BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Else Lasker-Schüler

1869 - 1945

 

Die Nächte Tino von Bagdads

 

1907

 

____________________________________________________________

 

 

 

Minn, der Sohn des Sultans von Marokko

 

DER Sultan von Marokko trägt einen Mantel von weisser Seide, der ist über der Brust von einem Smaragd in der Grösse eines Taubeneis gehalten. Aber sein Sohn kommt barfuss und im staubigen Kamelfell gehüllt, ein Bettler neben seinem königlichen Vater. Mein Vetter im Kamelfell ist sechszehn Jahre alt, Ali Mohamed könnte sein älterer Bruder sein, er ärgert sich nicht, er ist stets zu Scherzen aufgelegt, er hat schöne Zähne, Perlmutter, liebliche Frauenzähne und er belächelt seines Sohnes mürrische Laune. Auch die Furche zwischen seinen Brauen ist nur ein seltener, huschender Schatten, sieben Häute tiefer schlummert die Nacht in seines Sohnes Stirn. Bei der Tafel weigern sich die Hofleute neben diesem zu sitzen und auf dem Dache sein Kissen ist ängstlich gezeichnet. Unter dem lieblichen Himmel des weissen Rosengartens wandelt er auf verbotenen Wegen; das Wandeln durch den weissen Duft ist nur uns Frauen gestattet. Aber ich bitte meinen Vater den weissbärtigen Pascha mit meinem Vetter in Kamelshaar am Krontag tanzen zu dürfen. Und ich tanze mit Minn, dem närrischen Sohne des Sultans. Meine Hände liegen quer übereinander, fingergespreizt, ein goldblasser Stern gegen seine zottige Brust gestemmt. „Nun muss ich vom Feste eilen“, klagt traurig mein Vetter, „denn du wirst nicht noch einmal mit mir tanzen wollen.“ Ich meine ärgerlich. Er glaube wohl, ich leide auch an so närrischen Launen wie er? folge ihm auf den Spitzen meiner beringten Zehe bis an das grosse Becken im dunklen Sultanshof. „Minn, siehst Du mich, ich bin Deine Tänzerin?“ Und da er schweigt, sage ich verächtlich: Ich möchte wohl wissen, ob Du Heldenschultern unter Deinem Bettelmantel versteckst, oder ob mich gar meine Träume necken und Deine Arme nicht einmal ein Kätzchen zu bändigen vermögen? „O ich bin noch tausendmal stärker wie Deine Träume Dirs schildern, meine stolze Prinzessin, da ich dieses ärmliche Kleid trage und gegen alle stiere Verachtung gleichmütig bleibe. Mich dünkt, ich bin der stärkste Held im ganzen Land.“ Er zerrt an die zottige Naht seines Mantels, eine Masche zerreisst und das ganze Fell sinkt zu Boden. Der Abend färbt seine Glieder zart und sanft. „Wirst Du noch einmal mit mir tanzen zum Lohne, da ich meine Rüstung abwarf? Horch, Flötentöne singen die Rosen des weissen Gartens zu unserer Feier.“ Sklaven finden uns – und zaudern – auf dem Rand des grossen Beckens setzen sich die Frauen, die Gesichte gestreckt und hinter der Palme stehen unsere Väter, der Sultan Ali Mohamed und Mohamed Pascha sein älterer, weissbärtiger Bruder. Wir tanzen bis unsere Füsse eins sind im Drehen. Dann lässt mein Vater den schwarzen Dienern die also gesehen haben mit ihren nackten Augen unseren nackten Tanz, meinen Leib und vor allen Dingen mein Angesicht, er lässt ihnen ihre Zungen durchbohren und die edlen Hofleute blenden im Vorhof des Palastes; den Prinzessinnen geschieht nichts übles, sie haben nur auf den Prinzen geschaut. Täglich empfängt er von ihnen Geschenke, Armspangen, Gürtel und auf dem Dache liegen für seine Träume seidengestickte Kissen. Die Frau des Fruchtveredlers reichte ihm ein durchsichtiges Feigenblatt aus Mondstein geschliffen. Aber der huschende Schatten auf der Stirn seines königlichen Vaters krallt sich tief ins Fleisch, finster umschleicht er den Palast bis zur Lichtstunde. Man vermutet, er habe sich vor Schreck in jener Nacht an einer Säule einen seiner Perlmutterzähne ausgeschlagen. Die Frauen des Harems schmachten nicht mehr hinter den Fenstern ihrer Gemächer nach seine Anblick, aber sie bestechen die Eunuchen seines Sohnes wegen, die ihnen Mannstrachten verschaffen und so ihre Anwesenheit bei der Abendtafel ermöglichen. Ich halte die Augen gesenkt über den trauernden Rosengarten, Minn hat die heilige Tanznacht vergessen zwischen schillernden Schmeicheleien. Nur mein Vater lässt manchmal seinen weisse Bart über meine Hände gleiten und schweigt. Er glaubt, ich habe das alles nur für einen Traum gehalten. Ab die Rosen im weissen Garten sind grau geworden. Zerbissen unter geknickte Ästen liegt Minn. Aber die Gärtner meinen „nur eine eifersüchtige Prinzessinn konnte so grausam gewese sein.“ Ich weiss wer seine zarten, sanften Glieder zerrissen hat – mein Gemach war grün bescheint vom Smaragd des vorüberschleichenden Seidenmantels seines Vaters des Sultans von Marokko.