BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Else Lasker-Schüler

1869 - 1945

 

Die Nächte Tino von Bagdads

 

1907

 

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Der Fakir von Theben

 

PRIESTER in weissen Gewändern gingen über die Landstrasse die nach Theben führt; ich beugte mich vor ihrem heiligen Leben und bat sie, mich in ihrer Mitte zu nehmen. Und die frommen Männer lächelten gütig, nur der Fakir, er war schon einige Male begraben gewesen und hatte die Kräfte der Erde gesammelt, runzelte die Stirn als ich meine Bitte aussprach. Er hasste die Frauen, sie zu vertilgen war eines seiner frommen Werke. Aber er gewahrte meinen Ring am Finger mit dem seltenen Caelumstein. Er entstammte dem Schatze eines besiegten Kriegers aus Latinien. Der Caelum wechselte seine Farbe mit der Zeit des Himmels. In der Frühe schien er traumhaft silbergetönt, am Mittag voll Lilaschwermutsüsse und dann umfing er die Dämmerung und dunkelte mit der Nacht in unzähligen Sternen. Der Fakir blickte unverwandt auf meinen Ring und murmelte unverständliche Worte. Mir bangte. Als wir Theben erreicht hatten und die Frauen ihren Fakir unter den anderen Priestern bemerkten, bebten ihre Leiber wie zur Kindsstunde. Viele von ihnen liessen ihre Krüge fallen und eilten zurück in ihre Wohnungen. Denn die Frau, welche der Fakir mit seiner fleischlosen Hand berührte, blutete vierzig Tage lang. Und das war wie eine Seuche, wenn er sich blicken liess; es blutete bald ein Viertel der blühendsten Frauen der Stadt. Mich, die in der Gesellschaft der Priester blieb, neben ihm ging, verschonte der grausige Heilige – er blickte auf meinen Ring in seinen Stein; der freute sich, er glänzte hell wie der Himmel über Theben. Ich aber war sehr betrübt über das Geschick der Stadt und da keiner ihrer Bewohner wagte, sich dem Fakir zu nähern, fiel ich vor ihm nieder, umklammerte seinen kalten Fuss und bat ihn, meine Schwestern nicht weiter seinem frommen Werke zu opfern. Er blicke gierig auf meinen Ring, in den herrlichen Stein, in dem ich den Himmel trug. Den verlangte er für seine Gnade. Ich schüttelte trotzig den Kopf und am selben Tage bluteten alle Frauen der Stadt. Und das war wie ein grausiges Meer über Theben, von dem üppigen Grün der Wälder alle die Menschen- tropfen!!! Und es stand kein Haus, was nicht rot gefärbt war von Blut seiner Frau und auf zum Himmel schrie. Der Caelum an meinem Finger drohte mir, eine rote Nacht! Und ich fiel vor dem Fakir nieder, küsste seinen kalten Fuss und bat ihn flehentlich auch mich zu berühren mit seiner fleischlosen Hand. Die liess sich langsam auf meine Schulter nieder, ich fühlte nicht einmal ihren Moderhauch, sie erstarb im Herabsinken. Er aber wandte sich verächtlich von mir, die ich unwert seines frommen Werkes.