BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Der Cicerone

 

Malerei

 

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[845]

Altniederländische und altdeutsche Meister.

 

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Flandrer. Hubert und Johann van Eyck. J. v. Gent. H. v. d. Goes. – Rogier. Memling. Wohlgemuth. Q. Messys. – Luca d'Olanda. Peter Breughel. Niederrheinländer – A. Dürer und Schule. L. Kranach d. ä. – Hans Holbein.

 

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Welchen Eindruck können neben diesen Schöpfungen eines gewaltig aufgeblühten Kunstvermögens die altniederländischen und altdeutschen Gemälde hervorbringen? – Man würde sehr irren, wenn man glaubte, das Italien des XV. und XVI. Jahrh. hätte sie missachtet; schon die verhältnissmässig bedeutende Anzahl, in welcher sie durch die italienischen Galerien und Kirchen verbreitet sind, beweist das Gegentheil. Mag es hie und da blosse Luxussache gewesen sein, nordische Bilder zu besitzen – immerhin müssen die damaligen Italiener in der nordischen Kunst etwas Eigenthümliches anerkannt und werthgeschätzt haben.

Die altflandrische Schule der Brüder Hubert und Johann van Eyck hatte die Richtung des XV. Jahrh., den Realismus, reichlich um ein [846] Jahrzehnd früher bethätigt als Masaccio. Schon bei Lebzeiten der beiden Brüder scheinen einige jener Bilder nach Neapel gelangt zu sein, welche dann auf die dortige Schule einen so grossen Einfluss ausübten. Der heil. Hieronymus mit dem Löwen in seiner höchst wirklichkeitsgemäss dargestellten Studirstube (Museum von Neapel) ist in neuerer Zeit als eines der überaus seltenen Werke des Hubert van Eyck anerkannt worden; möglicher Weise die frühste realistische Production, welche überhaupt auf italienischem Boden vorhanden war. Welches Staunen musste die Künstler Neapels ergreifen, als sie die ersten ganz lebenswahr wiedergegebenen Figuren in einer miniaturartig gewissenhaften Örtlichkeit vor sich sahen. Ein solcher Fortschritt in die Wirklichkeit wäre schon an sich immer der populären Bewunderung sicher, auch ohne Huberts tiefen Ernst. (Die Anbetung der Könige in der Kirche des Castello nuovo, im Chor links, ist in neuerer Zeit als das Werk eines spätern Nordländers unter Lionardo's Einwirkung erkannt worden; früher galt sie als Werk des Joh. v. Eyck.)

In der Folge war es dann zunächst die sog. Technik, die den altflandrischen Bildern einen besondern Werth gab, d. h. jener tiefe Lichtglanz der Farben, welcher selbst die prosaisch aufgefassten Charaktere und Hergänge mit einem poetisch ergreifenden Zauber umhüllt. Sobald als möglich lernte man den Niederländern das Verfahren ab. Das neue Bindemittel, das Öl (und der nicht minder wesentliche Firniss) war dabei lange nicht die Hauptsache; viel höhere Fragen des Colorites (der Harmonie und der Contraste) mögen bei diesem Anlass ganz im Stillen erledigt worden sein.

Ferner imponirte die delicate Vollendung, welche aus jedem guten flandrischen Bild ein vollkommenes Juwel macht. Endlich gab die flandrische Behandlung der Landschaft und der in Linien- und Luftperspective (verhältnissmässig) so vorzüglich wahren Architekturen der italienischen Malerei einen geradezu entscheidenden Anstoss.

Für die Auffassung im Grossen gewährten die Niederländer den Italienern nichts, was diese nicht aus eigenen Kräften schon gehabt hätten, wenn auch in anderer Weise. Doch empfand man in den Andachtsbildern der Erstern gar wohl den gleichmässigern, durch kein (über den Gegenstand indifferentes) Schönheitsstreben beirrten [847] Ernst. Zur Zeit Michelangelo's galten die niederländischen Bilder für „frömmer“ als die italienischen.

Die nächsten und die mittelbaren Schüler der van Eyck sind in Italien zum Theil vorzüglich vertreten.

Von Justus von Gent das Hauptwerk in S. Agata zu Urbino, die Einsetzung des Abendmahls, 1474. (Der Justus de Allamagna, welcher 1451 im Kreuzgang von S. Maria di Castello zu Genua, nächst der Kirche, eine grosse Verkündigung in Fresco malte, ist ein anderer, wahrscheinlich oberdeutscher Meister jener Zeit, wie bes. die liebliche, reich-blonde Madonna zeigt. Die Rundbilder mit Propheten und Sibyllen am Gewölbe scheinen von einer härtern, ebenfalls deutschen Hand herzurühren.)

Das bedeutendste Werk des Hugo van der Goes ist in S. Maria la nuova zu Florenz an verschiedene Stellen vertheilt vorhanden: eine grosse Anbetung des Kindes durch Hirten und Engel; auf den Flügelbildern der Donator mit seinen Söhnen und zwei Schutzheiligen; seine Gemahlin mit einer Tochter und zwei weiblichen Heiligen. Maria und die Engel zeigen Hugo's bekümmerten und doch nicht reizlosen Typus, die Seitenbilder aber die ganze ergreifende flandrische Individualistik. Hier und an ähnlichen Bildern mögen die alten Florentiner die Porträtkunst gelernt haben. – In den Uffizien gehört dem Hugo, wie ich glaube, das herrliche kleine Bild einer thronenden Madonna mit 2 Engeln, unter einem prächtig verzierten Renaissancebogen. (Dem Memling beigelegt.) Keine damalige italienische Schule verfolgte gerade diese Intention, keine hätte ein so leuchtend schönes und zartes Tafelbild geliefert. Mehrere geringere Nachahmungen, z. B. in der Galerie Manfrin zu Venedig, wo sich übrigens auch eine treffliche kleine Verkündigung findet, die mir wie eine Inspiration Hugo's mit der Ausführung eines niederrheinischen Malers erschien. – In den Uffizien wird eine thronende Madonna mit 2 heiligen Frauen und 2 krönenden Engeln dem Hugo wirklich beigelegt, welche eher einem andern Niederländer um 1500 gehören könnte. Dagegen steht ihm der Maler eines köstlichen kleinen Bildes vom Tode der Maria in der Galerie Sciarra zu Rom sehr nahe, wenn dasselbe nicht von ihm selbst ist. Die verkommenen und verdriesslichen Züge der meisten Anwesenden gehen freilich schon über die [848] Grenze hinaus, welche auch ein Castagno und Verocchio nicht überschritten.

„In der Art des Rogier von Brügge“ – so muss ich eine Kreuzabnahme bezeichnen, welche seit einigen Jahren in der Galerie Doria zu Rom aufgestellt ist 1). Hier erscheint die nordische Kunst im Nachtheil – nicht durch den bis nahe an die Grimasse gesteigerten Schmerzensausdruck, denn z. B. Guido Mazzoni (S. 635) geht viel weiter und fügt noch die pathetischen Gesten hinzu – wohl aber durch die unschöne Anordnung, die ihr so oft eigen ist, wenn sie die Symmetrie verlässt, und durch die mangelhafte Bildung des zugleich so sorgsam ausgeführten Leichnams. Auch eine andere Grablegung, in den Uffizien, dem Rogier van der Weyde zugeschrieben, regt zu der Frage an, wie es möglich gewesen, dass die alten Niederländer der Wirklichkeit das Einzelne mit so scharfem Auge absehen, mit so sicherer und unermüdlicher Hand nachmalen, und dabei das Leben des Ganzen, das Geschehen so verkennen konnten. Die Freude des Florentiners an den Motiven der beseelten Bewegung fehlte ihnen fast ganz. (Noch eine Grablegung, diese wirklich von Rogier van der Weyde, im Museum von Neapel.)

Von Jan Memling besitzt die Galerie zu Turin ein Hauptwerk, die Passion in verschiedenen Momenten auf einer Tafel vereinigt, das Gegenstück zu den sieben Freuden der Maria in der Münchner Pinakothek. In den Uffizien: S. Benedict und ein Donator (1487), wundervolle Halbfiguren. (Zu vergleichen mit den Porträts eines Mannes und seiner Frau, ebenda, von einem ungleich befangenern flandrischen Zeitgenossen.) – Eine gute alte Nachahmung nach dem berühmten heil. Christoph (zu München) in der Galerie von Modena. Ebendaselbst von einem Maler, der zwischen Memling und Messys in der Mitte stehen mag: Maria und S. Anna im Freien, dem Kind Früchte reichend.

Einem alten Holländer des XV. Jahrh. könnte in der Academie zu Pisa das Bild der heil. Catharina mit einer Stadtansicht angehören. [849]

Von Deutschen des XV. Jahrh. ist in Italien wenig vorhanden. Ihre Werke boten gerade das was man an den Flandrern am meisten bewunderte, nur unvollkommen, nur aus zweiter Hand dar, nämlich die feine, prächtige Vollendung, die Farbengluth, das Weltbild im Kleinen. Doch giebt es im Museum von Neapel mehrere (jetzt getrennte) Flügelbilder, u. a. Anbetungen der Könige, deren eine von Michel Wohlgemuth herrührt. Es ist etwas Rührendes um diese blonden, haltungslosen Gesellen in ihrem königlichen Putz, wenn man sich dabei an das entschiedene Wollen und Können der gleichzeitigen Italiener erinnert. Eine besondere Andacht sind wir aber der deutschen Schule des XV. Jahrh. doch nicht schuldig. Sie verharrte bei ihren Mängeln mit einer Seelenruhe, die nicht ganz ehrlich gewesen sein kann. Da es ihr zu unbequem war, das Geistige im Leiblichen, die Seelenäusserung in der Körperbewegung darstellen zu lernen, so ergab sich ein grosser Überschuss an unverwendbarer Phantasie, die sich dann auf das Verzwickte und Verwunderliche warf. Man sieht z. B. in den Uffizien eine Auferweckung des Lazarus mit Seitenbildern und (bessern) Aussenbildern, datirt 1461, von einem Nicol. Frumenti, in welchem irgend ein Meister Korn aus der Umgebung der Colmarer Schule zu vermuthen ist. Wer gab nun diesem (gar nicht ungeschickten) Maler das Recht zu seinen abscheulichen Grimassen? Die Lebenszeit Dürers und Holbeins, die den festen und grossen Willen zu Gunsten der Wahrheit hatten, ging dann besserntheils mit dem Kampf gegen solche und ähnliche Manieren dahin.

Es ist Zeit zu diesen grossen Meistern vom Anfang des XVI. Jahrh. überzugehen. Italien besitzt auch aus dieser Zeit der nordischen Kunst beträchtliche Schätze.

Zunächst von dem bedeutendsten niederländischen Meister um 1500, Quentin Messys. In S. Donato zu Genua (zu Anfang des linken Seitenschiffes) eins seiner Capitalwerke: reiche Anbetung der Könige, auf den Seitenflügeln S. Stephan mit einem Donator und S. Magdalena, mit landschaftlichem Hintergrund in der Art Patenier's. Hier wie bei Messys überhaupt löst sich die Strenge der alten Niederländer in eine milde Anmuth der Züge und der Bewegung auf; die Köpfe, wie von einem Bann erlöst, blass, mit dem Lächeln der Genesung; die Farben, befreit von dem Crystallglanz der Frühern, [850] ergehen sich in sanften Übergängen und Spiegelungen, die Liebe zum glänzenden Detail aber sucht sich ihre neuen Probleme z. B. in einzelnen höchst vollendeten Stoffbezeichnungen wie die Jaspissäulen, der Goldschmuck u. s. w. 2). Das Doppelporträt in der Malersammlung der Uffizien, bez. 1520, welches dort als das des Messys und seiner Frau gilt, mag von ihm gemalt sein; dass es ihn darstelle, ist wenigstens nicht unmöglich. Das Porträt eines Cardinals im Pal. Corsini zu Rom ist mindestens ein vortreffliches Werk seiner Richtung.

Von der damaligen niederländischen Landschaftmalerei giebt ein schönes Bild im Pal. Pallavicini (Str. Carlo Felice) zu Genua einen Begriff; es ist die Ruhe auf der Flucht in einer jener heimlichen Waldlandschaften, welche uns eine der schönsten poetischen Seiten der damaligen nordischen Kunst offenbaren. (Nicht wohl von Patenier.) – Von Herri de Bles ist nichts in dieser Richtung Bezeichnendes zu nennen; sein Thurmbau von Babel (Acad. von Venedig) ist um der Figuren willen gemalt; in seiner Pietà (S. Pietro in Modena, 2. Alt. r.) scheint gerade die Landschaft halb ferraresisch behandelt.

Was sollen wir nun über Lucas von Leyden sagen, der als „Luca d'Olanda“ ein Gattungsbegriff für die italienischen Custoden geworden ist? Anerkanntermassen gehören ihm die beiden Eccehomo's in der Tribuna der Uffizien und in der Capelle des Palazzo reale zu Venedig (hier mit Pilatus und Schergen, unter Dürers Namen). Es bleibt bedenklich, einem Maler der so verschieden und so Verschiedenartiges gemalt hat, auf Grund dieser beiden Bilder hin hundert andere zu- oder abzusprechen. Welche Autorität der lichte derbe Profilkopf für sich hat, der in den Uffizien als sein Porträt gilt, weiss ich nicht. Die Kreuzabnahme die im Pal. Pallavicini, und die thronende Madonna mit heiligen Frauen, die in der Academie von Venedig seinen Namen führen, sind sicher nicht von ihm. Wie es sich mit den beiden Altarwerken im Museum von Neapel (einer Anbetung der Könige und einer Passion mit Donatoren) verhält, kann ich aus dem Gedächtniss nicht angeben. Eine Menge sogen. Luca's [851] sind von ganz geringem Belang. – Wenn ein Bild des Gekreuzigten mit Heiligen und Donatoren, in der Academie von Venedig, auf feine Leinwand gemalt, mit sehr sorgfältigen Köpfen, als „Martin Engelbrecht“ benannt wird, so hat man damit vielleicht Luca's Lehrer Cornelius Engelbrechtsen gemeint.

Vom ältesten Breughel besitzt das Museum von Neapel u. a. zwei Temperabilder auf Leinwand; das eine, mit der Allegorie des von der „Welt“ betrogenen Büssers, ist bezeichnet und von 1565 datirt; das andere stellt das Gleichniss von den Blinden dar. – Von denjenigen niederländischen Zeitgenossen Breughels, welche zur italienischen Weise übergegangen waren, findet sich in Italien wenig Nennenswerthes oder es trägt die italienischen Namen der zu Grunde liegenden Originale. Mehrere der betreffenden Niederländer haben Copien und Pasticcio's nach Lionardo und Rafael geliefert, die man damals und später täuschend fand.

Eine ziemlich grosse Categorie machen diejenigen Bilder aus, welche ich in Ermanglung näherer Specialkenntniss als niederländisch-niederrheinische bezeichnen muss. Es ist derjenige, meist an die Behandlung des Quentin Messys erinnernde Styl, welcher in den Jahren 1510–1530 in verschiedenen Nuancen von Flandern bis nach Westfalen herrschte. Das schönste und reichste dieser Gemälde, im Museum von Neapel, Saal der Meisterwerke, ist eine grosse Anbetung des Kindes mit Donatoren, Heiligen, Mönchen, Nonnen und einer Unzahl von Putten, unter prächtigen Renaissanceruinen mit reichem Durchblick, bez. 1512. (Das angebliche Monogramm AD ist darauf nicht zu finden, an Dürer nicht zu denken; die Behandlung am ehesten mit derjenigen des „Todes der Maria“ in München zu vergleichen.) Dasselbe Museum enthält noch mehrere kleinere und ebenfalls werthvolle Bilder dieser Gattung. In der Brera zu Mailand ein dreitheiliges Bild (Geburt, Anbetung der Könige, und Ruhe auf der Flucht). Von einem etwas spätern, noch guten Meister derselben Richtung: die Anbetung des Kindes im Pal. Manfrin zu Venedig (als Dürer benannt). U. m. a. Zwei kleine Juwelen der Gal. Colonna zu Rom, Madonnen auf Goldgrund, umgeben von Rundbildern in Miniatur mit den Leiden und Freuden, wage ich nur als niederländisch um 1500 zu bezeichnen. [852]

Endlich die deutschen Meister der Blüthezeit. Auch sie müssen schon hier erwähnt werden, weil sie in der Entwicklung nur mit den grossen Italienern des XV. Jahrh. parallel gehen.

Von Albrecht Dürer bleibt selbst nach Abzug aller falschen Taufen auf „Alberto Duro“ noch eine ganze Reihe echter Bilder übrig. Dieselbe beginnt mit dem Porträt seines Vaters in den Uffizien, und fährt fort mit seinem eigenen phantastisch costumirten Porträt (ebenda, 1498). Dann folgt ein Meisterbild seiner mittlern Zeit, die Anbetung der Könige (Tribuna ebenda, 1504) und eine vortreffliche, grün ausgeführte, weiss aufgehöhte Zeichnung der Kreuzigung (1505, ebenda, im vierten Zimmer von der Tribuna rechts, mit einem von Breughel bemalten Deckel verschlossen). – Ein Denkmal seines Aufenthaltes in Venedig 1506 ist der Christus unter den Schriftgelehrten, ein stellenweise wahrhaft venezianisches, zum Theil aber auch ganz barockes Halbfigurenbild, im Pal. Barberini zu Rom. (Beiläufig: man suche unter den 1502–1511 von Carpaccio ausgeführten Malereien in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zu Venedig das Bild des heil. Hieronymus im Studirzimmer, und vergleiche es mit Dürers berühmtem Stich vom Jahr 1514, um zu sehen, wie vielleicht das Befangene zum Unvergänglichen angeregt hat.) Aus der spätern Zeit sind die beiden Apostelköpfe der Uffizien (1516, in Tempera), welche zwar Dürers ganze Energie, aber noch nicht den hohen Schwung bekunden, der seinem letzten Werke, dem Vierapostelbilde in München, vorbehalten war. Die lebensgrossen Bilder von Adam und Eva (Pal. Pitti), welche um dieselbe Zeit gemalt sein können, wenn sie wirklich von Dürer sind, zeigen als Akte eine wenigstens nicht unschöne Bildung. Sein spätestes in Italien vorhandenes Werk, die Madonna vom Jahr 1526 in den Uffizien, ist schon vom Geiste der eindringenden Reformation berührt, ohne Glorie und Schmuck, herb, häuslich.

Diese Werke hängen zum Theil in denselben Sälen, welche Rafael, Tizian und Coreggio beherbergen. Soll man ihnen durchaus nur auf historischem Wege gerecht werden, sie gleichsam nur „entschuldigen“ können? Jedenfalls würde Dürer, Arbeit gegen Arbeit gehalten, neben Rafael kaum verlieren; die wenn auch nur relative Belebung und Befreiung, welche die deutsche Kunst (allerdings zu spät!) ihm verdankte, war ein Unermessliches, das ohne die lebenslange [853] Anstrengung eines grossen Geistes gar nicht erreicht worden wäre. Aber auch nach einem absoluten Massstab gemessen behalten diese Gemälde einen hohen Werth. Die Formen, ohne alle Idealität, aber auch ohne abstracte Leere, entsprechen – namentlich in den Bildern wo die Phantasterei der Jugend überwunden ist – im vollkommensten Grade Dem, was Er damit ausdrücken wollte; sie sind das angemessenste Gewand für seine Art von Idealismus. Alles selbst erworben! ein Mensch und ein Styl, die jeden Augenblick identisch sind! Wie viele im XVI. Jahrh. können sich dessen rühmen? Wie haben sie einander, ganze Schulen entlang, die Empfindungs- und Ausdrucksweise nachgebetet?

Von Dürers Schülern ist Hans Schäuffelin in den Uffizien durch 8 Bilder mit der Legende des Petrus und Paulus vertreten, welche zu seinen besten Arbeiten gehören. Die Schüler warfen sich wieder in das Phantastische, dessen sich Dürer mit grosser Anstrengung allmälig entledigt hatte. Bei Albrecht Altdorfer, welchem zwei artige Bilder der Academie von Siena angehören könnten, gewinnt dasselbe sogar eine ganz angenehm-abenteuerliche Gestalt, zumal in Betreff der Landschaft. – Dem Georg Pens wird in der Malersammlung der Uffizien ein vortreffliches jugendliches Porträt, angeblich sein eigenes, zugeschrieben. (Sollte etwa der sog. Cesare Borgia in der Galerie Borghese zu Rom, angeblich von Rafael, sein Werk sein?)

Von Lucas Kranach findet man ein frühes und vorzügliches Bildchen (1504) im Pal. Sciarra zu Rom: die heil. Familie mit vielen singenden und springenden Engelkindern in einer phantastischen Landschaft nach Art der fränkischen Schule. Sonst ist von ihm in Italien nur Mittelwaare: Adam und Eva in der Tribuna der Uffizien, sächsische Herzöge u. s. w. in einem andern Saal. Ein kleiner Ritter S. Georg in bunter Landschaft wiegt diess Alles auf.

Von ungenannten Oberdeutschen: ein vorzügliches, leider sehr verwaschenes [C]ardinalsporträt im Museum von Neapel, fein und geistvoll aufgefasst wie irgend ein deutsches Porträt der Zeit; – mehrere Porträts aus dem Hause Habsburg (Erzherzog Philipp, Carl V, Ferdinand I) theils oberdeutsch, theils niederländisch, in demselben Saal des Museums von Neapel, im Pal. Borghese zu Rom, u. a. a. O. [854]

Von Nicol. Manuel, Martin Schaffner und Hans Baldung ist mir mit Wissen kein Bild vorgekommen. Dagegen hat der grosse Hans Holbein d. J. mit Dürer und Lucas das Schicksal gehabt, ein Collectivname zu werden.

Zuerst ist ein Bild zu nennen, welches gerade seinen Namen nicht trägt, sondern als „Ignoto Tedesco“ in einem der deutschen Säle der Uffizien hängt: der Gekreuzigte (in diagonaler Richtung gestellt) mit Maria, Johannes, Magdalena und der Donatorenfamilie in einer Landschaft. Wenn die Innenbilder des Altarwerkes der Universitätscapelle im Freiburger Münster von H. sind, so gehört ihm auch dieses fleissige, namentlich in der untern Gruppe höchst bedeutende Werk an. Freie, glückliche Anordnung, lebensvolle Modellirung, tiefer Ausdruck.

Dann unter seinem Namen in den Uffizien: 1) das echte, vollendet treffliche Porträt des 33jährigen Richard Southwell (1528); – 2) der vielleicht echte, licht gemalte Greisenkopf mit flachsweissem Zwickelbart (wovon eine befangenere, fleissige Copie in der Galerie Brignole zu Genua unter dem Namen Luca d'Olanda); – 3) das sehr zweifelhafte kleinere Porträt eines halb schielenden Mannes auf rothem Grunde, jedenfalls erst um 1550; – 4) zwei kleine Porträts, Mann und Frau, von irgend einem Niederländer; – 5) das Miniaturbild Franz I im Harnisch, zu Pferde, in der Art des Clouet, gen. Janet (von dessen Styl auch sonst 3) Mehreres, nicht selten unter Holbeins Namen vorkömmt); – 6) das eigene Porträt Holbeins in der Malersammlung (d. h. ein mit Kohle und Stiften gezeichneter, mit wenigen Farben getuschter Kopf auf einem Blättchen Papier, welches später in ein grösseres Blatt eingefasst, mit Goldgrund versehen und mit Zuthat eines rohen hellblaugrauen Kittels vollendet wurde. Ursprünglich wohl von Holbeins Hand, in der Art mehrerer der von Chamberlaine herausgegebenen Köpfe; trotz aller Misshandlung und Firnissung sind z. B. die Partien um das linke Auge und der Mund noch herrlich. Aber das dargestellte Individuum mit den hellgrauen Augen, der viereckigen Gesichtsform und der brutalen Oberlippe ist nicht Holbein, die Inschrift modern). [855]

Das Porträt eines vorwärts deutenden Mannes mit breitem Gesicht und flachem Barett, im Pal. Pitti, kann bei trefflicher Charakteristik doch wegen der Verzeichnung im Kopf und der Absichtlichkeit in der Anordnung der Hände nicht als H.'s Werk gelten. – Das Bildniss eines Armbrustschützenmeisters(?) im Pal. Guadagni zu Florenz verhält sich zu H.'s Werken etwa wie diejenigen des Hans Asper. – Das sehr schöne Bildniss des Prospero Colonna im gleichnamigen Palast zu Rom ist wohl eher von einem Niederländer. – Von den Holbeins im Pal. Borghese ist wenigstens der junge Mann mit Handschuhen wohl echt und vortrefflich. – Von den Porträts des Erasmus hängt dasjenige im Museum von Neapel für jede nähere Untersuchung zu dunkel; dasjenige in der Galerie zu Parma (1530) erscheint zu überfleissig und ängstlich um etwas anderes als eine gute (oberdeutsche?) Copie zu sein.

 

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1) Der Verf. hat seit 1847 keine nordischen Kunstsammlungen mehr gesehen und bittet um Nachsicht, wenn er die nach neuern Resultaten mannigfach veränderten Bilderbenennungen derselben in Betreff der Flandrer nicht kennt, somit auch die Bilder in Italien nicht danach benennen kann. Möchte sich bald ein Waagen oder Passavant dieses ganzen Capitels annehmen! 

2) Die vier altniederländischen und altdeutschen Bilder „in einem besondern Zimmer“ des Pal. Ducale zu Genua habe ich 1854 vergebens zu erfragen gesucht. 

3) Einiges z. B. im Pal. Pitti, auch zu Genua im Pal. Adorno etc.