BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Der Cicerone

 

Malerei

 

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[748]

Germanische Malerei.

 

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Die Künstler – Aufzählung der Denkmale – Charakter der Schule Giotto's – Altarwerke – Crucifixe – Schule von Siena – Die mittelbaren Giottesken. Bologna etc. – Padua; d'Avanzo – Mark Ancona; Gentile da Fabriano – Venedig; die Muranesen – Neapel – Fra Giovanni da Fiesole.

 

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Diejenige erste grosse Blüthe der italienischen Malerei, welche mit der germanischen Gesammtkunst parallel geht und welche wir auch in diesem Gebiete als germanischen Styl bezeichnen, hat vor der Malerei des Nordens schon einen beträchtlichen äussern Vortheil voraus; sie ist nicht eine blosse Dienerin der Architektur, sondern besitzt ein unabhängiges Leben und erhält Wandflächen zur [749] Verfügung, die ihr im Norden wenigstens in Hauptkirchen nicht gegönnt wurden und mit welchen wesentlich auf sie gerechnet war. Die Malerei als Gattung zieht den grössten Genius des Jahrhunderts an sich, Giotto. Die Stellung, welche sie gegenüber den übrigen Künsten schon im XIII. Jahrh. behauptet, wird durch Seine Leistungen glänzend erweitert; das Vorurtheil zu Gunsten monumentaler Bilderkreise in Fresco, welches Er und die Seinigen so sehr verstärkten, bildet für alle Folgezeit den festen Boden, ohne welchen auch Rafael und Michelangelo nicht die Aufgaben angetroffen hätten, in welchen sie sich am grössten erwiesen.

Giotto lebte 1276–1336. Von seinen wichtigsten Schülern und nähern Nachfolgern, meist Florentinern, sind zu nennen: Taddeo Gaddi (geb. um 1300, st. 1352); Giottino (eigentlich Tommaso di Stefano, 1324–1356); Giovanni da Melano (d. h. Mailand); Andrea Orcagna (richtiger Arcagnolo, eigentlich Andrea di Cione, 1329–1389); dessen Bruder (?) Bernardo; ferner Angelo Gaddi (st. nach 1394): Spinello von Arezzo (st. nach 1408); Antonio Veneziano; Francesco da Volterra (beide gegen Ende des XIV. Jahrhunderts im Camposanto zu Pisa thätig); Niccolò di Pietro u. a. – Einstweilen nehmen wir auch denjenigen Maler mit hinzu, welcher im Camposanto Symone da Siena heisst, sowie auch die Sienesen Ambrogio und Pietro di Lorenzo, welchen wir in ihrer Heimathschule wieder begegnen werden.

Wir zählen nun die wichtigsten Werke nach den Orten auf, jedesmal mit Angabe derjenigen Meister, welchen sie die Tradition zuschreibt. Wo es wesentlich ist, die Controversen über diese Benennungen zu kennen, möge diess in Kürze angedeutet werden. Auch einige der wichtigern Altarbilder sind dabei mit zu nennen.

 

Padua.

Die Capelle S. Maria dell' Arena; das Innere ganz mit den Fresken Giotto's bedeckt. (Seit 1303, also sein frühstes grosses Werk.) Das Leben der Jungfrau und die Geschichte Christi in vielen Bildern; am Sockel grau in grau die allegorischen Figuren der Tugenden und Laster; an der Vorderwand das Weltgericht. (Bestes Licht: Morgens.) [750]

 

Florenz.

S. Croce. Im Chor: Angelo Gaddi, Geschichten des wahren Kreuzes.

In den zehn Capellen zu beiden Seiten des Chores:

1. Cap. rechts (kleinere Cap. Bardi): Geschichten des heil. Franciscus, durch Bianchi's Kühnheit und Pietät in den letzten Jahren dem Giotto zurückgegeben, dessen Werk sie ursprünglich waren. Auf dem Altar, stets verdeckt, die dem Cimabue zugeschriebene Gestalt des heil. Franciscus.

2. Cap. rechts (Cap. Peruzzi): rechts die Auferstehung eines Heiligen, wahrscheinlich von Giotto, links die Überreichung des Hauptes Johannis d. T., vielleicht von einem zaghaftern Schüler.

5. Cap. rechts: halb erloschene Darstellung vom Kampfe S. Michaels und des himmlischen Heeres mit dem Drachen, grossartig gedacht; der Urheber unbekannt.

4. Cap. links (Cap. Baldi): Bernardo Gaddi, Marter der HH. Stephanus und Laurentius.

5. Cap. links (Cap. S. Silvestro): Giottino, rechts drei Wunder des heil. Sylvester; links Grabnischen mit den nicht unbedeutenden Fresken eines Weltgerichts und einer Grablegung.

Am Ende des rechten Querschiffes: die grosse Cap. Baroncelli: Altarbild von Giotto; Fresken mit dem Leben der Maria von Taddeo Gaddi, von demselben die Figuren am Gewölbe. (Die Mad. della cintola an der Wand rechts ist von Bastiano Mainardi.) Die Malereien Taddeo's sind von den wichtigsten der Schule, deren Gruppirungs- und Gewandungsmotive hier ganz besonders schön und furchtlos gehandhabt sind.

In der rechts anstossenden Cap. del Sagramento: am Gewölbe die Evangelisten und die Kirchenlehrer, von Gherardo Starnina und Taddeo Gaddi.

Im Gange vor der Sacristei: u. a. ein ausgeschnittenes Crucifix, angeblich von Giotto.

In der Cap. Medici am Ende dieses Ganges: eine Anzahl Altarbilder des XIV. Jahrhunderts.

In der Sacristei: an der Wand rechts die Scenen der Passion, dem Niccolò di Pietro, von Andern dem Angelo Gaddi zugeschrieben; [751] die untern meist von einem energischen, aber etwas verwilderten Giottesken; oben sehr schön die kieenden Jünger und Engel um den Auferstandenen. – In der Altarcapelle der Sacristei: das Leben der Magdalena und das der Maria, nebst den Gewölbemalereien und dem Altarbild, dat. 1379, aus der Schule der Gaddi. (Von Andern zu kühn dem Taddeo zugeschrieben.)

In dem ehemaligen Refectorium des anstossenden Klosters (jetzt zur Teppichfabrik eingerichtet, zugänglich vom Platze aus, rechts von der Klosterpforte): ein grosses, im Ganzen wohl erhaltenes Abendmahl von Giotto. Eines der reinsten und gewaltigsten Werke des XIV. Jahrhunderts, bei dessen Anblick ich mich immer vergebens gefragt habe, wesshalb man es so beharrlich dem Giotto abspreche, ohne doch einen andern Meister dafür nennen zu können. Darüber: Der Stammbaum der Franciscaner und einige Scenen aus der Legende des heil. Franz, von geringern Händen.

(Fast alle diese Fresken haben Morgens das beste Licht.)

S. Maria novella. Cap. Strozzi, am Ende des linken Querschiffes: das Weltgericht (hinten), das Paradies (links) und das Altarbild (1357) von Andrea Orcagna; die Hölle (rechts) von dessen Bruder Bernardo. Das Paradies bezeichnend als die höchste Grenze des Holdseligen und Schönen in der Gesichtsbildung, welche die Schule erreicht hat.

Chiostro verde: Die ältern Theile der grün in grün gemalten Geschichten der Genesis. (Die spätern von Paolo Uccello.)

Anstossend an diesen Kreuzgang: Die berühmte Capella degli Spagnuoli, ausgemalt nach 1322 bis nach 1355, laut Vasari von Taddeo Gaddi und Symon von Siena, welchen man sie gegenwärtig aus Gründen abspricht. (Dass indess wenigstens die Köpfe der Tugenden und Wissenschaften von einem trefflichen alten Sieneser sind, lehrt der erste Blick.) Ein Hauptdenkmal der Schule, in Beziehung auf die Zusammenstellung des Ganzen, auf den Reichthum der Composition in den biblischen Scenen und auf die Allegorik in den beiden grossen Seitenbildern, dem „Triumph des heil. Thomas von Aquino“ und der „streitenden und triumphirenden Kirche“. (Bestes Licht: 10–12 Uhr.)

Ausser geringern Überresten in verschiedenen Räumen des Klosters: [752] im sog. alten Refectorium eine thronende Madonna mit vier Heiligen, mehr sienesisch als florentinisch, und:

In einem kleinen gewölbten Gemach der Farmacia rohe Passionsfresken des Spinello Aretino.

S. Miniato al monte. Ausser mehrern geringern Überbleibseln an den Wänden der Kirche:

Die von Spinello mit den Geschichten des heil. Benedict ausgemalte Sacristei.

S. Felicita, Anbauten hinten rechts: in einem alten Capitelsaal der Gekreuzigte mit den Seinigen, in einem nahen Gang eine Annunziata; letztere beinahe Orcagna's würdig.

Ognissanti. Cap. am Ende des linken Querschiffes: ein sehr verdorbenes Altarbild aus mehrern Tafeln bestehend, von Giovanni da Melano, in der Durchbildung des Einzelnen den meisten Werken der Schule überlegen.

In der Sacristei: Fresco eines Ungenannten, der Gekreuzigte mit Engeln, Heiligen und Mönchen.

S. Ambrogio. Zweiter Altar rechts: Säugende Madonna mit zwei Heiligen, von Angelo Gaddi (?).

Dritter Altar recht: Kreuzabnahme, von Giottino.

Bigallo. Im Zimmer des Cassiers: Fresken von dreierlei Händen, darunter eine Misericordia von Giottino (?); das naive Bild der Waisenkinder ist von einem zurückgebliebenen Giottesken des XV. Jahrh., Pietro Chelini.

Dom. Die Apostel und Heiligen unter den meisten Fenstern des ganzen Capellenkranzes, ebenfalls von einem der spätesten Giottesken, Lorenzo Bicci. – An einem der vordern Pfeiler das schöne, spätgiotteske Bild des heil. Zenobius.

S. Maria la nuova. Aussen neben der Thür die beiden Ceremonienbilder des genannten Bicci, stark erneuert.

Orsanmicchele. Im Tabernakel Orcagna's das sehr schöne Gnadenbild des Ugolino da Siena, mehr florentinisch als sienesisch. (Erste Hälfte des XIV. Jahrh.)

Palazzo del Podestà. In der Dispensa, der ehemaligen Capelle: Reste der Fresken Giotto's, Scenen aus der Legende der heil. Magdalena, [753] Johannis d. T., Weltgericht, Paradies, Alles kaum mehr kenntlich.

Einzelne Reste von Fresken, auch Staffeleibilder, in verschiedenen Kirchen; mehrere der letztern in der Certosa (ältere Seitenkirche).

 

Pisa.

Das Camposanto. Von der Capelle an der östlichen Schmalseite an gerechnet folgen aufeinander:

Buffalmaco: Passion, Auferstehung und Himmelfahrt, sehr übermalt. (Der Künstler, der sich stellenweise als einen der allergeistvollsten Giottesken zeigt, mag einstweilen den Namen beibehalten, den man ihm wegen mangelnder urkundlicher Documente über seine Existenz streitig macht.)

Südwand. Andrea Orcagna: Triumph des Todes und Weltgericht.

Bernardo Orcagna (?): Die Hölle.

Ambrogio und Pietro Lorenzetti (auch di Lorenzo, missverständlich auch Laurati) von Siena: Das Leben der Einsiedler in der Thebais.

Symon von Siena“ (d. h. irgend ein florentinisch und sienesisch gebildeter Meister des XIV. Jahrh.): die drei obern Bilder der Geschichten des heil. Ranieri. Einzelne Engel- und Frauenköpfe ganz sienesisch; vielleicht auch das Ungeschick in der Anordnung.

Antonio Veneziano: Die drei untern Bilder.

Spinello Aretino: drei Bilder mit den Geschichten der HH. Ephesus und Potitus.

Francesco da Volterra (ehemals dem Giotto beigelegt): die vorzüglich geistvollen Geschichten Hiobs.

Nordwand. Pietro di Puccio (ehemals dem Buffalmaco zugeschrieben, jedenfalls nicht von dem obenerwähnten Maler der Passionsbilder): Gott als Welterhalter, und die Geschichten der Genesis bis zum Opfer des Noah; sowie auch die Krönung Mariä über dem Eingang einer Capelle dieser Seite. (Die übrigen Geschichten des alten Testamentes, von Benozzo Gozzoli, sind unten zu erwähnen.)

In S. Francesco: das Gewölbe des Chores, mit den je zu zweien gegeneinander schwebenden Heiligen, von Taddeo Gaddi. [754]

Im Capitelsaal die sehr zerstörten, ausgezeichneten Passionsscenen des Nic. di Pietro (1392); an der Decke Halbfiguren in Medaillons.

In S. Caterina, Altar links, eine Glorie des heil. Thomas, von einem gewissen Traini.

Im Carmine (oder wenn mich meine Notizen täuschen sollten, in S. Martino) Fresken des XIV. Jahrh. in einer Nebencapelle rechts und über dem Orgellettner.

Alte Bilder in S. Ranieri, in der Sammlung der Academie und in Privathänden.

 

Pistoja.

In S. Francesco al Prato ist das Gewölbe der Sacristei mit vier Heiligen zwischen guten Gurtverzierungen bemalt, etwa in der Art des Niccolò di Pietro.

Der anstossende Capitelsaal enthält Fresken von verschiedenen Händen, u. a. von Puccio Capanna; das Gewölbe ganz der Verherrlichung des heil. Franciscus gewidmet; an der Hauptwand Christus am Kreuz, welches in Baumzweige mit Heiligenfiguren ausgeht etc.

 

Prato.

Im Dom gleich links die Capella della cintola, ausgemalt von Angelo Gaddi 1365 mit dem Leben der Maria und der Geschichte des Gürtels. Hauptwerk der Schule.

Cap. links neben dem Chor: rohe Legenden des XIV. Jahrh.

Cap. rechts neben dem Chor: Leben der Maria und Geschichten S. Stephans, unbedeutende Werke des XV. Jahrh.; übermalt.

In S. Francesco: der ehemalige Capitelsaal, ausgemalt von Niccolò di Pietro, Passion und Legenden des Matthäus und Antonius von Padua.

 

Arezzo.

Im Dom: eine Nische des rechten Seitenschiffes, ausgemalt von Spinello, aber sehr übermalt. (Der Crucifixus mit Heiligen.)

Bei S. Agostino, in einer ehemaligen Capelle, oben an der Mauer: Madonna von Spinello, zu einer Verkündigung gehörend.

In S. Domenico: sehr übermalte Fresken des Parri Spinello, Sohn des obigen, neben der Thür; der Gekreuzigte mit Heiligen, und zwei Apostel, beide Gemälde umgeben von Martyrien in kleinern Figuren. [755]

Im vordern Klosterhof von S. Bernardo: die Geschichten dieses Heiligen, einfarbig, an die ältere Hand des Chiostro verde bei S. M. novella erinnerd; dem Uccello zugeschrieben.

Was in andern Städten Toscana's vorhanden sein mag, ist nach Allem zu urtheilen nicht bedeutend. Von SIENA, welches seinen besondern Styl entwickelte, wird weiter die Rede sein; vorläufig sind hier zu nennen:

Spinello's Fresken, im Pal. pubblico, Sala di Balia; Geschichten des Kaisers Friedrich Barbarossa und des Papstes Alexander III. Der Einritt des Papstes, welchem der Kaiser den Zügel führt, ist eines der besten Ceremonienbilder aus Giotto's Schule; für einige der übrigen Scenen ist weniger gut zu stehen; der Rest erscheint vollends als das Werk eines untergeordneten Malers.

In der Academie zu Siena ein paar kleine Tafeln Spinello's, u. a. ein Tod der Maria, welche den Giottesken als Componist in seiner ganzen Überlegenheit, verglichen mit den Sienesen, erscheinen lassen.

 

Assisi.

S. Francesco. Die Oberkirche vgl. Seite 745.

Die Unterkirche. An dem Hauptgewölbe über dem Grabe die Allegorien von Armuth, Keuschheit und Gehorsam, nebst der Verklärung des heil. Franciscus. Hauptwerke von Giotto. (S. unten.)

Im südlichen Querschiff Reste einer grossen und sehr reichen Kreuzigung (angeblich von Pietro Cavallini, der sich aber in den oben S. 741 genannten Mosaiken noch als einen zu befangenen Byzantiner erweist, um der Urheber dieses Werkes sein zu können); ferner Kreuzabnahme, Grablegung und S. Franz die Wundmale empfangend (angeblich von Giotto); am Tonnengewölbe kleine Passionsbilder (vielleicht von Puccio Capanna).

Im nördlichen Querschiff Fresken des XV. Jahrh. und eine ältere, geringere Kreuzigung. Die Bilder aus der Geschichte Christi am Tonnengewölbe angeblich von Giovanni da Melano.

In der Cap. del sagramento und in der derjenigen des Card. Albornoz handwerksmässige Fresken des XIV. Jahrh.; die der letztern dem Buffalmaco zugeschrieben. [756]

In der Cap. des heil. Martinus die Geschichten dieses Heiligen, in zehn Bildern, angeblich von Puccio Capanna.

Über der Kanzel: Krönung Mariä, von Giottino, welchem noch mehreres Einzelne angehört 1).

In S. Chiara: an den vier Feldern des Kreuzgewölbes je zwei heil. Frauen unter Baldachinen, von Engeln umgeben; von Giottino.

 

Rom.

In S. Peter, an der Innenseite der Fassade: die Navicella, ursprünglich eine Composition Giotto's, allein durch mehrmalige Erneuerung, ja ganz neue Zusammensetzung des Mosaikes in moderne Formenbildung übersetzt.

In der Stanza capitolare der Sacristei: Auseinander genommene Tafeln eines Altarwerkes von Giotto.

Im Vatican die schon (S. 739) genannte Sammlung älterer Bilder beim Museo cristiano.

Im Lateran: an einem der ersten Pfeiler des äussersten Nebenschiffes rechts: gerettetes Frescofragment Giotto's: Bonifaz VIII die Indulgenzbulle des Jubiläums von 1300 verkündend, mit zwei Begleitern.

 

Neapel.

Kirchlein dell' Incoronata (nicht weit von der Fontana Medina): das Kreuzgewölbe über der Empore links vom Eingang ausgemalt von Giotto; seine Urheberschaft wird bestritten wegen mehrerer als Porträts gedeuteter Köpfe, welche allerdings ein chronologisches Hinderniss sein würden; allein diese Deutungen sind auch nicht sicher, so dass es bei Giotto sein Bewenden haben mag. In sieben Gewölbefeldern [757] Darstellung der sieben Sacramente in ihrer Ausübung, im achten (wie es scheint) eine Allegorie Christi und der Kirche. Hauptwerk für die Erzählungsweise in wenigen tiefgegriffenen Zügen, und für die höchste, sprechendste Deutlichkeit der Darstellung. Wohl erhalten und bequem zu besichtigen. (Am Besten Vormittags.) In derselben Kirche noch verschiedene Überreste des XIV. Jahrh., so in der Cap. links vom Chor am Gewölbe; die Fresken an den Wänden derselben Cap. XV. Jahrhundert.

In S. Chiara das Gnadenbild an einem Pfeiler links, von Giotto, der einzige Rest seiner umfangreichen Fresken.

 

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Es wird vielleicht als ein unberechtigter Versuch erscheinen, wenn wir nach dieser kurzen Aufzählung eine Gesammtcharakteristik der ganzen Schule versuchen, statt den einzelnen Meistern ihre persönlichen Eigenthümlichkeiten nachzuweisen. Allein abgesehen von dem Gebot der Kürze wüssten wir in der That nicht anders zu verfahren bei Künstlern die gar keine Eigenthümlichkeit als die ihrer Schule repräsentiren wollen. Der Einzelne war hier gar nicht so frei; die Schule musste ihren Bilder- und Gedankenkreis in der gegebenen Form ganz und voll durchleben, hundert Jahre lang, ohne irgend bedeutende Fortschritte oder Änderungen in den Darstellungsmitteln, um dann vor dem Geist des XV. Jahrh., der die Individualitäten erlöste, total zusammenzubrechen. Als Ganzes imponirt sie auch erst in vollem Masse, und zwar so, dass man sie den grössten Denkmälern unseres Jahrtausends beizählen muss.

Allerdings spricht sie nicht zu dem zerstreuten oder übersättigten Auge; der Gedanke muss ihr entgegenkommen. Es ist dabei gar keine besondere „Kennerschaft“ nothwendig, sondern nur etwas Arbeit. Nehmen wir z. B. das erste Werk der Schule, das dem Besucher der Uffizien zu Florenz in die Augen fällt, es ist Giotto's Gethsemane. (Im ersten Gange, in der Nähe der Thür.) Unfreundlich, scheinbar ohne Lichteffekt, Individualisirung und Ausdruck der Seele, schreckt das Bild Tausende von Besuchern ohne Weiteres ab. Auch wenn man es mit der Loupe untersucht, wird es nicht schöner. Vielleicht aber besinnt sich Jemand auf andere Darstellungen desselben [758] Gegenstandes, wo die drei schlafenden Jünger zwar nach allen Gesetzen der verfeinerten Kunst geordnet, colorirt und beleuchtet, aber eben nur drei Schläfer in idealer Draperie sind. Giotto deutete an, dass sie unter dem Beten eingeschlafen seien. Und solcher unsterblich grossen Züge enthalten die Werke seiner Schule viele, aber nur wer sie sucht, wird sie finden. – Wir wollen vom Einzelnen anfangen.

Giotto's grosses Verdienst lag nicht in einem Streben nach idealer Schönheit, worin die Sienesen (S. 747) den Vorrang hatten, oder nach Durchführung bis ins Wirkliche, bis in die Täuschung, worin ihn der Geringste der Modernen übertreffen kann, und worin schon der Bildhauer Giovanni Pisano trotz seiner beschränkten Gattung viel weiter gegangen war. Das Einzelne ist nur gerade so weit durchgebildet als zum Ausdruck des Ganzen nothwendig ist. Daher noch keinerlei Bezeichnung der Stoffe aus welchen die Dinge bestehen, kein Unterschied der Behandlung in Gewändern, Architektur, Fleisch u. s. w. Selbst das Colorit befolgt eher eine gewisse conventionelle Scala als die Wirklichkeit. (Rothe, gelbe und bläuliche Pferde abwechselnd, z. B. bei Spinello im Camposanto in Pisa; die braunrothe Luft in der Geschichte Hiobs, bei der Audienz des Satans, ebenda.) Im Ganzen ist die Färbung eine lichte, wie sie das Fresco verlangt, mit noch hellern Tönen für die Lichtpartien; von der tiefen, eher dumpfen als durchsichtigen byzantinischen Tonweise ging man mit Recht ab. (Die delicateste Ausführung des Fresco überhaupt bei Antonio Veneziano, Camposanto.) Die Bildung der menschlichen Gestalt erscheint so weit vervollkommnet als zum freien Ausdruck der geistigen und leiblichen Bewegung dienlich ist, letztere aber wird noch nicht dargestellt weil oder wenn sie schön und anmuthig ist, sondern weil der Gegenstand sie verlangt. (Die bedeutendste Menge nackter Figuren, in der Hölle des Bernardo Orcagna, Camposanto, lässt einen Naturalismus erkennen, dessen Ursprung bei Giovanni Pisano zu suchen sein möchte. Ähnlich, doch unfreier, die Geschichte der ersten Menschen, von Pietro di Puccio, ebenda.) Der Typus der Köpfe ist wohl bei den einzelnen Malern und innerhalb ihrer Bilder nach den Gegenständen ein verschiedener, allein doch ungleich mehr derselbe als bei Spätern, welche durch Contraste und psychologische Abstufung [759] wirkten. Giotto selbst hat einen durchgehenden kenntlichen Typus bei Männern und Frauen, nicht unangenehm, aber ohne Reiz. (Ein Normalbild für seine Art der Formengebung und des Ausdruckes ist die grosse Madonna in der florent. Academie, vorzüglich in Betreff der Profilköpfe der Engel. Ausserdem das Bild in S. Croce. Er individualisirt fast am Meisten in seiner frühsten Hauptarbeit, den Fresken der Arena.) Bei beiden Gaddi kehrt das starke Kinn fast regelmässig wieder (Cap. Baroncelli in S. Croce etc.; sonst ist für Taddeo's Formenbildung im Detail hauptsächlich die grosse herrliche Grablegung in der florent. Academie zu vergleichen). Andrea Orcagna geht zuerst auf eigentliche Holdseligkeit aus (Cap. Strozzi in S. Maria novella), aber durchaus nicht immer, wie denn in dem Weltgericht des Camposanto eine mehr derbe, entschiedene Bildung vorherrscht. Das Individualisiren ist bald leiser, bald nachdrücklicher; vielleicht am absichtlichsten bei Ant. Veneziano. Spinello, welcher überhaupt oft roh zeichnet und an den Stellen, auf welchen kein Accent liegt, sich auch bis in die äusserste Flauheit gehen lässt, hat in seinen Köpfen am wenigsten Einnehmendes. – Der Sinn für Schönheit, für Melodie, könnte man sagen, concentrirt sich hauptsächlich in der Gewandung, welche bei den heiligen Personen eine wesentlich ideale ist, so wie das Mittelalter sie aus der altchristlichen Tradition übernommen hatte. Sie ist nicht nur der deutliche und nothwendige Ausdruck der Haltung und Bewegung, sondern sie hat noch ihre besondere, oft unübertreffliche Linienschönheit, die den Ausdruck des Würdigen und Heiligen wesentlich erhöht. (Giotto's Abendmahl im ehemal. Refectorium zu S. Croce möchte wohl das vollkommenste enthalten.)

Der Raum ist durchgängig ideal gedacht, und nicht etwa wegen „Kindheit der Kunst“ (die ja hier die grössten Aufgaben löst) unperspectivisch gegeben. Die Maler wussten recht wohl, dass unter so kleinbogigen Kirchenhallen, zwischen so niedrigen Stadtmauern, Pforten, Bäumen, auf einem so steilen Erdboden etc. keine solchen Menschen sich bewegen könnten, wie die ihrigen sind. Allein sie gaben was zur Verdeutlichung des Vorganges diente und dieses anspruchlos und schön (der Dom von Florenz als Symbol einer Kirche, Cap. d. Spagnuoli bei S. Maria novella), meist in Linien die mit der Einrahmung [760] des ganzen Gemäldes zusammenstimmten; auch z. B. die Pflanzen und Bäume in gerader Reihe (Cap. d. Spagn.; Trionfo della morte im Camposanto); die Felsen abgestuft zu Erzweckung verschiedener Pläne, und schroff geschärft zur Trennung verschiedener Ereignisse. (In dem letztgenannten Bilde. Merkwürdig contrastirt daselbst der unverkürzte, raumlos dargestellte Teppich unter der Gruppe im Garten mit dem schon naturwahr dargestellten Fussboden unter der Reitergruppe.) – Aber noch in einem andern Sinn ist das Raumgefühl ein ideales. Der Raum ist nämlich bei Giotto dazu vorhanden, um möglichst mit reichem Leben ausgefüllt zu werden, nicht um selber malerisch mitzuwirken; er gilt durchaus nur als Schauplatz. Wie schon bei Giovanni Pisano, so wird eben hier jeder Vorgang in einer möglichst grossen Anzahl von Figuren entwickelt oder gespiegelt, neben welchen die Nebensachen schon räumlich nicht aufkommen können. Die Schule hat so viel vom Besten vorräthig, dass sie mit ihrem Reichthum nicht wohin weiss und des Untergeordneten nicht zu bedürfen glaubt. Endlich lebt sie in einem innigen Verhältniss zur Architektur, die ihr dafür eine ganz andere Freiheit, zumal grössere Flächen gewährt als im Norden. Bei der Verzierung der Gewölberippen, bei ihrer Einrahmung mit Ornamenten und Halbfiguren arbeiten Maler und Baumeister so zusammen, dass sie Eine Person scheinen. – In den Gewölbemalereien ist, beiläufig gesagt, noch von keiner Art illusionärer Verkürzung die Rede. (Incoronata in Neapel; Giotto füllt die zusammenlaufenden Winkel seiner acht Dreieckfelder hier jedesmal mit einem schwebenden Engel aus, dessen Goldgewand herrlich zu dem dunkelblauen Grunde stimmt.)

Auf diesen Voraussetzungen beruht nun die ganz neue Auffassung der Charaktere und der Thatsachen, welche das grosse Verdienst der Schule ausmacht. In der Intention ist sie nicht heiliger, erhabener als die Byzantiner auch waren, die ja gern in ihren Mumiengestalten das Übersinnliche und Ewige ausgesprochen hätten. Allein sie bringt diese Intention dem Beschauer unendlich näher, indem sie dieselbe mit einem durchaus neugeschaffenen, lebendigen Ausdruck bekleidet. Schon ihren Einzelgestalten, etwa den Evangelisten in den vier Kappen eines Gewölbes (z. B. Madonnencapelle im Dom von Prato etc. etc.) genügt jetzt nicht mehr symmetrische Stellung, [761] Buch und Attribut; der hohe Charakter des Darzustellenden drückt sich in der lebensvollen und würdigen Wendung der Gestalt und des Hauptes, in den bedeutenden Zügen, in der freien und doch so feierlich wallenden Gewandung aus. Wie soll man z. B. den Johannes grösser fassen als diese Schule zu thun pflegt, – ein hochbejahrter Greis, in tiefem Sinnen vor sich hinblickend, indem sein Adler scheu zu ihm emporsieht?

Ehe von den grössern Compositionen die Rede ist, muss zugestanden werden, dass die Motive des Einzelnen und des Ganzen in dieser Schule sich gerade so wiederholen wie in der antiken Kunst. (Man vergleiche z. B. die drei Leben der Maria in der Cap. Baroncelli zu S. Croce, im Chor der Sacristei ebenda, und in der Madonnencapelle des Domes von Prato.) Die Maler sind desshalb keine Plagiatoren und Einer von ihnen hat auch den Andern gewiss nicht dafür gehalten; es war gemeinsames Schulgut, das Jeder nach Kräften reproducirte, nicht knechtisch, sondern lebendig und mit freien Zuthaten. Kirchen und Klöster verlangten die ihnen bekannte und keine andere Erzählungsweise der Passion, des Lebens der Maria, der Geschichten des heil. Franciscus etc. Sie verlangten von dem Künstler noch nicht seine geniale Subjectivität, sondern die Sache; es kam auf das Deutliche und Schöne, nicht auf das Eigenthümliche an. Daneben aber blieb, wie wir bald sehen werden, noch ein reiches und grosses Feld für freie Aufgaben im Sinne jenes Jahrhunderts offen.

Wie viel von jenem Gemeingut hat Giotto selber geschaffen? Die Frage wäre für Jemanden, der alle Werke der Schule nach einander mit Musse untersuchen könnte, nicht unlösbar; wir haben darauf zu verzichten. So viel ist gewiss, dass ein Strom von Erfindung und Neuschöpfung von ihm ausgegangen sein muss. Vielleicht hat kein anderer Maler seine Kunst so gänzlich umgestaltet und neu orientirt hinterlassen als er.

Sein Jugendwerk, die Fresken in Madonna dell' Arena zu Padua, sind für ihn und die ganze neue Geschichtsdarstellung der Schule in besonderm Grade bezeichnend. Jeder Thatsache ist ihre bedeutendste Seite abgewonnen um auf diese die Darstellung zu bauen. Wir wählen nur einige irdische, zum Theil alltägliche Vorgänge; ihr Werth liegt in dem was sich von selbst zu verstehen scheint, bei [762] seinen byzantinischen Vorgängern aber sich noch nicht von selbst verstand und nicht vorhanden ist.

Die tief in sich versunkene Trauer: Joachim bei den Hirten; er kommt zu ihnen gewandelt wie im Traum. – Der liebevolle Empfang: Joachims Heimkehr zur Anna, welche seinen Kopf ganz anmuthig mit beiden Händen fasst und ihn küsst. – Das Harren mit tiefster Erregung: die vor dem Altar knieenden Freier der heil. Jungfrau, theils in flehendem Gebet, theils in der höchsten Spannung, die würdevollste Gruppe ohne allen äusserlichen Affect. – Das stumme Fragen und Errathen: die wundervolle Gruppe der Heimsuchung. – Die getheilte Handlung der mittlern Figur in der Auferweckung des Lazarus; noch streckt der Dargestellte die rechte Hand gegen Christus, dem er sich unmittelbar vorher flehend zugewandt haben wird; jetzt mit der Geberde der höchsten Aufregung wendet er sich gegen Lazarus. – Der geheime Auftrag: die Unterhandlung des Judas mit dem Priester, dessen beide Hände (wie bei Giotto so oft) zu sprechen scheinen. – Der Hohn: in der Gruppe der Verspottung besonders meisterhaft der sich heuchlerisch gebückt Nahende. – Die hohe Mässigung alles Pathetischen: in der Gruppe unter dem Kreuz lehnt Maria, zwar ohnmächtig aber noch stehend, in den Armen der Ihrigen; was diese bekümmert ist nicht (wie bei den Malern des XVII. Jahrh.) die Ohnmacht an sich, sondern der gewaltige Schmerz. – Ein Dialog in Geberden: die Soldaten mit Christi Mantel; man glaubt ihre Worte zu vernehmen. – Die Klage um den todten Christus ist ohne irgend einen Zug der Grimasse 2) gegeben; der Leichnam ist gleichsam ganz in Liebe und Schmerz eingehüllt; Schultern und Rücken liegen auf den Knien der ihn umarmenden Mutter; eine heilige Frau stützt sein Haupt, eine hebt seine rechte, eine seine linke Hand empor; Magdalena, die Büsserin, auf der Erde sitzend, hält und beschaut die Füsse. – Ein einziges Mal hat Giotto in diesem wunderbaren Bilderkreis über das Ziel geschossen: bei Mariä Himmelfahrt stürzen die Apostel zur Erde nicht sowohl aus Andacht, als getroffen von den Strahlen, die von ihrer Glorie ausgehen. Sonst überall sind die Causalitäten [763] höher und geistiger gegriffen als bei Vielen der Grössten unter allen die nach ihm kamen.

Was hier an einem monumentalen Werke ersten Ranges gross erscheint, ist es nicht minder an den kleinen, fast skizzenhaften Geschichten Christi in der Acad. von Florenz. (Sie stammen nebst den als Parallele behandelten Geschichten des heil. Franciscus von den Sacristeischränken von S. Croce her; von den ehemals 26 fehlen 6.) Auch hier wird man die prägnanteste Erzählung in den geistvollsten Zügen antreffen. (Zu vergleichen mit der Pforte des Andrea Pisano, S. 573)

Mit der Intention, diese unsterblichen Gedanken zu finden, muss der Beschauer an Giotto's Schöpfungen herantreten. Die Schule hat sie von ihm ererbt und weiter verwerthet. Wo sie aber mit einer so glorreichen Unmittelbarkeit zu uns reden wie z. B. in den eben genannten Werken und in dem Abendmahl des Refectoriums von S. Croce, da fühlen wir uns in Gegenwart des Meisters selbst.

Die Anwesenden, welche ausser den Handelnden die einzelnen Scenen beleben, sind keine müssigen Füllfiguren, wie sie die spätere Kunst oft aus rein malerischer Absicht, um das Auge zu vergnügen hinzugethan hat, sondern immer wesentliche Mittel der Verdeutlichung, Reflexe, ohne welche die Handlung weniger sprechend wäre. Man sehe in der Cap. Peruzzi zu S. Croce die Auferstehung eines Heiligen (von Giotto?); hier wird das Wunder erst wirklich durch das mit voller dramatischer Grösse gegebene Verhalten der entsetzten und erstaunten Zuschauer. Gegenüber, in der Geschichte des Täufers, erhält die Scene, wo sein Haupt gebracht wird, ihre ganze Gewalt erst durch die beiden Zuschauer, die sich voll innern Grauens aneinanderschliessen. – Hundert anderer Beispiele zu geschweigen.

Bisweilen treten auch einzelne Figuren und Gruppen aus der Handlung heraus, indem sie nur dazu bestimmt sind, eine Örtlichkeit oder Existenz zu versinnlichen; im Grunde sind es reine Genrefiguren. So der Fischer in Giotto's Navicella (Vorhalle von S. Peter), obschon man diesen auch als symbolisches Gegenbild zu dem rechts stehenden Christus auffassen kann; eine ganze Fischerscene bei Antonio Veneziano (Camposanto, Gesch. des heil. Ranieri) u. dgl. m. [764] Ja das Camposanto enthält in dem „Leben der Einsiedler“ von dem Sienesen Pietro di Lorenzo oder Lorenzetti eine grosse chronikartige Zusammenstellung einzelner Züge, von welchen man gerade die besten, am glücklichsten gerundeten als Genre bezeichnen kann; es sind die Motive des Ruhens, sitzenden Arbeitens, ruhigen Redens, Fischens etc. Diesen war der sienesische Existenzmaler viel besser gewachsen, als denjenigen, in welchen es auf erhöhten momentanen Ausdruck ankam.

Die Scenen des höhern Pathos überschreiten bisweilen das wahre Mass, wie namentlich einzelne Passionsbilder zeigen. Die räthselhafte Composition welche im Camposanto dem Buffalmaco beigelegt wird, enthält zwischen herrlichen Gruppen von Anwesenden die carikirt schmerzliche Gruppe der ohnmächtig sinkenden Maria und ihrer Begleiterinnen; um das entsetzliche Ende des bösen Schächers zu versinnlichen, hat der Maler unter dessen Kreuz einen Mann abgebildet, der händeringend von dannen eilt. (Die würdigste und an schönen Zügen reichste giotteske Kreuzigung möchte diejenige in der Cap. d. Spagnuoli sein; einer der bedeutendsten Passionscyclen überhaupt war der im Capitelsaal von S. Francesco zu Pisa.)

Sonst tritt die innere Erregung oft bewundernswürdig wahr und schön zu Tage. Man sehe (Camposanto, bei Franc. da Volterra) die Geberde edeln Vorwurfes, mit welcher Hiob zu Gott spricht, indem er auf die verlornen Heerden hinweist; oder (bei Symone) die Innigkeit, mit welcher S. Ranieri sein Gelübde bei dem heiligen Mönch ablegt. Das Gewaltigste im Affect hat wohl Orcagna geleistet in der Gruppe der Krüppel und Bettler (Trionfo della morte, Camposanto), welche vergebens nach dem erlösenden Tode schreien; ihre parallele Geberde mit den verstümmelten Armen wirkt hier, verbunden mit dem Ausdruck ihrer Züge, hochbedeutend. Es ist einer der Fälle, da auch das Widrige vollkommen kunstberechtigt erscheint. Nur so erhielt die Gruppe im Garten ihren deutlichen Sinn als Gegensatz; sie ist, beiläufig gesagt, das ausgeführteste weltliche Existenzbild des germanischen Styles, eine Ausführung dessen, was die Miniaturen unserer Minnesingerhandschriften nur erst als Andeutung geben; doch schon mit einem deutlichen Anklang an Boccaz. In der Gruppe der Reiter ist der tiefe Schauder vor den drei Leichen unübertrefflich schön dargestellt in dem behutsamen Herannahen, Überbeugen, Sichzurückhalten; [765] zugleich malerisch eine vorzügliche Composition. – An einfachern Aufgaben zeigt z. B. in der Sacristei von S. Miniato bei Florenz Spinello seine herbe Grösse. Es sind die oft gemalten Geschichten des heil. Benedict, hier auf ihren einfachsten Ausdruck zurückgeführt. Macht und ruhige Autorität liessen sich kaum treffender darstellen, als hier in Geberde und Gestalt des heiligen Abtes durchweg geschieht; auch die Verführung und die Busse des jungen Mönches, die Demüthigung des Gothenkönigs, die Gruppe der Mönche um den vom Teufel in Besitz genommenen Stein gehören zu den geistvollsten Gedanken der florent. Schule. Vieles Andere ist dagegen flüchtig gedacht und roh gegeben. (Überdiess beträchtlich übermalt.)

Je nach der Aufgabe erschöpfen diese Maler bisweilen das Mögliche in edler und geistvoller Äusserung der Seelenbewegung. Ich glaube nicht, dass die Scene des Auferstandenen der seine Wundmale zeigt, jemals wieder so vollkommen gedacht worden ist als in der nur stückweise erhaltenen Gruppe des Buffalmaco (Camposanto). Statt des einen Thomas sind es mehrere Jünger, die den Auferstandenen wieder erkennen und seine Wunden verehrend, anbetend, voll zärtlicher Theilnahme betrachten; zugleich bilden sie eine der schönstgeordneten Gruppen der Schule. (Man vergleiche damit Guercino's trefflich gemaltes und dabei so roh empfundenes Bild in der vatican. Galerie.) Auch in der zunächst folgenden Himmelfahrt hat die stärkste Übermalung die schönen alten Gedanken nicht gänzlich zerstören können: noch sind die Apostel kenntlich getheilt zwischen Augenblendung, Erstaunen, Betheurung und hingebender Anbetung. Wenn man aber wissen will, mit wie wenigem sich ein grosser, für jene Zeit erschütternder Eindruck hervorbringen liess, so betrachte man in der Incoronata zu Neapel das „Sacrament der Busse“; fast entsetzt wendet sich der Priester von der beichtenden Frau ab, während die Büsser verhüllt und gebückt von dannen ziehen. Überhaupt ist die Incoronata in dieser Beziehung durchgängig eines der wichtigsten Denkmäler.

Die Darstellung des Himmlischen, Heiligen, Übersinnlichen hat noch ganz dieselbe Grundlage wie zur byzantinischen Zeit; in symmetrischer Gruppirung und Haltung, ganz ernst und ruhig ragt es in die irdischen Vorgänge herab, als etwas sich von selbst Verstehendes, dem noch der volle, auch apokalyptische Glaube entgegenkömmt; [766] bei der idealen Betrachtungsweise des Raumes findet es auch äusserlich von selbst seine Stelle. (Erst das XV. Jahrh. fing an, den Himmel durch Wolkenschichten räumlich zu erklären, und erst Coreggio giebt den Wolken jenen bestimmten cubischen Inhalt und Consistenzgrad, welcher sie zur ganz örtlich berechenbaren Unterbringung von Engeln und Heiligen geeignet macht.) Es sind die seit der altchristlichen Zeit kunstüblichen Gedanken, die in jeder, selbst in verschrumpft byzantinischer Form imponiren, hier aber in schöner Verjüngung auftreten. Das was so lange Jahrhunderte blosse Andeutung gewesen war, gewinnt endlich eine erhabene Wirklichkeit, soweit eine solche überhaupt im Sinne des Jahrhunderts lag.

Hier muss vorläufig von den Weltgerichtsbildern die Rede sein. Es hatten schon lange, auch im Orient solche existirt, ehe Orcagna das seinige malte (Camposanto). Allein bei ihm erst ist der Richter nicht bloss eine Function, sondern ein persönlicher Charakter, dem die Wendung und die berühmte Geberde ein imposantes Leben verleihen. Der damalige Glaube wies bereits der Madonna eine fürbittende Theilnahme beim Weltgerichte an; der Maler gab ihr denselben mandelförmigen Heiligenschein (Mandorla) wie Christus; ihre Unterordnung wird nur dadurch angedeutet, dass ihre Stellung der seinigen fast parallel folgt. Die Apostel sind keine blossen Anwesenden mehr, sondern sie nehmen den stärksten innern Antheil; wir sehen sie trauernd, erschrocken auf den Richter hinblickend, niedergeschlagen in sich gekehrt, auch mit einander redend. Sogar einer der Engelherolde kauert furchtsam auf einer Wolke, den Mund mit der Hand verdeckend. Höchst energisch vollziehen dann unten fünf Erzengel das Geschäft des Seelenscheidens; in den beiden, welche die Herüberstrebenden in die Hölle zurückdrängen, ist die herbste Wirkung beabsichtigt und erreicht.

Auch blosse Glorien sind bei dieser Schule immer höchst beachtenswerth. Die ererbte Symmetrie in der Haltung der Hauptfigur und der Engelschaaren wird mehr oder weniger beibehalten, aber mit grandiosem Leben durchdrungen. Man kann nichts Eigenthümlicheres sehen, als (Camposanto, Gesch. des Hiob) die Erscheinung Gottes in ovaler Glorie mit 6 Engeln über einer Landschaft mit grünem Meer, gelber Erde und rothem Himmel; Satan tritt auf einem Fels in Gottes Nähe. [767] Kein Effect des Lichtes und des Raumes könnte den echten, grossartigen Charakter dieser Theophanie irgend erhöhen.

Oder (ebenda) Mariä Himmelfahrt, von Symone: drei Engel auf jeder Seite, und zwei stärkere, männliche Engel unten tragen und halten den Rand der Mandorla, in welcher die Jungfrau ihrem Sohn entgegenschwebt. Glaubt man ihr nicht viel eher, dass sie wirklich schwebe und ein überirdisches Dasein habe als jenen zahlreichen Madonnen der letzten Jahrhunderte auf den mit zerstreuten Engeln besäeten Wolkenhaufen, mit Lichteffect und Untensicht? – Das Schweben wird aber überdiess in der Schule Giotto's nicht selten so anmuthig und feierlich dargestellt, dass man die vollendete Kunstepoche vor sich zu haben glaubt. Es sind in Orcagna's Weltgericht zwei Engel, die bis auf Rafael schwerlich mehr ihres Gleichen haben.

Ausser den biblischen und legendarischen Stoffen erging sich aber die Schule noch in freien, grossen symbolisch-allegorischen Bildern und Bilderkreisen. Sie hing dabei, wie oben bei Anlass der Sculptur (S. 572) angedeutet wurde, von einer gelehrt literarischen und poetischen Bildung ab, welche der stärkere Theil und durch einen Genius wie Dante repräsentirt war. Schon bei dem grossen Dichter aber darf man sich wohl fragen, ob er durch seine Symbolik oder trotz derselben gross ist. Dieselbe war nicht durch und mit Dichtung und Kunst entstanden wie im Alterthum, sondern Dichtung und Kunst mussten sich ihr bequemen. Bei Dante freilich liegt Alles untrennbar durch und in einander; er ist ebensosehr Gelehrter und Theolog als Dichter. Der Künstler dagegen war hier auf etwas ausser seiner Sphäre liegendes angewiesen, er musste dienen, und that es mit heiligem Ernst. Wir aber sind nicht verpflichtet, die Empfindungsweise einer zwar strebenden, aber doch nicht harmonischen Zeit und noch viel weniger ihre zu einer wunderlichen Encyclopädie geordneten Bildungselemente zur Norm für uns selber zu machen; vielmehr muss hier neben dem Ewigen, das jene Kunst schuf und dem wir ganz folgen können, auch das Vergängliche und Befangene anerkannt werden.

Die Allegorie ist zunächst die Darstellung eines abstracten Begriffes in menschlicher Gestalt. Um kenntlich zu sein, muss sie in Charakter und Attributen diesem Begriff möglichst zu entsprechen suchen; nicht immer kann man durch eine Beischrift nachhelfen. Ich [768] bekenne, dass mich von allen giottesken Allegorien eine einzige wahrhaft ergreift, die Gestalt des Todes im Trionfo della morte Orcagna's; sie ist eben keine blosse Allegorie, sondern eine dämonische Macht. Die Tugenden und Laster, wie sie z. B. Giotto in der Arena (untere Felder) angebracht hat, sind für uns doch nur culturgeschichtlich interessante Versuche, das Allgemeine zu veranschaulichen; in unserer Empfindungsweise finden sie keine Stelle. Wer in Italien allmälig z. B. einige hundert Darstellungen der vier Cardinaltugenden aus allen Epochen der christlichen Kunst durchgesehen hat, wird sich vielleicht mit mir darüber wundern, dass so Weniges davon im Gedächtniss haften bleibt, während historische Gestalten sich demselben fest einprägen. Der Grund ist wohl kein anderer, als dass jene nicht durch unsere Seele, sondern nur an unseren Augen vorübergegangen sind. Die drei christlichen Tugenden, Glaube, Liebe, Hoffnung, prägen sich schon viel fester ein, weil sie nicht wesentlich durch äussere Attribute, sondern durch gesteigerten Seelenausdruck charakterisirt zu werden pflegen und uns daher zum Nachempfinden auffordern. Die Künste und Wissenschaften, in der Cap. d. Spagnuoli bei S. Maria novella in grosser vollständiger Reihe vorgetragen und von ihren Repräsentanten begleitet, würden uns ohne die sienesisch süssen Köpfe gleichgültig lassen; Giotto in seinen Reliefs am Campanile, welche ein Jahrzehnd neuer sein können als diese Gemälde, ersetzte nicht umsonst die allegorische Figur durch das Bild der entsprechenden Thätigkeit. – Und woher stammte im Grunde die Anregung zu dieser durch das ganze (auch byzantinische) Mittelalter gehenden Lust am Allegorisiren? Sie war ursprünglich das Residuum der antiken Mythologie, welche mit dem Christenthum ihre wahre Bedeutung eingebüsst hatte. Ihr Ahn heisst Marcianus Capella und lebte im V. Jahrhundert. Die Kunst wird die Allegorie nie ganz entbehren können und konnte es schon im Alterthum nicht, allein sie wird in ihren Blüthezeiten einen nur mässigen Gebrauch davon machen und keinen geheimthuenden Hauptaccent darauf legen. (Vgl. S. 702 ff.)

Hauptsächlich aber wird sie derartige Gestalten abgesondert darstellen und nicht in historische Scenen hineinversetzen. (Vgl. Rafael: Decke der Camera della Segnatura, und Saal Constantins.) Giotto war kühner: er liess sich, ohne Zweifel durch Dante, verführen, in [769] der Unterkirche von Assisi u. a. eine wirkliche Vermählungsceremonie des heil. Franciscus und einer Figur welche die Armuth darstellt abzuschildern; beim Dichter bleibt der Vorgang Symbol und der Leser wird darüber keinen Augenblick getäuscht; beim Maler wird es eben doch eine Trauung, und wenn er noch so viele Winke und Beziehungen ringsum aufhäuft, wenn auch Christus dem heil. Franz die Armuth zuführt und es dabei geschehen lässt, dass zwei Buben sie misshandeln, wenn auch ihr Linnenkleid in Fetzen geht u. dgl. m. Die Verpflichtung zur Armuth als eine Vermählung mit ihr zu bezeichnen, ist eine Metapher, und auf eine solche darf man gar nie ein Kunstwerk bauen, weil sie als Metapher, d. h. „Übertragung auf eine neue fingirte Wirklichkeit“ im Bilde ein nothwendig falsches Resultat giebt. Wenn spätere Künstler z. B. die mit der Zeit an den Tag gekommene Wahrheit darstellen wollten, so kam dabei ein absurdes Bild zu Stande wie folgt: ein nackter geflügelter Greis mit Stundenglas und Hippe deckt ein verhülltes Weib auf! – Sobald man eben die allegorischen Figuren in sinnliche Thätigkeit versetzen muss, ist ohne die Metapher beinahe gar nichts auszurichten und mit ihr nur Widersinniges. Auch die übrigen Allegorien des Mittelgewölbes der Unterkirche von Assisi sind an sich so barock als die des XVII. Jahrhunderts. Da verscheucht die Busse mit einer Geissel die profane Liebe und stürzt die Unreinigkeit über den Fels hinab. Die Keuschheit sitzt wohlverwahrt in einem Thurm; die Reinigkeit wascht nackte Leute und die Stärke reicht das Trockentuch dar. Der Gehorsam, von der zweiköpfigen Klugheit und der Demuth begleitet, legt einem Mönch ein Joch auf; einer der anwesenden Engel verjagt einen Centauren, womit der Eigensinn, d. h. die phantastische Caprice, gemeint ist. Ohne den tiefen Ernst Giotto's, der auch hier nur das Nothwendige und dieses so deutlich als möglich, – ohne alle versüssende Coketterie – ausdrückt, würden diese Scenen profan und langweilig wirken 3).

Die Kunst empfand das Ungenügende aller Allegorik auch recht wohl. Als Ergänzung schuf sie z. B. jene meist dem Alterthum entnommenen Repräsentanten der allgemeinen Begriffe, und gesellte sie [770] den Allegorien einzeln bei, wovon die genannte Cap. d. Spagnuoli das vollständigste Beispiel liefert. (Auch Dante macht von dieser Repräsentation bekanntlich den stärksten Gebrauch.) Solche Figuren, namentlich wenn sie nicht besser stylisirt sind als bei Taddeo di Bartolo (Vorraum der Cap. des Pal. pubblico in Siena), bleiben doch blosse Curiosität; sie geben den Massstab des naiven historischen Wissens jener Zeit, die nach Valerius Maximus und andern Quellen dieser Art neue Ideale proclamirt.

Ungleich wichtiger und selbständiger als dieses buchgeborene allegorische Element ist in Giotto's Schule das symbolische. Es giebt hohe, gewaltige Gedanken, die sich durch keinen bloss historischen Vorgang versinnlichen lassen und doch gerade von der Kunst ihre höchste Belebung verlangen. Das betreffende Kunstwerk wird um so ergreifender sein, je weniger Allegorie, je mehr lebendiges, deutliches Geschehen es enthält. Die künstlerische Symbolik spricht theils Gruppen- und Kategorienweise, theils durch allbekannte historische Charaktere. Das Grösste was von dieser Art vorhanden ist, trägt am Wenigsten den Stempel der blossen subjectiven Erfindung; es sind vielmehr grosse Zeitgedanken, die sich fast mit Gewalt der Kunst aufdrängen.

Zu diesen Gegenständen gehört schon das ganze Jenseits, obwohl nicht unbeschränkt. Soweit das Evangelium und die Apokalypse in ihren Weissagungen gehen, hat die Kunst noch einen Boden, der mit dem Historischen von gleichem Range ist. Erst mit den einzelnen Motiven, die hierüber hinausgehen, beginnt die freie Symbolik. Das Weltgericht in seinen drei Abtheilungen: Gericht, Paradies und Hölle, hat in dieser Schule drei mehr oder weniger vollständige Darstellungen erhalten: die (sehr zerstörte) Giotto's 4) an der Vorderwand der Arena zu Padua, und die der beiden Orcagna in S. Maria novella (Cap. Strozzi) und im Camposanto (der unterste Theil von dem schlechten [771] Übermaler wesentlich verändert). Die Hölle ist an beiden letztern Orten mit offenbarem Anschluss an Dante nach Schichten oder Bulgen eingetheilt, in welche die einzelnen Sünderclassen nach Verdienst eingeordnet sind. Ich überlasse es einem Jeden, über Dante's Unternehmen, über diess eigenmächtige Einsperren der ganzen Vor- und Mitwelt in die verschiedenen Behälter seiner drei grossen Räume zu denken wie er will; nur möge man sich im Stillen fragen: wo hätte er dich wohl hingethan? Es ist nicht schwer, diejenigen verschiedenen Höllenbulgen im Gedicht nachzuweisen, wohin z. B. die meisten jetzigen Anbeter des Dichters selbst zu sitzen kämen. Aus dem Gedichte spricht nur zu oft der Geist der unerbittlichen, unauslöschlichen Zwietracht, welcher das Unglück Italiens verschuldet hat. Auch in dem symbolischen Inhalt überhaupt, so schwer und künstlich er verarbeitet ist, liegt, wie gesagt, nur der culturgeschichtliche, nicht der poetische Werth der Divina Commedia. Der letztere beruht wesentlich auf der hohen, plastischen Darstellungsweise der einzelnen Motive, auf dem gleichmässig grandiosen Styl, wodurch Dante der Vater der neuern abendländischen Poesie wurde.

Die Malerei konnte sich von dieser Seite seines Wesens nur einen Theil aneignen; das Schön-Episodische fiel in den Höllenbildern weg, und es blieb nur die Gruppirung nackter Körper nach Abtheilungen als künstlerisch dankbares Element übrig. In dem Bilde des Camposanto ist denn auch die eine Gruppe der zusammengekauerten, die aneinander nagen, von vorzüglicher Bedeutung. Das Bild in S. Maria novella dagegen, welches Vollständigkeit des Höllencyclus bezweckt und desshalb nur kleine Figuren enthält, ist künstlerisch so viel als nichtig.

Das Weltgericht selber bleibt von Dante frei, wie sich von selbst versteht. Die Kunst des XIV. Jahrh. zeigt sich hier in ihrer Beschränkung gross; sie verzichtete im Wesentlichen darauf, das Raumlose räumlich, das Passive körperlich und dramatisch interessant zu machen; in regelmässigen Schichten von Köpfen drückte sie diesseits Jubel und Seligkeit, jenseits Jammer und Verdammniss collectiv aus; nur mässig aber bedeutend gewählt sind ihre Episoden; in dem Bilde des Camposanto ist z. B. ein Zug der echtesten Symbolik die Gruppe der von Teufelshänden gepackten Frauen, welche die Andern (nicht [772] unwillkürlich, sondern) als Genossinnen und Mitschuldige mit sich reissen; oder die aufs Höchste gesteigerte Inbrunst des auf einer Wolke am Rand einer Reihe knieenden Johannes d. T.; es ist richtig und schön gedacht, dass der Vorläufer Christi an diesem höchsten Akt seiner Macht gerade diesen Antheil habe. Von der himmlischen Gruppe ist schon die Rede gewesen. – In S. Maria novella kommt eine besondere Darstellung des Paradieses hinzu, welche durch die süssere Schönheit ihrer Köpfe vor den mehr sinnlich energischen des Bildes im Camposanto einen gewissen Vorzug hat. Der Unterschied des seligen Daseins gegenüber dem gewaltigen Act des Gerichtes ist dadurch ausgedrückt, dass die Köpfe nicht wie hier im Profil gegen Christus, sondern in ganzer Ansicht gegen den Beschauer gerichtet sind. Mit so leisen Mitteln muss diese Kunst wirken.

Die Teufel, wo sie vorkommen (ausser den genannten Bildern z. B. besonders reichlich in der Cap. d. Spagnuoli, wo Christus im Limbus erscheint), sind reine Caricaturen und Satan selbst am Meisten. Vor lauter Teufelhaftigkeit haben sie gar nichts Dämonisches.

Von den übrigen symbolischen Compositionen der Schule ist der Trionfo della morte weit die bedeutendste. Sie bedarf weiterer Erläuterungen gar nicht, weil hier der symbolische Gedanke rein im Bilde aufgeht. Die Gegensätze sprechen in Gestalt von Gruppen sich klar genug gegeneinander aus. Orcagna war auch als Künstler dem ganzen reichen Gedanken völlig gewachsen.

Diess gilt von dem grossen symbolischen Fresco des Ambrogio Lorenzetti im Pal. pubblico zu Siena, mit der Darstellung der Folgen des guten und des tyrannischen Regimentes, lange nicht im gleichen Masse; doch ist die buchmässige Allegorie wenigstens mit Zügen echter und schöner Symbolik gemischt. (Im Oct. 1853 war die betreffende Sala delle Balestre nicht zugänglich.)

Dagegen fehlte es den Malern der Capella d. Spagnuoli bei S. Maria novella nicht an der Gestaltungskraft auch für das Bedeutendste. Ausser jener grossen allegorischen Darstellung (linke Wand) wo S. Thomas von Aquino in der Mitte aller Wissenschaften und Künste thront, schufen sie an der rechten Wand ein symbolisches Bild: die Bestimmung und Macht der Kirche auf Erden. (Das Einzelne ist in den Handbüchern nachzusehen.) Ein überreiches, sorgfältig [773] und schön durchgeführtes Werk, aber vollkommen aus der Buchphantasie, nicht aus der Künstlerphantasie entstanden, wesshalb es denn auch eines Buches zur Erklärung bedarf. Wie anders deutlich und ergreifend spricht der Trionfo della morte. Wie anders grossartig hätte sich auch das Bild der Kirche symbolisch geben lassen! Freilich im Kloster von S. Maria novella hätte sich auch ein Orcagna einem gegebenen dominicanischen Programm aus guten Gründen ohne Widerrede gefügt.

Diese theologisirende Phantasie hat noch mehr als einmal der Kunst den echten Gestaltungstrieb verleidet. Man sehe bei Pietro di Puccio (Camposanto) Gott als Schöpfer und Herrn der Welt dargestellt. Es ist eine riesige Figur die einen ungeheuern Schild mit den concentrischen Himmelssphären vor den Leib hält; unten schauen die Füsse hervor. Somit ist freilich jeder Gedanke an eine Immanenz Gottes in der Welt beseitigt 5).

Oder die Glorie des heil. Thomas von Aquino, auf einem Altar links in S. Caterina zu Pisa, von einem gewissen Francesco Traini (an sich ein geringes Bild). Hier sollte die geistige Einwirkung, welche der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und auf die Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Der Maler (oder sein Rathgeber) machte diess auf die leichteste Weise mit goldenen Strahlen ab. Von dem oben angebrachten Christus geht je ein Strahl auf jeden der sechs Apostel und drei auf den in der Mitte thronenden S. Thomas; von jedem Apostel und von den weiter unten stehenden [774] Heiden Plato und Aristoteles geht je ein Strahl auf den Kopf des Thomas; von dem Buch des Thomas (der Summa) gehen viele Strahlen auf die unten versammelten Geistlichen; mitten auf der Erde liegt ein widerlegter Ketzer. Das Wesentliche in dieser ganzen Darstellung liess sich schon mit dem blossen Lineal hervorbringen.

An einem Traini und seiner Eigenthümlichkeit ging nun nicht eben viel verloren, aber bei Andern darf man es wohl bedauern, dass die Theologie ihnen Gedankengänge vorschrieb, während sie aus eigenen Kräften die gegebenen Grundideen höher verherrlicht haben würden.

Glücklicher Weise war Giotto selbst freier gewesen, als er in einer Abtheilung des oben genannten Gewölbes der Unterkirche von Assisi die Glorie des heil. Franciscus malte: der Heilige als Verklärter, im goldgewebten Diaconengewand, mit einer Kreuzfahne, umschwebt von Engelchören. Diess ist echte, deutlich sprechende Symbolik. Die S. 772, e erwähnte Glorie des heil. Thomas von Aquino dagegen musste mit Allegorien vermischt werden, weil der Triumph des gelehrten Heiligen über alle einzelnen Wissenschaften und Künste zur Anschauung kommen sollte.

 

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Die Schule Giotto's ergeht sich nur in Fresco und nur in der bewegten Handlung mit voller Freiheit und Grösse. Ihre Altarwerke, welche fast durchaus nur ruhige Andachtsbilder sind, geben einen sehr beschränkten Begriff von ihrem Wesen, sind aber für die Beurtheilung ihres technischen Vermögens (und Wollens) von Wichtigkeit.

Die kunstgeschichtlich bedeutendsten derselben wurden bereits oben genannt. Ausserdem enthält fast jede ältere Kirche Toscana's irgend ein Stück, und dann bilden die aus vielen Kirchen und Klöstern vereinigten in der Academie zu Florenz eine ganze grosse Sammlung (hauptsächlich in der Sala delle Esposizioni) 6). Wer Zeit und Lust hat, mag sie allmählig nach Manieren und einzelnen Meistern sondern; hier nur einige allgemeine Bemerkungen. [775]

Es handelt sich fast immer um eine thronende Madonna mit Engeln und Heiligen; ausserdem kommt am ehesten die Krönung der Maria durch Christus vor 7). Die Heiligen stehen theils einzeln, theils hintereinander geschichtet seitwärts; in der Regel durch eigene Einfassungen, Säulchen etc. getrennt. Die Richtung ist meist die der Dreiviertelansicht, damit die Gestalt ebensosehr dem andächtigen Beschauer als der Jungfrau zugewandt sei; nur die vor ihr Knieenden sind ganz im Profil dargestellt. Seitenblicke zum Behuf der Abwechselung kommen noch nicht vor. Die Stellung meist ruhig; nur etwa Johannes d. T. mit erhobenem Arm, als Prediger, oder um auf das Kind hinzuweisen. Maria durchgängig von schlichtem Ausdruck, ohne irgend einen Zug besonders gesteigerten Gefühles; beim Kinde der Anfang eines harmlosen Vergnügens, ohne welches in der That kein gesundes Kind still sitzt, etwa das Spiel mit einem Hänfling. Die Färbung im Ganzen licht, wie sie die Tempera verlangt. Die durchgehende Grundlage bilden roth, blau und gold. (Die Kreise von Cherubsköpfen ganz blau und ganz roth.) In der Gewandung sind die gewirkt gedachten Prachtmuster ungleichmässiger angewandt als bei den Sienesen, dafür tritt der würdige und schöne Wurf viel mehr als Hauptzweck hervor. Man kann es verfolgen, wie die Kunst an den verhältnissmässig wenigen Hauptmotiven mit Anstrengung weiterbildet: es ist der Mantel der thronenden Madonna, derjenige der auf dem einen Knie liegenden Figuren, der mit der einen Hand aufgefasste Mantel der Stehenden, die strammfallende Kutte der h. Mönche, die schwer gestickte Dalmatica der Diaconen u. s. w. Für die Köpfe spricht die Schule hier ihre Absicht deutlicher aus, als in den meisten Fresken. Wenn ich mich nicht täusche, so tritt viel speciell Florentinisches im Oval und in der Bildung der Nase und des Mundes zu Tage. Das momentan Beseelte darf man hier überhaupt noch nicht erwarten.

Die Altarstaffeln (Predellen) wiederholen so ziemlich in ihren Geschichten die Compositionen der Fresken; sie sind also eine Verkleinerung [776] des Grossen. In der nordischen Kunst sind so oft umgekehrt die grössern Bilder eine Vergrösserung des im Kleinen als Miniatur Gedachten.

 

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Zur Beurtheilung dieser Tafelmalerei der Nachfolger Giotto's und der Sienesen ist es nothwendig, sich das Ganze der Altarwerke zu vergegenwärtigen, die man jetzt in Galerien, Kirchen und Sacristeien meist in ihre einzelnen Theile zersplittert antrifft, – in der Regel weil sie bei irgend einem Umbau der Kirche zu dem Barockstyl der neuen Altäre als in die Breite gehendes Ganzes nicht passen wollten. Ganz erhaltene Beispiele mit möglichst reicher Ausstattung sind sehr selten; eines findet sich z. B. in der Academie zu Florenz (Saal der Ausstellung); ein noch vollständigeres in S. Domenico zu Cortona, an der linken Wand. Dieses Altarwerk eines nicht gerade bedeutenden Meisters, Lorenzo di Niccolò, hat noch ausser dem Hauptbilde (Krönung Mariä) alle seine Nebenbilder, Fries- und Giebelfüllungen, Oberbilder, Untersatzbilder (Predellen) und an den Flächen der Seitenthürmchen die sämmtlichen Täfelchen mit Einzelheiligen; auch alles Architektonische – üblicher Weise die Nachahmung eines Kirchenbaues – ist wohl erhalten. Hier lernt man erst erkennen, für welchen Raum und für welchen Theil eines Gesammtwerkes z. B. Fiesole jene jetzt in alle Welt zerstreuten Tafeln gemalt hat. Dass ein Altar dieser Art, mit einer solchen Menge von Einzeltheilen, einen ruhig-grossen Eindruck machen solle, darf man weder erwarten noch verlangen.

 

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Endlich sind in Toscana aus dem XIII. und XIV. Jahrh. eine Menge gemalter Crucifixe, oft von colossaler Grösse erhalten. Sie hingen früher, nach dem Gebrauch der katholischen Welt, frei und hoch über dem Hauptaltar, mussten aber in der Barockzeit jenen bekannten, pomphaften Architekturen mit Gemälden weichen und erhielten ihre Stelle z. B. über dem Hauptportal, neuerlich auch in Sammlungen. (Mehrere in der Acad. zu Siena.) Man wird im Ganzen finden, dass sie je älter, desto unwürdiger sind, mit weitausgebogenem, grünlich gefärbtem Leibe. Erst Giotto stellte etwas darin [777] dar, was dem Sieg über den Tod ähnlich sieht; wenn auch der Crucifixus im Gang zur Sacristei von S. Croce in Florenz schwerlich von ihm sein mag, so wäre doch ein solches Werk ohne seinen Einfluss nicht vorhanden. (Zwei andere in der Sacristei selbst.) – An den vier Enden der Bretter insgemein die vier Evangelisten, oder rechts und links Sonne und Mond als Personen, die ihr Haupt verhüllen; die Senkung des Hauptes Christi meist ganz naiv durch schräge Richtung des obern Brettes verdeutlicht.

 

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Die Schule von Siena, welche im XIII. Jahrh. mit Guido und Duccio (S. 743, 347) so bedeutende Elemente der Schönheit entwickelt hatte, besass im XIV. Jahrh. keinen Künstler, der Giotto's Einfluss entweder die Spitze geboten, oder denselben auf fruchtbringende Weise mit der einheimischen Richtung verschmolzen hätte. Sie theilte schon die florentinische Liebe für grosse Bilderkreise in Fresco nicht in besonderm Grade; ihr vorzüglichster Meister zu Giotto's Zeit, Simone di Martino, scheint sich nirgends über das ruhige Andachtsbild erhoben zu haben. Freilich sind seine Madonnen durch ihre Pracht und miniaturartige Feinheit, durch den Schwung der Gewänder und die eigenthümliche Schönheit der Züge wahre Juwelen der mittelalterlichen Kunst; doch giebt ihnen die conventionelle Bildung des Auges und des Mundes, die bei Duccio noch nicht merklich auffällt, immer etwas Befremdliches. (Die unzweifelhaften sind sehr selten 8) und meist ausserhalb Italiens; von ihm und Lippo Memmi die grosse Verkündigung in Florenz, erster Gang der Uffizien, datirt 1333; unangenehm durch die Geberde der Madonna.) – Simone's grosses Fresco im Pal. pubblico zu Siena (Sala del Consiglio), die Madonna umgeben von vielen Heiligen, deren einige den Baldachin über ihr tragen, ist so symmetrisch und regungslos, als irgend ein Altarbild, im Einzelnen [778] aber von einer Schönheit, nach welcher die Florentiner nicht einmal gestrebt hätten. Von seinem Schüler Lippo Memmi besitzt Siena wenigstens noch ein sicheres Madonnenbild in der Kirche della Concezione oder ai Servi (im rechten Querschiff, über der Thür zum Sacristeigang); das grosse Altarwerk in der Academie (erster Raum) gehört ihm nur nach Vermuthung. Sonst giebt die Sammlung der Academie von Siena (erster bis dritter Raum) eine Übersicht der dortigen Malerei des XIV. Jahrh., die im Ganzen einen merkwürdigen Stillstand beurkundet, eine ungesunde Befangenheit in der einmal angenommen Gesichtsbildung und in einzelnen byzantinischen Manieren (aufgesetzte helle Lichter, Prachtmuster der Gewänder und der Gründe, grüne, vielleicht nur durch Verderbniss einer Mineralfarbe so gewordene Fleischschatten u. s. w.)

Die einzelnen Künstlercharaktere müssen dem Studium an Ort und Stelle überlassen bleiben, da wir es nicht mit den Zurückgebliebenen, sondern mit den Vorwärtsstrebenden zu thun haben. Unvermeidlich drang von Florenz und von dem übrigen Italien aus die allverbreitete, zum Gemeingut der Nation gewordene Erzählungsweise Giotto's auch nach Siena; Ambrogio Lorenzetti malte in der Sala delle balestre des Palazzo pubblico auch jene grosse symbolische Composition in giottesker Art, die Folgen des guten und des schlechten Regimentes; mit seinem Bruder Pietro schuf er sogar im Camposanto zu Pisa jenes grosse, an guten Einzelheiten so reiche Fresco der Einsiedler in der Thebais; allein hier wie in den Tafelbildern der Schule macht das historisch Erzählende in Composition und Zeichnung doch einen wesentlich secundären Eindruck. Die chronicalisch kindlichen, braun in braun gemalten Kriegsbilder in der Sala del consiglio, welche man dem Ambrogio vielleicht mit Unrecht zuschreibt, mögen ganz ausser Rechnung bleiben; ihr sachliches Interesse ist indess nicht gering. Von dem Besten dieser Reihe, Berna da Siena, enthält die Vaterstadt gerade nichts Nennenswerthes; die stark übermalten Fresken am Tabernakel des Lateran's in Rom scheinen ehemals sehr anmuthig gewesen zu sein; auch seine Arbeiten in der Cathedrale von S. Gimignano werden gerühmt. Immer wird man bei dieser Schule die reinen Andachtsbilder vorziehen; so giebt z. B. ein Altarwerk von Pietro Lorenzetti (Acad., erster Raum) wenigstens [779] das Hochfeierliche, die Pracht der Goldmuster, die symmetrisch schwebenden Engelschwärme u. dgl. in früher Vollständigkeit.

Das Ende dieser halb von Giotto's Geist. berührten Malweise verzieht sich mit Bartolo da Siena und seinen Schülern Taddeo di Bartolo und Domenico di Bartolo bis weit in das XV. Jahrh. hinein. Ihre Andachtsbilder (Acad.) zehren von der Inspiration des Pietro Lorenzetti u. A., wenn sie auch scheinbar reicher sind; Taddeo's Fresken in der obern Capelle des Pal. pubblico sind nicht besser als giotteskes Mittelgut; diejenigen vor dem Gitter (grosse Männer des Alterthums, Planetengottheiten u. s. w.) nicht einmal dieses. Mit Domenico bricht der Styl um und der Realismus des XV. Jahrhunderts dringt ein, doch einstweilen nur stellenweise, sodass sich im Ganzen noch die alte Auffassung und sehr viel von der alten Detailbildung behauptet. Die Meister dieses wunderlichen Zwitterstyles (Acad., dritter Raum), ein Giovanni di Paolo, Pietro di Giovanni, Sano di Pietro, Pietro di Domenico sind neben ihren Zeitgenossen aus andern Schulen nicht der Rede werth. Wie es sich mit denjenigen Sienesen verhielt, die sich entschiedener der neuen Auffassung in die Arme warfen, wie Matteo di Giovanni u. a., wird unten kurz berührt werden.

Das stolze Siena, das um das Jahr 1300 zur Anführerschaft in der italienischen Malerei berufen schien, sollte erst zwei Jahrhunderte später denjenigen Augenblick erleben, da seine Maler, abgeschlossen und wenig gekannt, das Panier der wahren Kunst höher empor hielten als irgend eine Schule Italiens mit Ausnahme der venezianischen.

 

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Ist nun der Maler, welcher im Camposanto zu Pisa, oder derjenige, welcher in der Cap. degli Spagnuoli zu Florenz Symon von Siena heisst, identisch mit Simone di Martino? Namengebungen sind überhaupt nicht die Aufgabe dieses Buches. An Simone di Martino erinnern die Allegorien der Wissenschaften in der Cap. d. Spagn. wenigstens im Ausdruck der Köpfe ziemlich direct (S. 751); dagegen möchten die Sachen im Camposanto von einem Spätern herrühren, welcher beiden Schulen zugleich angehörte.[780]

Ugolino da Siena ist, dem oben (S. 752) genannten Madonnenbild zufolge, in seinem Styl eher ein Florentiner. Das berühmte silberne Reliquiarium, mit zwölf Emailbildern, die Geschichte des Fronleichnamsfestes enthaltend (Santo Corporale), im Dom von Orvieto, für welches ein Ugolino Vieri (1338) genannt wird, kenne ich nur aus Abbildungen; – die Chorfresken desselben Domes, von Ugolino di Prete Ilario, habe ich nur flüchtig gesehen; sie scheinen wiederum eher florentinisch als sienesisch. Ob die drei Maler identisch sind, weiss ich nicht zu ermitteln.

 

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Nach der Aufzählung dessen, was durch Giotto selbst und unter seinem nähern, zum Theil unmittelbaren Einfluss zu Stande kam, gehen wir über zur Betrachtung der entferntern Wellenschläge, durch welche Er die damalige italienische Kunst bis weit hinaus bewegt. Sehr wahrscheinlich waren zu seiner Zeit mehrere Localschulen auf einer ähnlichen Bahn wie die seinige; die Zeit, die Ihn reifte, wirkte auch auf sie; allein nur um so unvermeidlicher mussten sie dann unter seine Botmässigkeit gerathen, hier mehr dort weniger. Er hatte von Padua bis Neapel und westlich bis Avignon an so vielen Orten grosse Denkmäler hinterlassen, dass man seine Neuerung überall kannte und sich danach achten konnte; rechnet man noch die Werke seiner Schule hinzu, so war in ganz Italien keine künstlerische Potenz mehr vorhanden, die sich dieser Masse des Grossen und Neuen gänzlich hätte erwehren können. Scheinbar selbständig blieben nur die Unfähigen.

Unter den Oberitalienern mussten die Bolognesen der ganzen Einwirkung von der florentinischen Schule aus am unfehlbarsten ausgesetzt sein. Aber ihre malerische Thätigkeit und Fähigkeit ist im XIV. Jahrh. erstaunlich lahm und geringfügig. Der älteste von ihnen, Vitale, ein Zeitgenosse Giotto's ist wenigstens in einem Bilde der Pinacoteca zu Bologna (1320, thronende Maria mit zwei Engeln) süss und holdselig auf sienesische Weise, sodass man an Duccio erinnert wird. Die Übrigen, halbgiottesken, sind in ihren Tafelbildern meist so gering, dass in Florenz von ihnen nicht die Rede sein würde. [781] Und dieselbe Behandlungsweise, dieselbe Talentlosigkeit bleibt das Merkmal der Schule bis über die Mitte des XV. Jahrh. hinaus. Von diesen Madonnen- und Crucifixmalern werden hauptsächlich genannt:

Lippo di Dalmasio. Servi, eine der hintersten Cap. des Chorumganges: Mad. mit SS. Cosmas und Damian; in derselben Kirche noch mehrere alte Madonnen von verschiedenen Händen.

Simone da Bologna. In der vierten jener sieben Kirchen zu S. Stefano (S. Pietro e Paolo) rechts neben dem Chor: ein Crucifixus; – in der siebenten (S. Trinità) an einem Pfeiler: S. Ursula mit ihren Gefährten. (In der ersten dieser Kirchen, beiläufig gesagt, Fresken der Kreuztragung – links im Chor, und der Kreuzigung – auf dem Hochaltar, von einem auch der Herkunft nach unbekannten Maler des XV. Jahrh. – In einem Gang an der siebenten Kirche: Anzahl kleiner altbolognes. Bilder.) – In S. Giacomo maggiore, dritte Cap. des Chorumganges rechts: Simone's bester Crucifixus, datirt 1370. Einzelnes in der Pinacoteca.

Jacobus Pauli (den man in Bologna beharrlich mit dem unten zu nennenden Giacomo d'Avanzo identificirt). Mehreres in der Pinacoteca; – an dem grossen Altar in S. Giac. magg., dritte Cap. des Chorumgangs, rechts, ist von ihm die Krönung Mariä.

Die einzige Kirche, in der eine grössere Reihe von Fresken der Schule erhalten ist, liegt vor Porta Castiglione auf dem Wege zur Villa Aldini; es ist die Mad. della Mezzaratta. Hier sieht man, gegenwärtig gewissenhaft gereinigt und zugänglich gemacht, Malereien von Vitale (das Presepio), Jacobus (wahrscheinlich Jac. Pauli, u. a. der Teich von Bethesda und die Geschichte Josephs), Simone (der Kranke, welcher durch das Dach hereingelassen wird) Christoforo oder Lorenzo (Geschichten des Moses) etc. etc. Der Durchschnitt ist beträchtlich besser als in den Tafelbildern.

In S. Petronio enthält die 4. Cap. links unbedeutende Wandfresken (etwa um 1400), dem Buffalmaco oder gar dem Vitale zugeschrieben; beides chronologisch unmöglich. Der Maler hat z. B. in seinem Weltgericht schon begreiflicher und wirklicher sein wollen als Orcagna; seine Heiligen sitzen auf zwölf Reihen Bänken zu beiden Seiten Christi, gleichsam ein Concil bildend. (Neuerlich dem Simone beigelegt.) – Die beiden Fresken in der ersten Capelle links sind gering, [782] ebenso was sonst noch aus dieser Zeit in der Kirche vorhanden ist.

Wie man in Bologna noch 1452 – 1462 malen durfte, zeigen in der Pinacoteca die Bilder des Petrus de Lianoris, des Micchele Mattei und der seligen Nonne Caterina Vigri. (Von Mattei auch ein besseres Altarwerk in der Academie zu Venedig.)

In Modena ist mir weder von Thomas noch von Barnabas, den beiden nach dieser Stadt benannten Malern, etwas zu Gesichte gekommen.

In Parma sind die Fresken jener Zeit im Dom ziemlich unbedeutend. (Vierte Cap., rechts; – fünfte Cap., links; – Nebenräume der Crypta.) – Das Baptisterium Seite 742.

In Ferrara enthält S. Domenico (fünfte Cap., links) eine der schönern Madonnen des XIV. Jahrh., unabhängig von Giotto.

In Ravenna bietet das Gewölbe einer Nebencapelle von S. Giovanni Evangelista gute und fleissige, spätgiotteske Malereien. (Evangelisten und Kirchenlehrer.)

 

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Weit die wichtigste Stätte der oberitalischen Malerei ist in dieser Zeit Padua, wo Giotto's grosses Werk (s. oben) den Sinn für monumentale Kunst geweckt haben muss. Die lange dauernde Ausschmückung des Santo und die Kunstliebe des Fürstenhauses der Carrara kamen ganz wesentlich dem Fresco zu Gute. Vermuthlich ist lange nicht Alles erhalten 9); von Giusto Padovano z. B. lässt sich nichts Beglaubigtes nachweisen. Die chronologisch sichere Reihe beginnt erst 1376 mit der Capelle S. Felice im Santo (rechts, gegenüber der Cap. des h. Antonius), ausgemalt von den beiden Veronesen [Giacomo?] d'Avanzo und Aldighiero da Zevio. Die sieben ersten Bilder aus der Legende des h. Jacobus, dem Letztgenannten zugeschrieben, verrathen schon eine eigenthümliche und geistvolle Aufnahme der Stylprincipien Giotto's. Es ist einer der besten Erzähler, Zeichner und Maler dieser Zeit. Die übrigen Bilder der Legende und die grosse Kreuzigung an der Hinterwand sind Werke d'Avanzo's. Dieser, als der erste Individualistiker, thut einen grossen Schritt [783] über Giotto und seine Schule hinaus. Er führt den physiognomischen Ausdruck seiner einzelnen Gestalten nach Charakter und Moment bis ins Äusserste durch, so dass der Rhythmus der Composition bereits daneben zurücktreten muss. – Im Jahr 1377 begannen die beiden Meister die Ausmalung der Cap. San Giorgio auf dem Platze vor dem Santo. (Bestes Licht: um Mittag. Die Entdeckung dieser Fresken verdankt man Ernst Förster.) Der Antheil Aldighiero's ist hier nicht näher auszumitteln; jedenfalls kann das Ganze als d'Avanzo's Werk gelten. In 21 grossen Bildern sind hier die Jugendgeschichten Christi, die Kreuzigung, die Krönung Mariä, und die Legenden des h. Georg, der h. Lucia und der h. Catharina dargestellt. Die Composition zeigt durchweg die Vorzüge, welche sie bei den besten Giottesken entwickelt; ausser der sprechenden Deutlichkeit des Momentes ist auch die Gruppenbildung an sich schön, hauptsächlich aber ist hier in hunderten von Figuren der Charakter des Individuums und der des Augenblickes auf der ganzen grossen Scala vom Höchsten bis zum Niedrigsten wirklich gemacht, und zwar ohne Caricatur, noch innerhalb des Typus jenes Jahrhunderts. In der Schönheit einzelner Köpfe ist d'Avanzo sogar den meisten Giottesken überlegen. Endlich geht er über diese hinaus durch seine ungleich genauere Modellirung, durch Abstufung der Töne 10), ja (im letzten Bilde der h. Lucia) durch bedeutende Versuche zur Illusion. (Richtigere Bauperspective, Verjüngung der entferntern Gestalten, und selbst Luftperspective.)

Dieses grosse Beispiel blieb einstweilen in Padua selbst ohne Folge. Die sehr umfangreichen Unternehmungen in Fresco, welche die nächstfolgende Zeit hervorbrachte, gehören im Ganzen zu den schwachen und selbst zu den schwächsten Arbeiten des von Giotto abgeleiteten Styles. Die Fresken des Baptisteriums beim Dom, von den beiden Paduanern Giovanni und Antonio (1380), sind nur als sehr vollständiger und bequem zu betrachtender Cyclus der für diese Stelle geeigneten heiligen Gestalten und Scenen von Werthe. (Zumal im Vergleich mit den Mosaiken des orthodoxen Baptisteriums von Ravenna ergiebt sich auf merkwürdige Weise der Zuwachs der [784] kirchlichen Bilderwelt seit 1000 Jahren.) Von denselben Malern: die Fresken der Capelle S. Luca im Santo (die nächste nach der Antoniuscapelle), vom Jahr 1382, mit den Geschichten der Apostel Philippus und Jacobus d. J., ebenfalls roh, doch mit einzelnen glücklichern und lebendigern Motiven. – Erst aus dem XV. Jahrh.: die Fresken des ungeheuern Saales im Palazzo della ragione, von Giov. Miretto (nach 1420), ein Riesenunternehmen von beinahe 400 einzelnen Bildern, welche den Einfluss der Gestirne und Jahreszeiten auf das (in wahren Genrebildern geschilderte) Menschenleben darstellen, voll unergründlicher Bezüge aller Art, aber in den malerischen Motiven entweder ungeschickt und kraftlos oder blosse Reminiscenz von Besserm. (Ehemals galt der Zauberer Pietro von Abano als Erfinder, Giotto als der Maler.) – Auch die Fresken im Chor der Eremitani, nach Zeit und Styl diesen verwandt (früher einem Maler des XIV. Jahrh., Guariento, zugeschrieben) sind nur sachlich merkwürdig, besonders wegen der einfarbigen astrologischen Nebendarstellungen.

Über die Malereien paduanischer Grabmäler vgl. S. 165.

In Verona ist von Aldighiero und d'Avanzo nichts vorhanden. Dem oben (S. 296) genannten anmuthigen Stefano da Zevio werden die Fresken über einer Seitenthür von S. Eufemia und in einer Aussennische von S. Fermo zugeschrieben. (Der Verf. hat sie 1854 übersehen und weiss nicht ob sie noch vorhanden sind.) – Die innere Portallunette von S. Fermo enthält eine gute Kreuzigung; die Mauer um die Kanzel eine Anzahl (dem Stefano zugeschriebene) Köpfe von Heiligen und Propheten. – An einzelnen Heiligenfiguren ist S. Zeno (S. 742, c) ziemlich reich. – Das Meiste ergiebt S. Anastasia; die Portallunette mit S. Zeno und S. Dominicus, welche die Bürger und die Mönche des Klosters der Dreieinigkeit empfehlen, unbedeutend im Styl, aber rührend durch die ehrliche Intention; – sodann in der 2. Cap. rechts vom Chor ein ganz tüchtiges Empfehlungsbild (der Familie Cavalli) neben Geringerem; – in der 1. Cap. r. v. Chor zwei Nischengräber mit guten thronenden Madonnen etc.

 

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In Mailand ist wenig oder nichts erhalten. Die Fresken der hintern Capelle in S. Giovanni a Carbonara zu Neapel (mit dem Grabe [785] des Caracciolo) sind zum Theil von einem Mailänder, Leonardo de Bissuccio (nach 1433), wesentlich noch in giotteskem Styl.

Was sonst noch durch die Lombardie und in Piemont zerstreut sein mag, ist entweder dem Styl nach unbedeutend oder dem Verf. nicht bekannt. In Genua scheint damals kaum eine Malerei existirt zu haben. Die paar alten Bilder vom Anfang des XV. Jahrh. in S. Maria di Castello (1. und 3. Cap. links) machen es begreiflich, dass man für die Verzierung des anstossenden Klosters 1451 einen Deutschen, Justus de Allamagna, in Anspruch nahm.

 

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Für die Gegenden von Bologna bis Ancona muss ich auf die Handbücher verweisen. Nur Ein Künstler, dessen Werke und Einwirkung weit über seine Heimath hinausreichen, ist zu nennen: Gentile da Fabriano. (St. 1450. – Von seinem vermuthlichen Lehrer oder Vorgänger Alegretto di Nuzio findet man ein gutes Altarbild im Museo cristiano des Vaticans.) Das einzige erhaltene Hauptwerk Gentile's, die Anbetung der Könige in der Academie zu Florenz (1423), zeigt uns einen Ausweg aus der Darstellungsweise Giotto's, welcher neben dem XV. Jahrh. gleichsam vorbeiführt. Statt sich dem Charakteristischen, Wirklichen, Individuellen schrankenlos hinzugeben, geht Gentile's reine Jünglingsphantasie in das Schöne und Holdselige und schafft eine bis zum Wunderbaren (auch durch äussere Mittel der Pracht, z. B. Goldaufhöhung) gesteigerte Wirklichkeit. Es giebt wenige Bilder, bei deren Entstehung sich die Darstellung einer idealen Welt für den Künstler so ganz von selbst verstand; wenige, die einen so übermächtigen Duft von Poesie um sich verbreiten. Ausser diesem Bilde und einer herrlichen Krönung Mariä, welche sich nebst vier einzelnen Figuren von Heiligen in der Brera zu Mailand befindet, sind die wenigen in Italien vorhandenen Arbeiten entweder an abgelegenen Orten, oder im Dunkel aufgehängt (Seitenflügel eines Altares im Chor von S. Niccolò zu Florenz), oder zweifelhaft (Krönung Mariä in der Academie von Pisa). Eine kleine, unzweifelhaft echte Madonna mit Engeln, im Pal. Colonna zu Rom. [786]

 

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Die Kunstübung Venedigs, mit wenigen Ausnahmen (wie die Mosaiken in der Cap. S. Isidoro und der Cap. de' mascoli in S. Marco, S. 737) auf Altartafeln beschränkt, empfand von Giotto's Einfluss am wenigsten. Die Prachtausstattung, die tiefen Lackfarben, auch die grünlichen Schatten im Fleische und der Farbenauftrag erinnern noch direct an die lange Herrschaft der Byzantiner; in der Süssigkeit einzelner Köpfe scheint auch ein sienesischer Anklang zu liegen. (Altarwerke von Nic. Semitecolo und Lor. Veneziano, 1357 oder 1367 in der Academie; von Niccolò di Pietro 1394 im Pal. Manfrin.)

Gegen die Mitte des XV. Jahrh. gehen aus einer Werkstatt von Murano jene prächtigen Altarwerke hervor, an welchen schon die gothische Einfassung (S. 213), wo sie erhalten ist, die Absicht auf den höchsten Glanz des Reichthums darthut. Sie sind bezeichnet: Johannes und Antonius von Murano; Johannes aber heisst mehrmals Alamannus und war ohne Zweifel ein Deutscher; Antonius gehörte zu der später berühmten Künstlerfamilie der Vivarini. Drei Altarwerke, mit den Daten 1443 und 1444 finden sich in S. Zaccaria zu Venedig (2. Nebencap. rechts), eine figurenreiche Krönung Mariä mit dem (neu aufgemalten) Datum 1440 in der Academie ebenda (Vgl. Seite 625), ein ähnliches Bild in S. Pantaleon (Cap. links vom Chor), endlich wiederum in der Academie ein grosses Gemälde vom Jahr 1446: Maria thronend zwischen den vier Kirchenlehrern. Einen kenntlichen deutschen Einfluss offenbart nur etwa diese schöne, stille Maria; in der weichen Carnation liegt eher eine Hinweisung auf Gentile da Fabriano, welcher sich längere Zeit in Venedig aufhielt. Gegenüber den Staffeleibildern der alten Florentiner ist namentlich die tiefe, durchsichtige Farbe zu beachten; es ist der Übergang vom byzantinischen Colorit zu demjenigen des Giov. Bellini. Die Gewandung hat noch das Feierliche des germanischen Styles; in der ganzen, individualisirenden Auffassung aber meldet sich schon der Einfluss des XV. Jahrh., welcher endlich in dem grossen Altarwerk der Pinacoteca von Bologna, von Antonio und Bartolommeo da Murano (d. h. Vivarini), 1450, bereits harte und düstere Charakterköpfe hervorbringt. (Dasselbe weicht auch in der glanzlosern Farbe von obigen Werken ab, gleicht ihnen aber in der miniaturartigen Sorgfalt.) [787]

 

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Was in Neapel ausser den schon genannten Werken aus dieser Zeit vorhanden ist, hat nur den Werth kunsthistorischer Belege. Von Mastro Simone, einem Zeitgenossen Giotto's, ist in S. Lorenzo (Querschiff links) ein von Engeln umschwebter S. Antonius von Padua und (7. Cap. rechts) der heil. Ludwig von Toulouse, welcher seinem Bruder Robert die Krone reicht. – In S. Domenico maggiore: 2. Cap. r. mittelgute und sehr übermalte Fresken mit der Legende der h. Magdalena; – 6. Cap. r. (del Crocefisso) ausser Zingaro's Kreuztragung u. a. eine säugende Madonna; – 7. Cap. r. eine andere, in einer Grabnische; – in der hintern Capelle gegen Strada della Trinità zwei alte Bilder (von Stefanone?). – Von dem in Neapel sehr gerühmten Colantonio del Fiore, der schon 1374 thätig war und bis 1444 gelebt haben soll, ist nur ein einziges Werk geniessbar aufgestellt, die Glorie des S. Antonius abbas, hinten im Chor von S. Antonio. Wer den weiten Weg (bis vor Porta Capuana) nicht scheut, wird ein Bild finden, das man in Florenz kaum eines Blickes würdigen möchte. Die Thürlunette an S. Angelo a Nilo, von demselben Meister ausgemalt, ist vor Staub nicht mehr kenntlich.

Für die Geschichte des Madonnentypus: die Mad. della rosa, in einer Cap. der linken Seite des Domes von Capua; streng germanisch und vielleicht noch aus dem XIII. Jahrh.; die übrigen neap. Madonnen jener Zeit noch byzantinisch.

 

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Ehe wir zu dem Styl des XV. Jahrh. übergehen, muss von einem florentinischen Meister die Rede sein, in dessen Werken die Richtung Giotto's, ja der germanische Styl überhaupt noch einmal zu einer herrlichen Erscheinung aufflammt, ja gleichsam den höchsten und letzten Gipfel erreicht, von dem seligen (Beato) Fra Giovanni Angelico da Fiesole (1387–1455).

Zu dem Element der Schönheit, welches Orcagna in die Schule gebracht, fügt dieser in seiner Art einzige Meister den Ausdruck überirdischer Reinheit und Innigkeit. Eine ganze grosse ideale Seite des Mittelalters blüht in seinen Werken voll und herrlich aus; wie das Reich des Himmels, der Engel, Heiligen und Seligen im frommen Gemüthe der damaligen Menschheit sich spiegelte, wissen wir [788] am genausten und vollständigsten durch ihn, sodass seinen Gemälden jedenfalls der Werth religionsgeschichtlicher Urkunden ersten Ranges gesichert ist. Wen Fiesole unbedingt anwidert, der möchte auch zur antiken Kunst kein wahres Verhältniss haben; man kann sich die fromme Befangenheit des Mönches gestehen und doch in der himmlischen Schönheit vieles Einzelnen und in der stets frischen und beglückenden Überzeugung die ihm zur Seite stand, eine Erscheinung der höchsten Art erkennen, die im ganzen Gebiet der Kunstgeschichte nicht mehr ihres Gleichen hat. In der dramatischen Erzählung ist Fiesole immer einer der tüchtigsten Nachfolger Giotto's; da er von Hause aus ein grosser Künstler war, so bemühte er sich sein Leben lang um eine möglichst gleichmässige Beseelung Alles dessen, was er schuf; bei näherer Betrachtung wird man finden, dass er einer der ersten ist, welcher den Köpfen durchgängig das Allgemeine benimmt und sie auf die zarteste Weise persönlich belebt; nur stand seiner Gemüthsart der Ausdruck der Leidenschaft und des Bösen nicht zu Gebote, und seine Verlegenheit wirkt dann (im streng ästhetischen Sinne) komisch.

Wie seine Bildung ursprünglich die eines Miniators war, so geben auch seine kleinern, miniaturartig ausgeführten Tafeln beinahe den ganzen Künstler wieder. Obenan stehen die Glorien, wie z. B. das prächtige Bild in den Uffizien (tosc. Sch.), auch die Umgebung des Erlösers und der Empfang der Seligen in den Weltgerichtsbildern (das schönste in Pal. Corsini zu Rom, ein anderes in der Acad. zu Florenz, Saal d. kl. B.), während die Seite der Verdammten auf keine Weise zu genügen pflegt. Von den heiligen Geschichten haben nach meinem Gefühl diejenigen den Vorzug, welchen altübliche Motive der florentinischen Schule zu Grunde liegen, also wesentlich die oftgemalten des neuen Testamentes; in den Legenden macht sich die eigene Erfindung oft frisch und schön, oft aber auch befangen ihre Bahn. (Leben Christi in 35 Bildchen, Acad. v. Florenz, Saal d. kl. B., wo sich noch mehreres von F. befindet; – Uffizien, tosc. Sch.; – 3 Bildchen in einem Wandschrank der Sacristei von S. Maria novella in Florenz; – Kirche del Gesù zu Cortona: zwei Predellen mit dem Leben der Maria und den Wundern des heil. Dominicus; – vatican. Galerie die Wunder des heil. Nicolaus von Bari, aus der letzten Zeit und sehr [789] ausgezeichnet; – zwei dazu gehörende Stücke und ausserdem die wundervolle Verkündigung in der Sacristei von S. Domenico zu Perugia, nebst geringern; – u. a. a. O.)

Die grössern Staffeleibilder genügen viel weniger. (Statt aller das grosse Altarwerk in den Uffizien, 1. Gang, mit doppelt bemalten Seitenflügeln, an welchem die klein ausgeführten Engel rings um die lebensgrosse Madonna bei weitem das Beste sind.) Es scheint als habe der Maler eine fromme Befangenheit bei Hauptbildern für Altäre nicht überwinden können, während er in den Predellen, Giebelbildern, Seitenfigürchen u. s. w. sich so frei und schön bewegte; auch wirkt die überfleissige Ausführung bei der noch ungenügenden allgemeinen Körperkenntniss nicht günstig. Die grosse Kreuzabnahme in der Academie zu Florenz (Hauptsaal) erscheint befangen, vielleicht gerade durch die Masse von Ausdruck, die darin zusammengedrängt ist; die Leiche ist gut modellirt, ihr Herabsenken glücklich gegeben, das Bild überhaupt das Beste unter den Grossen. Auch das Altarwerk in S. Domenico zu Cortona (hinten, rechts) gehört zu den Bessern.

Die bezeichneten Mängel fielen weg bei der Frescomalerei, welche eine gewisse Mässigung in den Darstellungsmitteln unvermeidlich machte und den Künstler nicht durch den Gedanken, ein Cultusbild malen zu müssen, ängstigte.

Einen wahrhaft einzigen Eindruck machen vor Allem die Malereien, womit Fiesole seinen langjährigen Wohnsitz, nämlich das Dominicanerkloster S. Marco zu Florenz ausschmückte. Hier ist er zu Hause, hier darf er seine Ideen frisch wie ihn der Geist treibt in den ärmlichen Klostergängen, in den kleinen Zellen besonders werther Ordensgenossen verwirklichen; darum glaubt man auch gerade in den Fresken der Zellen die Inspiration deutlicher zu fühlen als in den Altarbildern des Meisters. Mir wurden sieben Zellen, sämmtlich im obern Stockwerk, geöffnet, und ich glaube sagen zu dürfen, dass die sämmtlichen Wandgemälde derselben, wenn auch in befangener Form, die höchste mögliche Lösung der betreffenden Aufgaben zwar nicht erreichen, aber doch berühren. (Christus in der Vorhölle; – eine Bergpredigt; – die Versuchung in der Wüste; – Christus am Kreuz mit den Seinigen und mit dem weinenden S. Dominicus; – noch ein Gekreuzigter mit den Seinigen; – die Marien [790] am Grabe; – Mariä Krönung; – und die Anbetung der Könige, eine späte und reiche Arbeit, die vielleicht einen Wetteifer mit Masaccio verräth.) Der überquellende Reichthum an den schönsten und naivsten Köpfen ist gepaart mit einem Geist und einer Tiefe in der Auffassung der Thatsachen, wie sie nur den grössten Meistern eigen ist. – Die Fresken in den Gängen (der Gekreuzigte mit S. Dominicus, sehr dem Bild im vordern Kreuzgang entsprechend, – der englische Gruss, – und eine thronende Madonna) sind gegenwärtig, da das Kloster theilweise als Caserne dient, mit Brettern bedeckt.

Wie Fiesole für eine schon mehr öffentliche Andacht malte, zeigt sich an den Fresken des vordern Kreuzganges zu ebener Erde. Es sind fünf spitzbogige Lunetten mit Halbfiguren (worunter Christus mit zwei Ordensheiligen besonders schön ist); ferner Christus am Kreuz mit dem heil. Dominicus, lebensgross; endlich das berühmte Frescobild des anstossenden Capitelsaales: der Gekreuzigte mit den beiden Schächern, seinen Angehörigen und den heiligen Cosmas, Damianus, Laurentius, Marcus, Johannes d. T., Dominicus, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Franciscus, Benedict, Bernhard, Bernardino von Siena, Romuald, Petrus Martyr und Thomas von Aquino. Es ist eine schmerzliche Klage der ganzen Kirche, welche hier in ihren grossen Lehrern und Ordensstiftern am Fuss des Kreuzes versammelt ist. So lange es eine Malerei giebt, wird man diese Gestalten wegen der unerreichten Intensivität des Ausdruckes bewundern; Contraste der Hingebung, des Schmerzes, der Verzückung und des ruhigen innerlichen Erwägens (in S. Benedict, der die Schaar der übrigen Ordensstifter wie ein Vater überschaut) werden wohl nirgends mehr wie hier als Ganzes zusammenwirken.

Es ist eine bedeutende Thatsache jener unvergesslichen Jahrhunderte der Kunstgeschichte, dass mehrere der grössten Künstler ihr Bestes und Meistes in späten Lebensjahren, wenigstens erst nach dem fünfzigsten Jahre gaben. Lionardo war nahe an diesem Alter, als er sein Abendmahl in Mailand schuf; Giovanni Bellini's herrlichste Bilder stammen aus seinen achtziger Jahren; Tizian und Michelangelo haben als Greise noch das Staunenswürdigste hervorgebracht. Es existirt aus dem XVI. Jahrh. ein vielverbreiteter kleiner Stich, welcher einen alten Mann in einem Räderstuhl für Kinder darstellt, mit der Beischrift: [791] anchora imparo, noch immerfort lerne ich. Und diess war keine Phrase. Die unverwüstliche Lebenskraft dieser Männer war wirklich mit einer eben so dauernden Aneignungsgabe verbunden.

Diess war auch bei Fiesole einigermassen der Fall. Dasjenige worin er so vorzüglich gross ist, die friedensreiche, tiefe Seligkeit heiliger Gestalten, findet sich eben in seinen spätesten Arbeiten mit einer unbeschreiblichen Kraft und Fülle ausgedrückt, zum grossen Unterschied von Perugino, welcher gerade hierin mit den Jahren lahm und äusserlich wurde. Man betrachte Fiesole's Pyramidalgruppe der Propheten am Gewölbe der Madonnenkapelle des Domes von Orvieto und frage sich, ob irgend ein Kunstwerk der Erde, Rafael nicht ausgenommen, die stille selige Anbetung so wiedergebe? (Den Weltrichter, an der Hinterwand, hat er freilich von Orcagna entlehnt, ohne diesen zu erreichen.) Noch später, nach seinem sechszigsten Jahre (1447), malte er im Vatican die Capelle Nicolaus V, – und die vier Evangelisten am Gewölbe und einer oder der andere von den Kirchenlehrern, wie z. B. S. Bonaventura erscheinen jenen himmlischen Gestalten noch ganz ebenbürtig. Aber nicht bloss was ihm eigen war, bildete er mit gesteigerter Kraft weiter, sondern auch gegen die Fortschritte anderer Zeitgenossen schloss er sich durchaus nicht ab, wie man wohl glauben könnte. Die Geschichten der Heiligen Stephanus und Laurentius in der letztgenannten Capelle beweisen, dass der alternde Mann noch mit aller Anstrengung so viel von dem, was inzwischen Masaccio u. A. gewonnen, einzuholen suchte als seiner Richtung gemäss war. Die anmuthige Erzählungsweise dieser Fresken zeigt Züge des wirklichen Lebens und ist mit einer äussern Wahrheit der Farbe verbunden wie sich diess von keinem frühern Werke des Meisters so behaupten lässt. Die heftigen Bewegungen, ja schon die starken Schritte pflegen ihm noch immer zu misslingen, dafür wird man aber auf das Beste entschädigt z. B. durch jene junge Frau, welche der Predigt des heil. Stephanus mit ungestörter Andacht zuhört und ihr unruhiges Kind nur mit der Hand fasst um es stille zu machen. Man durchgehe dieses Werk Scene um Scene, und man wird einen Schatz von schönen, geistvollen Bezügen dieser Art darin finden. Abgesehen davon ist es als fast rein erhaltenes Ganzes aus der Zeit der grossen Vorblüthe unschätzbar. [792]

Fiesole ruht begraben zu Rom in S. Maria sopra Minerva. Vielleicht wollte man ihm eine Ehre anthun, als man in unsern Tagen die Wölbungen dieser Kirche in seiner Manier bemalte. Es sind auch wieder Apostel und Kirchenlehrer auf blauem goldgestirntem Grunde. Allein er hätte sie nicht gebilligt und auch für den guten Willen gedankt.

 

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Ein Zeit- und Standesgenosse Fiesole's, der Camaldulenser Don Lorenzo, blieb in derselben Richtung beim ersten Anlauf stehen. Es ist zu glauben, dass ihn seine wenigen Werke sehr viel Fleiss und Besinnens gekostet haben. Bei der Verkündigung in S. Trinità zu Florenz (4. Cap. rechts) ist er dafür belohnt worden; die stille Anmuth und der tiefe Charakter der beiden glücklich gestellten Figuren hat dem Bilde eine Art typischer Geltung verschafft und zu zahlreichen Copien angeregt. Die Anbetung der Könige (in den Uffizien) ist ebenfalls vortrefflich angeordnet, und dabei merkwürdig als eines der letzten Gemälde, in welchen die Gewandung des germanischen Styles noch in ihrem vollen Schwung gehandhabt ist. (Das Hauptwerk, eine Krönung Mariä, in der Badia von Cerreto, unweit Certaldo.)

 

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1) Vorliegendes grösserntheils nach Witte. Ausserdem finde ich in meinen meist flüchtigen Notizen von 1848 noch eine Cap. der h. Magdalena angemerkt, mit Fresken Giottino's, von geistreichen und lebendigen Motiven. In der Entfernung von allen Abbildungen und nähern Nachweisen kann ich diese Angabe nicht mehr verificiren, rathe aber jedem Kunstfreund, wenn er einen so wundervollen Frühlingstag in Assisi zum Geschenk erhält wie ich im J. 1848, seine Notizen bei Zeiten zu machen. Ein zweiter Besuch im J. 1853, unter strömendem Regen in's Werk gesetzt, liess mich die frühere Versäumniss schwer bereuen. Die Unterkirche war nachtdunkel; nur das goldene Gewand des heil. Franciscus schimmerte vom Gewölbe hernieder. 

2) Wenn es nicht schon etwas zu viel ist, dass Johannes sich auf die Leiche werfen will. 

3) In den ersten Abschnitten des Vasari wird noch mancher Allegorien aus jetzt nicht mehr vorhandenen Werken umständliche Erwähnung gethan.  

4) Merkwürdiger Weise ist Giotto in der Gruppirung freier als Orcagna; er giebt noch bewegte Schaaren, die ungleiche Luftentfernungen zwischen sich haben. Christus und die Apostel sind noch ohne den momentanen Ausdruck, den ihnen Orcagna verlieh. Nach der zierlich scharfen Behandlung zu urtheilen wäre das Weltgericht der am Frühsten gemalte Bestandtheil der Fresken der Arena.  

5) Wie roh auch jene grosse Zeit noch bisweilen sein konnte, zeigt das Wiederauftauchen der absurdesten symbolischen Nothbehelfe des frühern Mittelalters. An der Oberschwelle der Seitenthür von SS. Annunziata in Arezzo sind die vier Evangelisten zwar als menschliche drapirte Halbfiguren, aber mit den Köpfen ihrer Embleme dargestellt. (Noch Spinello wagte Dasselbe zu malen, in einem jetzt untergegangenen Fresco.) – Auch das allzu umständliche Verhältniss des Evangelisten zur Feder ist schon ein frühmittelalterlicher Nothbehelf, den z. B. Bartolo von Siena wieder aufgriff (dortige Acad., erster Gang); Marcus spitzt seine Feder, Lucas besieht sie, Matthäus taucht sie ein, nur Johannes schreibt. Wer hierin tiefere Bezüge findet, dem darf man die Freude nicht verderben. Mit andern Eigenheiten ging auch diese von Siena auf die Peruginer über und kommt bei Pinturicchio von Neuem zum Vorschein.  

6) Ausserdem eine Anzahl in der mediceischen Capelle bei S. Croce, am Ende des Ganges vor der Sacristei.  

7) Himmelfahrt und Krönung der als irdisches Weib geborenen Jungfrau war jedem Einzelnen eine Gewähr und damit ein Symbol der seligen Unsterblichkeit. Daher ist diese Darstellung besonders häufig an Gräbern, in Bildern von Familiencapellen u. s. w.  

8) In Pisa sollen Reste eines sehr vorzüglichen Altarwerkes an verschiedenen Orten zerstreut sein. Ob die Tafeln in der Academie zu Pisa von ihm sind?  

9) Oder steckt unter der weissen Tünche z. B. des Santo.  

10) Seine Palette ist doppelt so reich als die der übrigen Giottesken.