BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Burckhardt

1818 - 1897

 

Der Cicerone

 

Malerei

 

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Malerei des XVI. Jahrhunderts.

 

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Lionardo da Vinci – Porträtmalerei vor ihm – Seine Werke – Seine Schüler. Bernardino Luini u. A. – Gaudenzio Ferrari – Die Halbfigurenmaler. – Michelangelo – Ausführungen seiner Schüler. – Fra Bartolommeo – Schüler. – Andrea del Sarto – Schüler – Florentinische Zeitgenossen. Rafael – Peruginische Zeit – Florentinische Zeit; Andachtsbilder – Porträts – Grablegung – Römische Zeit; Madonnen und heilige Familien – Vision Ezechiels – Heilige Cäcilia – Transfiguration – Porträts – Unsichere Bilder – Fresken der vaticanischen Zimmer – Loggien des Vaticans – Tapeten – Jesajas und Sibyllen – Capella Chigi – Fresken der Farnesina. – Schüler. Giulio Romano – Perin del Vaga – Andrea da Salerno – Polidoro u. s. neapol. Nachfolger. – Schüler Francia's und Ferraresen unter Rafaels Einwirkung – Garofalo – Dosso Dossi. – Schule von Siena unter Rafaels Einwirkung – Sodoma – Pacchiarotto – Beccafumi – Peruzzi. – Veroneser; Caroto, Cavazzola, Giolfino. – Coreggio – Staffeleibilder – Fresken – Seine Schule. – Venezianer – Giorgione – Sebastiano del Piombo – Palma vecchio – Marconi und Lotto – Tizian – Seine Schule; Bonifazio – Brescianer; Moretto – Moroni – Romanino – Die Pordenone – Paris Bordone – Spätere Generation; Tintoretto – Paolo Veronese – Jacopo Bassano und seine Söhne – Ausgang der Schule. – Die Malereien der Staatsräume im Dogenpalast.

 

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Nicht auf Anregung irgend eines äussern Vorbildes, z. B. nicht auf genauere Nachahmung des Alterthums hin, sondern aus eigenen Kräften erstieg die Kunst seit dem Ende des XV. Jahrh. die höchste Stufe, die zu erreichen ihr beschieden war. Mitten aus dem Studium des Lebens und des Charakters, welches die Aufgabe dieses Jahrhunderts gewesen war, erhebt sich neugeboren die vollendete Schönheit. Nicht mehr als blosse Andeutung und Absicht, sondern als Erfüllung tritt sie uns entgegen; erst als die Malerei des XV. Jahrh. jeder Lebensäusserung gewachsen war, da schuf sie, vereinfacht und unendlich bereichert zugleich, auch dieses höchste Leben.

Da und dort taucht es auf, unerwartet, strahlenweise, nicht als blosse Frucht eines consequenten Strebens, sondern als Gabe des Himmels. Die Zeit war gekommen. Aus den tausend als darstellbar erwiesenen Elementen, aus der Breite des Lebens, welche von Masaccio bis auf Signorelli das Gebiet der Kunst ausgemacht hatte, aus Zeit und Natur sammeln die grossen Meister das Ewige zu unvergänglichen Kunstwerken, Jeder in seiner Art, so dass das eine Schöne das andere nicht ausschliesst, sondern Alles zusammen eine vielgestaltige Offenbarung des Höchsten bildet. Es ist wohl nur eine kurze Zeit der vollen Blüthe, und auch während derselben dauert die Thätigkeit der Zurückgebliebenen fort, unter welchen wir tüchtige und selbst [859] grosse Maler bereits genannt haben. Man kann sagen, dass die beschränkte Lebenszeit Rafaels (1483–1520) alles Vollkommenste hat entstehen sehen, und dass unmittelbar darauf, selbst bei den Grössten, die ihn überlebten, der Verfall beginnt. Allein jenes Vollkommenste ist zum Trost und zur Bewunderung für alle Zeiten geschaffen und sein Name ist Unsterblichkeit.

 

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Lionardo da Vinci (1452–1519), der Schüler Verocchio's, sichert der florentinischen Schule den wohlverdienten Ruhm, dass aus ihrer Mitte zuerst der befreiende Genius emporstieg. Eine wunderbar begabte Natur, als Architekt, Bildhauer, Ingenieur, Physiker und Anatom überall Begründer und Entdecker, dabei in jeder andern Beziehung der vollkommene Mensch, riesenstark, schön bis ins hohe Alter, als Musiker und Improvisator berühmt. Man darf nicht sagen, dass er sich zersplittert habe, denn die vielseitige Thätigkeit war ihm Natur. Aber bejammern darf man, dass von seinen Entwürfen in allen Künsten so wenig zu Stande gekommen und dass von dem Wenigen das Beste untergegangen oder nur noch als Ruine vorhanden ist.

Als Maler umfasst er wiederum die am meisten entgegengesetzten Begabungen. Rastlos bemüht, sich die Ursachen aller leiblichen Erscheinungen und Bewegungen durch die Anatomie klar zu machen, wendet er sich mit unvergleichlich rascher und sicherer Auffassung ebenso auf den geistigen Ausdruck und verfolgt denselben vom Himmlisch-Reinen bis in alle Tiefen des Verworfenen und Lächerlichen. Seine Federskizzen, deren Viele in der Ambrosiana zu Mailand ausgestellt sind, geben hiezu die reichlichsten Belege. – Zugleich aber ist in ihm die schönste Schwärmerseele mit der gewaltigsten Kraft des Gedankens und mit dem höchsten Bewusstsein von den Bedingungen der idealen Composition verbunden. Er ist wirklicher als alle Frühern wo das Wirkliche gestattet ist, und dann wieder so erhaben und frei wie Wenige in allen Jahrhunderten.

Seine frühsten erhaltenen Werke 1) sind Porträts, und an diesen lässt sich auch seine eigenthümliche Malweise am genausten verfolgen. [860] Einige Worte über die damalige Bildnissmalerei überhaupt mögen hier gestattet sein.

Es kommt sehr in Betracht, dass während des XV. Jahrh. und noch die ganze Lebenszeit Lionardo's und Rafaels hindurch fast nur sehr ausgewählte Charaktere abgesondert gemalt wurden, höchstens mit Ausnahme von Venedig, wo zu Giorgione's Zeit das Porträt schon zum standesgemässen Luxus der Vornehmen zu gehören anfing. – Im übrigen Italien sind sogar die selbständigen (nicht bloss in Wandmalereien und Kirchenbildern angebrachten) Bildnisse von Fürsten selten. (Piero della Francesca's Doppelporträt mit allegorischen Rückenbildern, in den Uffizien, könnte einen der damaligen Gewaltherrscher und dessen Gemahlin darstellen; – die Porträts des Mailänders Bernardino de' Conti in der Galerie des Capitols und in einem der päpstlichen Wohnzimmer des Vaticans vielleicht fürstliche Kinder; – ebenso der Mädchenkopf des P. della Francesca im Pal. Pitti; – der Frauenkopf Mantegna's in den Uffizien stellt wenigstens eine Dame von hohem Stande vor.) – Eher noch finden sich eigenhändige Bildnisse von Künstlern, wie z. B. in der Malersammlung der Uffizien diejenigen des Masaccio (S. 799), des Perugino (S. 835, Anm.), des Giov. Bellini (ein anderes in der capitolinischen Galerie), und ebenda in den Sälen der toscanischen Schule das eines Medailleurs und das des Lorenzo di Credi, (welchem daselbst ausserdem ein Jünglingsporträt von fast peruginischem Ausdruck zugeschrieben wird). Für die Bildnisse hoher Prälaten, selbst der Päpste, ist man bis auf Rafael fast einzig auf die Grabstatuen verwiesen. Die übrigen Porträts sind fast lauter Denkmäler, welche dem literarischen Ruhm, der Liebe, der nahen und vertrauten Freundschaft, auch wohl der grossen Schönheit gesetzt wurden und welche der Künstler zum Theil schuf, um sie zu behalten. (Um der Schönheit willen malte Sandro die Simonetta; als alten Freund scheint Francia das herrliche Bildniss des Vangelista Scappi, in den Uffizien, gemalt zu haben) 2). [861]

Der Darstellungsart nach sind diese Werke sehr verschieden. Schon Masaccio giebt eine geistvolle Dreiviertelansicht und hebt das Bedeutende leicht und sicher hervor. Andrea del Castagno (Jünglingsporträt im Pal. Pitti) folgt ihm darin nach Kräften; Sandro dagegen giebt nur ein Profil. Auch die Oberitaliener sind getheilt, P. della Francesca giebt Profilköpfe mit der schärfsten und genausten Modellirung, die auch keine Warze verschont, auf einem niedlichen landschaftlichen Hintergrunde; auch Conti profilirt; Mantegna und Francia (auch Perugino) geben die Köpfe ganz von vorn, und suchen durch schöne Landschaften denselben einen wahrhaft idealen Hintergrund zu verleihen, Mantegna z. B. durch ein Felsgebirg im letzten Abendschimmer. Der Dreiviertelansicht nähert sich das Bild des Medailleurs (mit einer Landschaft in Francesca's Art); auch Lorenzo Costa (Pal. Pitti) und Giov. Bellini. – Lor. di Credi ist schon von Lionardo abhängig.

Der Auffassung nach sind einige dieser Bildnisse edle Meisterwerke. Lionardo aber übertrifft sie alle in dem was ihnen eigen ist, in der Modellirung, und leiht den von ihm Dargestellten einen Hauch höhern Lebens, der ihm eigen ist und mit seinem Ideal zusammenhängt. Auch er zieht gerne die Landschaft zu Hülfe und vollendet damit im Porträt der Gioconda (Louvre) jene völlig traumhafte Wirkung, die dieses Bildniss aller Bildnisse ausübt.

In Florenz enthält der Pal. Pitti das Bildniss einer schwarzbekleideten Dame, der Ginevra Benci. Der Meister, welcher sich im [862] Streben nach vollendeter Modellirung nie genug thun konnte, hat bisweilen, und so auch hier, Farben gebraucht, die später in die Schatten z. B. grünliche Töne brachten. Allein die hohe geistige Anmuth in Kopf und Haltung, die Schönheit der Hand bezeichnen recht deutlich die Zeit, welche die Gabe der Charakteristik nunmehr in der höchsten Richtung anwendet.

Ebenda: der Goldschmied. Ein unendliches Detail (die Partien um den Mund!); die Augenlieder und das geistreich kränkliche Aussehen verrathen den Feinarbeiter; ganz wunderbar durchdringt sich damit der wesentlich lionardeske Charakter, den der Maler in dem Kopfe fand oder hineinlegte.

In den Uffizien: der Kopf eines jungen Mannes, von vorn. Wiederum unendlich wahr und trotz der viel grössern Verschmelzung der Töne wahrscheinlich echt. – Ebenda, aus ungleich späterer Zeit, das höchst grandiose, meisterlich ins Licht gestellte eigene Porträt Lionardo's; weit der grösste Schatz der berühmten Sammlung von Malerbildnissen.

In der Ambrosiana zu Mailand: das entweder unvollendete oder verwaschene Porträt des Lodovico Moro und das Profilbild seiner Gemahlin, letzteres nicht ganz freudig gemalt; ausserdem einige Pastellköpfe, unter welchen das reizvolle Bildniss einer Dame mit niedergeschlagenen Augen.

Die übrigen Porträts befinden sich im Ausland.

Nach diesen Werken, über welchen sein Ideal nur wie ein Duft schwebt, mögen diejenigen kleinern Arbeiten folgen, in welchen sich dasselbe rückhaltlos offenbart. Vorbereitet war es schon in den jugendlichen Köpfen Verocchio's (S. 602); aber erst bei Lionardo erreicht es seinen vollen Zauber: der lächelnde Mund, das schmale Kinn, die grossen Augen, bald strahlend von Fröhlichkeit, bald leis umschleiert von einem sanften Schmerz. Conventionelle Mienen kommen im ganzen XV. Jahrh. vor; hier zuerst handelt es sich aber um einen Ausdruck, welchen ein grosser Meister als sein Höchstes giebt. Unläugbar einseitig und der Veräusserlichung unterworfen, aber durchaus zwingend.

Die Madonnen, heiligen Familien u. a. Compositionen, um welche es sich handelt, sind zum Theil naiv bis ins Genrehafte. Allein es [863] beginnt darin dasjenige höhere Liniengefühl, diejenige Vereinfachung, welche in Rafael ihre Vollendung findet. Von dem florentinisch Häuslichen früherer Madonnen z. B. ist darin nur noch ein Nachklang. – Die bedeutendsten Werke sind wiederum im Ausland, und von den in Italien befindlichen blieben die der mailändischen Privatgalerien dem Verfasser unbekannt. (Madonna des Hauses Araciel in Mailand; eine Mater dolorosa; wahrscheinlich auch Wiederholungen der Vierge au basrelief; Porträts etc.) Von den in Italien vorhandenen Werken aber sind nur noch sehr wenige als Originale anerkannt; weit die meisten gelten entweder als Arbeiten der Schüler nach Entwürfen und Gedanken Lionardo's oder geradezu als Copien derselben nach vollendeten Werken seiner Hand.

Diese Schüler, deren eigene Werke mit den Formen und Motiven L.'s noch ganz erfüllt sind, hatten sich ihm in Mailand angeschlossen; hier kommen vorerst Bernardino Luini und Andrea Salaino am meisten in Betracht.

Ein Originalwerk Lionardo's ist zunächst das Fresco der Madonna mit einem Donator auf Goldgrund, in einem obern Gang des Klosters S. Onofrio zu Rom (1482?); noch am meisten florentinisch, sodass sich der Mitschüler des L. di Credi zu erkennen giebt.

Eine Madonna, die sich in der Gal. Borghese befinden soll (? – neben ihr eine Wasserflasche mit Blumen) gilt ebenfalls noch als frühes Werk.

In der Brera zu Mailand gilt nur eine unvollendete Madonna als eigenhändiges Werk.

„Eitelkeit und Bescheidenheit“, im Pal. Sciarra zu Rom, verrathen durch die verschwimmende Modellirung die Hand des Luini, nach den nicht sehr schön, in Parallelen und rechten Winkeln geordneten Händen zu urtheilen ist auch das Arrangement wenigstens dieser Theile schwerlich von Lionardo angegeben. Die Charaktere sind unerschöpflich schön.

Von der Halbfigur Johannis d. T. (Louvre), mit dem hochschwärmerischen Ausdruck, giebt keine der in Italien vorhandenen Copien einen würdigen Begriff, selbst die mailändischen nicht.

„Christus unter den Schriftgelehrten“, ein Halbfigurenbild; das in England befindliche Original nur von Luini ausgeführt; eine gute Copie [864] im Pal. Spada zu Rom. Unfähig, den Sieg von Argumenten über Argumente darzustellen, gab die Malerei hier den Sieg himmlischer Reinheit und Schönheit über das Befangene und Gemeine. Beschränkung des Letztern auf wenige Halbfiguren, mit welchen die bedeutsam vortretende Hauptgestalt sich kaum beschäftigt. (Sonst nur allzuoft ein Kind in einer grossen Tempelhalle, verloren unter einer Schaar von Menschen, die doch am Ende ihre Majorität auf rohe Art beweisen könnten.)

Ein kleiner segnender Christus, vielleicht am ehesten von Salaino ausgeführt, in der Gal. Borghese, scheint ein unmittelbarer Gedanke des Meisters zu sein.

Von dem berühmten Bilde der heil. Anna, auf deren Kniee die sich zu den Kindern abwärts neigende Maria sitzt, ist selbst das Gemälde im Louvre nur eine Ausführung von Schülerhand. Eine kleinere, von Salaino, in den Uffizien, erscheint im Ausdruck so holdselig als irgend ein Bild des Meisters, auch mit grosser Liebe ausgeführt, offenbart aber nur um so klarer, wie tief die Schüler in der Zeichnung und Modellirung unter ihrem Vorbilde standen.

Ein Originalwerk L.'s ist endlich die braune Untermalung einer Anbetung der Könige, in den Uffizien; überfüllt, theilweise nur erster Entwurf, aber hochbedeutend durch den Contrast der rituellen Andacht in den vorn Knieenden mit der leidenschaftlichen in den Nachdrängenden. Fülle des Lebens auf strenger und grossartiger Grundlage.

Von demjenigen Werke, durch welches Lionardo am stärksten auf seine Zeitgenossen wirkte, von dem 1503 und 4 gezeichneten Carton der Schlacht bei Anghiari (für den grosssen Saal im Pal. vecchio zu Florenz), ist nur die Erinnerung an eine einzige Gruppe im Kupferstich gerettet.

Endlich hatte er schon vor 1499 zu Mailand das weltberühmte Abendmahl im Refectorium des Klosters von S. Maria delle grazie vollendet. (Bestes Licht: um Mittag?) Der ruinöse Zustand, der schon früh im XVI. Jahrhundert begann, hat seine einzige Hauptursache darin, dass L. das Werk in Öl auf die Mauer gemalt hatte. (Das gegenüberstehende Fresco eines mittelmässigen alten Mailänders, Montorfano, ist ganz gut erhalten.) Schmähliche Übermalungen, zumal [865] im vorigen Jahrh., thaten das Übrige. Doch soll nach neuesten Nachrichten wieder einige Hoffnung vorhanden sein, bei deren Wegnahme gut erhaltene originale Theile zu Tage fördern zu können. – Unter solchen Umständen haben alte Wiederholungen einen besondern Werth. (Sie sind, hauptsächlich in der Nähe von Mailand, sehr zahlreich; eine z. B. in der Ambrosiana; eine Zurückübersetzung in den ältern lombardischen Styl, von Araldi, S. 820, h, in der Galerie von Parma.) Von den noch hie und da (vorzüglich in Weimar!) erhaltenen Originalentwürfen L.'s zu einzelnen Köpfen gilt der Christuskopf in der Brera als unzweifelhaft. – Das Gemälde selbst gewährt noch als Ruine Aufklärungen, die sich weder aus Morghen's Stich noch aus Bossi's Nachbild entnehmen lassen; abgesehen von dem allgemeinen Ton des Lichtes und der Farben, der noch keineswegs verschwunden ist, wird man nur hier den wahren Massstab, in welchem diese Gestalten gedacht sind, die Örtlichkeit und die Beleuchtung kennen lernen, vielleicht auch noch den Schimmer der Originalität, den nichts ersetzen kann, über dem Ganzen schwebend finden.

Die Scene, welche von der christlichen Kunst unter dem Namen des Abendmahls, hauptsächlich als Wandbild in Klosterrefectorien, dargestellt worden ist, enthält zwei ganz verschiedene Momente, beide von jeher und von grossen Künstlern behandelt. Der eine ist die Einsetzung des Sacramentes (eigenthümlich bei Signorelli, S. 809). Der andere Moment ist das „Unus vestrum“; Christus spricht die Gewissheit des Verrathes aus. Auch hier kann wieder, nach den Worten der Schrift, entweder die Kenntlichmachung des Verräthers durch gleichzeitiges Ergreifen des einzutauchenden Bissens (wie bei Andrea del Sarto, s. unten, Kloster S. Salvi), oder das blosse schmerzliche Wort Christi das entscheidende Motiv sein. Letzteres bei Lionardo. – Die Kunst hat kaum einen bedenklichern Gegenstand als diesen, die Wirkung eines Wortes auf eine sitzende Versammlung. Nur ein Strahl, in zwölfmaligem Reflex. Würde aber der geistige Inhalt dabei gewinnen, wenn die Zwölfe, leidenschaftlich bewegt, ihre Plätze verliessen, um reichere Gruppen, grössere dramatische Gegensätze zu bilden? Die Hauptsache, nämlich die Herrschaft der Hauptfigur, welche doch nur sitzen und sprechen dürfte, ginge ob dem Handeln der Übrigen unvermeidlich verloren. Selbst der gedeckte Tisch, der [866] wie eine helle Brustwehr die Gestalten durchschneidet, war vom grössten Vortheil; das was die Zwölfe bewegt, liess sich dem Wesentlichen nach schon im Oberkörper ausdrücken. In der ganzen Anordnung, den Linien des Tisches und des Gemaches ist Lionardo absichtlich so symmetrisch als seine Vorgänger; er überbietet sie durch die höhere Architektonik seines Ganzen in je zwei Gruppen von je Dreien, zu beiden Seiten der isolirten Hauptfigur.

Das aber ist das Göttliche an diesem Werke, dass das auf alle Weise Bedingte als ein völlig Unbedingtes und Nothwendiges erscheint. Ein ganz gewaltiger Geist hat hier alle seine Schätze vor uns aufgethan und jegliche Stufe des Ausdruckes und der leiblichen Bildung in wunderbar abgewogenen Grundsätzen zu Einer Harmonie vereinigt. Den geistigen Inhalt hat Göthe abschliessend auseinandergesetzt. Welch ein Geschlecht von Menschen ist diess! vom Erhabensten bis ins Befangene, Vorbilder aller Männlichkeit, erstgeborne Söhne der vollendeten Kunst. Und wiederum von der bloss malerischen Seite ist Alles neu und gewaltig, Gewandmotive, Verkürzungen, Contraste. Ja sieht man bloss auf die Hände, so ist es als hätte alle Malerei vorher im Traum gelegen und wäre nun erst erwacht.

 

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Von den mailändischen Schülern hat Bernardino Luini (st. nach 1529) bei seinen frühsten Arbeiten den Lionardo noch nicht gekannt, bei denjenigen seiner mittlern Zeit ihn am treusten reproducirt, bei den spätern aber auf der so gewonnenen Grundlage selbständig weiter gedichtet, wobei es sich zeigt, dass er mit unzerstörbarer Naivetät sich nur das von dem Meister angeeignet hatte, was ihm gemäss war. Sein Sinn für schöne, seelenvolle Köpfe, für die Jugendseligkeit fand bei dem Meister sein Genüge und die edelste Entwicklung, und noch seine letzten Werke geben hievon das herrlichste Zeugniss. Dagegen ist von der grossartig strengen Composition des Meisters gar nichts auf ihn übergegangen; man sollte glauben er hätte das Abendmahl nie gesehen (obschon er es einmal nachgeahmt hat), so linienwidrig und ungeordnet sind seine meisten bewegten Scenen. Auch drapirt er oft ganz leichtfertig und gleichgültig. Dafür besass er stellenweise, [867] was keine Schule und kein Lehrer verleiht, grossgefühlte, aus der tiefsten Auffassung des Gegenstandes hervorgegangene Motive.

Über die Umgebung von Mailand hinaus kommen nur kleinere, vereinzelte Bilder von ihm vor. Ausser den genannten (S. 863) ist das Bedeutendste die Enthauptung Johannis, in der Tribuna der Uffizien, lange dem Lionardo beigelegt, obschon die Bildung der Hände, die etwas allgemeine Schönheit der Königstochter und ihrer Magd, die glasige, verblasene Oberfläche des Nackten deutlich auf den Schüler hinwies. Der Henker grinsend und doch nicht fratzenhaft, das Haupt des Täufers ungemein edel. So charakterisirt die goldene Zeit! Der in der Nähe hängende Johanneskopf Coreggio's gehört daneben dem modernen Naturalismus an. – Im Pal. Capponi zu Florenz: Madonna, das Kind küssend. – Im Pal. Spinola (Strada nuova) zu Genua: herrliche Madonna mit dem segnenden Kind, nebst S. Stephan und S. Jacobus d. ä., von L. oder einem Mitschüler (nicht wohl C. da Sesto), mit Benützung des rafaelischen Motives des „réveil de l'enfant“ (Museum von Neapel). – Andere Madonnen a. m. O.

In Mailand enthalten die Privatsammlungen und die Ambrosiana Manches von ihm; von den Kirchen ist S. Maurizio (Monastero maggiore) vor Allem sehenswerth, wegen der Fresken des XVI. Jahrh., deren trefflichste (vor Allem die beiden neben dem Hauptaltar) sein Werk sind. In diesen ruhigen Andachtsbildern, wo ihn der Gegenstand vor der Regellosigkeit schützte, ist seine Liebenswürdigkeit übermächtig! Aus der gleichen späten Zeit stammt auch das beste seiner Frescobilder in der Brera, eine thronende Madonna mit S. Antonius und S. Barbara (1521). Die übrigen Fresken sind zum Theil früh, wie z. B. die noch etwas zaghaften mythologischen und genreartigen, deren Naivetät noch ganz den Vorabend der goldenen Zeit bezeichnet. Auch neun Bilder aus dem Leben der Maria und die schöne Composition der von Engeln getragenen Leiche der heil. Catharina sind frühe Arbeiten. Dann spätere, vollendete Tafelbilder: Madonna mit dem Kind und Madonna mit Heiligen und Donatoren 3). [868]

Im Dom von Como zwei grosse Temperabilder (Altäre rechts und links), die Anbetung der Hirten und die der Könige, mit himmlisch schönen Einzelheiten; in der Sacristei (jetzt wohl wieder in der Kirche) ein anderes grosses Altarbild. – In der Kirche zu Saronno Fresken vom Jahr 1530. – Endlich in S. Maria degli angeli zu Lugano an der Hauptwand über dem Choreingang das colossale Frescobild einer Passion (1529), deren Vordergrund der Gekreuzigte nebst den Seinigen, den Schächern, den Hauptleuten, Soldaten u. s. w. einnimmt. Mit allen Mängeln Luini's behaftet ist dieses Gemälde dennoch eines der ersten von Oberitalien, und schon um einer Gestalt willen des Aufsuchens würdig, des Johannes, der dem sterbenden Christus sein Gelübde thut. An mehrern Pfeilern der Kirche schöne einzelne Malereien L.'s; in einer Capelle rechts (provisorisch) die aus dem umgebauten Kloster hiehergebrachte Frescolunette der Madonna mit beiden Kindern, die letzte von vollster lionardesker Herrlichkeit. (Das Abendmahl nach Lionardo, ehemals im Refectorium des Klosters, ist abgenommen und vorläufig irgendwo untergebracht worden.) Wen diese Schätze einmal Tagelang an das schöne Lugano gefesselt haben, der wird vielleicht bei diesem Anlass auch die idyllisch-wonnige Landschaft kennen lernen und den brillantern Comersee gerne Denjenigen überlassen, welche nur durch das Brillante glücklich zu machen sind.

Marco d'Oggionno (Uggione) ist weit am besten, wo er sich eng an Lionardo anschliesst und dessen Typus mit einer eigenthümlichen herben Schönheit wiedergiebt. Sturz des Lucifer, in der Brera; die dortigen Fresken meist sehr verwildert.

Andreo Salaino (S. 863 u. f.) widmete sich am ausschliesslichsten der Reproduction des Lionardo. Liebliche Madonna in der Gemäldesammlung der Villa Albani bei Rom. Bilder in der Brera und Ambrosiana.

Francesco Melzi. Gehört vielleicht ihm die herrliche Madonna im Lorbeerschatten, welche in der Brera dem Salaino beigelegt wird? Sonst sind seine Bilder sehr selten; ebenso die des Gio v. Ant. Beltraffio.

Cesare da Sesto, der später in die Schule Rafaels überging. Die besten frühern Bilder in mailändischen Privatsammlungen; ein [869] schöner jugendlicher Christuskopf in der Ambrosiana. Späteres Hauptbild: die Anbetung der Könige im Museum von Neapel. Er hatte die Art des XV. Jahrh. wohl nie ganz abgelegt, daher noch oder schon wieder viel müssiger und drückender Reichthum in den Nebensachen, auch viele müssig-schöne Motive, dabei Mangel an wahrer Körperlichkeit und an Raumsinn.

Gaudenzio Vinci. Im Chor der obern Kirche zu Arona glaubt Verfasser dieses das namhafte Altarbild dieses Meisters erblickt zu haben, allein bei nachtdunkelm Mittagsbimmel. (Vgl. Marco Marziale, S. 830.)

Giov. Ant. de Lagaia. Hauptaltar der Kirche des Seminariums zu Ascona (Tessin), das Mittelbild: Madonna mit Heiligen und trefflichen Donatoren (1519). Letztere besonders verrathen eine enge Verwandtschaft mit Luini.

Gaudenzio Ferrari (1484–1549), wenn nicht Schüler Lionardo's, doch unter dessen kenntlichem Einfluss, später in den Schulen Perugino's und Rafaels beschäftigt. Einen vollständigen Begriff von seiner bisweilen grossartigen, oft nur phantastischen und barocken Darstellungsweise sollen nur die Tafeln und Fresken seiner piemontesischen Heimath geben. (Dom von Novara; S. Christoforo und S. Paolo zu Vercelli; – in Varallo: die Capella del sacro monte, wo die Malerei nur die Ergänzung zu bemalten plastischen Gruppen bildet, dergleichen auch in den Capellen des Stationenweges stehen, S. 649, *; das Minoritenkloster ebenda mit seinen frühsten Fresken etc.; – dann in der Kirche von Saronno unweit Mailand die späten Fresken der Kuppel.) – In Mailand enthält die Brera u. a. Fresken mit dem Leben der Maria, zum Theil von sehr edeln und einfach sprechenden Motiven; doch sieht man, wie ein angeborner Naturalismus und eine gewisse Grillenhaftigkeit den Künstler hindern, das zu erreichen, wonach er eigentlich strebt: den grossen Styl, und wie seine Manier das nothwendige Resultat dieses Kampfes ist. Das grosse Gemälde von der Marter der heil. Catharina ist bunt, überfüllt, ja gemein chargirt, aber mit einer pomphaften Sicherheit des Sieges vermöge der prächtigen nackten Gestalt der Heiligen gemalt. Sein letztes Fresco, die Geisselung in S. M. delle grazie zu Mailand (in einer Capelle des rechten Seitenschiffes, 1542) hat wieder etwas wahrhaft grandioses, [870] während zwei späte Temperabilder im Dom von Como mehr eine missverstandene Gewaltsamkeit an den Tag legen. Das allegorische Bild in der Gal. Sciarra zu Rom ist wenigstens durch seine ungeschickt phantastische Landschaft interessant.

Von den Nachfolgern Gaudenzio's hat Bernardino Lanini (Brera und verschiedene Kirchen in Mailand) eine sehr gute Zeit, eine wahre Energie in Formen und Farben gehabt. Späteres ist sehr manierirt. – Lomazzo und Figino gehören schon zu den eigentlichen Manieristen.

Eine Anzahl Halbfiguren aus dem Gebiete des passiven Ausdruckes (Eccehomo, Mater dolorosa, Magdalena, Catharina etc.) gehören theils dem Aurelio Luini, theils einem gewissen Gian Pedrini, Schüler Lionardo's, theils dem Andrea Solario, Schüler Gaudenzio's. Der Behandlung nach sind sie von verschiedenem, zum Theil von hohem Werth. (Pedrini's Magdalena, Brera). Diese von überirdischer Sehnsucht oder von heiligem Schmerz bewegten Einzelcharaktere beginnen mit Pietro Perugino und den genannten Mailändern und gewinnen von Zeit zu Zeit eine grosse Verbreitung in der Kunst. Man muss diese frühern mit denjenigen eines Carlo Dolci vergleichen, um ihren wahren Werth zu erkennen.

 

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Michelangelo Buonarroti (1474–1563), der Mensch des Schicksals für die Baukunst und für die Sculptur, ist es auch für die Malerei. Er hat sich selber vorzugsweise als Bildhauer betrachtet (Seite 665); in einem seiner Sonette sagt er bei Anlass der Deckenmalerei in der Sistina: „essendo … io non pittore“. Allein für den Ausdruck derjenigen idealen Welt, die er in sich trug, gewährte die Malerei doch so ungleich vielseitigere Mittel als die Sculptur, dass er sie nicht entbehren konnte. Gegenwärtig verhält es sich wohl im Allgemeinen so, dass wer ihm von Seiten der Sculptur entfremdet ist, von Seiten der Malerei immer wieder den Zugang zu ihm sucht und findet. [871]

Wie er die Formen bildete und was er damit im Ganzen wollte, ist oben bei Anlass der Sculptur angedeutet worden. Für die Malerei kommen noch besondere Gesichtspunkte in Betracht. Michelangelo lernte zwar in der Schule Ghirlandajo's die Handgriffe, ist aber in seiner Auffassung ohne alle Präcedentien 4). Es lag ihm ganz ferne, auf irgend eine bisherige Andacht, einen bisherigen kirchlichen Typus, auf die Empfindungsweise irgend eines andern Menschen einzugehen oder sich dadurch für gebunden zu erachten. Das grosse Capital der kirchlichen Kunstbräuche des Mittelalters existirt für ihn nicht. Er bildet den Menschen neu, mit hoher physischer Gewaltigkeit, die an sich schon dämonisch wirkt, und schafft aus diesen Gestalten eine neue irdische und olympische Welt. Sie äussern und bewegen sich als eine von allem Frühern verschiedene Generation. Was bei den Malern des XV. Jahrh. Charakteristik heisst, findet bei ihnen schon desshalb keine Stelle, weil sie als ganzes Geschlecht, als Volk auftreten; wo aber das Persönliche verlangt wird, ist es ein ideal geschaffenes, eine übermenschliche Macht. Auch die Schönheit des menschlichen Leibes und Angesichtes kommt nur im Gewande jener Gewaltigkeit zum Vorschein; es liegt dem Meister mehr daran, dass seine Gestalten der höchsten Lebensäusserungen fähig, als dass sie reizend seien.

Wenn man weit aus dem Bereiche dieser Werke entfernt ist und Athem geschöpft hat, so kann man sich auch gestehen, was ihnen fehlt, und wesshalb man nicht mit und unter denselben leben könnte. Ganze grosse Sphären des Daseins, welche der höchsten künstlerischen Verklärung fähig sind, blieben dem Michelangelo verschlossen. Alle die schönsten Regungen der Seele (statt sie aufzuzählen genügt eine Hinweisung auf Rafael) hat er bei Seite gelassen; von all dem was uns das Leben theuer macht, kommt in seinen Werken wenig vor. Zugleich giebt diejenige Formenbildung, welche für ihn die ideale ist, nicht sowohl eine ins Erhabene und Schöne vereinfachte Natur, als vielmehr eine nach gewissen Seiten hin materiell gesteigerte. Keine noch so hohe Beziehung, kein Ausdruck der Macht kann es [872] vergessen machen, dass gewisse Schulterbreiten, Halslängen u. a. Bildungen willkürlich und im einzelnen Fall monströs sind. Angesichts der Werke selbst wird man allerdings immer geneigt sein, dem Michelangelo ein eigenes Recht und Gesetz neben dem aller übrigen Kunst zuzugestehen. Die Grösse seiner Gedanken und Gedankenreihen, die freie Schöpferkraft, mit welcher er alle denkbaren Motive des äussern Lebens ins Dasein ruft, machen das Wort Ariost's erklärlich: Michel più che mortale angel divino.

Von seinem ersten grossen Werke, jenem im Wetteifer mit Lionardo geschaffenen Carton für den Palazzo vecchio – ebenfalls Scenen aus der Schlacht von Anghiari – sind nur dürftige Erinnerungen auf unsere Zeit gekommen. Baccio Bandinelli hat denselben aus Neid zerschnitten.

In der Blüthe seiner Jahre unternahm Michelangelo die Ausmalung des Gewölbes der sixtinischen Capelle in Vatican (etwa 1508–1511; von welcher Zeit die durchaus eigenhändige Ausführung 22 Monate in Anspruch nahm). (Bestes Licht: 10–12 Uhr.) Die Aufgabe bestand in lauter Scenen und Gestalten des alten Testamentes, mit wesentlichem Bezug auf dessen Verheissung. Er stufte diesen Inhalt vierfach ab: in Geschichten, – in einzelne historische Gestalten, – in ruhende Gruppen, – und in architektonisch belebende Figuren. Die Geschichten, welche ein Dasein in einem perspectivisch bestimmten, nicht bloss idealen Raum verlangen, vertheilte er an die mittlere Fläche des Gewölbes. (Eine Ausnahme machen die vier auf sphärische dreiseitige Flächen gemalten Eckbilder der Capelle, welche die wunderbaren Rettungen des Volkes Israel vorstellen: die Geschichten der ehernen Schlange, des Goliath, der Judith und der Esther. So wunderbar aber das Einzelne, zumal in der Scene der Judith, gedacht und gemalt sein mag, so findet sich doch das Auge an diesen Stellen schwer in das Historisch-Räumliche hinein.) – Die Propheten und Sibyllen mit den sie begleitenden Genien erhielten ihre Stelle an den sich abwärts rundenden Theilen des Gewölbes; – die Gruppen der Vorfahren Christi theils an den Gewölbekappen über den Fenstern, theils in den Lunetten welche die Fenster umgeben. Diese Theile sind sämmtlich nach einem idealen Raumgefühl componirt. – Diejenigen Figuren endlich, welche schon sehr passend „die [873] belebten, persönlich gewordenen Kräfte der Architektur“ genannt worden sind, liess er durch den ganzen Organismus hin immer so und immer da auftreten, wie und wo sie nöthig waren. Unter den Propheten und Sibyllen sind es derbe Kindergestalten in Naturfarbe, welche die Inschrifttafeln hoch in den Händen tragen oder sie mit dem Haupte stützen. An beiden Seitenpfosten der Throne der Propheten und Sibyllen sieht man je zwei nackte Kinder, Knabe und Mädchen, in Steinfarbe welche die Sculptur nachahmt. Über den Gewölbekappen oberhalb der Fenster nehmen liegende und lehnende athletische Figuren in Bronzefarbe die Bogenfüllung ein. Letztere sind je zu zweien fast symmetrisch angeordnet, überhaupt am strengsten architektonisch gedacht. Zuletzt, wo von beiden Seiten die colossalen Gesimse sich nähern und Raum lassen für die Reihe der Mittelbilder, sitzen auf Postamenten nackte männliche Figuren in natürlicher Farbe, je zweie halten die Bänder, an welchen der zwischen ihnen befindliche Medaillon von Erzfarbe mit Reliefs befestigt ist; einige tragen auch reiche Laub- und Fruchtgewinde. Ihre Stellungen sind die freisten und leichtesten; sie tragen nichts, weil es dort nach der idealen Rechnung nichts mehr zu tragen giebt, weil überhaupt die architektonischen Kräfte nicht schlechtweg versinnlicht, sondern poetisch symbolisirt werden sollten. (Karyatiden oder Atlanten, Kopf gegen Kopf gestemmt, wären z. B. eine Versinnlichung gewesen.) Diese sitzenden Gestalten, isolirt betrachtet, sind von einer solchen Herrlichkeit, dass man sie für die Lieblingsarbeit des Meisters in diesem Raum zu halten versucht ist. Aber ein Blick auf das Übrige zeigt, dass sie doch nur zum Gerüste gehören.

In vier grössern und fünf kleinern viereckigen Feldern, der Mitte des Gewölbes entlang, sind die Geschichten der Genesis dargestellt. Zuerst unter allen Künstlern fasste Michelangelo die Schöpfung nicht als ein blosses Wort mit der Geberde des Segens, sondern als Bewegung. So allein ergaben sich für die einzelnen Schöpfungsakte lauter neue Motive. In erhabenem Fluge schwebt die gewaltige Gestalt dahin, begleitet von Genien, welche derselbe Mantel mit umwallt; – so rasch, dass ein und dasselbe Bild zwei Schöpfungsakte (für Sonne und Mond und für die Pflanzen) vereinigen darf. Aber der höchste Augenblick der Schöpfung (und der höchste Michelangelo's) [874] ist die Belebung Adams. Von einer Heerschaar jener göttlichen Einzelkräfte, tragenden und getragenen, umschwebt, nähert sich der Allmächtige der Erde und lässt aus seinem Zeigefinger den Funken seines Lebens in den Zeigefinger des schon halb belebten ersten Menschen hinüberströmen. Es giebt im ganzen Bereiche der Kunst kein Beispiel mehr von so genialer Übertragung des Übersinnlichen in einen völlig klaren und sprechenden sinnlichen Moment. Auch die Gestalt des Adam ist das würdigste Urbild der Menschheit.

Die ganze spätere Kunst hat sich von dieser Auffassung Gottes des Vaters beherrscht gefühlt, ohne sie doch erreichen zu können. Am tiefsten ist Rafael (in den ersten Bildern der Loggien) darauf eingegangen.

Die nun folgenden Scenen aus dem Leben der ersten Menschen erscheinen um so gewaltiger, je einfacher sie die uranfängliche Existenz darstellen. „Sündenfall und Strafe“ sind mit ergreifender Gleichzeitigkeit auf Einem Bilde vereinigt; die Eva im Sündenfall zeigt, welche unendliche Schönheit dem Meister zu Gebote stand. Als Composition von wenigen Figuren steht „Noahs Trunkenheit“ auf der Höhe alles Erreichbaren. Die „Sündfluth“ contrastirt zwar nicht glücklich mit dem Massstab der übrigen Bilder, ist aber reich an den wunderwürdigsten Einzelmotiven.

Die Propheten und Sibyllen, die grössten Gestalten dieses Raumes, erfordern ein längeres Studium. Sie sind keinesweges alle mit derjenigen hohen Unbefangenheit gedacht, welche aus einigen derselben so überwältigend spricht. Die Aufgabe war: zwölf Wesen durch den Ausdruck höherer Inspiration über Zeit und Welt in das Übermenschliche emporzuheben. Die Gewaltigkeit ihrer Bildung allein genügte nicht; es bedurfte abwechselnder Momente der höchsten geistigen und zugleich äusserlich sichtbaren Art. Vielleicht überstieg dieses die Kräfte der Kunst. – Die je zwei Genien, welche jeder Gestalt beigegeben sind, stellen nicht etwa die Quelle und Anregung der Inspiration vor, sondern Diener und Begleiter; sie sollen durch ihre Gegenwart die Gestalt heben, als eine überirdische bezeichnen; durchgehends sind sie in Abhängigkeit von derselben geschildert. – Von unvergleichlicher Herrlichkeit ist der gramverzehrte Jeremias; oder Joel, den beim Lesen die stärkste innere Erregung ergreift; der wie [875] vom Traum erweckte Jesajas; Jonas mit dem Ausdruck eines wiedergewonnenen mächtigen Lebens; die Sibylla delphica, welche schon die Erfüllung ihrer Weissagung vor sich zu sehen scheint – von allen Gestalten des Meisters diejenige, welche Gewaltigkeit und Schönheit im höchsten Verein offenbart. – Abgesehen von der innern Bedeutung ist durchgängig genau auf die Gewänder zu achten, welche von der idealen Aposteltracht durch eine absichtliche (orientalische) Nuance unterschieden, überaus schön geschwungen und gelegt, und in vollkommenstem Einklang mit Stellung und Bewegung sind, sodass jede Falte ihre (vielleicht hie und da zu bewusst berechnete?) Causalität hat. – (Gewisse dumpfe Töne der Carnation waren Michelangelo eigen und finden sich auch auf seinem einzigen Tafelbilde, wovon unten, wieder.)

Von den Vorfahren Christi zeigen diejenigen in den Lunetten die leichteste Meisterschaft in monumentaler Behandlung des ungünstigsten Raumes. Geschichtlos, wie die meisten derselben sind, existiren sie bloss in Beziehung auf ihren göttlichen Abkömmling und zeigen desshalb den Ausdruck des ruhigen, gesammelten Harrens. Schon hier kommen einige wunderbar schöne, einfache Familienscenen vor. – In diesem Betracht sind aber einzelne Darstellungen in den dreieckigen Gewölbekappen vielleicht noch ausserordentlicher; ja es findet sich unter diesen auf der Erde sitzenden Eltern mit Kindern mehr als Ein Motiv des höchsten Ranges, obwohl der Ausdruck nirgends die Innigkeit oder sonst irgend einen activen Affect erreicht.

Dieses ist die Stiftung Papst Julius II. Mit Anspornen und Nachgeben, mit Streit und mit Güte erhielt er was vielleicht kein Anderer von Michelangelo erhalten hätte. Sein Andenken ist in der Kunst ein hochgesegnetes.

Viele Jahre später (1534–1541) unter Papst Paul III malte Michelangelo an der Hinterwand der Capelle das jüngste Gericht.

Man muss zuerst darüber im Klaren sein, ob man überhaupt die Darstellung dieses Momentes für möglich und wünschbar hält. Sodann, ob man irgend eine Darstellung würdigen kann, welche nicht durch einen sofortigen Hauptschlag, z. B. einen raffinirten Lichteffect (in Martin's Manier) die Phantasie gefangen nimmt; schon die Ausführung in Fresco verbot diess hier. Endlich, ob man die physischen [876] Kräfte besitzt, dieses ganze ungeheure (stellenweise sehr verdorbene) Bild nach Gruppirung und Einzelmotiven gewissenhaft durchzugehen. Dasselbe will nicht nach dem ersten Eindruck, sondern nach dem letzten beurtheilt sein.

Der grosse Hauptfehler kam tief aus Michelangelo's Wesen hervor. Da er längst gebrochen hatte mit Allem was kirchlicher Typus, was religiöser Gemüthsanklang heisst, da er den Menschen – gleichviel welchen – immer und durchgängig mit erhöhter physischer Macht bildet, zu deren Äusserung die Nacktheit wesentlich gehört, so existirt gar kein kenntlicher Unterschied zwischen Heiligen, Seligen und Verdammten. Die Bildungen der obern Gruppen sind nicht idealer, ihre Bewegungen nicht edler als die der untern. Umsonst sucht man nach jener ruhigen Glorie von Engeln, Aposteln und Heiligen, welche in andern Bildern dieses Inhaltes schon durch ihr blosses symmetrisches Dasein die Hauptgestalt, den Richter, so sehr heben, vollends aber bei Orcagna und Fiesole mit ihrem wunderbaren Seelenausdruck einen geistigen Nimbus um ihn ausmachen. Nackte Gestalten, wie Michelangelo sie wollte, können einer solchen Stimmung gar nicht als Träger dienen; sie verlangen Gestus, Bewegung und eine ganz andere Abstufung von Motiven. Auf die letztern hatte es der Meister eigentlich abgesehen. Es sind zwar in dem Werke viele und sehr grosse poetische Gedanken; von den beiden obern Engelgruppen mit den Marterwerkzeugen ist diejenige links herrlich in ihrem Heranstürmen; in den emporschwebenden Geretteten ringt sich das Leben wunderbar vom Tode los; die schwebenden Verdammten sind in zwei Gruppen dargestellt, wovon die eine durch kämpfende Engel mit Gewalt zurückgedrängt, durch Teufel abwärts gerissen, eine ganz grossartig dämonische Scene bildet, die andere aber jene Gestalt des tiefsten Jammers darstellt, die von zwei sich anklammernden bösen Geistern wie von einem Schwergewicht hinunter gezogen wird. Die untere Scene rechts, wo ein Dämon mit erhobenem Ruder die armen Seelen aus der Barke jagt, und wie sie von den Dienern der Hölle in Empfang genommen werden, ist mit grandioser Kühnheit aus dem Unbestimmten in einen bestimmten sinnlichen Vorgang übertragen u. s. w. – Allein so bedeutend dieser poetische Gehalt sich bei näherer Betrachtung herausstellt, so sind doch wohl die malerischen Gedanken im [877] Ganzen eher das Bestimmende gewesen. Michelangelo schwelgt in dem prometheischen Glück, alle Möglichkeiten der Bewegung, Stellung, Verkürzung, Gruppirung der reinen menschlichen Gestalt in die Wirklichkeit rufen zu können. Das jüngste Gericht war die einzige Scene, welche hiefür eine absolute Freiheit gewährte, vermöge des Schwebens. Vom malerischen Gesichtspunkt aus ist denn auch sein Werk einer ewigen Bewunderung sicher. Es wäre unnütz, die Motive einzeln aufzählen zu wollen; kein Theil der ganzen grossen Composition ist in dieser Beziehung vernachlässigt; überall darf man nach dem Warum? und Wie? der Stellung und Bewegung fragen und man wird Antwort erhalten.

Wenn nun zumal die Gruppe um den Richter mit ihrem Vorzeigen der Marterinstrumente, mit ihrem brutalen Ruf um Vergeltung einigen Widerwillen erwecken mag; wenn der Weltrichter auch nur eine Figur ist wie alle andern, und zwar gerade eine der befangensten; – immer noch bleibt das Ganze einzig auf Erden 5).

 

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Die beiden grossen Wandgemälde in der nahen Capella Paolina, Pauli Bekehrung und die Kreuzigung des Petrus, aus der spätesten Zeit Michelangelo's, sind durch einen Brand entstellt und so schlecht beleuchtet (vielleicht am erträglichsten Nachmittags?) dass man sie besser aus den Stichen kennen lernt. In dem erstern ist die Geberde des oben erscheinenden Christus von einer zwingenden Gewalt, der gestürzte Paulus eines der trefflichsten Motive des Meisters.

 

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Staffeleibilder giebt es bekanntlich keine von seiner Hand, mit einziger Ausnahme eines frühen Rundbildes der heil. Familie in der Tribuna der Uffizien. Die gesuchte Schwierigkeit (die knieende Maria hebt das Kind vom Schooss des hinter ihr sitzenden Joseph) ist nicht ganz besiegt; mit einer Gesinnung dieser Art soll man überhaupt [878] keine heiligen Familien malen. Der Hintergrund ist, wie bei Luca Signorelli, mit Aktfiguren ohne nähere Beziehung bevölkert. Der kleine Johannes läuft an der steinernen Brustwehr mit einer spöttischen Miene vorbei.

Im Pal. Buonarroti zu Florenz (S. 665) sind eine Anzahl Zeichnungen ausgestellt, unter welchen die einer säugenden Madonna besonders schön ist; – ein früherer Entwurf des Weltgerichtes; – ein vielleicht von M. begonnenes grosses Bild der heil. Familie, das er aber den vielen Verzeichnungen und Roheiten zufolge schwerlich selbst ausgemalt haben kann. – In der Brera zu Mailand die ehemals in Rafaels Besitz befindliche (und ihm selber trotz der von seiner Hand herrührenden Unterschrift „Michelle angelo bonarota“ beigelegte) Tuschzeichnung des sog. Götterschiessens, il bersaglio de' Dei; nackte Gestalten, aus der Luft niedersausend, zielen mit höchster Leidenschaft nach einer mit einem Schilde gegen ihre Pfeile geschützten Herme, indess Amor auf der Seite schlummert; eine herrliche Gruppe, aus bereits knieenden, laufenden und noch schwebenden Figuren zu einem unvergleichlichen Ganzen gebildet. Rafael mochte ein anregendes Problem darin finden, dieselbe durch einen seiner Schüler in Fresco, und zwar von der umgekehrten Seite, ausführen zu lassen; wenigstens ist diess der Inhalt eines der drei Frescobilder, welche aus der sog. Villa di Raffaelle in den Pal. Borghese zu Rom übergegangen sind.

Andere Compositionen existiren nur in Ausführungen von der Hand der Schüler. – Ich weiss nicht, ob das Bild der drei Parzen, im Pal. Pitti (ausgeführt 6) von Rosso Fiorentino) unbedingt in diese Categorie gehört; Michelangelo hätte einen solchen Gegenstand wohl gewaltiger aufgefasst. – Mehrmals (z. B. Pal. Sciarra und Pal. Corsini in Rom) kommt eine heil. Familie von besonders feierlicher Intention vor; Maria, auf einer Art von Thron sitzend, legt eben das Buch weg und sieht auf das fest schlafende, grandios auf ihrem Knie liegende Kind; von hinten schauen lauschend herüber Joseph und der kleine Johannes. – In der Sacristei des Laterans: eine Verkündigung, von Marcello Venusti ausgeführt. – Christus am Ölberg, nicht eben glücklich in zwei Momente geschieden, u. a. im Pal. Doria zu Rom. [879] – Von der Pietà und dem Crucifixus weiss ich kein Exemplar in ital. Sammlungen anzugeben, ebensowenig von den berühmten mythologischen Compositionen: Ganymed, Leda, Venus von Amor geküsst; von letzterer soll eine Wiederholung im Museum von Neapel sein 7).

Einen höhern Rang nehmen natürlich solche Bilder ein, welche Michelangelo unter seinen Augen ausführen liess, hauptsächlich durch Sebastian dal Piombo. Das wichtigste derselben, die Erweckung des Lazarus, befindet sich in London; – dann folgt die Geisselung Christi in S. Pietro in montorio zu Rom (1. Cap. r. in Öl auf die Mauer gemalt); hier ist das Unleidliche gross gegeben, die bewegten Schergen heben die duldende Hauptfigur unbeschreiblich wirksam hervor. Die umgebenden Malereien sollen ebenfalls nach M.'s Entwürfen ausgeführt sein. (Eine gute kleine Wiederholung im Pal. Borghese.) – Endlich wird bei der Kreuzabnahme des Daniele da Volterra in Trinità de' monti (1. Cap. l.) immer der Gedanke erwachen, dass Michelangelo das Beste daran erfunden habe, indem alle übrigen Werke des Daniele erstaunlich weit hinter diesem zurückstehen. Gar zu wunderbar schön ist das Heruntersinken des Leichnams, um welchen die auf den Leitern Stehenden gleichsam eine Aureola bilden; gar zu vortrefflich motivirt und vertheilt sind die Bewegungen der Letztern. Auch die untere Gruppe um die ohnmächtige Madonna ist vorzüglich, setzt aber schon das pathologische Interesse an die Stelle des rein Tragischen. (Das ganze Bild stark verletzt und restaurirt.)

Eine eigentliche Schule hat Michelangelo nicht gehabt; er führte seine Fresken ohne Gehülfen aus. Denjenigen, welche sich (meist in seiner spätesten Zeit) auf irgend eine Weise an ihn anschlossen, werden wir unter den Manieristen wieder begegnen. Sein Beispiel war auch in der Malerei das verhängnissvollste. Niemand hätte Das wollen dürfen, was er gewollt und mit seiner riesigen Kraft durchgeführt hatte; Jedermann aber wünschte doch solche Wirkungen hervorzubringen wie Er. Als er starb waren alle Standpunkte in den sämmtlichen Künsten verrückt; Alle strebten ins Unbedingte hinaus, weil [880] sie nicht wussten, dass Alles was bei ihm so aussah, durch sein innerstes persönliches Wesen bedingt gewesen war.

 

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Die florentinische Malerei blüht mit Lionardo und Michelangelo noch nicht vollständig aus. Die unermesslichen Lebenstriebe, welche das XV. Jahrh. in dieser Weihestätte der Kunst geweckt und ausgebildet hatte, erreichen noch in zwei andern grossen Meistern eine Vollendung, welche ganz eigener Art und von jenen beiden wesentlich unabhängig ist.

Der eine ist Fra Bartolommeo (eigentlich Baccio della Porta, 1469–1517), ursprünglich Schüler des Cosimo Rosselli; seine Befreiung aus den Banden des XV. Jahrhunderts verdankte er Lionardo; sein positiver Inhalt ist ihm eigen 8). Er zuerst hat das hohe Gefühl vollständig zu empfinden und wieder zu erwecken vermocht, welches aus dem Zusammenklang grossartiger Charaktere, reiner imposanter Gewandungen und einer nicht bloss symmetrischen, sondern architektonisch aufgebauten Gruppirung entsteht. Seine persönliche Empfindung hat nicht immer genügt, um dieses gewaltige Gerüste völlig zu beleben, und hierin steht er dem Lionardo nach, welcher immer Schönheit, Leben und Charakter an Einem Stücke giebt. Auch würde er für bewegte Compositionen überhaupt nicht ausgereicht haben. Allein was das Altarwerk im engern Sinn verlangt, hat Keiner mit vollkommnerer Hoheit dargestellt.

Die Freiheit und Grösse seiner Charakterauffassung lernt man im Einzelnen kennen aus einer Anzahl von Heiligenköpfen al Fresco in der Academie zu Florenz; wozu noch ein herrliches Eccehomo im [881] Pal. Pitti kömmt. Ohne Lionardo's unendliche Energie sind es doch so gross aufgefasste Menschenbilder, zum Theil von wahrhaft himmlischem Ausdruck. Zwei runde Frescogemälde in derselben Academie, Madonnen, sind bei ihrer flüchtigen Ausführung als Linienprobleme merkwürdig; in dem einen hat er offenbar hauptsächlich die vier Hände und die beiden Füsse schön zu ordnen gestrebt. – Für den Einzelausdruck ist sonst seine Kreuzabnahme (Pal. Pitti) das Hauptwerk. Mit welcher Macht wirken hier die beiden Profile des höchst edel gebildeten Christus und der alles vergessenden Mutter, die ihm noch den letzten Kuss auf die Stirne drücken will! mit welcher untrüglichen dramatischen Sicherheit ist der Schmerz des Johannes durch Beimischung der körperlichen Anstrengung unterschieden! Kein Klagen aus dem Bilde hinaus wie bei Van Dyck; keine vermeintliche Steigerung des Eindruckes durch Häufung der Figuren wie bei Perugino.

Die übrigen Bilder sind fast sämmtlich grandiose Constructionen, mit strenger und im Einzelnen sehr schön aufgehobener Symmetrie. Wo die Charaktere aus seinem Innern kommen, sind es lauter Werke ersten Ranges.

Leider ist die einzige grössere Scene dieser Art, das Fresco eines jüngsten Gerichtes hei S. Maria la nuova (in einem Verschlag in dem Hofe links von der Kirche) beinahe erloschen. Doch erkennt man in dem herrlichen obern Halbkreise von Heiligen dieselbe Inspiration, welche Rafael das Fresco von S. Severo in Perugia (1506) und die obere Gruppe der Disputa (1508) eingab. Wenn es ein spätes Werk ist, so entstand es unter der Rückwirkung Rafaels, der wenige Jahre vorher gerade in dieser Beziehung vom Frate gelernt zu haben scheint.

Von Altarbildern ist dasjenige im Dom von Lucca (hinterste Cap. links), eine Madonna mit zwei Heiligen, früh und ganz besonders schön und seelenvoll. (Dagegen die grosse späte Madonna della misericordia in S. Romano zu Lucca, links, zwar im Einzelnen vortrefflich, als Ganzes aber weniger unbefangen.) – In S. Marco zu Florenz (2. Alt. r.) ein ebenfalls frühes sehr grosses Bild, welches B.'s Compositionsweise im Augenblick ihrer nahen Vollendung zeigt; die Madonna glänzend edel und leicht gestellt; die beiden knieenden [882] Frauen ein ewiges Vorbild symmetrischer Profilgestalten; die Putten noch in der Weise des XV. Jahrh. mit Emporheben des Vorhanges beschäftigt, aber schon von dem höhern Geschlecht des XVI. Jahrh.; die Farbe, wo sie erhalten ist, von tiefem Goldton. (In dem anstossenden Kloster war 1854 von B. nur die einfach schöne Lunette über dem hintern Eingang des Refectoriums sichtbar: Christus mit den beiden Wanderern nach Emmaus.) – In der Academie die dem heil. Bernhard erscheinende Madonna (etwa 1504; noch mit einigen herben Zügen der Köpfe); hier ist die Gruppe der Engel um die Madonna mit der gewohnten symmetrischen Strenge componirt, aber sehr schön ins Profil (oder Dreiviertelansicht) gesetzt und zugleich ihr Schweben eben so leicht als erhaben ausgedrückt, wovon man sich durch einen vergleichenden Blick auf die nächsten Engeldarsteller des XV. Jahrh. überzeugen kann. – Das Vollkommenste, was B. geleistet, ist dann vielleicht der Auferstandene mit 4 Heiligen (Pal. Pitti); grandioser und weihevoller ist die Geberde des Segnens vielleicht nie dargestellt worden; die Heiligen sind erhabene Gestalten; die beiden Putten, welche einen runden Spiegel mit dem Bilde der Welt (als Landschaft) halten, schliessen als Basis diese einfache und strenge Composition in holdseligster Weise ab. – Ebenda: ein grosses, reiches Altarbild aus S. Marco (wo jetzt eine Copie steht), welches als offenbar spätes Werk in den Charakteren etwas allgemein, auch durch die braune Untermalung in den Schatten sehr geschwärzt ist, aber ein Wunder der Composition; die Engel, welche den Baldachin tragen, entsprechen strenge der halbkreisförmigen untern Gruppe (vgl. Rafaels Disputa). – In den Uffizien ist schon ein ganz kleines Rundbildchen, der Salvator auf zwei Engeln und einem Cherub schwebend, als Construction sehr merkwürdig; noch mehr aber (ebendaselbst) die grosse braune Untermalung des Bildes der h. Anna, der Maria und vieler Heiligen, glücklicher Weise als Untermalung ganz vollendet, auch in den durchgängig schönen und bedeutenden Charakteren, so dass die vollkommene Architektonik nicht nur überall geistvoll aufgehoben, sondern auch mit dem edelsten individuellen Leben erfüllt ist.

Von einzelnen Gestalten ist der colossale heil. Marcus (Pal. Pitti) die wichtigste. Allein hier betritt der Frate denselben Abweg, auf [883] welchem man den Michelangelo findet: er schafft ein ungeheures Motiv aus bloss künstlerischen Gründen; auch in dem Kopf ist etwas falsch Übermenschliches; die Draperie aber, auf welche es eigentlich abgesehen war, ein Wunderwerk. – Die zwei Propheten in der Tribuna der Uffizien haben ebenfalls etwas Unreines; – die beiden stehenden Apostel im Quirinal zu Rom, welche Rafael vollendete, habe ich seit den Vorbereitungen zum letzten Conclave 1846 nicht mehr gesehen und auch damals nur flüchtig. Ein ganz herrliches Bild aber, in welchem Charakter, momentaner Ausdruck und tizianische Farbenkraft zusammenwirken, ist die Figur des h. Vincentius Ferrerius in der Academie, deren Cartonzimmer ebenfalls noch vorzügliche Einzelgestalten des Frate enthält.

Mit Benützung seiner Entwürfe gemalt, theilweise auch von ihm selbst ausgeführt: die grosse Himmelfahrt Mariä im Museum von Neapel; – auch wohl die grosse thronende Madonna mit 7 Heiligen in der Academie zu Florenz; – die Pietà (ebenda) ist wohl ein blosses Schülerwerk.

Von den Schülern ist nur Mariotto Albertinelli (1475–1520) bedeutend. Vielleicht bevor er den Frate kannte, malte er das schöne Rundbild im Pal. Pitti, Madonna das Kind anbetend, welchem ein Engel ein Kreuz hinreicht. Dann folgt unter dem beginnenden Einfluss des Frate das Altarfresco des Gekreuzigten im Capitelsaal der Certosa (1505); endlich aus seiner schönsten Zeit die in zwei Figuren wahrhaft melodisch abgeschlossene „Heimsuchung“ in den Uffizien, und die thronende Madonna mit zwei knieenden und zwei stehenden Heiligen, in der Academie; Werke, welche man nur den grössten Meistern zuzutrauen versucht ist. In den andern Bildern derselben Sammlung geht er mit vollster Anstrengung auf die Constructionsweise seines Meisters ein; mit grösstem Erfolge in der „Dreieinigkeit“; befangener, aber zum Theil mit dem schönsten und edelsten Ausdruck in der grossen Verkündigung (1510).

Die Nonne Plautilla Nelli interessirt nur da, wo die Motive des Frate (dessen Zeichnungen sie erbte) deutlich aus ihren Bildern hervorsehen. – Der gute Fra Paolino da Pistoja pflegt dem Rückfall ins Schwächlich-Perugineske zu unterliegen. (Madonna della [884] cintola in der florentinischen Academie; – Crucifixus mit Heiligen im Kreuzgang von S. Spirito zu Siena.)

 

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Neben Fra Bartolommeo behauptet Andrea del Sarto (1488 bis 1530) sein eigenes Mass von Grösse. Ein wunderbarer Geist, nur einseitig begabt, aber einer der grössten Entdecker im Gebiet der Kunstmittel.

Es fehlt ihm im Ganzen dasjenige Element, welches man die schöne Seele nennen möchte. Die Antriebe, welche ihn beherrschen, sind wesentlich künstlerischer Natur; er löst Probleme. Daher die Gleichgültigkeit gegen die höhere Schönheit des Ausdruckes, das Sichabfinden mit einem herrschenden Typus, der namentlich seine Madonnen und seine Putten so kenntlich macht und selbst durch seine Charakterköpfe als bestimmter Bau des Schädels, der Augen, der Kinnbacken hindurchgeht. Wo derselbe zum Gegenstand passt, wirkt er erhaben; einem jugendlichen Johannes d. T. (P. Pitti, Halbfigur) verleiht er z. B. jene strenge leidenschaftliche Schönheit, die für diese Gestalt wesentlich ist; ja bisweilen nimmt er eine hohe sinnliche Lieblichkeit an, wie z. B. die den Gabriel begleitenden Engel in einer der drei Verkündigungen im Pal. Pitti beweisen; auch giebt es einige Putten von ihm, welche keinem von denjenigen Coreggio's an Schönheit und Naivetät nachstehen, so z. B. in der herrlichen Madonna mit S. Franz und S. Johannes Ev., vom Jahr 1517, in der Tribuna der Uffizien. Sie umklammern die Füsse der Madonna, während das fröhliche Christuskind an ihren Hals emporklettern will.

Dann ist Andrea wohl der grösste Colorist, welchen das Land südlich vom Apennin im XVI. Jahrh. hervorgebracht hat. Da er nicht auf einer schon ausgebildeten Schulpraxis fusste, sondern jedesmal mit eigener Anstrengung seine Principien neu zu entdecken hatte, seine Gewissenhaftigkeit aber nicht selten schwankte, so sind seine Arbeiten auch im Colorit sehr ungleich; neben dem eben erwähnten goldtönigen Wunderwerk in der Tribuna, neben der grossen heil. Familie im Pal. [885] Pitti, neben den paar herrlichen einfachen Bildnissen 9), in welchen Licht und Farbe und Charakter sich so vollkommen in Eins verschmelzen (P. Pitti, Uffizien) – neben all diesem giebt es auch sehr bunte und dumpfe Malereien. – Immerhin hat Andrea zuerst von allen Florentinern eine sichere, harmonische Scala, eine tiefe, oft leuchtende Durchsichtigkeit der Farben erreicht; er hat auch zuerst der Farbe einen mitbestimmenden Einfluss auf die Composition des Bildes gestattet. Seine Gewänder fallen nicht umsonst in so breiten Flächen. Man muss dabei zugestehen, dass sie von einer hinreissenden Schönheit des Wurfes und des Contours sind und als vollkommener Ausdruck des Lebens der Gestalten ganz absichtslos scheinen.

Im Wesentlichen aber ist seine Composition ein eben so strenger architektonischer Bau als die des Fra Bartolommeo, welchem er offenbar das Beste verdankte. Auch hier ist lauter durch Contraste verdeckte Symmetrie. Da er aber die Seele des Frate nicht hatte, so bleibt bisweilen das Gerüste unausgefüllt. Wie weit steht seine prächtig gemalte Kreuzabnahme (P. Pitti) hinter der des Bartolommeo zurück! Die Motive, in Linien und Farben classisch, sind geistig fast null, ein unnützer Reichthum. Auch in der schönen Madonna mit den vier Heiligen (ebenda) contrastiren die ungenügenden Charaktere mit dem feierlichen Ganzen. Am meisten geistiges Leben zeigt unter den Bildern des P. Pitti die Disputa della Trinità; eine eifrigere und zusammenhängendere „heil. Conversation“ als die der meisten Venezianer sind; zugleich ein Prachtbild ersten Ranges. Die grossen Assunten sind beide spät, gleichen sich und haben viel Conventionelles, aber auch noch grosse Schönheiten. – In den heil. Familien (wovon ausser den florent. Sammlungen auch z. B. Pal. Borghese in Rom mehrere besitzt; ein schönes und echtes Bild in S. Giacomo degli Spagnuoli zu Neapel, rechts von der Hauptthür) fällt jene Seelenlosigkeit neben den hohen malerischen Vorzügen oft ganz besonders auf; es ist, als ständen die beiden Mütter und die beiden Kinder in gar keinem innigern Verhältniss zu einander. [886]

Als historischer Erzähler hat Andrea gleichwohl Unvergängliches geleistet. Die Fresken in der Vorhalle der Annunziata, begonnen 1510, zeigen zwar zum Theil dieselbe fast zu strenge architektonische Anordnung; in den drei ersten Bildern links, aus der Legende des S. Filippo Benizzi, bildet sich die Gruppe coulissenartig ansteigend zur Pyramide; das eigentlich Dramatische, Bedeutend-Momentane kömmt nirgends besonders zu seinem Rechte; in der Anbetung der Könige (letztes Bild rechts) wird man die Hauptgruppe sogar befangen finden. Allein es ist durch diese Malereien die wonnigste Fülle neuer Lebensmotive verbreitet; man geniesst mit dem Maler das hohe Glück, schlichte Lebensäusserungen in der reinsten und vollkommensten Form, in edler Abwägung gegen einander, in weiter Räumlichkeit schön vertheilt anschauen zu können. Bei der Betrachtung des Einzelnen prägen sich zumal eine Anzahl von Gestalten des 1., 2. und 5. Bildes links unauslöschlich ein; trotz aller Verwitterung wird man im letztgenannten (Bekleidung des Aussätzigen) in der Gestalt des S. Filippo eine der höchsten Schöpfungen der goldenen Zeit erkennen. Die Geburt Mariä (vorletztes Bild rechts) ist die letzte, in lauter Schönheit aufgehende Redaction dieses Gegenstandes; noch Domenico Ghirlandajo erscheint neben diesem wunderbaren Reichthum einseitig und herb. Ausser den Bildern der ältern Meister (Alessio Baldovinetti's Geburt Christi, letztes Bild links, und Cosimo Rosselli's Einkleidung des S. Filippo, vorletztes links) haben die Schüler Andrea's hier noch ihr Bestes geleistet. Am nächsten steht ihm Franciabigio in der (durch den bekannten Hammerschlag verstümmelten) Vermählung Mariä, einem Werke des emsigen und begeisterten Wetteifers. In Pontormo's Heimsuchung, welche bei Weitem sein Hauptwerk ist, steigert sich die Auffassung Andrea's und Bartolommeo's mit äusserstem Kraftaufwand zu einem neuen Ganzen. Nur Mariä Himmelfahrt, von Rosso, zeigt den Styl Andrea's allerdings im Zustande der Verwilderung.

Ausserdem hat Andrea das einzige Abendmahl geschaffen, welches demjenigen Lionardo's wenigstens sich von Ferne nähern darf: das grosse, theilweise vortrefflich erhaltene, theilweise sehr entstellte Frescobild im Refectorium des ehemaligen Klosters S. Salvi bei Florenz. (Zehn Minuten vor Porta della Croce, von der Strasse links [887] seitab.) Der Moment ist der, dass Christus ein Stück Brod ergreift, um es in die Schüssel zu tauchen, während auch Judas, allein von Allen, bereits ein Stück Brod in der Hand hält. Die Charaktere sind nobel und kräftig aus dem Leben gegriffen, aber von der Hoheit derjenigen Lionardo's weit entfernt, welche Jeder eine ganze Gattung von Ausdruck gleichsam in der höchsten denkbaren Spitze darstellen. Auch hat A. der (allerdings ausserordentlich grossen) malerischen Wirkung zu Liebe seinen Leuten sehr verschiedene, zum Theil nichts weniger als ideale Gewänder gegeben; eine Abwechslung, deren schönen Erfolg das Auge empfinden kann lange bevor es sie bemerkt. Unbeschreiblich lebendig ist hier wie bei Lionardo das Spiel der Hände, welche allein schon ausdrücken, wie Christus den fragenden Johannes beruhigt, wie Petrus jammert, wie dem Judas zugesetzt wird. (Bestes Licht: Nachmittags.) – Franciabigio hat in diesem Gegenstande (Abendmahl im Refectorium von S. Giovanni della Calza in Florenz) den Meister bei Weitem nicht erreicht.

Den Höhepunkt von Andrea's Colorit und Vortrag im Fresco bezeichnet ausser diesem Abendmahl auch die Madonna del Sacco, in einer Lunette des Kreuzgangs der Annunziata.

Endlich aber giebt es eine Reihe einfarbiger Fresken, braun in braun, von seiner Hand, in dem kleinen Hof der Brüderschaft dello Scalzo (unweit S. Marco). Der Gegenstand ist das Leben des Täufers. Mit Ausnahme einiger frühen und zweier von Franciabigio ausgeführten sind sämmtliche Compositionen bei aller Unscheinbarkeit von den mächtigsten und freisten Schöpfungen der reifen Zeit Andrea's. Das ängstlich Architektonische der frühern Fresken in der Annunziata ist hier durch lauter Geist und Leben überwunden. Die Grenzen der Gattung, welche alle feinere Physiognomik, allen Farbenreiz ausschloss, scheinen den Meister erst recht gereizt zu haben, sein Bestes zu geben. Unter den frühern ist die Taufe des Volkes durch Johannes die höhere (und höchste) Stufe der bekannten Freske Masaccio's; unter den Spätern haben die Heimsuchung, die Enthauptung, sowie die Überbringung des Hauptes den Vorzug; unter den allegorischen Figuren die Caritas, welche das Bild im Louvre weit übertrifft. – Aus dieser Inspiration ist auch jene kleine geistvolle Predella mit den Geschichten von vier Heiligen in der Academie gemalt. [888] (Wo sich sonst von A. nichts Bedeutendes als das Bild der vier Heiligen befindet.) – Die beiden Geschichten Josephs (P. Pitti) geben in keiner Beziehung einen Begriff von dem Vermögen Andrea's.

Ausserhalb von Florenz enthält der Dom von Pisa, namentlich im Chor, eine Anzahl prächtig gemalter Einzelfiguren von Heiligen.

 

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Von den Schülern und Nachfolgern ist das Beste schon genannt worden. Von Franciabigio einige Historien (Breitbilder) mit kleinen Figuren in den Uffizien und im Pal. Pitti; gutes Porträt eines Mannes im Hut (1517) im Pal. Capponi. – Pontormo (1493–1558) ist überhaupt nur um seiner Bildnisse willen hochgeschätzt (Pal. Pitti: Ippolito Medici; – Uffizien: Cosimo der Alte, nach einem Profilbild des XV. Jahrh. trefflich neu redigirt); – seine übrigen Arbeiten sind je früher, um so besser wenigstens gemalt (Uffizien: Leda mit den vier Kindern in einer Landschaft; – Capella de' Pittori bei der Annunziata: Fresco einer Madonna mit Heiligen, noch ganz in der Art des Meisters; – Pinacoteca zu Bologna: Madonna mit Kind, hinter einer Bank stehend); – die spätern Werke erscheinen durch unberechtigten Aufwand wirklich oder vermeintlich schöner Formen schon manierirt (S. Felicita in Florenz 1. Cap. rechts, Kreuzabnahme; – Pal. Pitti: die 40 Märtyrer); – die Breitbilder mit Historien (Uffizien) sehr zerstreut. – Domenico Puligo verfing sich in die Farben- und Lichtwirkungen Andrea's; seine Formen wurden darob unbestimmt, sein Vortrag verblasen. (Pal. Pitti: heilige Familie, säugende Madonna; – Pal. Corsini in Florenz: Mehreres.) Als einer der frühsten Porträtmaler von Profession möchte er vielleicht mehr als ein Bildniss in Anspruch nehmen können, das jetzt als Werk des Meisters gilt. – Angelo Allori, genannt Bronzino (1499–1571), Schüler Pontormo's, wird als Historienmaler an keiner andern Stelle als bei den Manieristen unterzubringen sein. Als Bildnissmaler aber steht er in der bedeutenden und freien Auffassung keinem Zeitgenossen nach, auch den Venezianern nicht, so weit sie ihn in der Farbe übertreffen mögen, die bei ihm immer etwas Kalkiges behält. (In seiner Art: Pal. Doria in Rom: treffliches Porträt des Gianettino Doria; – Museum von Neapel: die beiden Geometer; – sodann sicher von ihm: Pal. [889] Pitti: der Geometer, grossartig im Geist eines Sebastian dal Piombo; – Uffizien: der junge Bildhauer; Dame im rothen Kleid; ein Jüngling mit einem Brief; rothbärtiger Mann in einer Halle; – sämmtlich so gemalt, als wären sie nur dem bedeutenden Charakter zu Liebe dargestellt; dagegen die Dame mit einem Knaben ein blosses, vielleicht mediceisches Porträt. – Pal. Corsini: mehrere Porträts. – Pal. del commune zu Prato: mediceische Porträts aus Bronzino's Schule. – Ähnliche geringere, mit spätern: in dem Gange, der von den Uffizien nach Ponte vecchio führt.)

Von Andrea ist auch Rosso de Rossi (Rosso Fiorentino, st. 1541 in Frankreich) abhängig. Er zeigt schon ganz besonders frühe den Weg, welchen die Entartung einschlagen würde. Die Formen Andrea's sind bei ihm bis ins Liederliche aufgelockert, um widerstandslos einer Composition durchaus nur nach grossen Farben- und Lichtmassen zu dienen. (Pal. Pitti: grosse Madonna mit Heiligen; – S. Lorenzo, 2. Altar rechts, Vermählung der Maria; – S. Spirito, auf einem Altar links: thronende Madonna mit Heiligen.)

 

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Noch einige Meister aus frühern florentinischen Schulen malen sich in dieser Zeit aus. Ridolfo Ghirlandajo, der Sohn Domenico's und später Schüler des Frate, hat in zwei Bildern der Uffizien (S. Zenobius, der einen todten Knaben erweckt, und das Begräbniss des S. Zenobius) entweder ein grosses Talent bekundet oder einen sehr glücklichen Wurf gethan. Bewegung, Gruppirung, Köpfe und Farben sind ganz der goldenen Zeit gemäss; einige Nachlässigkeiten z. B. in der Gewandung verrathen jedoch durch den Mangel an Ernst schon den künftigen Manieristen; – ein trefflich wahres und derbes Frauenporträt im Pal. Pitti (1509) zeigt, was er in der Ausführung konnte, wenn er wollte. – Die Fresken in der Sala de' Gigli des Palazzo vecchio (Schutzheilige und Helden) erscheinen schon als das Werk einer müden Phantasie, die sich auf das XV. Jahrh. zurückwirft. Anderes ist geradezu Manier. So schon das von Ridolfo und seinem Oheim Davide gemalte Bild in S. Felice (auf einem Altar links), eine Madonna del popolo. – Von Micchele di Ridolfo u. a. das [890] Bild der tausend Märtyrer, in der Academie; ein blosses fleissiges Actstudium.

Von einem zurückgebliebenen Schüler Filippino's, Raffaellin del Garbo, der sich später vergebens dem grossen Styl zuzuwenden suchte, ist eine Auferstehung (Academie) das einzige frühere Bild von Belang. In der Sacristei von S. Lorenzo eine Geburt Christi. In der von seinem Meister begonnenen Cap. Carafa in der Minerva zu Rom malte er das Gewölbe; jetzt sehr verdorben.

Giov. Ant. Sogliani, ein Schüler des Credi, hat in seinem schönsten Bilde, auf einem Altar links in S. Lorenzo, welches die des Martyriums harrenden Apostel darstellt, den Meister sowohl als Andrea del Sarto nahezu erreicht. (Auch die Predella, von dem sehr selten vorkommenden Bacchiacca, ist ein geistreiches Werk.) – In der Academie ausser geringern Bildern eine thronende Madonna mit Tobias, dessen Engel und S. Augustin, ebenfalls dem Credi nahe; – in den Uffizien: Madonna in einer Landschaft, schon nur schön gemalt; in der Sacristei von S. Jacopo eine Dreieinigkeit mit Heiligen, welche tüchtig und zum Theil noch ganz edel sind.

Giuliano Bugiardini, ein Künstler von schwankender Receptivität, schliesst sich an D. Ghirlandajo in der Geburt Christi (Sacristei von S. Croce) und nähert sich dann in der Behandlung dem Lionardo (säugende Madonna, in den Uffizien; grosse thronende Madonna mit S. Catharina und S. Antonius von Padua, in der Pinacoteca zu Bologna). Endlich verrückte ihm Michelangelo das Concept. Die berüchtigte Marter der heil. Catharina in S. M. novella (Cap. Ruccellai, beim Cimabue) ist die Marter des gewissenhaften Künstlers selber und ein lehrreiches Denkmal der Gährung, in welche der Meister des Weltgerichtes gewisse Gemüther versetzte. Man ahnt die ganze Qual der Motivjägerei.

 

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Über Rafael zu sprechen, könnte hier beinahe überflüssig scheinen. Er giebt überall so viel, so Unvergessliches, so ungefragt und unmittelbar, dass Jeder, der seine Gemälde sieht, ohne Führer zurechtkommen [891] und einen dauernden Eindruck mitnehmen kann. Die folgenden Andeutungen sollen auch nur die zum Theil versteckt liegenden Bedingungen dieses Eindruckes klar machen helfen.

Was in Rafaels Leben (1483–1520) als Glück gepriesen wird, war es nur für ihn, für eine so überaus starke und gesunde Seele, eine so normale Persönlichkeit wie die seinige. Andere konnten unter den gleichen Umständen zu Grunde gehen. Er kam bald nach seines Vaters Tode (Giov. Santi st. 1494) in die Schule des Pietro Perugino und arbeitete bei diesem bis etwa 1504. So war seine Jugend umgeben von lauter Bildern des gesteigerten Seelenausdruckes und der fast normalen Symmetrie. Die Schule konnte als eine zurückgebliebene, sehr unentwickelte gelten, sobald es sich um Vielseitigkeit der Zeichnung und Composition, um das Studium der ganzen Menschengestalt handelte, und selbst der Ausdruck ging gerade damals bei Meister Perugino in eine handwerksmässige Wiederholung des für innig und schön Geltenden über. – Es ist als hätte Rafael das gar nicht gemerkt. Mit dem wunderbarsten Kinderglauben geht er auf Perugino's (damals schon nur scheinbare) Gefühlsweise ein und belebt und erwärmt das erkaltende Wesen. Wo er als Gehülfe in die Bilder des Meisters hineinmalt, glaubt man die Züge aus Perugino's eigener besserer Jugend zu erkennen, so wie er immer hätte malen sollen 10); ebenso verhält es sich mit Rafaels eigenen frühern Arbeiten. In der Krönung Mariä (vatican. Galerie) tritt erst zu Tage, was die Richtung Perugino's vermochte; wie ganz anders, wie viel himmlisch reiner giebt hier Rafael die süsse Andacht, die schöne Jugend, das begeisterte Alter wieder, als diess der Meister je gethan hat! – abgesehen davon, dass er schon ungleich reiner zeichnet und drapirt. Die kleinen Predellenbilder dieses Altarblattes, in einem andern Saal derselben Galerie, zeigen schon beinahe florentinisch freie Formen [892] und Erzählungsweise. – Auch in der Vermählung Mariä (Mailand, Brera), mit dem Datum 1504, geht R. über die Composition seiner Schule weit hinaus; die vollkommenste Symmetrie wird durch die schönsten Contraste malerisch aufgehoben; die Momente der Ceremonie und die der Bewegung (in den stabbrechenden Freiern), die belebte Gruppe und der ernste, hohe architektonische Hintergrund (mit welchem andere Peruginer, wie z. B. Pinturicchio, so viel Kinderspiel trieben) geben zusammen ein schon fast rein harmonisches Ganzes. (Den Ausdruck der Köpfe wird man vielleicht weniger süss finden als auf mehrern Kupferstichen.) – Die kleine Madonna im Palazzo Connestabile zu Perugia, eines der ersten Juwelen der Miniaturmalerei, ist besser im Rund gedacht und von schönerer, leichterer Haltung als irgend ein ähnliches Bild der Schule; über dem vollkommenen Zauber der beiden Figuren und der reizenden Frühlingslandschaft mit den beschneiten Bergen vergisst man allerdings das Vergleichen 11). Man kann sagen, dass Rafael, als er gegen Ende des Jahres 1504 diese Schule verliess, nicht nur alle gesunden Seiten derselben völlig in sich aufgenommen hatte, sondern überhaupt ihren specifischen Geist weit reiner und höher in seinen Werken darstellte, als irgend einer seiner Schulgenossen.

 

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Er begab sich nach Florenz, welches gerade in jenem Augenblick der Sammelpunkt der grössten Künstler Italiens war; Michelangelo und Lionardo z. B. schufen damals in ihren (verlornen) Cartons die höchsten Wunder der historischen Composition; es war ein grosser Moment der Kunstgährung. Wer sich davon einen Begriff machen will, suche im linken Querschiff von S. Spirito in Florenz, am zweiten Altar links, das Bild mit der Jahrzahl 1505 auf, welches jetzt gewöhnlich dem Ingegno zugeschrieben wird; aus der Madonna und [893] den Heiligen sehen uns vier, fünf Maler verschiedener Schulen neckend entgegen.

Rafael liess sich nicht zerstreuen. Er fand unter den florentinischen Malern wie es scheint sehr bald denjenigen, welcher ihn gerade in seiner Weise am meisten fördern konnte: den grossen Fra Bartolommeo, der nicht sehr lange vorher nach mehrjähriger Unterbrechung sich von Neuem der Malerei zugewandt hatte. Dieser war meistens mit ähnlichen Aufgaben beschäftigt, wie die Schule von Perugia, nämlich mit Gnadenbildern, nur löste er malerisch was diese ungelöst liess; er stellte seine Heiligen und Engel nicht bloss symmetrisch neben und durcheinander, sondern er bildete aus ihnen wahre Gruppen und belebte sie durch Contraste und durch grandiose körperliche Entwicklung. Sein Einfluss auf Rafael war bestimmend; die Abrechnung zwischen beiden möchte wohl das Resultat geben, dass Rafael ihm die wesentlichste Anregung zur streng-architektonischen und dennoch ganz lebendigen Compositionsweise verdankt habe. (Er hat später, vgl. S. 881, d, auf den Frate zurückgewirkt.)

Die frühste Äusserung dieses Einflusses erkennt man in dem Frescobilde womit Rafael 1506 eine Capelle des Klosters S. Severo in Perugia schmückte. Die Verschiebung des Halbkreises von Heiligen, welche auf Wolken thronen, geht schon weit über den peruginischen Horizont; hier ist nicht bloss Abwechselung der Charaktere und Stellungen, sondern höherer Einklang und freie Grösse. Der Contrast der obern peruginischen und der untern florentinischen Engel spricht noch deutlich die damalige innere Theilung des Künstlers aus.

In seinen Tafelbildern (vermuthlich) aus den Jahren 1504–1506 hat er noch mehr von der frühern Art an sich, so in der Madonna mit 4 Heiligen und der dazu gehörenden obern Lunette im königl. Schloss zu Neapel, auch noch in der Madonna del Granduca 12). Die Letztere hat noch ganz die stumpfe, befangene Draperie Perugino's, ist aber im hohen Ausdruck des Kopfes und in der schönen Anordnung des Kindes schon eine der grössten Machtäusserungen von [894] Rafaels Seele, sodass man ihr manche spätere, vollkommnere Madonna schwerlich vorziehen möchte.

Schon entschiedener florentinisch und mehr bewegt ist die kleine Madonna mit den Nelken, in der Galerie Camuccini zu Rom. Vielleicht ein Bild der Befangenheit, welche ersten Schritten in einer neuen Richtung eigen ist; eine fast genreartige Mutter des Christuskindes, im Hauskleid, mit absichtlich gedämpften Farben; übrigens so gedacht und ausgeführt, dass an der Echtheit doch nicht zu zweifeln ist. (Die beiden zusammengesetzten Täfelchen mit heiligen Frauen in derselben Sammlung stammen noch aus R.'s peruginischer Zeit.)

Rafael lebte 1506–1508 zum zweitenmal in Florenz und diese Periode war bereits sehr reich an bedeutenden Bildern, von denen nur die meisten ins Ausland gegangen sind. Doch gewähren die in Italien gebliebenen wenigstens einen genügenden Faden für die Erkenntniss seiner innern Entwicklung.

Auch jetzt sehen wir ihn wählen; von dem festen Grund aus, zu welchem ihm der Frate verholfen 13), greift er mit dem sichersten Takte nur nach dem was ihm innerlich gemäss ist. Die Breite des Lebens, welche noch das Thema der meisten damaligen Florentiner ist, berührt auch ihn, aber nur soweit sie das Höchste nicht beeinträchtigt: den Ausdruck der Seele und die allmälig in ihm zur sichern Form gedeihenden Grundgesetze der malerischen Composition.

Man vergleiche nur seine damaligen Madonnen mit denjenigen der Florentiner; selbst diejenigen Lionardo's (Vierge aux rochers, Vierge aux balances im Louvre) werden sich als weniger hoch gedacht, als [895] in einem irdischen Beginnen befangen erweisen, der übrigen nicht zu gedenken. Rafael hat schon durch den architektonischen Ernst seiner Gruppenbildung einen Vorsprung, noch mehr aber durch den hohen Ernst der Form, welcher ihn von allen bloss zufälligen Zügen des Lebens fern hielt. Der Intention nach will seine Madonna nicht mehr sein als ein schönes Weib und eine Mutter, wie bei den Florentinern auch; seine Absicht ist (die eigentlichen Gnadenbilder ausgenommen) nicht erbaulicher als die der letztern; wenn man dennoch das Höchste darin findet, so muss diess andere Gründe haben.

Die Antwort liegt in der Madonna del Cardellino (in der Tribuna der Uffizien; die als Gegenstück aufgestellte Madonna del pozzo scheint von einem Niederländer oder Lucchesen nach rafaelischen Erinnerungen gearbeitet). Die einfachste denkbare Pyramidalgruppe, durch das Überreichen des Hänflings mässig belebt; man wird vielleicht in den reizenden Formen, dem reinen Ausdruck den vollen Werth des Bildes suchen; dieselben würden aber weniger wirken, ja vielleicht verloren gehen, ohne die haarscharf abgewogene Harmonie der einzelnen Theile in Form und Farbe. Bei Rafael wirkt immer das Einzelne so stark und unmittelbar, dass man darin das Wesentliche zu finden glaubt, während doch der Reiz des Ganzen unbewusster Maassen das Bestimmende ist.

Die höhere Stufe der Mad. del Cardellino ist dann die bekannte Belle Jardinière im Louvre.

Ein Räthsel bleibt die Madonna del Baldacchino im Pal. Pitti. Rafael liess sie bei seiner Abreise nach Rom unvollendet; später, als sein wachsender Ruhm dem Bilde eine neue Aufmerksamkeit zuwandte, wurde, man weiss nicht durch wen, daran weiter gemalt. Endlich liess Ferdinand, Sohn Cosimo's III, dasselbe etwa um 1700 durch einen gewissen Cassana mit einem Anschein von Vollendung versehen, hauptsächlich mittelst brauner Lasuren. Die ungemein schöne Anordnung des Kindes zur Madonna (z. B. die Begegnung der Hände), die im grossartigen Styl des Frate zusammengestellten Figuren links (S. Petrus und S. Bernhard) gehören wohl Rafael an; vielleicht auch der Oberkörper des Heiligen mit dem Pilgerstab rechts; dagegen möchte der heil. Bischof rechts von ganz fremder Hand dazu componirt sein. Die beiden köstlich improvisirten Putten an den Stufen [896] des Thrones gehören ebensosehr der Weise des Frate als der Rafaels an; von den beiden Engeln oben ist der schönere aus dem Fresco von S. Maria della Pace in Rom offenbar entlehnt, woraus hervorgeht, dass der erste Vollender jedenfalls erst nach 1514 über das Bild kam.

 

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In seinen florentinischen Bildnissen steht Rafael schon als der grosse Historienmaler da, der aus dem Zufälligen das Charakteristische, aus dem Vorübergehenden das Ewige auszuscheiden weiss. Vielleicht an dieser Stelle zeigt sich der einzige kenntliche Einfluss Lionardo's auf Rafael, sowohl in der Auffassung als in demjenigen Fleiss der Modellirung, welchem kein Detail der Form zu gering ist, sobald es sich um den ganzen und vollen Charakter handelt. Wenn wir von zwei sehr schönen Köpfen andächtiger Mönche in der flor. Academie (Saal der kleinen Bilder) absehen, welche noch aus der ersten florent. Periode sein könnten, so wären die Bildnisse des Angelo und der Maddalena Doni (im Pal. Pitti) seine frühsten bekannten Arbeiten dieser Gattung (1505). Dasjenige der Frau zeigt einen unverkennbaren Anklang an die Gioconda Lionardo's (im Louvre), nicht bloss in den Äusserlichkeiten, sondern dem innersten Kerne nach. Manches ist noch unfrei, z. B. die Stellung der Hände, auch die Farbe, allein die Auffassung des Charakters und die Haltung ist völlig unbefangen. Von allen Zeitgenossen hätten nur wiederum Lionardo und etwa Giorgione damals etwas ebenso Werthvolles hervorbringen können.

Das Bildniss in der Tribuna der Uffizien, welches ebenfalls Maddalena Doni heisst, dem andern Bild aber wie eine ältere, etwas leidende Schwester gleicht, möchte wohl früher, etwa bald nach der Ankunft in Florenz gemalt sein, als R. noch peruginischer dachte und die Gioconda noch nicht kannte. Es ist ein so herrliches und (z. B. in der Anordnung der Hände) bedeutendes Bild, dass die Zweifel an der Echtheit kaum berechtigt scheinen. Unzweifelhaft echt ist jedenfalls R.'s eigenes Porträt in der Sammlung der Malerbildnisse ebenda (vom Jahr 1506?), von leichter, anmuthiger Haltung und höchst meisterhafter Malerei. – Endlich enthält die Galerie Pitti (unter N. 229, Saal der Iliade) das Bildniss einer Frau von etwa 35 Jahren, [897] in florentinischer Tracht, welches dem R. zugeschrieben wird und jedenfalls von erstem Range ist. Es scheint von einem künftigen Meister des Helldunkels gemalt, was Rafael nie wurde, auch zeigen die Flächen der Leinewand und der Damastermel eher etwa die Behandlungsweise des Andrea del Sarto. Die Modellirung ist wunderbar schön und fleissig, wie sie Andrea's spätere Arbeiten allerdings nicht mehr aufweisen. Die Verkürzung der einen Hand hätte der so weit ausgebildete Rafael unbedingt besser gegeben. – Der Charakter des Kopfes erzählt eine ganze Jugendgeschichte voll Liebe und Güte.

 

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Im Jahr 1507 malte Rafael auch sein erstes grosses bewegtes Historienbild; es ist die Grablegung in der Galerie Borghese zu Rom. Ein Werk der höchsten Anspannung aller Kräfte, noch nicht frei von gewissen Befangenheiten (z. B. in der Anordnung der Füsse), mit einzelnen Gesichtsformen, welche schon auf ein abgeschlossenes und damit der Manier sich näherndes Ideal hindeuten, wovon R. sich später wieder frei machen musste. Aber ein ewig grosses Wunderwerk der Linienführung, der dramatischen und malerischen Gegensätze, und des Ausdruckes. Es genügt z. B. die Vertheilung der physischen Anstrengung und der Seelentheilnahme zu verfolgen, um R. allen Zeitgenossen vorzuziehen. Der Christusleichnam ist in Form und Verkürzung vollkommen edel. – Die Predella dazu, grau in grau die Figuren von Glaube, Liebe und Hoffnung in Rundbildern auf grünlichem Grunde darstellend, mit je zwei Engelknaben zu den Seiten, befindet sich in der vaticanischen Galerie. Es sind scheinbar nur leichte Skizzen, aber schon in Composition und Geberde liegt ein Ausdruck, den man nicht bezeichnender wünschen möchte. Mit möglichst Wenigem ist hier möglichst Grosses gegeben. (Die obere Lunette, Gottvater mit Engeln, findet sich noch in S. Francesco de' Conventuali zu Perugia, wo einst das ganze Werk stand, aber nicht über der Copie desselben von Arpino, sondern über einem Altarbild der rechten Seite, die Geburt Christi von Orazio Alfani.)

Mit diesem entscheidenden Werke legitimirte sich Rafael als derjenige, der allein neben Michelangelo die Gedanken Papst Julius II ganz würdig ausführen konnte. Der Papst berief ihn 1508 nach Rom, [898] wo er die zwölf noch übrigen Jahre seines kurzen Lebens hindurch jene unbegreiflich reiche Thätigkeit entfaltete, die als moralisches Wunder einzig dasteht. Nicht die Höhe des Genies, sondern die Gewalt der Willenskraft ist das grösste daran; jene hätte ihn nicht vor der Manier geschützt; diese war es, die ihn nie auf den Lorbeern ausruhen, sondern stets zu höhern Ausdrucksweisen emporsteigen liess. – Die grosse Menge der Aufträge, der Ruhm und die alles übertreffende Schönheit der Werke sammelten bald eine Schule um Rafael; dieser musste er in der spätern Zeit die Ausführung selbst ganzer grosser Unternehmungen überlassen; es waren Menschen der verschiedensten Anlage, zum Theil geringe Charaktere, aber so lange der gewaltige Abglanz von der Gestalt des Meisters auf ihnen ruhte, schufen sie in seinem Geist. Ihre baldige Ausartung nach seinem Tode zeigt noch einmal von der Kehrseite, was Er gewesen sein muss.

 

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Wir beginnen mit den noch in Italien vorhandenen Staffeleibildern, welche trotz der inzwischen eingetretenen Gewöhnung des Meisters an die Frescomalerei ihren besondern Charakter vollkommen beibehalten, sodass in ihnen gerade die höchsten Aufgaben der Ölmalerei, die in R.'s Bereiche lagen, gelöst sind. Als gewissenhaftester aller Künstler that er sich auch in der Technik nie genug. Wenn man aber von ihm die Farbengluth Tizians und das Helldunkel Coreggio's verlangt, so zeigt diess ein gänzliches Verkennen seines wahren Werthes. Keines seiner Gemälde würde durch das Hinzukommen dieser Eigenschaften irgend wesentlich gewinnen, weil keines darauf gebaut ist. Was man dagegen wohl bedauern darf, ist das spätere Nachschwärzen seiner Schatten, die im Augenblick der Vollendung gewiss viel lichter waren. Den Beweis liefert z. B. Andrea del Sarto's Copie nach dem Bildniss Leo's X, welche sich im Museum von Neapel befindet; mit chemisch günstigern Farben in den Schatten ausgeführt, zeigt sie, wie das Original (im Pal. Pitti) ursprünglich gestimmt gewesen sein muss.

Die Madonnen dieser römischen Zeit sind grösstentheils im Auslande. Von der Madonna di Casa d'Alba, einem Rundbilde mit ganzen Figuren in einer Landschaft, enthält z. B. die Galerie Borghese eine [899] alte Copie; ein köstlicher Nachklang der florentinischen Madonnen, nur mehr bewegt. Die Mad. della Tenda in der Turiner Galerie gilt als eigenhändige Wiederholung des in München befindlichen Bildes; ebenso ist wohl an der Echtheit des sog. Réveil de l'enfant 14) im Museum von Neapel nicht zu zweifeln, obschon das in England befindliche Exemplar schöner sein soll. Die unendliche Anmuth dieses Bildes, womit es den Sinn des Beschauers traumhaft umfängt, hat wieder ihren tiefsten Grund nicht in den sehr schönen Formen und Zügen, sondern in den überaus vollkommenen Linien, im Gang der Bewegung der Mutter und des Kindes, in der Lichtvertheilung.

Kein einziges dieser Bilder giebt durch direkte Andeutungen zu erkennen, dass die Mutter Gottes gemeint sei. Es ist nur die reinste Schönheit des Weibes und des Kindes, die den Gedanken an das Übernatürliche erweckt. Die Kunst ist nach anderthalb Jahrtausenden wieder einmal auf derjenigen Höhe angelangt, wo ihre Gestalten von selbst und ohne alle Zuthaten als etwas Ewiges und Göttliches erscheinen.

Und nun stimmt sich Rafael einmal herab und malt vielleicht nur die schönste Italienerin in Gestalt der Madonna della Sedia (Pal. Pitti). Abgesehen von dem Reiz der Formen und von der nicht wieder so erreichten Composition im Rund wirkt hier der Ausdruck des Mütterlichen, in Verbindung mit der herrlichen Volkstracht, ganz besonders stark. Es ist das Lieblingsbild der Frauen.

Von den heiligen Familien ist eine der vorzüglichsten, wie es scheint, spurlos verschwunden: die Madonna aus dem Schatz von Loretto. Das Exemplar im Louvre ist nicht besser als einzelne andere gute Schulcopien, deren z. B. das Museum von Neapel zwei enthält (eine davon in der Sammlung des Prinzen von Salerno). Das Motiv ist bekannt: Maria hebt von dem ihr entgegenlachenden, auf einer Bank liegenden Kinde das Leintuch auf, während Joseph zusieht; im Hintergrunde ein grüner Vorhang; die beiden Halbfiguren meist kaum unter Lebensgrösse. Es ist eine häusliche Scene, aber gereinigt von dem Kleinbürgerlichen der Nordländer, von dem Renaissanceprunk [900] der Florentiner, ausgeprägt in den höchsten Formen und Linien.

Theilweise von R. componirt und auch ausgeführt ist die Madonna dell' Impannata (d. h. des Tuchfensters) im Pal. Pitti. Waren vielleicht Maria, Elisabeth, die junge Frau links und das Kind ursprünglich zu einem Rundbilde entworfen, welches sich abwärts etwa bis zum Knie der Elisabeth erstreckt hätte? (wobei das Stehen der Maria auf einem andern Plan als die übrigen nicht so auffallen würde) – oder welches Atelier-Geheimniss waltet hier ob? Der ganz ausserhalb der Gruppe sitzende Johannes ist jedenfalls ein späterer Gedanke, wenn ihn auch Rafael selbst vorgezeichnet haben mag. Über die Theile, die er gemalt hat, herrscht ein Streit, welchen Andere schlichten mögen. Der Moment ist einer der liebenswürdigsten; die beiden Frauen haben das Kind gebracht und überreichen es der Mutter; während der Knabe sich noch lachend nach ihnen umwendet, fasst er kräftig das Kleid der Maria, welche zu sagen scheint: „Seht, er will doch am liebsten zu mir.“

Feierlicher ist die Scene in der Madonna col divino amore (Museum von Neapel). Elisabeth wünscht dass das Christuskind den kleinen links knieenden Johannes segne und führt diesem sachte die Hand; Maria betet wie bestätigend dazu; mit Recht hat sie das auf ihrem Knie sitzende Christuskind losgelassen, denn wer segnen kann, der kann auch fest sitzen 15). Gerade an Zügen dieser Art ist die spätere Kunst so arm! – Die Ausführung gilt überwiegend als Schülerarbeit.

Ganz in der Nähe hängt Giulio Romano's Madonna della Gatta, eine in seinen Styl übersetzte Wiederholung des nach Madrid gekommenen Bildes „la perle“ von Rafael. Was der Schüler hinzugethan hat, ist lauter Entweihung, die Katze, die Umbildung der Elisabeth zur Zigeunerin, mehrere andere Zuthaten. – Ähnlich verhält es sich mit Giulio's Madonna della lucertola (Pal. Pitti), nur dass hier wahrscheinlich schon das für rafaelisch geltende Original, [901] ebenfalls in Madrid, nicht ganz von der Erfindung des Meisters ist. Schöner und fleissiger gemalt als die Mad. della Gatta, wirkt das florentinische Bild doch nur wie eine Zusammenstellung von Motiven (ein sog. Pasticcio) nach Rafael.

(Die Madonna ai Candelabri, ehemals in Lucca, ist seit langen Jahren nach England verkauft.)

 

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Nur wenige Gnadenbilder, in welchen Maria thronend oder verklärt erscheint, sind von Rafael vorhanden. Das frühste derselben, noch mit einem kenntlichen florentinischen Nachklang, ist die Madonna di Foligno (in der vatican. Galerie) vom Jahr 1512. Als Mutter Gottes mit Heiligen erreicht diess Bild gerade alles Das, was die Florentiner gern erreicht hätten; ein gewaltig erhöhtes geistiges Leben in den Heiligen; der innigste Bezug zum gläubigen Beschauer sowohl als zur Jungfrau; letztere übrigens nur als ideale Mutter, nicht als Königin des Himmels, das Kind sogar mit einem Zug der Unruhe – und doch Beide so hoch über der Madonna del Baldacchino, als die begleitenden Heiligen des Bildes über denjenigen des letztgenannten. Und welcher florentinische Kinderengel, welche frühere Kindergestalt Rafaels selbst würde dem göttlich holden Engelknaben gleichkommen, welcher mit der Schrifttafel vorn zwischen den Heiligen steht? Deutlich spricht das ganze Bild aus, dass der Meister inzwischen die grosse monumentale Historienmalerei gepflegt und dass diese ihn über die letzten Schranken hinweggeführt hat. Der knieende Donator, Sismondo Conti, ist der gleichzeitigen Bildnisse R.'s vollkommen würdig und dabei von einer trostvoll rituellen Andacht beseelt, die sich von der Ekstase des heil. Franz, von der Aufregung des Johannes und Hieronymus merkwürdig unterscheidet.

Später, in der sixtinischen Madonna (zu Dresden) erreichte und bezweckte Rafael allerdings ein Höheres; der Ausdruck des Übernatürlichen wird nicht bloss durch ideale Form, sondern durch die visionäre Raumbehandlung, durch das Einherwallen auf den Wolken, durch den hochfeierlichen Schwung des Gewandes erzielt. In der Madonna von Foligno ist selbst die sitzend schwebende Hauptfigur noch wie in einem bestimmten Raum behandelt und alles Übrige [902] vollends irdisch wirklich. Ein Gemälde, das schon seiner Gattung nach – als Processionsfahne – eine Ausnahme bilden mochte (wie diess bei der sixtin. Mad. mit Wahrscheinlichkeit angenommen wird), darf indess nicht als Norm für Altarbilder dienen.

Von der Madonna del pesce, welche mit so manchem Meisterwerk unter den spanischen Vicekönigen aus Neapel nach Spanien kam, findet man in S. Paolo zu Neapel (im Durchgang aus der Kirche zur Sacristei) noch eine alte Copie. In dieser höchst liebenswürdigen Composition ist Maria wieder in die Mitte der Heiligen herabgerückt, wie in der Mad. del baldacchino, aber die hohe Auffassung der Formen, der reine Schwung der Composition zeugt von der spätern, vollendeten Epoche des Meisters.

So hat denn Rafael, mit einziger Ausnahme der sixtinischen Madonna, überall in seiner Maria nur das Weibliche nach allen Kräften verklärt und es darauf ankommen lassen, ob man die Mutter Gottes, die Königin der Engel, die mit allem Glanz der Mystik gefeierte Herrin des Himmels darin erkennen werde oder nicht. Er ist immer so wenig symbolisch als möglich; seine Kunst lebt nicht von Beziehungen, die ausserhalb der Form liegen, – so sehr ihm auch das Symbolische da zu Gebote stand, wo es hingehört, wie die Fresken im Vatican zeigen. Auch sein Christuskind ist mit einziger Ausnahme des grandios unheimlichen Knaben auf dem Arm der sixtin. Madonna nur der reinste Hauch kindlicher Schönheit. Italien ist reich gesegnet in dieser Hinsicht, sodass dem Maler oft nur die Wahl schwer fällt, und seit Lippo Lippi und Luca della Robbia hatte die Kunst unermüdlich nach der höchsten Beseelung der Kindesgestalt gestrebt; Rafael kam und zog das Resultat. Sein Christus- und sein Johanneskind zeigen mit Ausnahme der frühsten, peruginisch-sentimentalen Bilder nichts als das schönste Jugendleben, dessen gesunde Äusserung indess nur bis an die Grenzen des Schalkhaften verfolgt wird und erst bei Giulio Romano (anderwärts bei Andrea del Sarto) in das Muthwillige übergeht, um endlich bei spätern Generationen in das Süssliche zu fallen.

Dieses blosse schöne Dasein, welches das Wesen des Kindes ist, hört auf mit der ersten Thätigkeit. Es giebt von R. keine Darstellung [903] des zwölfjährigen Lehrers im Tempel 16); wohl aber die eines begeisterten Knaben Johannes (das Original vielleicht das Bild in Darmstadt; ein anderes neben vielen Copien als wenigstens zum Theil eigenhändig anerkanntes Exemplar in der Tribuna der Uffizien zu Florenz; eine alte Schulcopie in der Pinacothek zu Bologna). Der mächtig strenge Ausdruck des herrlichen Kopfes und der äusserst wirksame Gegensatz zwischen dem aufrechten Sitzen und der diagonalen Bewegung lässt über die Mischung der Formen hinwegsehen, welche zum Theil knabenhaft, zum Theil mehr ausgebildet männlich sind. Im Ganzen wird man Rafael (auch gegen Tizian) darob Recht geben, dass er den Täufer als Einzelfigur ganz jung bildete; diese Schönheit ist das allein richtige Gegengewicht gegen die Busspredigt, wenn nicht durch Zuthat anderer Figuren eine ganz neue Rechnung eintritt. – Das Rohrkreuz, auf welches Johannes hinweist, bietet in seiner Biegung die einzig harmonische Linie dar.

 

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Endlich noch drei Werke der römischen Zeit, welche jedes in seiner Weise für die Darstellung des Übernatürlichen unvergleichlich gross sind.

Das eine ist symbolischer Art: die Vision Ezechiels, im Pal. Pitti; klein, höchst fleissig obwohl nicht miniaturartig ausgeführt. – Das Mittelalter hatte die aus dem alten Testament und der Apokalypse entnommenen Symbole dem Wortlaut nach symmetrisch gebildet, imposant durch den Ernst der Überzeugung, und auch für unser Gefühl überwältigend durch die Ideenassociation, die sich an derartige Äusserungen der alten Kirche knüpft. – Rafael übernahm den [904] Gegenstand und bildete ihn im Geiste der grossartigsten Schönheit um, so weit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Verschiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Ausdruck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engelkindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Segnens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf welche seine Füsse sinken, sind bloss geschickt hinzugeordnet; sie blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den vier Sinnbildern willkürlich nennen; hätten wir aber nur viel von dieser Willkür! – Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Abtheilungen der Loggien fallen. (Das florent. Exemplar wird mannigfach angezweifelt, dasjenige welches 1852 im Besitz des Capitäns Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.)

Das zweite Werk giebt das Übernatürliche durch Spiegelung in einer Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. Cäcilia (in der Pinacothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvisirten, obern Gruppe gab Rafael den Gesang, dessen Sieg über die Instrumente hier dem an sich unmalbaren Sieg himmlischer Töne über die irdischen mit einer wiederum bewundernswerthen Symbolik substituirt wird. Cäcilia ist mit grosser Weisheit als reiche, auch sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus, innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift in seiner Hand deutet an, dass in Gegenwart der himmlischen Harmonien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschieden erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich theilnahmlos gebildet, um die leise Scala des Ausdruckes in den vier Übrigen dem Beschauer recht zum Bewusstsein zu bringen, übrigens [905] eine der grossartig schönsten Figuren Rafaels. Die wahren Grenzen, innerhalb welcher die Inspiration Mehrerer darzustellen ist, sind in diesem Bilde mit einem Takt festgehalten, welcher den spätern Pfingstfestmalern völlig fremd ist.

(Leidlich erhalten und restaurirt, mit Ausnahme der roh übermalten Luft. Hr. Alboresi in Bologna besitzt eine Wiederholung der Hauptfigur, welche von glaubwürdiger Seite als erste, höchst vortreffliche Probe von Rafaels eigener Hand bezeichnet wird.)

Das dritte Gemälde, das letzte Rafaels, welches er unvollendet hinterliess (1520), ist die Transfiguration, in der vaticanischen Galerie. Hier wird durch einen dramatischen Gegensatz, den man ungeheuer nennen darf, das Übernatürliche viel eindringlicher dargestellt als alle Glorien und Visionen der ganzen übrigen Malerei diess vermocht haben. Allerdings sind zwei ganz verschiedene Scenen auf dem Bilde vereinigt, ein Wagestück, das wahrlich nicht Jedem zu rathen wäre; es geschah eben nur hier und nur zu diesem Zwecke. – Unten am Berg die Leute, welche den besessenen Knaben gebracht haben, und die Jünger, rathlos, mitleidig, aufgeregt, selbst im Buch nach Hülfe suchend, auch lebhaft empordeutend nach dem Berg, auf welchen ihr Meister gegangen; der Besessene selbst vor Allem merkwürdig als eine der wenigen Gestalten aus dem Gebiete der Nacht, die Rafael geschaffen und die beim entsetzlichsten Ausdruck doch seine hohe Mässigung so glanzvoll verräth; die jammernde Frau auf den Knieen vorn ist gleichsam ein Reflex des ganzen Vorganges.

Niemand von ihnen allen sieht was auf dem Berge vorgeht und der Bibeltext erlaubte es auch gar nicht; die Verbindung beider Scenen existirt nur im Geiste des Beschauers. Und doch wäre die eine ohne die andere unvollständig; es genügt, die Hand vor die obere oder vor die untere zu halten, um zu erkennen, wie sehr das Gemälde ein Ganzes bildet. – Oben schwebt Christus, und wie durch eine magnetische Kraft zu ihm hingezogen schweben auch Moses und Elias; ihre Bewegung ist keine selbständige. Unten liegen die geblendeten Jünger und links erblickt man die heil. Diacone Stephanus und Laurentius, wahrscheinlich nur als Patrone der Kirche, für welche das Bild ursprünglich bestimmt war. – Form und Ausdruck des Christus sprechen eines jener grossen Geheimnisse der Kunst aus, um welche [906] sich bisweilen lange Jahrhunderte vergebens bemühen. Das Bild, welches sich die gläubige Phantasie von der Verklärung auf dem Berge Tabor macht, ist absolut nicht darstellbar, weil ein helles Leuchten der Gestalt, d. h. eine Aufhebung alles Schattens, also auch aller Modellirung des Körpers dabei vorausgesetzt wird; Rafael substituirte das Schweben 17). Ferner wird die Verklärung ausschliesslich als Machtäusserung in Bezug auf die Anwesenden gedacht; Rafael dagegen strebte nicht nach dem Ausdruck der höchsten Herrlichkeit, welcher am Ende in einer kalten Symmetrie erstarren müsste, sondern nach dem der höchsten Seligkeit; sein Christus ist ganz Wonne und damit schon von selbst herrlicher, als er durch den Ausdruck der Macht irgend hätte werden können; er ist es, selbst abgesehen von den colossalen Contrasten zu den befangenen Jüngern und gar zu der Scene des Jammers unten. Sein emporgerichteter Blick erscheint durch die Vergrösserung und weite Distanz der Augen ausserordentlich verstärkt; Rafael ging hierin nicht weiter als die Griechen auch, bei welchen ziemlich oft die Normalbildung irgend einer charakteristischen Schärfung weichen muss 18). – Wem nun dieser Christus noch immer nicht genügt, der suche erst darüber ins Klare zu kommen, woran es fehle, und was man von der Kunst überhaupt verlangen dürfe. Es ist möglich, dass in manchen Gemüthern z. B. der Weltrichter des Orcagna, der Cristo della moneta Tizians, der Christus in Rafaels Disputa andere und stärkere Saiten des Gefühls berührt, tiefere Ideenfolgen erweckt, allein für eine Verklärung auf Tabor gab der Meister hier eine so hohe Form, dass wir froh sein müssen, ihm irgendwie folgen zu können. – Die Ausführung gehört in der untern Hälfte wohl fast ganz den Schülern an, entspricht aber gewiss im Ganzen R.'s Absicht, mit Ausnahme natürlich der nachgedunkelten Schatten. Die ungemeine Kraft der Farbe, verbunden mit der fast venezianischen Harmonie wenigstens in der obern Gruppe, zeigt, dass R. bis zum [907] letzten Augenblick seines Lebens neue Mittel der Darstellung zu bewältigen suchte. Als Künstler von Gewissen konnte er gar nicht anders. Wer ihm daraus einen Vorwurf macht und von „Abfall“ redet, kennt ihn nach seinem innersten Wesen nicht. Das ewig grosse Schauspiel, wie Rafael sich als Künstler consequent ausbildet, ist schon an sich mehr werth, als irgend ein Verharren auf einer bestimmten Stufe des Idealen, z. B. auf dem Darstellungsprincip der Disputa, sein könnte. Und überdiess verharrt man nicht ungestraft; die „Manier“ wartet schon vor der Thür.

Von der Bestellung des Bildes wissen wir nichts Näheres. Es ist möglich, dass Cardinal Giulio de' Medici nichts verlangte als einen Salvator mit S. Stephanus und S. Laurentius, und dass Rafael alles Übrige hinzuthat. Schon Fra Bartolommeo hatte in seinem herrlichsten Bilde (S. 882) den Salvator zwischen vier Heiligen von freien Stücken als den Auferstandenen dargestellt; Rafael stieg eine Stufe höher und gab den Verklärten. Eine Seite weiter im Evangelium steht die Geschichte von dem besessenen Knaben – welch ein Augenblick mochte das sein, da dem Künstler der Gedanke an eine Verbindung beider Scenen aufging!

 

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Die Porträts der römischen Zeit Rafaels bilden eine Reihe ganz anderer Art als diejenigen des Tizian, des Van Dyck und Anderer, welche vorzugsweise als Porträtmaler berühmt waren. Zwischen den grössten Historienbildern und Fresken gemalt, sind sie in der Auffassung höchst verschieden; jedes trägt den Abglanz derjenigen Stimmung, welche in dem betreffenden Augenblick den Historienmaler beseelte. Bekanntlich war er auch in den Fresken nichts weniger als sparsam mit Bildnissfiguren.

Von den in Italien befindlichen Bildnissen ist zuerst zu nennen: Papst Julius II. (Im Pal. Pitti; das Exemplar in der Tribuna der Uffizien gilt als alte Copie, und ist es auch mit Ausnahme des Kopfes, dessen hohe Vortrefflichkeit wohl nur durch R.'s eigene Arbeit sich erklären lässt.) Die malerische Behandlung ist wunderbar schön und in aller Einfachheit reich; der Charakter so gegeben, dass man die Geschichte des gewaltigen Greises erst durch dieses Bild recht verstehen lernt. [908]

Leo X, mit den Cardinälen de' Rossi und Giulio Medici. (Im Palazzo Pitti. – Die Copie des Andrea del Sarto im Museum von Neapel, vgl. S. 898 a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Original ausgegeben, während ausserhalb Neapels schon längst jeder Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche Grösse, sodass z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein scheinen, als sie im Verhältniss gemeint sind. Die Begleitung durch zwei Cardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der Charakter Leo's X hier und in den Fresken gewährt eine merkwürdige Parallele, was auch für Julius II gilt. Durch Lichtwechsel und Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Roth eine ganz harmonische Scala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zuthaten (Glocke, Buch, Vergrösserungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charakteristik.

Cardinal Bibbiena (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränkliche grossartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswürdigkeit eine Parallele zu Van Dyck's Cardinal Bentivoglio (ebenda), welcher bei weitem absichtlicher erscheint.

Fedra Inghirami, ein römischer Prälat und Alterthumsforscher. (Pal. Pitti.) Der Thersites Rafaels; gegenwärtig würde er wie alle Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des Schielens 19) gemalt werden; Rafael aber umging das Charakteristische nicht, sondern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das geistige Forschen auszudrücken im Stande war. Die starke Beleibtheit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal collegialischer Achtung, aus der Zeit, als R. die römischen Alterthümer studirte.

Bartolus und Baldus“, richtiger: Navagero und Beazzano (Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf Einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen, wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den übrigen [909] Bildnissen herrscht hier der Styl eines historischen Denkmals, eine freie Grösse, welche zu jeder That bereit scheint und in jedem Geschichtsbilde ihre Stelle fände. Die Ausführung, soweit sie unberührt geblieben, ist höchst gediegen.

Der Violinspieler (Palazzo Sciarra in Rom). Rafael malte im Jahr 1518 gewiss keinen Virtuosen auf dessen Bestellung. Wahrscheinlich ein Günstling des überaus musikliebenden Leo X. Im höchsten Grade interessant, sodass die Phantasie den Lebensroman dieses Unbekannten von selbst aufbaut. Der Pelz, welchen der junge Mann nöthig hatte, ist mit Raffinement behandelt.

Von dem Porträt der Johanna von Aragonien sind alle bessern Exemplare im Norden. Einem unbekannten Nachfolger Lionardo's hatte die prachtvolle Repräsentation, welche die Seele dieses Porträts ausmacht, so eingeleuchtet, dass er es, mit dem stereotypen Idealkopf seiner Schule, wiederholte. Diess ist das Bild im Pal. Doria zu Rom. Es stellt nicht mehr jene bestimmte Dame vor und ist nicht von Lionardo, giebt auch weder die Lichtwirkung noch die Nebensachen des besten Originals (im Louvre) irgend genau wieder. Der süsse und milde Kopf will gar nicht mehr zu all dem Pomp von Seide und Sammet und zu der gebietenden Haltung passen.

Die Improvisatorin Beatrice (vermeintliche Fornarina, in der Tribuna der Uffizien, datirt 1512). Ein Wunder der Vollendung und des Colorites, aus der Zeit der Madonna di Foligno. Scheinbar ein Idealkopf, bis man bemerkt, dass ein nicht ganz schönes Verhältniss des Mundes und Kinns durch glückliche Schiebung verheimlicht wird. Längere Zeit dem Seb. dal Piombo zugeschrieben, jetzt wohl ohne Widerspruch dem R. vindicirt. Vorzüglich schön erhalten 20).

Die wahre Fornarina, Rafaels Geliebte. (Das als eigenhändig anerkannte Exemplar, mit starken Restaurationen, im Pal. Barberini zu Rom; Wiederholungen von Schülern im Pal. Sciarra und im Pal. Borghese.) Der Composition nach unverholen ein sehr schönes Actbild; die Haltung der Arme und der Kopfputz sind vom Maler verordnet [910] und wollen nicht die Individualität charakterisiren. Der Typus, von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern histor. Compositionen Rafaels frei benützt, ohne dass man an eigentliches Modellsitzen zu denken hätte 21).

 

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Unter den monumentalen Aufträgen, welche Rafael für Julius II und Leo X ausführte, nehmen die Malereien in den Zimmern des Vaticans (le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem unerschöpflichen [911] Reichthum dieser Werke, bei der Unmöglichkeit, ihren Inhalt oder gar ihren Werth kurz in Worten darzulegen, beschränken wir uns auf eine Reihe einzelner Bemerkungen und vermeiden dabei im Ganzen dasjenige, was die Handbücher ergeben und was der Anblick von selbst lehrt.

Die Räume existirten schon und waren bereits theilweise (von Perugino, Soddoma u. A.) ausgemalt, als Rafael dafür berufen wurde. Sie sind von nichts weniger als musterhafter Anlage, sogar unregelmässig (man beachte z. B. das Gewölbe der Camera della Segnatura) und in Betreff der Beleuchtung nicht günstig. Man besieht sie gewöhnlich Nachmittags; doch hat der Vormittag auch gewisse Vortheile, und das Öffnen der hintern Fensterladen macht einen wesentlichen Unterschied.

Die Technik ist eine ausserordentlich verschiedene. Einer guten Autorität zufolge soll besonders die Disputa und die Schule von Athen in sehr vielen Partien al Secco übergegangen sein; doch sind es der Hauptsache nach sämmtlich Fresken; die beiden einzigen in Öl auf die Mauer gemalten Figuren der Justitia und Comitas im Saal Constantins wurden nicht, wie man sagt, von R. eigenhändig, sondern erst nach seinem Tode ausgeführt. Allein innerhalb des Fresco, sowohl dessen was der Meister als dessen was die Schüler malten, herrscht der stärkste Unterschied der Behandlung, oft im nämlichen Bilde. Rafael that sich nie genug und suchte der schwierigen Malweise stets neue Mittel der Wirkung abzugewinnen. Von den vier grossen Fresken der Stanza d'Eliodoro ist jedes in einem andern Colorit durchgeführt; den Gipfel des Erreichbaren glaubt man zu erkennen in den unbeschädigten Theilen der Messe von Bolsena, und doch wird Niemand den Heliodor und die Befreiung Petri in ihrer Art weniger vollkommen gemalt nennen.

Die Erhaltung ist im Verhältniss zum Alter eine mittlere, ausgenommen die der Sockelbilder, welche Carlo Maratta im Wesentlichen neu malen musste, und einiger durch Risse schwer bedrohten Deckenbilder. Das grösste Unheil in den Hauptbildern ist durch stellenweises Putzen und besonders durch ganz rücksichtsloses Durchzeichnen entstanden. Die beste Weise, diesem zu begegnen, wäre die genaue, offizielle Aufnahme und Herausgabe aller Umrisse, wofür es hohe Zeit [912] wäre. Rom ist für die Fortdauer dieser Gemälde, selbst für ihr Fortleben im Abbild, dem ganzen Abendland und allen künftigen Jahrh. verantwortlich. Eine Restauration wäre nur zu beklagen und würde viel mehr kosten als eine Sammlung von Calquen. – Wie weit die schönsten jetzigen Kupferstiche im Eindruck unter den Urbildern bleiben, zeigt der erste Blick auf letztere.

 

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Die hohen poetischen Ideen, welche den Fresken der Camera della Segnatura (vollendet 1511) zu Grunde liegen, waren wohl der Hauptsache nach etwas Gegebenes. Abgesehen davon, dass Rafael schwerlich genug Gelehrsamkeit besass, um von sich aus die Personen der Disputa oder gar der Schule von Athen 22) sachlich richtig zu charakterisiren und zu stellen und dass sich hier die Beihülfe irgend eines bedeutenden Menschen aus der Umgebung Julius II 23) deutlich verräth, – abgesehen hievon hatte schon lange vorher die Kunst sich an denselben Aufgaben versucht. Die Meister der Capella degli Spagnuoli bei S. M. novella in Florenz hatten die allegorischen Figuren der Künste und Wissenschaften und ihrer Repräsentanten in strenger Parallele, in architektonischer Einfassung vorgeführt. Sechs Generationen später, kaum 15 Jahre vor Rafael, hatte sein Schulgenosse Pinturicchio in einem der Zimmer, deren Gewölbe er für Alexander VI ausmalte (Appartamento Borgia im Vatican, dritter Raum), jene allegorischen Gestalten thronend in der Mitte ihrer Jünger auf landschaftlichem Hintergrunde dargestellt, anderer Versuche zu geschweigen. Aber Rafael hatte zuerst den Verstand, die allegorischen Frauen aus den Wandbildern hinaus an das Gewölbe in einen besondern goldenen Mosaikhimmel zu versetzen. Hier konnte er sie auf ganz eigene, ideale Weise stylisiren. (Man weiss, wie später die verwilderte Kunst recht ihren Stolz darin suchte, allegorische und geschichtliche Personen möglichst bunt durcheinander zu mischen und wie es der ganzen sonstigen Grösse eines Rubens bedarf, um Werke dieser Art, wie z. B. sein Leben der Maria von Medici im Louvre, für uns geniessbar zu machen.) [913]

Es blieben nun für die Gemälde bloss historische Figuren übrig, denn der Gottvater und die Engel in der Disputa, die Musen im Parnass u. dgl. gelten doch wohl als solche. (Der obere Theil der Wand, welche der Jurisprudenz gewidmet ist, enthält allerdings noch eine Allegorie, allein in einem besondern Raum abgetrennt.) Alle Gestalten konnten nun gleichmässig, in einem und demselben Style belebt werden.

Warum hat Rafael in dem Bilde der Gerechtigkeit nicht eine geistig angeregte Gemeinschaft berühmter Juristen dargestellt, wie er diess in den drei übrigen Bildern mit den Theologen, Dichtern und Weltweisen gethan? warum statt dessen zwei einzelne historische Acte der Gesetzgebung? Weil der mögliche Gegenstand einer „Disputa“ von Juristen entweder ausserhalb des Bildes, d. h. unsichtbar geblieben wäre, oder, durch sachliche Beziehungen verdeutlicht, aus dem hohen idealen Styl hätte herausfallen müssen.

 

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Nach der Ausscheidung des Allegorischen blieb also das Historisch-Symbolische als Hauptgehalt der vier grossen Darstellungen übrig.

Rafael hat hier ein wahrhaft gefährlich-lockendes Vorbild hingestellt. Eine grosse Anzahl von Gemälden analogen Inhaltes sind seitdem geschaffen worden, zum Theil von grossen Künstlern; sie erscheinen sämmtlich als von Rafael abhängig oder als ihm weit untergeordnet. Wesshalb? Gewiss nicht bloss weil es nur Einen Rafael gegeben hat.

Er war von vornherein im Vortheil durch die Unbefangenheit in antiquarischer Beziehung. An sehr wenige überlieferte Porträts gebunden, durfte er lauter Charaktergestalten aus sich selber schaffen; in der Disputa z. B. war die Tracht das einzige kenntlich machende Attribut, welches auch völlig genügte. Er musste nicht die Köpfe so und so stellen, damit man sie auf gelehrtem Wege verificiren könne. Diese grössere sachliche Freiheit kam durchaus der Composition nach rein malerischen Motiven zu Gute. Es sind fast lauter Gestalten einer mehr oder weniger entfernten Vergangenheit, die schon nur in idealisirender Erinnerung fortlebten 24). [914]

Die Action, welche diese Bilder beseelt, ist allerdings nur die Sache des grössten Künstlers. Allein man muthete ihm innerhalb seines Thema's auch nicht das Unmögliche zu, wie z. B. die geistige Gemeinschaft eines Gelehrtencongresses, einer Maleracademie oder überhaupt solcher Personen, deren charakteristische Thätigkeit gar nie gemeinsam vor sich geht, und die, wenn man sie beisammen malt, immer auf das Diner zu warten scheinen. In der Disputa gab R. nicht etwa ein Concilium, sondern ein geistiger Drang hat die grössten Lehrer göttlicher Dinge rasch zusammengeführt, so dass sie um den Altar herum nur eben Platz genommen haben; mit ihnen namenlose Laien, die der Geist auf dem Wege ergriffen und mit hergezogen hat; diese bilden den so nothwendigen passiven Theil, in welchem das von den Kirchenlehrern erkannte Mysterium sich bloss als Ahnung und Aufregung reflectirt. Dass der obere Halbkreis der Seligen (eine verherrlichte Umbildung desjenigen von S. Severo) dem untern so völlig als Contrast entspricht, ist der einfach erhabene Ausdruck des Verhältnisses, in welchem die himmlische Welt die irdische überschattet. Endlich imponirt hier im höchsten Grade die kirchliche Idee; es ist kein Bild von neutraler Schönheit, sondern ein gewaltiger Inbegriff des mittelalterlichen Glaubens.

Den Gegensatz dazu bildet die Schule von Athen, ohne himmlische Gruppe, ohne Mysterium. Oder ist die wunderschöne Halle, welche den Hintergrund ausmacht, nicht bloss ein malerischer Gedanke, sondern ein bewusstes Symbol gesunder Harmonie der Geistesund Seelenkräfte? Man würde sich in einem solchen Gebäude so wohl fühlen! – Wie dem nun sei, Rafael hat das ganze Denken und Wissen des Alterthums in lauter lebendige Demonstration und in eifriges Zuhören übersetzt; die wenigen isolirten Figuren, wie der Skeptiker und Diogenes der Cyniker, sollen eben als Ausnahmen contrastiren. Dass die rechnenden Wissenschaften den Vordergrund unterhalb der Stufen einnehmen, ist wieder einer jener ganz einfachen genialen Gedanken, die sich von selbst zu verstehen scheinen. Trefflichste Vertheilung der Lehrenden und der Zuhörenden und Zuschauenden, leichte Bewegung im Raum, Reichthum ohne Gedränge, völliges Zusammenfallen der malerischen und dramatischen Motive. (Wichtiger Carton in der Ambrosiana zu Mailand.) [915]

Der Parnass, das Bild der „Seienden“ und Geniessenden. Das Vorrecht des lauten, begeisterten Redens hat nur Homer; das der Töne Apoll; sonst wird bloss geflüstert. (Wer an der Violine Anstoss nimmt, mag nur Rafael selbst zur Verantwortung ziehen, denn eine erzwungene Huldigung für den Ruhm eines damaligen Geigenvirtuosen, aus welchem Einige sogar den Kammerdiener des Papstes machen, ist dieser Anachronismus gewiss nicht. Wahrscheinlich gewährte das Instrument dem Maler ein lebendigeres, sprechenderes Motiv für seine Figur als eine antike Lyra hätte thun können.) Das Idealcostum ist hier mit grossem Recht auch auf die neuern Dichter ausgedehnt, von welchen nur Dante die unvermeidliche Kaputze zeigt. Der gemeinsame Mantel und der gemeinsame Lorbeer heben die Dichter über das Historische und Wirkliche hinaus. Die Musen sind nicht der Abwechselung zu Gefallen unter die Dichter vertheilt, sondern als ihr gemeinsames Leben auf der Höhe des Berges versammelt. Auch sie sind nicht antiquarisch genau charakterisirt; R. malte seine Musen.

Von den beiden Ceremonienbildern gegenüber ist das geistliche Recht, d. h. die Ertheilung der Decretalen, in dieser kritischen Gattung ein Muster der Composition und Durchführung zu nennen. Der Figurenreichthum ist nur mässig, – der Ausdruck der Autorität beruht nicht in der Vollständigkeit des Gefolges, überhaupt nicht in der Masse. Die Köpfe sind fast lauter Bildnisse von Zeitgenossen. Man darf annehmen, dass R. sie freiwillig und in künstlerischer Absicht anbrachte. – Die Allegorie der Prudentia, Temperantia und Fortitudo in der Lunette (deren Analyse bei Platner a. a. O. nachzusehen) ist eine der bestgedachten; im Einzelnen ist nicht Alles ganz lebendig geworden.

Von den allegorischen Frauen am Gewölbe ist die Poesie einer der reinsten und eigensten Gedanken Rafaels. In den übrigen hat er wohl dem Allegoristen, der ihm zur Seite stand, bedeutend nachgeben müssen oder wollen; daher vielleicht auch der Mangel an freudiger Unbefangenheit. Die Eckbilder des Gewölbes, historische Momente in strengerm Styl, beziehen sich jedesmal auf den Inhalt der beiden nächsten Wände; so das herrliche Urtheil Salomonis auf die Gerechtigkeit und Weisheit zugleich, der Sündenfall auf die Gerechtigkeit und das Verhältniss zu Gott zugleich. Mit dem Marsyas hat man [916] einige Noth und es bedarf einer entfernten Beziehung aus Dante um ihn ausser der Poesie auch mit der Theologie in Verbindung zu bringen. Die Eva im Sündenfall ist ein Hauptbeleg für die Bildung des Nackten in R.'s mittlerer Zeit. Ebenso der Henker im Urtheil des Salomo.

Die Sockelbilder, grossentheils erst von Perin del Vaga an der Stelle eines untergegangenen Getäfels componirt und ausgeführt und später ganz übermalt, zeigen noch, in welchem Sinne R. die decorative Wirkung des ganzen Saales verstanden wissen wollte. Ihre Composition ist zum Theil ausserordentlich schön, aber in kleinen Abbildungen eben so geniessbar als an Ort und Stelle. (Von R. nur diejenigen unter dem Parnass.)

 

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Wären wir nur über die nähern Umstände der Entstehung dieser Fresken nicht so völlig im Ungewissen. Die grossen Fragen: wie viel wurde dem Maler vorgeschrieben? was that er selbst hinzu? für welche Theile hat er vielleicht nur mit Mühe Erlaubniss erhalten? welche Zumuthungen hat er abgewiesen? – diese Fragen sind nie zu beantworten. Es ist unbekannt, mit wem er in nächster Instanz zu thun hatte. So viel aber geht aus den Werken selbst hervor, dass die rein künstlerischen Beweggründe im Einzelnen meist die Oberhand behielten. Wenn man in andern Bildern jener Zeit, bei Mantegna, Pinturicchio, Sandro u. A., die Unersättlichkeit der Zeitgenossen an Allegorien und Symbolen aller Art kennen lernt, so wird es zur Gewissheit, dass Rafael aus eigenen Kräften Mass hielt, wählte, überund unterordnete. Welche Kämpfe kann die untere Hälfte der Disputa gekostet haben! wenn z. B. irgend ein Theologe sich für vollständige Darstellung aller grossen Kirchenlehrer und Ordensstifter verwandte! – oder wenn Irgendjemandes Lieblingsphilosoph oder Lieblingsdichter durchaus in die Schule von Athen oder auf den Parnass gebracht werden sollte! – anderer Möglichkeiten nicht zu gedenken.

Vielleicht die einzige ganz müssigscheinende Figur in diesem Saal ist der junge Herzog von Urbino, welcher in der Mitte der linken Hälfte der Schule von Athen steht. Bei genauerer Betrachtung findet man dass er nicht nur mit seinem weissen Gewande malerisch nothwendig, [917] sondern auch als neutrale Gestalt zwischen der obern und der untern Gruppe unentbehrlich ist. Und was will das stille Lächeln dieses wunderbaren Antlitzes sagen? Es ist das siegreiche Bewusstsein der Schönheit, dass sie neben aller Erkenntniss ihre Stelle in dieser bunten Welt behaupten werde.

 

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Neben der Decke der sixtinischen Capelle ist die Camera della Segnatura, welche fast genau zur gleichen Zeit gemalt wurde, das erste umfassende Kunstwerk von reinem Gleichgewicht der Form und des Gedankens. Noch die trefflichsten Florentiner des XV. Jahrh. (Lionardo ausgenommen) hatten sich durch den Reichthum an Zuthaten (Nebenpersonen, überflüssige Gewandmotive, Prunk der Hintergründe u. s. w.) stören lassen; ihr Vieles hebt sich gegenseitig auf; ihre scharfe Charakteristik vertheilt die Accente zu gleichmässig über das Ganze; Fra Bartolommeo, der erste grosse Componist neben Lionardo, bewegte sich in einem engbegrenzten Kreise und sein Lebensgefühl war seiner Formenauffassung nicht völlig gewachsen. – Bei Rafael zuerst ist die Form durchaus schön, edel und zugleich geistig belebt ohne Nachtheil des Ganzen. Kein Detail präsentirt sich, drängt sich vor; der Künstler kennt genau das zarte Leben seiner grossen symbolischen Gegenstände und weiss, wie leicht das Einzel-Interessante das Ganze übertönt. Und dennoch sind seine einzelnen Figuren das wichtigste Studium aller seitherigen Malerei geworden. Es lässt sich kein besserer Rath ertheilen, als dass man sie (wo nöthig, auch mit bewaffnetem Auge) so oft und so vollständig als möglich betrachte und nach Kräften auswendig lerne. Die Behandlung der Gewänder, der Ausdruck der Bewegung in denselben, die Aufeinanderfolge der Farben und Lichter bieten wiederum eine unerschöpfliche Quelle des Genusses.

 

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Die Stanza d'Eliodoro, wahrscheinlich ganz oder fast ganz eigenhändig von Rafael ausgemalt in den Jahren 1511–1514, bezeichnet den grossen Schritt in das Historische. Es ist gewagt, aber erlaubt zu vermuthen, dass er sich nach den dramatisch-bewegten [918] Gegenständen sehnte. Vielleicht hätte man noch gern mehr Allegorien gehabt – vielleicht wollte im Gegentheil Julius II seine eigenen Thaten in voller äusserer Wirklichkeit dargestellt sehen, etwa Momente aus dem Kriege der heiligen Ligue, den Einzug durch die Bresche von Mirandola, u. dgl. – Beides wären Abwege gewesen, wenigstens für Rafael. Er gab nun Zeitgeschichte und Allegorie zugleich, die erstere im Gewande der letztern. Heliodors Züchtigung ist ein Symbol der Vertreibung der Franzosen aus dem Kirchenstaate; die Messe von Bolsena (deren Thatsache ins Jahr 1263 fällt) bedeutet die Überwindung der Irrlehren am Anfang des XVI. Jahrhunderts. Nach dem Tode Julius II (1513) liess sich Leo X diese Art von verklärender Darstellung der eigenen Geschichte alsobald gefallen; – vielleicht hatte Rafael schon Entwürfe für die beiden andern Wände gemacht, welche dann ersetzt wurden durch den Attila (Symbol der Verjagung der Franzosen aus Italien) und durch die Befreiung Petri (Leo's X Befreiung aus den Händen der Franzosen in Mailand, als er noch Cardinal war). – Es war ein grosses Glück, dass die damalige Ästhetik die Allegorie und die Anspielung für eins und dasselbe hielt, während doch die letztere mit lauter historisch gedachten, individuell zu belebenden Gestalten wirken darf.

Wie man die Sache ansehe, von irgend einer Seite sind hier Concessionen gemacht worden. Die vier Momente liegen geschichtlich gar zu weit und fremd auseinander, als dass nicht zu vermuthen wäre, Rafael habe etwas Anderes gemalt als ursprünglich gewünscht worden war. Auch der gänzliche Mangel an innerm Zusammenhang mit den vier alttestamentlichen Deckenbildern deutet auf einen Wechsel der Entschlüsse hin, der beim neuen Pontificat ohnediess eingetreten sein muss.

Im Grossen ist aber doch das Thema ein gleichartig fortlaufendes, das sich auch in den übrigen Zimmern, allerdings getrübt, fortsetzt: Siege der Kirche unter göttlichem Schutze. Endlich hebt die Behandlung alle diese Gegenstände auf eine solche Weise, dass man in ihnen nur das Höchste sucht und ihnen nur den erhabensten Sinn zutraut.

Mit einer unbeschreiblichen Macht und Herrlichkeit hält Rafael seinen Einzug in das Gebiet der dramatischen Malerei; sein erstes [919] Gemälde war der Heliodor. Welch ein Athemschöpfen nach den symbolisch bedingten Bildern der Camera della Segnatura! Er hat keine grossartigere bewegte Gruppe mehr geschaffen als die des himmlischen Reiters, mit den im Sturm zu seiner Seite schwebenden Jünglingen und dem gestürzten Frevler nebst dessen Begleitern. Woher die Erscheinung gekommen, wo sie vorübergesaust ist, zeigt der leere Raum in der Mitte des Vordergrundes, welcher den Blick auf die Gruppe um den Altar des Tempels frei lässt. Man bewundert mit Recht die Verkürzung in dem Reiter und in dem Heliodor, aber sie ist nur der meisterhafte Ausdruck für das Wesentliche, nämlich die glücklichste Schiebung der Figuren selbst. Die Gruppe der Frauen und Kinder, deren hundertfältiges Echo durch die ganze spätere Kunst geht, verdient hier im Urbild ebenfalls, dass man sie sich genau einpräge. Endlich musste dem Papst sein Genüge geschehen; in voller Wirklichkeit auf seinem Tragsessel thronend schaut er ruhig auf das Wunder hin, als käme es ihm gar nicht unerwartet. An dem Bildniss Marc Antons, der als Träger des Sessels mitgeht, hat man den bestimmten Beweis, dass R. seine Porträtpersonen wenigstens zum Theil freiwillig anbrachte.

Die Messe von Bolsena war eine viel einseitigere Aufgabe als der Heliodor. Das Geschehen des Wunders beschränkt sich auf einen ganz kleinen Fleck; es wäre ungefähr dasselbe, wenn ein Dramatiker die Peripetie seines Stückes auf das Verwechseln eines Ringes oder sonst auf ein scenisch kaum sichtbares Ereigniss bauen müsste. Aber innerhalb dieser Schranken ist das Herrlichste gegeben. Die Wahrnehmung und die Ahnung des Wunders geht wie ein geistiger Strom durch die andächtige Menge links und der Reflex davon belebt auch schon die unten an der Treppe sitzenden Frauen und Kinder; in der Gruppe des Papstes und seiner Begleiter ist es ruhige Gewissheit, wie sie den mit tausend Wundern vertrauten Fürsten der Kirche zukömmt, und von diesem Ausdruck durften auch die unten knienden Obersten der Schweizergarde nicht zu weit abweichen. An und für sich sind sie ein Vorbild monumentaler Costümbehandlung. – Die Anordnung neben und über dem nicht einmal in der Mitte der Wand stehenden Fenster scheint für Rafael ein wahres Spiel gewesen zu sein; eben aus der Unregelmässigkeit entwickeln sich für ihn die [920] schönsten Motive wie von selbst. Bei genauerer Betrachtung wird man aber von dieser Ansicht abgehen und glauben, dass viel Mühe und Nachsinnen dabei war. Die Doppeltreppe, die halbrunden Schranken, die Kirchenhalle selbst sind an sich ein architektonisch schönes Bild.

Attila und Leo der Grosse; eine gewaltige Scene fast von lauter Reitern – sollte es nicht nahezu unmöglich sein, neben so viel Thierwelt, so viel physischer Kraftäusserung dem höhern geistigen Gehalt zu seinem Rechte zu verhelfen? Allerdings für die himmlische Erscheinung blieb nicht viel Raum übrig, aber er wurde benützt. Statt wolkenthronender Apostel drohend vorwärts schwebende, gleichsam eine überirdische Begleitung des ruhig mit den Seinigen daherziehenden Papstes. Bei den Hunnen sieht nur Attila was vorgeht, mit der lebendigsten Wendung des Entsetzens; bei seinem Gefolge sind die Rosse ahnungsfähiger als die Menschen, sie werden wild und scheu, wodurch ein prächtiges Leben in die Gruppe kömmt; über ihnen verdunkelt sich der Himmel und ein Sturmwind saust in die Banner. Bei der Bildung der Rosse ist das Ideal unserer jetzigen Pferdekenner allerdings nicht berücksichtigt. Man setze aber in Gedanken die Pferde eines Horace Vernet an ihre Stelle; sie würden hier unerträglich sein, während wir sie in der Smala etc. mit allem Fug bewundern. Attila's schwarzer Hengst ist noch ruhig; die angstvolle Geberde des Königs durfte nicht etwa durch das Bäumen seines Thieres mitverursacht scheinen.

Petri Befreiung, höchst originell in drei Momenten entwickelt. Auch die Wächter nicht unwürdig; zwar befangen, aber nicht tölpelhaft. In der Scene rechts wird Petrus von dem ausserordentlich schönen Engel wie im Traum geführt. Der Lichteffekt mit hoher Mässigung gehandhabt; es ist ihm nichts Wesentliches aufgeopfert.

Die allegorischen Sockelbilder enthalten noch in ihrer jetzigen Gestalt rafaelische Motive, die nicht zu verderben sind. – In den vier Deckenbildern erkennt man eine ähnliche, nur freiere Vereinfachung des Styles, wie in den Eckbildern am Gewölbe des vorigen Zimmers; wie diese als Mosaiken, so sind sie als Teppiche gedacht. [921]

 

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In der Stanza dell' Incendio ist vielleicht nichts von Rafaels eigener Hand gemalt; am Gewölbe liess er die Malereien Perugino's stehen, um seinen Lehrer nicht zu kränken. Ohnehin war ja die Zeit der strengen symbolischen Gesammtcompositionen vorbei, wie der Inhalt der Deckenbilder der Stanza d'Eliodoro beweist.

Die Anspielung ist hier oberflächlicher als in den Gemälden des vorigen Zimmers. Es sind die Thaten Leo's III und Leo's IV, also Scenen des VIII. und IX. Jahrh., die hier nur der Namensgleichheit mit Leo X zu Liebe aus der ganzen Kirchengeschichte ausgewählt und unter den Zügen des Letztern dargestellt sind. Unbegreiflich ist der Reinigungseid Leo's III; weder Rafael noch der Papst konnten (wie man denken sollte) ein besonderes Verlangen nach diesem Gegenstand haben, und wenn die unfehlbare Glaubwürdigkeit des päpstlichen Wortes symbolisirt werden sollte, so war manche andere Erinnerung dazu besser geeignet und malerisch mindestens eben so dankbar. Immerhin wurde ein stattliches Ceremonienbild daraus, welches wenigstens zeigt, auf welcher Höhe lebendiger historischer Einzeldarstellung die ausführenden Schüler in jenem Augenblicke (bis 1517) standen. Hier lernte Perin del Vaga jene Charakteristik, welche in seinen Helden des Hauses Doria (in der obern Halle des gleichnamigen Palastes zu Genua) nachklingt.

Die Krönung Carls des Grossen dagegen ist erweislich ein politisches Tendenzbild, ein frommer Wunsch Leo's X, welcher gerne Franz I zum Kaiser gemacht hätte, dessen Züge Carl trägt. Hier ist es wahrhaft schmerzlich, Rafael mit dem gewaltsamen Interessantmachen einer Ceremonie beschäftigt zu sehen; halbnackte Männer schleppen prächtiges Geräth herein; die Köpfe der reihenweis sitzenden Prälaten müssen sich trotz dem feierlichen Augenblicke zum Theil umwenden, damit der Beschauer nicht gar bloss Infeln erblicke. Und doch ist aus der Scene gemacht was nur Rafael daraus machen konnte und das Einzelne ist zum Theil so schön, dass man es gerne seiner eigenen Hand zutrauen möchte.

Seine ganze Grösse als historischer Componist findet er wieder in dem Siege von Ostia. Kampf, Bändigung und Gefangenführung sind hier meisterhaft zu einem höchst energischen und einfach schönen Bilde vereinigt, das nur der Ausführung und der spätern Entstellung [922] halber weniger in die Augen fällt. Ob der Saracenensieg irgend eine allgemeinere Andeutung der Unwiderstehlichkeit der Kirche, oder eine Anspielung auf die damaligen tunisischen etc. Corsaren enthalten soll, ist nicht auszumitteln.

Endlich das berühmte Bild: l'incendio del borgo; der Aufgabe nach das misslichste von allen: Leo IV löscht durch das Zeichen des Kreuzes eine Feuersbrunst in der Nähe der Peterskirche. Damit sollte die Allmacht des päpstlichen Segens symbolisirt werden. Mit diesem Ereigniss selber war gar nichts anzufangen, weil das Aufhören des Feuers an sich und vollends die Causalverbindung mit der Geberde des Papstes sich nicht sinnlich darstellen liess. Rafael schuf statt dessen das stylgewaltigste Genrebild, welches vorhanden ist: die Darstellung der Fliehenden, Rettenden und hülflos Klagenden. Hier sind lauter rein' künstlerische Gedanken verwirklicht, frei von der letzten historischen oder symbolischen Rücksicht, im Gewande einer heroischen Welt. Die höchste Wonne der freien Erfindung muss den Künstler dabei beseelt haben; die einzelnen Motive sind immer eines wunderbarer als das andere und ihr Zusammenwirken wiederum unvergleichlich. Ganz gewiss geht es bei einer Feuersbrunst in der Regel anders zu, allein für dieses heroische Menschengeschlecht hätte z. B. die Lichteffektmalerei eines Van der Neer doch nicht hingereicht. Eigentlich brennt nicht der Borgo, sondern Troja; statt der Legende liegt das zweite Buch der Aeneide zu Grunde. Doch darf man auch die schöne entfernte Gruppe um den Papst nicht übersehen.

Die Sockelfiguren – Fürsten welche dem römischen Stuhl besondere Dienste erwiesen – sind für ihre Stelle sehr glücklich gedacht, und mit Recht nicht als sklavenartige Karyatiden, sondern als frei thronende Fürsten gegeben. Giulio führte sie nach R.'s Angabe aus; Maratta musste sie später neu malen.

 

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Bei der Entscheidung über die Sala di Costantino scheint Leo X inne geworden zu sein, dass auf die bisherige Weise nicht weiter gemalt werden dürfe. Mit dem Anspielen auf die eigene Person des Papstes war dem Künstler ein Zwang auferlegt, den er mit all seiner Grösse nicht kann vergessen machen. Man musste die Aufgabe [923] wieder höher fassen, und das Weltgeschichtliche endlich einmal unmittelbar geben. So kam der erste aller Historienmaler gegen Ende seines Lebens an die direct geschichtlichen und durch die Zeitentfernung dennoch idealen Aufgaben. Vielleicht hatte es dazu des Incendio bedurft, in welchem er den Papst in den Hintergrund verwiesen hatte.

Rafael fertigte, wie es scheint, ausser einem nicht ganz vollständigen Entwurf für das Ganze des Saales, die Cartons für die Schlacht, für die Taufe und für die Schenkung Constantins; sodann für vielleicht sämmtliche Tugenden und theilweise auch für die heiligen Päpste, wenn nicht für alle. Von der Decke gehört ihm nichts und von der Fensterwand nur ein Theil an. Die Sockelbilder, zum Theil sehr schön gedacht, sind jetzt wesentlich Maratta's Werk; ihre Erfindung wurde schon vor 200 Jahren dem Giulio zugeschrieben. – Rafael gedachte Alles in Öl, nicht al Fresco zu malen. Von seiner Hand ausgeführt, im Augenblick der Vollendung, wäre diess ein herrlicher Anblick gewesen; gewiss hätte er die verschiedenen Gattungen der Bilder auf das Bedeutungsvollste im Ton auseinander gehalten. Allein mit der Zeit wäre vieles nachgedunkelt, wie die schon erwähnten (S. 911), bald nach seinem Tode und gewiss nach seiner Absicht ausgeführten beiden Allegorien beweisen.

Die Ausführung des jetzt Vorhandenen gehört wesentlich dem Giulio Romano; von Franccsco Penni rührt die Taufe, von Raffaelle dal Colle die Schenkung her. Die Decke ist eine späte Arbeit des Tommaso Laureti.

Die Erscheinung des Kreuzes, mit welcher wir beginnen, ist wohl nicht von Rafael entworfen. Die Gruppe der Soldaten ist sehr ungescheut aus dem Sturm auf Jericho in der zehnten Arcade der Loggien entlehnt und das Übrige, zum Theil ziemlich frivol, dazu componirt (z. B. der Zwerg). Man möge sich durch den Augenschein überzeugen.

Dagegen ist die Schlacht Constantins, in Giulio's hier vorzüglicher Ausführung, eines der grössten Lebensresultate Rafaels. Man setze sich nur zuerst darüber ins Klare, was dieses Schlachtbild sollte. Die Phantasie wird gewiss rascher aufgeregt durch ein Reitergewirr mit Farbencontrasten und Pulverdampf, welches nur Leben und verzweifelte Bewegung giebt, wie bei Salvator Rosa und Bourguignon; [924] man gewinnt gewiss rascher ein Interesse für das moderne Schlachtbild, dessen Leben insgemein in einer möglichst wirklichen Hauptepisode besteht. Rafael aber musste einen Angelpunkt der Weltund Kirchengeschichte als solchen darstellen. Vor allem einen Sieg im Moment der Entscheidung. Auch die brillanteste Episode genügt hiezu nicht; das Heer als Ganzes muss siegen. Diess ist hier zur Anschauung gebracht durch das gleichmässig gewaltige Vordringen der christlichen Reiter und durch die Stellung Constantins genau in der Mitte des Bildes, die er eben im Begriff ist weitersprengend zu überschreiten. Auf diesem Hintergrunde gewinnen erst die prachtvollen Episoden des Einzelkampfes ihre wahre Bedeutung, ohne aus dem Ganzen herauszufallen. Ruhig, wie ein Princip, thront der Heerführer in Mitten seiner Schlacht; die Beziehungen einzelner Krieger auf ihn, die Gruppe der Engel über ihm, verstärken seine centrale Bedeutung; ein Krieger zeigt ihm den im Wasser versinkenden Maxentius. – Die Aufeinanderfolge und Auswahl der einzelnen Motive des Kampfes ist der Art, dass keines das andere aufhebt; sie sind nicht nur räumlich wahrscheinlich, sondern auch beim grössten Reichthum dramatisch deutlich.

Die Taufe Constantins ist weit mehr als ein blosses Ceremonienbild und steht in der Composition beträchtlich über dem Schwur Leo's III und der Krönung Carls. Sie ist nicht gegeben als Function, die auf einem Ceremoniale und auf bestimmten Costümen beruht, sondern als idealer historischer Augenblick. Die ganze Gruppe ist in einer Bewegung, die durch das Stufenwerk des Raumes vortrefflich modificirt wird. Die äussersten beiden Figuren, Zuthaten Penni's, wirken freilich als Coulissen.

Die Schenkung Constantins, die unter jeder andern Hand ein Ceremonienbild geworden wäre, ist hier ebenfalls ein idealer historischer Augenblick. Der Kaiser überreicht dem Papst S. Silvester nicht eine Urkunde, worin man sich die Schenkung der Stadt Rom geschrieben denken müsste, auch nicht ein Stadtmodell, womit sich spätere Künstler in ähnlichen Fällen geholfen haben, sondern eine goldene Statuette der Roma. Sein knieendes Gefolge, welches durch seine Stelle noch den Weg bezeichnet den es gekommen ist, besteht nur aus vier Personen; die Nachdrängenden werden durch Wachen [925] abgehalten. Die vordern Gruppen, bei spätern Künstlern oft sogar im besten Fall nur schöne Füllstücke, sind hier der wesentliche und höchst lebendige Ausdruck der Freude des ungenirten römischen Volkes. Alle Ergebenheitsmienen von reihenweis aufgestellten Behörden könnten diesen Ausdruck nicht ersetzen; das römische Privatleben sollte seinen persönlichen Jubel aussprechen. Die Architektur der alten S. Peterskirche ist frei und sehr schön benützt.

Die Figuren der heiligen Päpste und der Tugenden haben schon grösserntheils den gleichgültigen allgemeinen Styl der römischen Schule und gerathen desshalb in Nachtheil z. B. gegenüber von den Zwischenfiguren an der Decke der Sistina, welche die eigenhändige Machtübung ihres Meisters in so hohem Grade an der Stirn tragen. Von Rafael selbst und in Öl ausgeführt würden sie gewiss eigenthümlich grandios gewirkt haben. (Der Kopf S. Urbans angeblich von Rafael.)

 

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Die obenstehenden Bemerkungen, weit entfernt den geistigen Gehalt dieser unermesslich reichen Fresken erschöpfen zu wollen, suchen bloss einige wesentliche Anhaltspunkte festzustellen. Nebenbei musste darauf aufmerksam gemacht werden, wie Rafael nur theilweise frei verfügen konnte. Das Einzelne, was hierüber zu sagen war, sind allerdings blosse Vermuthungen, aber der Inhalt des Vorhandenen nöthigt dazu. Diese moralische Seite der Entstehung der Fresken wird über ihrer Vortrefflichkeit zu oft übersehen.

 

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Schon bei Anlass der Architektur wurde der vaticanischen Loggien gedacht, d. h. der ersten Arcadenreihe des zweiten Stockwerkes im vordern grossen Hofe des Vaticans, als des ersten Meisterwerkes der modernen Decoration (S. 283). Wir gelangen nun zu den biblischen Darstellungen, welche je zu vieren in den Kuppelwölbungen der ersten 13 Arcaden angebracht sind. Sie wurden nach Rafaels Zeichnungen ausgeführt von Giulio Romano, Francesco Penni, Pellegrino da Modena, Perin del Vaga und Raffaelle dal Colle. Die Figur der Eva im Sündenfall gilt bekanntlich als R.'s eigene Arbeit. Es ist nicht bekannt, wie gross und wie genau ausgeführt die Entwürfe [926] waren, nach welchen er die Schüler arbeiten liess; wahrscheinlich je nach Umständen.

Ort und Technik schrieben die grösste Einfachheit vor. Lichteffect, Ausdruck einzelner Köpfe, irgend ein raffinirtes Detail durften nie die Grundlage und Seele des Bildes ausmachen. Was nicht mit deutlichen Beziehungen und Geberden zu erreichen war, musste wegbleiben. Der menschlich interessante Kern der Scenen, ohne irgend einen bestimmten orientalischen Bezug, musste zum idealen, für alle Zeiten und Länder gültigen und verständlichen Kunstwerk ausgebildet werden. Von der venezianischen Art, den Vorgang in eine Novelle des XVI. Jahrh. zu übersetzen, konnte hier keine Rede sein. Man halte aber die Loggienbilder neben die Umrisszeichnung eines Giorgione, Palma oder Bonifazio dieser Art, und man wird den Gedankenunterschied inne werden. Übrigens ist in vielen Loggienbildern die Landschaft so schön und bedeutend als bei den Venezianern, worauf hier ausdrücklich hingewiesen werden muss. (Erschaffung der Eva, Adams Feldbau, Jacob mit Rahel am Brunnen, Jacob mit Laban streitend, Joseph als Traumdeuter vor seinen Brüdern, Findung Mosis, u. a. m.)

Die Vortrefflichkeit der einzelnen Motive entzieht sich durchaus der Beschreibung; es scheint sich Alles von selbst zu verstehen. Um den Werth jedes einzelnen Bildes ins Licht zu setzen, müsste man jedesmal nachweisen, wie andere Künstler meist mit grössern Mitteln doch nur eine geringere, weniger geistvolle Lösung zu Stande gebracht oder auch gänzlich neben das Ziel geschossen haben. Streitig für unser Gefühl sind nur die ersten Bilder, die der Weltschöpfung. Rafael bediente sich hier zum Ausdruck für den Schöpfer desjenigen Typus, welchen Michelangelo in der Sistina zum Leben gerufen hatte; die Kunst hatte jetzt gleichsam das Recht, die in verschiedene Acte getheilte Schöpfung als lauter Bewegung darzustellen. Gleich darauf beginnt die Geschichte des ersten Menschenpaares, die hier durch die Bestimmtheit des landschaftlichen Raumes einen von den Darstellungen gleichen Inhaltes in der Sistina wesentlich verschiedenen Grundton erhält. Diese vier Bilder allein offenbaren schon den grössten historischen Componisten, wie man beim Durchdenken ihrer Motive zugeben wird. Mit den vier Noah-Bildern beginnt ein neues patriarchalisch-heroisches [927] Leben, welches dann in den vier Bildern der Geschichte Abrahams und in den vier folgenden mit der Geschichte Isaaks seine Fülle entfaltet. Abraham mit den drei Engeln, Loth mit seinen Töchtern fliehend, der knieende Isaak, die Scene beim König Abimelech gehören zu den schönsten Motiven Rafaels. Und doch glaubt man erst in den Bildern der Geschichte Jacobs und vollends derjenigen Josephs das Höchste innerhalb den Grenzen dieser Gattung vor sich zu haben, zumal in der Scene „Joseph vor seinen Brüdern als Traumdeuter.“ – Von den acht Bildern mit der Geschichte des Moses sind die ersten noch sehr schön, und unter den spätern besonders die Anbetung des goldenen Kalbes; dazwischen aber tritt mit „Moses auf Sinai“, und „Moses vor der Wolkensäule“ eine starke Verdunkelung ein. Vermuthlich war dem Künstler der vorgeschriebene Gegenstand zuwider; das letztere Bild kann er kaum selber componirt haben. Von den vier Bildern der Eroberung Palästina's ist der Sturm auf Jericho besonders ausgezeichnet; von den vieren der Geschichte Davids die Salbung, von der Geschichte Salomo's das Urtheil. Mit den Bildern der letzten Arcade begann Rafael die Geschichten des neuen Testamentes; der Anfang, zumal die Taufe Christi zeigt, was wir an der Fortsetzung verloren haben. (Das Abendmahl schwerlich von R.)

Eine besondere Beachtung verdient die Behandlung des Übersinnlichen. Die Kleinheit des Massstabes schrieb eine Wirkungsweise durch lauter Geberde und Bewegung vor. „Die Scheidung des Lichtes von der Finsterniss“ (1. Arc., 1. Bild) ist unter dieser Bedingung ganz vorzüglich grossartig gedacht; die Geberde der vier Extremitäten drückt das Auseinanderweisen und zugleich die höchste Macht aus. Bei den ersten Menschen tritt Gott als weiser Vater auf; der Engel, der sie aus dem Paradiese treibt, zeigt in der Geberde ein tröstendes Mitleid. In starker schwebender Bewegung erscheint Gott dem Abraham, dem Isaak (mit dem Gestus des Verbietens) und dem Moses im feurigen Busche; mit der Himmelsleiter musste auch Rafael sich behelfen wie es ging. In der Gesetzgebung auf Sinai, wo Gott thronend im Profil dargestellt ist, trägt sich die Bewegung auf die heranstürmenden Posaunenengel über, u. s. w.

Mit den Decorationen haben diese biblischen Bilder allerdings nicht den geringsten geistigen Zusammenhang. Allein dieses ornamentale [928] System vertrug überhaupt nur einen neutralen Inhalt und hätte für religiöse Symbole und Anspielungen kein Gefäss abgeben können.

 

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Rafaels Tapeten 25) bestehen aus zwei Reihen, von welchen jedenfalls nur die erste, mit den zehn Ereignissen aus der Apostelgeschichte, ihm im engern Sinne angehört. Er schuf in den Jahren 1515 und 1516 (also gleichzeitig mit den Entwürfen zur Stanza dell' incendio) die berühmten Cartons, von welchen noch sieben zu Hamptoncourt in England aufbewahrt werden. Gewirkt wurden sie in Flandern; noch bei R.'s Lebzeiten kam wenigstens ein Theil davon fertig nach Rom. Die Wirker hatten sich an seine Zeichnung gehalten, so genau man sich damals überhaupt an Vorlagen hielt; es kommen Freiheiten, z. B. in der Behandlung einzelner Köpfe und des landschaftlichen Grundes vor, die sich ein jetziger Künstler bei seinen Executanten verbitten würde. Die Erhaltung des Vorhandenen ist im Verhältniss zu den Schicksalen eine mittlere; doch sind die Farben ungleich abgebleicht und das Nackte hat einen kalt schmutzigen Ton angenommen. Dem originalen Schwung und Strich der rafaelischen Hand können die Contouren der Tapeten ohnediess nie gleichkommen.

Von ihren nur in wenigen Beispielen erhaltenen Randarabesken ist schon (S. 285) die Rede gewesen. Ausserdem haben sie Sockelbilder in gedämpfter Goldfarbe. Hier zeigt es sich, wie Leo X seine eigene Lebensgeschichte taxirte. Ohne irgend einen Bezug auf die oben stehenden Thaten der Apostel geht sie unten parallel mit, und zwar auch diejenigen Momente, welche nichts weniger als ruhmreich waren, wie die vermummte Flucht aus Florenz, die Gefangennehmung in der Schlacht von Ravenna u. dgl. Das Glückskind findet Alles, was ihm widerfahren, nicht bloss merkwürdig, sondern auch monumental darstellbar, und dieser Zug des mediceischen Gemüthes hat noch hundert Jahre später Rubens und seine ganze Schule zur Verherrlichung der zweideutigsten Thatsachen in Anspruch genommen (Galerie de Marie de Médicis). Jene Sockelbilder, in schönem und gemässigtem Reliefstyl erzählt, bedurften, beiläufig gesagt, zur örtlichen [929] Verdeutlichung der gleichen Nachhülfe wie das Relief der Alten: nämlich der Personification von Flüssen, Bergen, Städten etc. Auch das allgemeine ideale Costüm war hier, wo kein Detail scharf charakteristisch vortreten durfte, durchaus nothwendig.

In den Hauptbildern war Rafael frei und konnte seinen tiefsten Inspirationen nachgehen. Es ist vorauszusetzen, dass er hier selbst die Momente wählen durfte, wenigstens sind sie alle so genommen, dass man keine bessern und schöner abwechselnden aus der Apostelgeschichte wählen könnte. Die Technik der Wirkerei, auf welche er seine Arbeit zu berechnen hatte, erlaubte ihm beinahe so viel als das Fresco. Er scheint mit einer ruhigen, gleichmässigen Wonne gearbeitet zu haben. Das reinste Liniengefühl verbindet sich mit der tiefsten geistigen Fassung des Momentes. Wie sanft und eindringlich ist in dem Bilde „Weide meine Schafe!“ die Macht des verklärten Christus ohne alle Glorien ausgedrückt, indem die Gruppe der Apostel je näher bei ihm, desto mehr zu ihm hingezogen wird; die hintersten stehen noch ruhig, während Petrus schon kniet. Die Heilung des Lahmen im Tempel – einer jener Gegenstände, welche in spätern Bildern durch Überladung mit gedrängten Köpfen pflegen erdrückt zu werden – ist hier durch die architektonische Scheidung und durch erhabenen Styl in die schönste Ruhe gebracht. Pauli Bekehrung ist (hier ohne Lichteffect) auf die einzig würdige Weise geschildert, während die meisten andern Darsteller ihre Virtuosität in einem rechten Getümmel zu zeigen suchen. Das Gegenstück bildet die Steinigung des Stephanus. Die Blendung des Zauberers Elymas (leider zur Hälfte verloren) und die Strafe des Ananias sind die höchsten Vorbilder für die Darstellung feierlich-schrecklicher Wunder; das Dämonische hat ruhige Gruppen zum Hintergrunde. Wiederum gehören zusammen: Pauli Predigt in Athen, und die Scene in Lystra, beide von unermesslichem Einfluss auf die spätere Kunst, sodass z. B. der ganze Styl Poussins ohne sie nicht vorhanden wäre. Das eine ein Bild des reichsten Seelenausdruckes, der sich der mächtigen Profilgestalt des Apostels doch vollkommen unterordnet; das andere eine der schönsten bewegten Volksgruppen, so um den Opferstier geordnet, dass dieser mit seiner Wendung sie unterbricht und doch nichts verdeckt; man empfindet, dass der Apostel ob diesem Auftreten der Masse vor Leid [930] ausser Fassung gerathen muss. – Endlich der Fischzug Petri, ein Bild des geheimnissvollsten Zaubers; der Moment der physischen Anstrengung (in welchen beiden Gestalten!) ist in die zweite Barke verwiesen, in der vordern kniet Petrus schon vor dem sitzenden Christus und der Beschauer wird nicht durch den Anblick der Fische gestört, über welchen man in andern Bildern den Hauptgegenstand, nämlich den Ausdruck der vollen Hingebung und Überzeugung des Apostels vergessen muss.

Die zweite Reihe der Tapeten, schon in der Technik geringer, ist in Flandern auf den Kauf hin, wahrscheinlich nicht auf Bestellung, gewirkt worden. Es scheint, dass niederländische Künstler aus kleinen Entwürfen Rafaels grosse Cartons machten, welche diesen Tapeten zu Grunde gelegt wurden. Mehrere Compositionen, vorzüglich die grandiose Anbetung der Hirten, auch die der Könige, der Kindermord, die Auferstehung, zeigen trotz zahlreicher niederländischer Zuthaten die unverwüstliche Erfindung des Meisters, seine hochbedeutende Entwicklung des Herganges; von mehrern andern dagegen kann ihm gar nichts angehören; es ist Speculation, die sich an den damals noch weltberühmten Namen knüpfte, ehe Michelangelo's Ruhm Alles übertönt hatte.

 

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Ausser diesen grossen päpstlichen Aufträgen übernahm Rafael noch eine Anzahl von Fresken für Kirchen und Privatleute.

Das frühste (1512) ist der Jesajas an einem Pfeiler des Hauptschiffes von S. Agostino in Rom. (Seit einer unglücklichen Restauration ist R. nur noch für die Umrisse verantwortlich.) Der Einfluss der Sistina, welche nicht lange vorher vollendet war, lässt sich wohl nicht verkennen; stärker aber als Michelangelo spricht Fra Bartolommeo aus dem Bilde. In der schönen Zusammenordnung des Propheten mit den Putten möchte R. jenen beiden überlegen sein.

Eine ganz andere Art von Concurrenz mit Michelangelo drückt sich in dem berühmten Fresco von S. Maria della Pace (1514) aus 26). Die Aufgabe himmlisch begeisterter Frauengestalten, die sich [931] das Alterthum in seinen Musen ganz anders gestellt hatte, gehört hier der Symbolik des Mittelalters an, ebenso die Motivirung durch die Engel. Michelangelo war hievon abgegangen und hatte das Übernatürliche ganz in der Gestalt der Sibyllen selbst zu concentriren gesucht, sodass ihnen die Putten nur als Begleitung und Gefolge dienen; später liessen Guercin und Domenichino die Engel ganz weg und ihre Sibylle sehnt sich einsam aus dem Bilde hinaus. Rafael dagegen drückte gerade in der Verbindung der Sibyllen mit den Engeln den schönsten Enthusiasmus des Verkündens und Erkennens aus. Man bemerkt lange nicht, dass die Engel von kleinerm Massstabe sind; wie etwa die Griechen den Herold kleiner als den Helden bilden mochten. Die Anordnung im Raum, die durchgehende und so schön aufgehobene Symmetrie, die Bildung der Formen und Charaktere verleihen diesem Werk eine Stelle unter den allergrössten Leistungen R.'s und vielleicht wird es von all seinen Fresken am frühsten die Vorliebe des Beschauers gewinnen.

 

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Im Jahr 1516 erbaute und schmückte R. die Capella Chigi, im linken Seitenschiff von S. Maria del popolo; nach seinen Cartons fertigte damals ein Venezianer, Maestro Luisaccio, die Mosaiken der Kuppel. (Sie gehören als venezian. Mosaiken nicht zu den bestgearbeiteten dieser Zeit.) Der segnende Gottvater mit Engeln, in der Lanterna, zeigt das bedenkliche Verkürzungssystem, welches damals hauptsächlich durch Coreggio aufkam, in seiner edelsten Äusserung. Ringsum sind die sieben Planeten und (als achte Sphäre) der Fixsternhimmel unter dem Schutz und der Leitung göttlicher Boten dargestellt. Hier treffen Mythologie und christliche Symbolik auf einander; bewundernswürdig hat R. ihre Gestalten im Charakter geschieden und in der Handlung verbunden. Die Planetengötter gewaltig, befangen, leidenschaftlich; die Engel abwehrend und ruhig waltend. Die Anordnung im Raum, sodass z. B. die Planetengötter nur mit dem Oberleib hervorragen, ist der Aufgabe so angemessen, als könnte sie gar nicht anders sein. [932]

 

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Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier), welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommerhaus der Erde, die Farnesina an der Longara zu Rom. Baldassare Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d'Eliodoro liess sich auch Rafael einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino herbei, und malte in dem Nebenraum links die Galatea, das herrlichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegorisch gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung schöner Formen, sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schon vereinigt hat, schwebt sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird man, beiläufig gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie wenig Rafael in seinem Formgefühl von den Antiken abhängig war; nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt „correktere“ Gestalten aus der David'schen Schule, wer möchte sie aber gegen diese eintauschen?

In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518–20) schuf dann Rafael die Entwürfe zu der berühmten Geschichte der Psyche für die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere) von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Meisters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben; um zu wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Composition erhielt R. eine flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vorderseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attributen [933] der Götter, an der mittlern Fläche in zwei grossen Bildern das Gericht der Götter und das Göttermahl bei Psyche's Hochzeit. Der Raum ist durchgängig ein idealer und durch einen blauen Grund repräsentirt, seine Trennung nicht scharf architektonisch, sondern durch Fruchtkränze dargestellt, in welchen Giov. da Udine die schon an den Loggienfenstern bewährte Meisterschaft offenbarte.

Raum und Format der Zwickel waren für Geschichten von mehreren Figuren scheinbar so ungeeignet als möglich; Rafael aber entwickelte gerade daraus (wie aus der Wandform bei der Messe von Bolsena, der Befreiung Petri, den Sibyllen) lauter Elemente eigenthümlicher Schönheit. Irgend eine bestimmte Räumlichkeit, ein bestimmtes Costüm durfte allerdings darin nicht vorkommen; das war seine Freiheit neben dem ungeheuern Zwang, den ihm die Einrahmung auferlegte. Nur nackte oder ideal bekleidete menschliche Körper, nur die schönsten und deutlichsten Schneidungen, nur die Wahl der prägnantesten Momente konnten das Wunder vollbringen. Die letztern sind auch in der That nicht alle gleich glücklich und bei allen muss man die Kenntniss der bei Apulejus erzählten Mythe (die damals Jedermann auswendig wusste) voraussetzen 27). Aber im Ganzen bezeichnen sie doch den Gipfel des Möglichen in dieser Art. (Besonders: Amor, welcher den drei Göttinnen die Psyche zeigt, die Rückkehr Psyche's aus der Unterwelt, Jupiter den Amor küssend, Mercur die Psyche emportragend.) – In den beiden grossen, als ausgespannte Teppiche gedachten Deckenbildern mit den olympischen Scenen gab R. nicht jene Art von Illusion, welche mit Schaaren von Figuren in Untensicht auf Wolkenschichten den Himmel darzustellen vermeint, sondern eine Räumlichkeit, welche das Auge befriedigt und für den innern Sinn mehr wahrhaft überirdisch erscheint als alle jene perspectivischen Empyreen. Die einzelnen Motive gehören zum Theil zu seinen reifsten Früchten (der sinnende Jupiter und der plaidirende Amor, Mercur und Psyche; im Hochzeitmahl vorzüglich das Brautpaar, der aufwartende Ganymed u. A. m.), und doch fällt nichts Einzelnes aus dem wunderwürdig geschlossenen Ganzen heraus. – Die schwebenden Amorine mit den Abzeichen und Lieblingsthieren der Götter sind wohl im Ganzen [934] eine Allegorie auf die Allherrschaft der Liebe, im Einzelnen aber Kinderfiguren von lebendigstem Humor und trefflichster Bewegung des Schwebens im gegebenen Raum.

 

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Vielleicht that es Rafael über dieser Arbeit leid um die vielen andern darstellbaren Momente aus der Geschichte der Psyche, welche nur eben hier keine Stelle finden konnten, weil sie eine bestimmte Örtlichkeit und eine grössere Figurenzahl verlangten. Wie dem auch sei, er entwarf eine grössere Reihe von Scenen, deren Andenken – leider nur nach einer spätern Redaction des Michel Coxcie – in Stichen und neuern Nachstichen (u. a. in der Sammlung von Réveil) vorhanden ist 28). So einfach und harmlos als möglich wird darin die Geschichte erzählt; das Auge nimmt die göttliche Schönheit der meisten dieser Compositionen hin, als verstände sie sich ganz von selbst.

 

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Das ist es ja überhaupt, was uns Rafael so viel näher bringt als alle andern Maler. Es giebt keine Scheidewand mehr zwischen ihm und dem Verlangen aller seither vergangenen und künftigen Jahrhunderte. Ihm muss man am wenigsten zugeben oder mit Voraussetzungen zu Hülfe kommen. Er erfüllt Aufgaben, deren geistige Prämissen – ohne seine Schuld – uns sehr fern liegen auf eine Weise, welche [935] uns ganz nahe liegt. Die Seele des modernen Menschen hat im Gebiet des Form-Schönen keinen höhern Herrn und Hüter als ihn. Denn das Alterthum ist zerstückelt auf unsere Zeit gekommen und sein Geist ist doch nie unser Geist.

Die höchste persönliche Eigenschaft Rafaels war, wie zum Schluss wiederholt werden muss, nicht ästhetischer, sondern sittlicher Art: nämlich die grosse Ehrlichkeit und der starke Wille, womit er in jedem Augenblick nach demjenigen Schönen rang, welches er eben jetzt als das höchste Schöne vor sich sah. Er hat nie auf dem einmal Gewonnenen ausgeruht und es als bequemen Besitz weiter verbraucht. Diese sittliche Eigenschaft wäre ihm bei längerem Leben auch bis ins Greisenalter verblieben. Wenn man die colossale Schöpfungskraft gerade seiner letzten Jahre sich ins Bewusstsein ruft, so wird man inne, was durch seinen frühen Tod auf ewig verloren gegangen ist.

 

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Die Schüler Rafaels bildeten sich an den grössten Unternehmungen seiner letzten Jahre. War es ein Glück für ihre eigene Thätigkeit, dass sie von Anfang an unter dem Eindrucke seiner grossen Auffassung der Dinge standen? konnten sie noch mit eigener naiver Art an ihre Gegenstände gehen? und welche Wirkung musste es auf sie ausüben, wenn sie aus dem Gerede der Welt entnahmen, was man eigentlich an ihrem Meister bewunderte? In letzter Linie kam es dabei sehr auf ihren Charakter an.

Der bedeutendste darunter ist Giulio Romano (geb. um 1492, st. 1546). Eine leichte, unermüdliche Phantasie, welche auch Streifzüge in das Gebiet des Naturalismus nicht verschmäht und sich vorzugsweise in den neutralen Gegenständen, in den Mythen des Alterthums zu ergehen liebt, zu der kirchlichen Malerei aber gar keine innerliche Beziehung mehr hat und einer grenzenlosen Verwilderung, einer öden Schnellproduction anheimfallen musste.

Frühe decorative Malereien: im Pal. Borghese (drei abgesägte Stücke aus der Villa Lante, mit altrömischen Geschichten in Beziehung [936] auf den Janiculus); in der Villa Madama (Fries von Putten, Candelabern und Fruchtschnüren in einem Zimmer links; s. oben); in der Farnesina (Fries eines obern Saales). – Frühe Madonnen im Pal. Borghese, im Pal. Colonna, in der Sacristei von S. Peter, in den Uffizien; die Mutter mehr resolut, die Kinder mehr muthwillig als bei Rafael; die Melodie der Linien schon beinahe verklungen. – Das vielleicht frühste grosse Altarbild: auf dem Hochaltar von S. M. dell' anima; in einzelnem Detail noch rafaelisch schön. – In der Sacristei von S. Prassede: die Geisselung, ein blosses Actbild in ziegelrothen Fleischtönen, doch in der Bravour noch sorgfältig. – Die grossartige Porträtauffassung rafaelischer Fresken lebt noch in dem Kopfe des Giuliano de' Medici (Gal. Camuccini, wo sich auch ein späteres Werk, der Entwurf zu einem allegorischen Deckenbilde, findet). – Endlich das Hauptwerk unter den frühern: Stephani Steinigung, auf dem Hochaltar von S. Stefano zu Genua, höchst fleissig, schön modellirt, in der Farbe noch der untern Hälfte der Transfiguration entsprechend. Die untere, irdische Gruppe, als Halbkreis im Schatten um die lichte, herrlich wahre, jugendlich naive Hauptgestalt componirt, ist noch immer eine der grössten Leistungen der italienischen Kunst. Alle haben gerade ihre Steine erhoben und sind zum Werfen bereit, der eine mehr hastig, der andere mehr wuchtig etc., aber das Grässliche wird dem Beschauer erspart. In der himmlischen Gruppe zeigt sich Giulio's ganze Inferiorität; es fehlt das Architektonische; Christus und Gott Vater decken sich halb; die Engel, unter welchen ein sehr schöner, sind beschäftigt, die Wolken aufzuschlagen. Diese Auffassung des Überirdischen ist eine absichtlich triviale.

In den Diensten des Herzogs von Mantua baute und malte Giulio daselbst sein ganzes übriges Leben hindurch. Ich kann nur die Localitäten nennen: Säle im herzoglichen Palast in der Stadt; sodann die ganze malerische Ausschmückung des von Giulio selbst erbauten Palazzo del Te (S. 311) mit lauter mythologischen und allegorischen Gegenständen. Hie und da hat er die darzustellenden Momente wirklich grossartig angeschaut, im Ganzen aber sich erstaunlich gehen lassen und z. B. den Sturz der Giganten gegen besseres Wissen so dargestellt, wie man ihn sieht. Zwei zierlich in Farben ausgeführte [937] Zeichnungen zu der im Pal. del Te gemalten Geschichte der Psyche findet man in der Gemäldesammlung der Villa Albani bei Rom.)

Von den Schülern, die sich in Mantua bei ihm bildeten, ist Giulio Clovio als Miniator berühmt; – von Rinaldo Mantovano das Hauptbild, eine grosse Madonna mit Heiligen, in der Brera zu Mailand (Reminiscenz der Mad. di Foligno); – von Primaticcio ist in Italien fast nichts; – von dessen Gehülfen Niccolò dell' Abbate Fresken im Pal. del Commune zu Modena, (ehemals?) auch im Schlosse von Scandiano. (Die drei mythologischen Bilder der Gal. Manfrin in Venedig möchten eher von einem Venezianer herrühren, der zugleich die römische Schule kannte; etwa von Batt. Franco?)

Im Ganzen ist Giulio's Thätigkeit eine sehr schädliche gewesen. Die vollkommene Gleichgültigkeit, mit welcher er (hauptsächlich in vielen Fresken) die von Rafael und fast noch mehr von Michelangelo gelernte Formenbildung zu oberflächlichen Effekten verwerthete, gab das erste grosse Beispiel seelenloser Decorationsmalerei.

 

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Perin del Vaga (1500–1547), weniger reich begabt, in den (seltenen) Staffeleibildern schon auffallend manierirt (Einiges im Pal. Adorno in Genua; die Madonna mit Heiligen im rechten Querschiff des Domes von Pisa mehr Sogliani's als Perino's Werk), bleibt doch dem Rafael näher, sobald eine decorative Abgrenzung und Eintheilung seine Gestalten und Scenen vor der Formlosigkeit behütet. Man sieht im Dom von Pisa, an mehrern Stellen des rechten Querschiffes, sehr schöne Putten als Frescoproben gemalt. In Genua gehört dem Perin die ganze Decoration des Pal. Doria (S. 286). Hier erinnert noch Vieles an die Farnesina; in der untern Halle sind einige der Zwickelfiguren noch ungemein schön; die Lunettenbildchen (römische Geschichten) zum Theil durch ihre Landschaften interessant; die vier Deckenbilder (Scipio's Triumph) freilich schon lastend durch Überfüllung und Wirklichkeit; – in der Galeria wiederum heitere und gut bewegte, aber schon manierirt gebildete Putten, prächtige Gewölbedecorationen, und an der einen Wand die mehr als lebensgrossen Helden des Hauses Doria, unglücklicher Weise sitzend und dennoch in gezwungenen dramatischen Bezügen zu einander, aber dem Charakter [938] nach beinahe noch rafaelisch grossartig 29); – in dem Saale rechts der Gigantenkampf, widerlich renommistisch wie die meisten Bilder dieser Art; – von den übrigen Sälen enthält wohl derjenige mit den Liebschaften des Zeus und den Wissenschaften, sowie derjenige mit den Geschichten der Psyche die geistreichsten Motive. – Die genuesischen Schüler Perins gehören durchaus zu den Manieristen. – (Spätere Fresken Perins in Rom: S. Marcello, 6. Cap. rechts.)

Francesco Penni, genannt il Fattore, hat in Rom wenig Namhaftes hinterlassen.

Von einem ungenannten Maler der Schule Rafaels ist in Trinità de' monti zu Rom die 5. Cap. rechts ausgemalt (Anbetung der Hirten, der Könige, Beschneidung, nebst Lunettenbildern). Neben rafaelischen Nachklängen ist die Verwilderung der Schule hier ganz besonders deutlich in ihren Anfängen zu beobachten; langgestreckte Figuren, verdrehte Arme u. s. w. – Mehrere andere Capellen zeigen ebenso die Ausartung der Nachahmer Michelangelo's. (Die 3. Cap. r. mit Geschichten der Maria ist z. B. von Daniele da Volterra ausgemalt.)

 

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Von allen Schülern hat Andrea Sabbatini oder Andrea da Salerno am meisten von Rafaels Geist. Ausser den Bildern im Museum von Neapel (Kreuzabnahme, Anbetung der Könige, sieben Kirchenlehrer, S. Nicolaus thronend zwischen den von ihm Geretteten etc.) und einzelnen in Kirchen zerstreuten (S. Maria della grazie) sind die Fresken in der Vorhalle des innern Hofes von S. Gennaro de' Poveri, die man ihm unbedenklich zuschreiben darf, vielleicht das Geistvollste was Neapel Heimisches aus der goldenen Zeit besitzt. (Geschichten des heil. Januarius, leider sehr entstellt.) Andrea denkt einfach und schön und malt nur was er denkt, nicht was aus irgend einem malerischen Grunde irgend einen Effect machen könnte. – Ein Nachfolger, Gian Bernardo Lama, ist im glücklichen Fall ebenfalls naiv und einfach, bisweilen aber auch sehr schwach und süsslich. [939] (S. Giacomo degli Spagnuoli, 3. Cap. 1., grosse Kreuzabnahme, wie von einem in Italien geschulten Niederländer; Anderes im Museum.) – In denselben Styl lenkte später auch Antonio Amato (S. 845) ein. Madonna mit Engeln, im Museum.

 

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Eine ganz andere Tendenz brachte Polidoro da Caravaggio nach Neapel (und Sicilien). Er ist noch der Schüler Rafaels in den oben (S. 293) genannten Fassadenmalereien, vielleicht auch in den mir nicht bekannten an dem Gartenhause des Pal. del Bufalo. (Vom Niobe-Fries eine Handzeichnung im Pal. Corsini; drei Bilder grau in grau sollen sich noch im Pal. Barberini befinden.) Später schlägt er in den grellsten Naturalismus um, dessen merkwürdiges Hauptdenkmal die grosse Kreuztragung im Museum von Neapel ist. Hier zuerst wird das Gemeine als wesentliche Bedingung der Energie postulirt. Seine kleinern Bilder in derselben Sammlung sind zum Theil aus derselben Art und aus einem unächten Classicismus gemischt. – Ein Schüler Polidoro's, Marco Cardisco (im Museum: der Kampf S. Augustins mit den Ketzern) hat mehr das Ansehen eines entarteten Schülers von Rafael selbst. – Ein Schüler dieses Cardisco, nämlich Pietro Negroni (1506–1569), entwickelt in dem einzigen mir bekannten Bilde, einer grossen auf Wolken schwebenden Madonna mit Engeln (Museum) eine wahrhaft befremdliche Schönheit und Grossartigkeit; man glaubt die denkbar höchste Inspiration eines Giulio Romano vor sich zu sehen. – Andere Meister, wie Criscuolo, Roderigo Siciliano, Curia etc. sind meist wenig geniessbar (Museum).

 

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Mehrere Schüler des Francesco Francia in Bologna traten in der Folge in Rafaels Schule über oder geriethen doch unter den bestimmenden Einfluss seiner Werke.

Die frühern Gemälde des Timoteo della Vite (1470–1523) befinden sich meist in seiner Vaterstadt Urbino und der Umgegend; einzelne spätere in der Brera zu Mailand (schöne Verkündigung Mariä mit Heiligen etc.) und in der Pinac. zu Bologna (S. Magdalena betend vor ihrer Höhle stehend, eine räthselhaft anziehende Gestalt). Als [940] Schüler Rafaels malte er die Propheten über den Sibyllen in der Pace; wie viel ihm aber vorgezeichnet wurde, ist nicht bekannt und am Ende gehören diese Figuren, die ohne die Nähe der Sibyllen als Capitalwerke erscheinen würden, wesentlich ihm selbst.

Auch ein anderer Schüler Francia's und Rafaels, Bartol. Ramenghi (Bagnacavallo) ist in solchen einzelnen idealen Gestalten bisweilen grossartig (Sacristei von S. Micchele in bosco zu Bologna: die Nischenfiguren; vgl. das berühmte Bild der 4 Heiligen in Dresden), bisweilen auch etwas gewaltsam (S. M. della Pace in Rom: zwei Heilige gegenüber den Propheten des Timoteo). Seine beste Composition s. S. 842; dagegen ist die Madonna mit Heiligen in der Pinacoteca zu Bologna schon ein sehr mittelbares Werk und die Art wie er (in der genannten Sacristei) Rafaels Transfiguration umdeutet, vollends kümmerlich. (Ein schönes frühes Bild, der Gekreuzigte mit 3 Heiligen, in der Sacristei von S. Pietro zu Bologna.)

Innocenzo da Imola dagegen travestirte Rafaels Compositionen nicht, sondern „entschloss sich kühn, sie grenzenlos zu lieben“. Von seinen zahlreichen Werken, fast sämmtlich in Bologna, sind einige wenige früh und naiv (Pinac.: Madonna der Gläubigen) oder frei im rafaelischen Geiste geschaffen (Pinac.: Madonna mit beiden Kindern, S. Franz und S. Clara), die meisten dagegen reine Anthologien aus Rafael, fleissig, sauber und im Arrangement so geschickt als man es bei dem Nicht-Zusammengehörigen billiger Weise verlangen kann. (Pinac.: Heilige Familie sammt Donator und Gattin; – S. Michael mit andern Heiligen; – S. Salvatore, 3. Cap. 1., der Gekreuzigte mit 4 Heiligen, auf frühern Werken Rafaels beruhend, u. A. m.) Etwas unabhängiger: S. Giacomo magg., 7. Alt. r., Vermählung der h. Catharina; – Servi, 7. Alt. 1., grosse Verkündigung; – endlich die nicht zu verachtenden Fresken in S. Micchele in bosco, Cap. del coro notturno, welche beweisen, wie gerne Innocenzo etwas Einfach-Bedeutendes geschaffen hätte 30). [941]

Girolamo da Treviso, venezianisch gebildet, dann in Bologna thätig, verräth in den einfarbigen Legendenscenen der 9. Cap. rechts in S. Petronio ebenfalls Studien nach Rafael.

Von Girolamo Marchesi da Cotignola, einst Francia's Schüler, sieht man in diesen Gegenden nur spätere Bilder des freiern und schon manierirten Styles. (Mehreres in der Brera zu Mailand; eine grosse überfüllte Vermählung Mariä in der Pinac. zu Bologna; Justitia und Fortitudo, in S. M. in Vado zu Ferrara, hinterste Cap. d. r. Querschiffes; diese von schönem venezianischem Naturalismus.)

 

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Auch die Ferraresen geriethen unter den Einfluss Rafaels, aber die Eigenthümlichkeit ihrer Schule war stark genug, um ein Gegengewicht in die Wagschale zu legen.

Einer von ihnen, Lodovico Mazzolino (1481–1530), erwehrte sich dieses Einflusses vollständig. Er behält seinen altoberitalischen Realismus bei, und zwar in Verbindung mit einem venezianisch glühenden Colorit. Seine meist kleinen Cabinetbilder (je kleiner desto werthvoller) kommen in Ferrara selten, in Italien hie und da (Pal. Borghese und Doria in Rom; Uffizien), im Ausland häufiger vor. Überladen, auch gedankenlos, in der Zeichnung ohne rechte Grundlage, im Anbringen von Hallen mit Goldreliefs einer der masslosesten, imponirt M. durch die tiefe saftige Frische der Farben, die mit all ihrer Buntheit eine Art von Harmonie bilden. Von Weitem leuchten sie durch die Galerien. Im Ateneo zu Ferrara ein etwas grösseres Bild: Anbetung des Kindes mit Heiligen.

Benvenuto Tisio, gen. Garofalo (1481–1559), wächst aus demselben Grunde mit Mazzolino. (Bildchen im Pal. Borghese.) Später bei mehrmaligem Aufenthalt in Rom und zwar in Rafaels Schule suchte er sich den römischen Styl nach Kräften anzueignen. Er hatte von Hause aus die Anlage zu einem venezianischen Existenzmaler in der Art eines Pordenone oder Palma; nun schuf er Altarblätter in einem idealern Styl als er gedurft hätte. Es ist schwer, Werke von einem so ernsten Streben wie die seinigen nach der höchsten Strenge [942] zu beurtheilen, zumal bei der stellenweise ganz venezianischen Pracht, Harmonie und Klarheit der Farben. Und doch ist es eine Thatsache, dass der innere Sinn oft von ihm abgestossen wird, während das Auge sich noch ergötzt. Er ist kein Manierist; selbst die zahllosen kleinen Bildchen zumal der Gal. Doria und der Gal. des Capitols, sind mit voller äusserer Gewissenhaftigkeit componirt und gemalt. Aber sein Gefühl füllt die Formen nicht aus, die er schafft, sein Pathos ist ein unsicheres, seine idealen Köpfe, zumal die grossen, verrathen eine geistige Leere. (So der schöne Apostelkopf im Pal. Pitti, die Judith bei Camuccini zu Rom.) Am ehesten in seinen wenigen Genrebildern (Eberjagd im Pal. Sciarra; Reiterzug im Pal. Colonna, dem Bagnacavallo zugeschrieben) ist er ganz der farbenreiche und naive Ferrarese. – In den spätern Werken verhält er sich zu den Schülern Rafaels wie früher zu Rafael selbst, auch wird sein Colorit schwächer. Seine Kirchenbilder sind hauptsächlich folgende.

In Rom: Pal. Doria: Heimsuchung, und Anbetung des Kindes, früh und schön. – Pal. Chigi: Himmelfahrt Christi, und ein Bild mit drei Heiligen, ebenso. – Pal. Borghese: die Kreuzabnahme, Hauptbild. – Im Museum von Neapel: Kreuzabnahme, im Ausdruck stiller und tiefer. – In der Brera zu Mailand: eine Pietà mit vielen Figuren, und ein Crucifixus, früh. – In der Academie zu Venedig: Madonna in Wolken, mit 4 Heiligen, datirt 1518, vorzüglich. – In der Galerie zu Modena: zwei thronende Madonnen mit Heiligen, eine schöne der mittlern Zeit, und eine späte. – In S. Salvatore zu Bologna, 1. Cap. 1.: häusliche Scene bei Zacharias. –

In Ferrara: im Ateneo: Grosses allegorisches Frescobild, als Ganzes nichtig und widerwärtig, reine Buchphantasie, aber mit schönen Episoden, mittlere Zeit; grosse Anbetung der Könige vom Jahr 1537 und noch sehr brillant; Gethsemane u. A. m. (Bald wird hier auch das Abendmahl aus S. Spirito aufgestellt werden, wovon man einstweilen Candi's Copie sieht.) – Im Dom: zu beiden Seiten des Portals schlichte und edle Frescogestalten des Petrus und Paulus; 3. Alt. 1.: thronende Madonna mit 6 Heiligen, vom Jahr 1524, Hauptbild; rechtes Querschiff: Petrus und Paulus; linkes: Verkündigung, spät. – In S. Franceseo, Fresken der 1. Cap. 1.: die beiden Donatoren zu den Seiten des Altars, köstlich früh ferraresisch; der Judaskuss [943] nebst einfarbigen Seitenfiguren, spät. – In S. Domenico: Bilder der 4. Cap. r. und 4. Cap. 1. – In S. Maria in Vado, 5. Alt. 1.: Himmelfahrt Christi, Copie des Carlo Bonone. (In den 2 äussersten Capellen des linken Querschiffes die beiden grossen ehemaligen Orgelflügel, zusammen eine Verkündigung enthaltend, von einem guten Zeitgenossen oder Schüler).

 

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Dosso Dossi (st. 1560) liess sich weniger von Rafael desorientiren, dessen persönlichen Einfluss er nicht mehr erfuhr. Er blieb ein Romantiker auf eigene Gefahr und behielt (die späteste Zeit ausgenommen) seine Gluthfarben und seine eigenen bisweilen ungeschickten und bizarren, oft aber höchst bedeutenden Gedanken; in den Charakteren steht er nicht selten den grössten Venezianern gleich, am ehesten dem Giorgione.

Frühere kleine Bilder sind ganz ferraresisch (Uffizien: Kindermord; Pal. Pitti: Ruhe auf der Flucht, mit herrlicher Landschaft). – Von den Altarbildern ist das grosse aus einer Madonna mit Heiligen und 5 Nebenabtheilungen bestehende im Ateneo zu Ferrara (aus S. Andrea, wo man jetzt Candi's Copie findet) einer der grössten Kunstschätze Oberitaliens; streng architektonische Anordnung, Adel und Fülle der Charaktere, gewaltige Kraft der Farbe. – Ebenda: eine grosse Verkündigung, und ein Johannes auf Pathmos, von misslungenem pathetischem Ausdruck. – In der Brera zu Mailand: ein heiliger Bischof mit 2 Engeln (1536). – Im Dom von Modena, 4. Alt. 1., Madonna in Wolken, unten S. Sebastian, S. Hieronymus und Johannes d. T., Hauptbild. – In der Galerie zu Modena: grosse Anbetung der Könige mit phantastisch beleuchteter Landschaft; grosses Carthäuservotivbild mit der auf Wolken schwebenden Jungfrau. – Ebenda al Carmine, 3. Alt. r.: ein heiliger Dominicaner, ein schönes dämonisches Weib mit Füssen tretend. – Ebenda in S. Pietro, 3. Alt. r.: Mariä Himmelfahrt, die Apostel (3 rechts, 3 links und 6 hinten) treten ganz feierlich mit ihren Attributen heran; – andere Bilder dieser Kirche werden theils seiner Schule, theils seinem Bruder Gian Battista zugeschrieben, so die artige Predella des 5. Alt. r., – die naiv schöne auf Wolken schwebende Madonna mit zwei heil. Bischöfen auf dem [944] 7. Alt. 1., – die Madonna in Wolken mit S. Gregor und S. Georg, wozu eine landschaftlich köstliche Predella, sicher von Gian Battista, gehört, 2. Alt. 1. – Als Genremaler ist Dosso Dossi besonders in der Galerie von Modena vertreten, hauptsächlich allerdings nur durch jene zu halbdecorativem Zweck gemalten Ovalbilder mit Essenden, Trinkenden und Musicirenden, in welchen man doch Giorgione's Vorbild ahnen kann; ebenda eine Anzahl Porträts, mit welchen die Phantasie den Hof von Ferrara wie er in den spätern Zeiten war, bevölkern mag. – Im Castell von Ferrara hat Dosso mit Hülfe seiner Schule mehrere Räume verziert; es sind meist Arbeiten seiner ganz späten, schon manierirten Zeit, selbst die berühmte Aurora in dem Saal der 4 Tageszeiten; auch die drei kleinen Bacchanale (in einem kleinen Corridor) haben nicht mehr die Frische und Schönheit, die solche Gegenstände verlangen. Nicht das Mythologische, sondern das frei Fabelhafte wäre Dosso's Fach gewesen. Man sieht im Pal. Borghese zu Rom ein Bild seiner besten Zeit: Circe (?) im Walde, magische Künste übend. Es ist die lebendig gewordene Zaubernovelle; so dachte Ariost seine Gestalten.

Ein Zeitgenosse des Garofalo und Dosso, der Ortolano, hat zu S. Francesco in Ferrara die Orgelflügel (linkes Querschiff) ganz tüchtig in der Art des Erstern mit grossen Heiligenfiguren geschmückt. (Die Halbfiguren an der Brustwehr theils von Garofalo selbst, theils von Bonone.)

 

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Die Unzulänglichkeit und Erstorbenheit der alten sienesischen Schule muss gegen Ende des XV. Jahrh. sehr unverhohlen als Thatsache anerkannt gewesen sein, indem man sonst nicht Pinturicchio von Perugia berufen hätte, um die Libreria und die Capelle San Giovanni im Dom auszumalen. Es scheint sogar, dass einzelne Sienesen nach Perugia in die Schule gingen, wie die frühern Bilder des Domenico Beccafumi (s. unten) beweisen. Sehr eigenthümlich äussert sich dieser peruginische Einfluss ferner bei dem edeln, männlichen Bernardino Fungai, der die schöne Inspiration davon annahm ohne die [945] äusserlichen Manieren; seine Bilder in der Academie (3. Raum und gr. Saal) sind noch sienesisch befangen; die Krönung Mariä mit vier Heiligen in der Kirche Fontegiusta (rechts) nähert sich schon mehr den Umbriern und den Florentinern; die Lunette über dem Hochaltar ebenda, Mariä Himmelfahrt, hat bereits in den musicirenden Engeln Einzelnes von hoher Schönheit; endlich lebt der Meister weiter in einem Bilde seines Schülers Pacchiarotto (S. Spirito, 3. Cap. 1.); wiederum eine Krönung Mariä, unten drei knieende Heilige, schön und andächtig, ernst und gemessen wie die Heiligen Spagna's. – (Das grosse Bild Fungai's im Carmine, Madonna mit Heiligen, vom Jahr 1512, hat der Verf. nicht gesehen.)

Allein die dauernde Hülfe konnte der Schule nicht durch Meister des passiven Ausdruckes kommen, wie die meisten Peruginer waren, sondern nur durch Theilnahme an der grossen Historienmalerei, die damals durch ganz Italien ihre Triumphe feierte. Und zwar sollte es ein Lombarde sein, Antonio Razzi von Vercelli, genannt il Sodoma (1479–1554), welcher dem Geiste der sienesischen Schule für lange, ja auf mehr als ein Jahrhundert hin eine neue, fruchtbringende Richtung gab.

Sodoma hatte sich bei den mailändischen Schülern Leonardo's gebildet (wie denn noch sein frühstes Bild in Siena, die Kreuzabnahme in S. Francesco, rechts, vom Jahr 1513, durch Auffassung und Farbenglanz einigermassen an Gaudenzio Ferrari erinnert); später bei mehrmaligem Aufenthalt in Rom nahm er, wie es scheint, den Eindruck Rafaels nachhaltiger in sich auf als die meisten von dessen Schülern und bewahrte denselben als diese ihn schon längst vergessen hatten.

Sein Genius hatte allerdings bestimmte Schranken, über welche er nie hinauskam. Ganz erfüllt von der Schönheit der menschlichen Gestalt, die er in rafaelisch anmuthigen Kinderfiguren (Putten) wie in Personen jedes Alters nackt oder bekleidet auf das grossartigste darzustellen wusste, besass er kein Auge für das Mass der historischen Composition. Er füllte seine Räume dergestalt mit Motiven jedes Grades an, dass immer eines das andere verdrängt oder aufhebt. So ist von den beiden grossen Fresken im zweiten obern Saal der Farnesina zu Rom, Alexander mit Roxane, und die Familie des Darius, das erstere durch Überreichthum an Schönheiten, das letztere zudem [946] durch Verwirrung nicht nach Verdienst geniessbar. In S. Domenico zu Siena malte Sodoma (1526) die Capelle der heil. Catharina (rechts) mit Scenen aus deren Leben aus, von welchen wenigstens die figurenreichste vor lauter Fülle ganz unklar wird, während so viel Einzelnes in Charakteren und Bewegungen unvergleichlich bleibt; die Verzierungen der Pilaster und die Putten darüber gehören ganz der goldenen Zeit an 31). – Es ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst, dass Sodoma am besten wirkt in isolirten Figuren, deren denn auch einige keinen Vergleich in der Welt zu scheuen haben. Am besten wird man dessen gewahr in S. Bernardino (oberes Oratorium) wo die vier einzelnen Heiligen S. Ludwig von Toulouse, S. Bernhardin, S. Antonius von Padua und S. Franz als vollkommen, die historischen Compositionen dagegen, Mariä Darstellung, Heimsuchung, Himmelfahrt und Krönung, nur als bedingte Lösungen dieser Aufgaben erscheinen 32). Im Pal. pubblico sind die drei fast nur von Putten begleiteten Heiligen S. Ansano, S. Vittorio und S. Bernardo Tolomei (in der Sala del Consiglio) so rein und gross als irgend etwas Ähnliches aus dieser Zeit, die Auferstehung dagegen (Stanza del Gonfaloniere) nur im Detail trefflich. In S. Spirito (1. Cap. rechts) malte Sodoma (1530) um eine Altarnische herum oben S. Jacob zu Pferde als Saracenensieger, unten rechts und links S. Antonius den Abt und S. Sebastian; wiederum von seinen herrlichsten Arbeiten. Von den in die Academie gebrachten Kirchenfresken wird (4. Raum) das grandiose Eccehomo, der leidende Normalmensch in einem Augenblick der Ruhe, immer den Vorzug behalten vor dem Christus am Ölberg und in der Vorhölle (gr. Saal), obwohl gerade das letztere Bild grosse Einzelschönheiten hat. (Die Geburt Christi an der Porta Pispini hat der Verf. übersehen; leider war ihm auch der Besuch des Klosters Monte Oliveto unweit Buonconvento nicht vergönnt, wo sich Sodoma in einem grossen Cyclus historischer Fresken von höchstem Werthe verewigt hat. Sind dieselben wirklich aus seiner Jugend, vom Jahr 1502, so müssen sie seinem frühern lombardischen Styl entsprechen.) [947]

Mit voller Freude hat Sodoma, wie die Grössten seiner Zeit überhaupt, nur in Fresco gearbeitet. Da erging sich seine Hand im freisten und sichersten Schwung; mit hohem Genuss wird man diese gleichmässigen, leichten Pinselstriche verfolgen, mit welchen er die Schönheit festzauberte. In Staffeleibildern war er insgemein befangener, und brauchte Farben, die einem ungleichen Nachdunkeln unterworfen sind, sodass z. B. ein ohnehin überfülltes Bild wie seine Anbetung der Könige in S. Agostino zu Siena (Nebencapelle rechts) ungünstig wirkt. In andern Fällen jedoch, wo sich z. B. die Hauptfiguren mehr isoliren, siegt er durch die sehr gewissenhafte Durchführung der schönen Form. Auferstehung Christi, im Museum von Neapel (Hauptsaal); das Opfer Abrahams, im Dom von Pisa (Chor); derselbe Gegenstand in der Brera zu Mailand; der S. Sebastian in den Uffizien (tosk. Sch.), vielleicht der schönste den es giebt, zumal mit den absichtlichen Schaustellungen der spätern Schulen verglichen; hier ist wahres edles Leiden in der wunderbarsten Form ausgedrückt.

Seine Madonna ist in der Regel ernst und nicht mehr ganz jugendlich, sein Christuskind den frei spielenden Putten seiner Fresken selten an Unbefangenheit und an Werthe gleich. (Pal. Borghese u. a. a. O.) Ebenso sein Eccehomo (Pal. Pitti und Uffizien) nicht demjenigen in Fresco. Sein eigenes treffliches Porträt in den Uffizien.

Die Ornamente und kleinen Zwischenbilder an der Decke der Camera della Segnatura im Vatican bekenne ich nie genau angesehen zu haben. – Von den Fresken des Conservatorenpalastes auf dem Capitol werden dem S. neuerlich die sehr kindlichen Scenen aus dem punischen Kriege im 7. Zimmer zugeschrieben; nach meiner Ansicht gehören ihm eher einige Figuren im 4. Zimmer (wenn ich nicht irre, dem der Fasti).

 

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Zunächst schlossen sich seinem Styl einige Schüler früherer Sieneser an; so Andrea del Brescianino (schöne Taufe Christi auf dem Altar von S. Giovanni, der Unterkirche des Domes von Siena; Madonna mit Heiligen, Acad., gr. Saal) und vorzüglich Jacopo Pacchiarotto. Die frühern Bilder des letztern (S. 945) verbinden wie [948] die besten des Fungai den peruginischen Ausdruck mit einer ernst gemeinten, tiefen Charakteristik; dieser Art soll ausser dem genannten in S. Spirito auch eine Madonna mit Heiligen in S. Cristoforo sein. Später wurde er unter der offenbaren Einwirkung Sodoma's (auch wohl des Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto) einer der wenigen Historienmaler, welche in den nächsten Jahrzehnden nach Rafaels Tode die Ehre der historischen Kunst im höhern Sinn vertraten. Ohne den Sodoma in der schwungvollen Schönheit der einzelnen Gestalten zu erreichen, war er ihm als Componist beträchtlich überlegen; man wird in S. Bernardino (oberes Oratorium) die Geburt Mariä und den englischen Gruss, ganz besonders aber in S. Caterina (unteres Oratorium) die Geschichten der Heiligen (die beiden Bilder rechts und das zweite links) dem Andrea del Sarto nicht weit nachsetzen können. Der Mordanfall auf die Mönche ist als Scene vortrefflich entwickelt, die Heilige an der Leiche der heil. Agnese ein Bild voll des schönsten Ausdruckes. Von P.'s Bildern in der Academie ist eine Himmelfahrt Christi (gr. Saal) noch etwas befangen; ein grosser „englischer Gruss“, mit der Heimsuchung im Hintergrunde, oben Putten, welche die Vorhänge bei Seite ziehen, wird einem Girolamo del Pacchia zugeschrieben, welcher vielleicht mit Pacchiarotto identisch ist; ein herrliches Bild, welches den Geist der sienesischen und der florent. Schule in reinster Verbindung zeigt.

Domenico Beccafumi machte in seinem langen Leben die Style mit, die in seiner Umgebung herrschten. Seine Jugendbilder sehen bisweilen denjenigen der peruginischen Schule und Perugino's selbst zum Verwechseln ähnlich. In seiner zweiten und besten Periode steht er dem Sodoma kaum minder würdig zur Seite als Pacchiarotto; dahin gehört das schöne Bild in der Acad. (Saal der Scuole diverse), welches mehrere Heilige in archit. Umgebung und oben eine Erscheinung der Madonna darstellt; ebenso die grandiosen Compositionen in S. Bernardino, Vermählung und Tod der Maria nebst dem Altarbilde. In seiner spätern Zeit kam die Ausartung und falsche Virtuosität der römischen Schule über ihn. (Sturz der bösen Engel, Acad., gr. Saal; Fresken der Sala del concistoro im Pal. pubblico etc.) Der Charakter war vielleicht dem Talent nicht gewachsen. – Von dem figurirten Marmorboden des Domes werden die besten Zeichnungen [949] (im Chor) ihm zugeschrieben, grosse figurenreiche Compositionen, schon ziemlich römisch. – In den Uffizien das Rundbild einer heil. Familie.

Der grosse Baumeister Baldassare Peruzzi ist als Maler entweder vorzugsweise Decorator (S. 173) oder in den Manieren des XV. Jahrh. befangen (Deckenbilder des Saales der Galatea in der Farnesina zu Rom, wo freilich neben Rafael Alles unfrei aussieht). Auf den wenigen Malereien seiner spätern Zeit ruht jedoch Rafaels und Sodoma's Geist. Das Fresco der ersten Capelle links in S. Maria della Pace zu Rom, eine Madonna mit Heiligen und Donator, hält diessmal gegenüber von Rafaels Sibyllen wenigstens so weit die Probe aus, dass man in den schönen und klar gegebenen Charakteren und in der freien Behandlung den Künstler der goldenen Zeit auf den ersten Blick erkennt. In der Kirche Fontegiusta zu Siena (links) ist das einfach grandiose Frescobild des Augustus und der tiburtinischen Sibylle trotz seiner übeln Beschaffenheit ebenso ein ergreifender Klang aus jener grossen Epoche. (Die Malereien im Chor von S. Onofrio zu Rom, die Mosaiken in der unterirdischen Capelle von S. Croce in Gerusalemme ebenda, und die wenigen Staffeleibilder Peruzzi's gehören vorwiegend zu seinen manierirten Sachen.)

Von dem Untergang der Republik an (1557) verdunkelt sich auch der künstlerische Glanz Siena's, doch nur für einige Zeit. Die Nachblüthe der ital. Malerei, welche gegen Ende des XVI. Jahrh. beginnt, hat gerade hier einige ihrer tüchtigsten Repräsentanten.

 

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In Verona repräsentiren vorzüglich zwei Maler die goldene Zeit: Gianfrancesco Caroto, Schüler Mantegna's, und Paolo Cavazzola, Schüler des Franc. Morone; welchen man noch den Giolfino beigesellen kann.

Durch die Verhüllung der Altarblätter wegen der Fasten sah sich der Verf. mit seinem Urtheil beinahe ganz auf die Gemälde derselben in der Pinacoteca zu Verona beschränkt. Caroto's graue Untermalung [950] einer Anbetung der Hirten ist eine unscheinbare und doch herrliche Schöpfung; der Geist Lionardo's berührt die Schule des Mantegna; – ebenda eine andere Anbetung des Kindes, eine thronende Madonna mit Heiligen auf Wolken, u. A. m. Weit das Wichtigste in S. Eufemia. – Von den Genrebildern des Qu. Messys und seiner Schule, welche am ehesten als Antwerpener Comptoirscherze zu bezeichnen sein möchten, finden sich in Italien mehrere. (U. a. im Pal. Doria zu Rom zwei Geizhälse mit zwei Zuschauern.) – Von Cavazzola enthält die Pinacoteca das grosse Hauptwerk (1517) einer Passion in drei Bildern; wiederum ein wunderbarer Übergang aus dem Realismus des XV. Jahrh. in die edle, freie Charakteristik des XVI., nicht in leere Idealität; – ausserdem frühe kleinere Passionsbilder, grandiose Halbfiguren von Aposteln und Heiligen; Christus und Thomas; endlich eine herrliche grosse Madonna mit Heiligen (1522), welche in der ganzen Behandlung, auch in der trefflichen Landschaft, an die Ferraresen erinnert. (Von ihm und Brusasorci sind auch die kleinen Landschaften in S. M. in organo, S. 272, a, mit hohen und schönen Horizonten, im Ton eher kalt als venezianisch oder flandrisch, mit biblischen Scenen staffirt.) Einige schöne Bilder in der Sacristei von S. Anastasia (Paulus mit andern Heiligen und Andächtigen; die von Engeln emporgetragene Magdalena) und in einer Nebencapelle links an SS. Nazaro e Celso (grosse Taufe Christi). – Giolfino's Sachen in der Pinacoteca sind minder bedeutend als der 4. Alt. l. in S. Anastasia, wenigstens dessen Nebenmalereien. Fresken in S. M. in organo. – Die zum Theil ganz besonders schönen Fassadenmalereien dieser Meister sind verzeichnet S. 297 u. 298.

 

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Mitten im höchsten allgemeinen Aufblühen erhebt sich ein Maler, welcher die Grundlagen und Ziele seiner Kunst ganz anders auffasst, als alle Übrigen: Antonio Allegri da Coreggio (1494–1534), Schüler des Francesco Mantegna und des Bianchi Ferrari (S. 820). Es giebt Gemüther, welche er absolut zurückstösst und welche das Recht haben, ihn zu hassen. Immerhin möge man die Stätte seiner Wirksamkeit, Parma, besuchen, wo möglich bei hellem Wetter, wäre es auch nur um der sonstigen Kunstschätze und um der freundlichen [951] und zuvorkommenden Einwohner willen, die das schlechteste Strassenpflaster von Italien wohl vergessen zu machen im Stande sind.

Innerlich so frei von allen kirchlichen Prämissen, wie Michelangelo, hat Coreggio in seiner Kunst nie etwas anderes als das Mittel gesehen, das Leben so sinnlich reizend und so sinnlich überzeugend als möglich darzustellen. Er war hiefür gewaltig begabt; in Allem, was zur Wirklichmachung dient, ist er Begründer und Entdecker selbst im Vergleich mit Lionardo und Tizian.

Allein in der höhern Malerei verlangen wir nicht das Wirkliche, sondern das Wahre. Wir kommen ihr mit einem offenen Herzen entgegen und wollen nur an das Beste in uns erinnert sein, dessen belebte Gestalt wir von ihr erwarten. Coreggio gewährt diess nicht; das Anschauen seiner Werke wird darob wohl zu einem unaufhörlichen Protestiren; man ist versucht sich zu sagen: „als Künstler hättest du dieses Alles höher zu fassen vermocht.“ Vollständig fehlt das sittlich Erhebende; wenn diese Gestalten lebendig würden, was hätte man an ihnen? welches ist diejenige Gattung von Lebensäusserungen, welche man ihnen vorzugsweise zutrauen würde?

Aber das Wirkliche hat in der Kunst eine grosse Gewalt. Selbst wo sie das Geringe und Zufällige, ja das Gemeine mit allen Mitteln der Realität darstellt, übt dasselbe einen zwingenden Zauber, wenn auch von widriger Art. Handelt es sich aber um das sinnlich Reizende, so erhöht sich dieser Zauber unendlich und berührt uns dämonisch. Wir brauchten dieses Wort bei Michelangelo's Postulat einer physisch erhöhten Menschenwelt; mit ganz entgegengesetzten Mitteln bringt Coreggio eine Wirkung hervor, die wiederum nicht anders zu bezeichnen ist. Er zuerst stellt in seinen Scenen den Naturmoment vollständig und vollkommen dar. Das Zwingende liegt nicht in dieser oder jener schönen und buhlerischen Form, sondern darin, dass für die Existenz dieser Form eine unbedingte Überzeugung in dem Beschauer hervorgebracht wird vermöge der vollkommen wirklichen (und durch versteckte Reizmittel erhöhten) Mitdarstellung von Raum und Licht.

Unter seinen Darstellungsmitteln ist das Helldunkel sprichwörtlich berühmt. Das ganze XV. Jahrh. zeigt eine Menge einzelner Versuche dieser Art, allein bloss mit dem Zweck, das Einzelne möglichst vollständig [952] zu modelliren. Bei Coreggio zuerst ist das Helldunkel wesentlich für den Mitausdruck des malerisch geschlossenen Ganzen; in diesem Strom von Lichtern und Reflexen liegt gerade der Naturmoment ausgedrückt. Abgesehen davon wusste Coreggio zuerst, dass die Oberfläche des menschlichen Körpers im Halblicht und im Reflex den reizendsten Anblick gewährt.

Seine Farbe ist in der Carnation vollendet und auf eine Weise aufgetragen, die ein ganz unendliches Studium der Erscheinung in Luft und Licht voraussetzt. In der Bezeichnung anderer Stoffe raffinirt er nicht; die Harmonie des Ganzen, der Wohllaut der Übergänge liegt ihm mehr am Herzen.

Das Hauptmerkmal seines Styles aber ist die durchgängige Beweglichkeit seiner Gestalten, ohne welche es für ihn kein Leben und keine vollständige Räumlichkeit giebt, deren wesentlicher Massstab ja die bewegte und zwar mit dem vollkommenen Schein der Wirklichkeit bewegte, also je nach Umständen rücksichtslos verkürzte Menschengestalt ist 33). Er zuerst giebt auch den Glorien des Jenseits einen kubisch messbaren Raum, den er mit gewaltig wogenden Gestalten füllt. – Diese Beweglichkeit ist aber keine bloss äusserliche, sondern sie durchdringt die Gestalten von innen heraus; Coreggio erräth, kennt und malt die feinsten Regungen des Nervenlebens.

Von grossen Linien, von strenger architektonischer Composition ist bei ihm nicht die Rede, auch von der grossen, befreienden Schönheit nicht. Sinnlich Reizendes giebt er in Fülle. Hie und da verräth sich auch eine tief empfindende Seele, welche vom Wirklichen ausgehend grosse geistige Geheimnisse offenbart; es giebt Bilder des Leidens von ihm, welche zwar nicht grossartig, aber durchaus edel, rührend und mit unendlichem Geist durchgeführt sind. (Von seinem Christus am Ölberg eine gute alte Copie in den Uffizien.) Allein es sind Ausnahmen. [953]

 

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Ein frühes Bild ist die Ruhe auf der Flucht, in der Tribuna der Uffizien, mit S. Bernhard; die Vorstufe der unten zu nennenden Madonna della Scodella. Hier zum erstenmal wird die Scene zum lieblichen Genrebild, was sie bei den Realisten des XV. Jahrh. trotz aller Züge aus der Wirklichkeit noch nicht ist. Einige Befangenheit zeigt sich in dem gleichgültigen Kopf der Mutter und in der Unschlüssigkeit des Kindes, die von Joseph gepflückten Datteln anzunehmen. Die Farbe ist noch ungleich, theilweise merkwürdig vollendet.

Ebenda, vielleicht ebenfalls noch früh: Madonna im Freien vor dem auf Heu liegenden Kinde knieend – nicht mehr um es anzubeten, sondern um ihm lachend mit den Händen etwas vorzumachen; wunderbar gemalt, das Kind auf die anmuthigste Weise verkürzt; die Mutter schon von derjenigen kleinlichen Hübschheit, welche ihr bei C. eigen bleibt. – (Der Kopf Johannis d. T. auf einer Schüssel, ebenda, ist keiner von den grossartig duldenden, nicht der enthauptete Prophet, sondern ein schon bei Lebzeiten kränklicher Frömmler – übrigens zweifelhaft. So auch der über die nackte Schulter sehende jugendliche Kopf derselben Sammlung, vielleicht Copie aus der Schule der Caracci. – Im Pal. Pitti ein unbedeutendes Kindesköpfchen.)

Entschieden sehr früh die grosse Kreuztragung in der Galerie von Parma; schon mit unbedingtem Streben nach Affect (bis zur Brutalität) und mit Nichtachtung der Linien zu Gunsten der Formen componirt; der Ausdruck der beiden Hauptgestalten wahr und ergreifend.

Von 1518 an, seit welchem Jahre Coreggio in Parma sesshaft war, entstand jene Reihe von Meisterwerken, deren vorzüglichste nach Dresden und Berlin gerathen sind. (Von der Dresdner Magdalena eine schöne alte Copie bei Camuccini in Rom.) Doch besitzt auch Italien noch mehrere von höchster Bedeutung.

Im Museum von Neapel: das kleine Bildchen der Vermählung der heil. Catharina, leicht und kühn gemalt; dass das Kind ob der befremdlichen Ceremonie fragend die Mutter ansieht, ist ganz ein Zug in der Art Coreggio's, der die Kinder nicht anders als naiv kennen wollte. (Der Christus auf dem Regenbogen, vatican. Gal., kann doch nur als caracceskes Bild gelten.) [954]

Ebenda: la Zingarella, d. h. Madonna über das Kind gebeugt auf der Erde sitzend, oben im Palmendunkel schweben reizende Engel. Coreggio hebt in der Maria das Mütterliche hier und auch sonst nicht selten mit einer wahren Heftigkeit hervor, als fühlte er, dass er seinem Typus keine höhere Bedeutung verleihen könne. Die Ausführung vielleicht etwas früher, übrigens von grösster Schönheit.

Auch die grosse Frescomadonna in der Galerie von Parma zeigt Mutter und Kind innig verschlungen; eines der schönsten Linienmotive C.'s; Köpfe und Hände wunderbar zusammengeordnet (dergleichen sonst seine starke Seite nicht ist); Hauptbeispiel seines weiblichen Idealkopfes mit den colossalen Augenlidern und dem Näschen und Mündchen.

Ebenda: die berühmte Madonna della Scodella, eine Scene der Flucht nach Ägypten. Das zauberhafte Licht in dem heimlichen Waldraum, die liebenswürdigen Köpfe und die unbeschreibliche Herrlichkeit der ganzen Behandlung lassen es vergessen, dass das Bild wesentlich nach den Farben componirt und in den Motiven überwiegend unklar ist. Was will das Kind, ja die Mutter selbst? was fangen die heftig bewegten Engel oben mit der Wolke an? wie hat man sich den Engel, welcher das Lastthier bindet und denjenigen mit dem Rebenzweig vollständig entwickelt zu denken? Man scheue sich nur nicht, Fragen, die man an jeden Maler stellt, auch an Coreggio zu stellen. Wer solche Wirklichkeit malt, ist zur Deutlichkeit doppelt verpflichtet.

Auch die Madonna di S. Girolamo (ebenda) wiegt durch eine fast (doch nicht ganz) ebenso erstaunliche Behandlung die grossen sachlichen Mängel nicht auf. Hieronymus steht affectirt und unsicher wie denn Coreggio im Grossartigen nirgends glücklich ist; das Kind, welches dem im Buche blätternden Engel winkt und mit den Haaren der Magdalena spielt, ist von einer unbegreiflichen Hässlichkeit, ebenso der Putto, welcher am Salbengefäss der Magdalena riecht 34). Nur [955] Letztere ist ganz ausserordentlich schön und zeigt in der Art, wie sie sich hinschmiegt, die höchste Empfindung für eine bestimmte Art weiblicher Anmuth.

Die Kreuzabnahme, ebenda, vor Allem ein Wunderwerk der äussern Harmonie. Der Kopf des liegenden Christus von höchst edelm Schmerzensausdruck, die Übrigen aber beinah kleinlich und selbst grimassirend. Die Ohnmacht ist in der Maria sehr wirklich dargestellt, sodass man z. B. inne wird, wie sie die Herrschaft über den linken Arm verliert.

Das Gegenstück (wie obiges auf damascirte Leinwand gemalt): Die Marter des heil. Placidus und der heil. Flavia; in der malerischen Behandlung nicht minder ausgezeichnet. Ein verhängnissvolles Bild, dessen übelste Eigenschaften bei den Malern des XVII. Jahrh. nur zu vielen Anklang gefunden haben. Verlangte man von C. diese Scene oder ist er hier freiwillig der erste Henkermaler, wie er anderwärts der erste ganz verbuhlte Maler ist? Höchst seelenruhig und kunstgerecht zieht der eine Henker der süsslichen Flavia die Flechte mit der Linken herunter und stösst sie mit dem Schwert unter die Brust; der andere zielt auf den ganz devot vor ihm knieenden Placidus; rechts sieht man zwei Rümpfe von Enthaupteten, ja aus dem Rahmen schaut noch der Arm eines Henkers hervor, der einen blutigen Kopf trägt. Auf den ersten Blick erscheint das Ganze erstaunlich modern.

Von den Fresken Coreggio's in Parma sind diejenigen in einem Gemach des aufgehobenen Nonnenklosters S. Paolo die frühsten. Über dem Kamin sieht man Diana in ihrem Wagen auf Wolken fahrend; am Gewölbe, welches über 16 trefflichen einfarbig gemalten Lunetten mythologischen Inhaltes emporsteigt, ist eine Weinlaube gemalt und in den runden Öffnungen derselben die berühmten Putten, zu zweien oder dreien in allerlei Verrichtungen gruppirt. Sie sind nicht schön im Raum, auch nicht in den Linien, überhaupt fehlte dem Maler das architektonische Element, das solchen Decorationen zu [956] Grunde liegen muss; allein es sind Bilder der heitersten Jugend, Improvisationen voll von Leben und von Schönheit. (Gutes Reflexlicht bei Sonnenschein 10–12 Uhr.)

Bald darauf, 1520–1524, malte C. in S. Giovanni, und zwar wohl zuerst die schöne und strenge Gestalt des begeisterten Evangelisten in einer Thürlunette des linken Querschiffes. – Dann die Kuppel. (Im Februar war um 12 Uhr und gegen 4 Uhr die Beleuchtung am leidlichsten. S. 205, oben.) Es ist die erste einer grossen Gesammtcomposition gewidmete Kuppel; Christus in der Glorie, von den auf Wolken sitzenden Aposteln umgeben, und zwar Alles als Vision des unten am Rand angebrachten Johannes. Die Apostel sind echte Lombarden des nobeln Typus, von einer grandiosen Körperlichkeit; der greise, ekstatische Johannes (absichtlich?) unedler. Die völlig durchgeführte Untensicht, von welcher dieses Beispiel das frühste erhaltene und jedenfalls das frühste so ganz durchgeführte ist (vgl. S. 952, Anm.), erschien den Zeitgenossen und Nachfolgern als ein Triumph aller Malerei. Man vergass, welche Theile des menschlichen Körpers bei der Untensicht den Vorrang erhalten, während doch der Gegenstand dieses und der meisten spätern Kuppelgemälde – die Glorie des Himmels – nur das geistig Belebteste vertragen würde. Man empfand nicht mehr, dass für diesen Gegenstand die Raumwirklichkeit eine Entwürdigung ist und dass überhaupt nur die ideale, architektonische Composition ein Gefühl erwecken kann, welches demselben irgendwie gemäss ist. Nun ist schon hier gerade die Hauptgestalt, Christus, wahrhaft froschartig verkürzt; auch bei einzelnen Aposteln rücken die Kniee bis gegen den Hals. Als Raumverdeutlichung, Stütze und Sitz, malerisch auch als Mittel der Abstufung und Unterbrechung dienen die Wolken, welche Coreggio als consistent geballte Körper von bestimmtem Volumen behandelt. – Auch an den Pendentifs (Zwickeln) der Kuppel sitzen die an sich sehr schönen, nur übermässig verkürzten Gestalten – je ein Evangelist und ein Kirchenvater – auf Wolken, während noch Michelangelo seinen Propheten und Sibyllen an ähnlicher Stelle feste Throne gegeben hatte.

Die Halbkuppel des Chores derselben Kirche, mit der grossen Krönung der Maria, wurde 1584 abgebrochen. Doch wurde die Hauptgruppe (Christus und Maria) gerettet und ist gegenwärtig in einem [957] Gange der herzogl. Bibliothek angebracht; ausserdem hatten Annibale und Agostino Caracci fast das Ganze stückweise copirt (sechs Stücke in der Galerie von Parma, mehrere im Museum von Neapel), und Cesare Aretusi wiederholte hernach an der neuen Halbkuppel die ganze Composition so gut er konnte. – Ein leidenschaftlicher Jubel durchströmt den ganzen Himmel in dem geweihten Augenblick; die schönsten Engel drängen sich zu einem Heere zusammen. Aber die Madonna selbst ist weder naiv noch schön, Christus eine mittelmässige Bildung. (Beide in den Copien versüsst und so ohne Zweifel auch Johannes d. T.)

Endlich malte C. 1526–1530 die Kuppel des Domes aus und gab sich dabei seiner Art von Auffassung des Übersinnlichen in ganz unbedingtem Masse hin. Er veräusserlicht und entweiht Alles. Im Centrum (jetzt sehr verdorben) stürzt sich Christus der in Mitten einer gewaltigen Engel- und Wolkenmasse heraufrauschenden Maria entgegen. Das Momentane ist allerdings überwältigend; der Knäul zahlloser Engel, welche hier mit höchster Leidenschaft einander entgegenstürzen und sich umschlingen, ist ohne Beispiel in der Kunst; ob diess die würdigste Feier des dargestellten Ereignisses sein kann, ist eine andere Frage. Wenn ja, so war auch das mit einem bekannten Witzwort bezeichnete Durcheinander von Armen und Beinen nicht zu vermeiden, denn wäre die Scene wirklich, so müsste sie sich allerdings etwa so ausnehmen. – Weiter unten, zwischen den Fenstern, stehen die Apostel der Maria nachschauend; hinter ihnen auf einer Brustwehr sind Genien mit Candelabern und Rauchfässern beschäftigt. In den Aposteln ist Coreggio inconsequent; wer so aufgeregt ist wie sie, bleibt nicht in seiner Ecke stehen; auch ihre vermeintliche Grossartigkeit hat etwas merkwürdig Unwahres. Aber ganz wunderschön sind einige von den Genien, auch manche von den Engeln im Kuppelgemälde selbst, und vollends diejenigen, welche in den Pendentifs die vier Schutzheiligen von Parma umschweben. Es ist schwer, sich genau zu sagen, welcher Art die Berauschung ist, womit diese Gestalten den Sinn erfüllen. Ich glaube, dass hier Göttliches und sehr Irdisches durcheinander rinnen. Vielleicht fasst sie ein jüngeres Gemüth unschuldiger auf. (Bestes Licht auch für die Besteigung der Kuppel: gegen Mittag.) [958]

Ausserdem sind noch in der Annunziata Reste einer Frescolunette der Verkündigung erhalten; eine der einflussreichsten Compositionen.

Von monumentalen Malereien mythologischen Inhaltes kenne ich in Italien ausser den Fresken von S. Paolo nur den vom Adler emporgetragenen Ganymed, jetzt an der Decke eines Saales in der Galerie zu Modena. Eine von dem Bild in Wien ganz verschiedene Composition, höchst meisterhaft in Wenigem.

Von Staffeleibildern ist die Danae im Pal. Borghese zu nennen. Vielleicht C.'s gemeinste Gestalt dieser Art, weil sie nicht einmal recht sinnlich ist; aber naiv und herrlich gemalt sind die beiden Putten, welche auf einem Probierstein einen goldenen Pfeil prüfen; der beredte Amor ist vollends der Genien im Dom von Parma würdig. – (Die Allegorie der Tugend im Pal. Doria zu Rom gilt als echte Skizze, wenn ich nicht irre, für eines der Temperabilder C.'s in der Sammlung der Handzeichnungen im Louvre.)

 

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Wenn Jemand die Gewandtheit bewundert, mit welcher Coreggio unter allen möglichen Vorwänden nur immer das gegeben habe, was ihm am Herzen lag, nämlich bewegtes Leben in sinnlich reizender Form, so ist zu antworten, dass ein solcher Zwiespalt zwischen Inhalt und Darstellung, wenn er in C. existirt hat, die Kunst immer und unfehlbar entsittlicht. Der Gegenstand ist keine beliebige Hülle für blosse künstlerische Gedanken.

Bei keinem Meister sind die Schüler übler daran gewesen. Er nahm ihnen das, was die Meister zweiten und dritten Ranges in jener Zeit schätzenswerth macht: den architektonischen Ernst der Composition, die einfachen Linien, die Würde der Charaktere. Was aber ihm eigen war, dazu reichten wieder ihre Talente nicht aus, oder die Zeit war dafür noch nicht gekommen. In der That steht sein allbewunderter Styl über ein halbes Jahrhundert isolirt da; indem seine sämmtlichen Schüler mit einer Art von Verzweiflung sich der römischen Schule in die Arme werfen.

Inzwischen erwuchsen aber seine wahren Erben: die Schule der Caracci, deren Auffassung dem tiefsten Kerne nach von der seinigen [959] abhängig ist. Desshalb, weil die Modernen ihn ganz in sich aufnahmen, erscheinen uns seine eigenen Werke so oft als modern. Selbst was dem XVIII. Jahrh. specifisch eigen scheint, ist in ihm stellenweise vorgebildet.

 

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Die ganze Schule ist in der Galerie und den Kirchen von Parma stark repräsentirt. Man wird weniges Lobenswerthe von Pomponio Allegri (C.'s Sohn), Lelio Orsi, Bernardino Gatti, Gutes und sehr Fleissiges von Franc. Rondani (Dom, Fresken der 5. Cap., rechts), mehreres noch ganz Angenehme von Michelangelo Anselmi, auch wohl von Giorgio Gandini vorfinden, das Meiste an Zahl jedenfalls von der Malerfamilie der Mazzola oder Mazzuoli, welche sich in diesem Jahrhundert ganz an Coreggio anschloss. Girolamo Mazzola verschmelzt bisweilen einen Zug älterer Naivetät mit der Art Coreggio's und der römischen Schule zu einem wunderlichen Rococo. Im Ganzen ist er weniger widerwärtig als sein berühmterer Vetter:

Francesco Mazzola, genannt Parmegianino (1503–1540). Seine „Madonna mit dem langen Halse“ im Pal. Pitti zeigt mit ihrer unleidlichen Affectation, wie falsch die Schüler den Meister verstanden hatten, indem sie glaubten, sein Zauber liege in einer gewissen aparten Zierlichkeit und Präsentationsweise der Formen, während doch das momentane Leben der reizenden Form die Hauptsache ist. Anderswo ist Parmegianino ergötzlich durch die Manieren der grossen Welt, welche er in die heiligen Scenen hineinbringt. Seine heil. Catharina (Pal. Borghese in Rom) lehnt die Complimente der Engel mit einem unbeschreiblichen bon genre ab; bei der pomphaften Heiligencour im Walde (Pinacoteca von Bologna) giebt die Madonna nur mit vornehmster Zurückhaltung das Kind der heil. Catharina zum Caressiren her.

Allein im Porträt, wo das vermeintlich Ideale wegfiel, ist P. einer der trefflichsten seiner Zeit. Im Museum von Neapel gehören seine Bildnisse des „Columbus“, des „Vespucci“ (beide willkürlich so benannt), dasjenige des De Vincentiis und das der eigenen Tochter des Meisters zu den Perlen der Galerie, während die Colosse des Pythagoras [960] und Archimedes abscheulich, die Lucretia und die Madonna mindestens ungeniessbar sind. Ebenso ist sein eigenes Porträt in den Uffizien – der wahre bell'uomo von Stande – eines der besten der ganzen Malersammlung, während die heil. Familie (Tribuna) nur durch die phantastisch beleuchtete Landschaft erträglich wird. In einem andern Saal eine ganz kleine Madonna von ihm, eines der besten Linienmotive der Schule.

 

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Es folgt die Malerei der höchsten Augenlust, die venezianische. Es ist ein denkwürdiges Phänomen, dass sie gerade die höhern Ideale menschlicher Bildung nicht erreicht noch erreichen will, weil dieselben über das blosse wonnevolle Dasein hinaus zu einer höhern Thätigkeit drängen. Noch merkwürdiger aber ist, dass diese Schule mit dem (verhältnissmässig) geringsten Gehalt an sog. poetischen Gedanken durch die blosse Fülle der malerischen Gedanken alle andern Schulen an Werthschätzung erreicht und die meisten weit übertrifft. Ist diess bloss Folge der Augenlust? oder dehnt sich das Gebiet der Poesie weit hinab in diejenigen Regionen aus, welche wir Laien bloss der malerischen Durchführung zuweisen? Gehört nicht schon die dämonische Wirkung dahin, welche das in Raum und Licht wirklich gemachte Sinnlich-Reizende bei Coreggio ausübt? Bei den Venezianern, auf welche er gar nicht ohne Einfluss blieb (schon auf Tizian nicht), ist dieses ebenfalls das Hauptthema, nur ohne die bei Coreggio wesentliche Beweglichkeit; ihre Gestalten sind weniger empfindungsfähig, aber im höchsten Grade genussfähig.

Der sprichwörtliche Vorzug ist hier das Colorit, das schon bei den Malern der vorhergehenden Generation (S. 822) jene hohe Trefflichkeit erreicht hatte, jetzt aber in seiner Vollendung auftrat. Das höchst angestrengte Studium auf diesem Gebiete war offenbar ein doppeltes: einerseits realistisch, indem alle Spiele des Lichtes, der Farbe, der Oberflächen von Neuem nach der Natur ergründet und dargestellt wurden, sodass z. B. jetzt auch die Stoffbezeichnung der [961] Gewänder eine vollkommene wird; anderseits aber wurde das menschliche Auge genau befragt über seine Reizfähigkeit, über Alles was ihm Wohlgefallen erregt. Das dem Laien Unbewusste wurde dem Maler hier klarer als in andern Schulen bewusst.

Welche Gegenstände hienach für diese Meister die glücklichsten waren, ist leicht zu errathen. Je näher sie dieser Sphäre bleiben, desto grösser sind sie, desto zwingender die Eindrücke welche sie erregen.

 

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Unter den Schülern Giov. Bellini's, welche die Hauptträger der neuen Entwicklung sind, giebt Giorgione (eigentlich Barbarelli, 1477? – 1511) dieselbe auf eine ganz besonders eindringliche, wenn auch einseitige Weise zu erkennen.

Die Belebung einzelner Charaktere durch hohe, bedeutende Auffassung, durch den Reiz der vollkommensten malerischen Durchführung war schon in der vorigen Periode so weit gediehen, dass eine abgesonderte Behandlung solcher Charaktere nicht länger ausbleiben konnte. So wie die vorige Periode ihr Bestes schon in jenen Halbfigurenbildern der Madonna mit Heiligen zu geben im Stande ist (S. 824, 826), so giebt nun Giorgione dergleichen Bilder profanen, bloss poetischen Inhaltes und auch einzelne Halbfiguren, die dann schwer von dem blossen Portrait zu trennen sind. Er ist der Urvater dieser Gattung, welche später in der ganzen modernen Malerei eine so grosse Rolle spielt. Allein er malt nicht desshalb costumirte Halbfiguren, weil ihm ganze Figuren zu schwer wären, sondern weil er darin einen abgeschlossenen poetischen Inhalt zu verewigen im Stande ist. Venedig bot in dieser Zeit der erzählenden, dramatischen Malerei nur wenige Beschäftigung; es fehlen die grossen Frescounternehmungen von Rom und Florenz; der Überschuss an derartiger Begabung aber brachte es zu Einzelfiguren wie sie keine andere Schule schafft. Soll man sie historische oder novellistische Charaktere nennen? bald überwiegt mehr die freie Thatfähigkeit, bald mehr das schönste Dasein.

Die erste Stelle nimmt die Lautenspielerin im Pal. Manfrin zu Venedig ein, leicht und mit unglaublicher Meisterschaft hingemalt; ein schönes inspirirt aufwärtsblickendes Weib, erfüllt von künftigem [962] Gesange, in einer Landschaft. – (Ebenda, noch ungleich befangener, eine Dame in hellem Kleid und Toque.) – Im Pal. Borghese: Saul mit Goliaths Haupt, vor welchem sich der junge David zu entsetzen scheint; oder ist der so düster vor sich hinblickende Geharnischte David selbst und der Andere nur ein Knappe? Hier wo sich der Einzelcharakter so trotzig vor den Beschauer hinstellt, ist G. der rechte Vorläufer Rembrandts. – Eine geringere Inspiration ähnlicher Art: der Geharnischte mit seinem Knappen, in den Uffizien. – Im Pal. Pitti: Faun und Nymphe, die letztere ein eigenthümliches venezianisches Ideal, in der Zeichnung hie und da sorglos. – Ebenda: das Concert, vorzüglich anregend zu Vermuthungen über die geistige Entstehungsweise solcher Bilder; mit Wenigem unergründlich tief erscheinend. – (Wiederholung oder Reminiscenz im Pal. Doria zu Rom.) – Ein Johannes d. T. im Pal. Pitti hängt zu dunkel.

Eigentliche Porträts: der Johanniter (Uffizien), einer jener höchst adlichen venezianischen Köpfe, welche sich dem Christuskopf Bellini's und Tizian's nähern, auch äusserlich durch das gescheitelte lange Haar, den blossen Hals etc. – Franciscus Philetus (Pal. Brignole in Genua), ein vortreffliches Gelehrtenbildniss. – (Das Porträt welches im Pal. Spada zu Rom G. heisst, ist von einem andern trefflichen Venezianer.)

Die Hälfte der Werke G.'s befindet sich im Auslande, darunter auch die wenigen Andachtsbilder, mit Ausnahme des S. Sebastian (Brera zu Mailand), einer in Stellung, Bildung und Farbe sehr energischen und edeln Gestalt, die sich mit übers Haupt gebundenen Armen trefflich lebendig entwickelt. – Dagegen besitzt Italien noch einige „Novellenbilder“ von ihm. Wir dehnen diesen Namen auch über die biblischen Scenen aus, insofern dieselben nicht für Kirche und Andacht gemalt, sondern nur aus dem Drang nach Darstellung eines reichen und farbenschönen Daseins entstanden sind. – Drei frühe kleine Bildchen in den Uffizien: das Urtheil Salomonis, eine Sage aus der Jugend des Moses (nach Ungers Berichtigung, Kunstbl. 1851, S. 130) und eine Anzahl von Heiligen auf einem Altan an einem See, alle noch mit paduanischer Härte und Glanz gemalt, zeigen auf merkwürdige Weise, wie dem Venezianer das Ereigniss der Vorwand wird zur Darstellung der blossen Existenz auf bedeutendem landschaftlichem Hintergrunde. Aus seiner spätern, goldenen Zeit stammt dann die [963] Findung Mosis (Brera in Mailand, dem Bonifazio zugeschrieben). Verglichen mit dem Bilde Rafaels (Loggien) wird man das Ereigniss als solches ungleich weniger deutlich und ergreifend dargestellt finden, allein welcher Neid erfasst die moderne Seele, wenn Giorgione aus dem täglichen Leben das ihn umgab, aus diesen geniessenden Menschen in ihren reichen Trachten eine so wonnevolle Nachmittagsscene zusammenstellen konnte! Die höchste Wirkung liegt analog wie bei den Charakteren Bellini's (S. 825) darin, dass man das Gemalte für möglich und noch vorhanden hält. – Eine kleinere Findung Mosis im Pal. Pitti. – Das Bild im Pal. Manfrin, als „Familie G.'s“ bezeichnet, ist ein eigentliches und zwar frühes Genrebild in reicher Landschaft.

Ebenda: der Astrolog; eine Improvisation mit manchen Nachlässigkeiten; der Reiz derselben liegt hauptsächlich darin, dass der Phantasiegegenstand so einfach, in einem (für uns) idealen Costüm und in demjenigen idealen Raum (einer freien Landschaft) dargestellt ist, welcher der echten italienischen Novelle zukömmt; in einem sog. Fauststübchen hätte Giorgione keinen Spielraum. – Endlich sein grösstes und zwar ganz phantastisches Werk (Acad. von Venedig): der Seesturm, erregt und hier personificirt durch schwimmende und auf Schiffen fahrende Dämonen, welche sich vor der Barke mit den drei Schutzheiligen verzweifelnd flüchten.

 

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Unter Giorgione's Schülern ist Sebastiano del Piombo (1485–1547) der wichtigste; als Executanten Michelangelo's haben wir ihn bereits (S. 879) genannt. Aus seiner frühern, venezianischen Zeit stammt das herrliche Hochaltarbild in S. Giovanni Crisostomo; der Heilige der Kirche schreibt am Pult, umgeben von andern Heiligen, worunter hauptsächlich die Frauen als allerschönste Typen der Schule (grandios und noch ohne Fett) auszuzeichnen sind. – Ob die Darstellung im Tempel (Pal. Manfrin) von ihm und noch aus seiner venez. Zeit ist, lasse ich unentschieden; jedenfalls aber gehört hieher ein wundervolles Porträt in den Uffizien: ein Mann in Brustharnisch, Barett und rothen Ermeln, hinter ihm Lorbeerstämme und eine Landschaft. – Etwa aus dem Anfang seiner römischen Zeit: die Marter der heil. Apollonia (Pal. Pitti); ein Rest [964] venezianischen Erbarmens gab ihm den Gedanken ein, die Zangen der Peiniger noch nicht unmittelbar in dem schön modellirten Körper wühlen zu lassen. – Aus der spätern Zeit: Madonna das schlafende Kind aufdeckend (Museum von Neapel), grossartig im Sinne der römischen Schule, aber gleichgültig neben Rafaels Madonna di Loreto; – das Altarbild in der Cap. Chigi zu S. M. del popolo in Rom; – endlich mehrere Porträts, sämmtlich über lebensgross, welche uns lehren, wie Michelangelo Bildnisse aufgefasst wissen wollte. Das wichtigste: Andrea Doria (Pal. Doria in Rom), sehr absichtlich einfach, die alternden Züge schön, kalt und falsch; – ein Cardinal (Museum von Neapel); – ein Mann im Pelzmantel (Pal. Pitti), von grandiosen Zügen. – Das Bildniss der Vittoria Colonna, welches vor einiger Zeit in Rom auftauchte und allgemeine Bewunderung erregte, hat der Verf. leider nicht gesehen und weiss auch dessen jetzigen Besitzer nicht. – (Der einzige Schüler Sebastiano's, Tommaso Laureti, verräth in den Fresken des zweiten Saales im Conservatorenpalast auf dem Capitol – Scenen der römischen Geschichte, M. Scævola, Brutus und seine Söhne etc. – mehr das Vorbild Giulio's und Sodoma's; in seiner spätern Zeit, zu Bologna, erscheint er mehr als Naturalist in Tintoretto's Art; Hochaltar von S. Giacomo maggiore etc.)

Giovanni da Udine (S. 283 u. f.) ist in dem einzigen beträchtlichen Bilde seiner frühern Zeit, einer Darstellung Christi zwischen den Schriftgelehrten nebst den 4 Kirchenlehrern (Acad. von Venedig) ein selbständiger venezian. Meister ohne kenntlichen Anklang an seinen Lehrer Giorgione; eher etwas bunt, aber mit grossartigen Zügen. Ein Halbfigurenbild der Gal. Manfrin, Madonna mit 2 Heiligen, erscheint in der leichten, schönen Behandlung der Köpfe eher wie eine Verklärung des Cima als wie ein Bild aus G.'s Schule. (Ob richtig benannt?) – Francesco Torbido, genannt il moro, brachte zuerst den entschiedenen venezianischen Styl aus dieser Schule nach Verona. Sein einziges Hauptwerk daselbst, die Himmelfahrt Mariä in der Halbkuppel des Domchores, gehört nicht ganz ihm selbst, sondern ist nach Cartons des Giulio Romano ausgeführt, welcher dabei unter Coreggio's Einfluss stand, und dessen Raumwirklichkeit mit seinem eigenen Styl in Einklang zu bringen suchte, man beachte auf welche Weise. [965]

 

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Nicht Schüler Giorgione's, wohl aber Ausbilder und Erweiterer dessen was er erstrebt hatte, war Jacopo Palma vecchio (geb. 1476 – 1482), bei welchem die Existenzmalerei bereits ihre höchste Vollendung zu erreichen scheint. Er ist wesentlich der Schöpfer jener etwas überreich, bei ihm aber noch sehr edel und besonders zutrauenerweckend gebildeten weiblichen Charaktere, wie sie die spätere venezianische Schule vorzüglich liebt. Er producirte mühsam und sein Colorit hat nicht die vollkommene Freiheit mehrerer seiner Schulgenossen, wohl aber die vollste Gluth und Schönheit. Wo er einen dramatischen Inhalt zu geben sucht (Acad. von Venedig: das überfüllte Halbfigurenbild von der Heilung des besessenen Mädchens, – ebenda: Mariä Himmelfahrt), muss man sich an Ausführung und Einzelnes halten; am besten gelang ihm noch die ruhige Scene von Emmaus (Pal. Pitti), wo zwar der Christus schwächlich gerathen, die Wahrheit und das schöne Dasein alles Übrigen aber erstaunlich ist; man kann nichts echt Naiveres sehen als den aufwartenden Schifferjungen, der dem einen überraschten Apostel ins Gesicht sieht. – (Ist vielleicht die Auferstehung in S. Francesco della Vigna zu Venedig, 2. Cap. l., von ihm?). – Sein Hauptwerk ist die Gestalt der heil. Barbara (mit unbedeutendern Seitenbildern) in S. Maria formosa zu Venedig, 1. Alt. r., der Kopf von einer wahrhaft centralen venez. Schönheit, das Ganze mit der höchsten Gewalt und Wissenschaft der Farbe und Modellirung vollendet. Allein der unentschiedene Schritt, der unplastische Wurf des Gewandes, die überzierliche Kleinheit der Hand welche die Palme hält – diess Alles verhindert, dass dem Beschauer dabei rafaelisch zu Muthe wird. – Von grössern Altarbildern ist mir in Venedig nur das ganz verdorbene in S. Zaccaria bekannt (an einer Wand d. 1. Nebencap. r.), eine thronende Madonna mit Heiligen, kenntlich an dem im Profil sitzenden Geigenengel, ehemals sehr schön. – Die übrigen „Sante Conversazioni“ sind theils Halbfigurenbilder, theils Breitbilder mit knieenden und sitzenden Figuren, für die Hausandacht. Immer derselbe Klang, hier einfacher, dort reicher; hier auf einer höhern, dort auf einer tiefern Gamme von Farben; hier mit schlichtem, dort mit prächtigem landschaftlichem Hintergrund; die Madonna in der Mitte gerne unter dem Schatten eines Baumes. Die köstlichsten Bilder dieser Art: Pal. Manfrin; – Pal. Borghese in Rom; [966] – Museum von Neapel; – noch sehr schöne: Pal. Adorno in Genua; – Pal. Colonna in Rom (wo noch ein anderes herrliches Bild ähnlicher Art, kenntlich an der zwei Augen auf Nadeln haltenden S. Lucia, als Jugendwerk Tizians gilt); – Pal. Pitti, u. a. a. O. – Ein schönes Altarbild von 5 grössern Figuren (in der Mitte Johannes d. T.) auf dem 1. Alt. r. in S. Cassiano zu Venedig sieht eher dem Rocco Marconi ähnlich. – Das Porträt eines reichgekleideten Mathematikers (Pal. Pitti), ein Kopf von der hohen Gattung des Johanniters (Seite 962, e).

Rocco Marconi, im Gedanken durchaus von den Genannten abhängig, in der Farbe glühend und transparent wie Wenige, in den Charakteren ungleich, hat sich einmal zu einer grossen Leistung zusammengenommen: die Kreuzabnahme (Acad. von Venedig). Seine Halbfigurenbilder mit dem venez. Lieblingssujet der Ehebrecherin vor Christo (Pal. Manfrin; – S. Pantaleone, Cap. 1. vom Chor, u. a. a. O.) sind seelenlos aufgeschichtet; – sein Christus zwischen 2 Aposteln ist das eine mal (Acad. von Venedig) in Anordnung und Charakteren unfrei, das andere mal (S. Giov. e Paolo, rechtes Querschiff) eines der besten Bilder der Schule, mit den schönsten, mildesten Köpfen, zumal des Christus, der sich dem Christus Bellini's nähert. – Eine einzelne Halbfigur (in der Academie) ist wiederum schwächer.

Lorenzo Lotto, halb Lombarde halb Venezianer, ist in den Bildern der letztern Art, namentlich wo er sich dem Giorgione nähert, ein trefflicher Meister; so in dem Bilde al Carmine, 2. Alt. l., wo S. Nicolaus mit drei Engeln und zwei Heiligen auf Wolken über einer morgendämmernden Meeresbucht schwebt; noch in äusserster Verderbniss ein herrliches poetisches Werk. – Im rechten Querschiff von SS. Giov. e Paolo der von Engeln umgebene S. Antonin, dessen Capläne Bittschriften annehmen und Almosen vertheilen. – Madonnen mit Heiligen mehr in Palma's Art: Pal. Manfrin; Uffizien etc. – Das Halbfigurenbild der drei Menschenalter, im Pal. Pitti, sehr ansprechend in Giorgione's Art. – In S. Giacomo dall' Orio ein Altarbild im l. Querschiff, thronende Madonna mit vier Heiligen, ein Werk seines Alters (1546). [967]

 

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In der Mitte der Schule steht die gewaltige Gestalt des Tizian (Vecellio, 1477–1576), der in seinem fast hundertjährigen Leben alles was Venedig in der Malerei vermochte, in sich aufgenommen oder selbst hervorgebracht oder vorbildlich in der jüngern Generation geweckt hat. Es ist kein geistiges Element in der Schule, das Er nicht irgendwo vollendet darstellt; allerdings repräsentirt er auch ihre Beschränkung.

Der göttliche Zug in Tizian besteht darin, dass er den Dingen und Menschen diejenige Harmonie des Daseins anfühlt, welche in ihnen nach Anlage ihres Wesens sein sollte oder noch getrübt und unkenntlich in ihnen lebt; was in der Wirklichkeit zerfallen, zerstreut, bedingt ist, das stellt er als ganz, glückselig und frei dar. Die Kunst hat diese Aufgabe wohl durchgängig; allein Keiner löst sie mehr so ruhig, so anspruchlos, mit einem solchen Ausdruck der Nothwendigkeit. In ihm war diese Harmonie eine prästabilirte, um einen philosophischen Terminus in einem besondern Sinn zu brauchen. Alle äussern Kunstmittel der Schule besass er wohl in einem besonders hohen Grade, doch erreichen ihn Mehrere im einzelnen Fall. Wesentlicher ist immer seine grosse Auffassung, wie wir sie eben geschildert haben.

Sie ist am leichtesten zu beobachten in seinen Porträts (vgl. S. 514), in deren Gegenwart man allerdings die Frage zu vergessen pflegt: wie der Meister aus den zerstreuten und verborgenen Zügen diese grossartigen Existenzen möge ins Leben gerufen haben. Wer aber nach dieser Seite hin eindringen will, für den bedarf es keines erläuternden Wortes mehr. – In Venedig: Galerie Manfrin: das Porträt des Ariost, im grauen Damastkleide; – Caterina Cornaro. – Academie: der Procurator Sopranzo, dat. 1514 (eher 1543). – In Florenz: Pal. Pitti: der sog. Pietro Aretino, Urbild eines bestimmten Typus südländischer Frechheit; – Vesalio (?); – der greise Cornaro; – namenloses Bild eines blonden schwarzgekleideten Mannes mit Kette; – dann das Kniestück des Ippolito Medici im ungarischen (vielleicht vom Maler gewählten?) Kleide; – das sehr verdorbene Carls V im Prachtkleide; – endlich in ganzer Figur: Philipp II; – und ein Mann in schwarzem Kleid, von gemeinen Zügen, aber offen in seiner Art und sehr distinguirt (hinten eine Architektur mit Relief am Sockel). [968] – In den Uffizien: Erzbischof Beccadelli von Ragusa (1550); – der Bildhauer, auf eine Büste gelehnt (etwa von Morone??); – der Herzog von Urbino, im Harnisch, vor einer rothen Plüschdraperie stehend; – die ehemals schöne, alternde Herzogin im Lehnstuhl; – ein Geharnischter im Profil, noch in der Art des Giorgione; – Caterina Cornaro als heil. Catharina, mehr ideal und wie aus der Erinnerung gemalt als das Bild des Pal. Manfrin. – In Rom: bei Camuccini: der Admiral; – und das wunderbare, frühe, an Giorgione erinnernde Porträt eines Mannes mit feinem Bart und strengen Zügen. – Im Pal. Corsini: Halbfigur Philipps II, das beste unter dessen Bildnissen. – Im Pal. Colonna: Onuphrius Panvinius; – (ebenda von einem andern Venezianer, angebl. Girolamo da Treviso: das schöne Bild eines Medailleurs oder Münzsammlers). – Im Museum von Neapel: Paul III (wovon eine verkleinerte, wahrscheinlich eigenhändige Wiederholung bei Camuccini in Rom); – ausserdem mehrere im Dunkel hängende und zweifelhafte Bilder; die beiden Carl's V scheinen Copien zu sein.

Es folgen nun einige Bilder, bei welchen man stets im Zweifel sein wird, wie weit sie als Porträts, wie weit aus reinem künstlerischem Antriebe gemalt sind, und ob man mehr eine bestimmte Schönheit, oder ein zum Bilde gewordenes Problem der Schönheit vor sich hat. – Scheinbar dem Porträt noch am nächsten: la Bella im Pal. Pitti; die Kleidung (blau, violett, gold, weiss) wahrscheinlich vom Maler gewählt, mit dem lieblich üppigen Charakter des Kopfes geheimnissvoll zusammenstimmend. – Dann der erhabenste weibliche Typus den Tizian hervorgebracht hat: la Bella im Pal. Sciarra zu Rom (die Kleidung weiss, blau und roth; trotz der mehr schwärzlichen Schatten in der Carnation unzweifelhaft von T.; unten links die Chiffre TAMBEND); – und die Flora in den Uffizien, mit der Linken das Damastgewand heraufziehend, mit der Rechten Röslein darbietend. Welches auch die Schönheit des Weibes gewesen sein möge, das die Anregung zu diesen beiden Bildern gab, jedenfalls hat erst Tizian sie auf diejenige Höhe gehoben, welche dieses Haupt gewissermassen als Gegenstück des venezianischen Christuskopfes erscheinen lässt. – (Die sog. Schiava im Pal. Barberini zu Rom ist wohl nur das Werk eines Nachstrebenden.) – Vielleicht ist auch das schöne Bild von drei Halbfiguren, welches im Pal. Manfrin Giorgione heisst, eher von [969] Tizian: ein junger Nobile, der sich zu einer Dame umwendet, deren Züge an die Flora erinnern, auf der andern Seite ein Knabe mit Federbarett. Die Trachten sind wohl erst diejenigen um 1520.

Sodann hat Tizian in einzelnen nackten Gestalten wiederum andere Probleme eines hohen Daseins gelöst, wobei zugleich die malerische Darstellung einen vielleicht nie mehr erreichbaren Triumph feiert. In der Tribuna der Uffizien die beiden berühmten Bilder, das eine als Venus bezeichnet durch Anwesenheit des Amor, das andere ohne irgend eine mytholog. Andeutung, doch ebenfalls Venus genannt. Dieses letztere ist wohl das frühere; der Kopf trägt die Züge der Bella im Pal. Pitti 35). Gestalten dieser Art sind es, welche so oft unserer jetzigen (zumal französischen) Malerei das Concept verrücken. Warum sind dieses ewige Formen, während die Neuern es so selten über schöne Modellakte hinaus bringen? Weil Motiv und Moment und Licht und Farbe und Bildung mit einander im Geiste Tizians entstanden und wuchsen. Was auf diese Weise geschaffen ist, das ist ewig. Die wonnig leichte Lage, die Stimmung der Carnation zu dem goldenen Haar und zu dem weissen Linnen und so viel andere Einzelschönheiten gehen hier durchaus in der Harmonie des Ganzen auf, nichts präsentirt sich abgesondert. Das andere Bild, in den Linien der Hauptgestalt ähnlich, schildert doch einen andern Typus und erhält durch den rothen Sammtteppich statt des Linnen, sowie durch den landschaftlichen Hintergrund einen wesentlich neuen Sinn. – Eine dritte liegende Figur, auf einem Lager mit rothem Baldachin, in der Academia di S. Luca zu Rom, ist durch eine Schrifttafel als Vanitas bezeichnet; ein sehr schönes Werk, dessen nähere Untersuchung der Verf. jedoch versäumt hat.

 

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In den einzelnen Gestalten heiligen Inhaltes wird man bei Tizian fast niemals die möglichst würdige und angemessene Darstellung des Gegenstandes suchen dürfen, von welchem sie den Namen tragen. Überhaupt gehen tizianische Charaktere, so gross und in gewissem Sinn historisch sie an sich sind, doch nicht leicht in irgend eine geschichtliche Bedeutung auf; ihr besonderes Leben überwiegt. [970]

In der bekannten Magdalena z. B. sollte wohl die bussfertige Sünderin dargestellt werden, allein in dem wundervollen Weib, deren Haare wie goldene Wellen den schönen Leib umströmen, ist diess offenbar nur Nebensache. (Hauptexemplar: Pal. Pitti; – mit gestreiftem Überwurf bekleidet, übrigens noch von T. selbst, im Museum von Neapel; – geringere Exemplare und Copien: Pal. Doria in Rom, u. a. a. O.) – Schon eher ist in dem einsamen Bussprediger Johannes (Acad. v. Venedig) eine strenge Gegenstandswahrheit beobachtet; ein edler Kopf, vielleicht etwas nervös leidend, mit dem Ausdruck des Kummers; er winkt mit der Rechten die Leute herbei. (Rafaels Johannes S. 903.) – Der S. Hieronymus, von welchem Italien wenigstens ein gutes Exempalar (Brera zu Mailand) besitzt, ist malerisch genommen ein hochpoetisches Werk, energische Bildung, schöne Linien, ein prächtiges Ensemble des Nackten, des rothen Gewandes, des Löwen, mit jenem steilen waldigen Hohlweg als Hintergrund; allein der Ausdruck der begeisterten Ascese ist nicht innerlich genug. – In einzelnen Christusköpfen dagegen hat Tizian das Ideal Bellini's auf tiefsinnige, überaus geistreiche Weise neu gebildet. Der schönste findet sich in Dresden (Cristo della moneta); derjenige im Pal. Pitti ist ebenfalls noch ein edles Specimen. – Die grosse Frescofigur des S. Christoph im Dogenpalast (unten an der Treppe neben der Capella) ist wohl eines derjenigen Werke T.'s, aus welchen ein frischer, von Coreggio empfangener Eindruck hervorzuleuchten scheint.

 

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Nach dem Gesagten kann es nicht mehr zweifelhaft sein, welche unter den grössern Kirchenbildern den reinsten und vollkommensten Eindruck hervorbringen müssen; es sind die ruhigen Existenzbilder, meist Madonnen mit Heiligen und Donatoren. Hier wo Ein Klang, Eine Stimmung das Ganze erfüllen darf, wo die besondere historische Intention zurücktritt, ist Tizian ganz unvergleichlich gross. Das frühste dieser Bilder, S. Marcus zwischen 4 Heiligen thronend, im Vorraum der Sacristei der Salute, ist ein Wunderwerk an Reife und Adel der Charaktere, in gewaltig leuchtendem Goldton. – Eine eigentliche Santa conversazione ist dann das grossartige späte Bild der vatican. Galerie; sechs Heilige, zum Theil von gemässigtem [971] ekstatischem Ausdruck, bewegen sich frei vor einer Trümmernische, über welcher auf Wolken die Madonna erscheint; zwei Engel eilen dem Kind Kränze zu bringen, welche es in seligem Muthwillen herunterwirft; weiter oben sieht man noch den Anfang einer Strahlenglorie (deren halbrunder Abschluss, mit der Taube des heil. Geistes, noch vorhanden, aber auf die Rückseite umgebogen sein soll). – Endlich das wichtigste und schönste aller Präsentationsbilder, durch welches T. die Auffassung solcher Gegenstände für die ganze Folgezeit neu feststellte, nach malerischen Gesetzen der Gruppen- und Farbenfolge, in freier, luftiger Räumlichkeit. Es ist das Gemälde in den Frari, auf einem der ersten Altäre links: mehrere Heilige empfehlen der auf einem Altar thronenden Madonna die unten knieenden Mitglieder der Familie Pesaro. Ein Werk von ganz unergründlicher Schönheit, das der Beschauer vielleicht mit mir unter allen Gemälden T.'s am meisten persönlich lieb gewinnen wird.

Einzelne Madonnen mit dem Kinde, im Freien oder vor einem grünen Vorhang u. dgl., kommen hin und wieder vor. Eine kleine, frühe und sehr schöne im Pal. Sciarra zu Rom. Über eine reife Mütterlichkeit, allerdings der liebenswürdigsten Art, geht ihr Ausdruck nicht hinaus.

Biblische u. a. heilige Scenen sind um so viel harmonischer, je einfacher die dargestellten Beziehungen sind. In der Academie: die Heimsuchung, das frühste bekannte Gemälde des Meisters. – In S. Marcilian, 1. Alt. l., der junge Tobias mit dem Engel, ein ganz naives Bild kindlicher Beschränktheit unter himmlischem Schutze. – In S. Salvatore, letzter Alt. d. r. Seitenschiffes: eine ganz späte Verkündigung. – Von den reichern Compositionen nimmt die berühmte Grablegung (im Pal. Manfrin) wohl die erste Stelle ein. Man soll nicht mit dem Vergleichen anfangen; allein hier drängt sich die Parallele mit der borghesischen Grablegung Rafaels unabweislich auf. An dramatischem Reichthum, an Majestät der Linien kann sich das Werk Tizians mit jenem nicht messen; die Stellungen der wenigsten Figuren werden auch nur genügend erklärt. Aber die Gruppe ist nicht nur nach Farben unendlich schön gebaut, sondern auch in dem Ausdruck des geistigen Schmerzes allem Höchsten gleichzustellen. Kein Zug des Pathos liegt ausserhalb des Ereignisses, keiner überschreitet [972]auch die Grenzen des edlern Ausdruckes wie z. B. bei Coreggio, dessen Grablegung (S. 955) nur in der Darstellung des Lichtes und der Räumlichkeit einen Vorzug hat, im Wesentlichen aber Tizian lange nicht erreicht. – Die grosse Kreuzabnahme in der Academie, das letzte Bild desselben, zeigt in zerfliessenden Formen und etwas gesetzlosen Linien noch einen wahren und grossen Affekt und glühende Farben. – In der ebenfalls sehr späten Transfiguration (Hochaltar von S. Salvatore) reichten allerdings die Kräfte nicht mehr aus. – Aber in der Mitte seiner Laufbahn sammelte sich Tizian zu einem Altarbild sonder Gleichen: Mariä Himmelfahrt (Academie, ehemals auf dem Hochaltar der Frari; wegen dieser beträchtlich hohen Aufstellung sind die Apostel schon etwas in der Untensicht dargestellt).

Die untere Gruppe ist der wahrste Gluthausbruch der Begeisterung; wie mächtig zieht es die Apostel, der Jungfrau nachzuschweben! in einigen Köpfen verklärt sich der tizianische Charakter zu himmlischer Schönheit. Oben, in dem jubelnden Reigen, ist von den erwachsenen Engeln der welcher die Krone bringt, in ganzer, herrlicher Gestalt gebildet; von den übrigen sieht man nur die überirdisch schönen Köpfe, während die Putten in ganzer Figur, ebenfalls in ihrer Art erhaben, dargestellt sind. Wenn Coreggio eingewirkt haben sollte, so ist er doch hier an wahrer Himmelsfähigkeit der Gestalten weit übertroffen. Der Gottvater ist von weniger idealem Typus als die Christusköpfe Tizians; vom Gürtel an verschwindet er in der Glorie, welche die Jungfrau umstrahlt. Sie steht leicht und sicher auf den noch ideal, nicht mathematisch wirklich gedachten Wolken; ihre Füsse sind ganz sichtbar. Ihr rothes Gewand hebt sich ab von dem gewaltig wehenden, vorn geschürtzten dunkelblauen Mantel, ihr Haupt ist umwallt von ganz mächtigen Haaren. Der Ausdruck aber ist eine der höchsten Divinationen, um welche sich die Kunst glücklich zu preisen hat: die letzten irdischen Bande springen; sie athmet Seligkeit.

Eine andere Assunta, im Dom von Verona, 1. Alt. l., ist ruhiger gedacht; die Apostel an dem leeren Grabe schauen tief ergriffen, anbetend der hier einsam Emporschwebenden nach. Die Durchführung ebenfalls von hoher Vortrefflichkeit.

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Tizian. Assunta. Fresken in Padua.

Für die eigentliche Historienmalerei giebt es Fresken Tizians aus seiner ganz frühen Zeit (1500–1520?) in zwei Scuole (Bruderschaftsgebäuden) zu Padua. In der Scuola del Santo ist von ihm das I., XI. und XII. Bild: S. Antonius lässt ein kleines Kind reden zu Bezeugung der Unschuld seiner Mutter; ein eifersüchtiger Ehemann tödtet seine Frau; S. Antonius heilt das zerbrochene Bein eines Jünglings. (Die Mitarbeiter waren: für IV, VIII und X Paduaner der frühern Schule; für II, III, IX und XVII der Paduaner Domenico Campagnola, welcher hier ein ausgezeichnetes, mit diesen Werken Tizians rivalisirendes Talent zeigt; für V, VII, XIII, XIV verschiedene Schüler Tizians; von Giov. Contarini VI; von Spätern XV, XVI.) – In der Scuola del Carmine ist von Tizian nur das herrliche V. Bild: Joachim und Anna. (I, II, III, IV sind von geringern Altpaduanern; VII, Joachims Vertreibung aus dem Tempel, von einem viel bessern; XII, XIII, XIV (auch VI?) von Campagnola; IX ist ganz unbedeutend, X und XI von Spätern.) – Als einzige namhafte Frescounternehmungen der Venezianer vom Anfang des XVI. Jahrh. sind diese Malereien zwar in allem was zur Composition gehört mit den grossen gleichzeitigen Florentinern nicht zu vergleichen; in der Scuola del Santo haben auch die Sujets einen schweren innern Mangel (vgl. S. 661, g). Aber als belebte Existenzbilder mit grossartig freien Charakteren, mit malerisch vollkommen schön behandelten Trachten, mit vorzüglichen landschaftlichen Hintergründen, mit einem Colorit das in Fresco nur hie und da bei Rafael und A. del Sarto seines Gleichen hat, sind besonders die Arbeiten Tizians von höchstem Werthe. Sein Helldunkel in der Carnation ist wahrhaft wonnevoll. Das Bild von Joachim und Anna, in der weiträumigen schönen Landschaft, gehört unbedingt zu seinen einfach-grössten Meisterwerken. – Man kann nicht sagen, dass er in Gegenständen dieser Art in der spätern Zeit gewonnen habe. In seiner grossen Darstellung der Maria im Tempel (Acad. von Venedig), wird der eigentliche Gegenstand doch nahezu erdrückt durch die Fülle an Nebenmotiven, die denn freilich mit einer erstaunlichen Frische und Schönheit dargestellt sind.

Im strengen Sinne dramatisch sind zwei berühmte Altarbilder Tizians. Es war ein nothwendiger wenn auch verhängnissvoller Übergang in dieser Zeit einer Allem gewachsenen Kunst, dass man anfing, [974] statt des Heiligen die Legende, statt des Märtyrers das Marterthum auf den Altar zu bringen. In S. Giovanni e Paolo (2. Alt. l.) sieht man den berühmten S. Pietro martire. Das Momentane ist hier wahrhaft erschütternd und doch nicht grässlich; der letzte Ruf des Märtyrers, die Wehklage seines entsetzten Begleiters haben Raum in die hohen luftigen Baumstämme emporzudringen, welche man sich mit der Hand verdecken möge um zu sehen, wie hochwichtig ein solcher freier Raum für wirklichkeitsgemäss aufgefasste bewegte Scenen ist. Das Landschaftliche überhaupt ist hier zuerst mit vollendetem künstlerischem Bewusstsein behandelt, die Ferne in einem zornigen Licht, das den Moment wesentlich charakterisiren hilft. – Die Marter des heil. Laurentius, auf einem der ersten Altäre links in der Jesuitenkirche, ein unleidlicher Gegenstand, aber durchaus grossartig behandelt; der Kopf des Dulders einer von T.'s bedeutendsten Charakteren; das Zusammenwirken der verschiedenen Lichter auf der in vollster Bewegung begriffenen Gruppe von zauberhafter Wirkung. (Stark restaurirt.)

Einmal scheint Tizian dem Coreggio sehr unmittelbar nachgegangen zu sein. In der Sacristei der Salute sind die 3 Deckenbilder, der Tod Abels, das Opfer Abrahams, und der todte Goliath, wie ich glaube, die frühsten venezian. Bilder in Untensicht. Eigentlich lag diese Darstellungsweise gar nicht in der venezianischen Malernatur, welche ja Existenzen entwickeln, nicht durch täuschende Raumwirklichkeit ergreifen will. Es sind noch dazu irdische, nicht himmlische Vorgänge, und daher die Untensicht nur jene halbe, welche von da an in hunderten von venez. Deckenbildern herrscht. Die Formen verschieben sich dabei schon ziemlich hässlich (der knieende Isaac!), doch ist die Malerei noch vorzüglich.

Von profaner Historienmalerei ist ausser einem grossen Ceremonienbilde in der Pinacoteca zu Verona (Huldigung der Veroneser an Venedig, mit einer Anzahl herrlicher Köpfe; das Meiste wohl von Bonifazio) nichts Bedeutendes mehr vorhanden als das kleine, vortreffliche Gemälde einer Schlacht (wahrscheinlich derjenigen von Ghiaradadda, im Krieg der Liga von Cambray) in den Uffizien; das Handgemenge ist auf und an einer hohen Brücke am heftigsten, von welcher sich die vordern Scenen glücklich abheben – ein Motiv, [975] welches vielleicht Rubens die Anregung zu seiner Amazonenschlacht eingab; einen dramatischen Hauptgedanken muss man hier nicht suchen, so wenig als völlige historische Treue in dem theils antiken, theils Lanzknechtscostum; allein das Ganze wie das Einzelne ist meisterlich belebt.

 

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Die mythologischen Darstellungen müssen in jedem mehr realistischen als idealen Styl um so unharmonischer sein, je mehr ihr Inhalt heroisch ist, – und um so harmonischer, je mehr sie sich dem Idyllischen, dem Pastoralen nähern. Tizian scheint diess klarer als die meisten Zeitgenossen empfunden zu haben. Sein Hauptgegenstand sind Bacchanalien, in welchen das schöne und selbst üppige Dasein die höchsten Momente feiert. Die Originale sind in London und Madrid. Eine gute Copie von „Bacchus und Ariadne“ (wie man sagt, von Nic. Poussin) findet man bei Camuccini in Rom, eine Episode daraus (angeblich von Tizian selbst, aber eher von einem Nichtvenezianer des XVII. Jahrh.) im Pal. Pitti. – Von einem berühmten Bilde im Geist von Coreggio's Leda, nämlich der Darstellung von Calisto's Schuld, sind mehrere eigenhändige Exemplare in Europa zerstreut; auch dasjenige in der Academia di S. Luca zu Rom, woran etwa ein Drittheil fehlt, schien mir (bei flüchtiger Betrachtung) ein schönes Originalwerk. – Eine andere vielverbreitete Composition ist wenigstens durch ein spätes, kleines, doch schönes Exemplar bei Camuccini repräsentirt: Venus sucht den zur Jagd eilenden Adonis zurückzuhalten; ein in Linien, Formen und Farben vorzüglicher Gedanke, zugleich eine rechte Episode idyllischen Waldlebens. – Sodann im Pal. Borghese: das späte Halbfigurenbild der Ausrüstung Amors; wunderbar naiv und farbenschön. Es ist nicht mythologisch, aber ganz poetisch, dass ein Amorin schon für die Erlaubniss zum nächsten Ausflug gute Worte giebt, während dem andern die Augen verbunden werden.

Endlich hat Tizian ein paar Bilder ohne alle mythologische Voraussetzung gemalt, blosse Allegorien wenn man will, aber von derjenigen seltenen Art, in welcher der allegorische Sinn, den man aussprechen kann, sich ganz verliert neben einer unaussprechlichen Poesie. Das eine: die drei Menschenalter, befindet sich, arg übermalt, [976]im Pal. Manfrin; Sassoferrato's schöne aber minder energische Copie im Pal. Borghese zu Rom. (Hirt und Hirtin auf einer Waldwiese, seitwärts Kinder, in der Ferne ein Greis.) Das andere, im Pal. Borghese zu Rom: amor sacro ed amor profano, d. h. Liebe und Sprödigkeit, ein Thema, welches z. B. schon von Perugino behandelt worden war. Diese Bedeutung wird auf alle mögliche Weise klar gemacht: die vollkommene Bekleidung der einen Figur 36), selbst mit Handschuhen; die zerpflückte Rose; am Brunnensarcophag das Relief eines von Genien mit Geisselhieben aus dem Schlaf geweckten Amors; die Kaninchen; das Liebespaar in der Ferne. – Beide Bilder, vorzüglich das letztere, üben jenen traumhaften Zauber aus, den man nur in Gleichnissen schildern und durch Worte vielleicht überhaupt nur entweihen könnte.

 

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Unter den Schülern und Gehülfen Tizians begegnen wir zunächst einigen seiner Verwandten. Von seinem Bruder Francesco Vecellio sind z. B. die Orgelflügel in S. Salvatore gemalt; ein Bischof, der knieende Mönche ordinirt, und S. Mauritius in einer Landschaft, in jener grandiosen, freien Darstellungsweise, welche man in den Fresken zu Padua bemerkt. – Von seinem Neffen Marco Vecellio eine farbenglühende Madonna della misericordia im Pal. Pitti, und in S. Giovanni Elemosinario zu Venedig (links) das Bild dieses Heiligen nebst S. Marcus und einem Stifter. – Von seinem Sohn Orazio Vecellio ist wenig Namhaftes vorhanden.

Bonifazio Veneziano (1491–1563), ein mässig begabter Nachahmer Tizians, zeigt, wenn man seine Bilder als Ganzes übersieht, welches in Venedig der Ersatz für die mangelnden Fresken war, nämlich jene grossen, auf Tuch gemalten Geschichten, welche an heiliger und profaner Stätte in einiger Höhe, etwa oberhalb des Wandgetäfels aufgehängt wurden. Es ist für den ganzen Schulstyl von Bedeutung, dass das Breitbild hier (aus Gründen des Raumes) durchgehends den Vorzug erhielt vor dem Hochbild; die Erzählungsweise selbst eines Paolo Veronese, welchem man später alle wünschbare [977] Raumfreiheit gewährte, ist doch ursprünglich unter jenen Prämissen entstanden. Erst Tintoretto sprengt diess Vorurtheil einigermassen.

Sodann offenbart Bonifazio glänzend, wie und wesshalb die Venezianer zweiten und dritten Ranges den Florentinern und Römern der entsprechenden Stufe so weit überlegen sind. Die Auffassung des Momentes, so niedrig sie ihn fassen, bleibt wenigstens ganz naiv; der veredelte Naturalismus, welcher die Lebenskraft der Schule ist, treibt sie von selbst auch zu stets neuer Anschauung des Einzelnen; was sie aber von ihren Meistern entlehnen, jene Summe von Reizmitteln aus dem Gebiet der Farbe und des Lichtes, das nimmt die Nachwelt auch aus zweiter Hand auf das Dankbarste an. (Florentiner und Römer dagegen entlehnen von ihren Meistern Einzelelemente der Schönheit und der Energie zu conventioneller Verwerthung und legen sich auf das Ungeheure und Pathetische.) Einen höhern geistigen Gehalt darf man freilich bei wenigen Venezianern suchen, und so auch bei Bonifazio nicht, der bisweilen absolut gedankenlos malt; indess stört er doch nicht durch platte Roheit der Auffassung. Von seinen beiden grossen Abendmahlsbildern enthält dasjenige in S. Angelo Raffaelle (Cap. rechts vom Chor) eine Anzahl schöner, selbst inniger Köpfe, der Moment des „unus vestrum“ (S. 865) spricht sich noch deutlich aus. In dem andern Abendmahl, in S. M. mater Domini (linkes Querschiff), das noch schöner gemalt und vielleicht desshalb dem Palma vecchio zugeschrieben worden ist, kam es doch dem Maler schon nicht mehr auf den Moment an; die Apostel, in gleichgültigem Gespräch, achten gar nicht auf Christus. – In der Academie: zwei prächtige Gluthbilder: eine Anbetung der Könige in schöner Landschaft, und eine Madonna mit beiden Kindern und vier Heiligen; sodann ein gedankenloses Bild der Ehebrecherin; mehrere Einzelfiguren von Heiligen, welche sich nach einer Nische oder sonstigen Einfassung zu sehnen scheinen; endlich die Geschichte vom reichen Mann, höchst anziehend als Novellenbild und im Ganzen wohl B.'s bedeutendste Leistung. (Porträtähnlichkeit des reichen Mannes mit Heinrich VIII). – Im Pal. Manfrin: Grosse Madonna mit Heiligen; zwei Bilder deren Inhalt die sog. Tafel des Cebes bildet, Allegorien, die eigentlich für diese Schule das Fremdartigste waren und hätten [978] bleiben sollen, da sie ganz für die Verklärung des Besondern, nicht für die Verwirklichung des Allgemeinen geschaffen war. – In der Abbazia, Cap. hinter der Sacristei, zwei schöne frühe Apostelfiguren. – Ausserhalb Venedigs sind bemerkenswerth: im Pal. Pitti: ein Christus unter den Schriftgelehrten; – im Pal. Brignole zu Genua: eine Anbetung der Könige; – in der Galerie zu Modena: die Gestalten von vier Tugenden.

Unter den Schülern Tizians ist am ehesten mit Bonifazio zu vergleichen: der schwächere Polidoro Veneziano. – Von Campagnola ausser den genannten Fresken (S. 973) noch Einiges in Padua. – Von Giovanni Cariani Bilder in seiner Heimath Bergamo und in der Brera zu Mailand (Madonna mit S. Joseph, sechs andern Heiligen und vielen Engeln), welche in der nobeln, bedeutenden Charakteristik auch noch an seinen frühern Lehrer Giorgione erinnern. – Von Calisto Piazza aus Lodi bedeutende Bilder in der Incoronata daselbst und in mehrern Kirchen von Brescia, sämmtlich dem Verfasser nicht bekannt. – Von Girol. Savoldo aus Brescia eine grosse Madonna auf Wolken mit vier Heiligen in der Brera zu Mailand, mehreres im Pal. Manfrin und eine Transfiguration in den Uffizien, welche den Gedanken Giov. Bellini's (S. 827) in den Styl der neuen Zeit übersetzt zeigt. – Ungleich bedeutender ist ein anderer brescianischer Nachfolger Tizians,

Moretto (eigentlich Alessandro Bonvicino) dessen Blüthe das zweite und dritte Viertel des XVI. Jahrh. umfasst. Er scheint früher Schüler jenes Sacchi von Pavia (S. 820) gewesen zu sein, später dagegen auch Eindrücke der römischen Schule – glücklicher als irgend ein anderer Oberitaliener – in seine Darstellungsweise aufgenommen zu haben. Seine Hauptwerke in Brescia, die ich nicht gesehen zu haben schmerzlich bedaure, schildert Waagen (Kunstbl. 1851) mit folgenden Worten: „In dem Hochaltarbilde von S. Clemente entspricht „die Zartheit und die Verklärtheit der religiösen Empfindung, der „wunderbaren Feinheit des dem Moretto so eigenthümlichen Silber„tones, und gehört der Engel Michael zu den schönsten jugendlichen „Köpfen, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. – Die Krönung „Mariä in SS. Nazaro e Celso zeigt, welche Höhe er auch in dem „strengen und grossen Kirchenstyl und in der Gluth der Farbe erreichen [979] konnte.“ – Als das dritte Hauptwerk bezeichnet Waagen das Bild in S. Eufemia, Maria in der Herrlichkeit, von vier Heiligen verehrt. – Zunächst ist es eine durchgehende und merkwürdige Wahrnehmung (zuerst m. W. von Schnaase ausgesprochen und motivirt), dass der venezianische Goldton bei den meisten Malern der Terraferma zum Silberton wird. – Was Moretto insbesondere betrifft, so ist wohl nicht zu läugnen, dass er an höherm Gedankeninhalt und Adel der Auffassung alle Venezianer, gewisse Hauptleistungen Tizians ausgenommen, aufwiegt. Seine Glorien sind würdiger und majestätischer, seine Madonnen grossartiger in Bildung und Haltung, auch seine Heiligen stellenweise von höchst grandiosem Charakter. – Etwas den wichtigsten Bildern in Berlin und Frankfurt gleich zu Schätzendes möchte Italien indess (Brescia ausgenommen) kaum mehr besitzen. – Die grosse Madonna in den Wolken mit drei Heiligen in der Brera ist ein edles Bild, aber gerade die Hauptfigur hat hier etwas Trübes. (Ebenda mehrere Bilder mit einzelnen Heiligen.) – Das wichtigste Bild in Venedig befindet sich in S. Maria della Pietà (an der Riva) in einer Nonnentribune über dem Portal; es ist Christus beim Pharisäer, die Scene streng symmetrisch angeordnet. Im Pal. Manfrin die Einzelfiguren des Petrus und Johannes, auf landschaftlichem Grunde, frühe, fleissige Bilder von schönem Ausdruck. – In den Uffizien: Venus mit Nymphen in freier Landschaft, hinten über dem Wasser die Piazzetta, ein grosses und sorgfältiges Bild, welches zwar in Ermanglung sinnlicher Freudigkeit etwas Gleichgültiges hat wie später bolognesische Bilder dieser Art, dessen negatives Verdienst aber – die Abwesenheit römischer Manier und venezianischer Gemeinheit – für jene Zeit ausserordentlich ist. – Ebenda: das Bildniss eines Lautenspielers, ein schöner, tückischer Charakter, in trefflicher Darstellung, doch wohl nicht von M. – Im Pal. Brignole zu Genua das Capitalporträt eines Botanikers, an einem Tisch mit einem Buch und Blumen, hinten Gemäuer, datirt 1533. (Ob richtig benannt? eher wie von einem Schüler des Giorgione.)

Moretto's Schüler war der Bergamaske Gio. Battista Moroni, als Porträtmaler eine höchst eigenthümliche Erscheinung. Weit entfernt, den Menschen auf venezianische Art in festlich erhöhter Stimmung darzustellen, fasst er ihn zwar im höchsten Grade geistreich und [980] wahr auf, erlässt ihm aber keine einzige von den Falten, welche das Schicksal in das Antlitz gegraben hat. In den Uffizien ein Schwarzgekleideter in ganzer Figur, mit einem flammenden Becken (1563), und die unvergleichliche Halbfigur eines Gelehrten, des „Gelehrten als solchen“; das vor ihm liegende Buch ist vielleicht Schuld daran, dass der etwa 45jährige Mann schon wie ein Sechsziger aussieht. – Zwei andere, nicht ganz so treffliche Gelehrtenporträts im Pal. Manfrin. – Anderes in der Academie von Venedig u. a. a. O.

 

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Von irgend einer andern Seite, etwa von Ferrara oder Bologna her, war Girolamo Romanino in die venezianische Schule gerathen, dessen Thätigkeit ebenfalls meist Brescia angehört. Mit Ausnahme einer Grablegung vom Jahr 1510 im Pal. Manfrin, kenne ich nur ein Bild von ihm, welches das schönste Gemälde von ganz Padua ist. (In der Capella S. Prosdocimo oder Capitelsaal bei S. Giustina.) Madonna thronend zwischen zwei Engeln und vier Heiligen, vorn ein Engel mit Laute; in dieser alterthümlichen Anordnung aber lebt die volle Schönheit des XVI. Jahrh. – (Bei diesem Anlass: der Crucifixus in einem andern alten Capitelhaus des Klosters, und das Gethsemane in einem hintern Gange desselben sind treffliche Fresken eines ungenannten venezian. Malers nach 1500.) – Von Romanino's brescianischen Schülern wurde Lattanzio Gambara schon als Decorator genannt (S. 299); Girolamo Muziano, später in Rom Nachahmer Michelangelo's, behielt noch bis in seine manierirten Sachen ein wenigstens halbvenezianisches Colorit; am kenntlichsten vielleicht in der „Verleihung des Amtes der Schlüssel“, in S. M. degli Angeli zu Rom (beim Eingang ins Hauptschiff, links.)

 

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Nicht Schüler, sondern Nebenbuhler Tizians, übrigens in der Auffassung so ganz Venezianer wie alle Übrigen war Giovanni Antonio (Licino Regillo da) Pordenone (geb. um 1484, st. 1539). Als Frescomaler, bei S. Stefano zu Venedig, wurde er schon (Seite 295, c) genannt; seine Gewölbefresken in der Madonna di Campagna zu Piacenza habe ich leider nur in tiefer Dämmerung gesehen. Die [981] höhere geistige Bedeutung an irgend einem Vorgange hervorzuheben, war wohl so wenig seine Sache als die der Schule überhaupt, allein er ist ganz besonders frisch und lebendig in der Auffassung des äussern Lebens und hat in der Carnation, zumal wo sie im Helldunkel erscheint, eine solche eigenthümliche warme Weichheit (morbidezza, Mürbheit) wie kein Anderer der Schule. – Sein Hauptwerk in Venedig (Academie), S. Lorenzo Giustiniani von andern Heiligen und Ordensbrüdern umgeben, hat wohl eine etwas gesuchte Dramatik; die santa conversazione sieht trotz aller Blicke und Gesten danach aus, als wüssten die Leute nicht recht, was sie einander zu sagen haben; – eine Madonna mit Heiligen (ebenda) befriedigt als reines und sehr schönes Existenzbild viel mehr; – ebenda fünf schwebende Putten auf Wolken. – Ein herrliches Altarbild, S. Catharina mit S. Sebastian und S. Rochus, in S. Giovanni Elemosinario (Cap. rechts vom Chor). – Mehreres in S. Rocco. – In den Angeli zu Murano: das Hochaltarbild (?). – Im Pal. Manfrin: Vermählung Mariä, und: Beschneidung, Halbfigurenbilder von so blasser und allgemeiner Behandlung, dass man sie dem P. kaum zutrauen mag. – Im Pal. Doria zu Rom: die Tochter des Herodes mit ihrer Magd, ein herrliches, leidlich erhaltenes Halbfigurenbild; sie ist von der hohen venezianischen Schönheit, dabei klug und kalt, auch das Haupt des Täufers höchst edel venezianisch. – Im Pal. Pitti: eine santa conversazione in Halbfiguren, von höchster Pracht und Harmonie der Farbe. – In den Uffizien: ein vorzügliches männliches Porträt, eine unförmliche Judith und eine improvisirte, in den Formen ziemlich stumpfe, aber gluthfarbige Bekehrung des Paulus (Breitbild).

Giov. Antonio's Bruder oder Verwandter Bernardino da Pordenone scheint der Urheber mehrerer Familienbilder zu sein, welche einen Künstler (Bildhauer oder Maler? – vielleicht den Giov. Antonio?) umgeben von seinen Angehörigen und Schülern darstellen; eines im Pal. Borghese zu Rom, eines im Pal. Manfrin, ein drittes in England; das erstgenannte ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Vorbild dieser Gattung. – Sein bestes Altarbild, eine thronende Madonna mit Heiligen, meist Mönchen, in den Frari, erste Cap. links vom Chor; ohne besondern Adel des Gedankens oder des Ausdruckes ein Kleinod durch Farbenpracht und Lebensfülle; – auch ein Halbfigurenbild [982] der Madonna mit drei Heiligen, dem Stifter und dessen Gattin, im Pal. Manfrin, ist behandelt wie der schönste und freiste Palma vecchio; – ebenda eine heil. Familie im Freien, mit einem betenden Mönch.

 

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Paris Bordone (1500–1570), zuerst Nachahmer des Giorgione, dann rückhaltlos des Tizian, ist in den Bildnissen bisweilen den Grössten gleichzustellen. Eine Anzahl in den Uffizien; – eine dicke Frau und eine Copie nach Tizians Paul III im Pal. Pitti; – im Pal. Brignole zu Genua das wunderbare Porträt eines bärtigen Mannes in schwarzem Kleid mit rothen Ärmeln, an einem rothbezogenen Tisch, in der Hand einen Brief, hinten eine Balustrade; ebenda eine Frau in rosenfarbenem Unterkleid und goldstoffenem Oberkleide 37). – Anderes im Pal. Manfrin. – Grössere Darstellungen heil. Scenen sind nicht seine Sache; in dem Abendmahl zu S. Giovanni in Bragora (nach der ersten Cap. rechts) sehen die Geberden aus wie ein Abhub von Reminiscenzen aus den Werken besserer Meister; – das Paradies (in der Academie) ist ein ganz schwaches Werk; – eher noch macht das schön gemalte Halbfigurenbild des Augustus mit der Sibylle (Pal. Pitti) einen poetischen Eindruck; – vollends aber verdankt man dem Bordone das am schönsten gemalte Ceremonienbild, welches überhaupt vorhanden sein mag (Acad. von Venedig): der Fischer, welcher dem Dogen in Gegenwart einer erlauchten Versammlung einen Ring überreicht, den ihm S. Marcus gegeben. Dieses Werk ist gleichsam die reifste, goldenste Frucht der mit Carpaccio's Historien (S. 823) beginnenden Darstellungsweise, auch in Beziehung auf die Prachtbauten, zwischen welchen die Thatsache vor sich geht.

Von Battista Franco, der auch in Rom nach Michelangelo studirt hatte, ist oben (S. 288) bei Anlass der decorativen Malerei, welcher er seinem Talente gemäss am ehesten angehört, die Rede gewesen. [983]

 

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In der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, als alle andern Schulen in den tiefsten Verfall gerathen waren, hielt sich die venezianische noch in einer bedeutenden Höhe durch die grössere Vernunft der Besteller, durch die Unerschöpflichkeit des Naturalismus und durch die fortdauernde Praxis der Reizmittel des Colorites. Trotzdem macht sie jetzt einen wesentlich andern Eindruck. Wir versparen das Werk der ganzen Schule, die Ausmalung des Dogenpalastes, auf das Ende und nennen hier zuerst die übrigen Werke der betreffenden Künstler.

Der erste, welcher der Schule eine neue Richtung gab, war Jacopo Tintoretto (eigentlich Robusti, 1512–1594). Früher Schüler Tizians und von Hause aus sehr reich begabt, scheint er ganz richtig empfunden zu haben, woran es in Venedig fehlte, und drängte nun auf eine mächtig bewegte, dramatische Historienmalerei hin. Er studirte Michelangelo, copirte auch bei künstlichem Licht nach Gypsabgüssen und Modellen, nicht um seine venezianische Formenbildung zu idealisiren, sondern um sie ganz frei und gelenk zu machen für jede Aufgabe und um ihr durch die wirksamsten Lichteffecte eine neue Bedeutung zu geben. Glücklicherweise blieb er dabei in seinem tiefsten Wesen Naturalist. Jene Verschleppung der Manieren der römischen Schule blieb wenigstens der guten Stadt Venedig erspart. Unter diesen Umständen büsste er bloss das venezianische Colorit in vielen seiner Werke ein, als welches mit der starkschattigen Modellirung an sich unverträglich ist, auch vielleicht bei Tintoretto technischen Neuerungen unterliegen musste. Man darf sich wohl wundern, dass in so vielen Fällen seine Farbe überhaupt gerettet, ja dass ein Helldunkel vorhanden ist. Manches freilich erscheint ganz entfärbt, dumpf, bleiig. – War er nun aber der Poet, welcher das Recht gehabt hätte zu seinen grossen Neuerungen? Es steckte in ihm neben vielem Grossen doch auch eine gewisse Roheit und Barbarei der Empfindung; selbst seine künstlerische Moralität schwankte oft, sodass er bis in die gewissenloseste Sudelei versinken konnte. Es fehlt ihm die höhere Gesetzlichkeit, die der Künstler, besonders bei Wagnissen und Neuerungen, sich selber geben muss. Bei seinen ungeheuern Unternehmungen, die an bemaltem Quadratinhalt vielleicht das Zehnfache von dem ausmachen, was die Frucht von Tizians hundertjährigem Leben ist, kommt [984] man auf die Vermuthung, dass er dergleichen als Mindestfordernder accaparirt und grossentheils als Improvisator durchgeführt habe.

Es giebt von ihm zunächst treffliche Bildnisse, welche in Venedig noch nicht sorglos gemalt werden durften. (Zweifelhafte, aber schöne im Pal. Pitti; – das con amore gemalte des Jac. Sansovino und das ebenfalls sehr ausgezeichnete eines bärtigen Mannes in rothem Staatskleid etc. in den Uffizien; andere überall.) – Sodann sind überhaupt Werke seiner frühern Zeit durch den vollen tizianischen Goldton ebenso schätzenswerth als die irgend eines andern Nachfolgers des grossen Meisters; so das naive Bild: Vulcan, Venus und Amor, im Pal. Pitti, dessen Gleichen man in Venedig kaum finden wird. Auch die Deckenstücke aus ovidischen Metamorphosen in der Galerie von Modena sind noch ziemlich farbenreich. In Venedig gehört am ehesten hieher das Wunder des heil. Marcus, der einen gemarterten Sclaven aus den Händen der Heiden rettet (Academie). Hier geht T. vielleicht zum erstenmal über alle bisherigen venezianischen Absichten hinaus; die Scene ist ungleich bewegter und confuser; der Künstler sucht Verkürzungen der schwierigsten Art auf und verräth z. B. in dem hässlich kopfabwärts schwebenden Heiligen, dass alle höhere Auffassung ihm nichts gilt, sobald er seine äusserliche Meisterhaftigkeit an den Tag zu legen Anlass hat. (Rubens hat viel nach diesem Bilde studirt.) – Dann eine ebenfalls noch schön gemalte aber frivole Darstellung der Ehebrecherin, welcher man es ansieht, dass sie den gemeinen Christus nicht respectirt. (Ebenda.) – Ein anderes Werk der noch guten Palette: die Geschichten des wahren Kreuzes, im rechten Querschiff von S. M. mater Domini. – Auch die grosse Hochzeit von Cana in der Sacristei der Salute (kleineres Exemplar in den Uffizien); ein stattliches Genrebild von häuslichem Charakter (nicht von fürstlichem wie bei Paolo Veronese), wobei wenigstens das Wunder und seine Wirkung löblicher Weise in den Vordergrund verlegt sind. – Von den 56 zum Theil colossalen Bildern, womit T. die ganze Scuola di S. Rocco angefüllt hat, ist hauptsächlich die grosse Kreuzigung (in der sog. Sala dell' albergo) noch schön gemalt und theilweise auch im Gedanken bedeutend. Hier lernt man denn auch die hochwichtige historische Stellung T.'s vollständig kennen; er zuerst gestaltet (besonders in der grossen obern Halle) die heilige Geschichte von Anfang [985] bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleicht mit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Füllfiguren den wahren und grossen Eindruck aufhebt; er fällt in seinem Eifer der Verwirklichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. B. das Abendmahl kaum je niedriger aufgefasst worden ist; bei der Taufe im Jordan drückt Johannes dem Christus die Schulter herab; bei der Auferweckung des Lazarus sitzt Christus ganz bequem in der Ecke unten. Die meisten Bilder, mit Ausnahme der Sala dell' albergo, sind höchst nachlässig und schnell gemalt. In denjenigen der untern Halle ist das Landschaftliche zu beachten; scharfe phantastische Lichter an den Rändern der Bäume und Berge. Einen ungeschickten Wetteifer mit Michelangelo findet man am ehesten in dem grossen mittlern Deckenbild der obern Halle, welches die eherne Schlange darstellt. – Mit den Gemälden dieser Scuola gab T. den Ton an für die ganze monumentale Malerei Venedigs in den nächsten Jahrzehnden (von den 1560er Jahren an); er selber nahm noch Theil an der Ausschmückung der Capella del rosario (links an S. Giov. e Paolo), welche als Denkmal des Sieges von Lepanto errichtet wurde, hauptsächlich aber an derjenigen des Dogenpalastes. Den decorativen Werth dieser Arbeiten haben wir oben (S. 291) festzustellen gesucht. Wo sich einmal der ganze Styl so sehr von der Auffassung, die beim Fresco die allein mögliche ist, abgewandt hat, da bleibt in der That kein anderer Ausweg offen, als dieser. – Im Chor von S. M. dell' orto zwei Colossalbilder, die Anbetung des goldenen Kalbes und die letzten Dinge; roh und abgeschmackt. – Im linken Querschiff von S. Trovaso ein Abendmahl, zum gemeinsten Schmaus entwürdigt. – Auf allen Altären von S. Giorgio maggiore Sudeleien, welche dem T. zu ewiger Schmach gereichen.

Von seinen Schülern ist sein Sohn Domenico in seinem Naturalismus meist um einen Grad gewissenhafter. – Der Peruginer Antonio Vascibracci, genannt l'Aliense, brachte T.'s Styl in seine Heimath (10 grosse Geschichten Christi an den Oberwänden des Hauptschiffes von S. Pietro de' Cassinensi in Perugia.) [986]

 

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Neben Tintoretto repräsentirt der grosse Paolo Veronese (eigentlich Caliari, 1528–1588) die schönere Seite der venezianischen Malerei.

Er war hervorgegangen aus der bereits von Venedig her berührten Schule seiner Vaterstadt, wo sich immer einige Localmaler, früher mit sehr bedeutenden (S. 818 u. 960), später wenigstens mit nicht zu verachtenden Leistungen (S. 964) hervorthaten. Von seinen nächsten Vorgängern findet man in Verona eine Menge Werke. (Von Torbido's Schüler Giambattista del moro z. B.: in S. Nazaro e Celso die Lunetten über den meisten Altären; in beiden Seitenschiffen von S. Stefano einfarbige Fresken aus der Legende des Heiligen. – Von Domenico Ricci, gen. Brusasorci: ebenfalls in S. Stefano die schwachen Kuppelmalereien und das Fresco über der rechten Seitenthür, der Heilige umgeben von den unschuldigen Kindlein, welche wie er als „Erstlinge des Marterthums“ bezeichnet werden; zu S. M. in organo die Fresken der Cap. l. vom Chor; in S. Fermo die Lunette des 1. Alt. r., mit der Enthauptung eines heil. Bischofs. – Von Paolo Farinato: sämmtliche, zum Theil ganz bedeutende Fresken im Chor von S. Nazaro e Celso. – Von Paolo Caliari's nächstem Lehrer Giov. Badile: ein Bild in der Pinacoteca, zwei Engel, die den todten Christus ins Grab senken, bez. 1556.) Allein Paolo verdankt sein Bestes wesentlich dem Vorbilde Tizians und Venedigs überhaupt.

Paolo's Grösse liegt darin, dass er, den wahren Genius der venezianischen Schule erkennend, nicht eine bewegte Historienmalerei auf den anders gearteten Stamm zu pfropfen suchte wie Tintoretto, sondern die Existenzmalerei auf eine letzte, unübersteigliche Stufe hob und auch das Colorit diesem gewaltigen Problem gemäss zu steigern vermochte.

Seine Charaktere sind nicht höher, erhabener als die der bessern Vorgänger, besitzen aber den Vorzug eines so freien, unbefangenen, absichtlosen, lebensfrohen Daseins wie wohl bei keinem andern Maler der Welt 38). In den sante conversazioni befolgt er die Anordnung [987] der spätern Werke Tizians; die Heiligen sind z. B. zwanglos um das Postament gruppirt, auf welchem die Madonna sitzt. (Acad. v. Venedig; S. Francesco della vigna, 5. Cap. l.) Das schönste dieser Bilder: S. Cornelius, S. Antonius abbas und S. Cyprian nebst einem Geistlichen und einem Pagen, findet sich in der Brera zu Mailand. – In den erzählenden Bildern geht der allgemeine venezianische Mangel an genügender Entwicklung der Figuren bis zur Unverständlichkeit; Haltung und Schritt aber haben oft etwas sonderbar Schwankendes. Allein Paolo hat, wo er sich anstrengt, edlere dramatische Gedanken als die übrigen Schulgenossen, wie man am besten in S. Sebastiano zu Venedig sieht, welche Kirche eine sehr grosse Anzahl Bilder von ihm, die trefflichsten und grössten im Chor, enthält. Vollends sind die Hochaltarbilder von S. Giustina zu Padua und von S. Giorgio in Braida zu Verona, mit den Martyrien der genannten Heiligen, Meisterwerke ersten Ranges; Paolo dämpft das Ereigniss so weit als möglich zum Existenzbild, mässigt sich im Pathos auf das Behutsamste, meidet die Excesse des Naturalismus, und behält auf diese Weise die nöthige Fassung um seine Farbe in siegreicher Prachtfülle vortragen zu können. Mit seinen weltlichen Bildern verhält es sich nicht anders; die berühmte „Familie des Darius“ im Pal. Pisani a S. Polo wirkt nur desshalb so ganz zwingend, weil das Pathos auf das Nothwendigste beschränkt, der Moment zu einer blossen demüthigen Präsentation gedämpft ist. – Er wählt vorzugsweise solche Ereignisse, die sich dem Ceremonienbilde nähern, wie die Anbetung der Könige (Brera zu Mailand), die Königin von Saba (mit den Zügen der Elisabeth von England, Uffizien); seine eigentlichen Ceremonienbilder werden wir im Dogenpalast kennen lernen. – Die ganz schwachen erzählenden Bilder übergehen wir; es sind zumeist solche, in welchen auch die Farbe geringern Werth hat. (Ein unglückliches Roth hat z. B. oft alle Lasuren verzehrt.) Paolo wird zwar niemals roh wie Tintoretto, allein sehr nachlässig. [988] – Die Geschichte der Judith (Pal. Brignole in Genua) ist wenigstens noch ein prächtiges Farbenbild.

Am berühmtesten sind Paolo's Gastmähler, dergleichen er vom kleinsten bis zum ganz colossalen Massstab gemalt hat. Sie erscheinen als nothwendige höchste Frucht der Existenzmalerei, welche hier die letzten historischen Fesseln abschüttelt und nur noch einen Rest von Vorwand braucht, um in ungehemmtem Jubel alle Pracht und Herrlichkeit der Erde, vor Allem ein schönes und freies Menschengeschlecht im Vollgenuss seines Daseins zu feiern. Für Speisesäle von Fürsten hätte Paolo vielleicht Bacchanalien zu malen gehabt und dabei seine Unzulänglichkeit in der idealen Zeichnung und Composition sowie im Affect geoffenbart: indem er aber für Klosterrefectorien malte, ergab sich als sichere Basis irgend ein biblisches Bankett, dessen ceremoniellen Inhalt er durch die schönste Einzelbelebung aufheben konnte. Die prachtvollsten architektonischen Örtlichkeiten und Perspectiven bilden den Schauplatz, auf welchem sich die sitzende Gesellschaft und die bewegten Episoden in vollem Reichthum und doch ohne Gedränge ausbreiten können. Die besten und grössten dieser Bilder (im Louvre) sind vielleicht die ersten Gemälde der Welt in Betreff der sog. malerischen Haltung, in dem vollkommenen Wohlklang einer sonst überhaupt unerhörten Farbenscala 39); allein die Scala der zu Einem Ganzen vereinigten Existenzen ist im Grunde ein noch grösseres Wunderwerk. Die heiligen Personen und die an sie geknüpften Ereignisse bleiben freilich Nebensache.

Venedig besitzt noch Ein Hauptwerk dieser Art: das Gastmahl des Levi (Academie). – Eine Hochzeit von Kana in der Brera zu Mailand. – Ebenda: Christus beim Pharisäer. – Andere Gastmähler in der Galerie von Turin; eines (alte Copie?) im Pal. reale zu Genua. – Nach Paolo's Tode verwertheten seine Erben seine Motive zu ähnlichen Bildern; ein grosses, unangenehmes Gastmahl beim Pharisäer in der Academie zu Venedig. – Paolo selbst, als er einst das [989] Abendmahl schilderte (S. Giuliano, Cap. links vom Chor), fiel fast in dieselbe Trivialität wie Tintoretto.

 

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Während Paolo die Existenzmalerei bis zu ihren höchsten Consequenzen emporführte, konnten auch die niedrigern nicht ausbleiben. Das Genrebild, schon seit Giorgione durch das Novellenbild angekündigt, in zahlreichen einzelnen Versuchen bereits vorhanden, wird zu einer besondern Gattung durch Jacopo Bassano (eigentlich da Ponte, 1510–1592) und seine Söhne. Im Colorit sichtlich nach den besten Meistern gebildet obwohl sehr ungleich (vom Glühenden bis ins ganz Dumpfe), ergötzt diese Familie immer durch ihre bäurischen Idyllen in heimlicher Landschaft, welchen eine Parabel Christi, oder eine der vier Jahreszeiten oder ein Mythus u. dgl. weniger zum Inhalt als zum Vorwand dient. Die Schafherden und die Geräthschaften, in welchen die Füsse der handelnden Personen fast durchgängig verloren gehen, sind oft meisterhaft gemalt. Vieles aber ist reine Fabrikarbeit. In den Uffizien Einiges vom Bessern, auch das Familienconcert. – Zwei von den Söhnen, Leandro und Francesco, haben auch grosse Bilder heiligen Inhaltes gemalt, bisweilen naiv und rührend im Ausdruck, aber überhäuft, auf grelle Lichteffecte berechnet, roh gezeichnet. (Grablegung, in den Uffizien; – Auferweckung des Lazarus, in der Acad. von Venedig; – Abendmahl, in S. M. Formosa, rechtes Querschiff; – Predigt Johannes d. T. in S. Giacomo dall' Orio, rechtes Querschiff, – und Madonna mit Heiligen, ebenda beim 1. Alt. l.; – Marter der heil. Catharina, im Pal. Pitti; – Assunta, auf dem Hochaltar von S. Luigi de' Francesi in Rom. – Endlich in der Pinacoteca von Vicenza: ein grosses halbrundes Präsentationsbild: S. Marcus und S. Laurentius empfehlen zwei knieende Beamte der Madonna; ein vorzügliches Werk, vielleicht von einem der Söhne.)

 

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Das Ausleben der venezian. Schule repräsentirt Jacopo Palma giovine (1544 bis um 1628). Ein gewissenloser Maler von grossem Talent. Was er konnte, zeigt seine Auferweckung des Lazarus in der Abbazia (Cap. hinter der Sacristei). Seine übrigen Arbeiten, von welchen [990] Venedig wimmelt, sind fast lauter Improvisationen. Wer sie durchgeht, wird neben den schnöden, von Tintoretto erborgten Manieren hie und da einen guten Gedanken und schöne Farbenpartien finden, aber als Ganzes lohnen sie diess Studium nicht. – Ungleich ehrlicher war Alessandro Varotari, gen. Padovanino (1590 bis 1650) auf das wahre Ziel der Kunst gerichtet, brachte es aber nicht über die Nachahmung Tizians und Paolo's hinaus und vermischte mit diesen Studien einen etwas leblosen Idealismus. Immerhin ist seine Hochzeit von Kana (Academie) ein höchst achtungswerthes und schönes Werk.

Noch später stärkten sich einzelne Talente an dem Vorbild Paolo's und brachten zu guter Stunde sehr ansprechende Werke hervor. So Lazzarini, Angeli, Fumiani, auch Tiepolo (st. 1770), wenn er nicht schmiert. Von Fumiani (st. 1710) ist u. a. die ungeheure Deckenmalerei in S. Pantaleone merkwürdig, welche nicht mehr aus vielen einzeln eingerahmten Bildern, sondern aus Einer grossen Composition mit perspectivischer Anordnung in Pozzo's Art (S. 387) besteht, übrigens doch nicht al fresco, sondern auf aufgenagelten Tuchflächen gemalt ist; Thaten und Glorie S. Pantaleons enthaltend. – Pietro Liberi hängt in den Formen schon sehr von Pietro da Cortona ab. Sein Schüler war Carlo Lotti (st. 1698). – Von Piazzetta's Genrebildern wie von den Veduten der beiden Canaletti wird man das Beste ausserhalb Venedigs und Italiens suchen müssen. – Von dem brillanten Orbetto (eigentl. Aless. Turchi aus Verona) ist in öffentlichen Galerien und Kirchen nur Weniges vorhanden.

 

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Wie die älteste venezianische Malerei in der Marcuskirche, so hat sich die späteste, die der Nachfolger Tizians im Dogenpalast (Räume des zweiten Stockwerkes) verewigt. Die decorative Anordnung und Einrahmung wurde oben (S. 291) geschildert; hier handelt es sich wesentlich um die Frage: wie die Künstler ihr Gesammtthema: die Verherrlichung Venedigs, auffassten.

Schon im Atrio quadrato empfängt uns Tintoretto mit einem jener Votivbilder (an der Decke), welche den Dogen mit Heiligen und Allegorien umgeben darstellen, wovon unten. – Die perspectivische [991] Untensicht, welche wir fortan in den Deckenbildern aller Säle durchgeführt finden werden, ist selbst bei schwebenden Figuren in der Regel keine absolute sondern eine halbe, eine Art von Schiefsicht. Es liess sich schon fragen, ob an Decken überhaupt, ob vollends an flache Decken figürliche Darstellungen gehörten; ferner wenn es durchaus grosse reiche Compositionen sein sollten, ob nicht die gewöhnliche einfache Vorderansicht und die ideale, strenge Composition den Vorzug verdienten vor diesen künstlich verschobenen und illusionsmässig angeordneten Gruppen; die irdischen Ereignisse bleiben in solchen Deckenbildern doch unglaublich, und die himmlischen wollen überhaupt anders angeschaut sein als nach dem Massstab der räumlichen (und obendrein für das Einzelne ganz naturalistischen) Wirklichmachung. Genug – innerhalb des Irrthums, welchen alle Maler des Dogenpalastes theilen, giebt es doch grosse Unterschiede, und Paolo wird uns stellenweise sehr zu vergnügen, selbst zu überzeugen wissen.

Sala delle quattro porte. Tizians grosses, spätes, noch herrlich gemaltes Präsentationsbild, ein rechtes Denkmal der Gegenreformation; der Doge Ant. Grimani vor der in voller Glorie erscheinenden Fides knieend. – Die Schlachtenmaler dieses und anderer Säle durften durch freie Phantasietrachten und Episoden aller Art das Historische an ihrem Gegenstand völlig in den Schatten stellen. – Die Ceremonienbilder, so wichtige Facta sie darstellen mögen, wie z. B. die Verbindung mit Persien (Empfang der pers. Gesandten, von Carlo Caliari), sind dramatisch ganz gehaltlos. So auch der Empfang Heinrichs III, von Andrea Vicentino. Zu dieser Art von Auffassung gehört der heitere Fleiss eines Carpaccio, dem man um der Detailschönheit willen die Abwesenheit aller höhern Dramatik gern zu Gute hält. – In Tintoretto's Deckenbild ergötzt die ceremoniöse Höflichkeit, mit welcher Jupiter die Venezia aus dem götterreichen Olymp zum adriatischen Meer herab führt.

Sala dell' anticollegio. Die vier mythologischen Wandbilder Tintoretto's sind von seinen bestgemalten, aber freudlos gedacht, hässlich in den Bewegungen; man sehe, wie Venus zur Krönung der Ariadne herbeischwebt. – Jacobs Rückkehr nach Kanaan ist ein wichtiges Haupt- und Urbild derjenigen Palette, aus welcher Jacopo Bassano und die Bassaniden jene Hunderte von ländlichen [992] Scenen gemalt haben. – Paolo Veronese: der Raub der Europa, schönster Beleg für die venezianische Umdichtung des Mythologischen in eine theils pomphaft theils anmuthig sinnliche Wirklichkeit; das Vorgefühl der seltsamen Abreise, die eilige Toilette, wozu die Putten Blumen und Kränze bringen, bilden einen köstlichen Moment. – An der Decke eine thronende Venezia Paolo's, al fresco, das einzige politische Bild dieses Saales, wo der venez. Staat sonst nur das Schönste verlangt, das im Bereich seiner damaligen Künstler liegt.

Sala del collegio. Tintoretto's vier grosse Votivbilder von Dogen, welche, meist steinalt, in ihrer halbbyzantinischen Amtstracht vor der Madonna oder Christus knieen und dabei von zahlreichen Heiligen empfohlen werden. Ihre streng ceremonielle Andacht würde besser in Mosaiken passen als in die oft sehr affectvolle und bewegte heilige Gesellschaft, unter welche sich hier und anderswo auch allegorische Personen handelnd mischen. Übrigens ist schon das Breitformat dem überirdischen Inhalt nicht günstig; die Visionen müssen zur ebenen Erde herabrücken. – Viel mehr Wärme zeigt an einem dankbarern Gegenstand (hintere Wand) Paolo Veronese; sein Sieger von Lepanto, Seb. Veniero, kommt in hastiger Begeisterung heran, um von seinen Begleitern S. Marcus, Venezia, Fides, S. Justina dem niederschwebenden Christus empfohlen zu werden. – Die sämmtlichen 11 Gemälde und 6 Chiaroscuri der Decke gehören vollends zu P.'s schönsten und frischesten Malereien; hier u. a. wieder eine thronende Venezia mit zwei andern Göttinnen, welche zeigen wie sich P. bei der Untensicht zu helfen wusste; er gewann seinen allerliebsten Fettköpfchen gerade diejenigen Reize der Bildung und des Helldunkels, welche sich nur hier offenbaren, ganz meisterlich ab.

Sala del Senato. Hier fahren Tintoretto und Palma giov. mit ihren Votivbildern fort; u. a. eine auf Wolken niederschwebende Pietà von 2 Dogen angebetet. – Das Äusserste von Lächerlichkeit leistet Palma's Allegorie der Liga von Cambray; die Stierreiterin stellt das „verbündete Europa“ vor. – Noch ein Programm der Orthodoxie, von Dolabella: Doge und Procuratoren beten die Hostie an, die auf einem von Geistlichen und Armen umgebenen Altar steht. – Tintoretto's Deckenbild zeigt, wie ihn Michelangelo irre gemacht hatte; statt Paolo's Naivetät und Raumsinn ein wüstes Durcheinanderschweben. – [993]

(Vorzimmer der Capelle: gute Bilder von Bonifazio und Tintoretto; über Tizians S. Christoph s. S. 970, g.)

Sala del consiglio de' Dieci. Grosse, friesartige Ceremonienbilder von Leandro Bassano, Marco Vecellio und dem Aliense, in dessen „Anbetung der Könige“ Zug, Gepäck und Episoden zwei Drittheile des Raumes einnehmen. Viele sehr schöne Einzelheiten. – An der Decke fehlt das Mittelbild; ringsum die schön gemalten Allegorien, welche man durchweg dem Paolo zuschreiben möchte, von welchem doch nur der Alte mit dem reizenden jungen Weib herrührt; das Übrige ist von dem wenig genannten Ponchino, gen. Bazzacco.

Sala della Bussola. Die Übergaben von Brescia und Bergamo, mit guten Episoden, vom Aliense. – In der Sala de' capi geringere allegorische Malereien.

Noch immer keine römische Geschichte, welche sonst in italienischen Rathspalästen so unvermeidlich ist? Es lag ein gerechter und grossartiger Stolz darin, dass man sie im Dogenpalast zu Venedig entbehren konnte.

Sala del maggior consiglio. In den historischen Wandbildern wird der Moment (fast lauter Ceremonien und Schlachten) in der Regel durch Accessorien erstickt. Volksgewühl und Handgemenge, ohne irgend ein Liniengefühl und ohne rechte Naivetät vorgetragen, ermüden den Blick sehr bald. Auch der Kunstverderber Federigo Zuccaro hat sich hier eingedrängt. – Tintoretto's colossales Paradies galt damals gewiss für schöner als Michelangelo's Weltgericht und ist jedenfalls viel mehr werth als die Kuppelmalerei des Domes von Florenz. Allein der Realismus dieser Gestalten ist mit ihrer vorausgesetzten Coexistenz im Raume ganz unverträglich; Alles ist dermassen angefüllt, dass auch die fernste Tiefe wieder eine ziemlich nahe Wand von Gesichtern zeigt. Um lauter Lebendiges zu geben, beschränkte T. die Wolken auf das Nothwendigste und liess seine Heiligen in einer Art schweben, baumeln, auf dem Mantel oder auf gar nichts lehnen und liegen, dass dem Beschauer in ihrem Namen schwindlich wird; die fliegenden Engel wirken wahrhaft wohlthätig daneben. Die Composition zerstreut sich in lauter Farben- und Lichtflecke, und nimmt nur in der Mitte einen bessern Anlauf. Aber die grosse Menge vorzüglicher Köpfe, meist auf dem hellen Grunde ihres Nimbus, geben [994] diesem Werke immer einen hohen Werth. – Von den drei grossen Deckenbildern werden die des Tintoretto und Palma giov. weit übertroffen von demjenigen des Paolo: Venezia, vom Ruhme gekrönt. Schon die Untensicht und die bauliche Perspective sind weit sorgfältiger gehandhabt; dann hat P. das Allegorische und Historische auf die obere Gruppe beschränkt, wo seine Wolkenexistenz in Linien und Farben ganz harmonisch mit der Architektur in Verbindung gebracht ist; auf der untern Balustrade sieht man nur schöne Frauen, weiter unten zwei wachthabende Reiter und Volk, als Zuschauer der himmlichen Ceremonie; höchst weislich sind zwei grosse Stücke Himmel frei gelassen, ein Athemschöpfen, das Tintoretto dem Beschauer nirgends gönnt; endlich hat Paolo seinem heitern Schönheitssinn einen wahren Festtag bereiten wollen, dessen Stimmung unfehlbar auf den Beschauer übergeht.

Sala dello Scrutinio. Nichts von Bedeutung als das Weltgericht des jüngern Palma, und auch dieses nur der Farbe halber.

Als Ganzes offenbar das Werk allmäliger, wechselnder Entschlüsse, bildet diese Decoration immerhin ein Unicum der Kunst. Ob der Geist, welcher uns daraus entgegenweht, ein vorherrschend wohlthuender ist, und ob die damalige Kunst im Namen der wunderbaren Inselstadt nicht eher eine andere Sprache hätte reden müssen, darüber mag die Empfindung eines Jeden entscheiden.

 

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1) Der Medusenkopf in den Uffizien ist, wie ich glaube, nicht nur nicht die von Vasari geschilderte Jugendarbeit L.'s, sondern nicht einmal eine Copie danach, vielmehr ein bloss auf Vasari's Schilderung hin gemachter Versuch, etwas Derartiges hervorzubringen, vielleicht von einem der Caracci. 

2) Bei diesem Anlass ist der Holzschnitte zu den „berühmten Männern“ des Paolo Giovio als erster grosser Porträtsammlung zu erwähnen. Die Vorlagen derselben, von allen Enden her (für das XIV. und XV. Jahrhundert gewiss grossentheils aus Freskea) gesammelt, befanden sich im Palazzo Giovio zu Como. Es waren darunter (laut Vasari, Leben des Piero della Francesca) z. B. eine ganze Anzahl von Köpfen, welche Rafael nach den bildnissreichen Fresken Bramantino's in den vaticanischen Zimmern copiren liess, ehe er sie herunterschlug um für den Heliodor und die Messe von Bolsena Raum zu gewinnen; aus Rafaels Nachlass kamen sie durch Giulio Romano an Paolo Giovio. – Im XVII. Jahrh. liessen dann die Mediceer die ganze Sammlung durch hingesandte Maler copiren und diese Copien, die doch immer eine höhere Autorität als die Holzschnitte besitzen, bilden jetzt einen Theil der grossen Porträtsammlung der Uffizien (am Gesims der beiden Gänge). Eine andere grosse alte Sammlung, die mantuanische, Werke jenes tüchtigen Veronesers Franc. Bonsignori (geb. 1455), scheint seit der Katastrophe von Mantua 1630 verschollen zu sein. (Vgl. Vasari, im Leben des Giocondo etc.) 

3) Aurelio Luini, der Sohn Bernardino's, ist ein Manierist in der Art der römischen Schule; hier ein grosses Fresco mit der Marter des S. Vicenzino.  

4) Diess schliesst nicht aus, dass dem Luca Signorelli ein ähnliches Ziel, wenn auch nur dämmernd vorschwebte. S. 808, f. 809. 

5) Für den Zustand des Werkes vor der Übermalung, welche Daniel da Volterra auf Pauls IV Befehl unternahm, ist eine Copie des Marcello Venusti im Museum von Neapel, trotz auffallender Freiheiten, die wichtigste Urkunde. 

6) Nach Ansicht meines verehrten Freundes Hrn. Director Waagen. 

7) Von den gemalten Porträts des M. ist dasjenige in der capitolinischen Galerie (laut Platner von Marcello Venusti) wohl das beste. Dasjenige in den Uffizien scheint eine unbedeutende Arbeit des XVII. Jahrh. zu sein. 

8) Die beiden wunderschönen kleinen Täfelchen in den Uffizien (Anbetung des Kindes, und Darstellung im Tempel) gelten als frühe Arbeiten, aus der Zeit, da der Meister noch nicht ins Kloster S. Marco getreten war. (Also vor 1500.) Ich kann mich nach öfterer Untersuchung immer weniger in diese Zeitannahme schicken. – Die sichere Reihe der Werke des Frate beginnt dann um 1504 mit der Madonna di S. Bernardo, in der Academie. 

9) Welche davon ihn selber vorstellen, lassen wir dahingestellt. Dasjenige mit der Frau (P. Pitti) ist für die verhältnissmässig späte Zeit sehr befangen. Die Verzeichnung in seiner Hand und das Unlebendige im Kopf der Frau geben Einiges zu denken. 

10) Diess bezieht sich besonders auf Rafaels Antheil an der Anbetung des neugebornen Kindes in der vatican. Galerie. Hier wird der Kopf des Joseph unbedingt als sein Werk betrachtet; die Köpfe der Engel und der Madonna können wohl nur entweder von ihm oder von Spagna sein. – In der ebendort befindlichen Auferstehung wird wenigstens der schlafende Jüngling rechts ihm zugeschrieben. – In der Sacristei von S. Pietro zu Perugia ist der das Christuskind liebkosende Johannes eine Copie R.'s nach Perugino. 

11) Die Bilder in S. Trinità zu Città di Castello (Dreieinigkeit, und Schöpfung der Eva), – sowie das Crucifix mit den 4 Heiligen, welches noch bei den Erben des Card. Fesch in Rom sein soll, – die Madonna im Hause Alfani zu Perugia, – und den Christus am Ölberg im Pal. Gabrielli zu Rom hat der Verf. nicht gesehen. – Die Madonna im Hause Staffa zu Perugia gilt als Werk eines Mitschülers. 

12) Als Privatbesitz des Grossherzogs von Toscana ist sie hauptsächlich bei Anlass des Copirens in einem der Säle der Galerie Pitti zu sehen. Den Sommer hindurch ist diess am häufigsten der Fall. 

13) Jene Abrechnung zwischen beiden Künstlern ist besonders schwierig, wenn es sich einerseits um Rafaels damals geschaffene heil. Familie in der Münch*ner Pinakothek, andererseits um die beiden heil. Familien des Fra Bartolommeo im Pal. Corsini zu Rom und im Pal. Pitti (erstes der hintern Zimmer) handelt. Hat Rafael die geschlossene pyramidale Gruppe der Maria, der beiden Kinder, der Elisabeth und des abschliessend darüber stehenden Joseph zuerst geschaffen und der Frate ihn unvollständig, mit Weglassung einer Figur nachgeahmt? Oder hat Rafael das unreife Motiv des Frate erst durch seine Zuthat zur Reife gebracht? Die Entscheidung ist bedenklich, die Zusammengehörigkeit der Bilder beider bleibt aber handgreiflich. Ich möchte eher die erstere Vermuthung annehmen. 

14) Der Name passt nicht recht; das Kind ist schon ganz wach und zieht fröhlich an dem Schleier der Mutter. 

15) Eben so richtig hat diess z. B. der Bildhauer Alessandro Leopardo empfun*den – wenn die Madonna della Scarpa in S. Marco zu Venedig (S. 626) von ihm ist. Das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind schickt sich eben zum Segnen an, und sie lässt die Hände von ihm los. 

16) Ein misslicher Gegenstand, insofern dessen Inhalt nie rein in die Darstellung aufgehen kann; man erfährt wohl aus dem Evangelium aber nie aus dem Bilde, wesshalb die Schriftgelehrten so betroffen sind; die Argumente, welche diese Wirkung hervorbrachten, können eben nicht gemalt werden. – Wie sich Lionardo half, s. S. 863, f. – Wir wüssten sehr viel, wenn wir ermitteln könnten, welche Gegenstände Rafael trotz der Wünsche Anderer nicht gemalt hat und aus welchen Gründen er sie zurückwies. Es giebt von ihm kein Marterbild; sein weitester Grenzstein nach dieser Seite ist die Kreuztragung (lo spasimo di Sicilia), abgesehen von dem frühen Cruxifixus, S. 892. 

17) Noch bei Giov. Bellini, in jenem wichtigen Bilde (S. 827) des Museums von Neapel, sind Christus, Moses und Elias auf dem Berge stehend dargestellt. 

18) Eine ähnliche Behandlung der Augen kommt auch in der sixtin. Madonna vor, sonst aber vielleicht bei R. nirgends; er sparte solche Mittel für die äussersten Fälle. In einem der heiligen Diacone auf der Transfiguration rührt diese Bildung wohl von der Hand eines Schülers her. 

19) Guercino malte in seinem eigenen Porträt (Uffizien) das eine Auge in den tiefsten Schatten. 

20) Das gleiche Weib ist wohl dargestellt in einem schönen Bilde, welches in der Galerie zu Modena dem Giorgione beigelegt wird; nur ist das Haar hier goldfarbig, mit einer Blume darin. Mir erschien das Bild wie ein Palma vecchio. An der Brustwehr die Chiffre V. 

21) Die sehr schönen Porträts des Cavaliere Tibaldeo und des Card. Passerini im Museum von Neapel werden R. gegenwärtig abgesprochen. – Der fälschlich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (Seite 853, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. – Das weibliche Porträt in der Stanza dell' educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl etwas der sixtin. Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber dergestalt übermalt, dass man kaum mehr als die Zeit des Costüms bestimmen kann, welche allerdings dem Anfang des XVI. Jahrhunderts entspricht. Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den gros†sen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehemals gute, mit neuern Accessorien vergrösserte Schulcopie der Madonna des Museums von Neapel (réveil de l'enfant). In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Academie zu Rom) gilt nur ein Theil des Lucas als R.'s eigenhändige Arbeit, der Rest kaum für seine Erfindung. – Mariä Krönung (in der vaticanischen Galerie das spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausgeführt. Ersterer hat im obern Theil offenbar einen rafaelischen Entwurf wenigstens partiell benützt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de François I erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie noch einmal auf das Bündigste den Abstand zwischen den Meister und dem Schüler. – Der Rafael in der Galerie von Parma scheint mir eine parmesanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduction des Vierheiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Coreggio in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. – Aber schon der Stich selbst ist schwerlich nach „einer Zeichnung Rafaels“ gemacht, wie Vasari sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figuren aus der Disputa, der zweiten vaticanischen Assunta und den Aposteln von S. Vincenzo alle tre fontane. – Der Rafael in der Galerie von Modena ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino. 

22) Man räth auf Bibiena, Bembo, Castiglione, Inghirami etc. Auch die ganze allegor. Kunst und Poesie von den Trionfi des Petrarca abwärts kommt in Betracht. 

23) Man räth auf Bibiena, Bembo, Castiglione, Inghirami etc. Auch die ganze allegor. Kunst und Poesie von den Trionfi des Petrarca abwärts kommt in Betracht. 

24) Über die Bedeutung der einzelnen Personen in den sämmtlichen Fresken findet man bei Platner, Beschreibung Roms, S. 113 ff., gewissenhafte Auskunft. 

25) Gegenwärtig an zwei Stellen der langen Verbindungsgalerie zwischen dem obern Gang der Antiken und der Gemäldesammlung des Vaticans aufgehängt. 

26) Bestes Licht: um 10 Uhr. 

27) Eine genügende Inhaltsübersicht giebt Platner, Beschreibung Roms, S. 585 ff. 

28) Von sonstigen Fresken der Schüler R.'s nach seinen Entwürfen sind in Rom vorhanden: Wanddecorationen mit allegorischen Darstellungen in Bezug auf die Allherrschaft der Liebe, in einem unzugänglichen Raum des Vaticans (dem sog. Badezimmer des Cardinals Bibbiena); – in ähnlicher Weise wiederholt in einem untern Raum der Villa Spada (Mills) auf dem Palatin; – die Reste aus der sog. Villa di Raffaelle, jetzt in der Galerie Borghese (Alexander mit Roxane, und eine Vermählungsscene; das sog. Bersaglio de' Dei ist nach einer Composition des Michelangelo ausgeführt, vgl. S. 878); – die Planetengottheiten auf Wagen von ihren geheiligten Thieren gezogen, in den Ovalen der Decke des grossen Saales des Appartamento Borgia. – Mehreres Andere gehört schon in der Erfindung den Schülern an; – dagegen gelten die Überreste aus der Villa Magliana (5 Miglien vor Porta Portese) als eigene Arbeiten Rafaels, theils um 1511, theils um 1517. Sie wurden neuerlich abgesägt und, wie es heisst, verkauft. Die zwölf Apostel, welche man jetzt in S. Vincenzo alle tre Fontane an den Pfeilern gemalt sieht, wurden von Schülern, vielleicht nur nach den Stichen des Marcanton, ausgeführt. Das Urbild der letztern waren vermuthlich die Apostel, welche Rafael in einem später umgebauten Saal des Vaticans gemalt hatte. 

29) Bei diesem Anlass muss ich ein herrliches Bildniss in den Uffizien (Sala del Baroccio) erwähnen, welches wohl von einem Schüler Rafaels ist: ein Mann von gutmüthigem und doch ruchlosem Charakter, mit Barett, grauem Damastkleid und Pelz. 

30) Eine ähnliche Aneignung von Motiven Rafaels, nur mehr aus dessen früherer Zeit, findet sich bei einem Luccheser, Zacchia il vecchio. Aus seinen Bildern (Himmelfahrt Christi, in S. Salvatore zu Lucca; – Assunta, in S. Agostino, 1527; – Assunta, in S. Pietro Somaldi, 1532, etc.) tönt Einzelnes aus der Sistina und aus Fra Bartolommeo, ganz besonders aber Rafaels erste vaticanische Krönung Mariä hervor. 

31) Bestes Licht: gegen Mittag. 

32) Bestes Licht: Nachmittags. 

33) Es ist kaum anders möglich, als dass C. das Hauptwerk seines einzigen Vorgängers in dieser Richtung, die Halbkuppel des Chores von SS. Apostoli zu Rom von Melozzo da Forli gekannt habe. (Ansicht Mündlers, von Waagen, Kunstblatt 1851, S. 158 gebilligt.) Sonach hätte er Rom überhaupt gekannt. 

34) So dass man sich des Gedankens an eine ganz bestimmte Absicht kaum erwehren kann. Es ist hier Pflichtsache zu bekennen, dass in Toschi's Stichen die Köpfe nicht selten versüsst sind – diess unbeschadet der hohen Achtung vor dem Meister, welchen ich noch wenige Monate vor seinem Ende in seinem Studio zu begrüssen das Glück gehabt habe. Es wäre sehr zu wünschen, dass die Aquarellcopien der Fresken Coreggio's, theils von Toschi's, theils von seiner Schüler Händen, öffentliches Eigenthum würden. Wer sie noch jetzt zu sehen Gelegenheit hat, versäume dieses nicht. 

35) Auch jene Herzogin von Urbino (S. 968) trägt denselben Typus. 

36) Sie erinnert an die Flora und an die Bella im Pal. Sciarra. 

37) Mehrere gute venezianische Porträts dieser goldenen mittlern Zeit der Schule, *beiläufig gesagt, im Pal. Capponi zu Florenz. 

38) Wer brachte die Venezianer etwa seit den 1540er Jahren darauf, den Weibern jene oft fast unförmliche Üppigkeit zu geben? Auch der spätere Tizian ist nicht frei davon, und bei Paolo giebt es sogar höchst auffallende Bildungen dieser Art. Lüsternheit zu erregen hat sich die Kunst oft hergegeben, allein dass man gerade mit diesem Typus einem Durchschnittsgeschmack Genüge geleistet habe, bleibt räthselhaft. Rubens, der denselben auf seine Weise umdeutete, traf vielleicht schon eher den Sinn seiner Leute. 

39) Die sehr verschiedenen, zum Theil orientalischen Trachten sind nicht aus Romantik angebracht, sondern um bei der Lösung des ungeheuern Farbenproblems freiere Hand zu haben.