BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emma Herwegh

1817 - 1904

 

Zur Geschichte der deutschen

demokratischen Legion aus Paris

 

1849

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

[Einmarsch der Legion nach Baden.]

 

Die Nachricht des endlichen Abmarsches wurde mit Jubel von der Legion aufgenommen, und so fuhren wir am Morgen des 22ten noch vor Sonnenaufgang auf einem uns von der Behörde bewilligten Extrazuge Bansenheim zu. Damals waren wir gegen 800 Mann, zwei Tage später, beim Rheinübergang, nicht mehr als 675 und bei Niederdossenbach nur 650. Herr B., der früher den polnischen Feldzug mitgemacht hatte, war von der Legion zum General, v. C., ein ehemaliger preußischer Offizier, zum Chef des Generalstabes und v. L. zum Chef des ersten Regiments ernannt. Von den verschiedenen Bataillons-Chefs sind mir nur einige besonders tapfere wie Delaporte, Schimmelpenning und Muschacke im Gedächtniß geblieben, von denen der Erste noch heute im Gefängniß zu Bruchsal schmachtet, die beiden Andern im Kampf gefallen sind. Herr von Bornstedt, obschon ebenfalls Offizier, hatte sich bisher als Vicepräsident von dem militairischen Commando fern gehalten, als er jedoch das erste und zweite Bataillon grade im entscheidenden Moment führerlos sah (denn der des ersten hatte seinen Posten wegen kleinlicher Privat­angelegenheiten (?) schon vor dem Rheinübergang, der Andere wegen Privatfeigheit dicht vor dem Gefecht verlassen), stellte er sich freiwillig an die Spitze beider Corps und führte sie tapfer in's Feuer.

Herweghs erste Frage in Bansenheim war nach den Depeschen, aber keine war eingegangen. Schlechtes Omen! so verging der ganze Tag in vergeblichem Warten. Alles was man uns mitteilen konnte war, daß die Truppen von unserer Ankunft in B. unterrichtet, sich am jenseitigen Ufer bei Neuenburg vis-à-vis von Chalampe in großen Massen zusammengezogen hatten und uns dort erwarteten. – Die Herren Soldaten in [36] diesen Irrthum zu bestärken, und uns durch die Concentration aller feindlichen Kräfte auf diesem einen Punkt, die Passage an den übrigen frei zu machen, ordnete Corvin noch in selbiger Nacht einen Scheinangriff von der zwischen Chalampe und N. gelegenen Insel an. Diese Kriegslist glückte.

In gleicher Ungewißheit wie der erste, verstrich auch der zweite Morgen. Weder Bote, noch Brief! Wir mußten dieses Ausbleiben der Depeschen für ein sicheres Zeichen halten, daß Hecker mit den Seinigen in Gefahr, und beschlossen deshalb auch ohne Signal von ihm, noch in nächster Nacht den Rhein zu passiren. – Alfred de Horter, ein junger gewandter Franzose, einer unserer besten Stabsoffiziere, mußte auf Befehl des Generals das Terrain recognosciren, um am geeignetsten Punkt Alles zum Uebergang vorzubereiten. Börnstein selbst brachte Den ganzen Nachmittag mit Verteilung der Waffen zu, ohne irgend Rücksicht darauf zu nehmen, daß Herwegh in Paris fest hatte versprechen müssen, die Bewaffnung erst auf deutschem Boden vornehmen zu lassen, um jede unnötige Collision zu vermeiden. Dieser Eigensinn hätte uns theuer zu stehen kommen können, denn kaum hatte die Gensd'armerie, welche in der Umgegend stand, von dieser Bewaffnung Wind bekommen, als sie sich auch nach B. aufmachte, um uns ohne Weiteres zu entwaffenen, und nicht der militairischen Einsicht des Generals, sondern lediglich dem glücklichen Zufall, der uns eine halbe Stunde vor ihrer Ankunft dem jenseitigen Ufer zuführte, hatten wir es zu danken, daß dieses Vorhaben vereitelt wurde. Ich muß noch anreihen, daß Herwegh wenige Stunden vor unserm Abmarsch eine Depesche folgenden Inhalts vom Obrist Siegel erhalten hatte: „Kommen Sie so schnell als möglich nach Todtnau, dort stehe ich mit 3000 Mann und erwarte Sie. Sobald unsere Legionen vereinigt sind, schließen wir uns dem Hecker'schen Corps an, und ziehen zusammen vor Freiburg – Waffen und Munition finden Sie bei uns.“

Dieser Nachsatz war besonders tröstlich, denn es fehlte uns an Allem, ausgenommen an Mut. Um 9 Uhr Abends wurde Generalmarsch geschlagen und um 1 Uhr Morgens erreichten wir Großkembs, wo wir, Dank unserm wackeren Franzosen, Schiffer und Schiffe bereit fanden, uns an den heimischen Strand zu führen.

Es war eine milde, sternenhelle Nacht, die Nachen glitten schnell und ruhig über dem Wasser hin, aber bis sie uns Alle glücklich an's Ufer getragen hatten, dämmerte auch der Tag. Vive la Republique! war der erste Gruß, den wir wie Einer [37] Stimme Einem Herzen entquellend, als Boten voraus schickten, aber Niemand erwiederte ihn. Der kleine hessische Posten, der dicht bei unserm Landungsplatz ausgestellt war, hatte eiligst die Flucht genommen, kein Grenzwächter ließ sich blicken, und so zogen wir ungehindert die Höhen hinan, dem ersten Dorfe zu. Die Bauern, denen zuerst wol nicht recht geheuer sein mochte, waren ganz erstaunt, als sie statt der ihnen angekündigten Räuberbande eine singende fröhliche Schaar ankommen sahen, die nichts begehrte als freien Durchzug. In ihrer ersten Freude schleppten sie herbei, was sie nur an Mundvorrat hatten, und konnten sich nicht genug wundern, daß man auch dem nur auf dringendes Bitten und gegen Bezahlung zusprach. Damals wäre es für Herwegh ein Leichtes gewesen, die Republik auf dem ganzen Wege zu proklamiren, die bestehenden Behörden ab- und neue einzusetzen. Die Bauern hätten schon aus Furcht Alles angenommen, er wollte jedoch bis zur Vereinigung mit den Andern absichtlich den Gebrauch jedes revolutionairen Mittels vermeiden, um ihnen durch die That zu beweisen, daß seine Sache keine Parteisache, und daß er nie etwas Anderes im Sinne gehabt als: mit dem Volk, für das Volk zu kämpfen und jedes Separatwesen seinem Begriff von Freiheit entgegen war. Von Begeisterung für die Republik, war übrigens damals bei den Bauern keine Rede. Sie hätten sie angenommen, wenn man sie ihnen in's Haus gebracht, und gern, so bald sie dabei ihren Vorteil, eine Erleichterung der Abgaben gefunden hätten. Etwas dafür zu wagen, fiel ihnen selbst im Traume nicht ein. Ehe sich der Bauer entschließt, seinen Acker und sein Vieh zu verlassen, muß es ihm, um mit Hecker zu reden, „an die Speckseite“ gehen. Heute ist deshalb schon mehr zu hoffen, denn die 50000 Mann, welche Dank uns in Baden zusammengezogen worden und ohne den Bauer genügend zu entschädigen, ihm von seinem verschiedenen Rauchfleisch wenig mehr als wie Knochen übrig gelassen haben, sind bessere Reformatoren, bessere Revolutionairs gewesen als wir, und ihnen, nicht uns gebührt die Ehre, wenn es heut um Vieles besser steht, alle Klassen, ohne Unterschied, über den wahren Zustand ihrer Verhältnisse vollkommen aufgeklärt sind. Wer z. B. Zeuge gewesen, mit welcher raffinirten Grausamkeit die Gefangenen in Freiburg, Kandern und Dossenbach vom Militair behandelt worden sind, oder auch nur den kleinsten Theil dieser Gräuel durch Tradition kennt, dem sind die Augen auf immer geöffnet, der zweifelt nicht länger, daß ein Kampf mit diesen deutschen Cosacken nichts Anderes als ein Kampf um die Existenz, ein Kampf der Civilisation [38] gegen die Barbarei, zwischen der neuen und alten Welt war, und wird wissen, welcher Partei er sich bei einer Wiederholung anzuschließen hat. Das Leben ist am Ende doch Jedem lieb. –

Gegen 2 Uhr erreichten wir Kandern. Die Nachrichten, welche man uns jedoch hier über den traurigen Ausgang des Gefechts gab, waren, trog der liebenswürdigen Gastlichkeit einzelner Bewohner, nicht geeignet unsern Marsch zu verzögern. Heckers, so lautete die Aussage der Kanderer, hatte sich, nachdem sein Corps zerstoben, in die Schweiz geflüchtet. Einige Trümmer hatten sich wieder gesammelt und den Weg zu Struve und Siegel nach Todtnau eingeschlagen. Die ganze Umgegend von Kandern war von hessischen, nassauischen und würtembergischen Truppen besetzt, so daß wir die noch beschneiten Gebirgskämme passiren mussten, um uns ungesehen durch die verschiedenen Regimenter durchwinden und glücklich bis Todtnau vordringen zu können. Erst mit einbrechender Nacht erreichten wir unser Quartier (Vogelbach und Marzell) und obschon die Mannschaft von dem fast 24stündigen Marsch sehr müde war, brachen wir dennoch mit dem ersten Morgenstral wieder auf, um Todtnau, wenn irgend möglich, noch am nämlichen Tage bei guter Zeit zu erreichen.

Herr v. L., der sein Regiment seit Bansenheim keinen Augenblick verlassen hatte, war durch die übergroße Anstrengung dergestalt am Fuße verwundet worden, daß er sein Commando für die nächsten Tage Herrn C. übertragen musste, der sich mit Bereitwilligkeit und guter Laune dieser Pflicht unterzog. Unfähig zu marschiren, war L. genötigt, auf einem der Bagagewagen Platz zu nehmen, auf dem ich großentheils dem Zuge folgte, und der abwechselnd einem Jeden Asyl bot, der entweder wie Herwegh mit dem militairischen Commando Nichts zu schaffen hatte, oder einer kurzen Ruhe bedürftig war.

Gegen Mittag gelangten wir in Mulden (?), einem kleinen tief im Thal gelegenen Dorfe an. Nach mehrstündiger Rast und fast im Moment, wo wir weiterziehen wollten, hieß es mit einemmal: Zu den Waffen! die Hessen sind da! Im Nu wurden rechts und links Posten ausgestellt, die verschiedenen Bergpfade besetzt und Barrikaden errichtet, Alles um einen Feind den Einzug zu sperren, den Niemand deutlich gesehen hatte. Holzstöße, Karren, unsere Bagagewagen wurden als Wall benutzt, welchen die verschiedenen Bataillons mit unglaub­licher Geschicklichkeit und Schnelle aufführten. Beim Anblick dieser kriegerischen Zurüstungen ergriffen sämmtliche Bauerfrauen mit ihrem verschiedentlichen Hausrat und Linnen die Flucht auf's [39]

Gebirge, vermutlich aus Furcht, das ihnen lang verheißene „Sengen und Brennen der Räuberbande“ werde jetzt anfangen. Mit der Bestürzung der Bauern, wuchs der Uebermut unserer jungen Schaar. Die Patronen hatten den Meisten längst so in den Taschen gebrannt, daß sie gewiß die Hälfte davon unterwegs in lauter Freudenschüssen verknallt hatten und sich damit trösteten, im Hauptquartier bei Siegel dreifachen Ersatz zu finden. Endlich hatten sie nun Aussicht auch noch den letzten Rest los zu werden. Die Barrikaden standen ganz stolz und Alles war zum Angriff bereit. Da erscholl der Befehl: Barrikaden nieder! kein Hesse ist zu sehen! – Den Unmut und die Langsamkeit zu beschreiben, mit denen diese Ordre im Vergleich zu der früheren ausgeführt wurde, vermag ich nicht; sie gebrauchten wenigstens das Dreifache an Zeit und hätten dort übernachtet, wäre nicht das Signal zum Abmarsch gegeben worden. Hätten sie damals gewußt, was wir erst später erfuhren, daß allerdings einige Hundert Hessen auf der Höhe standen, sich aber beim Anblick der Legion in den Wald zurückgezogen hatten, keine Macht hätte sie von der Stelle gebracht.

Todtnau noch am selben Abend zu erreichen, war nach diesem langen Intermezzo unmöglich, und wir schlugen deshalb unser Zelt möglichst nahe daran und hoch oben im Schwarzwald, in dem armen, einsamen Dorfe Midau auf. Trotz des besten Willens der Bewohner, war ihnen kaum möglich, uns das Notwendige zu geben. Speck und Schwarzbrot sind fast die einzige Nahrung dieser armen Leute und das war kaum genug, den ersten Hunger zu stillen.

Nun, die Nacht ist bald vorüber, und morgen früh sind wir am Ziel, bei unsern Freunden. Mit dieser Aussicht beschwichtigte jeder sich und seinen nur halb gefüllten Magen. Herrlicher Trost! keine Stunde verging, als auch er auf die trübseligste Art zu Wasser wurde. Durch Mißverständnisse aller Art und Verzögerung von Depeschen, hatten die beiden Corps von Siegel und Struve, statt unsere Ankunft in Todtnau abzuwarten und dann erst vor Freiburg zu ziehen, am vorhergehenden Tage den Angriff ohne uns gemacht, und eine materielle Niederlage erlitten. Sämmtliche Waffen waren in die Hände der Soldaten gefallen, die 3000 Mann unter Siegels Commando bis auf 30 zusammen­geschmolzen und alle Uebrigen entweder gefangen, oder in die vier Winde zerstoben, um sich, wenn's Glück ihnen geneigt, in der Schweiz wieder zu vereinigen.

Diese Trauerpost, welche unsern ganzen bisherigen Plan, all unsere frohen Hoffnungen mit einem Schlage vernichtete, erhielt [40] Herwegh durch den Cassirer von Siegel, der gekommen war, ihm mit dieser Botschaft die Reste der Kriegskasse zu bringen.

Wenn die Sachen so stehen, sagte Herwegh, bleibt auch uns mit unserer kleinen schlechtbewaffneten Armee nichts übrig, als an einen möglichst schnellen und ehrenvollen Rückzug in die Schweiz zu denken, um uns dort auf neutralem Gebiet mit den Trümmern der andern Corps zu vereinen, und in einem günstigern Moment die Grenze gemeinsam zu überschreiten.

Es handelte sich jetzt nur darum, sich über den Punkt zu vereinigen, der zum schnellen Uebergang der geeignetste und nächste für uns war, und nach genauer Consultation der Karte, fiel die einstimmige Wahl sämmtlicher Chefs auf Rheinfelden.

Von einem Gefecht war, bei unsern schwachen Kräften, Nichts zu erwarten und es à tout prix zu vermeiden, unsere alleinige Aufgabe. Hiezu bedurft es jedoch einer äußerst geschickten Führung, wenn man bedenkt, daß unser kleines Corps von etwa 675 Mann abgeschnitten von allen Andern, sich jetzt ungesehen den Weg durch eine Armee von 55000 Mann bahnen musste, die aus hessischen, nassauischen, würtembergischen und badischen Truppen zusammengesetzt und in der ganzen Gegend verteilt war, die Cavallerie nicht zu vergessen, welche die Thäler besetzt hielt. Es blieb uns keine Wahl, als nach sehr kurzer Rast, noch ehe es tagte, aufzubrechen und uns immer die höchsten Gebirgspfade entlang zu ziehen, wobei wir oft bis über die Knöchel durch Schnee und Eisfelder waten mussten. Ich sage wir, weil auch ich an jenem Tage genötigt war, meinen kleinen Bretterwagen zu verlassen und den größten Theil des Weges zu Fuß oder auf einem ungesattelten Bauernpferde zurückzulegen. Herr von Löwenfels, der wegen seines kranken Fußes selbst das Reiten nicht ertragen konnte und nicht zurückbleiben wollte, wurde über die Berge getragen. Herwegh marschirte mit der Legion.

Endlich, nach 18stündigem Marsch, kamen wir halb todt vor Hunger und Müdigkeit (denn auf dem ganzen Weg hatten wir kaum hie und da ein Stück trocken Brot bekommen), am Abend des 26ten in Zell an, in der Hoffnung hier übernachten zu können, aber auch das sollte uns nicht werden. 1½, Stunden von Zell, in Schopfheim standen 1500 Mann Infanterie mit 6 Geschützen und 200 Cavallerie zu unserm Empfang bereit, die sich auf ein Zeichen binnen wenigen Stunden um das 10-20fache vermehren konnten, so, daß ein anhaltender Kampf mit ihnen für uns unmöglich und jedenfalls fruchtlos war. [41]

Kaum sahen uns die Bürger von Zell, die von der nahen Anwesenheit und den feindlichen Intentionen der Soldaten sehr wohl unterrichtet waren, einrücken, als sich in der Hauptstraße Thür und Läden eilig schlossen, und nicht lange, so trat auch der Bürgermeister zu Herwegh heran und beschwor ihn mit Thränen in den Augen, seine Stadt zu verschonen. Wer den überaus friedlichen Charakter der guten Schwarzwälder und die Lage von Zell kennt, findet den besten Schlüssel zu dem allgemeinen Entsetzen der Bewohner, und zu dieser Demonstration der das komische Element freilich nicht fehlte. Tief im Thal gelegen, und rings von hohen, waldigen Bergen eingeschlossen bot die Stadt dem Feinde alle erdenklichen Vortheile. Er brauchte nur die Höhen zu besetzen, um von dort, ohne den Verlust eines Mannes den ganzen Ort in einen Aschenhaufen zu verwandeln. Mit Hülfe von Barrikaden, hätten wir uns vielleicht auf einige Stunden, oder gar einen Tag gegen einen Thalangriff verteidigen können, später jedoch unfehlbar unterliegen müssen, – und ein fruchtloser Kampf war wenigstens für Herwegh, dem es weder auf einen unsinnigen coup de main noch auf ein militairisches Bravourstück ankam, nicht verlockend genug ihm zu Lieb', das Leben so vieler guten Menschen leichtsinnig zu opfern, und den gewaltigen Ernst der politischen Bedeutung der Expedition darüber zu vergessen. Er wußte, daß, obschon er Nichts mit dem Commando zu thun hatte, obschon manche uns'rer Herrn Offiziere von der ausschließlichen Wichtigkeit ihrer Mission durchdrungen, seit dem Tage des Abmarsches geneigt schienen, die ganze Sache zu einer rein militairischen machen zu wollen, bei welcher der politische Führer nur von nomineller Bedeutung, daß bei einem unglücklichen Ausgang die ganze Verantwortlichkeit dennoch auf ihn und nur auf ihn fallen würde. Deshalb setzte er in diesem entscheidenden Moment alle Nebenrücksichten hinten an, und erklärte den militärischen Chefs, daß er selbst, im Fall ihrer Mißbilligung darauf bestehen werde, daß die Legion, trotz der großen Ermattung noch in selbiger Nacht aufbreche, bis auf Schweizer Gebiet marschiere, und nicht etwa dem lächerlichen Ehrgeize dieses oder jenes Feldherrn geopfert werde. Der Verrat der Bauern, der heimtückische Ueberfall der Soldaten und manche andere Ueberraschung, für deren Mittheilung ich im Verlauf der Erzählung schon den geeigneten Platz finden werde, waren Dinge, die Herwegh eben so wenig als irgend ein And'rer voraussehen konnte, und für die Niemand als die Verräter selbst verantwortlich gemacht werden können. Herr von Bornstedt war [42] Herweghs Meinung, der General und Chef des Stabs ebenfalls, nur mit dem Unterschied, daß diese beiden den bequemen (Thalweg) dicht an den Soldaten vorbei, und jene der Sicherheit wegen lieber den beschwerlichen aber kürzeren Gebirgspfad einschlagen wollten. Der Einzige, welcher sich wegen der übergroßen Erschöpfung der Mannschaft entschieden gegen beide Vorschläge erklärte, war Herr von Löwenfels. Bei dem größten Theil der Mannschaft hatte sich das Bedürfniß nach Ruhe allerdings bis zur wahren Leidenschaft gesteigert. Sie wollten schlafen, Nichts als schlafen. Alles And're war ihnen im Moment vollkommen einerlei. Denn, kaum in Zell angekommen, hatten sie auch schon den Weg nach Schopfheim zu durch eine barricade monstre versperrt, die ihnen als hohe Lagerstätte dienen sollte, und von solcher Höhe und Härte aufgeführt war, daß wir gezwungen wurden sie bei unserm Nachtmarsch zu umgehen, um nicht durch das Niederreißen derselben uns're kostbarsten Stunden zu verlieren. Zu diesem Wall hatte Alles dienen müssen, was nur irgend beweglich und in der Nähe war, ohne Vorurtheil für dies oder jenes Material, – und so geschah es denn auch, daß sie, um die letzte Lücke zu füllen einen jungen Schäfer sammt seinem Karren, auf dem er schlafend lag, sorglos mitten hinein­geschoben hatten.

Ich bin überzeugt, sagte Herr von F., daß kein Einziger marschieren wird, wenn wir es auch wollten. Sie sind zu müde, und was haben wir davon, wenn morgen die Hälfte krank liegt?

Kann das noch in Erwägung kommen, entgegnete Herwegh heftig. Und wenn kein Einziger gesund bleibt, und sogar Einige unterwegs sterben, so ist dies kein Grund, lieber das Leben Aller nutzlos aufs Spiel zu setzen. Dazu werd' ich nie meine Zustimmung geben. Es ist keiner unter uns, der nicht bereit wäre, Alles für Alles zu wagen, aber nicht Alles für Nichts in die Schanze zu schlagen. Wenn der Einzelne à tout prix sterben will, so ist das eine Privatliebhaberei wie eine and're, und er mag über seine Person nach Belieben verfügen, aber mit dem Leben vieler hundert Menschen auf dieselbe Art verfahren wollen, hieße einen offenbaren Mord begehen, den ich nicht nur nicht auf mich nehmen, sondern gegen den ich mit aller Energie protestiren werde, obschon es mir eben so schwer wird, wie irgend Einem, in die traurige Noth­wendigkeit versetzt zu sein, die Unsern um die Ruh zu bringen, deren sie und wir Alle so sehr bedürftig sind.

Während so noch hin und her diskutirt wurde, über einen Gegenstand, der meinem Verständniß nach außer aller Diskussion lag, sprang ich, der der Boden vor Ungeduld längst unter den Füßen brannte, ohne ein Wort zu sagen, die Treppe hinab auf die Straße, wo die verschiedenen Bataillons noch aufgestellt standen. Der Regi­mentsarzt Dr. B. folgte mir. Man trug soeben Wein und Brod herbei, das Einzige, was in der Eile vorräthig und freilich nicht genügend war, die leeren Magen zu füllen. Ich trat zu ihnen heran, sagte Jedem, wie die Sachen stünden, worüber das Comité eben berate, und bat sie endlich, mir, die auf eig'nen Antrieb zu ihnen getreten, offen zu sagen, ob sie vorzögen, unter diesen Aussichten in Zell Quartier zu machen, oder noch diese Nacht weiter zu ziehen. Bis Rheinfelden sind's drei volle Stunden, und der Weg dorthin ist sehr beschwerlich. Sie müssen sich jetzt fragen, ob Ihre Kräfte noch so weit ausreichen und sie noch so viel moralischen Mut haben, die Müdigkeit bis dahin zu überwinden, oder nicht. Ich gehe gern zu Fuß mit, denn Einmal auf schweizer Boden werden wir uns so lange ausruhen, und so Viel essen, als ein jeder Lust hat. Da war aber auch kein Einziger, der mir nicht geantwortet hätte:

Wir gehen und gleich, wenn's sein muß.

So viel ich gehört, sagt' ich erfreut, hat's damit noch ein paar Stunden Zeit. Sorgen Sie Alle, daß Sie wenigstens unterdessen etwas Fleisch bekommen, was den einzelnen Bataillons-Chefs auch noch besonders von mir und dem Arzt anempfohlen wurde, und so kehrte ich zum Comité zurück. Sie wollen Alle gehen, rief ich den Herren zu, ich hab' sie gefragt, und Keiner will zurück bleiben. Desto besser Frau Herwegh, die Sache ist übrigens schon erledigt, und um Mitternacht wird abmarschirt; aber der Einzige, der zu meiner Nachricht ungläubig den Kopf schüttelte, war Herr v. F. Er schien diese allgemeine Zustimmung lediglich für einen Akt der Galanterie zu halten, oder für einen tour de force um nicht in den Verdacht zu kommen, einer Frau an Mut nachzustehen. Möglich, daß dies bei einigen der Hebel war, aber war das ein Unglück, wenn man sie auf diese Art retten konnte? Herr von F. mußte wegen seines kranken Fußes in Zell bleiben. Ungern ließen wir ihn dort zurück, aber es blieb keine Wahl. Gehen konnte er nicht, und unser Weg war zu steil, um ihn auf eine and're Art passiren zu können. Mehrere erboten sich ihn hinüber zu tragen, er hingegen lehnte dies Anerbieten entschieden ab, um unsern Zug nicht aufzuhalten und so setzten wir uns gegen 11 Uhr in Bewegung. – Sternenloser hatt' ich den Himmel nie gesehen, er hing wie eine schwarze dichte Masse finster über uns, die dem kleinsten Lichtstrahl den Durchblick wehrte. Mit vieler Mühe erreichten wir das Stadtthor, denn man konnte kaum seinen Vordermann, geschweige die Führer erkennen, welche uns den nächsten Weg über's Gebirg zeigen sollten, und schnell voran liefen. Wir baten um Laternen, fanden aber kein Gehör, bis sich endlich zwei alte, häßliche Frauen halb durch unsere Bitten, mehr noch durch Drohungen bewegen ließen, uns etliche Laternen langsam herbei zu schleppen. – Lichter die sich im Thal wie große Flammen ausnahmen, diese wurden unser Verräter! (Wie konnten wir auch nur vergessen, daß man weder von Pfaffen, noch von alten Weibern etwas annehmen soll?) sie entdeckten dem Feind uns're Flucht, und bezeichneten ihm genau die Richtung, welche wir einschlugen. – Um den Würtenberger Soldaten sicher auf die Spur zu helfen, warfen uns're Führer, welche mit ihnen unter einer Decke steckten, zur genauern Bezeichnung uns'res ganzen Marsches Kieselsteine hinter sich und führten uns um dem Feind den Vorsprung möglich zu machen, statt den direkten Weg, der nur drei Stunden von Rheinfelden entfernt, so geschickt neun volle Stunden kreuz und queer, daß wir statt um 2 Uhr Morgens erst um 10 Uhr Vormittags in Dossenbach ankamen, einem kleinen Dorf, 4 Stunden diesseits des Rheines gelegen.

Der Leser wird die Folgen eines solchen Marsches nach einem anstrengenden Tage, wie der letzte, leicht begreifen. Man denke sich zehn volle Stunden, bald über steile Felsspitzen, bald durch Bäche, die den Weg kreuzten, bald wieder bis an die Knöchel durch Schnee und Eis. Es war entsetzlich und die Erschöpfung bei einigen so groß, daß sie mitten im Wasser oder auf Steinen liegen blieben, um nur auf Sekunden auszuruhn. Um 10 Uhr Morgens, wie ich bereits bemerkt, – erreichten wir Niederdossenbach. Hier lauerte ein neuer Verrat auf uns, und diesmal in Speck und Schinken, den die Bauern mit überraschender Zuvorkommenheit uns noch eh' wir ihn verlangt, in großen Körben entgegentrugen. Herwegh ahnte das Unheil, und beschwor die Mannschaft, den Hunger nur noch auf Augenblicke zu überwinden. Mit Speck fängt man Mäuse, rief er ihnen zu, nehmt, ich bitte Euch, den Vorrat mit in den Wald hinauf. Man stellt uns eine Falle! aber da war alles Reden umsonst. Endlich, nachdem der Hunger wenigstens zum Theil gestillt war, konnte es Herwegh nicht länger ruhig mit anseh'n, und ohne weiter die Genehmigung des Generals, oder des militairischen Commando's abzuwarten, ließ er auf eig'ne Faust Generalmarsch schla­gen, und marschirte mit vorwärts. Ich folgte auf einem Leiterwagen, den man gegen Morgen herbeigeschafft, dem Zuge nach.

Obwol sich nirgend ein Soldat hatte blicken lassen, und wir der Grenze so nah' waren, hatten doch Alle das bestimmte Gefühl, wie vor einem Kampf. Deshalb gab auch Corvin den Befehl, den Wagen auf dem ich saß, (denn wir hatten zwei acquirirt) voran fahren, und nicht wie bisher, zwischen dem gros und der arrière-Garde folgen zu lassen. „Der Feind kann uns nur im Rücken angreifen, darum fahrt schnell vor­wärts.“ Diesem richtigen Instinkt allein dankt' ich's, daß ich nicht we­nige Minuten später in die Hände der Soldaten fiel, denn der and're Ba­gagewagen, welcher zurückgeblieben, war das Erste was sie erbeuteten.