BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Der Cicerone

 

Malerei

 

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Glasmalerei.

 

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Mailand – Perugia. Fra Bartolomeo. – Florenz. Francesco di Livi. Lorenzo Ghiberti. – Bologna. Jacob von Ulm. Lorenzo Costa. – Giovanni da Udine. – Venedig. Bartol. Vivarini. – Florenz. Alessandro Fiorentino. – Lucca. – Arezzo. Wilhelm von Marseille. – Rom. Wilhelm von Marseille. – Siena. Pastorino Miccheli. – Giovanni da Udine.

 

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Von der augenschädlichen Prüfung der italienischen Glas­gemälde möchte ich am Liebsten ganz abrathen, damit die Sehkraft für die Fresken ungeschwächt bleibe. Weil aber eine ganz ansehnliche Menge bedeutender Werke dieser Art vorhanden ist, so darf ich sie nicht völlig übergehen. Besondere Studien möge man hier nicht erwarten.

Die Glasmalerei mag in Italien während des ganzen spätern Mittelalters hie und da geübt worden sein, allein im Grossen ist sie doch erst mit dem gothischen Baustyl vom Norden her eingedrungen. Ich entsinne mich keines Glasgemäldes von romanischem Styl. Noch ganz spät sind es transalpinische oder doch im Norden gebildete Künstler, welche mehrere der bedeutendsten Werke ausführen.

Wie vieles von den Glasgemälden des Domes von Mailand noch der Erbauungszeit angehört, weiss ich nicht anzugeben; die der grossen Chorfenster sind modern; die der Südseite, welche noch bei den Ereignissen von 1848 Schaden litten, werden einer Restauration unterliegen müssen. – Für das grosse Chorfenster in S. Domenico zu [856] Perugia (1411) wird ein gewisser Fra Bartolommeo namhaft gemacht; eine Reihe Geschichten und vier Reihen Heilige, von ziemlich allgemeinem Styl. Von einem in Lübeck erzogenen Toscaner, dem Francesco di Livi aus Gambassi (bei Volterra) rührt ein grosser Theil der Glasmalereien im Dom von Florenz her (seit 1436); die meisten aber werden dem berühmten Erzgiesser Lorenzo Ghiberti zugeschrieben, so namentlich die der drei vordern Rundfenster. Weder die einen noch die andern machen irgend einen bedeutenden, zwingenden Eindruck. Viel eigenthümlicher ist die Kreuz- abnahme im vordern Rundfenster von S. Croce, angeblich ebenfalls von Ghiberti.

Ein höheres Interesse gewinnen die Glasgemälde erst von der Zeit an, da der grosse italienische Realismus des XV. Jahrh. auch sie durchdringt; fortan unterscheiden sie sich von den gleichzeitigen nordischen nicht nur durch den Styl der Zeichnung und Auffassung, sondern auch indem sie freier den decorativen Zwecken dienen und zugleich viel mehr eigentliche Gemälde von abgeschlossener Bedeutung sein wollen als im Norden.

Aus deutschem und italienischem Realismus mischte sich der Styl des seligen Prediger-Laienbruders Jacob von Ulm (1407 – 1491), welcher in S. Petronio zu Bologna das prächtige Fenster der 4. Cap. rechts verfertigte (und vielleicht auch dasjenige der 4. Cap. links unter seiner Leitung entstehen sah). Von den übrigen Fenstern dieser Kirche ist dasjenige der 7. Cap. links (Cap. Bacciocchi) vorzüglich schön nach dem energischen Entwurf des Lorenzo Costa gearbeitet; von ähnlichem Styl das der 5. Cap. links. Für dasjenige der 9. Cap. rechts nimmt man einen Entwurf Michelangelo's an; die Motive der einzelnen Heiligen erinnern aber ganz direct an Bandinelli's Relieffiguren der Florentiner Chorschranken (S. 680, d); die Ausführung sehr reichfarbig für diese späte Zeit. – Von Costa rührt in Bologna wohl ohne Zweifel auch das Rundfenster von S. Giovanni in monte her. (Johannes auf Pathmos; die Nebenfenster geringer.) – In S. Giovanni e Paolo zu Venedig gilt das grosse Fenster des rechten Querschiffes als Composition des Bartol. Vivarini, ich weiss nicht mit welcher Sicherheit. (Die Inschrift ist modern; die obere Figurenreihe eher von V.'s Styl als die untere.) [857]

In Florenz ist das grosse Chorfenster von S. Maria novella, von Alessandro Fiorentino (etwa Sandro Botticelli?), aus dem Jahr 1491, nur von mittlerm Werthe; dagegen kann das Glasgemälde der nächst anstossenden Cap. Strozzi das beste von Florenz heissen; es scheint mit sammt den Fresken von Filippino Lippi componirt. – Einige gute kleinere Arbeiten auch in S. Spirito, in der Cap. de' Pazzi bei S. Croce, in S. Francesco al monte, in S. Lorenzo etc., von einem kenntlichen gemeinsamen Typus, welcher die Composition eines Florentiners und die Ausführung eines Nordländers zu verrathen scheint.

Lucca besitzt in den herrlichen Chorfenstern des Domes vielleicht das Beste dieser ganzen Richtung; sie erinnern am Meisten an die Fenster der Cap. Strozzi. Auch die übrigen Glasgemälde dieses Domes sind von den bessern. – In S. Paolino einiges Gute in der Art der oben (diese Seite: b, c) genannten, etwa um das Jahr 1530. – Im Baptisterium bei S. Giovanni das Rundfenster mit der Gestalt des Täufers, erst vom Jahr 1572.

In Arezzo sind die schönen Glasgemälde der Annunziata noch aus dem XV. Jahrh.; im Dom aber begegnet man dem namhaftesten Glasmaler der rafaelischen Zeit, Wilhelm von Marseille. Es ist derselbe, welcher zu Rom die beiden Seitenfenster des Chores von S. M. del popolo mit Geschichten Christi und der Maria schmückte, – damals, unter Julius II, wahrscheinlich nach Compositionen eines tüchtigen umbrischen Meisters. Später, im Dom von Arezzo mag er andern Vorlagen oder seiner eigenen Erfindung gefolgt sein; genug, sein Styl ist hier im Ganzen derselbe, welcher die damals in Italien arbeitenden Niederländer charakterisirt. Die Grenzen der Gattung, welche sich möglichst einer architektonischen Ruhe zu befleissigen hat – nicht nur um nicht mit dem Stabwerk gothischer Fenster zu collidiren, sondern um nicht zu ihrer ungeheuern Farbengewalt noch andere verwirrende Eindrücke zu häufen – diese Grenzen sind hier, wie so oft in der Glasmalerei des XVI. Jahrh. völlig verkannt; es sind Gemälde auf Glas übertragen 1). [858]

Im Dom von Siena ist das Glasgemälde des grossen vordern Rundfensters – ein Abendmahl – von Pastorino Miccheli 1549 nach einer etwas manierirten und wiederum für diese Gattung wenig passenden Composition des Perin del Vaga ausgeführt.

Im Grunde passte die ganze Gattung von jeher sehr wenig zu dem überwiegenden Interesse, welches in Italien der kirchlichen Frescound Tafelmalerei zugewandt war; sie hat auch in der Regel den Charakter einer Luxuszuthat. – In den oben (S. 289) erwähnten Fenstern die dem Giovanni da Udine zugeschrieben werden, handelt es sich endlich nur um Arabesken, welche den decorativen Eindruck eines Raumes zu vervollständigen bestimmt sind.

 

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1) Im mittlern Fenster der Fassade der Anima zu Rom soll noch eine Madonna von Wilhelm vorhanden sein.