BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emma Herwegh

1817 - 1904

 

Zur Geschichte der deutschen

demokratischen Legion aus Paris

 

1849

 

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[Aufenthalt in Straßburg.

Emma als geheime Emissärin bei Hecker.]

 

Die erste Colonne, welche 17-18 Tage zu ihrem Marsch gebraucht hatte, war fast zugleich mit uns in Strasburg angekommen, aber während ihrer langen Reise hatte sich die Physiognomie von Deutschland ganz und auf eine Weise geändert, die wohl außerhalb der Berechnung Aller, selbst der Scharfsichtigsten lag. Denn Wem konnte es nur in den Sinn kommen, daß nach dem Sturm in Wien, so bald eine Windstille eintreten würde?

Nach all diesen traurigen Veränderungen, die ein augenblickliches Einschreiten in Deutschland unmöglich zu machen schienen, denn auch in Baden war nach der Bewegung eine Erschlaffung eingetreten wollte Herwegh auf etliche Tage nach Frankfurt reisen, um dort das Terrain zu recognosciren und danach den politischen Plan für die Legion zu entwerfen (der strategische war einzig Sache der Herrn Militairs, und ich kann es nicht genug wiederholen, daß Herwegh mit den militairischen Anordnungen gar nichts zu thun hatte ), als ihm auch dieser Weg des unmittelbaren Wirkens abgeschnitten wurde und zwar durch den Befehl der badischen Regierung, ihn, falls er ihr Gebiet betreten sollte, unverzüglich zu arretiren. Das war ein schlechter Dienst, der schlechteste, den man ihm und der Legion in einer Zeit erweisen konnte, wo Alles darauf ankam, sich persönlich, schnell und genau mit den badischen Republikanern zu beraten, um entweder mit ihnen einen günstigeren Moment zu erwarten, oder ohne Zögern einen entscheidenden Schlag zu thun denn irgend ein isolirtes Gefecht unternehmen oder selbst billigen zu wollen, war Herwegh nie in den Sinn gekommen. Was blieb da zu thun übrig? langes Besinnen war unmöglich, die Erkundigungen mussten treu und ungesäumt eingezogen und Herwegh mit den Anführern der badischen Republikaner in direkten und ununterbrochenen Verkehr gesetzt werden.

Diesen Forderungen zu genügen, schien ich ihm der geeignetste Emissair, und so reiste ich nach Mannheim ab. Dort stand's damals nicht sonderlich für unsre Sache. Die Bourgeoisie war triumphirend, und die Zahl der entschiedenen Republikaner gering.

Auf die Frage, wo Hecker sei, gab mir ein Freund die Antwort: Man sagt, daß er nach Constanz abgereist. Sicheres wissen wir jedoch hier nicht. Ist er wirklich dort, dann bereitet sich auch Etwas vor, das in den nächsten Tagen zur Entscheidung kommen muss. Suchen Sie ihn auf und sogleich, das wird das Beste sein.“;

Dieser Vorschlag des Freundes, den ich am nächsten Tage in Straßburg mitteilte, wurde gebilligt, und so trat ich am 14. April in der Frühe meine Wallfahrt zu Hecker an.

Die Auspizien, unter denen ich sie fortsetze, waren gut; kaum in Basel angekommen, wo ich mir beim Dr. B. Auskunft über Heckers Aufenthalt holte, um meinen Reiseplan danach zu bestimmen, erfuhr ich, derselbe habe am 13ten die Republik in Constanz proklamirt, das alte Gouvernement ab-, ein neues provisorisches unter der Präsidentschaft von Peter eingesetzt, und so, begleitet von einigen 40 entschlossenen Republikanern die Initiative zur Insurrektion ergriffen.

Haben zwölf Apostel die ganze Welt revolutionirt, was werden da nicht erst vierzig thun so dacht ich bei mir, und fuhr voll der besten Hoffnung, noch am selben Abend mit der Post nach Schaffhausen, wo mir die nähere Auskunft über den gegenwärtigen Aufenthalt der kleinen Armée nicht fehlen konnte.

„;Am besten ist's,“; so sagte der Gastwirt, an den ich daselbst gewiesen war, „;Sie fahren nach Engen, da herum muss Hecker sein, denn er hat gestern in St. (?) übernachtet und will heut bis Donaueschingen kommen.“;

„;So lasst anspannen, Herr Wirt.“;

Um Mittag kam ich in Engen an, grad im Moment als das Signal zum Abmarsch gegeben wurde.

Da mir's Glück wohl wollte, fand ich die ganze Heeresmacht noch beisammen, die in 24 Stunden von etlichen 40 auf 600 Mann herangewachsen war, die Cavallerie nicht zu vergessen, welche aus Einem Pferd und mehreren Reitern bestand.

Im Dorfe sah's aus, als wär' Kirchweih, oder sonst ein großes Fest. Von dem Freiheitsbaum, der mitten auf dem Kirchplatz errichtet war, wehte die deutsche Fahne, alle Bauern waren mit weit aufgesperrten Augen und Mäulern herbeigelaufen, um, wie sie ihn einstimmig nannten, den „;Volksfreund Hecker“; zu sehen, der auf offenem Markte so ergreifend zu ihnen gesprochen hatte, daß die Mütter sämmtlich weinten, die Väter sich vor Rührung den Schweiß von der Stirn wischten, und die jungen Bursche selbst aufforderten, sich enroliren zu Lassen. Das gab Alle Hoffnung, daß die republikanische Armee um das Doppelte verstärkt Abends ihren Einzug in Donaueschingen halten werde, wohin Herr und Frau v. Struve bereits vorausgeeilt waren.

Ich ließ mich zu Hecker führen, den ich bis dahin noch nie gesehen hatte und theilte ihm Folgendes mit:

Der größte Theil der deutschen Legion ist in Strasburg versammelt und die noch fehlenden Colonnen müssen in den nächsten Tagen eintreffen.

Alle brennen vor Ungeduld, die Grenze zu überschreiten und sich ihren Brüdern anzuschließen. Sie sind des Wartens schon jetzt, wo sie die Reisestrapazen kaum ausgeschlafen, so überdrüssig, daß Herwegh die größte Mühe hat, sie von einem coup de main zurückzuhalten und ihnen begreiflich zu machen, daß unser nächstes Ziel die Vereinigung mit Ihnen ist und jeder improvisirte und isolirte Streich ein Verrat an der Freiheit wäre.

Sie wollen sich à tout prix schlagen, wenn nicht gegen Menschen, so gegen Windmühlen und da es ein Jammer wäre, wenn so viel guter Mut und so viel Kraft verloren gingen, denn die Menschen werden sich, wann's Not thut, wie Löwen schlagen, so bestimmen Sie Herwegh möglich schnell: Tag, Ort und Stunde des rendez-vous.

Frankreich scheint ohnedies nicht Lust zu haben, das Gastrecht länger als nötig an uns ausüben zu wollen, und unsere eignen materiellen Mittel würden höchstens für ein paar Tage ausreichen.

Hecker fragte, ob Alle gut bewaffnet seien? und wie? Damit steht's leider bis jetzt noch kläglich, antwortete ich. Man hat Herwegh zwar, nicht offiziell, aber doch unter der Hand und andeutungsweise versprochen, ihm auf irgend eine Art die nötigen Waffen noch vor dem Ueberschreiten der Grenze zu verschaffen, aber man hat bis jetzt noch keine Anstalten dazu getroffen. Bekommen wir keine Waffen auf französischem Boden, so bleibt uns keine Wahl, und wir müssen uns, einmal auf deutschem angelangt, auf revolutionairem Wege zu verschaffen suchen, was wir haben wollen, haben müssen, und [was] man uns auf friedlichem verweigert. Das ist ohnehin immer das Sicherste.

Hecker selbst, konnte Herwegh weder den Tag noch den Ort der Vereinigung genau bestimmen, gab mir aber folgenden Bescheid:

Gehen Sie zu W. nach L. und sagen Sie ihm von mir, daß er sich mit seiner Mannschaft Montag den 17ten in Bewegung setzen soll. Von ihm zum Wirt M. in G., der hat ebenfalls mehrere hundert Mann, auf die er rechnen kann, und die sich auf die erste Nachricht von W. mit ihm vereinigen müssen. Dann suchen Sie Becker auf, der an der Spitze der Deutschen in der Schweiz steht, und verabreden mit ihm, daß er sich ohne Aufschub den beiden übrigen Corps anschließt, und so Herwegh den Rheinübergang möglich macht. Wo der am Leichtesten auszuführen, werden Jene, die in der Nähe sind, dann schon bestimmen, und Herwegh die nötigen Depeschen ungesäumt zukommen lassen. Auf Wiedersehn! und ein glückliches Wiedersehn!

Das Hecker'sche Corps zog mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen Donaueschingen zu, und ich fuhr nach L., der Residenz des Herrn W,

Das Resultat dieses Emissariats war in kurzen Worten folgendes: M. und Becker versprachen, sich jeden Augenblick zum Abmarsch bereit zu halten, und gleich nach Vereinigung der drei Corps Depeschen nach Strasburg zu schicken, mit der genauen Bestimmung der Lage, des Orts und der Stunde unsers Rheinübergangs.

W. hingegen, war anfangs wenig geneigt, in so kurzer Zeit auszurücken, und von dessen Zustimmung hing Alles ab, da er die zahlreichste Mannschaft und den größten Einfluss hatte. Während M. nur auf etwa 400 rechnen konnte, – unter denen noch manches reudige Schaaf, denn der ganze Bezirk L. hat deren nicht wenige –, und die Becker'sche Legion, zwar aus sehr wackern Leuten, aber einer noch geringeren Zahl bestand, hatte W. beim ersten Aufruf 4000 zu seiner Disposition. Alle kampflustig, Alle gut bewaffnet und reichlich mit Munition versehen.

Endlich, nach langem Hin- und Herschwanken, erhielt ich die Antwort: Wenn meine Boten, die ich heut an Hecker gesandt habe und die spätestens morgen früh heimkehren müssen, all' die guten Nachrichten bestätigen, die Sie mir mündlich und schriftlich von ihm gebracht, so werde ich Montag abmarschiren. Bereit ist Alles, und die Bagagewagen stehen auch schon gepackt.

Nach diesem Bescheid trat ich ohne Zögern meine Rückreise nach Strasburg an, wo ich Sonntag Nachmittag eintraf.

Unterwegs theilte mir ein Bürger aus Heidelberg mit, daß es auch dort nicht an entschlossenen Republikanern fehle. 1200 junger Leute, so erzählte er mir, meistens Handwerker und Studenten warten nur auf ein Signal von Hecker, um nach Carlsruh zu ziehen. Die Waffen fehlten uns noch. Nun komme ich aber schon heut' mit 900 guten Büchsen zurück, die ich in der Schweiz aufgekauft und die übrigen 300 werden uns binnen wenigen Tagen nachgesandt. Dann kann's los gehen!

Als ich mit diesen herrlichen Nachrichten zurückkomme, höre ich, – wahrlich ich muss noch herzlich lachen, indem ich's niederschreibe, – daß das Parlament indeß zwei Friedenstauben an Herwegh abgesandt, von denen die Eine in Gestalt des Hrn. Spatz, die Andere in der des Gesalbten Venedey unerwartet in's Zimmer herein geflattert waren. Auf den Oelblättern, welche beide Boten zierlichst entgegentrugen, stand in großen Lettern auf dem Einen: Amnestie, auf dem Andern: Schleswig-Holstein.

Der Herr Spatz war stumm, dagegen nahm der neue Heilige das Wort: Kraft meines heiligen Amtes, komme ich, Dir im Namen des Parlamentes den Vorschlag zu machen, (diese Taube ist nämlich zum Ueberfluss noch ein früherer Dutzbruder von Herwegh) die deutschen Arbeiter von dem bewaffneten Einfall in Deutschland abzuhalten, und verheiße dafür Allen, welche diese Mahnung beherzigen, und sich bereit erklären, friedlich in ihre Heimat zurück- oder nach Schleswig-Holstein zu ziehen, sicheres Geleit, Marschrouten und Vergebung aller ihrer bisherigen politischen Sünden. So sprach der selbst erst vor wenigen Stunden amnestirte Botschafter.

Hier muss ich im Interesse der Wahrheit hinzufügen, daß das Parlament Willens war, die Absolution auf Alle auszudehnen, Herr von Beck hingegen es geeigneter fand, der Großmut des Parlaments durch folgende Klausel, welche er dem von ihm erlassenen Dekret einschalten ließ, die ihm gefälligen Schranken zu setzen: „Nur die signalisirten Anstifter und Anführer können zur Durchreise nicht eingeladen werden und es ist, wenn sie sonst betreten werden, nach Vorschrift der Gesetze das Strafverfahren gegen sie einzuleiten.“

Es versteht sich von selbst, daß der Antrag des Parlaments kein Gehör fand, und die beiden Friedenstauben sich glücklich schätzen durften, wenn gleich ohne Lorbeerkränze, doch ungerupft in ihr Nest heimfliegen zu können. Bei einigem Scharfsinn, hätten sie sich vorhersagen müssen, daß in einer Legion von Demokraten, die sich nicht diesem oder jenem Chef, sondern ihrer eigenen Gesinnung zu Lieb, den Beschwerden eines so langen Marsches und einer ganz unbestimmten Zukunft unterzogen hatte, es auch keine Macht giebt, ein Bekehrungswerk durchzusehen, als die freiwillige Zustimmung jedes Einzelnen, und auf die am Wenigsten jetzt zu rechnen war, wo die nächsten Tage endlich zu verwirklichen versprachen, was ihr einziges Ziel vom Entstehen der Expedition gewesen: Vereinigung mit den republikanischen Brüdern zur gemeinsamen That.

In dieser Machtlosigkeit des Einzelnen zu Gunsten Aller liegt der wesentliche Unterschied zwischen einem demokratischen [26] Freicorps und einem Corps Soldaten. Während bei jenem der Anführer nur so lange eine unbeschränkte exekutive Gewalt hat, als die Majorität in ihm ihre wirklichen Vertreter erkennt, hängt bei diesem das Schicksal Aller an dem willkührlichen Befehl eines ihrer aufgedrungenen Chefs. Ein selbstständiger Gedanke, der Schatten einer spontanen, freien Bewegung und Alle sind gefährdet – natürlich mit Ausnahme des einzigen Schuldigen: des Chefs.

Kaum war diese Deputation verabschiedet, als sich eine zweite anmeldete, zusammengesetzt aus mehreren Carlsruher Bürgern und Banquiers und eingeführt durch den Abgeordneten Zittel aus Carlsruhe. Diese Herren kamen, die Friedensanträge des Parlaments nachdrücklich mit Geld zu unterstützen, und boten jedem Einzelnen, der sich zur unbewaffneten Rückkehr in seinen Heimatsort verstehen wollte, das dazu erforderliche Reisegeld an. – 15 bis 20 gingen auch wirklich darauf ein. Die Uebrigen hingegen, wiesen jenes Anerbieten mit vielem Spott zurück, obschon sie selbst nur leere Säckel hatten und die Herren Deputirten mussten mit langen Gesichtern abziehen, ließen aber dessen ungeachtet zuvor einen Theil ihrer Schätze in Strasburg als Köder für alle diejenigen zurück, die später durch Entbehrung mürbe gemacht, dies sanfte Joch der herben Freiheit vorziehen möchten. Die schwere Zeit ließ auch nicht lange auf sich warten. Unsere Mittel wurden täglich schmäler, die festverheißenen Depeschen der Hecker'schen Corps blieben aus, die Gastfreundschaft der Strasburger Behörde ging stark auf die Neige, und es hatte wahrlich allen Anschein, als wolle man uns durch Widerwärtigkeiten und Tracasserien aller Art zu irgend einem unbesonnenen Einfall in Deutschland zwingen.

Was die Unsern besonders kränkte, und sie um den letzten Funken Geduld brachte, waren die ewigen Vorwürfe, die sie von der Strasburger Behörde hinnehmen mußten. – Diese armen Burschen, die mit Schmerzen auf das erste Signal von drüben warteten und jeden Augenblick bereit waren abzuziehen, mussten all' die schönen Reden, wie: Ihr liegt hier auf der faulen Haut, während sich Eure Brüder draußen schlagen, – das ist eine Schmach! etc. etc., ruhig einstecken.

Was ich hier von dem Betragen der dortigen Behörde mitteile, die doch am Ende nur das blinde Werkzeug einer mächtigeren war, mag dem Leser als Beweis dienen, was er von der Nachricht zu halten hat, die fast die Kunde durch alle deutschen Zeitungen gemacht hat: Lamartine habe gleichzeitig mit dem Parlament auf die Auflösung unsers Corps gedrungen. [27] Daß er einen solchen Befehl in Bereitschaft gehabt, ist wahr, aber nicht minder wahr, daß dieser trotz des früheren Datums, das er bei der Veröffentlichung trägt, nicht eher publicirt worden ist, als man in Paris den Ausgang unsers Gefechts bei Niederdossenbach genau, bis in die kleinsten Details kannte. Wäre unser Unternehmen geglückt, und die Republik mit Hülfe der deutschen Legion in Baden proklamirt worden, – wer weiß, ob nicht ein anderes Papier zum Vorschein gekommen wäre. So viel ist gewiß, daß das revolutionaire Gouvernement vom 24. Februar in dieser ganzen Angelegenheit um kein Haar breit anders und offner gehandelt hat, als alle bisherigen Regierungen. Würde es sich wol sonst begnügt haben, unsere Sache, die ja solidarisch mit der ihrigen, mit der aller für die Freiheit kämpfenden und unter dem Drucke schmachtenden Völker, nur auf negative Weise zu fördern? es bei leeren Versprechungen bewenden zu lassen? Gewiß nicht! Wir begehrten ja Nichts als Waffen, Waffen, um unsern bereits kämpfenden Brüdern eine wirklich energische Hülfe bieten zu können und auch die verweigerte man uns aus Furcht die Neutralität vis-à-vis der andern Mächte dadurch zu verletzen. Der andern Mächte! als wenn für Republikaner eine andere als die Volkssouverainität existire und im Namen dieser wendeten wir uns ja nur an sie.

Neutralität! Die neue Zeit hat, seit das Reich der Diplomatie seinem Untergang nahe ist, und das der Demokratie, der Menschlichkeit, begonnen hat, einen treffenderen Namen für dieses Zwittergefühl. Es giebt Momente, wo die Neutralität allenfalls nur ein Zeichen von Geistesträgheit ist, es giebt aber andere, wie die jezigen, wo sie zum offenbaren, schreienden Verrat wird.