BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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jedem Fiaker fürchte, wie ein Kind den Popanz. – Es war also Faschings-Dienstag, und ich bei den lieben G...s eingeladen. Man musizirte, plauderte viel, und ein junger Franzose las mit vielem Ausdruck ein Trauerspiel von Victor Hugo vor. Gegen neun Uhr wollte ich aufbrechen, bemerkend, daß ich eine lange Fahrt zu machen habe, und man im Carneval nicht immer Plätze in den öffentlichen Wägen erhalte. Demohngeachtet hält man mich zurück, und unbegreiflich, da sonst diese lieben Freunde für mich nur zu ängstlich besorgt waren. Um 1/2 10 Uhr muß ich mich, von Angst getrieben, gewaltsam losreißen. Auch diesmal, wie gewöhnlich, übergab mich der Vater seinem Sohne, einem jungen Mann von achtzehn Jahren, unter allen möglichen Vorsichtsmaßregeln, daß er mich an den Wagen geleite. Aber o weh! complète war das Losungswort. „Wünschen Sie vielleicht einen Fiaker, gleich...“ Nein! Nein! „Besser ist's, sagte er, wir gehen bis zum Bureau dieser Wagen, wo solche abfahren, um eines Platzes gewiß zu seyn.“ – Es fing an heftig zu regnen. „Besser ist's, meinte er wieder, wir gehen bis dahin durch die Arcaden des Palais-Royal.“ Da schimmern zauberisch tausend Lampen uns entgegen, tausende in den Hallen, tausende längs dem innern, freien Platze, und um den Springbrunnen,  der  hoch  sich  hinauf  bäumt  in  den nächtlichen  Himmel,  wogt  es  auf  und  nieder,  und  in den  Gängen,  die  sich  kreuzen,  und  in den weitern Gal­lerien,  dem  Bazar  ist  ein  Schwärmen,  ein  Sumsen,  ein Gaffen,   eine   Art   Fröhlichkeit,   der   man,  so  künstlich sie   sich   auch    geberdet,   doch   die   Falschheit   ansieht.

 

Magazine über Magazine, welche die pariser Spitzfindigkeit so trefflich aufzuputzen weiß, – nicht anders ist's, als ob hier die Hochschule der Versuchung sey. Theater, Spielhäuser, Restaurateurs, Bäder etc. Wo ist da ein Ort, der nicht seine Opfer zählte? Man ist im Antichambre der Hölle. – so oft ich noch in das Palais-Royal trat, so heftete dieser Gedanke sich an meine Sohle, und gab mir Flügel. Gerne vermied ich diesen Ort, und nur zweimal sah ich ihn erleuchtet. Eben kommen wir an einem Uhrenladen vorüber, – ein großer Zeiger deutete auf 1/2 11 Uhr. Schnell zu dem Bureau. Wir hatten uns unterdessen in ganz ernsthafte Gespräche vertieft; – der Glanz der Lichter schuf einen Tag um uns her, über den wir der Nacht vergaßen, und der Lärm übertäubte uns das Gedächtniß,  daß  wir  auch  des  Omnibus  nicht  mehr gedachten.  Bald  11  Uhr!  Ach,  so  spät!  Wir  eilen,  eilen, eben  rasselt  der  letzte  Wagen  zur  letzten  Reise.  –  Ist noch  Platz?  Ja!  Nun  Adieu!  gute  Nacht,  viele  Grüße zu Hause!  und  fort  fahre  ich,  um  noch  heute  einen  stun­denlangen  Weg  zurück  zu  legen.  In  dem  Wagen waren nur  Wenige, und diese verließen ihnbald. Nur ein Ein­ziger blieb, der sich mit dem Conducteur in ein Gespräch ein­gelassen. „Sie halten, rief ich Letzterm zu, rue de Mon­ceau!“  und  überzeugt,  daß  er,  wie immer, auch dies­mal nicht verfehlen werde, rückte ich behaglicher in die Ecke und   der  Schlaf  erdrückte  mir  fast  die  Augen. Alles das heute   Gesehene,  Gehörte,   tanzte  mir  im  Wirwarr  vor den   Sinnen.  Plötzlich   fühl'  ich,  wie  die  Bewegung  des Wagens    langsamer    wird,    also    einer    Höhe   zufährt.

 

 


 

Nachts in Paris.