BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Der Cicerone

 

Malerei

 

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Antike Malerei.

 

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Vasen – Wandmalereien in Rom – Pompejanisches – Grössere Compositionen – Genre, Kleinere mythologische Bilder – Einzelmotive, Veduten von Bauten – Pompejanische Landschaften

 

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Nur ärmliche Trümmer sind uns von der antiken Malerei übrig geblieben, doch immer genug um uns ahnen zu lassen, was Griechen und Römer auf diesem Gebiete wollten und konnten. Einige bekannte Geschichten von Parrhasios, Zeuxis und andern grossen Meistern führen leicht auf den Gedanken, dass die Illusion das höchste Ziel der griechischen Maler gewesen. Nichts kann aber irriger sein. Ihnen genügte es vielmehr, wenn der Gegenstand oder das Ereigniss möglichst deutlich mit möglichst wenigen Mitteln dargestellt wurde. Sie haben weder in der Composition, noch in der Durchführung, noch in der Farbe dasjenige System erstrebt, welches der neuern Malerei zur Grundlage dient, allein was sie leisteten, muss dennoch ein Höchstes in seiner Art gewesen sein.

Eine Vorschule der griechischen Malerei gewähren uns gewisser Massen die zahlreichen Gefässe, welche hauptsächlich in den Gräbern Attica's, Siciliens, Unteritaliens und Etruriens gefunden worden sind und noch fortwährend gefunden werden. Die bedeutendste Sammlung derselben, welche es wohl überhaupt giebt, ist diejenige im Museum von Neapel. Ungleich geringer, doch unter den italienischen noch sehr ausgezeichnet erscheint die vaticanische Vasensammlung, welche mit dem Museo etrusco und mit der vatican. Bibliothek verbunden ist. Ähnlich verhält es sich mit der florentinischen (in den Uffizien; verschlossener Gang gegen Ponte vecchio hin).

Dieser ganze unübersehbare Vorrath gehört, wie man jetzt allgemein anerkennt, bei Weitem grösstentheils griechischen Thonmalern an, mochten dieselben auch z. B. in Etrurien angesiedelt sein und für [716] Etrusker arbeiten. Die Gebräuche, Trachten und Mythen, welche sie darstellen, sind fast ausschliesslich griechisch. Der Zeit nach mögen sie meist in das VI.–III. Jahrh. v. Chr. fallen; zur Zeit der Römerherrschaft über Italien wurde nicht mehr in diesem Styl gearbeitet und Pompeji liefert z. B. keine Vasen der Art mehr.

Zum täglichen Gebrauch für Küche, Tisch und Waschung haben wohl nur die Wenigsten gedient. Ihre Bedeutung ist eine festliche, man erhielt sie als Kampfpreis, als Hochzeitgeschenk u. s. w.; hatte man sie das Leben hindurch als Schmuck in der Wohnung vor sich gehabt, so erhielt sie der Todte zur Begleitung mit in das Grab. Viele aber, und zwar von den wichtigsten, wurden wohl ausschliesslich für den Gräberluxus des alten Italiens gefertigt. Rings um die Leiche herum pflegen sie in den Gruftkammern gefunden zu werden, leider fast durchgängig in einer Menge von Scherben, die sich nicht immer glücklich zusammensetzen lassen.

Es sind Gefässe jeder Gattung und Gestalt, von der riesigen Amphore bis zum kleinsten Näpfchen. Da sie aber nicht zu gemeinem Gebrauche benützt wurden, konnte man an jeder Form – Amphore, Urne, Topf, Schale, Trinkhorn u. s. w. – das Schöne und Bedeutende nach Belieben hervortreten lassen.

Mit höchstem Wohlgefallen verweilt das Auge schon bei den Formen und Profilen, welche der Töpfer dem Gefäss gab. Die strenge plastische Durchführung, welche wir an den marmornen Prachtvasen fanden, wäre hier nicht an der Stelle gewesen; was aber von einfach schöner Form mit dem Drehrad vereinbar ist, das wurde angewandt. Freilich sind die von freier Hand gearbeiteten Henkel oft ganz besonders schön und lebendig.

Die aufgemalten Ornamente tragen ebenfalls nicht wenig zur Belebung des Gefässes bei, indem sie gerade für ihre Stelle und Function bezeichnend gebildet sind.

Den untern Auslauf der Henkel schmücken oft ganze Büschel von Palmetten (d. h. immer ein oval gespitztes Blatt von geschwungenen kleinen Seitenblättern begleitet), in welchen gleichsam die überschüssige Elasticität sich ausströmt. Am obern Rande der Vase, als Sinnbild des darin Enthaltenen, zieht sich wellenförmiges Blumwerk hin; den Hals umgeben strengere Palmetten oder auch bloss senkrechte [717] Rinnen, die sich dann mit der Ausbauchung des Gefässes in reichern Schmuck verwandeln. Die Bänder zwischen, unter und über den figürlichen Darstellungen bestehen theils wieder aus wellenförmigen Blumen, theils aus Mäandern, theils auch aus Reihen von Muscheln u. dgl. Die untere Zusammenziehung der Vase wird etwa durch spitz auslaufendes Blattwerk noch mehr verdeutlicht. Der Fuss ist, wie billig, schmucklos.

Diess sind scheinbar nur Nebensachen, allein sie zeigen, dass es sich um eine Vase und nicht um ein beliebiges Prunkstück handelt, was man bei den kostbarsten Porcellanvasen von Sèvres oft vergessen muss.

Man sollte denken, die Thonmaler hätten sich es wenigstens bei diesen Zierrathen bequem gemacht und durch Schablonen gemalt. Allein der erste Blick wird zeigen, dass die leichteste, sicherste Hand Alles frei hingezaubert hat, wesshalb es denn auch nicht an einzelnen krummen Linien u. dgl. fehlt.

Ebenso ist es mit den Figuren. Der Maler konnte sie zum Theil als Gemeingut der griechischen Kunst auswendig, zum Theil erfand und componirte er sie für die besondere Darstellung. Grosse Künstler gaben sich mit dieser Gattung gar nicht ab; es ist ein mittlerer und selbst geringer Durchschnitt des unendlichen griechischen Kunstvermögens, der sich hier zu erkennen giebt. Und doch selbst bei diesen so äusserst beschränkten Mitteln, diesen zwei, höchstens drei Farben so viel Bewundernswerthes!

Wir scheiden zunächst eine ältere Gattung, diejenige mit schwarzen Figuren auf rothem Grunde aus. Ihr Styl ist bei grosser Zierlichkeit noch ein befangener und entspricht mehr oder weniger dem ältern griechischen Sculpturstyl (S. 414 u. ff.).

Die Vasen der reifern (und was Apulien betrifft, auch wohl der sinkenden) Kunst sind die, welche (ausgesparte) röthliche Figuren auf (aufgemaltem) schwarzem Grunde zeigen. Mit diesen, auch an Zahl überwiegenden haben wir es hauptsächlich zu thun.

Die Darstellungen, welche sie in einer, zwei, bis drei Reihen von Figuren, an den Schalen auf der Unterseite rings um den Fuss, auch innen in der Mitte enthalten, sind zum Theil der Gegenstand einer sehr ausgedehnten gelehrten Forschung. Die seltensten Mythen, die kein Relief und kein pompejanisches Gemälde darstellt, kommen hier [718] vor. Uns sind jedoch nur einige Andeutungen über die künstlerische Behandlung vergönnt.

Im Ganzen folgt dieser Styl dem griechischen Reliefstyl. Es ist eine ähnliche perspectivische Entwicklung der Gestalt, ein ähnliches Princip der Schneidungen, eine ähnliche Erzählungsweise. Die Figuren sind meist auseinander gehalten, ihre Haltung und Geberde möglichst sprechend. Bei bekleideten Gestalten wurden erst die Glieder in raschem Umriss hingezeichnet, dann das Gewand darüber angegeben und zwar von den Falten gerade so viel, als dazu diente, die Gestalt selbst und zugleich den Gang des Gewandes zu verdeutlichen. Die Köpfe sind ohne irgend welche Absicht auf besondern Ausdruck oder besondere Schönheit sehr allgemein behandelt. Die Angabe des Raumes musste bei dem gemeinsamen schwarzen Grunde eine möglichst einfache, symbolische sein. Ein Stern bedeutet hier schon die Nacht, ein kleiner Vorhang das Zimmer, ein paar Muscheln oder Delphine die See, eine krumme Reihe von Punkten das unebene Erdreich, eine Säule mit Gefäss die Ringschule u. s. w. Auch alles Geräthe, wie z. B. Wagen, Tische u. dgl. ist bloss stenographisch angedeutet, um den Blick für das Wesentliche frei zu halten.

Den höchsten künstlerischen Genuss gewähren in der Regel weniger die figurenreichen mythischen Compositionen, als vielmehr eine Anzahl einzelner und oft wiederkehrender Figuren, welche eben wegen ihres anerkannten Werthes immer von Neuem frei wiederholt wurden. Der Beschauer wird sie in jeder bedeutendern Sammlung bald herausfinden; wir wollen nur auf einiges Wenige aufmerksam machen, was sich z. B. bei einem Gang durch das Museum von Neapel darbietet.

Aufgestützt sitzende Männer. – Tanzende Satyrn. – Jünglinge der Ringschule, nackt oder in Mäntel gehüllt und aufgestützt. – Schwebende geflügelte Genien. – Herrliche springende Bacchanten. – Ein Sprechender, nackt, den einen Fuss auf einem Felsstück. – Sitzende Frauen mit nacktem Oberleib ‚den einen Fuss hinter dem andern, oft von grosser Schönheit. – Schwebende Siegesgöttinnen. – Verhüllte Tänzerinnen. – Mänaden. – Die Toilette einer Frau oder Braut, welche sitzend den Schleier überzieht oder ablegt; unter den Dienerinnen, welche Schmuck und Körbchen etc. bringen, bisweilen eine sehr schöne [719] Nackte in kauernder Stellung. – Eine Sprechende, bekleidet, gebückt stehend, den einen Fuss auf einen Stein gestützt, mit der Rechten gesticulirend. – Eine verhüllt sitzende trauernde Frau. – Schmausende beider Geschlechter. – Die Pferde, ohne alle Genauigkeit, aber immer voll Lebens; ein ruhigstehendes und ein dahersprengendes Viergespann, in hunderten von Wiederholungen. – Ein trefflich bewegter, schwebender Reiter.

Solche und andere einzelne Gedanken der griechischen Kunst, welche diese anspruchlosen Denkmäler in Fülle gewähren, würden allein schon genügen, um dem Geiste jenes Volkes eine ewige Bewunderung zu sichern.

 

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Neben diesem Reichthum kann man nur mit Schmerzen Desjenigen gedenken, was uns verloren ist. Von Polygnot und der alten athenischen Schule, von Zeuxis, Parrhasios und den übrigen Joniern, von Pausias und Euphranor, auch von dem grossen Apelles, ja von hundert griechischen Malern, welche noch dem Plinius und Quintilian bekannt waren, ist uns keine Linie, kein Pinselstrich, sondern der blosse Name übrig. Vergebens bemüht man sich, aus Andeutungen der Schriftsteller ein Bild der Style dieser Künstler herzustellen, und misslich bleibt es immer, aus den vorhandenen pompejanischen und andern Malereien Motive nach bestimmten alten Meistern herausrathen zu wollen.

Im Allgemeinen aber ist so viel sicher, dass das Beste, was wir von antiken Malereien besitzen, in der Erfindung weit vorzüglicher ist, als insgemein in der Ausführung. Jene grossen alten Maler leben theilweise noch, nur anonym und schattenhaft in Copien fort; es rettete sie jener Grundzug alles antiken Kunsttreibens: die Wiederholung des anerkannt Trefflichen.

Diess gilt zunächst von denjenigen Überresten, welche zu Rom in einem nach dem Garten hinausgebauten Gemach der vaticanischen Bibliothek aufbewahrt werden. Sowohl die sog. aldobrandinische Hochzeit – ein Werk, welches auch nach der Entdeckung Pompeji's seinen hohen, ja einzigen Werth behält – als die fünf Bilder mythischer Frauen deuten auf Originale der besten Zeit zurück. [720] (Was sonst zu Rom in den Titusthermen, einzelnen Sammlungen, in den Columbarien der Via latina und der Villa Pamfili u. a. a. O. vorhanden ist, erscheint theils sehr verdorben, theils von geringem Belang. Was von antiken Malereien ausser Rom vorkömmt, ist meist von Pompeji hergebracht.)

 

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Bei weitem die wichtigsten Stätten für das Studium der antiken Malerei sind die verschütteten Orte am Vesuv und das Museum von Neapel. (Unteres Stockwerk, drei Säle links, mehr der antiken Decoration, und zwei Säle und ein Vorraum rechts, mehr der eigentlichen Malerei gewidmet, doch keineswegs ausschliesslich (Seite 58 u. ff.); die Aufstellung kläglich, die Besichtigung mühevoll.)

Aus einer frühern Periode der griechischen Malerei finden sich hier (Vorraum rechts) einige Wandmalereien, welche in unteritalischen Grabkammern gefunden worden sind, Reiter, Tänze von Frauen etc. darstellend. Statt eines durchgeführten Colorites, einer plastischen Modellirung, herrscht noch die einfache, illuminirte Umrisszeichnung, diese aber ist lebendig und zum Theil edel, dem Geist des ältern Griechenthums entsprechend. In der Behandlung des Profils erkennt man wieder die Art des griechischen Reliefs, welches den Oberleib so zu wenden weiss, dass er sich in seiner ganzen Wohlgestalt zeigt. (Zu vergleichen mit den treuen Nachbildungen etruskischer Gruftgemälde frühern und spätern Styles, im Museo etrusco des Vaticans.)

Die pompejanischen Malereien und Mosaiken dagegen zeigen allerdings die antike Kunst gewissermassen auf einem Höhepunkte, nur mit folgenden beiden Einschränkungen, die man wohl beachten möge: es ist erstens die Malerei einer nicht bedeutenden Provincialstadt aus römischer Zeit; zweitens handelt es sich bloss um Wanddecorationen, welche in der Ausführung nothwendig einem andern Princip folgen als die Tafelbilder. Letztere waren gewiss in allem was Illusion, Verkürzung, Beleuchtung, Reflexe etc. angeht, feiner durchgebildet, wenigstens diejenigen aus der Blüthezeit. Die Mosaiken sind vollends in den Mitteln der Darstellung um so viel beschränkter, als man damals nur mit Steinen, noch nicht mit Glaspasten arbeitete. [721]

Den Vorrath im Ganzen betrachtet, wird man, wie gesagt, annehmen können, dass das Beste durchgängig griechischen Originalen nachgebildet sei, welche der Küntsler auswendig lernte und mehr oder weniger frei reproducirte. Von Durchzeichnen und Schabloniren war wohl keine Rede; wer das Einzelne so meisterlich keck hinzumalen wusste, bedurfte auch für die ganze Gestalt der eigentlichen Krücken nicht. Die Malereien von erweislich römischer Composition (z. B. die Scenen des pompejanischen Stadtlebens, im Durchgang vom ersten in den zweiten der Säle rechts, und die beiden Isisfeste, zweiter Saal, Fensterwand) stehen, auch wenn die geringe Ausführung bloss zufällig sein sollte, jedenfalls in der Erfindung tief unter dem Übrigen.

Nehmen wir die grössern Bilder mythologischen Inhaltes (besonders im genannten zweiten Saal rechts) als massgebend an, so ergiebt sich für die Behandlung etwa Folgendes. Das Einzelne ist nirgends bis zur völligen Wirklichkeit durchgeführt, das Wesentliche aber mit grosser Energie in Wenigem gegeben. Auch in den Köpfen ist neben bedeutenden Zügen viel nur Allgemeines, was indess auf die Rechnung des Ausführenden, auch wohl auf die seiner Technik kommen mag. Die letztere ist bekanntlich, was das Chemische betrifft, noch ein Geheimniss; der Auftrag erscheint fast durchgängig sehr frei und furchtlos. Der Raum richtet sich durchgängig nicht nach der äussern Wirklichkeit, sondern nach dem höhern Bedürfniss der Composition; die Angabe des architektonischen oder landschaftlichen Hintergrundes erhebt sich in der Regel nicht weit über eine blosse Andeutung (Iphigeniens Opfer, daselbst); die perspectivische Vertiefung wird willkürlich so gedacht, dass die entferntern Figuren wie auf einem erhöhten Plan erscheinen (Erkennung Achill's, daselbst). Das Licht fällt consequent von einer Seite herein. Die künstliche Gruppenbildung der neuern Malerei mit ihren Übergängen in den Formen und ihren Contrasten in den Lichtmassen fehlt noch völlig; vorwiegend macht sich das Streben geltend, die Gestalten möglichst vollständig sprechen zu lassen und desshalb auseinander zu halten. Figurenreiche Gruppen aber, wo sie vorkommen, erscheinen hoch übereinander geschichtet (der Dichter, welcher den Schauspielern sein Drama einlernt, daselbst). Im Ganzen wird man in diesen und den übrigen grössern Compositionen immer grosse Ungleichheiten finden. Es giebt einige, in welchen [722] das Treffliche vorwiegt, so im I. Saal rechts: die Strafe der Dirce, zwei Göttinnen mit Eroten etc.; II. Saal, ausser den genannten: Theseus als Retter der athenischen Kinder, der Musikunterricht des jungen Satyrs, Medea, Bacchus und Ariadne, Perseus und Andromeda, Chiron und Achill, Herakles mit dem Centauren, Achill und Briseis, Mars und Venus etc. Allein neben dem Allerbesten, neben einzelnen Motiven, die nur von den Grössten geschaffen sein können, finden sich auffallend schwache Füllgedanken. Man kann sich der Vermuthung nicht erwehren, als habe man zusammengedrängte oder auch zerpflückte Excerpte aus vorzüglichen Compositionen vor sich. – In Pompeji sind von grossen Bildern noch an Ort und Stelle: Diana und Actäon (in der Casa di Atteone), die Vorbereitung eines Heros zum Bade (Casa di Meleagro u. a. m.)

Von diesem Urtheil macht allerdings eine glänzende Ausnahme die sog. Alexanderschlacht, das schönste Mosaik des Alterthums. (Gefunden in der Casa del fauno zu Pompeji, jetzt am Boden der Halle der Flora im Museum zu Neapel.) Es stellt eine Schlacht von Griechen oder Römern gegen Kelten vor. Ich habe nichts gegen den überquellenden Enthusiasmus, womit neuerlich dieses Werk besprochen wird, nur möge man es dann wenigstens richtig deuten und nicht z. B. den Mann auf dem Wagen beharrlich für den Barbarenkönig halten, während doch die ganze Composition sich auf den gestürzten und vom Feind durchbohrten Reiter in königlichem Prachtcostüm bezieht. – Der grösste Werth dieses in seiner Art einzigen Gemäldes besteht nicht in einer tadellosen Zeichnung oder in der Ausdrucksweise des Einzelnen, sondern in der ergreifenden Darstellung eines bedeutenden Momentes mit möglichst geringen Mitteln. Durch die Wendung des Wagens und der Pferde und durch einige sprechende Stellungen und Geberden ist auf der rechten Seite ein Bild der Rathlosigkeit und Bestürzung gegeben, welches nicht deutlicher und nur in äusserlichem Sinne vollständiger sein könnte. In den Siegern, soweit die linke Seite erhalten ist, drückt sich das unaufhaltsame Vordringen mit der grössten Gewissheit aus. Ob das Ganze für die Ausführung in Mosaik componirt oder eher einem Wandgemälde nachgebildet ist, bleibt zu entscheiden. [723]

Sonst möchten im Allgemeinen die meist kleinen Genrescenen den Vorzug vor den heroischen und grössern haben. Pompeji hat einige kostbare Prachtstücke geliefert, wie die beiden feinen Mosaiken mit dem Künstlernamen Dioscorides, die beliebten Theaterproben darstellend (I. Saal links). Man wird denselben indess einige flüchtige Malereien vorziehen müssen. Weniges möchte an stillem Zauber der Gruppe von drei sich unterhaltenden Frauen (mit einer Säule und Gebüsch im Hintergrunde) gleichkommen (II. Saal rechts); auf dieser Bahn war Rafael, als er die zweite Reihe der Geschichten der Psyche entwarf. Von zaghafter Dilettantenhand scheinen einige rothbraune Zeichnungen auf Marmorplatten (ebenda) herzurühren; darunter verräth hauptsächlich das Genrebild der knöchelspielenden Mädchen ein herrliches Original. Gegenüber wird man ein kleines, unscheinbares Bildchen nur mit Mühe finden; es ist die so schön gedachte Scene: „Wer kauft Liebesgötter?“ – Die schmausenden und ruhenden Liebespaare (ebenda) weisen ebenfalls auf einen schönen griechischen Gedanken zurück.

Auch mehrere unter den kleinern mythologischen Bildern, welche die Mittelfelder an den Wänden gewöhnlicher pompejanischer Häuser bildeten (und zum Theil noch an Ort und Stelle bilden) möchten bisweilen als harmonisches Ganzes einen besondern und abgeschlossenen Werth haben. So das beste der Narcissbilder, auch das kleine mit Bacchus und Ariadne (I. Saal rechts); mehrere bacchische Scenen (II. Saal rechts); Venus als Fischerin (mehrmals) u. s. w. Das verdorbene Bildchen „Hylas und die Nymphen“ (Fensterwand des II. Saales rechts) zeigt ein sehr glückliches Motiv. Einen Faun, der eine Nymphe bewältigt und auf den Rücken gelegt hat und sie küsst, nebst einigen andern vorzüglichen Scenen, die nicht anstössiger sind als Manches, was hier ausgestellt ist, wird man in den Abbildungen aufsuchen müssen, wenn sie nicht etwa doch in unsichtbarem Dunkel oben an irgend einer Wand hängen.

Den unmittelbarsten und ungestörtesten Eindruck griechischen Geistes machen aber (nach meinem Gefühl) überhaupt nicht die vollständigen Gemälde, sondern jene zahlreichen decorativ angewandten einzelnen Figuren und Gruppen, welche theils auf einfarbigem Grunde stehen, theils zur Belebung der gemalten Architektur (Seite 60 ff.), [724] der Capellchen, Pavillons, Balustraden u. s. w. dienen. Die besten derselben können nur in der Zeit der höchsten griechischen Kunstblüthe erfunden worden und dann Jahrhunderte hindurch von Hand zu Hand gegangen sein, bis sie unter anderm auch in der kleinen Stadt am Vesuv ihre Anwendung fanden. Die Maler lernten sie ohne Zweifel am besten auswendig und reproducirten sie am unbefangensten. Unsere jetzige Decoration macht einen so häufigen Gebrauch davon, dass der Beschauer eine Menge alter Bekannter antrifft, vielleicht allerdings mit Erstaunen über das unscheinbare, anspruchlose Ausschen und den kleinen Massstab der Originale.

Das Wichtigste findet sich in den genannten Sälen rechts. Schon der Vorraum enthält eine Anzahl tanzend schwebender Satyrn, in den Cassetten aus einem Gewölbe, sowie auch schöne schwebende Genien oder Amorine. (Eine andere Reihe von Amorinen, mit den Attributen der Götter, sämmtlich wundervoll in runder Einfassung componirt, habe ich vergebens überall gesucht und muss daher auf die Abbildungen verweisen.) Im ersten Saal: (Wand links) die Niobiden in Goldfarbe, je drei am Fuss weisser Dreifüsse auf rothem Grund, unabhängig von den bekannten florentin. Statuen; – (Eingangswand) ein kleines Fragment, die Halbfigur eines Flötenbläsers und seiner Gefährtin; – (Fensterwand) Tritone, Nereiden, Meerwunder etc.; – (Hinterwand) Victoria und ein Genius mit darüber schwebenden Gottheiten, vielleicht von guter römischer Erfindung. – In den Durchgängen zum II. Saal: Bacchus; – eine schöne Priesterin mit Opfergeräth; – Demeter mit Scepter und Korb; – Jüngling, der das Schwert und über sich den Schild hält; – ein Medusenhaupt auf gelbem Grund; – eine schwebende Gewandfigur mit Opferschale. – Im II. Saal: (Eingangswand) die berühmten sog. Tänzerinnen, auf schwarzem Grunde; es sind schwebende Figuren ohne weitere Beziehung, von hinreissender Schönheit der Geberde und dem leichtesten Ausdruck des Schwebens in Stellung und Gewandung zugleich; – der den Schreibgriffel an die Lippen Drückende, Halbfigur in Rund (mehrmals vorhanden); – Zeus und Nike, auf rothem Grunde; – (Wand links) Bacchanten, Silene etc. in runder Einfassung; – sitzende Götterfiguren auf rothem Grunde; – (Hinterwand) die herrlichen schwebenden Centauren auf schwarzem Grunde, worunter [725] die Centaurin, die mit dem jungen Satyr Cymbeln spielt, und der gebundene Centaur, dem die wilde Bacchantin den Fuss in den Rücken stemmt, letzteres Bild vielleicht einer der schönsten Gedanken aus dem ganzen Alterthum; – die nicht minder berühmte Reihe tanzender Satyrn, kleine Figürchen auf schwarzem Grunde; – (als Contrast mag die in der Nähe befindliche Sammlung von Amorinen römischer Erfindung dienen, welche in allen möglichen prosaischen Verrichtungen, selbst als Schuhmacher dargestellt sind); – das sitzende Mädchen mit aufgestütztem Kinn, auf schwarzem Grunde; – Jüngling sitzend mit gekreuzten Füssen (eines der vorzüglichsten Motive und mehrmals vorhanden); – Nereiden auf Seepferden und Seepanthern, die selben fütternd; – schöne schwebende Bacchantin mit Thyrsus und Schale, auf schwarzem Grunde; – (Fensterwand) das bessere Exemplar der Medusa u. A. m. Die hier gegebene Auswahl soll nur auf Einiges vom Besten aufmerksam machen; wer länger in diesen Räumen verweilt, wird noch manches andere liebgewinnen. Man lege sich nur immer die Frage vor: Liess sich die betreffende Figur überhaupt schöner denken, deutlicher ausdrücken, anmuthiger stellen? – und in der Regel wird man das Höchste erreicht finden, wenn auch in flüchtiger Ausführung.

Einer besondern Aufmerksamkeit sind die landschaftlichen und architektonischen Ansichten werth, deren eine grosse Anzahl vorhanden ist, sowohl hier als in Pompeji selbst, wo man auch noch erkennt, welche Stelle dieselben in der Wanddecoration einnahmen (S. 60, 61). Die architektonischen gewähren ein schätzbares Abbild nicht nur damaliger Bauten überhaupt, sondern ganz speciell derjenigen, welche der Küste von Cumä bis Sorrent zur Römerzeit ihren Charakter verliehen; allerdings in phantastischer Steigerung, sodass wir nicht bloss das wirklich Vorhandene, sondern auch das, was man gern gebaut hätte, dargestellt sehen. Die in das Meer hinausragenden Villen, die prächtigsten Landhäuser mit Hallen umgeben, auch Tempel und Paläste, namentlich aber die schmuckreichsten Hafenbauten breiten sich unter uns mit hoch angenommener Perspective vollständig aus. Diese Ansichten haben den Ausdruck baulichen Reichthums zum wesentlichen Gehalt. [726]

Anders verhält es sich mit den Landschaften. Auch sie vereinigen viele Gegenstände mit hoch genommener Perspective unter einem hohen Horizont und geben von dem Liniensystem der modernen Landschaft noch keine Ahnung. Manche sind nichts als bunte Zusammenstellungen wohlgefälliger oder auffallender Gegenstände: Kapellchen, Lusthäuschen, Teiche mit Hallen, Denkmäler mit Trophäen, Hermen, halbrunde Mauern, Brücken u. s. w. auf ländlich unebenem Grunde mit Bäumen untermischt; die Darstellungen von Gärten mit symmetrischen Lauben und Fontainen gehören sogar wesentlich noch in das Gebiet der Architekturbilder. In den bessern Landschaften dagegen ist ganz offenbar ein idyllischer Charakter, eine eigenthümliche Stimmung erstrebt, die nur einstweilen der mächtigern Mittel entbehrt sich auszusprechen. Um ein kleines einsames Heiligthum der Nymphen oder der paphischen Göttin sieht man Hirten und Heerden, oder ein ländliches Opfer, von Ölbäumen überschattet; auch Gestalten des griechischen Mythus beleben bisweilen die Felslandschaft. (Dieser letztern Art sind u. a. die Scenen aus der Odyssee, welche vor einigen Jah- ren in Rom gefunden wurden und von denen zwei im Museo capitolino, erstes unteres Zimmer, aufgestellt sind.) Der Eindruck ist demjenigen analog, welchen die bukolischen Dichter hinterlassen, und es wäre nicht undenkbar, dass von ihnen auch der Maler sich anregen liess.

Die Dienstbarkeit dieser ganzen Gattung unter den sonstigen decorativen Zwecken spricht sich u. a. oft in der Unterordnung unter eine bestimmte Wandfarbe aus. Manche Landschaften sind nämlich braun in braun, grün in grün, auch wohl zu keckem Contrast grünweisslich auf rother Wand gemalt. – Von einer eingehenden Charakteristik des landschaftlichen Details, etwa des Baumschlags, ist noch nicht die Rede; nur der Ölbaum behauptet seiner auffallenden Bildung wegen ein gewisses Vorrecht. – Auch wo Guirlanden und Buschwerk als Bestandtheil von Decorationen vorkommen, ist bei einer energischen Wirkung doch nur das Nothwendigste von der besondern Gestalt des Laubes angedeutet.

In den zahlreichen Stillleben (zumal Küchenvorräthen und todten Thieren) erkennt man recht gut eine Kunst, die der Illusion in hohem Grade fähig war, derselben aber in der Wandmalerei wenigstens nicht über eine bestimmte Linie hinaus nachging. Der Besteller verlangte die Sachen, noch nicht ihren möglichst schönen, durch Gruppirung, Hintergrund, Licht, Luft und alle möglichen Kunstmittel veredelten Schein, wie die Holländer zur Zeit des David de Heem. – Das zierlichste antike Mosaik Roms, die Schaale mit den Tauben (Museo capit., Zimmer der Vase) ist vielleicht für den Grad der Illusion, welchen man im äussersten Fall und mit den kostbarsten Mitteln erstrebte, eines der belehrendsten Beispiele.