BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1832 - 1905

 

Ostfriesland

 

1853

 

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Ostfriesland.

 

Wer kennt das Land nicht, wo der Torf die Erde,

Und arger Nebel stets den Himmel deckt?

Wer kennt das Land nicht, das bei seinem „Werde!“,

Der Herrgott selber erst zuletzt entdeckt?

 

Wer kennt das Volk nicht, das bei seinen Rindern,

Selbst ochsenartig aufgewachsen ist?

Wer kennt das Volk nicht, das den kleinen Kindern,

Statt Milch den Fusel in den Rachen gießt?

 

Ostfriesen sind's, die dieses Land bewohnen.

Das Land des Torfs, des Drecks: Ostfrisia.

Gelegen in der schlecht'sten aller Zonen,

Ein antidiluvianisch Rudera!

 

Hier reden nicht in menschlich sanften Zungen,

Die Leute fein, gesittet, gut und still.

Nein, rauh ertönet aus den rauhsten Lungen,

Ein grässlich babylonisches Gebrüll.

 

Verscheucht entfloh aus diesem rohen Lande,

Selbst die Kultur, die Welteroberin.

Hier knüpfet Amor keine Liebesbande,

Und selbst Apoll lässt keinen Samen blühn.

 

Hier ehrt man keine einzige Kamöne,

Und keine Grazie lenkt hierher den Flug.

Denn unter Rindern sind Ostfrieslands Söhne,

Dem Schnapse und sich selber stets genug.

 

Die Weiber schreiten hier auf Riesenfüßen;

Das Stövchen ist ihr heiligstes Panier.

Nie sieht man Lieb' in ihren Herzen sprießen;

„Wat hett de Keerl?“ ersetzet Amor hier.

 

Geld ist die Losung. Geld das dritte Wörtchen.

Du sollst nicht stehlen! ist hier kein Gebot.

Für einen Groschen, ja für einen Oertchen,

Schlägt hier der Bruder seinen Bruder tot.

 

Und sollte unser Herrgott jemals wagen.

Nach Friesland aus dem Himmel sich heraus.

Wahrscheinlich wär's, er würde totgeschlagen,

Doch ganz gewiss, man würfe ihn hinaus.

 

Des Lebens Komfort findet hier sein Ende.

Kein Luxus hat bis hierher sich erstreckt.

Hier hat noch nie naturgeformte Hände

ein üpp'ger Handschuh keck und frei bedeckt.

 

Ein Kamm ist Fabel; man betrachtet Seife

Als Sage einer unbekannten Welt.

Von fremden Sachen hat sich nur die Pfeife

Und nur der Schnaps zum Friesenvolk gesellt.

 

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Als der junge Leutnant im Dezember 1852 von Osnabrück ins ostfriesische Aurich versetzt wurde, verfaßte er aus Ärger 1853 ein Schmähgedicht gegen die Ostfriesen, Goethes «Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?» persiflierend. Eigentlich war das Gedicht nur als Silvesterscherz für seine Kameraden in Osnabrück bestimmt, wurde aber der örtlichen Presse zugespielt und von dieser veröffentlicht. So kam es zu einen handfesten Skandal, zu empörten Bürgerprotesten und Demonstrationen der ostfriesischen Bevölkerung. Von Düring wurde zwar umgehend nach Osnabrück zurückbeordert, doch der Unmut der Ostfriesen, die sich immer schon von den Hanoveranern zurückgesetzt fühlten, hielt weiter an.