BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Der Cicerone

 

Malerei

 

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Malerei des XV. Jahrhunderts.

 

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Ihre neue Richtung – Bedeutung des Fresco. – Florentiner. Masaccio – Lippo Lippi – Sandro – Filippino – Cosimo Rosselli etc. – Uccello und Benozzo – Dom. Ghirlandajo – Castagno, Verocchio, Credi – Signorelli – Die untere Bilderreihe der Sistina. – Paduanische Richtung. Squarcione und Schule – Alte Ferraresen – Mantegna – Melozzo – Vicentiner, Veroneser, Mailänder, Genuesen – Modena und Parma – Paduanisch gebildete Venezianer. – Selbständige Venezianer. Schule des Giovanni Bellini – Carpaccio, Basaiti u. A. – Sienesen und Umbrier – Alunno – Pietro Perugino – Ingegno, Pinturicchio, Spagna u. A. – Mark und Bologna. Die Francia – Die Aspertini. – Neapel. Zingaro und Schule .

 

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In den ersten Jahrzehnden des XV. Jahrh. kam ein neuer Geist über die abendländische Malerei. Im Dienst der Kirche verharrend, entwickelte sie doch fortan Principien, die zu der rein kirchlichen Aufgabe in keiner Beziehung mehr standen. Das Kunstwerk giebt zunächst mehr als die Kirche verlangt; ausser den religiösen Beziehungen gewährt es jetzt ein Abbild der wirklichen Welt; der Künstler vertieft sich in die Erforschung und Darstellung des äussern Scheines der Dinge und gewinnt der menschlichen Gestalt sowohl als der räumlichen Umgebung allmälig alle ihre Erscheinungsweisen ab. (Realismus.) An die Stelle der allgemeinen Gesichtstypen treten Individualitäten; das bisherige System des Ausdruckes, der Geberden und Gewandungen wird durch eine unendlich reiche Lebenswahrheit ersetzt, die für jeden einzelnen Fall eine besondere Sprache redet oder zu reden sucht. Die Schönheit, bisher als höchstes Attribut des Heiligen erstrebt und auch oft gefunden, weicht jetzt der allbezeichnenden Deutlichkeit, welche der erste Gedanke der neuen Kunst ist; wo sie aber sich dennoch Bahn macht, ist es eine neugeborene sinnliche Schönheit, die ihren Antheil am Irdischen und Wirklichen unverkürzt haben muss, weil sie sonst in der neuen Kunstwelt gar keine Stelle fände.

In diesem Sinne giebt jetzt das Kunstwerk weniger als die Kirche verlangt oder verlangen könnte. Der religiöse Gehalt nimmt eine ausschliessliche Herrschaft in Anspruch, wenn er gedeihen soll. Und diess aus einem einfachen Grunde, den man sich nur nicht immer klar eingesteht; dieser Gehalt ist nämlich wesentlich negativer Art und besteht im Fernhalten alles dessen, was an profane Lebensbeziehungen [794] erinnert; zieht man diese geflissentlich und principiell in die Kunst hinein, wie damals geschah, so wird das Bild nicht mehr fromm erscheinen. Man rechne nur der Kunst nach, wie wenige Mittel sie hat, um direct auf die Andacht zu wirken; sie kann hohe Ruhe und Milde, sie kann Hingebung und Sehnsucht, Demuth und Trauer in Köpfen und Geberden schildern – lauter Elemente die ohnehin dem allgemein Menschlichen angehören und nicht auf die christliche Gefühlswelt beschränkt sind, die aber allerdings im christlichen Gemüth eine christliche Andacht wecken, so lange dasselbe nicht gestört wird durch Zuthaten, so lange ihm von den neutralen, jenes Ausdruckes nicht fähigen Theilen der Menschengestalt und von der äussern Umgebung nur das Nothwendige mitgegeben wird. Sehr wesentlich ist hiebei jene allgemeine Feierlichkeit der Gewandung, welche schon durch ihren Contrast mit der Zeittracht, durch ihre Stofflosigkeit (die weder Sammt noch Seide unterscheiden will) und noch mehr durch eine geheimnissvolle Ideenassociation die wir nicht weiter verfolgen können, den Eindruck des mehr als Zeitlichen und Irdischen verstärken hilft.

Jetzt beginnt dagegen ein begeistertes Studium des Nackten und der menschlichen Gestalt und Bewegung überhaupt; auch im Wurf der Gewänder will man den einzelnen Menschen und den gegebenen Moment charakterisiren; die einzelnen Stoffe werden dargestellt, in Staffeleibildern sogar mit unerreichbarem Raffinement; die möglichst reiche Abwechselung der Charaktere und die malerischen Contraste der handelnden Personen werden zum wesentlichen Princip, sodass abgesehen vom kirchlichen sogar der dramatische Eindruck unter der Überfülle leidet. Endlich bildet sich ein ganz neues Raumgefühl aus; wenn die Maler des XIV. Jahrh. die gegebenen Mauerflächen so viel als möglich mit menschlichen Gestalten ausfüllten, so entwickelt sich jetzt die Thatsache, das „Geschehen“, bequem in weiten Räumen, so dass Nähe und Entfernung, Vor- und Rückwärtstreten als wesentliche Mittel der Verdeutlichung dienen können; – wenn das XIV. Jahrh. die Örtlichkeiten nur andeutete soweit sie zum Verständniss unentbehrlich waren, so wird jetzt eine wirkliche Landschaft und eine wirkliche Architektur mehr oder weniger perspectivisch abgeschildert. [795]

Bei diesem Interesse für die Einzelerscheinung konnte die Trennung der Malerei in verschiedene Gattungen nicht lange ausbleiben; bald nimmt die profane, hauptsächlich mythologische, allegorische und antik-geschichtliche Malerei einen wichtigen Platz ein.

Im Norden wird dieser grosse Übergang bezeichnet durch den unsterblichen Johann van Eyck, der sein einsam strahlendes Licht weit über das ganze Jahrhundert, über die ganze deutsche, französische und spanische Kunst wirft. Er weitete das Gebiet der Malerei dergestalt aus, dass seine Nachfolger nicht nachkommen konnten und sich mit einem viel engern Formenkreis begnügten. Erst beinahe hundert Jahre nach ihm war im Norden das Porträt, das Genrebild und die Landschaft wieder auf dem Punkte wo Er sie gelassen und bildeten sich dann aus eigenen Kräften weiter. Die menschliche Gestalt hat geradezu kein Einziger der nächsten Generationen nördlich von den Alpen, auch seine besten flandrischen Schüler nicht, auch nur annähernd so verstanden und so lebendig behandelt wie Er; es muss auf ihnen gelegen haben wie eine Lähmung; als Dürer, Messys und Holbein zu spät erschienen, mussten sie erst eine Last abgestorbener Formen, die Frucht des XV. Jahrh., beseitigen.

Die Kunst des Südens nahm bei Zeiten aus den weitverbreiteten Werken des grossen Flandrers Dasjenige an was ihr gemäss war; keine italienische Schule (mit Ausnahme einzelner Meister von Neapel) ist von ihm in den Hauptsachen bedingt, aber auch keine blieb von seinem Einfluss ganz unberührt. Die Behandlung der Gewandstoffe und Schmucksachen, namentlich aber der Landschaft zeigt vielfach flandrische Art; als viel wichtiger noch galt die eingestandener Massen von den Flandrern erlernte „Ölmalerei“, d. h. die neue Behandlung der Farben und Firnisse, welche eine bisher ungeahnte Durchsichtigkeit und Tiefe des Tons und eine beneidenswerthe Dauerhaftigkeit möglich machte.

Häufig rechnet man auch den Einfluss antiker Sculpturen zu den wesentlichen Fördernissen, welche die italienische Malerei vor der nordischen voraus gehabt habe. Allein der Augenschein lehrt, dass jeder Fortschritt mit einer unendlichen Anstrengung, welche im Norden fehlte, der Natur abgerungen wurde. Entscheidend zeigt sich diess in der paduanischen Schule, welche sich am Meisten und fast [796] allein von allen mit der Antike abgab und doch, wie wir sehen werden, eigentlich kaum mehr als das Ornamentistische aus derselben entlehnte. Es konnte gar nicht im Geist einer mit so unermesslichen Kräften vorwärtsstrebenden Kunst liegen, sich irgend ein Ideal von aussen anzueignen; sie musste von selbst auf das Schöne kommen, das ihr eigen werden sollte.

Als Gabe des Himmels besass sie von vorn herein den Takt, die äussere Wirklichkeit nicht in alles Detail hinein, sondern nur soweit zu verfolgen, dass die höhere poetische Wahrheit nicht darunter litt. Wo sie an Detail zu reich ist, sind es nicht kümmerliche Zufälligkeiten des äussern Lebens, sondern Schmuck und Zierrath an Gebäuden und Gewändern, die den Überschuss ausmachen. Der Eindruck ist daher kein ängstlicher, sondern ein festlicher. Wenige geben das Bedeutende ganz gross und edel; viele verfangen sich in der Phantasterei, welche dem XV. Jahrh. überhaupt anhängt, allein die allgemeine Höhe der Formbildung giebt ihren Einfällen eine geniessbare und selbst erfreuliche Gestalt.

 

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Alle diese Fortschritte wären, wie einst diejenigen der Schule Giotto's, bei einer Beschränkung auf das Andachtsbild und Tafelbild unmöglich gewesen. Abermals ist es Florenz, von wo das neue Licht einer grossartigen Historienmalerei ausstrahlt, die mit ihren Fresken 1) die Wände der Kirchen, Kreuzgänge und Stadthäuser überzieht. Keine andere Schule kann von ferne neben diesem Verdienst aufkommen; die lombardische blieb in dem engen Ideenkreise der Gnadenbilder und Passionsbilder befangen; die venezianische schloss kein wahres Verhältniss zum Fresco und beschränkte sich lange auf Altarbilder und Mosaiken; rechnet man den grossen Andrea Mantegna hinzu, so ging er auch in den Wandmalereien (zu deren Schaden) über das reine Fresco hinaus, dessen höchst solide Handhabung gerade [797] ein Hauptverdienst der Florentiner ist. Rom zehrte fast ganz von auswärtigen Künstlern; Perugia empfing seine Inspiration zuerst von Florenz und Siena und leistete auf seinem Höhepunkt gerade für das Dramatisch-Historische wenig; Neapel kommt nicht in Betracht. – Toscana allein bietet eine grosse, monumentale Geschichtsmalerei dar, in gesunder, ununterbrochner Weiterbildung, mit fortlaufender Seitenwirkung auf das Tafelbild, welches sonst wohl vorzeitig in verfeinerter Niedlichkeit untergesunken wäre.

Die Gegenstände waren, mit Ausnahme der hinzukommenden Profanmalerei, die alten: das ruhig symmetrische Gnadenbild, die Geschichten der Bibel und die Legenden der Heiligen; endlich das häusliche Andachtsbild. Allein sie sind alle umgestaltet. Von den einzelnen Personen behält Christus im Mannesalter am meisten von dem bisherigen Typus; der Gekreuzigte erhält eine bisweilen sehr edel durchgebildete Gestalt und einen Ausdruck, den z. B. die Schulen des XVII. Jahrh. vergebens an Tiefe zu überbieten suchten. Die grösste Veränderung geht mit der Madonna vor; wohl bleibt sie in einzelnen feierlichen Darstellungen die Himmelskönigin, sonst aber wird sie zur sorglichen oder stillfröhlichen Mutter, und vertauscht sogar die altübliche Idealtracht mit Mieder und Häubchen des Italiens der Renaissance; das Bild der häuslichen Scene vollendet sich, indem der lebendig und selbst unruhig gewordene Christusknabe den längst ersehnten Gespielen erhält an dem kleinen Johannes. In dieser irdisch umgedeuteten Existenz findet denn auch der Pflegevater Joseph erst seine rechte Stelle; ein häuslicher und doch nicht kleinbürgerlicher Ton und Klang beginnt all die früher so feierlichen Scenen zu durchdringen: die Verkündigung, die Visitation, die Anbetung der Hirten, die Geburt der Maria, die des Johannes u. s. w. Gewiss wurde dem Beschauer das Ereigniss jetzt viel mehr nahe gelegt und vergegenwärtigt; ob die Andacht dabei gewann oder verlor, ist eine andere Frage. – Auch der Himmel füllt sich mit sprechend individuellen Köpfen und Gestalten an, zu beginnen vom Gottvater in pelzverbrämtem Rocke; alle Seligen und Engel dienen jetzt nicht mehr unpersönlich der grossen symmetrischen Glorie des Ganzen, sondern jede Figur ist interessant für sich. Von den erwachsenen Engeln (die oft eine sehr florentinische Tracht erhalten) scheiden sich nunmehr die Schaaren [798] kleiner, nackter Flügelkinder (Putten) aus, welche als Gefährten des Christuskindes, als Sänger und Musikanten und als stets dienliche Füll- und Zierfiguren die Kunstwerke jener Zeit beleben.

Die höchste Freude der Kunst war es, wenn sie der Natur wieder eine sprechende Bewegung, einen lebensvollen Moment mehr, und zwar auf schöne Weise abgewann; sie suchte gerade dasjenige, welchem die Nordländer aus dem Wege gingen. Einstweilen erfährt man noch wenig von anatomischer Erforschung der Menschengestalt; aber ein rastlos beharrliches Anschauen des täglichen Verkehrs klärte die Künstler auf über das Warum? jeder Bewegung und jedes Ausdrucks; das Studium des Nackten und der Perspective, die man aus dem Nichts schaffen musste, that das Übrige.

So erwuchs eine Malerei, welche sich nicht mehr auf Intentionen und Andeutungen zu beschränken brauchte, sondern der Darstellung jeder Thatsache, jedes sinnlichen oder geistigen Vorganges gewachsen war.

 

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In Florenz knüpft sich die grosse Neuerung an den Namen des Masaccio (1404–1443). Unter der Einwirkung des Ghiberti, Donatello und Brunellesco, welche in der Sculptur das neue Princip vertraten, führte er dasselbe in die Malerei ein, wo es seine wahren Siege erkämpfen sollte. Eine Jugendarbeit, die er in Rom übernahm, die Fresken in S. Clemente (Cap. vom Seiteneingang rechts; Passion, und Legende der heil. Catharina), zeigen in ihrer starken Übermalung nur Anklänge dessen, was Masaccio über die Nachfolger Giotto's emporhebt; in einigen der besser erhaltenen Köpfe regt sich wenigstens ein persönlicheres Leben. – Der ganze Meister offenbart sich erst im Carmine zu Florenz (Cap. Brancacci, am Ende des rechten Querschiffes), wo er die von Masolino da Panicale begonnene Freskenreihe weiter zu führen hatte. Wie Masolino's Eva (im Sündenfall) eine der ersten, ganz schönen nackten Frauengestalten der modernen Kunst ist, so sind Masaccio's Täuflinge (in der Taufe Petri) die ersten völlig belebten männlichen Acte; schon vollkommen ist die Linienführung zweier nackten und bewegten Gestalten (in der Vertreibung aus dem Paradiese) gehandhabt. Auch in den übrigen Bildern strömt eine bisher [799] ungeahnte Fülle der freisten und edelsten Charakteristik auf einmal in die Kunst herein. Hatten schon Giotto und seine Schule ihre dramatischen Scenen gerne mit einer zahlreichen, theilnehmenden Zuschauerschaft bereichert, so führt nun Masaccio das damalige Florenz als mithandelnd oder zuschauend mitten in den Hergang (Erweckung des Königssohnes, wovon Einiges dem Filippino Lippi angehört); er trennt und verbindet die Scenen, Gruppen und Personen nicht mehr nach architektonischen, sondern nach malerischen Gesetzen binnen einer naturwahren Räumlichkeit (Findung des Groschens im Munde des Fisches; die Heilung der Krüppel; das Almosen). Und über dem grossen malerischen Sieg vergass Masaccio das Höchste nicht; seine Hauptperson, der Apostel Petrus, ist durchgängig mit einer Würde und Macht ausgestattet und auf eine Weise gestellt und bewegt, wie diess nur dem grössten Historienmaler möglich war. Vollends gehört nur einem solchen die Einfachheit der ganzen Behandlung an; alle Nachfolger bis auf Lionardo gefallen sich im Besitz der grossen neuen Kunstmittel; Masaccio allein hält zurück und erreicht so den Eindruck eines harmonischen Ganzen. Mit wie Wenigem hat er z. B. die Gewänder geschaffen, in denen sich der höchste Styl und der lebendigste Wurf verbinden. Die Schwierigkeiten der Modellirung und Verkürzung sucht er nicht auf; wo sie aber liegen, überwindet er sie. (Bestes Licht: Nachmittags vier Uhr.)

Das einfach grossartige Bild der heil. Anna mit Maria und dem Kinde, in der Academie zu Florenz, zeigt noch recht den aus einer idealen Richtung hervorgegangen Realisten. Dagegen spricht der als M.'s Vater geltende Greisenkopf in den Uffizien dieselbe Wonne des ersten vollkommenen Individualisirens aus, welche einen Johann van Eyck beseelt haben muss. M.'s eigenes Porträt (?, ebenda, bei den Malerbildnissen) erscheint wie eine höchst geistreiche Frescoprobe.

Die Lunetten im Kirchlein S. Martino (der Brüderschaft de' Buonuomini) zu Florenz gelten mit Recht als Werk eines trefflichen Schülers von M.; sie geben eine edle Lebensfülle noch ohne das Barocke und Überladene späterer Florentiner des XV. Jahrh. Als Jugendwerk des Filippino Lippi kann ich sie nicht betrachten, da kein Anklang an seinen Lehrer Sandro darin zu erkennen ist. [800]

 

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Was Masaccio erworben das wird bei Fra Filippo Lippi (1412–1469) im Dienste eines minder hohen und strengen Geistes, einer reichen und fröhlichen Phantasie weiter angewandt. Er lässt sich gehen, aber nicht in Trägheit, sondern in kecken Versuchen dessen, was wohl seiner Kunst erlaubt sein möchte. Wie ohne alle Scheu noch Rückhalt offenbart er in den Bildnissen, womit er seine Scenen ausstattet, das tiefste Wesen Derer, die er meinte! mit welchem Gefühl wird er – zuerst von Allen – die Jugend sinnlichlieblich, ja schalkhaft bis über die Gebühr, dargestellt haben! Er ist der Erste, welcher sich an der Breite des Lebens, auch an dessen zufälligen Erscheinungen, von Herzen freute.

Sein grosses Frescowerk, die Geschichten des Täufers Johannes und des heil. Stephanus im Chor des Domes von Prato (bestes Licht: 10–12 Uhr) würde schon durch Technik und Colorit Epoche gemacht haben. Nicht alle Scenen sind hoch aufgefasst; der Künstler hat zu viel Neues in allen möglichen Beziehungen zu sagen, als dass nicht der tiefere Gehalt unter den oft herrlichen rein malerischen Gedanken leiden müsste. Schöner zumal als bei irgend einem Vorgänger spricht sich Stellung und Bewegung in den nobeln und lebendigen Gewändern aus, deren mehrere (z. B. in der „Trauer um die Leiche des Stephanus“) bis auf die Zeit Rafaels kaum mehr ihres Gleichen haben möchten. In den vier Evangelisten am Kreuzgewölbe wich Filippo von der symmetrischen Stellung ab; man wird z. B. Fiesole's Evangelisten am Gewölbe der Capelle Nicolaus V immer vorziehen.

Gegen Ende seines Lebens malte Filippo die Chornische des Domes von Spoleto aus. Diese Krönung Mariä ist eines der frühesten ganz frei angeordneten Halbkuppelgemälde; doch klingt die symmetrische Strenge der Frühern noch sehr wohlthuend nach. Maria und Christus an Ernst den Giottesken nicht gleich; Ersatz durch den lebendigen Ausdruck der Nebengruppen. Von den drei untern Bildern der Tod der Maria hochbedeutend, aber durch ganz andere Mittel als bei den Giottesken. (An beiden grossen Frescowerken half Fra Diamante.)

In den Tafelbildern überwiegt die Freude am Schön-Wirklichen; eine kräftige und schalkhafte Jugend; die Madonna florentinisch häuslich; [801] das Christuskind durchgängig sehr schön gebildet. In Prato: im Refectorium von S. Domenico: eine Geburt Christi mit S. Michael und S. Thomas Aq.; – im Pal. del Commune: Madonna della Cintola und eine Predella, in einem dunkeln Raum aufgestellt. – Zu Florenz, in der Academie: herrliche Madonna mit vier Heiligen, alle unter einer Architektur, für die Gewandung sein schönstes Tafelbild; – ebenda: die grosse Krönung Mariä, spät, wie sein eigenes Greisenbildniss und die gedämpfte, aber ganz klare Farbe beweist; als überfüllt wirkend, weil der Gegenstand – eine Glorie – in einen irdisch greifbaren Raum übertragen ist; dabei reich an wesentlich neuem Leben; – dazu die schöne Predella. – Uffizien: zwei Engel heben der Madonna das nach ihr verlangende Kind entgegen; sie zögert betend. – Pal. Pitti: grosses Rundbild der sitzenden Madonna (Kniestück); hinten die Wochenstube der Elisabeth und die Visitation; ein Thema, das recht dazu einlud, die früher durch Goldstäbe zu Einzelscenen getrennten Vorgänge zu Einem Bilde zu verschmelzen, den Hausaltar zum häuslichen Gemälde umzubilden. – Pal. Corsini: Mehreres. – Im linken Querschiff von S. Spirito, vierter Alt., eine Trinität mit S. Catharina und S. Magdalena (angeblich peruginische Schule); – in S. Lucia de' magnoli, erster Alt. links, eine Verkündigung; – im linken Querschiff von S. Lorenzo, Cap. links, eine Verkündigung; – in S. Micchele zu Lucca, rechts, Madonna mit vier Heiligen; – in der Academie zu Pisa: Madonna mit zwei Engeln und vier. Heiligen etc.

Sandro Botticelli (1447–1515), Filippo's Schüler, ist im Verhältniss zu dem, was er gewollt hat, nirgends ganz durchgebildet. Er liebte, das Leben und den Affect in einer selbst stürmischen Bewegung auszudrücken und malte eine oft ungeschickte Hast. Er strebte nach einem Schönheitsideal und blieb bei einem stets wiederkehrenden, von Weitem kenntlichen Kopftypus stehen, den er hie und da äusserst liebenswürdig, oft aber ganz roh und leblos reproducirt. (Es ist nicht der Kopf der bella Simonetta, wenn das Profilbild im Pal. Pitti, Sala di Prometeo, dieses Mädchen wirklich vorstellt.) Unter den Florentinern ist S. einer der frühsten, welche der mythologischen und allegorischen Profanmalerei im Sinne der Renaissance eine dauernde Hingebung bewiesen haben.[802]

Sein schönstes Werk: das eine der beiden Rundbilder (Madonnen mit Engeln) in den Uffizien, mit wundervollen Engelköpfen, ein Juwel an Ausführung; ebenda sein bestcomponirtes Historienbild, eine Anbetung der Könige, in den edeln Gewandmotiven dem Besten seines Lehrers nahe stehend, eine merkwürdige Parallele zu flandrischen Bildern desselben Inhaltes; dann zwei kleine Geschichten der Judith und die bekannte, so oft gemalte Allegorie des Apelles von der Verläumdung, Gegenstände zu deren heroischem und idealem Gehalt der hier wunderlich manierirte Realismus nicht ausreichte; – endlich aber die auf einer Muschel über die Fluth schwebende Venus; hiefür studirte Sandro und brachte nicht bloss einen ganz schönen Act, sondern auch einen höchst angenehmen, mährchenhaften Eindruck hervor, der sich dem mythologischen unvermerkt substituirt. – In der Academie: (Sala delle Esposizioni) der Venusgarten oder wie man das Bild benennen will; in den Formen der nackten Figuren wiederum realistisch unrein; – sodann (im grossen Saal) eine grosse Krönung Mariä mit vier Heiligen, zum Theil gering, bunt und selbst roh; – viel werthvoller die Madonna mit vier Engeln und sechs Heiligen, eines jener grossen Prachtbilder, in welchen das XV. Jahrh. das Himmlische in eine irdisch-wirkliche, aber noch immer feierliche und würdevolle Hofhaltung umdeutet; die Engel heben nicht nur den Vorhang auf, sondern sie hängen ihn auch sorgsam an die Pfosten der Architektur. Einiges im Pal. Pitti, Pal. Corsini u. a. a. O. – In Ognissanti, rechts, der S. Augustin, Gegenstück zu Ghirlandajo's Hieronymus.

Filippino Lippi (1460–1505) Filippo's Sohn und Sandro's Schüler, den er an Geist, Phantasie und Schönheitssinn beträchtlich übertrifft. Wie er aus Sandro hervorwächst, zeigt am besten die grosse thronende Madonna mit vier Heiligen in den Uffizien (1485). – Ebenda: eine figurenreiche Anbetung der Könige, allerdings neben der vielleicht gleichzeitigen des Lionardo im Nachtheil, auch nicht ohne die Schattenseiten der spätern Werke Filippino's (bunte Überfüllung, schwere wulstige Gewandung), aber im Ausdruck des scheuen Herannahens, der anbetenden Huldigung ungemein schön. (Der kleine S. Hieronymus in der Nische sitzend, ebenda, als „Filippo L.“ benannt, ist eher von Filippino.) – Sein bestes Tafelbild, in der Badia, Cap. links von der Thür, S. Bernhard, den die Madonna mit Engeln [803] besucht, ein Werk voll naiver Schönheit, ist allerdings noch aus früher Zeit; die Kreuzabnahme in der Academie dagegen, wozu Perugino die untere Gruppe gemalt hat, – sowie die Madonna mit Heiligen in S. Domenico zu Bologna (kleine Cap. zunächst rechts vom Chor), datirt 1501, gehören zu den spätern Werken, in welchen man bei vielem Schönen doch den gleichmässigen Schwung vermisst. – Ein paar Breitbilder mit vielen kleinen Figuren, wie dasjenige mit der todten Lucretia (Pal. Pitti) und die mit der Geschichte der Esther (Pal. Torigiani in Florenz) sind Belege für die Art mehrerer damaliger Florentiner, die profane Historie als figurenreiche Theaterscene zu stylisiren. – Das prächtige Bild in S. Spirito (vom Langhaus kommend der fünfte Altar des rechten Querschiffes) wird auch F.'s Schüler Raffaellin del Garbo zugeschrieben; es ist eine Madonna mit Heiligen und Donatoren unter einer Halle mit köstlicher Aussicht auf eine Stadt; die Köpfe zum Theil wehmüthig holdselig wie in den schönsten Bildern des Lorenzo di Credi.

Von F.'s Fresken sind die wahrscheinlich frühsten, im Carmine zu Florenz (S. 798) die vorzüglichsten, eine würdige und stylgemässe Fortsetzung der Arbeit Masaccio's. Die Gruppe des vom Tode erweckten Königssohnes, Petrus und Paulus vor dem Proconsul, Petri Befreiung. Aber auch in den Wunderthaten der Apostel Johannes und Philippus, womit er die Capella Strozzi in S. M. novella (die erste vom Chore rechts) ausschmückte, kann ich nichts weniger als ein Sinken seines künstlerischen Vermögens erkennen; er erzählt hier nur mehr in seiner Weise, als einer der grössten Dramatiker des XV. Jahrh., allerdings mit sehr merklichen Unarten z. B. schwerbauschigen, weitflatternden Gewändern, conventionellen Köpfen, die aber durch anderes Einzelnes von grösster Schönheit aufgewogen werden. Entschieden geringer sind die Fresken in der Minerva zu Rom (Cap. Carafa), wo er freilich eine Aufgabe lösen musste, die nicht mehr ins XV. Jahrhundert gehörte: die Glorie des heil. Thomas, als allegorisches Ceremonienbild.

 

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Parallel mit Sandro und Pilippino geht Cosimo Rosselli, dessen einziges zu Florenz vorhandenes Fresco (1456) in S. Ambrogio [804] (Capelle links vom Chor) eine Procession mit einem wunderthätigen Kelche dargestellt. Schöne lebendige Köpfe, überfüllte und nicht sehr würdige Anordnung. – In der Vorhalle der Annunziata zu Florenz die Einkleidung des S. Filippo Benizzi. – In S. M. Maddalena de' Pazzi (zweite Cap., links) gehört ihm wahrscheinlich die sonst dem Fiesole zugeschriebene Krönung Mariä. Im Ganzen lebte Cosimo von den Inspirationen Anderer, was in dieser Zeit der befreiten Subjectivität nicht mehr so erlaubt war, wie 100 Jahre früher.

Des Rosselli Schüler war Piero di Cosimo, welcher zwar bis 1521 lebte und später wesentlich von Lionardo bedingt wurde, der Auffassung nach jedoch noch dem XV. Jahrh. angehört. Sein bestes Bild, die Conceptio mit sechs Heiligen (Uffizien) ist von ausserordentlicher Gediegenheit der Composition und der Charaktere, ein wahres Kernbild der Schule. Von den vier mythologischen Breitbildern (vgl. S. 803) ebenda enthält das späteste, Perseus und Andromeda, ganz reizende Einzelheiten.

 

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Paolo Uccello (geb. um 1400, st. nach 1469) ist hier einzuschieben als Vorläufer Benozzo's. Die von ihm oder einem Andern in dem abgestandenen giottesken Styl begonnenen Malereien des Chiostro verde bei S. M. novella vollendete er mit ein paar Scenen (Sündfluth, Opfer des Noah), welche den schon sehr ausgebildeten Realismus auf der Bahn der perspectivischen Entdeckung zeigen. – Das grau in grau gemalte Reiterbild des Feldherrn Hawkwood (Acutus) im Dom von Florenz ist wie das von Castagno gemalte Gegenstück (der Feldherr Marucci) stark restaurirt, aber edler aufgefasst als das letztere, welches doch nur einen steifbeinigen Kriegsknecht auf einem Ackerpferd vorstellt. – Ausserdem von U. eine schon ganz lebendige Reiterschlacht in den Uffizien.

Benozzo Gozzoli (geb. 1424, st. nach 1484) zeigt sich als Schüler Fiesole's in denjenigen Theilen des Gewölbes der Madonnencapelle im Dom von Orvieto, welche ihm angehören. (Seine Fresken in Montefalco (1450) und S. Gimignano (1465) kenne ich nicht.) In der Capelle des Pal. Riccardi zu Florenz malte er (bei Lampenlicht) den Zug der heil. drei Könige, welcher sich über drei Wände [805] ausdehnt. (Leidliches Reflexlicht: um zwei Uhr.) Im Camposanto zu Pisa aber gehört ihm fast die ganze Nordwand (23 Gemälde) mit den Geschichten des alten Testamentes, gemalt 1469–1485. – Benozzo kostet mit vollen Zügen die Freude an den blossen schönen Lebensmotiven als solchen; sein wesentliches Ziel ist, ruhende, tragende, gebückte, laufende, stürzende Gestalten, oft von grosser jugendlicher Schönheit, mit ganzer momentaner Kraft darzustellen; dagegen bleibt ihm der Hergang an sich ziemlich gleichgültig. Der Beschauer empfindet jene Freude an dem neugebornen Geschlecht von Lebensbildern mit und verlangt neben der endlos reichen Bescheerung nichts weiter. Die schon erwähnte Ausstattung mit Architekturen, Gärten, Landschaften ist fabelhaft prächtig; auch hier ist Benozzo ein begeisterter Entdecker neuer Sphären des Darstellbaren. – Seine Staffeleibilder geben keinen Begriff von seiner Bedeutung. – (Mehrere in der Acad. zu Pisa, u. a. der Entwurf zur Königin von Saba.) 2)

 

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Alessio Baldovinetti, von welchem in der Vorhalle der Annunziata zu Florenz die Geburt Christi gemalt ist, ein sorgsamer, nicht eben geistloser Realist, wird hauptsächlich genannt als Lehrer des

Domenico Ghirlandajo (1449–1498), des grössten dieser Reihe. Er gebietet dem sich schon in seinen eigenen Consequenzen verlierenden Realismus Einhalt, im Namen des ewigen Bestandtheiles der Kunst. Auch ihn reizt die Schönheit der lebendigen Erscheinung und er ist ihrer Reproduction vollkommen mächtig, allein er ordnet sie dem grossen, ernsten Charakter der heil. Gestalten, der höhern Bedeutung des dargestellten Augenblickes unter. Die in schönen trefflich vertheilten Gruppen versammelten Bildnissfiguren, welche den Ereignissen beiwohnen, nehmen an der würdigen und grossen Auffassung des Ganzen Theil. Von allen Vorgängern scheint Filippo Lippi, hauptsächlich die Malereien im Dom von Prato, den grössten [806] Eindruck auf D. gemacht zu haben; obwohl er denselben an leichtem und edelm Wurf der Gewänder, und ihn und andere in der Stoffdarstellung und Farbenharmonie nicht erreicht hat, so ist er dafür in anderm Betracht Allen überlegen, äusserlich auch in den Linien der Composition, sowie in der Frescotechnik.

In Ognissanti sieht man (links) sein Fresco des S. Hieronymus (1480), wo er in der Schilderung der Örtlichkeit und der Nebensachen einmal der flandrischen Weise nachgiebt. – Im Refectorium von S. Marco ein Abendmahl, dessen Anordnung noch die alterthümliche, giotteske ist. – Vom Jahr 1485 die Fresken der Cap. Sassetti in S. Trinità (die hinterste im rechten Querschiff), die Legende des heil. Franciscus darstellend, schon ein reifes Meisterwerk (bestes Licht: 9 Uhr.) – Endlich die Fresken im Chor von S. Maria novella 3) (1490) mit dem Leben der Maria, des Täufers u. a. Heiligen. Nicht ein bedeutender dramatischer Inhalt ist hier das Ergreifende, sondern das würdige, hochbedeutende Dasein, von welchem wir wissen, dass es die Verklärung der damaligen florentinischen Wirklichkeit ist. Diese anmuthigen, edel-kräftigen Existenzen erheben uns um so viel mehr, als sie uns real nahe treten 4).

Unter den Staffeleibildern in Florenz sind zu nennen die Anbetung der Könige hinten im Chor der Findelhauskirche (Innocenti); dann, in der Academie, die Madonna mit den sechs Heiligen und die herrliche Anbetung der Hirten (1485), in holdseliger Bildung, schöner und glücklicher Anordnung ein Hauptwerk jener Zeit. – Einzelnes in den Uffizien und im Pal. Corsini. – In der Sacristei des Domes von Lucca eine (frühe) Madonna mit vier Heiligen.

Von Domenico's Brüdern Davide und Benedetto sind keine namhaften selbständigen Arbeiten vorhanden; von seinem Schwager Bastiano Mainardi (S. 750) Fresken in S. Gimignano. Von seinem Schüler Francesco Granacci u. a. in der Academie eine Himmelfahrt Mariä mit vier Heiligen, in den Uffizien eine den Gürtel [807] dem S. Thomas herabreichende Madonna, gute Bilder ohne höhere Eigenthümlichkeit.

 

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Neben diesen grossen Bestrebungen, im Realismus ein höheres und schöneres Dasein darzustellen, trat auch ein übertreibendes Charakterisiren auf. Andrea del Castagno's Bilder (Mitte des XV. Jahrh.) sind gemalte Donatello's, nur haltungsloser, zum Theil wüst renommistisch. (Academie; S. Croce, nach dem 5. Alt. r., Frescofiguren des h. Franz und Johannes d. T.; Dom, vgl. S. 804, f.) – Antonio Pollajuolo vereinigt eine ähnliche Schärfe wenigstens mit prächtiger Ausführung. (Uffizien; die Bilder aus der Cap. S. Sebastiano sollen sich jetzt im Pal. Pucci befinden.) – Auch Andrea Verocchio, der Lehrer Lionardo's, ist in dem fast einzigen noch vorhandenen Bilde, der Taufe Christi (in der Academie) auf wahrhaft kümmerliche Formen und Charaktere gerathen; nur vollendet er diese auf das Fleissigste; sein Modelliren ist Gewissenssache und sucht alle Geheimnisse der Anatomie sowohl als des Helldunkels zu ergründen; auffallender Weise ist die Gewandung daneben ziemlich leblos geblieben. Der von Lionardo hineingemalte Engel zeigt einen süssern Kopftypus, der übrigens auch dem Verocchio als Erzgiesser (Seite 602) nicht fremd war.

Von V.'s Schülern ist schon hier Lorenzo di Credi zu behandeln (1454–1513), obschon er in der Folge unter den Einfluss seines grössern Mitschülers gerieth. Sein emsiges Streben nach Ergründung des perspectivischen Scheines der Dinge war doch von dem Lehrer geweckt worden. Jedes seiner Bilder sucht diese Aufgabe auf neue Weise zu lösen; er versucht es mit dem hellsten Licht und mit bloss hingehauchten Übergängen wie mit den tiefsten Schatten. Seine männlichen Charaktere haben, z. B. in dem schönen Bilde der Madonna mit zwei Heiligen (Dom von Pistoja, Cap. neben dem Chor links), das nervös Verkümmerte jener Taufe Christi des Verocchio; etwas gemildert auch das ähnliche Bild, welches im Museum von Neapel Ghirlandajo heisst. Dafür offenbart sich in seinen Madonnen, bisweilen (nicht immer!) auch im Bambino, der zarteste Schönheitssinn, so dass dieselben allerwärts zu den Schätzen gehören. (Acad. [808] v. Florenz; Uffizien; Galerie Borghese in Rom, u. a. a. O.) Seine einzige grosse Composition, eine Anbetung des Kindes (Acad. v. Florenz), zeigt auf merkwürdige Weise, wie auch ein weniger begabter aber beharrlicher Künstler in jener Zeit das Herrlichste leisten konnte, indem sein Sinn für Anmuth der Formen und des Ausdruckes noch nicht durch feststehende Theorien und Vorbilder irre gemacht wurde, sodass er sein Eigenstes geben konnte und musste; – indem jene Zeit noch nicht im Bewegt-Pathetischen rivalisirte, an welchem die nur bedingt Begabten untergehen; – indem endlich der realistische Grundtrieb der Zeit vor dem Langweiligen, d. h. Allgemeinen und Conventionellen schützt. In dem genannten Bilde ist zwar schon etwas von jenem überschüssigen Gefühl, welches in der peruginischen Schule eine so grosse Rolle spielt (s. den Jüngling mit dem Lamme), allein man vergisst dieses und den nicht ganz unbefangenen Bau der Gruppe ob der zauberhaften Schönheit der meisten Gestalten. – Die kleinen Bilder mit biblischen Scenen in den Uffizien geben keinen Begriff von Lorenzo's Kunstvermögen. (Ist etwa von ihm die Madonna mit zwei Heiligen, in S. Spirito, auf einem der 4 Altäre ganz hinten? Angeblich „Manier Sandro's“.)

 

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Ausserhalb dieser Reihe steht der grosse Luca da Cortona, eigentlich Signorelli (1439–1521). Er war der Schüler des Piero della Francesca (von welchem bei der paduanischen Schule die Rede sein wird) nahm aber stärkere florentinische Eindrücke in sich auf. – Dem Ghirlandajo ebenbürtig in der grossartigen Auffassung des Geschehens und der Existenzen, wählt er doch seine Einzelformen weniger und ist stellenweise des Derbsten fähig; andererseits zeigt sich bei ihm zuerst die Begeisterung für das Nackte als eine wesentlich bestimmende Rücksicht für die Darstellung, selbst für die Wahl der Gegenstände. In diesem Sinne ist er der nächste Vorläufer des Michelangelo.

Seine Fresken im Kloster Monte Oliveto (südlich von Siena), Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict, hat Verf. dieses nicht gesehen. Sein Hauptwerk sind jedenfalls die Fresken in der Madonnencapelle des Domes von Orvieto (seit 1499), welche mit denjenigen [809] des Fiesole (S. 791) und Benozzo (S. 804) zusammen einen Cyclus der „letzten Dinge“ ausmachen: der Antichrist, die Auferstehung der Todten, die Hölle und das Paradies; unten als Brustwehrverzierung die Dichter des (classischen wie biblischen) Jenseits in Rundbildern, umgeben von zahlreichen allegorischen, mythologischen und decorativen einfarbigen Malereien (S. 278). Weit entfernt, die angemessensten oder die sachlich ergreifendsten Darstellungen dieses Inhalts zu sein, haben namentlich „Paradies“ und „Hölle“ den hohen geschichtlichen Werth, dass sie die erste ganz grossartige Äusserung des Jubels über die Bezwingung der nackten Form sind. Letztere wird uns hier nicht in reiner Idealität, wohl aber in grosser jugendlich-heroischer Kraftfülle, in höchst energischer Modellirung und Farbe vorgeführt.

Unter seinen Tafelbildern das herrlichste ist dasjenige im Dom von Perugia (Nebencap. des rechten Querschiffes), die thronende Madonna mit 4 Heiligen und einem lautenspielenden Engel; an Ort und Stelle ein wahrer Trost für das von Perugino's süssen Ekstasen übersättigte Auge. – Die Bilder in Cortona hingen 1853 alle so, dass ich zum Besuch der Bergstadt nur unter der Voraussetzung, sie seien seitdem besser aufgestellt worden, rathen kann. Leider befindet sich darunter (mit 2 andern Bildern, im Chor des Domes) auch die berühmte Einsetzung des Abendmahls; mit einem kühnen Schritt wandte sich Luca von der üblichen Darstellungsweise ab, räumte den Tisch weg und liess Christus durch die prächtig bewegte Gruppe der Jünger einherschreiten. – Im Gesù, gegenüber vom Dom, eine (späte) Anbetung der Hirten; Anderes a. a. O. – In S. Domenico zu Siena möchte eine vorgeblich von dem wüsten Manieristen Matteo di Giovanni begonnene Anbetung des Kindes (letzter Alt. im Schiff r.) wesentlich eine liebenswürdige Jugendarbeit Luca's sein. – In der Academie zu Siena: die Rettung aus dem Brande von Troja, und: der Loskauf von Gefangenen, letzteres wiederum eine bedeutende Composition nackter Figuren. – In Florenz enthält die Academie ein buntes grosses manierirtes Bild seines Alters, Madonna mit 2 Erzengeln und 2 Heiligen; – Pal. Corsini Mehreres; – die Uffizien endlich zwei merkwürdige Rundbilder: eine heil. Familie, welche die ernste, prunklose, männliche Art des Meisters ganz in sich darstellt; – und eine Madonna, im Hintergrund nackte Hirten, über dem Rund einfarbige [810] Reliefbilder – Nacktes und Plastik! auch hier beginnt ein neues Jahrhundert. Selbst der tüchtige Greisenkopf in der Galerie Torigiani zeigt Aktfiguren im Hintergrunde. – Die Geisselung, in der Brera zu Mailand, scheint ein frühes Bild zu sein. – Ein schlecht beleuchtetes Fresco der Madonna mit 2 Cisterciensern, in der Sacristei von S. Bernardo zu Arezzo gehört dem L. schwerlich.

 

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Ein grosses Gesammtdenkmal der toscanischen Malerei des XV. Jahrh. bieten die zehn Fresken aus dem Leben Mosis und Christi an den Wänden der Capella Sistina des Vaticans dar. Sixtus IV (1471 – 1484) liess sie durch die schon oben genannten Maler ausführen: durch Sandro Botticelli, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlandajo und Luca Signorelli, zu welchen noch Pietro Perugino hinzukömmt. (Drei Bilder des letztern, an der Altarwand, mussten später dem jüngsten Gericht weichen; die beiden an der Thürwand sind von späten und geringen Künstlern.)

Diese Arbeiten sind von bedeutendem Werthe und verdienen eine genauere Besichtigung als ihnen gewöhnlich zu Theil wird 5). Sie gehören, was Sandro, Cosimo und Pietro betrifft, zu den besten Werken dieser Künstler. Pietro regt sich hier noch mit einer florentinischen Lebendigkeit, die ihm später nicht mehr eigen ist; der Sturz der Rotte Korah ist Sandro's bedeutendste Composition; in den dem Luca Signorelli zugeschriebenen sind wenigstens einige Motive von wundervoller Lebendigkeit, die nur sein Werk sein können. Aber die figurenreiche Erzählungsweise jenes Jahrhunderts, die sich hier in breitem Format ergeht, drückt mehr als einmal das wesentliche Factum dergestalt zusammen, dass das Auge sich ganz an die lebensvollen Einzelheiten, an die angenehme Fülle hält, z. B. an die landschaftlichen und baulichen Hintergründe. Hier, in der Nähe der Propheten und Sibyllen, in der Nähe der Stanzen und Tapeten wird man inne, [811] warum ein Rafael und ein Michelangelo kommen mussten und wie sehr diese in lauter Leben und Charakter sich selbst verlierende Kunst es nöthig hatte, wieder auf das Höchste zurückgewiesen zu werden.

Und doch ist auch dieses Höchste hier stellenweise anzutreffen. In Ghirlandajo's „Berufung des Petrus und Andreas zum Apostelamt“ ist dem Ereigniss die ergreifendste und feierlichste Seite abgewonnen und zur Hauptsache gemacht; es ist wie eine Vorahnung von Rafaels „Fischzug Petri“ und „Pasce oves meas!“ –

Die Pracht der Ausstattung, welche in diesen Gemälden herrscht, entspricht ganz dem Sinne Sixtus IV, der die Vergoldung und das Leuchten der Farben über die Massen liebte.

 

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Inzwischen war in Oberitalien die Schule von Padua unabhängig von den Florentinern und auf einem eigenthümlichen Umwege zum Realismus durchgedrungen. Ihr Gründer, Francesco Squarcione (1394–1474), hatte in Italien und Griechenland antike Statuen, Reliefs, Ornamentstücke etc. gesammelt, nach welchen in seiner Werkstatt studirt wurde, emsig, aber ganz einseitig. Von irgend einem Eingehen auf das Lebensprincip der antiken Sculptur, welches auch für die Malerei belehrend und theilweise massgebend hätte sein können, war nicht die Rede. Man schätzte an ihr nicht die Vereinfachung der Erscheinung, auch nicht die dadurch erreichte Idealität, sondern den Reichthum der Detailbildung, vermöge dessen vielleicht spätere, raffinirte Sculpturen gerade die meiste Verehrung genossen. Diese Bestimmtheit der Lebensformen, die sich hier vorfand, im Gemälde wiederzugeben, war nun das Ziel der Schule; daher ihre plastische Schärfe und Härte. Sodann entlehnte die sehr ornamentliebende Schule eine Menge decorative Elemente von den genannten und andern Resten des Alterthums, namentlich römischen Gebäuden.

Zugleich aber war auch der realistische Trieb des Jahrhunderts gerade hier sehr stark, und mischte sich auf eine ganz wunderliche Weise mit dem Studium der Antiken. Er gab die Seele, letzteres nur einen Theil der Äusserungsweise her. Vorzüglich in der Gewandung [812] bemerkt man das Aufeinandertreffen der beiden Richtungen; Wurf und Haltung wollen etwas Antikes vorstellen, welches aber durch facettenartige Glanzlichter, tiefe Schatten und übergenaue Ausführung der Einzelmotive wirklich gemacht werden soll. – Ausserdem sind die tiefen, saftigen Farben, das sehr entwickelte Helldunkel und die scharfe und kräftige Modellirung durchgehende Verdienste der Schule.

Von Squarcione selbst ist nur ein sicheres Bild vorhanden, eine Madonna mit einem betenden weissen Mönche, im Pal. Manfrin zu Venedig (1447). Wenn die „Sibylle mit Augustus“, in der Pinacoteca zu Verona auch von ihm sein soll, so wäre sie wohl ein ungeschicktes Bild seines Alters. – Von einem seiner nächsten Schüler, Marco Zoppo, im Pal. Manfrin eine Madonna hinter einer Brustwehr stehend, mit musicirenden Putten.

 

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Squarcione's Einfluss reichte zunächst bis nach Toscana hinein durch den schon als Lehrer Signorelli's erwähnten Piero della Francesca aus Borgo San Sepolcro. Seine Fresken im Chor von S. Francesco zu Arezzo (bestes Licht: gegen Abend), die Geschichten Constantins und des wahren Kreuzes darstellend, zeigen in ihren erhaltenen Theilen eine so energische Charakteristik, eine solche Bewegung und ein so leuchtendes Colorit, dass man den Mangel an höherer Auffassung der Thatsachen völlig vergisst. (Rumohr's abschätziges Urtheil ist mir ein Räthsel.) – Eine Magdalena, neben der Sacristeithür des Domes von Arezzo, ist noch in der Übermalung trefflich. – (Ein kleiner S. Hieronymus in einer Landschaft, Acad. von Venedig, ist sehr verletzt.)

 

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Auf Ferrara wirkte Squarcione zunächst durch Cosimo Tura. In dem dortigen Palazzo Schifa-noja ist der grosse obere Saal in den 1470er Jahren von ihm (theilweise, ja vielleicht grösserntheils von Piero della Francesca?) ausgemalt. Eines der wichtigsten culturgeschichtlichen Denkmale jener Zeit! es ist das Leben eines kleinen italienischen Gewaltherrschers, Borso von Este, Herzogs von Ferrara, [813] in derjenigen Weise verklärt, welche dem Sinn des Jahrhunderts zusagte. Eine untere Bilderreihe stellt lauter Handlungen Borso's dar, auch sehr unwichtige, in prächtiger baulicher und städtischer Scenerie, in reichen Trachten. Eine zweite Reihe enthält die Zeichen des Thierkreises mit unergründlichen allegorischen Nebenfiguren auf blauem Grunde, eine dritte Götter und Allegorien auf Triumphwagen, von symbolischen Thieren gezogen, nebst Scenen aus dem Menschenleben, welche allerlei Künste und Verrichtungen darstellen. Das Ganze ist wieder eine von jenen astrologisch-sinnbildlichen Encyclopädien (wie die des Miretto in Padua, S. 784), in deren Geheimniss zu sein das Glück der damaligen Gebildeten war. (Die meist brillante Ausführung bis hoch hinauf so miniaturartig fein, dass man eines Rollgerüstes zur Besichtigung bedarf. Die Hälfte verloren.) – Von Tura im Chor des Domes von Ferrara eine Verkündigung und ein S. Georg, mit sehr schönen jugendlichen Köpfen; – in S. Girolamo (1. Cap. 1.) ein stehender S. Hieronymus.

Auch Stefano da Ferrara war Squarcione's Schüler. An Ort und Stelle sieht man späte Werke, in welchen er mit Garofalo u. A. zu wetteifern scheint (Ateneo: Madonna mit 2 Heiligen; 12 Apostelköpfe). Frühere Arbeiten der energischen paduanischen Weise: zwei Madonnen mit Heiligen, in der Brera zu Mailand.

Auch die übrigen Ferraresen des XV. Jahrh. sind sämmtlich mehr oder weniger von Padua abhängig. Wie alle alten Lombarden können sie sich mit den Florentinern schon desshalb nicht messen, weil die bewegte Darstellung des Geschehens ihre Sache nicht war, sodass sich z. B. selbst ihr Raumgefühl nur unvollkommen entwickelte. Aber der Ernst ihres Realismus, die Bestimmtheit ihrer Formen, die treffliche Modellirung und das Helldunkel das sie selbst in Temperabildern erreichen, geben ihren Werken einen bleibenden Werth.

So Francesco Cossa. Seine Madonna mit S. Petronius und S. Johannes d. Ev. (in der Pinacoteca von Bologna, 1474) ist in den Köpfen bäurisch reizlos, und doch um jener Vorzüge willen ein treffliches Werk. – Seine grosse Marter S. Sebastians (in S. Petronio ebenda, 5. Cap. 1.) zeigt dieselben Tugenden mit gemässigten, selbst würdigen und schönen Charakteren. Der italienische Realismus taucht [814] nur für Augenblicke tief unter; immer von Neuem schmiegt er sich dann der Schönheit an.

Lorenzo Costa (1460–1535), dessen Hauptwerke sich sämmtlich in Bologna befinden, gerieth hier in einen merkwürdigen Austausch mit Francesco Francia, dessen Schüler er sich schlechtweg, aber doch nur mit halbem Rechte nennt. Er brachte in dieses Verhältniss einen ganz wohlgefesteten Realismus und eine viel grössere Kenntniss mit als Francia damals besass; er beugte sich vor dem Schönheitssinn und dem Seelenausdruck des letztern, behielt aber gehörigen Orts eine gesundere Empfindungsweise vor diesem voraus. – In S. Petronio ist das Altarbild der 7. Cap. 1., thronende Madonna mit vier Heiligen und einer herrlichen Lunette von musicirenden Engeln, jedem Francia gleichzustellen. Ebenda, 5. Cap. 1., die 12 Apostel, Gestalten ohne Grossartigkeit, mit gewaltigen, aber gut gezeichneten Händen und Füssen, dabei sehr ernst ergriffen. – Hinten im Chor von S. Giovanni in monte: Mariä Krönung mit sechs Heiligen, welche hier, wie in der Schule von Bologna-Ferrara überhaupt, gruppirt und nicht bloss wie bei den Peruginern in einer Reihe aufgestellt sind. – Ebenda, 7. Cap. r., noch ein Hauptbild, thronende Madonna mit köstlich naiven Musikengeln und Heiligen. Das Bild im Chor ist zugleich eins der ausgezeichnetsten Specimina für die Behandlung der Landschaft, in welcher Costa zuerst eine Ahnung von gesetzmässigen, mit den Figuren in Harmonie stehenden Linien und eine bedeutende Meisterschaft der Töne entwickelt. Es sind meist schöne Thaleinsenkungen mit reicher Vegetation und Aussichten in eine sanfte, nicht phantastische Ferne. – An den Fresken, welche ihm in S. Cecilia angehören (s. unten, das 4. Bild 1. und d. 4. r.) ist vielleicht die Landschaft gradezu das Beste. – Die Fresken in der Cap. Bentivoglio zu S. Giacomo maggiore erscheinen theils völlig übermalt, theils befangen durch das Sujet, welches über Costa's Kräfte ging (die beiden unergründlich allegorischen Trionfi), theils ungern gemalt (die Madonna mit der hässlichen, barock costumirten Familie Bentivoglio). – Die Himmelfahrt Mariä in S. Martino (5. Alt. 1.) mag zwischen Costa und irgend einem Peruginer streitig bleiben. – In Ferrara soll sich (ausser einem nicht bedeutenden Bild im Ateneo) ein berühmtes Werk in der Kirche alle Esposte befinden. – Von seinem Schüler Ercole Grandi [815] z. B. mehrere einzelne Figuren in der Sacristei von S. Maria in Vado; ein S. Sebastian mit 2 andern Heiligen und der Stifterfamilie in S. Paolo, rechts neben dem Chor.

Von Costa und Francia zugleich ist der schwächliche Domenico Panetti abhängig. In Ferrara: Ateneo: eine Heimsuchung, und ein S. Andreas; – Sacristei von S. M. in Vado: die Fahrt der heiligen Familie über den Nil, ein gemüthliches Frescobild; – Chor von S. Andrea: alte Altar- oder Orgelflügel mit dem englischen Gruss und 2 Heiligen, schon in Garofalo's Art. – Ganz in Francia's Nachahmung versenkt erscheint Micchele Cortellini: in S. Andrea, 3. Cap. r., eine thronende Madonna mit 4 Heiligen (1506) 6). – Von Costa's bedeutendstem Schüler, Mazzolino, wird beim XVI. Jahrh. die Rede sein.

 

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Der bedeutendste Träger derjenigen Kunstentwicklung, welche von Padua ausging, ist jedenfalls der grosse Paduaner Andrea Mantegna (1430–1506). (Vgl. S. 279, 297)

Sein wichtigstes Werk sind die Malereien aus den Legenden des heil. Jacobus und des heil. Christoph in der Capelle dieser Heiligen in den Eremitani zu Padua. (Ausgeführt mit Hülfe des Bono, Ansuino und Pizzolo.) Es ist nicht die höhere Auffassung der Momente, wodurch er hier die Florentiner übertrifft; das Flehen des Jacobus um Aufnahme ist nicht eben würdig; bei der Taufe des Hermogenes erscheinen die meisten Anwesenden sehr zerstreut; das Schleppen der St. Christophsleiche ist eine der blossen Verkürzung zu Gefallen gemalte Goliathscene. Aber an Lebendigkeit des Geschehens und an vollkommener Wahrheit der Charaktere hat kaum ein Florentiner Ähnliches aufzuweisen. Man betrachte z. B. das wirre Durcheinanderrennen der Widersacher des heil. Jacobus, wo er die Dämonen gegen sie aufruft; oder wie in dem „Gang zum Richtplatz“ das blosse Innehalten des Zuges ausgedrückt ist; oder die Gruppe der auf S. Christoph Zielenden; oder die der bekehrten Kriegsknechte. [816] Um der höchst genauen, selbst scharfen Ausführung willen begnügte sich M. (wie überhaupt die paduanische Schule, z. B. die Maler des Pal. Schifa-noja) nicht mit dem Fresco, sondern versuchte von Bild zu Bild andere Malarten. Reichthum der entferntern Gruppen, der baulichen und landschaftlichen Hintergründe, der mit Faltenwerk, Glanzlichtern, Reflexen u. s. w. überladenen Gewandung. – Ganz neu und dem M. eigen erscheint die mehr oder weniger durchgeführte Perspective, das Festhalten eines Augenpunktes. Er ist neben Melozzo der einzige Oberitaliener dieser Zeit, welcher ein durchgebildetes Raumgefühl besitzt. Mehrere der schon genannten Florentiner müssen, wenn auch nur mittelbar, von ihm gelernt haben. – Im Ganzen erinnert er viel an Benozzo, nur erscheint dieser neben ihm wie ein anmuthiger Improvisator neben einem Kunstdichter.

(Andere Fresken in Mantua, Castello di corte, Stanza di Mantegna; Scenen aus dem Leben des Lodovico Gonzaga.)

Unter seinen Staffeleibildern ist die stark restaurirte Gestalt der heil. Eufemia im Museum von Neapel (1454) das frühste und vielleicht grossartigste Programm der ihm erreichbaren Idealschönheit. In kleinern Bildern geht seine Ausführung in eine prächtige Miniatur über. Das dreitheilige Altärchen in den Uffizien (Tribuna) und eine kleine Madonna in Felslandschaft (dies. Sammlung) sind in diesem Betracht wahre Juwelen, obwohl die Charaktere nirgends gross und mit Ausnahme des Madonnenkopfes kaum angenehm sind. – Von grössern Altarbildern ist nur dasjenige auf dem Hochaltar von S. Zeno zu Verona (Madonna mit Heiligen) in Italien geblieben; ein Hauptwerk für das ganze Empfinden und Können der Schule. – In der Brera zu Mailand u. a. das grosse Temperabild eines heil. Bernardin mit Engeln (1460?) auch als decoratives Prachtstück merkwürdig. – In Scenen des Affektes ist Mantegna bisweilen derb und unschön, wie z. B. die Pietà in der vaticanischen Galerie, ein sehr energisches und vielleicht echtes Bild 7), zeigt.

Manches führt dann entschieden mit Unrecht seinen Namen. Drei kleine phantastische Legendenbilder im Pal. Doria zu Rom möchten eher von einem Ferraresen sein; – vier Miniaturbilder im Pal. Adorno [817] zu Genua sind wenigstens höchst bezeichnende Beispiele für die antikisirende und allegorische Richtung seiner Schule, welche hier in einen angenehmen Rococo ausmündet: der Triumph der Judith; der Triumph über Jugurtha; Amor von den Nymphen gefesselt; Amor gefangen weggeführt.

 

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Einer lebte in dieser Zeit, der in der Darstellung des perspectivischen Scheines der Dinge noch über Mantegna hinaus ging: Melozzo da Forli, Schüler vielleicht des Squarcione, jedenfalls des P. della Francesca. Man sieht in Rom über der Treppe des Quirinals einen Gottvater von Engeln umschwebt, in der Stanza capitolare der Sacristei von S. Peter ein paar Bruchstücke von Engelfiguren; – es sind arme Fragmente eines wunderherrlichen Ganzen, nämlich der in Fresco gemalten, im vorigen Jahrhundert zerstörten Halbkuppel des Chores von SS. Apostoli. Die verkürzte Untensicht, damals wohl als grosse Neuerung bestaunt, wurde seit Coreggio tausendmal von Künstlern dritten Ranges überboten und berührt uns jetzt nur historisch; Melozzo's viel grössere Seite ist, dass er zu einer völlig freien, edel sinnlichen Jugendschönheit durchgedrungen war und sie mit begeisterter Leichtigkeit (vielleicht einst in hundert Gestalten!) vorgebracht hatte. – Das Frescobild in der vaticanischen Galerie, eine Audienz Sixtus IV, in strengerm paduanischem Styl gemalt, ist bei aller Trefflichkeit doch schwer mit jenen Resten aus SS. Apostoli zu reimen.

 

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Die Maler von Vicenza und Verona 1450–1500 sind ebenfalls wesentlich paduanisch gebildet, wenn auch bei Einigen sich ein (mässiger) Einfluss des Giov. Bellini zeigt; auf Farbenpracht und Charakteristik der Venezianer gehen sie nur wenig ein.

Für Vicenza ist der mürrische, aber ehrliche und gründliche Bartolommeo Montagna zu nennen. – Drei Bilder in der dortigen Pinacoteca; in S. Corona das Fresco links neben der Thür; – im Dom vielleicht die Malereien der vierten Capelle links; – ebenda, fünfte Capelle rechts, zwei Apostel und vielleicht auch die Anbetung des Kindes. – Grössere Altarbilder in der Acad. zu Venedig und in [818] der Brera zu Mailand. – Treffliche Fresken von ihm (nicht von Franc. Morone, wie S. 280, a irrig angegeben ist) in SS. Nazaro e Celso zu Verona, Cap. di S. Biagio, 1493; – vier Bilder im Chor derselben Kirche.

Von vicentinischen Zeitgenossen: Bilder in der Pinacoteca und gute Fresken in S. Lorenzo, Cap. links neben dem Chor.

In Verona ist Einiges von Pisanello († 1451) erhalten, der gleichzeitig und sogar unabhängig neben Squarcione den Styl des XV. Jahrh. beginnen half. (Ruinirtes Fresco einer Verkündigung in S. Fermo, Wand über dem Chor.) – Die Übrigen stehen alle unter Mantegna's Einfluss. – Anonyme Fresken in S. Anastasia, Capellen rechts und links vom Chor. – Francesco Buonsignori, ein Geistesverwandter des Montagna: Madonnen mit Heiligen in der Pinacoteca zu Verona (1488) und in S. Fermo, Cap. neben dem linken Querschiff (1484). Bilder von Girol. Benaglio (1487) und Giov. Franceschini (1498) in der Pinacoteca; das des letztern ein schönes Werk in der Art Bellini's.

Von Liberale da Verona Bilder in mehrern Kirchen 8), Fresken in S. Anastasia, z. B. über dem 3. Alt. rechts; ein grosser S. Sebastian in der Brera zu Mailand, hart und scharf, ein vortreffliches Actbild im paduanischen Sinne. – Von Girol. da' Libri u. a. in S. M. in Organo, rechts vom Portal, eine schöne Madonna mit Heiligen unter Lorbeern; – in der Pinac. eine herrliche Anbetung des (kühn gezeichneten) Kindes mit Heiligen; und eine thronende Madonna mit Heiligen. – Franc. Morone nähert sich in zwei schönen Bildern der Pinac., einem verklärten mit Maria und Johannes d. T. auf Wolken stehenden Christus und einem Gekreuzigten (1498), dem Giov. Bellini am Meisten; – in den edeln Fresken der Sacristei von S. M. in Organo (Halbfiguren von Heiligen, und in einem Mittelfeld der Decke: der verkürzt schwebende Salvator mit Heiligen) erscheint er als ein ausgebildeter Meister des XVI. Jahrhunderts. [819]

 

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Je weiter man nach Westen dringt, desto mehr schwindet die paduanische Kenntniss der Lebensformen und die Lust an deren scharfer Bezeichnung, hört auch wohl z. B. bei einigen piemontesischen Malern ganz auf.

Schon der Brescianer Vincenzo Foppa d. ä. erreicht in seinem Frescobild der Marter S. Sebastian's (Brera zu Mailand) die Durchbildung selbst der Veroneser nicht mehr. – Die Fresken des ältern Vincenzo Civerchio und des Bernardino Buttinone in S. Pietro in gessate zu Mailand (von jenen die Antoniuscap., von diesem die Ambrosiuscap.) sind dem Verfasser nicht bekannt. – Von Bramantino dem ältern, der eine tüchtige paduanische Schule hatte, ist gerade in Mailand nichts von Belang; von Bramantino dem jüngern nicht vieles: eine Madonna von reicher und voller Bildung, mit zwei Engeln (in der Brera); eine Lunette über der Thür von S. Sepolcro; dann die Gewölbefresken der Brunocapelle in der Certosa von Pavia. Bernardo Zenale's grosse Madonna mit Kirchenvätern und Donatoren (Brera), bei einigen Härten doch ein treffliches Bild, steht schon unter Lionardo's Einfluss.

Der vielbeschäftigte Borgognone (eigentlich Ambrogio Fossano, st. nach 1522; vgl. S. 201), thut in einzelnen kleinen Frescoscenen bedeutende Würfe (Malereien hinten in S. Ambrogio: Christus unter den Schriftgelehrten, der Auferstandene mit Engeln, Pietà, Alles übermalt); – bei grossen Aufgaben aber (Chornische von S. Simpliciano) nimmt sich die Übertragung der Gedanken des XIV. Jahrh. in ziemlich leblose Formen des XV. ganz matt aus. Eine grosse Himmelfahrt Mariä (Brera) erinnert an abgestandene Peruginer. Einzelne Madonnen, mit Engeln, die hie und da vorkommen, haben dagegen eine höchst liebenswürdige Gemüthlichkeit. – Bedeutende Fresken in der Certosa von Pavia. – (Allerlei Malereien dieser alten Schule, auch in der Art Borgognone's, in Madonna delle grazie bei Locarno, Tessin.)

Von einer Anzahl anderer lombardischer Maler, welche den Styl des XV. Jahrh. mehr oder weniger beibehielten bis über 1530 hinaus, finden sich die meisten Werke in Provincialstädten, welche Verfasser dieses nicht besucht hat: so von Foppa d. j., Civerchio d. j., Andrea da Milano, Girol. Giovenone, dem Piemontesen Macrino d'Alba u. A. Am meisten Interesse sollen die Bilder der beiden [820] ältern Piazza, Albertino und Martino, in den Kirchen von Lodi und der Umgegend darbieten.

Pierfrancesco Sacchi aus Pavia arbeitete hauptsächlich in Genua. Mit seinem einfachen, hie und da peruginischen Gemüthsausdruck, seiner flandrisch reichen Ausführung bis in das kleinste Detail hinein, und mit den prächtigen landschaftlichen Hintergründen macht er einen Eindruck, der ausser Verhältniss zu seiner eigentlichen Begabung steht. S. Maria di Castello, 3. Alt. rechts, drei Heilige in einer Landschaft; – S. Teodoro, im Chor links, dito; – in S. Pancrazio, zu beiden Seiten des Eingangs ein segnender Salvator zwischen zwei Heiligen, „in Sacchi's Manier“ (d. h. wohl von ihm), und: S. Petrus und Paulus, von Teramo Piaggia, der hier völlig als Sacchi's Nachahmer erscheint (anderswo dagegen sich der römischen Schule nähert). – Von einem andern Genuesen um 1500, Lodovico Brea, mehr unter niederländischem Einfluss: die Bilder der 3. Cap. links und des 5. Alt. rechts in S. Maria di Castello. – Bei dem ältern Semino (Antonio) mischen sich Eindrücke von Sacchi, Brea und Perin del Vaga. Sein Hauptbild, die Marter des heil. Andreas in S. Ambrogio (4. Alt. links) ist befangen, ungeschickt, sehr fleissig und nicht ohne einzelne schöne Züge.

 

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In Modena ist mir von Coreggio's Lehrer Francesco Bianchi Ferrari zu meinem Bedauern nichts vorgekommen. – Von den alten Localmalern in der herzogl. Galerie ist Bartol. Bonasia (todter Christus, im Sarg stehend, mit Maria und Johannes, 1485) durch seine kräftige Färbung, Marco Meloni (thronende Madonna mit zwei Heiligen, 1504) durch den Ausdruck in der Art des Francia interessant. Auch Bernardino Losco von Carpi (thronende Mad. mit zwei Heil., 1515) ist einer der bessern alten Lombarden; der sogen. „Gherardo di Harlem“ dagegen (grosse, figurenreiche Kreuzigung) einer der harten alten (westlombardischen?) Meister.

In Parma hatte Coreggio leichtes Spiel gegen Vorgänger wie Jacobus de Lusciniis, Cristofano Caselli, gen. Temperello, Lodovico da Parma und Alessandro Araldi. Bilder derselben in der dortigen Galerie; von letzterm auch kleine Scenen al [821] fresco in dem bei Anlass der Decoration genannten Raum zu S. Paolo (S. 281) und eine Madonna mit zwei Heiligen in S. Giovanni, erste Cap. rechts. – Von der Künstlerfamilie der Mazzola, welche sich später ganz zu Coreggio schlug, lebten damals Pierilario, von welchem in der Galerie eine thronende Mad. mit drei Heiligen, und der namhaftere Filippo M., der unter allen von Padua aus angeregten Künstlern einer der härtesten und anmuthlosesten, dabei aber kein geringer Zeichner ist. Grablegung u. A. im Museum von Neapel; das Altarbild im Baptisterium zu Parma; eine Bekehrung Pauli in der Galerie. – Vielleicht das angenehmste Bild dieser Schule ist namenlos: eine thronende Madonna mit drei singenden Engeln und zwei Heiligen, in der Steccata (vordere Eckcapelle links).

 

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In Venedig unterscheiden wir während der zweiten Hälfte des XV. Jahrh. zwei Generationen von Malern.

Die erste ist von Padua aus unmittelbar abhängig; die Stylprincipien der Muranesen bilden sich danach völlig um. Wir haben bereits (S. 786) neben Johannes und Antonius von Murano den Bartolommeo Vivarini genannt. Dieser ist in seinen besondern Werken ein wahrer Paduaner; in der prächtigen und genauen Ausführung nähert er sich oft Mantegna, bleibt aber in der Farbe kälter. Die Charaktere seiner Altarbilder sind immer ernst, bisweilen höchst würdig, bisweilen fast grimmig, selten anmuthig; die decorative Ausstattung ist, wie bei diesen paduanisch gebildeten Venezianern überhaupt, ganz besonders reich. (Thronbauten, Fruchtschnüre, Laubhecken, Luxus von Putten etc.) Thronende Madonna mit vier stehenden und vier als Halbfiguren schwebenden Heiligen etc. (1465) im Museum von Neapel; – in Venedig: Altarwerke in der Academie (1464); – in S. Giovanni e Paolo, 2. Alt. rechts (mit directen Reminiscenzen nach Mantegna, vielleicht grössern Theils von dem bald zu erwähnenden Luigi Vivarini); ebenda im rechten Querschiff ein thronender S. Augustin (1473); – in S. Giovanni in Bragora eine thronende Madonna mit Seitentafeln (neben der ersten Cap. links, dat. 1478); – in den Frari ein späteres, milderes Altarwerk (Querschiff rechts, datirt 1482) und ein vielleicht ganz später thronender S. Marcus mit Engeln und [822] Heiligen (Querschiff links); – ein geringeres Werk in S. M. Formosa (2. Alt., rechts).

Die Härte und Strenge Bartolommeo's mildert sich, nicht ohne den Einfluss Bellini's, zu einer bisweilen ganz edeln Anmuth und Fülle bei seinem jüngern Bruder oder Verwandten Luigi Vivarini. Mehreres in der Academie; – eine Auferstehung in S. Giovanni in Bragora (Eingang des Chores links, dat. 1498); – zwei einzelne Heilige in S. Giov. Crisostomo (beim 2. Alt., links). – Das herrliche grosse Altarblatt in der Frari (3. Cap. links vom Chor), der zwischen andern Heiligen thronende S. Ambrosius, wurde erst von Basaiti (s. unten) vollendet und gehört schon wesentlich der folgenden Generation an. – Dagegen ist eine Madonna mit zwei heil. Barfüssern im Museum von Neapel ein frühes Bild (1485).

Carlo Crivelli's Werke sind fast nur in der Brera zu Mailand zu suchen. Hart und streng, wie Bartolommeo, prunksüchtig über die Massen, doch nicht ohne Geschmack, in einzelnen Charakteren noch dem Johannes Alamannus verwandt, dringt er wenigstens in einer thronenden Madonna (1482) zu grosser Anmuth hindurch. – Von ihm vielleicht der heil. Papst Marcus in S. Marco zu Rom (Cap. rechts vom Chor).

Von Fra Antonio da Negroponte ein schönes Altarbild in S. Francesco della vigna zu Venedig, rechtes Querschiff; – ein fragliches Bild in der Sacristei ebenda.

 

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Die zweite Generation beginnt mit Gentile Bellini (1421 bis 1501) und Giovanni Bellini (1426–1516), den Söhnen des Giacomo B., welcher bei Squarcione und Gentile da Fabriano gelernt hatte. – Die Jugend und das mittlere Alter der beiden Brüder scheint in abhängigen Stellungen dahingegangen zu sein; von Gentile ist nur Weniges vorhanden, die zahlreichen authentischen Werke Giovanni's aber beginnen erst mit seinem 60sten Lebensjahre. Von seinen zahlreichen Schülern nennen wir nur die folgenden: Pierfrancesco Bissolo, Piermaria Pennacchi, Martino da Udine, Girol. di Santa Croce (meist in Padua thätig), Vincenzo Catena, Andrea Previtali, Giambattista Cima da Conegliano u. A. Neben Giov. Bellini's [823] Schule, doch auf verschiedene Weise von ihr abhängig: Marco Basaiti, Vittore Carpaccio, Giov. Mansueti, Lazzaro Sebastiani, Boccacino von Cremona, Marco Marziale u. a.

Die Grösse dieser Schule ist sammt ihrer Einseitigkeit in allen Einzelnen so gleichartig (wenn auch mit grossen Verschiedenheiten) ausgeprägt, dass auch die Besprechung eine gemeinsame sein darf. Noch einmal in diesem Jahrhundert der sonst entfesselten Subjectivität ordnet sich hier der Einzelne den allgültigen Typen unter. Offenbar sind es die Besteller, welche die Schule im Grossen bestimmen.

Vor Allem gab sich die Schule mit der erzählenden Malerei fast gar nicht ab und wo sie es that, steht sie mit aller Farbengluth und Einzelwahrheit doch im Gedanken neben den Florentinern unendlich zurück. Selbst in der grossen „Predigt des heil. Marcus in Alexandrien“ des Gentile Bellini (Mailand, Brera) handelt es sich um gleichgültig zusammengestellte Figuren von einer gewissen puppenhaften Nettigkeit; ebenso in seinem „Mirakel des heil. Kreuzes“ und in der „Procession“ mit dieser Reliquie (Acad. von Venedig). An der Fortsetzung dieser Reliquiengeschichte hat dann auch Carpaccio (nebst seinen Schülern Mansueti und Sebastiani) gearbeitet, welcher überhaupt hier der fast alleinige Erzähler ist; in derselben Sammlung sind von ihm auch acht grosse, figurenreiche Historien der heil. Ursula; in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zwei Reihen kleinerer Geschichten der HH. Georg und Hieronymus. Wenn naive Einzelzüge, malerisch bequeme Vertheilung im (baulich und landschaftlich schönen) Raum, lebendige und selbst jugendlich reizende Köpfe, endlich eine oft erstaunliche Leuchtkraft der Farbe zusammen schon ein Historienbild ausmachten, so hätte C. sein Ziel erreicht. Das Interessanteste an jenen Reliquienbildern bleibt die bunte Schilderung des mittelalterlichen Venedig. – In den Uffizien: Mansueti's Christus unter den Schriftgelehrten. – Viele historische Bilder gingen freilich bei den Bränden des Dogenpalastes unter 9). Fresken oder gar Freskencyclen kommen nicht vor. [824]

Die biblischen Ereignisse, welche diese Venezianer malen, sind meist ausgesucht ruhige Scenen, deren Wesentliches sich schon im Halbfigurenbild geben liess. Nicht umsonst hat z. B. das Mahl in Emmaus hier so grosse Gunst genossen, wovon unten.

 

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In dieser Schule bildet sich zuerst das venezianische Colorit aus. Möglich, dass sie dabei dem Antonello da Messina, einem Schüler der van Eyck, Einiges verdankte, der sich längere Zeit in Venedig aufhielt. (In Italien kenne ich von ihm kein sicheres Bild als das Porträt eines schwarzlockigen Mannes im Pelzkleid, in den Uffizien. Ein anderes, in der Galerie Manfrin, hängt für die Prüfung zu hoch.) Jedenfalls hatten schon die Muranesen (S. 786) den Grund gelegt. Ohne sich irgendwo in raffinirte Detailpracht zu verlieren, findet nun die Schule die Geheimnisse der Harmonie und der Übergänge sowohl als der möglichst schönen Erscheinung der einzelnen Farbe. In letzterer Beziehung erstrebte sie durchaus nicht eine illusionsmässige Stoffbezeichnung; in den Gewändern giebt sie glühende Transparenz, im Nackten aber jenes unbeschreiblich weiche und edle Leben der Oberfläche, welches theils durch die sicherste, nicht in schwarzen Schatten, sondern in lauter farbigen Tönen sprechende Modellirung, theils durch Geheimnisse der Lasirung hervorgebracht wurde und zwar auf hundert verschiedene Weisen 10). Neben diesen Leistungen erscheint alles Paduanische wie eine längst überwundene Vorstufe. Der Grösste der Schule, Giov. Bellini, ist es auch im Colorit und im Vortrag; andere behalten einige Schärfen (Carpaccio, selbst Cima) oder neigen sich dem weichen Zerfliessen zu. (Bellini selbst geht bisweilen auf duftige Leichtigkeit aus.) [825]

An Fülle von Lebensmotiven erreicht diese Schule die Florentiner natürlich lange nicht, allein ihre Gestalten sind doch in der Regel leicht, selbst edel gestellt und bewegt. Der heil. Sebastian als stehende Aufgabe hielt die Zeichnung des Nackten in einer bedeutenden Höhe. Die Gewandung gehorcht zwar mehr den Gesetzen des Farbenganzen als einem höhern Liniengefühl; immerhin bleibt sie freier von kleinlichen Motiven und Überladung als z. B. bei Filippino Lippi. Die Hauptsache sind aber dem Venezianer die Charaktere. Nicht zu scharfen und dadurch effectreichen Contrasten, sondern als Töne eines und desselben Accordes stellte er sie zusammen; nicht überirdisches Sehnen, nicht jäher Schmerz, sondern der Ausdruck ruhigen Glückes sollte sie beseelen; dieser, in energischen und wohlgebildeten Gestalten ausgesprochen, ist es, welcher den Sinn des Beschauers mit jenem innigen Wohlgefallen erfüllt, das keine andere Schule der Welt auf dieselbe Weise erweckt. Der Typus dieses Menschengeschlechtes steht der Wirklichkeit noch so nahe, dass man es für möglich hält, solche Charaktere anzutreffen und mit ihnen zu leben. Rafael verspricht dergleichen nicht; abgesehen von der idealen Form stehen uns seine Gestalten auch durch hohe Beziehungen und Actionen ferner.

Giov. Bellini wird zwar von den meisten Genannten irgend einmal zur günstigen Stunde auch in den Charakteren erreicht, bleibt aber doch bei weitem der Grösste. Wahrscheinlich gehört ihm schon (für Venedig) die neue Anordnung der Altarwerke an: statt der Theilung in Tafeln rücken die einzelnen Heiligen zu einer Gruppe um die thronende Madonna, zu einer „santa conversazione“ zusammen, die von einer offenen oder mit einer Mosaiknische geschlossenen Halle (vgl. S. 261, Anm. 2) schön architektonisch eingefasst wird; zudem baut er auch seine Gruppe fast mit derselben strengen, schön aufgehobenen Symmetrie wie Fra Bartolommeo. Drei grosse Altarbilder ersten Ranges sind noch von ihm in Venedig vorhanden: in S. Giovanni e Paolo (erster Alt. rechts), in S. Zaccaria (zweiter Alt. links, vom Jahr 1505), und in der Academie. Das Beisammensein der heil. Gestalten, ohne Affect, ja ohne bestimmte Andacht, macht doch einen übermenschlichen Eindruck durch den Zusammenklang der glückseligen Existenz so vieler freier und schöner Charaktere. Die wunderbaren Engel an den [826] Stufen des Thrones mit ihrem Gesang, Lauten- und Geigenspiel sind nur ein äusseres Symbol dieses wahrhaft musikalischen Gesammtinhaltes. Da dieser Inhalt sich schon im Halbfigurenbild geltend machen konnte, so entstanden hunderte auch von solchen, hauptsächlich für die Privatandacht.

Aber nicht nur in der Anordnung der Charaktere zum Bilde, sondern auch in der Auffassung der Einzelnen ist Giov. Bellini das Vorbild aller andern, ihr Befreier geworden. Die Scala auf welcher er sich bewegt, ist bei weitem die grösste. Er konnte burlesk sein bei der Darstellung der classischen Götterwelt; das unschätzbare sog. Bacchanal in der Sammlung Camuccini parodirt das Göttergelage zur „Festa“ italienischer Bauern 11). (Wo er der Allegorik seiner Zeit in die Hände fiel, ist er, beiläufig gesagt, so absurd als irgend Einer; fünf kleine höchst saubere Bildchen in der Acad. von Venedig, etwa zu vergleichen mit Pinturicchio's Allegorien im Pal. Torigiani zu Florenz.) In den religiösen Bildern dagegen herrscht eine gleichmässige Würde und Milde. Das Bild in S. Giov. e Paolo zeigt in den weiblichen Heiligen ein herrliches Geschlecht reifer Jungfrauen, die noch an Mantegna's heil. Eufemia erinnern. Die Engel am Throne sind hier wie überall eifrig an ihre Musik hingegeben und völlig naiv, was sie z. B. bei Francia und Perugino nicht immer sind. Sein spätes Bild, in S. Giovanni Crisostomo, 1. Alt. r. (1513), enthält von seinen besten männlichen Charakteren. (Seine schönsten nackten Bildungen in dem grossen Altarblatt der Academie.) In der Madonna zeigt sich bei ihm ein Fortschritt aus einem strengen und wenig beseelten Typus (z. B. das eine Bild in der Brera zu Mailand, mehrere in Venedig) zu einem grossartig schönen, doch noch immer ernsten und auch im Costüm idealen. Dieser vielleicht zum erstenmal vollendet reif in der Mad. von 1487 (in der Academie) und in dem herrlichen Bilde in der Sacristei der Frari (1488) 12), dann in mehrern Werken der Academie, der Gal. Manfrin, der Sacristei des Redentore (zwei Bilder, davon [827] eines ein Juwel!), der Galerie von Modena, der Pinac. von Vicenza, der Brera von Mailand (bez. 1510) u. a. a. O. Wo Heilige anwesend sind, wird man im Ganzen die weiblichen vorzüglicher finden.

Von der höchsten Bedeutung ist aber bei B. durchgängig die Gestalt Christi, welche durch ihn auch bei der folgenden venez. Generation eine so hohe Auffassung beibehalten hat. Schon sein Christuskind ist nicht bloss wohlgebildet, sondern so erhaben und bedeutungsvoll in der Bewegung und Stellung als diess möglich war ohne den Ausdruck der Kindlichkeit aufzuheben. In dem Bild in S. Giov. e Paolo gewinnt die gar nicht ideale Madonna eine überirdische Weihe durch ihr Sitzen und durch das ruhige Stehen des segnenden Kindes. Auch in dem Altarblatt der Academie ist das Kind ernst und grandios und contrastirt sehr bedeutsam mit den Musikengeln 13). – Dann wagte B. den erwachsenen segnenden Christus als einzelne Figur vor einem landschaftlichen oder Teppichgrund hinzustellen, mit der würdigen Männlichkeit, demjenigen Typus des Hauptes, welchen man in einzelnen Bildnissen Giorgione's und Tizians nachklingend findet. (Galerie von Parma.) – Und nun folgt „Christus in Emmaus“ (S. Salvatore zu Venedig, Cap. links vom Chor), eines der ersten Bilder von Italien 14); vielleicht der erhabenste Christuskopf der modernen Kunst, nur Lionardo ausgenommen (derselbe Gegenstand, Gal. Manfrin, wahrscheinlich von einem Schüler). – Endlich scheint der Meister eine höchste Steigerung, eine Verklärung auf Tabor, im Sinne getragen zu haben. Das Bild dieses Inhaltes im Museum von Neapel, mit dem ehrlichsten Streben nach tiefer Auffassung des Gegenstandes gemalt, war ein vielleicht früher Versuch dieser Art (eine Nachahmung in S. M. mater Domini zu Venedig, 1. Alt. links). Ist nun vielleicht die Skizze eines etwas aufwärtsblickenden Christuskopfes, in der Academie, der Keim einer nicht zu Stande gekommenen [828] Transfiguration? – (Eine schöne Taufe Christi, in S. Corona zu Vicenza, 5. Alt. 1.)

 

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Die obengenannten Schüler und Zeitgenossen sind nun in der Regel um so viel trefflicher, je mehr sie sich dem Giov. Bellini nähern. Im Ganzen hat hier Cima den Vorzug. Seine Taufe Christi in S. Giovanni in Bragora (Chor hinten) ist in dem Adel des Christuskopfes, in der Schönheit der Engel und in der weihevollen Geberde des Täufers unvergleichlich; – auch Constantin und Helena (ebenda, am Eingang des Chores, rechts) sind von schönem Ausdruck. In der Abbazia (Cap. hinter d. Sacristei) Tobias mit dem Engel; im Carmine (2. Alt. r.) die wundervolle Anbetung der Hirten und Heiligen. Seine Madonna ist reiz- und lebloser als die des Lehrers; dafür sind die sie umstehenden Heiligen, zumal die Greise, von geistvoller Schönheit. Treffliche Bilder dieser Art: Pinac. zu Vicenza; Brera (und Ambrosiana?) zu Mailand; Galerie zu Parma etc. – Die Mad. mit Heiligen in Lebensgrösse dagegen, in der Academie von Venedig, zeigt neben dem Meisterwerke Bellini's eine erstaunliche Befangenheit der Anordnung, theilweise auch der Einzelbildung. Ebenda S. Thomas, das Wundmal Christi berührend.

Ein sonst wenig bekannter Giovanni Buonconsigli, zufolge einem frühern Bild in der Pinac. zu Vicenza (Kreuzabnahme in schöner Landschaft), ein tüchtiger Modellirer im paduanischen Sinne, schloss sich später ganz an Bellini's Weise an, blieb aber bei unedlern Charakteren stehen. (Venedig, S. Spirito, 3. Alt. r., Christus mit 2 Heiligen; – S. Giacomo dall' orio, rechts von der Hauptthür, die HH. Laurentius, Sebastian und Rochus; beides prächtige Farbenbilder, die Hallen mit Goldmosaik.)

Carpaccio ist in seinen kleinern Figuren allerliebst lebendig, doch erreichen seine Köpfe an Schönheit diejenigen Cima's nicht. Ausser den genannten Bildern, welche im Colorit die glühendern sind, nenne ich: das Hauptaltarbild in S. Vitale (1514), eine lebhafte Conversation von Heiligen, welche theils unten, theils über einer Balustrade erscheinen; – das Bild mit 3 Heiligen in S. Giov. in Bragora (nach der 1. Cap. r.); – die Krönung Mariä in S. Giov. e. Paolo [829] (links, beim Eingang in die Sacristei); – den Tod Mariä (1508) im Ateneo zu Ferrara; in diesen beiden Werken kommt er dem Cima am nächsten. – Seine grosse Darstellung im Tempel (1510) und die Apotheose der heil. Ursula, beide in der Acad. von Venedig, zeigen freilich dass auch bei ihm die Mittel zur völligen Belebung solcher Formen nicht ausreichten. In der „Darstellung“ ist das Kind in Bellini's Art aufgefasst.

Von Lazzaro Sebastiani ist in S. Donato zu Murano (über d. Seitenthür r.) eine ganz schön belebte Scene der Madonna mit zwei Heiligen, welche anbetende Engel und einen Donator herbeibringen.

Von Andrea Previtali im Pal. Manfrin eine Madonna mit beiden Kindern im Freien (1510).

Catena's Hauptwerk, in S. M. mater Domini (2. Alt. r.), sollte eine Marter der heil. Christina vorstellen, welche mit einem Mühlstein am Hals ertränkt wurde. Man sehe wie der brave alte Venezianer dieses umgeht und denke dabei einen Augenblick an die affectvollen Martyrien des XVII. Jahrh. – Die Köpfe höchst lieblich.

Basaiti ist in Zeichnung, Farbe und Charakteren meist flüchtiger als Cima und Carpaccio; sein männlicher Typus wiederholt sich; das Ganze ist aber meist lebendiger. Seine Berufung der Apostel Jacobus und Philippus (Academie) ist immerhin ein geistreiches und entschlossenes Bild (1510); – der thronende Petrus mit 4 Heiligen in S. Pietro di castello (3. Alt. r.) war einst trefflich, der S. Georg ebenda (Ende d. l. Seitenschiffes) dagegen von jeher schwach. – Aber bisweilen erhebt sich der Meister zu hohen Leistungen. In der Himmelfahrt Mariä (SS. Pietro e Paolo zu Murano, links, nahe der Sacristeithür, verdorben, doch nicht unrettbar) schilderte er die schönste Ekstase; – sein S. Sebastian (Salute, Vorraum der Sacristei) ist nur um eines Schrittes Weite von Tizian entfernt; die von Luigi Vivarini begonnene Glorie des heil. Ambrosius aber (S. 822 e, Frari, 3. Cap. 1. vom Chor) hat offenbar Er erst zu dem Wunderwerke gemacht, das sich fast allein mit jenen 3 Hauptbildern des Giov. Bellini messen kann. Das lauterste Gold venezianischer Charakteristik.

Von Pennacchi sind die dem Untergang nahen Halbfiguren in den Cassetten des Tonnengewölbes von S. M. de' miracoli und die [830] vielleicht schon untergegangenen Deckenmalereien in den Angeli zu Murano, 34 Felder im Ganzen. (Die Kirche war 1854 unzugänglich.)

Marco Marziale, ein wenig bekannter Schüler Bellini's, hat mit einer ganz liebenswürdigen Gewissenhaftigkeit und mit der genrehaften Art etwa des Carpaccio auch ein Emmaus gemalt (1506, Academie). Gehört vielleicht ihm die vom Jahr 1500 datirte vortreffliche Fusswaschung, welche im Pal. Manfrin Perugino heisst? oder eher dem Lombarden Gaudenzio Vinci?

Endlich Boccaccino da Cremona, in einem spätern Bilde (thronende Mad. mit 4 Heiligen, in S. Giulian, 1. Alt. 1.) am meisten dem Cima verwandt, verräth früher, in einem höchst vollendeten und kostbaren Bilde der Academie, eher den Schüler des L. Vivarini. Es ist eine im Freien sitzende Madonna mit 4 Heiligen; eines der frühsten und schönsten Beispiele desjenigen Typus der Santa conversazione mit knieenden und sitzenden ganzen Figuren in landschaftlicher Umgebung, welcher später von Palma und Tizian mit Vorliebe aufgenommen wurde. – Eine Madonna mit Heiligen, in der Brera, ist wiederum spät (1532).

 

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Ausser diesen grossen Werkstätten der Kunst in Florenz und Oberitalien kömmt im XV. Jahrh. keine Schule mehr vor, in welcher die Freude an der charakteristisch belebten Gestalt und an dem Reichthum menschlicher Bildungen sich ganz frei und grossartig geäussert hätte. Die von Florenz und Padua ausgegangenen Inspirationen zogen zwar alle Schulen mit sich, aber es fehlte an deren Grundlage: an den tiefen und angestrengten Formstudien.

So glaubte z. B. die Schule von Siena, von Domenico di Bartolo an, die neue Darstellungsweise ohne diese Prämissen mitmachen zu können, ahmte aber nur die florentinischen Äusserlichkeiten auf solch bodenlosem Grunde mit der unvermeidlichen Übertreibung nach. Domenico's Fresken in einem Saal des Hospitals della Scala zu Siena (Stiftungsgeschichten und Werke der Barmherzigkeit), sind zwar frei von ganz rohem Ungeschick, allein nur durch Costüms und Baulichkeiten [831] interessant. Von den Übrigen sind die welche noch halb an der alten Weise festhielten, oben (S. 779) genannt worden. Unter den entschiednern Realisten ist Vecchietta („Lorenzo di Pietro“) als Maler ganz ungeniessbar (S. 241, 614), Francesco di Giorgio (Academie zu Siena: Anbetung des Kindes, und Krönung Mariä) vielleicht der am meisten durchgebildete, Matteo di Giovanni (M. da Siena) aber unstreitig der widerlichste. Die drei Redactionen seines „Kindermordes“ (S. Agostino, Nebencap. rechts, 1482, – Concezione oder Servi, rechts, 1491, – und: Museum von Neapel, mit verfälschtem Datum) sind einer der lächerlichsten Excesse des XV. Jahrh.; Matteo erscheint als der italienische Michel Wolgemuth. (Anderes in der Acad. und in S. Domenico, 2. Cap. 1. vom Chor.) Ein Christus in einer Engelglorie, unten viele Heilige in reicher Landschaft (1491, Acad.), von Benvenuto di Giovanni, ist wenigstens ohne die Affectation von dessen Mitschüler Matteo gemalt.

Von Fungai, Pacchiarotto etc. wird beim XVI. Jahrhundert die Rede sein.

 

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Weiter nach Süden thront das steile Perugia über dem Tiberthal, Assisi und Spello schweben an Bergabhängen, Foligno liegt in der Ebene, Spoleto schaut nieder auf das Thal des Clitumnus. In diesen Gegenden stand die umbrische Schule auf; ihre Thätigkeit reichte östlich auch in die Bergstädte des Hochapennins und jenseits desselben in die Mark Ancona hinein.

In dieser Heimath des heil. Franciscus scheint sich ein stärkerer Zug der Andacht als anderswo in dem profanen Italien der Renaissance erhalten zu haben. Wenn derselbe nun in der Malerei jenen unerhört intensiven Ausdruck fand, so kommt dabei auch sehr in Betracht die von den eigentlichen Herden der Renaissance entfernte Lage, die Vertheilung der Kräfte auf verschiedene Orte (sodass vor Pietro Alles den Charakter von Localmalerei hat), die mehr ländliche, einfache Sinnesweise der Besteller, mochten es nun Bewohner jener steilen Wein- und Ölstädtchen oder abgelegener Klöster sein, endlich der Einfluss Siena's, dessen letzte Idealisten, wie Taddeo di Bartolo (S. 779) selbst in Perugia arbeiteten. Wo man den neuen florentinischen Styl haben konnte, nahm man Anfangs selbst mit befangenen [832] und harten Äusserungen desselben vorlieb, wie die Legendenfresken des Bened. Bonfigli in einem obern Raum des Pal. del Commune zu Perugia (seit 1454) beweisen, Compositionen, deren eigenthümlichster Werth in den sehr gut dargestellten Baulichkeiten besteht. (Vom Dems. in S. Pietro, hinten links, eine Pietà; in S. Domenico, S. Bernardino, u. a. a. O. in Perugia mehreres.) – Aber eine deutlichere Vorahnung des spätern Schulgenius liegt doch eher in den harmlosen Malereien, welche an einzelnen Häusern der genannten Städte, besonders zu Assisi, auch in und an kleinern Kirchen u. s. w. insgemein die Mutter Gottes und die Schutzheiligen verherrlichen. So ist z. B. das Kirchlein S. Antonio in Assisi (an der Strasse, die von S. Francesco nach der Piazza führt, rechts) aussen und innen von verschiedenen Händen bemalt; Einiges ist sienesisch holdselig, Anderes sind Versuche in florentinischem Sinn; zwei Heilige im Bilde der Hinterwand haben auch schon etwas Verzücktes; sonst herrscht eher Das vor, was wir Gemüthlichkeit zu nennen pflegen.

Auch Fiorenzo di Lorenzo geht über diese Linie noch nicht hinaus. (In der Sacristei von S. Francesco de' conventuali zu Perugia: Petrus, Paulus und eine Madonnenlunette.)

Erst Niccolò Alunno von Foligno schlägt denjenigen Ton an, welcher dann bei Perugino so mächtig weiterklingt: es ist der Seelenausdruck bis zur schwärmerischen, ekstatischen Hingebung, in Köpfen von zartester, reinster Jugendschönheit. Niccolò's Bildung war eine ziemlich geringe, seine Malerei bisweilen roh, seine Anordnung unbehülflich, – allein noch heute dringt bisweilen ein Maler mit eben so beschränkten äussern Mitteln; durch den blossen Ausdruck zu einer hohen; wenn auch nur provincialen Geltung durch. Von seinen zugänglichern Werken (z. B. im Pal. Colonna zu Rom, in der Brera zu Mailand, wo sich eine bedeutende Madonna mit Engeln vom Jahr 1465 befindet) ist wohl das wichtigste, eine Verkündigung mit Gott-Vater und einer frommen Gemeinde, in S. Maria nuova zu Perugia (Querschiff links); wunderbare Bildung der Köpfe des Gabriel und der Madonna; die Andacht der Engel völlig naiv. – In Foligno: S. Maria infra portas: verdorbene Fresken; – S. Niccolò: Altarbild von mehrern Tafeln, eines der bestausgeführten; auch eine Krönung Mariä mit 2 knieenden Heiligen. – Im Dom von Assisi: [833] geringe Fragmente eines Altarwerkes, in die Wand eingelassen. – Die übrigen Gemälde in Diruta, S. Severino, Gualdo, Nocera, und la Bastia unweit Assisi. – Im Ganzen wendet Alunno jene hohe Steigerung des Ausdruckes noch sehr mässig an und gleicht sogar im einzelnen Fall eher den Paduanern.

 

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Pietro Perugino (de castello plebis, wie er sich selbst von seiner Vaterstadt Città della pieve nennt, eigentlich Vanucci, 1446–1524) ist in seiner frühern Zeit wesentlich ein Florentiner. Wie weit Alunno oder Piero della Francesca oder in Florenz Verocchio und L. di Credi einzeln auf ihn eingewirkt, kommt wenig in Betracht; die Hauptsache war der Eindruck der dortigen Kunstwelt als Ganzes, der ihn völlig bestimmte. Dieser ersten Periode gehören seine Fresken in der sixtinischen Capelle, Christi Taufe und die Verleihung des Amtes der Schlüssel (S. 810) an, vielleicht auch die Anbetung der Könige in S. Maria nuova zu Perugia (links vom Bilde Alunno's), Werke welche bei grosser Tüchtigkeit und Schönheit doch kaum einen Zug von Dem haben, was seine spätern Bilder beseelt. – Aus der schönsten Mitte seines Lebens stammt dann die Anbetung des Christuskindes in der Gemäldesammlung der Villa Albani (1491) und das Frescobild im Capitelsaal von S. M. Maddalena de' Pazzi zu Florenz (nur mit erzbischöflicher Erlaubniss zugänglich). – Schon vor 1495 liess sich dann Pietro fest in Perugia nieder und eröffnete seine Schule. Von da an beginnt erst jene grosse Reihe von Gemälden, in welchen er den Ausdruck der Andacht, der Hingebung, des heiligen Schmerzes in die tiefsten Tiefen zu verfolgen scheint.

Wie vieles in seinen Werken soll man ihm nun als baare Münze abnehmen? – Er kam in Perugia offenbar nur einer bereits herrschenden Gefühlsrichtung entgegen, die er mit einem ganz andern, durch die gedankenloseste Wiederholung nicht zu tödtenden Schönheitssinn und mit weit grössern Kunstmitteln zur Darstellung brachte als seine Vorgänger. Als die Leute sich an seinem Ausdruck gar nicht ersättigen konnten, als er inne wurde, was man ausschliesslich an ihm bewunderte, gab er das was er sonst wusste und konnte Preis, vor allem das unablässige florentinische Lebensstudium. Bewegte, [834] contrastreiche Gegenstände überliess er dem Pinturicchio, statt sich durch dieselben frisch zu halten. Zu den verzückten Köpfen, welche die Leute von ihm begehrten, gehörten Leiber und Stellungen die in der That nur wie Zugaben aussehen, und die der Beschauer sehr bald auswendig lernt, weil schon der Maler sie auswendig wusste. (Derselbe Pietro zeichnete, sobald er wollte, z. B. seine nackten Figuren trefflich.) Er entzückte seine Leute ferner durch grelle Buntfarbigkeit und spielend reich ornamentirte Gewandung. (Die Leuchtkraft des Colorites und die so fein gestimmten Einzelpartien in manchen Bildern zeigen wiederum was er konnte, sobald er wollte.) Er stellt seine Heiligen unten ohne Weiteres nebeneinander – während alle andern Schulen sie gruppiren – und ordnet seine Glorien, Krönungen und Himmelfahrten oben nach einem Schema. (Wogegen das Detail, sobald er wollte, das feinste Liniengefühl verräth.) Im Wurf der Gewandung erhebt er sich selten mehr über das Todt-Conventionelle. (In das Sistina sieht man was er früher konnte und wollte.)

Unter allen Künstlern, welche ihr Pfund vergruben und zu Handwerkern herabgesunken sind, ist das Beispiel Pietro's vielleicht das grösste und kläglichste. Freilich, was man von ihm verlangte, das lieferte er sauber, solid, vollständig, auch in der späten Zeit, da die Kräfte nachliessen, und da keine neue Auffassung mehr von ihm zu fordern war.

Was nun die Köpfe betrifft, so ist vor Allem anzuerkennen, dass Perugino aus der gährenden florentinischen Kunstwelt gerade die schönsten Anregungen in sich aufnahm. Es muss einen göttlichen Augenblick in seinem Leben gegeben haben, da er zum erstenmal die holdeste Form mit dem Ausdruck der süssesten Schwärmerei, der Sehnsucht, der tiefsten Andacht erfüllte. Der Augenblick kehrte bisweilen wieder; noch in spätern Bildern werden einzelne Köpfe auf einmal ergreifend wahr, mitten unter andern, welche einen ähnlichen Ausdruck nur mit den gewohnten stereotypen Mitteln wiedergeben. Um hierüber ins Klare zu kommen, muss man einige seiner Köpfe genau nach Typus und Ausdruck analysiren und sich fragen, wie diess eigenthümliche Oval, diese schwermüthig blickenden Taubenaugen, diese kleinen schon beinah vom Weinen zuckenden Lippen hervorgebracht sind, und ob sie an der betreffenden Stelle irgend eine Nothwendigkeit [835] oder Berechtigung haben? – Bisweilen überzeugt er; in den meisten Fällen aber macht er uns eine ganz zweck- und ziellose Rührung vor 15). – Warum ist diess bei Fiesole anders? weil eine starke persönliche Überzeugung dazwischentritt, die ihn nöthigt, den höchsten Ausdruck immer so stark zu wiederholen, als er es irgend vermag. – Warum ist bei den Robbia der Ausdruck immer frisch und liebenswürdig? weil sie den Affect bei Seite lassen und im Bereich einer schönen Stimmung bleiben. – Was nähert den Perugino einem Carlo Dolci? dass Beide einen wesentlich subjectiven, momentanen, also nur für einmal gültigen Ausdruck perpetuiren.

Wir nennen nur die wichtigern seiner spätern Bilder.

In der vatican. Galerie: Die Madonna mit den vier Heiligen, vielleicht noch aus der schönen mittlern Zeit; die Auferstehung, grossentheils von Rafael ausgeführt.

Im Dom von Spello, links: eine (bezeichnete) Pietà; der Ausdruck zumal im Johannes rein und schön hingehaucht.

In Perugia: Die Fresken in den beiden Räumen des sog. Cambio, um 1500 von P. mit Hülfe des Ingegno gemalt, bei grosser Schönheit und Sorgfalt der Behandlung ein durchaus bezeichnendes Werk für P.'s Ansicht von Geschmack der Peruginer; Nebeneinanderstellung isolirter Gestalten auf derselben Linie, Gleichartigkeit des Charakters [836] bei antiken Helden, Gesetzgebern und Propheten, Mangel der wahren Thatkraft und Ersatz durch Sentimentalität. – In S. Agostino sind die acht Täfelchen mit Brustbildern von Heiligen (in der Sacristei) naiver als die übrigen Bilder. – In S. Pietro enthält die Sacristei wieder eine Reihe Täfelchen mit Halbfiguren, zu welcher einst auch die drei in der vatican. Galerie gehörten; in der Kirche mehrere Copien Sassoferrato's nach ähnlichen Halbfiguren. – Zahlreiche, meist schwache Bilder in vielen Kirchen, sowie in der Academie, wo auch die ganze Schule vertreten ist. – In S. Severo hat P. nach Rafaels Tode, im Jahr 1521, den Muth gehabt, unterhalb von dessen Frescobild Heilige auf die Mauer zu malen. – Das Frescobild einer Anbetung der Hirten in einer innern Capelle von S. Francesco del monte soll ein schönes Werk sein; ebenso dasjenige der Anbetung der Könige in S. Maria de' bianchi in dem nahen Città della pieve.

In Florenz enthält der Pal. Pitti die berühmte Grablegung (1495), eine Sammlung von passiven Stimmungsköpfen, deren Wirkung bei der Abwesenheit anderer Contraste sich aufhebt; der Kopf Christi höchst unwürdig; das Ganze mehr durch die gleichmässige Vollendung als durch wahre Tiefe ausgezeichnet; – ebenda: Madonna das Kind anbetend, eins der wahrhaft empfundenen Bilder, leider sehr übermalt. – Uffizien: thronende Madonna mit 2 Heiligen, 1493, schon conventionell; – zwei Bildnisse. – Academie: Grosse Himmelfahrt Mariä;, unten 4 Heilige, vom Jahr 1500, in engster Beziehung mit den Fresken des Cambio, theilweise conventionell, in einzelnen Köpfen aber von grösster Herrlichkeit; – ebenda: Gethsemane (früh?); die übrigen Bilder, auch die untere Gruppe in Filippino's Kreuzabnahme spät und zum Theil ganz fad.

In der Pinacothek von Bologna: Madonna schwebend über vier Heiligen, Prachtbild vom Rang der eben genannten Himmelfahrt.

 

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Von den Gehülfen Pietro's wird Ingegno mit besonderm Nachdruck genannt. Allein die zugänglichern Arbeiten, die man ihm beilegt, sind streitig, so die treffliche Frescomadonna in der Capelle des Conservatorenpalastes auf dem Capitol, mit dem mässigen Ausdruck [837] in der Art Alunno's. Bei diesem Anlass einige frühe anonyme Fresken der umbrischen Schule zu Rom: in SS. Vito e Modesto (1483); – S. Cosimato in Trastevere etc.

Sodann Pinturicchio (1454–1513). Er stand schon früh mit Pietro in Verbindung (z. B. als Gehülfe bei den Arbeiten in der Sistina) und ist und bleibt in der Folge derjenige Maler der Schule, welcher vorzugsweise grosse Frescohistorien in Verding empfängt. Anfänglich von der florentinischen Darstellungsweise wenigstens angeweht, nimmt er dann auch die peruginische Seelenmalerei äusserlich in sich auf. Ein gründliches Studium hat er nie gemacht; er holt seine Motive zusammen, wo er sie findet, wiederholt sie bis zum zehnten Mal und braucht oft die Nachhülfe Anderer. Zugestandenermassen ein Geschäftsmann und Entrepreneur, gewiss mit geringem Gewinn, geniesst er uns gegenüber die günstige Stellung, dass man wenig von ihm erwartet und dann durch Züge köstlicher Naivetät, durch einzelne schöne Charakterköpfe und merkwürdige Trachten überrascht und durch die harmlose Art, wie er seine Geschichten als Staffage einer prächtigen Örtlichkeit (Gebäude, bunte Landschaften in flandrischer Art) vorbringt, vergnügt wird. (Die reiche decorative Ausstattung, S. 278.) Auch er giebt was man damals, und zwar in der Umgebung der Päpste, billigte und haben wollte.

Unter Innocenz VIII und Alexander VI malten er und Andere die Lunetten und Gewölbe in fünf Sälen des Appartamento Borgia (Vatican) aus. Es sind Propheten, Sibyllen, Apostel, thronende Wissenschaften mit Begleitern, Legenden verschiedener Heiligen, endlich Geschichten des n. T.; das Meiste ohne irgend besondern Aufwand von Gedanken. Auch die Fresken in S. M. del popolo (Cap. 1, 3 und 4 rechts, Gewölbe des Chores) bieten nur allgemeines Schulgut. Die Reste in S. Pietro in Montorio und in S. Onofrio (untere Malereien der Chornische) scheinen von noch geringern peruginischen Händen zu sein; eher gehören dem P. die vier Evangelisten am Gewölbe der Sacristei von S. Cecilia. – Mit viel grösserer Theilnahme sind in Ara Celi (1. Cap. rechts) die Wunder und die Glorie des heil. Bernardin gemalt; hier strebt der Meister, wenn auch mit unzulänglichen Kräften, nach florentinischer Belebung. – In der Chornische von S. Croce in [838] Gerusalemme sind die Geschichten des wahren Kreuzes an der unrechten Stelle und in unrichtigem Ton erzählt, zudem schwer übermalt; der segnende Salvator dagegen ein wahrhaft herrlicher Gedanke, der dem P. eigen sein könnte. – Im Jahr 1501 malte er eine ganze Capelle (links) im Dom zu Spello aus: die Verkündigung, die Anbetung der Hirten und Pilger, und Christus unter den Schriftgelehrten; am Gewölbe Sibyllen. Hier, in einem Landstädtchen, liess er sich ganz unbefangen gehen und gab, mitten unter vielem Conventionellen und Handwerklichen, ein paar höchst liebenswürdige Züge, wie z. B. das andächtige Herannahen der Hirten und Pilger, Joseph und Meria im Tempel etc. Reiche, hohe Hintergründe; aufgesetzter Goldschmuck. – In dem Jahr 1502–1503 malte er mit Hülfe Mehrerer die Libreria (d. h. den Aufbewahrungsort der Chorbücher) im Dom von Siena aus. (Bestes Licht: Nachmittags.) Von der frühern Annahme: dass Rafael ihm dazu alle Entwürfe, ja die Cartons geliefert oder gar selbst Hand angelegt habe, ist man völlig zurückgekommen. (Von den sehr schönen Zeichnungen zu zweien dieser Compositionen, der Landung in Libyen und dem Empfang der Eleonora von Portugal, habe ich nur die erstere, in der Sammlung der Handzeichnungen der Uffizien, gesehen; die andere findet sich in Casa Baldeschi zu Perugia. Auch jene halte ich nicht für Rafaels Werk und glaube überhaupt nicht, dass ein Entwurf, so sehr er an Trefflichkeit das ausgeführte Werk überragen möge, desshalb nothwendig von einem andern Künstler sein müsse.) Es ist in diesen Scenen aus dem Leben des Aeneas Sylvius (Pius II) nichts so gut und nichts so schlecht, dass es nicht je nach Stunde und Stimmung von Pinturicchio selbst erfunden und gemalt sein könnte; die Ausführung an sich ist von grosser und gleichmässiger Sorgfalt. – Hohe geschichtliche Auffassung, dramatische Steigerung der Momente – grossentheils Ceremonienbilder – muss man nicht erwarten, vielmehr sich damit begnügen, dass die lebensfähigen Charaktere und Gestalten hier zahlreicher sind, als sonst bei P. – Das Leben des Papstes ist dem glücklichen Maler unter den Händen zur anmuthigen Fabel, zur Novelle geworden, alles in Trachten und Zügen seiner Zeit, nicht der um 50 Jahre zurückliegenden. Kaum Pius selbst hat Bildnissähnlichkeit; Friedrich III ist „der Kaiser“, wie er [839] in jedem Mährchen vorkommen könnte. Diese Art von Unbefangenheit war ein wesentlicher Vortheil für jene Maler 16).

Staffeleibilder von P. im Museum von Neapel (Himmelfahrt Mariä), Academie von Perugia (treffliches Altarwerk), Pal. Borghese in Rom (chronikartige Geschichten Josephs) u. a. a. O. Etwa auch die Darstellung im Tempel, in S. Agostino zu Arezzo (links)? ein schönes und tüchtiges Bild.

Unter den eigentlichen Schülern des Pietro war nächst Rafael Giovanni lo Spagna der ausgezeichnetste. Seine Madonna mit Schutzheiligen, im Stadthause von Spoleto, ist einer der allerreinsten und jugendlichsten Klänge aus der ganzen Schule. – Bilder in zwei Kirchen des seitwärts von der Strasse nach Foligno gelegenen Städtchens Trevi (Mad. delle lagrime und S. Martino); – eine Madonna mit Heiligen in der Unterkirche S. Francesco zu Assisi (Cap. der heil. Magdalena? vgl. S. 756, Anm.); – Fresken in der Kirche S. Jacopo zwischen Spoleto und Foligno, zum Theil aus seiner späten, manierirten Zeit; – dagegen ein frühes Bild (wenn es von ihm ist): die Krönung Mariä im Chor der Zoccolantenkirche von Narni (wenige Schritte von der nach Terni führenden Strasse); die erhöhte Stimmung der Gestalten, zumal der noch florentinisch schönen Madonna ist noch fern von aller Ekstase. – Im Pal. Colonna zu Rom wird ein tüchtiger S. Hieronymus in der Wüste dem S. beigelegt.

Die übrigen Schüler Giannicola, Tiberio d'Assisi, Adone Doni, die Alfani, Eusebio di S. Giorgio etc. möge man in den Kirchen von Perugia und der Umgegend aufsuchen. (Vom letztgenannten zwei gute und eigenthümliche Fresken – Verkündigung und Wundmale des heil. Franz – im Kreuzgang des Capuzinerklösterchens S. Damiano bei Assisi.) Sie sind in einzelnen guten Arbeiten [840] origineller und aufrichtiger als der Meister in seinen spätern Durchschnittsleistungen, meist aber ziemlich schwach, und als die letzten von ihnen das Stylprincip der römischen Schule mit ihrer mangelhaften Formenbildung vereinigen wollten, fielen sie in klägliche Manier.

 

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Über die Künstler der Mark Ancona und des Herzogthums Urbino ist der Verfasser ausser Stande, aus eigener Anschauung etwas Zusammenhängendes zu berichten. Die einzige Sammlung, welche eine (doch nur sehr unvollkommene) Übersicht gewährt, ist die der Brera zu Mailand. Der paduanische Schulstyl herrscht z. B. in einer Madonna mit vielen andern Figuren, vom Frate Carnevale (st. nach 1474) noch mit ziemlicher Härte. Von Giovanni Santi, dem Vater Rafaels, den man durchaus in Urbino und der Umgegend aufsuchen muss, findet sich hier bloss eine unbedeutende Verkündigung; – von Marco Palmezzano aus Forli, einem strengen Nachfolger Mantegna's, eine Geburt Christi (1492), eine Madonna mit vier Heiligen (1493) und eine Krönung der Maria (wozu noch, in den Uffizien, das späte Bild des Gekreuzigten in einer bedeutenden Felslandschaft, 1537, kömmt); – von Girol. Genga, der in der Folge Schüler Perugino's wurde, eine ganz bedeutende Versammlung von sitzenden Heiligen mit einer Glorie darüber, auf dem dunkeln Grunde etc.

 

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Wir kehren durch die genannten Gegenden noch einmal nach Bologna zurück, um des Francesco Francia (geb. um 1450, st. 1517) willen, dessen Empfindungsweise wesentlich mit derjenigen des Perugino verwandt oder geradezu von derselben angeregt ist. In der Malerei ursprünglich Schüler des Zoppo di Squarcione (S. 812), hatte er bis tief in sein Mannesalter vorzugsweise der Goldschmiedekunst obgelegen, auch wohl Baurisse entworfen (S. 208). Dann möchte er zwischen 1480 und 90, am ehesten in Florenz, Perugino kennen gelernt haben, in der besten Zeit des letztern, vielleicht als derselbe jenes Fresco in S. M. M. de' Pazzi (S. 833) malte. (Wohlbemerkt, lauter Hypothesen.) Und so ist denn auch sein frühstes bekanntes Bild, die thronende Madonna mit sechs Heiligen und einem lautenspielenden [841] Engel, vom Jahre 1490 (Pinacoteca von Bologna) das am meisten perugineske von allen seinen Werken; herrlich gemalt und von derjenigen Innigkeit des zum Theil ekstatischen Ausdruckes, welche dem Pietro selber nur in seiner besten mittlern Zeit eigen ist. Auch eine Verkündigung mit zwei Heiligen (ebenda) gehört wohl in diese Epoche. (Die thronende Madonna zwischen zwei Hallen mit vier Heiligen, sowie die Anbetung des Kindes mit Heiligen und Donatoren, ebenda, sind wohl spätere Bilder.) Auch später noch scheint er beständig auf Perugino hingeblickt zu haben.

Durch seine Verbindung mit Lorenzo Costa aber (S. 814) kam ein merkwürdig gemischter Styl zum Vorschein, welchen sich auch seine Schüler, darunter Giulio, sein Vetter und Giacomo, sein Sohn, sowie Amico Aspertini, aneigneten. Der gesunde, bisweilen selbst derbe Realismus, welchen hauptsächlich Costa vertrat und welcher auch in Francia selber von Hause aus vorhanden war, steht in einem beständigen Conflict mit der umbrischen Sentimentalität. Diese, auf kräftige, herbere Bildungen übergetragen, nimmt jenen wunderlichen Ausdruck des „Gekränktseins“ an. Hauptsächlich die weiblichen Heiligen und die Madonnen scheinen nunmehr dem Beschauer einen Vorwurf darüber zu machen, dass er die Unbescheidenheit hat, sie anzusehen. Doch geht Francia nicht bis in das verhimmelte Schmachten hinauf. Überhaupt bleibt in ihm viel mehr Frisches, selbst Ritterliches als in dem spätern Perugino; er zeichnete sorgsamer und stellte nicht bloss seine Figuren freier und weniger conventionell, sondern wusste sie auch lebendig zu gruppiren, obwohl sein Liniengefühl ziemlich unentwickelt blieb. Die Gewandung ist vollends bei ihm fast immer lebendig und für jede Gestalt neu empfunden. Als alter Ostlombarde hat er Freude nicht an dem bloss ornamentalen Reichthum, sondern an der reellen Erscheinung und Modellirung der Trachten, Rüstungen, Ornate etc. Er konnte und wollte in diesen Dingen nicht mehr hinter Mantegna zurückgehen. Freilich ist die Erzählung, das Geschehen überhaupt, nicht seine starke Seite.

Sein allerschönstes Werk in Bologna ist wohl das Altarblatt in der Cap. Bentivoglio zu S. Giacomo maggiore. Von den Engeln, welche die Madonna umgeben, sind die ihr nächsten höchst liebenswürdig, unter den Heiligen aber ist der S. Sebastian eine der vollkommensten [842] Gestalten des XV. Jahrh. – Andere bedeutende Bilder: Die thronende Madonna mit Heiligen in S. Martino (erste Cap. links), wobei die Landschaft ganz nach ferraresischer (und zwar nach Costa's) Art angebracht und behandelt ist. – Das Altarbild in der grossen Cap. links in SS. Vitale ed Agricola, köstliche musicirende und schwebende Engel um ein altes Madonnenbild; (die Fresken rechts von Giacomo Francia, links von Bagnacavallo, aus beträchtlich späterer Zeit, doch besonders die Visitation des Letztern noch fast ganz schlicht und gut; in der Maria eine grosse und rührende Bewegung). – In der Annunziata hinten im Chor eine Verkündigung mit vier Heiligen, auch zwei geringere Bilder zweite Cap. rechts und dritte Cap. rechts. – U. s. w.

Die Fresken in S. Cecilia 17), ein Werk der ganzen Schule, darf man nicht mit allzufrischen florentinischen Eindrücken vergleichen; was Erzählendes daran ist, giebt sich als Anleihe von dort zu erkennen, und zwar als eine ziemlich befangene. Allein soweit hier Francia's eigener Entwurf zu reichen scheint, sind es edle, lebensvolle Gestalten; in seinen eigenen beiden Bildern gilt diess auch von den Köpfen und von der ganzen Behandlung. Aber warum wendet sich Cæcilia so vornehm verschämt ab, während Valerian ihr den Ring ansteckt? Die Hand streckt sie ja doch aus! – (Costa's landschaftliche Gründe, vgl. Seite 814)

Von Francesco's Werken ausserhalb von Bologna könnte der bezeichnete S. Stephanus (?) im Pal. Borghese zu Rom (wo auch zwei Madonnen) ein ganz frühes Bild sein; – die thronende Madonna mit vier Heiligen in der Galerie von Parma etwa aus der Zeit, da er dem Perugino am nächsten stand, die Kreuzabnahme ebenda kaum später; in der Galerie von Modena eine treffliche grosse Verkündigung, ebenfalls früh. – Von dem berühmten Bilde zu München (Maria im Rosenhag) [843] eine alte Schulcopie in der Pinac. zu Bologna. – Eine spätere Annunziata in der Brera.

Giacomo Francia's Hauptwerk, freilich in der Auffassung nicht von seinem Vater, sondern von den Venetianern inspirirt und daher frei von Sentimentalität, ist die prächtige im Freien sitzende Madonna mit S. Franz, S. Bernardin, S. Sebastian und S. Mauritius, datirt 1526, in der Pinac. zu Bologna. Was sonst dort und anderswo von ihm vorhanden ist, zeigt eine bald reinere, bald gemischtere Reproduction der Gedanken seines Vaters. Eins der frühsten Bilder: die Anbetung des Kindes, in S. Cristina, erster Altar, rechts.

Zeitweise wurde die Werkstatt eine Halbfigurenfabrik und die Veräusserlichung und Gedankenlosigkeit ging so weit, als in den schlimmsten Augenblicken bei Perugino. Das ennuyirte, mürrische Wesen verräth besonders die Madonnen dieser Art von Weitem.

Amico Aspertini ging in seinem frühsten Bilde (er nennt es sein tirocinium), das um 1495 gemalt sein möchte, ganz auf die am meisten perugineske Stimmung des Francia ein. Es ist eine grosse Anbetung des Kindes durch Madonna, Donatoren und Heilige, in der Pinac. zu Bologna. Die Fresken einer Cap. links in S. Frediano zu Lucca (Geschichten des Christusbildes „volto santo“ etc.), zierlich und genau ausgeführt, mit einzelnem reizendem Detail, verrathen dann Eindrücke aller Art, wie sie der nie recht durchgebildete und selbständige Phantast unterweges in sich aufnahm. – Als er einmal für Giorgione begeistert sein mochte, malte er das Bild in S. Martino zu Bologna (fünfter Altar, rechts), Madonna mit den heil. Bischöfen S. Martin und S. Nicolaus nebst den von diesem geretteten drei Mädchen. – Von seinem Bruder Guido A. eine gute, wesentlich ferraresische Anbetung der Könige, in der Pinac. zu Bologna.

 

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In Neapel waren unter dem letzten Anjou (René) und unter Alfons von Aragonien Bilder der flandrischen Schule (s. unten) zu einem solchen Ansehen gelangt, dass sich mehrere einheimische Maler unmittelbar [844] an denselben bildeten. So Simone Papa d. ä., dessen Gemälde vom Erzengel Michael (Museum von Neapel) wenigstens beweist, wie gerne er die van Eyck hätte erreichen mögen.

In diese Zeit fällt das Auftreten desjenigen Künstlers, welchen die Neapolitaner als den Vater ihrer Malerei zu feiern pflegen: des Zingaro (eigentlich Antonio Solario). Wenn er aber wirklich 1382 geboren und 1445 gestorben ist, so gehört ihm wohl keines der nach ihm benannten Werke: die grosse Madonna mit Heiligen (im Museum), die Kreuztragung (in S. Domenico magg., 6. Cap. r. oder del crocefisso, neben dem Altar), S. Franciscus der den Mönchen die Ordensregel giebt (soll sich in S. Lorenzo befinden), – und die 20 Fresken eines der Klosterhöfe bei S. Severino (S. 196. Bestes Licht: Vormittags). Letztere, welche vielleicht mit keinem der eben genannten – immer doch nur mittelguten – Kirchenbilder den Autor gemein haben, sind ein vorzügliches Werk vom Ende des XV. Jahrh., welches sogar eine Bekanntschaft mit damaligen florentinischen und umbrischen Arbeiten voraussetzt. (Auch die Trachten passen erst in diese Zeit.) Das Leben des heil. Benedict ist wohl nie trefflicher dargestellt worden, wenn nicht etwa Signorelli's Fresken in Monteoliveto (Toscana) in Abrechnung zu bringen sind. Der Typus des hier abgebildeten Menschengeschlechtes steht zwar unter dem florentinischen, und hat in Nase, Blick und Lippen etwas Stumpfes, selbst Zweideutiges. Aber eine Fülle von lebendig und bedeutend dargestellten Bildnissfiguren hebt diess auf; schön und würdig bewegen sich die Gestalten auf einem mittlern Plan, hinter welchem der bauliche oder landschaftliche Grund leicht und wohlthuend emporsteigt. Der Meister kannte z. B. so gut wie Giorgione die reizende Wirkung schlanker, dünnbelaubter Stämme, welche sich vor und neben steilen Felsmassen u. dgl. hinaufziehen; überhaupt ist hier die Landschaft mit vollem Bewusstsein als Stätte bedeutender Ereignisse behandelt, ohne die flandrische Phantasterei und Überfüllung. Nirgends bemerkt man ein Versinken in das Barocke oder ins Flaue; ein gleichmässiger edler Styl belebt Alles 18). – Der stille Hof, mit der noch in ihren Trümmern [845] herrlichen Riesenplatane, eine Oase mitten im Gewühl Neapels, erhöht noch den Eindruck.

Unter den Schülern des Zingaro wird ausser dem schon genannten Papa d. ä. hauptsächlich der beiden Donzelli gedacht, deren schwankende, obwohl ansprechende Eigenthümlichkeit man in einigen Bildern des Museums verfolgen kann. – Ein Maler von schönem und mildem Ernst, obwohl von geringer Ausbildung, ist Silvestro de' Buoni. (Kirche Monteoliveto, Cap. Piccolomini, links vom Portal: Himmelfahrt Christi mit Seitenheiligen; – S. Restituta beim Dom: Madonna mit 2 Heiligen; – Anderes im Museum; – in seiner Art: Dom von Capua, in einer Cap. rechts: Mad. mit 2 Heiligen; – Cathedrale von Fondi, in einer Cap. rechts: ähnliches Bild; – u. s. w.) Wir würden diesen Maler und seinen Schüler Antonio d'Amato (Bild in S. Severino) nicht nennen, wenn nicht neben den Werken der spätern neapolitanischen Schule das Auge gerade solchen Bildern so dankbar entgegenkäme, in welchen mit einfachen Mitteln nach der Darstellung des Höhern gestrebt worden ist 19).

 

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1) Bis auf Giotto wurde – laut jetziger Ansicht – nur in Tempera auf die Mauer gemalt; von Giotto an wurde in Fresco untermalt und al secco darübergemalt; erst seit Ende des XIV. Jahrh. begann die eigentliche Frescomalerei im engern Sinne. 

2) Hier möchte das Frescobild des Lorenzo von Viterbo, in einer Capelle von S. Maria della verita daselbst, einzureihen sein: eine figurenreiche Vermählung der h. Jungfrau, vom Jahr 1469. 

3) Sie sind immer schlecht beleuchtet. Die leidlichen Augenblicke, sowohl vor als nach Mittag, hängen von dem Stand der Sonne je nach den Jahreszeiten ab. 

4) Ist vielleicht das Fresco einer Pietà mit Johannes und Magdalena, in einer *Ecke der Stadtmauer am Arno, unweit Porta S. Frediano, von Domenico? Noch in Zerfall und Übermalung ein herrliches Werk. 

5) n Vormittagen 10–12 Uhr haben sie wenigstens ein starkes Reflexlicht. Wer übrigens die Kunstwerke des Vaticans geniessen will, schone die Augen unterweges, namentlich auf und jenseits der Engelsbrücke und auf dem Platz von S. Peter, und nehme hier lieber den Umweg hinter den Colonnaden herum. 

6) Die thätige Stadtbehörde von Ferrara wird auch dieses Bild nächstens in das Ateneo übertragen lassen und an Ort und Stelle durch eine jener trefflichen Copien ersetzen, womit besonders der Maler Candi den alten Ferraresen ein doppeltes Dasein verliehen hat. 

7) Oder eher von Bartol. Montagna? 

8) Der Verf. besuchte diese Gegenden das letztemal gegen Ende der Fasten und fand unglücklicher Weise die Kirchenbilder meist verhüllt. – Für die Fassadenmalereien von Verona vgl. S. 296 ff. 

9) Der in Venedig gebildete, dann besonders in Padua thätige Bergamaske Girolamo da Santa Croce mag hier nur beiläufig genannt werden. Am bekanntesten durch seine frühern Bilder mit kleinen Figuren (Marter des h. Laurentius im Museum von Neapel), hat er später sich die Freiheit der grossen Meister nicht unbefangen aneignen können. Glorie des h. Thomas Becket, in S. Silvestro zu Venedig, 1. Alt. 1.; – grosses Abendmal (1549) in S. Martino. über der Thür; – in S. Francesco zu Padua die Fresken der 2. Cap. r. Sein Colorit bleibt venezianisch glühend. – Von einem Landsmann Francesco da Santa Croce, eine Kreuzabnahme vom Jahr 1510 im Pal. Manfrin, ein Abendmahl in S. Francesco della vigna, 2. Cap. 1, etc. 

10) In den Uffizien ist die dem Bellini zugeschriebene Zeichnung auf Gypsgrund merkwürdig, welche den Leichnam Christi von 7 Personen umgeben darstellt. 

11) Es ist eines seiner letzten Bilder, 1514. Die herrliche Landschaft ist von ihm, allein später durch Tizian über malt, als derselbe dem flüchtig improvisirten Bilde eine neue Haltung gab. (Laut Harzen's Beweis.) 

12) Ein wichtiges Bild aus demselben Jahre, in S. Pietro e Paolo zu Murano, nach dem 2. Alt. r., fand ich verdeckt. 

13) Freilich hat B. auch die stets unleidliche Scene der Beschneidung gemalt (S. Zaccaria, Chorumgang, 2. Cap. 1.), und so nach ihm viele Andere. 

14) Hier und bei ähnlichen Emmausbildern des Palma vecchio, Tizian u. A. ist die Umgebung ganz irdisch und scheinbar alltäglich, aber man vergleiche z. B. das freche Bild des Honthorst (Gal. Manfrin) um sich zu überzeugen, dass es zweierlei Realismus giebt. 

15) Wir lassen die Frage ganz aus dem Spiel, ob Pietro selber jemals so gefühlt hat wie seine Gestalten fühlen. Sie ist eine ganz unstatthafte und beeinträchtigt die ewigen Rechte der Poesie. Auch als Atheist, wofür Vasari ihn ausgiebt – trotz des Schriftröllchens mit dem „Timete Deum“ auf seinem Porträt in den Uffizien – hätte Pietro seine Ekstasen malen dürfen und sie könnten ganz wahr und gross sein; nur hätte ihn dabei eine innere poetische Nöthigung bestimmen müssen. (Über die „Gesinnung“ des Künstlers und Dichters cursiren mancherlei unklare Begriffe, wonach dieselbe z. B. darin bestände, dass derselbe unaufhörlich sein Herz auf der Zunge trüge und in jedem Werk möglichst vollständige Programme seines individuellen Denkens und Fühlens von sich gäbe. Er hat aber als Künstler und Dichter gar keine andere Gesinnung nöthig als die sehr starke, welche dazu gehört, um seinem Werk die grösstmögliche Vollkommenheit zu geben. Seine sonstigen religiösen, sittlichen und politischen Überzeugungen sind seine persönliche Sache. Sie werden hie und da in seine Werke hineinklingen, aber nicht deren Grundlage ausmachen.) 

16) Das Abendmahl in Fresco, welches vor einigen Jahren in dem aufgehobenen Kloster S. Onofrio zu Florenz entdeckt und für Rafaels Werk ausgegeben wurde, ist eine peruginische Production und zwar am ehesten von Pinturicchio. Schon seit Jahren vertheidigten nur noch Nordländer die Autorschaft Rafaels mit Eifer; in Florenz schwieg man allmälig. In der letzten Zeit war das Werk unzugänglich, aus Gründen, die mit der wahren Beschaffenheit desselben zusammenhängen, wie sie nach Wegnahme eines Überzuges vom Jahr 1844 zum Vorschein kam. 

17) Ihre Vertheilung ist nach den Urhebern folgende:

Altarraum:

Fr. Francia

Lor. Costa

Tamaroccio

Chiodarolo

Am. Aspertini

Fr. Francia

Lor. Costa

Tamaroccio

Am. Aspertini

Am. Aspertini 

18) Ein anderes Leben des S. Benedict im obern Stockwerk jener ionischen Doppel­halle (S. 179, h) bei der Badia in Florenz, ist mir immer wie eine Vorübung desselben Malers vorgekommon. 

19) Die schöne Anbetung der Hirten in S. Giovanni maggiore, 1. Cap. r., könnte etwa von einem neapolitanischen Nachfolger Lionardo's sein.