern. – Höre, vor acht Tagen hätten wir doch das beide noch nicht gedacht, was wir nun wiſſen – und wer es uns hätte ſagen wollen, dem hätten wir's nicht geglaubt. –

Mariane. O ja, ich hätte es doch geglaubt, mein Vater, weil ich es immer ſo herzlich wünſchte, daſs doch die Nachricht von Wilhelms Tode, ſein Schiffbruch, alles, erdichtet ſeyn möchte. –

Der Bürgermeister. Das heißt zwar ſonſt wohl: aus den Augen, aus dem Sinn – aber wir haben ihn doch die ganzen zehn Jahr über nicht vergeſſen – auch nicht einmal, da wir ſchon gewiß glaubten, daſs er todt wäre. –

Mariane. Das freuet mich nun eben am meiſten – und daſs ich den Entſchluß faßte, gar nicht zu heirathen, wenn er nicht wiederkäme – das iſt mir nun ſo lieb, und Ihnen wird's gewiß auch lieb ſeyn. –

Der Bürgermeister. Ja, das iſt es nun – ob ich gleich damals gar nicht damit zufrieden war – denn wer konnte ſo etwas in aller Welt vorauſſehen? –

Mariane. Und doch iſt es geſchehen – an weiter will ich nichts denken. – Sehen Sie, wie hell der Mond ſcheint – ich möchte beinahe ein wenig im Garten ſpatzieren gehen – es iſt ſo eine ſchöne Nacht. –

Der Bürgermeister. Bleib oben, meine Tochter, es iſt noch zu kühl draußen – warte lieber den ſchönen Tag ab, der gewiß auf dieſe Nacht folgen wird. –

Mariane. O kommen Sie wenigſtens einmal mit ans Fenſter, lieber Vater – ſehen Sie wohl das grüne Plätzchen zwiſchen den Bäumen, das gerade iezt der Mond beſcheint? –

Der Bürgermeister. O ja, ich habe dich auch ſchon oft da gefunden.

Mariane. Das iſt eben das Plätzchen, wo ich mit Wilhelm zu ſpielen pflegte, als wir beide noch Kinder waren – da ſpielten wir auch einmal Verſtecken's – er war auf die große Linde geklettert, die Sie da ſehen, und hatte ſich in den Zweigen verſteckt, – wir ſuchten ihn allenthalben, – auf einmal hörten wir einen Aſt auf dem Baume brechen, und in dem Augenblicke fiel auch Wilhelm von oben herunter – mir geht noch ein Schauder über, wenn ich daran denke, – er aber hatte nicht den geringſten Schaden genommen, ſtand geſchwind wieder auf, und ſagte: wenn ich nur nicht herunter gefallen wäre, ihr hättet mich lange ſuchen ſollen!

Der Bürgermeister. Ja, ſo vielen Gefahren iſt man doch von ſeiner Kindheit an auſgeſetzt – und was noch das ſonderbarſte iſt, ſo wird einer oft aus den größten Gefahren glücklich errettet, und in der kleinſten kömmt er um. – Da erhielt ich geſtern noch eine traurige Nachricht, von einem würdigen Officier, meinem ſehr guten Freunde, der ſechs Bataillen mitgemacht hat, und nun an einem Stückchen Glaſe geſtorben iſt, das er ſich in den Finger geſtoßen hat. –

Mariane. O das iſt ſchrecklich! – Wilhelm hat auch ſo manche große Gefahren glücklich überſtanden – wenn nun der kleinſte Zufall –

Der Bürgermeister. Aber das ſind ja nur äußerſt ſeltne Fälle, meine Tochter – dadurch muß man ſich nicht zu einer ungegründeten Furcht verleiten laßen – ſonſt hätte man ja keine vergnügte Stunde auf der Welt. – Es giebt wieder tauſend Menſchen, die nach vielen überſtandnen Gefahren ein hohes Alter erreicht haben, und eines ruhigen Todes geſtorben ſind; – aber wie kommen wir denn auch auf ſo eine ernſthafte Materie? – Laß uns davon abbrechen. –

Mariane. Ja, laßen Sie uns davon abbrechen – mir wird das Herz ſo ſchwer – o laßen Sie uns morgen ja recht früh hingehen, um ihn in aller Frühe zu überraſchen! –

Der Bürgermeister. Was iſt dir? – du ſiehſt ſo blas aus, Kind?

Mariane. Mein Herz iſt ſo beklemmt – o kommen Sie, und laßen Sie uns ein wenig in die freie Luft gehen.

Der Bürgermeister. Herzlich gerne, Mariane – erhole dich nun wieder! – und ſey mir nicht ſo ängſtlich mehr! – (Gehen ab.)

 

 

Blunts Wohnung.

Gertrude. Blunt.

 

Gertrude. Ach höre mich Blunt! – Warum ſtehſt du nun ſeit einer Stunde da, und redeſt kein Wort, und ſiehſt ſo ſtarr aus den Augen – Du haſt mich blutrünſtig geſchlagen, daſs ich dir helfen mußte, die Grube graben, – ich will der Schläge nicht achten – aber höre mich nur an, und antworte mir – Blunt, was willſt du thun? – wozu ſoll die Grube?

Blunt. Laß mich zufrieden, Gertrude! – Nichts will ich thun – hernach will ich dir's ſagen – du weißt ja wohl, an dem Orte. wo wir gruben, liegt der Schatz verborgen, wovon ich ſchon ſo lange geträumt, und wovon ich dir ſchon ſo lange geſagt habe. –

Gertrude. Ach, Blunt, baue doch nicht auf eitle Träume, ich bitte dich, und ſchlage dir doch einmal die Gedanken an irdiſche Reichthümer aus dem Sinn – was man wünſcht, davon träumt man auch. – Glaube mir, du biſt auf dem unrechten Wege. – Vorige Woche nahmſt du dir feſt vor, ein andrer Menſch zu werden – geſtern abend fiengſt du an, mit mir zu beten, und dein Gebet verwandelte ſich in Gottesläſterung. Sieh ich bin dein Weib – habe bis hierher Gutes und Böſes mit dir ertragen. – Höre mich noch einmal an! – Ach Blunt, deine Verzweiflung nimmt zu. – Jetzt iſt die Stunde der Verſuchung – Was du auch im Sinn haſt – ach, ich bitte dich um Gotteswillen – kämpfe! – kämpfe!

Blunt. Siehſt du denn nicht, daſs ich kämpfe, Weib? – So lang' ich hier ſtehe kämpf' ich ſchon. –

Gertrude. Du kämpfeſt? – Nun ſo unterſtütze dich Gott in dieſer ſchrecklichen Stunde, und gebe mir Kraft dir beizuſtehn! – Ach dein Herz war ſonſt ſo gut – iezt iſt es voller Haß, Groll und Feindſchaft – o laß es doch noch einmal zu Thränen erweicht werden! – Bedenke die kurze Zeit, die wir noch zu leben haben! – Laß uns morgen anfangen, Blunt, ein anderes Leben zu führen! – Laß uns unſer Kind zur Frömmigkeit erziehen – ach es hat viel Böſes von uns gehört und geſehen – mit Unzufriedenheit und Murren gegen Gott haben wir oft den Tag angefangen, und mit ſündlichem Undank haben wir ihn geendigt; – noch iſt es Zeit, um Vergebung zu flehen – ach komm, Blunt, und laß uns niederknien vor Gott, und ihm mit Thränen der Reue Beßrung angeloben. –

Blunt. Noch kann ich nicht, Gertrude!

Gertrude. Nein, noch kannſt du nicht – du mußt dich erſt loßreißen von deiner ſündlichen Begierde nach Reichthum – und mußt dich erſt im Herzen mit deinem Bruder verſöhnen. – Höre mich, Blunt – wir ſind reich geweſen, und ſind arm geworden – laß doch alles dahin fahren! – es iſt ja doch nur Tand und Blendwerk, was man ſo bald verlaßen muß. – Verſöhne dich mit deinem Bruder! Laß uns beten und arbeiten. – Laß uns die paar Tage, die wir noch zu leben haben, ſo gut anwenden, wie wir können – und wenn wir dann ein ruhiges und zufriednes Herz haben – was fragen wir nach allen Schätzen der Erde. – Glaube mir nur, Blunt, wir wollen gewiß noch glücklich ſeyn! –

Blunt. Höre, Gertrude – kannſt du wohl angezündetes Pulver löſchen? – (will gehen)

Gertrude. Ich verſtehe dich nicht – wo willſt du hin?

Blunt. Ich will hin, und Bretter und Steine über die Grube legen, damit ſie bei Tage niemand ſieht – und morgen Nacht wollen wir tiefer graben – ſey du nur ganz ruhig und unbekümmert! – ich hoffe nun ſoll alles noch ein gutes Ende nehmen. (geht ab.)

Gertrude. Dieſe Sprache hör' ich itzt von ihm zum erſtenmale! – Gott, was mag er im Sinne haben! – Erſt ſprach er noch von Blut und Tod – und auf einmal ſcheint er nun ſo ruhig zu ſeyn, und doch iſt ſeien Miene ſo fürchterlich – das bedeutet nichts Gutes – Seine Sinne ſind zerrüttet – Welche Angſt! – als ob mir das Herz zerſpringen wollte – Sollt' er wohl? – ſchrecklicher Gedanke! – o ich muß ihm nach! ich muß ihm nach! wenns nur nicht ſchon zu ſpät iſt – Herr Gott, ſende deinen Engel, der ihn abhält, bis ich komme.

 

 

Die Kammer des Fremden.

(Welcher halbentkleidet auf dem Bette liegt, und eingeſchlafen iſt.)

 

Blunt. (In der einen Hand ein Licht, und in der andern ein langes Meſſer, tritt herein, und ſchließt die Thüre hinter ſich zu. Er ſetzt das Licht auf den Tiſch, ſtellt ſich über das Bette, und zuckt das Meſſer.)

Gertrude. (draußen, klopft ſtark an die Thüre) Blunt! Blunt! was willſt du thun? – O mach auf, ich bitte dich um Gotteswillen, mach auf!

Blunt. (Läßt das Meſſer ſinken – er zuckt es zum zweitenmale.)

Gertrude. (klopft noch ſtärker) Ach, Blunt, Blunt, mach auf! –

Blunt. (Läßt noch einmal das Meſſer ſinken – ſchnell aber zuckt er es zum drittenmale – ſeine Hand zittert noch –)

Gertrude. (Thut noch einen ſtarken Schlag an die Thüre).

Der Fremde. (erwacht, und indem er ſeine Augen aufſchlägt, ſagt er mit zitternder Stimme) Mein Vater!

Blunt. Was? – dein Vater? Nicht dein Vater! (er kämpft noch mit ſich ſelber – ſeine Hand bewegt ſich konvulſiviſch hin und her – er will dem Fremden das Meſſer an die Gurgel ſetzen –)

Der Fremde. (ergreift ſeine Hand, und ſagt mit freundlichbittender, bebender Stimme) O mein Vater! –

Gertrude. (draußen). Ach, Blunt, um Gotteswillen! –

Blunt. (nach einem kurzen Kampf). Hinweg, verfluchtes Meſſer! ich hab' dich überwunden! (wirft das Meſſer weit weg) Dank! Dank! Dank! dir, Gertrude, ich hab' überwunden! Komm herein und ſieh (er macht auf) ſieh ich hab' überwunden! – Da liegt das verfluchte Meſſer –

Der Fremde. (ſpringt auf und fällt Blunt mit Schluchzen um den Hals). O mein Vater! mein Vater!

Blunt. O junger Mann – du kannſt mich Vater nennen, da ich im Begriff war, dein Mörder zu werden – Aber tauſend Dank! tauſend Dank! daß Sie erwacht ſind! – Ach, Gertrude, wie leicht iſt mir auf einmal mein Herz! – Ich bin aus einem ſchweren Traume aufgewacht, aus einem ſchweren Traume – Wo iſt Adelheid? – ruf ſie doch! – o wäre iezt mein Bruder hier, ſieh, Gertrude, alles wollt' ich ihm vergeben – ich wollte – in dieſem Augenblick wollt' ich mich mit ihm verſöhnen!

Gertrude. (ruft Adelheiden).

Der Fremde. (umarmt, nach der Reihe, Blunt, Gertrude und Adelheid). Mein Vater! – meine Mutter! – meine Schweſter! – Betrachtet mich inskünftige als euren Sohn! betrachte du mich als deinen Bruder! –

Blunt. Sieh, Gertrude, welche himmliſche Güte! – er war unſer Gaſt, und ich wollt' ihn im Schlaf ermorden – mein Blut und meine Thränen hätten die Sünden nicht wegwaſchen können, wenn ich's gethan hätte –

Adelheid. Sind Sie denn ſchon ſo früh aufgeſtanden? Sie haben die Nacht wohl wenig geſchlafen?

Der Fremde. Ich habe genug geſchlafen –

Blunt. Er hat genug geſchlafen, Adelheid – es war gut, daß er aufwachte – Komm, Adelheid, komm auf meinen Schoos, und küſſe mich!

Adelheid. Ach, lieber Vater, ſind Sie mir denn nun wieder recht gut?

Blunt. Ja, meine Tochter, ja!

Adelheid. Aber wollen Sie auch dem Onkel und Marianen gut ſeyn?

Blunt. Auch das will ich, Adelheid, Gertruden, dir, meinem Bruder, meinen Feinden, allen Menſchen will ich gut ſeyn! (man klopft an die Thüre.)

Gertrude. (macht auf).

 

Der Bürgermeiſter und Mariane.

 

Blunt. Willkommen, Bruder! (giebt ihm die Hand) Sieh, Gertrude, wie mich der Himmel beim Worte hält – nun iſts recht gut ſo – o ich bin ſo froh! ſo vergnügt!

Der Bürgermeister. Alſo weißt du's doch ſchon, daß der Fremde da dein Sohn iſt? –

Blunt. Der Fremde da, mein Sohn? – nein das weiß ich nicht – das kann ich auch nicht glauben – wie wäre das möglich? – Du haſt ja ſelber die Nachricht von dem Tode meines Sohnes mit angehört –

Der Fremde. (will ſich ſeinem Vater in die Arme werfen).

Der Bürgermeister. (winkt ihm mit den Augen). Dieſe Nachricht war falſch – er war der einzige, der aus dem Schiffbruch gerettet wurde – wunderbare Schickſale hat dein Sohn erlebt, wunderbare Schickſale – aber davon ein andermal – iezt bin ich mit meiner Tochter zu dir gekommen, um an deiner Freude über ſeine Wiederkunft Theil zu nehmen – und nun gieb mir die Hand, Bruder, und laß uns unſern alten Zwiſt beilegen, und von nun an wieder Freunde ſeyn! – Dein Elend hat ein Ende, du biſt nun wieder reicher, wie ich bin – du brauchſt alſo von mir nichts anzunehmen, und darfſt nicht fürchten, daß dein Stolz beleidiget werde; denn was dein Sohn beſitzt, das gehört auch dir – alſo – gieb mir die Hand und laß uns von nun an wieder Freunde ſeyn!

Blunt. Die Hand will ich dir geben – und von ganzem Herzen will ich mich mit dir verſöhnen – aber – daß der Fremde da mein Sohn ſeyn ſoll – das Glück wäre für mich zu groß – das wäre ja, als ob Gott die entſetzlichſten Verbrechen auf friſcher That belohnen wollte – nicht wahr, Gertrude? –

Gertrude. O zweifle nicht länger, Blunt! – mir ſagt es mein Herz, daß er mein Sohn iſt – und dein Bruder wird dich nicht hintergehen –

Der Fremde. (fällt ihr um den Hals). O meine Mutter! –

Gertrude. Alſo iſts doch wahr? – So hab' ich dich wieder in meinen Armen? – dich, den ich unter meinem Herzen trug? – O laß mich – laß mich auſweinen – mein Entzücken – meine Freude – tödtet mich – Mein einzger – wiedergefundner Sohn! –

Adelheid. Alſo iſt dieſer mein Bruder, Mutter?

Gertrude. Ja, das iſt er!

Adelheid. (läuft auf ihn zu, er ſchließt ſie in ſeine Arme, und küßt ſie). O nun weiß ich, warum ich Sie ſo lieb habe, und warum Sie mir dieſe Nacht verſprachen, daß Sie bei uns bleiben wollten –

Der Fremde. Weißt du das? – liebes, gutes Mädchen!

Adelheid. Aber Mutter, warum weineſt du denn, da du deinen Sohn wiedergefunden haſt?

Gertrude. O laß mich weinen, Kind, ich weine vor Freuden –

Adelheid. Nun ſo will ich auch vor Freuden weinen, daß ich einen Bruder wiedergefunden habe! – – Marianchen! kennſt du denn meinen Bruder ſchon, daß du immer ſo freundlich mit ihm ſprichſt?

Blunt. (der die Zeit über wie betäubt geſtanden hat). Alſo wäre denn der Fremde wirklich mein Sohn?

Der Bürgermeister. Warum zitterſt du ſo? – warum verwandelt ſich deine Farbe? –Zweifelſt du noch, daß er dein Sohn iſt – nun ſo ließ dieſen Brief, den er an mich ſchrieb, ehe er kam! – Heimlich wollt' er ſeine Eltern überraſchen – die erſte Nacht wollt er ſich ihnen nicht entdecken, um ſich, auf den folgenden Morgen, das größte Vergnügen aufzuſparen. – Ließ dieſen Brief, ſag' ich, und dann zweifle noch, ob der Fremde dein Sohn iſt!

Blunt. (lieſt den Brief – er läßt ihn fallen – eine Pauſe). Ja – er iſts – er iſts – – Und ich grauer Böſewicht wollte meinen eignen Sohn ermorden? –

Der Bürgermeister. Was ſagſt du? –

Mariane. Gott, was ſagen Sie?

Blunt. Laßt mich iezt! – laßt mich iezt! – ihr ſollt alles erfahren! – (er kniet nieder und betet) Gott! – ich danke dir – daß du meinen Sohn erwachen ließeſt – ich danke dir, daß du meinen Arm zurückhielteſt, und meine Hand erſtarren ließeſt, da ich die ſchreckliche That vollbringen wollte – mein ganzes Leben – o Gott! – ich bin nicht werth der Barmherzigkeit, die Gott an mir gethan hat – Fluch und Strafe hätt' ich verdient, gerade da mir Gott die größte Freude in meinem Leben aufgeſpart hatte – Denn ſeht – vor wenig Augenblicken –

Der Fremde. (will ihn umarmen). O mein Vater! – ſchweigen Sie doch davon! –

Blunt. Laß mich erſt reden, mein Sohn, laß mich erſt meine Schuld geſtehen – dann komm' in meine Arme – – Vor wenig Augenblicken ſtand ich noch mit dem Meſſer über ſeinem Haupte – wollt' ihn im Schlaf ermorden – und hätte mein Weib nicht geklopft – und wäre mein Sohn nicht erwacht – ſo rauft' ich iezt mein graues Haar aus meinem Haupte, und verwünſchte und verfluchte den Tag meiner Geburt –

Der Bürgermeister. Wie kamſt du auf dieſen ſchrecklichen Gedanken?

Blunt. Aus Stolz und Verzweiflung – arbeiten mocht' ich nicht, und doch ſchämt' ich mich zu betteln –

Der Bürgermeister. Warum wollteſt du aber von mir keine Hülfe annehmen?

Blunt. Das weißt du! – Als ich geſtern Abend den Fremden ſahe, und ſein Gold erblickte, da wurde der Gedanke in meiner Seel' erzeugt: gottloſe, verführeriſche Träume nährten ihn, wie ich ſchlief, und die Mitternacht brütete ihn aus, daß er zum gräßlichſten Vorſatze reifte – Meinem Weibe ſagt' ich nichts, ſie mußte mir aber helfen eine Grube graben, ohne daß ſie um mein Vorhaben wußte – als ich den Mord vollbringen wollte, ſchloß ich die Thüre hinter mir zu – ſie aber klopfte mit immer ſtärkern Schlägen an, bis mein Sohn erwachte – und nun mein Sohn – Kannſt du es deinem alten Vater vergeben, daß er dich, als ſeinen Gaſt, im Schlaf ermorden wollte? –

Der Fremde. O quälen Sie mich doch nicht dadurch, daß Sie ſich ſelber Vorwürfe machen – Lag nicht die Schuld an mir? – warum entdeckt' ich mich Ihnen nicht gleich, da ich ſahe, daß Ihr entſetzlicher Zuſtand fähig war, Sie bis zur Verzweiflung zu bringen? –

Blunt. Nun ſo komm' in meine Arme! – Freilich verdien' ichs nicht! – Deine Entſchuldigung rechtfertigt mich nicht – Aber verzeihet doch ſonſt der Vater wohl dem Sohne, warum ſoll denn nicht auch der Sohn einmal ſeinem Vater verzeihen?

Der Fremde. O mein Vater! um eins bitt' ich, um eins beſchwör' ich Sie!

Blunt. Alles, mein Sohn, alles!

Der Fremde. Daß Sie von dieſer Sache inskünftige kein Wort weiter reden – daß Sie dies alles, mit mir, wie einen Traum anſehen, der nun verſchwunden iſt – gewähren Sie mir noch dieſe Bitte – dann wird meine Freude ganz ſeyn!

Blunt. Es wird mir ſchwer werden, mein Sohn, meine Zunge zu binden, daß ſie nicht von meinem ſchrecklichen Falle und von meiner wunderbaren Errettung reden ſollte – aber du willſt es – und ich will ſchweigen –

Der Bürgermeister. Nun noch ein Anliegen, Bruder, in deines Sohnes Nahmen, da du doch einmal verſprochen haſt, ihm alles zu gewähren – Haſt du was darwider, daß er mit meiner Tochter verlobt iſt? –

Blunt. Mein Sohn mit deiner Tochter verlobt – was könnt' ich darwider haben – o laß immer das feſteſte Freundſchaftſband unter uns geknüpft werden – aber das iſt zuviel auf einmal – ich kann mir alle dieſe plötzlichen Veränderungen noch nicht recht denken – es iſt mir immer noch, wie im Traume – (zu Marianen) Alſo biſt nun auch meine Tochter?

Mariane. (umarmt ihn). Ja, mein Vater, ſobald Sie es wollen!

Blunt. O ich will, ich will alles! – mit tauſend, tauſend Freuden! –

Der Fremde. (umarmt Marianen). Alſo biſt du nun ganz die meinige?

Mariane. Die Deinige – auf ewig –

Der Fremde. Sieh, nun ſind unſre Wünſche erfüllt –

Mariane. O Dank der Vorſehung, daß ſie es ſind!

Blunt. Gott! – und dieſe innige Liebe – dieſes zärtliche Band hätt' ich bald –

Der Fremde. (hält ihm den Mund zu) Mein Vater!

Blunt. Ich ſchweige, mein Sohn – aber Gertrude, warum biſt du ſo ſtumm? Hilf mir doch, mich freuen! – Die Freude wird mir allein zu ſchwer – ich kann ſie nicht ſo ertragen, weil ich ſie nicht verdient habe – deine Freude iſt gerechter als die meinige – ich darf mich noch nicht recht freuen –

Gertrude. Immer freue dich mit mir – denn das Vergangne iſt vergangen – Sieh, ich habe Gott im Stillen gedankt, und ſeiner wunderbaren Fügung nachgedacht – o meine Kinder, was ich wünſchte, wenn ich euch oft zuſammen ſpielen ſahe, da ihr beide noch klein waret, was mir ahndete, wenn ich ſchon damals eure unſchuldige Zuneigung bemerkte, das ſehe ich nun ſo plötzlich, ſo wider alles Vermuthen erfüllt, daß es mir ſchwer wird, mir dies alles auf einmal recht vorzuſtellen.

Adelheid. (zum Bürgermeiſter). O ſehn Sie, wie ſich mein Bruder und Mariane gut ſind!

Der Bürgermeister. Freuet dich das, mein Kind? – mich freuet's auch – aber höre, Bruder, wir werden iezt alle einige Erquickung nöthig haben – Gerne hätt' ich heute ein Gaſtmahl veranſtaltet – aber dein Sohn wollte ſich das nicht nehmen laſſen – auch wollt' er es nicht in meinem, ſondern in deinem Hauſe geben – es wird ſchon alles dazu eingerichtet werden, daß dieſer Tag ein froher Tag für uns ſeyn ſoll, aber du mußt auch ganz vergnügt ſeyn –

Blunt. O ich wäre der ärgſte Böſewicht, wenn ich es ſeyn könnte – Immer laßt mir dieſe Schaam, dieſe Reue – denn das iſt mir ein Zeichen, daß ich noch nicht ganz von Gott verworfen bin –

Der Fremde. O mein Vater – Ihr Verſprechen –

Blunt. Gott! was haſt du mir für einen Sohn gegeben! – Ja ich will ſchweigen, mein Sohn – aber alle Morgen und alle Abend will ich Gott auf meinen Knieen danken, daß er mir mehr Gnade erzeigt hat, als ich Strafe verdient habe.

Der Bürgermeister. Komm Bruder! – Kommt meine Kinder!

 

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*) Das ursprüngliche Geschehnis wird in einer englischen Flugschrift (black-letter quarto) von 1618 überliefert: Newes from Perin in Cornwall of a most bloody and un-exampled murther very lately committed by a father on his owne sonne (who was lately returned from the Indyes). Daraus entstand wohl später die von Moritz erwähnte Ballade. Ob diese mit einer Street Ballad des 19. Jahrhunderts identisch ist, wäre noch zu klären. 1737 verfaßte der engliche Dramatikers George Lillo (1691 - 1739) die Tragödie Fatal Curiosity, die ebenfalls auf dem Stoff der Flugschrift von 1618 beruht. [U.H.]

 

Der Text der Street Ballad ist folgender:

 

All you who have children dear,

Now hear this tale of woe,

The history of this tragedy,

I now to you will show.

 

A happy couple at Penryn,

Had a son who went to sea,

And after fifteen years returned,

His parents for to see.

 

He to their cot disguised did go,

Asked shelter from the cold,

And ere he laid him down to sleep,

Showed all his wealth and gold.

 

The mother to the father went,

In anxious breathless haste,

And told of treasure she had seen,

Around the stranger's waist.

 

The father then, by Satan led,

Did take the killer's part,

He stole the cursed gold away,

And stabbed his own boy's heart.

 

And scarce before the parents yet,

Had seen the morrow's light,

Their daughter came with joy to ask,

Of the sailor there last night.

 

She said 'It is my brother James,

Who long at sea has roved,

He's come back home to share his wealth,

With those he dearly loved'.

 

Oh when they found the murdered youth,

Was their own darling boy,

Most frightful horrors seized their minds,

And bitterly they cried.

 

The guilty pair then slew themselves,

Their sin they could not hide,

And the broken-hearted daughter,

Sank to the ground and died.

 

Quelle: Broadside Ballads: The Unnatural Murder