BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emerenz Meier

1874 - 1928

 

Aus dem bayrischen Wald

 

Aus dem Elend

 

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[78]

10. Kapitel.

 

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Selbstdemütigung söhnt den Glücklichen mit seinen Neidern aus. Und Neider hatte Itta, die glückliche Itta aus dem Elend, welcher so unverhofft ein Vermögen in den Schoß gefallen war, in Fülle. Mit Genugthuung sah man nun, wie sie das Regiment auf dem Reutbauernhofe der alten, tauben Base überließ, vielleicht gar überlassen mußte und wie sie traurig und still einherging, niedrige Magddienste verrichtend. Aber man wußte die Gründe schon, die all ihr Thun und Denken leiteten. Sie war in Gottfried verliebt und wollte deshalb nicht gänzlich von ihm weichen. Sie bildete sich ein, sein Schutzengel zu sein und den Ruin des Hauses fernhalten zu können, der doch unausbleiblich war.

Gottfried hatte nämlich zu toll gewirtschaftet. Der Schmuggel von österreichischem Zugvieh, den er seit längerer Zeit mit ebenso viel Eifer wie Verwegenheit trieb, vermochte ihn nicht mehr zu retten. Auch waren die Grenzgänger schon aufmerksam geworden auf ihn und er durfte sich deshalb nicht so kühn mehr wagen wie im Anfange. Der Böhme Starabin, welcher drüben den Einkauf besorgte, hatte sich schon seit Wochen nicht mehr diesseits der Grenze blicken lassen. Man vermutete, daß er mit den Geldern, die ihm der Reutbauer anvertraut hatte, durchgebrannt war.

Dieser vermutete es nicht nur, sondern wußte es sogar ganz bestimmt. Er schwieg davon und setzte das verbotene, in den Augen der Wäldler aber durchaus nicht unehrliche Handwerk fort, mit einer Wildheit und Leidenschaft, welche das Schlimmste befürchten ließ. Dabei ergab er sich dem Trunke, vernachlässigte Pflichten und Religion und rechtfertigte so das Urteil der Leute: „Der Reutbauer ist ein ausgemachter Lump“ in jeder Hinsicht. War er, was jedoch selten vorkam, [79] mehrere Tage nacheinander zu Hause, dann machte er sich durch sein Benehmen so unausstehlich, daß Alles aufatmete, wenn er wieder ging. Selbst die liebende Geduld Ittas vermochte bei den Quälereien, die er ihr fortwährend zufügte, nicht Stand zu halten. Ihr kam es vor, als ob er sie zu hassen begänne, denn sie ahnte ja nicht, daß alles, was er ihr zufügte, der Ausfluß der zornig erregten Gefühle war, welche sein Inneres beständig aufwühlten. Sie zog sich mehr und mehr in das Hinterhaus zurück und erschien nur dann, wenn er abwesend war.

Mit Sorge blickte sie der Zukunft entgegen, doch nicht der ihren, sondern der seinen.

Was würde noch aus ihm werden? – Was konnte sie thun, ihn zu retten, welcher mit Riesenschritten seinem Untergange nahte?

Stundenlang lag sie in ihrem Stübchen auf den Knieen, betend für den, welchen sie trotz seiner zunehmenden Verkommenheit heißer liebte als je.

Eines Tages überraschte er sie dabei und brach in lautes Gelächter aus.

„So wirst also auch noch a Betschwester?“ höhnte er. „Na, es is schon recht; – vergiß aber net, mi in deine Vaterunser einzuschließen, denn mich hat der Teuf'l schon hint' und vorn'.“

„Das woaß i nur all'zgut“, war ihre ernste Entgegnung. „Mei Gebet gilt auch dir und koan' ander'n.“

„Ah, – so glaubst, daß mir noch was helfa kunnt?“

„Wenn du wollt'st, schon.“

Er schüttelte böse lächelnd den Kopf.

„Nein, i glaub's net. Außer – du kriegtest für jed'n Vaterunser an Thaler von Dein' Schutzengel.“

„Mach's anders, Gottfried, dann kimmt der Seg'n von selber. Wie du's treibst, kann's ja net ausbleib'n, daß d' nacheinander z' Grund gehst.“ [80]

„Es is mir schon Alles gleich.“

Sie trat an ihn heran.

„Warum denn das? Wer hat dich dazu g'bracht? Unser Herrgott g'wiß net und d' Leut ebensowen'g. Was du thust, das thust du aus dir und für dich alloa.“

„D' Leut ebensowen'g“, sagst du. „Und g'rad die sand's, die mi ins Elend bringen.“

„Für an Mann ist's a Schand', wenn er so was sagt.“

„Für mi net. Der verflucht' Böhm' hat mi ausg'schmiert, daß mir d' Aug'n wassern, und was is er sunst, als a Leut'? Er is oan's, wenn's gleich mei Vater, wär' er noch da, net gelt'n lassen thät'.“

Er dachte in diesem Augenblick ebensowenig wie Itta daran, daß seine letzten Worte auch eine Beleidigung für sie enthielten.

„I bin überhaupt schon grenz'nlos dumm g'wes'n, Itta“, sagte er nach einer Weile wieder. „Mit dem schlecht'n Böhm', der mei Verderb'n is, han i mich ab'geb'n und dich, welche mir beig'stand'n wär' im Unglück, han i veracht'. – Du sagst, i soll's anders mach'n? – I probier's, wennst mir hilfst dazu.“

Sie drückte warm seine Hand.

„Soviel's in meinen Kräft'n steht, Gottfried. Du woaßt, daß i Alles thu für dich.“

„Wohl weilst mich noch all'weil' gern hast?“ fragte er hastig, mit ängstlich forschendem Blick.

„Ja.“

„So – vergiß, – verzeih' mir und werd' mei Weib.“

Er wollte sie umfassen, da wich sie mit einer abwehrenden Bewegung zurück.

„Alles, nur das net! Das ist vorbei!“

Der Ausdruck ihres blassen Gesichts sprach so deutlich von der Unerschütterlichkeit ihres Entschlusses, daß er nicht mehr dagegen ankämpfte. Aber ein zorniger Schmerz erfaßte ihn, welcher ihn für den Augenblick stumm machte. [81]

„I kann dir ja auch so helfen“, sagte sie zitternd. „Nimm mei Vermög'n, es is ohnehin dei rechtmäßig's Eigentum. Nimm's und mach' dich damit vor All'm schuld'nfrei.“

„Und das, – das magst mir anbiet'n? So hör', daß i mich eher derschiaß'n thät', eh' daß i von dir ebbs möcht'!“

„Gottfried! –“

„I hab dir's g'sagt und bin fertig. Laß dir's gut geh'n!“

Er stürmte fort und sie bedeckte ihr Antlitz schluchzend mit beiden Händen.

 

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In den nächsten Tagen fragten die Bauern, welchen Gottfried die Beschaffung der ihnen zur Zeit sehr notwendigen Zugochsen versprochen hatte, vergeblich nach ihm. Niemand wußte mehr zu sagen, als daß er in Feiertagskleidung den Hof verlassen habe, ohne, wie sonst, eine längere Abwesenheit anzukündigen. – Da verbreitete sich plötzlich die Nachricht von einem nächtlichen Zusammenstoß zwischen Grenzjägern und Schmugglern im Dreisesselwald. Letztere waren überwältigt und eingefangen worden bis auf einen, welcher sich wie ein Löwe gewehrt und endlich die Flucht ergriffen hatte. Daß diese ihn auch rettete, glaubten indessen nur wenige, denn ohne Zweifel würden die dem Gesetz Verfallenen seinen Namen nennen und die Hauptschuld auf ihn abzuwälzen suchen.

Man wartete mit banger Neugier auf den Ausgang der Sache. Die Teilnahme des Wäldlervolkes, welches bei solchen Gelegenheiten unverhohlen und öffentlich seinen Freiheitssinn zu äußern pflegt, hatten die Schmuggler für sich. Es gab da nicht einen, welcher nicht gewünscht hätte, dem Flüchtling forthelfen und ihn auf alle Weise beschützen zu können, gleichviel, ob er ein Bayer oder Böhme.

Über dem Reutbauernhof lag etwas wie Gewitterschwüle. [82] Die Bewohner ahnten das Schlimmste, denn Gottfried kam nicht, um ihre Furcht zu zerstreuen.

Gewiß war er und kein anderer der Entwischte. Wo aber hatte er sich hingewendet und wie mochte es ihm ergehen?

Letztere Frage beschäftigte besonders Itta Tag und Nacht. Die qualvolle Angst ihres Herzens steigerte sich von Stunde zu Stunde, und ruhelos wanderte sie umher. Sie durchirrte die nahen Bergwälder, in der Hoffnung, daß er dort ein Versteck gesucht.

Und endlich, – es war auf dem Sölling unweit der alten Fichte, – trat er ihr entgegen. Sein Gesicht war bleich, seine Kleidung zerrissen und beschmutzt und die Stimme klang heiser, mit der er fragte:

„Was thust denn du da, Itta?“

Sie vermochte nicht mehr zu antworten. Nach Atem ringend stürzte sie zu seinen Füßen nieder und lehnte ihre Wange an seine Kniee.

„Du hast mich g'sucht?“ fragte er weiter. „Du hast dir gleich g'denkt, daß i der bin, den d' Grenzer jag'n, wie an ang'schoss'na Hirsch'n? Gestern han i so an Grea'rock über'n Sess'lstoa in d' Thöl 1) nuntergschlagn, daß er g'flog'n is wie a Geier. I hoff', daß er 's G'nack net brocha hat. – Aber so steh' auf, Itta!“

Er beugte sich geängstigt zu ihr nieder und streichelte ihr Haar.

„Hast dich denn so stark g'rant' um mich, du arm's Dirndl? – Steh' auf!“

Sie erhob sich, um ihm an die Brust zu sinken und laut aufzuweinen.

„O Gottfried, es is g'fehlt um dich!“ stieß sie endlich hervor. [83]

„Ja, das woaß i wohl“, nickte er. „I muß in's Zuchthaus, – vielleicht gschieht mir noch mehr, wenn der Wurf auf'n Dreisessel g'rat'n hat. Der Grea' kann leicht tot sein. I hab' mi nimmer kümmert um ihn und bin davon.“

„Roas' nach Amerika“, sagte sie, sich plötzlich aufrichtend.

„Nein, das thu i net.“

„O mein Gott, was denn sunst?“

„Heut' han i schon allerhand im Sinn g'habt, das i dir net sag'n mag. Jetzt is mir a wen'g leichter, wahrscheinlich desweg'n, weilst mi g'sucht hast. I glaub', i geh mit dir hoam.“

„Nein, um Gott'swill'n, nein!“

„J – ja, nur auf a kloan's Zeitl. I rast' a wen'g, ziag an anders G'wand an und geh wieder. Du woaßt schon, wohin.“

„Auf's G'richt?“

„Auf's G'richt. I laß mi net g'kettelt furtschlepp'n, i stell mich selber. – Geh jetzt, Itta.“

Sie stiegen Hand in Hand den Sölling hinab. Gottfried erzählte ihr von dem Kampf mit den Grenzjägern, von seinem Umherirren in den Wäldern und von dem gestrigen Zusammentreffen mit einem seiner Verfolger auf dem Dreisesselstein.

Er hatte ihn nach kurzem Ringen überwältigt und ihn von dem turmartig aufragenden Granitfelsen in die Tiefe geschleudert. Es war möglich, daß der Unglückliche das Genick gebrochen und daß er selbst ein Mörder war. Dieser Gedanke erfüllte seine Seele mit Verzweiflung und machte ihn gegen die Trostworte das Mädchens taub. . . .

Unbemerkt gelangten die Beiden in das Haus. Die Dienstboten waren auf dem Feld beschäftigt und Base Herrnbäuerin saß ruhig schlummernd in der Stube am Herd. Itta weckte sie mit der Nachricht, daß Gottfried hier sei, verbot ihr aber zugleich, das Mindeste zu sprechen. – Er [84] reise sogleich wieder fort, wäre nur gekommen, sich umzukleiden und sich zu stärken.

Als Gottfried später eintrat, trug Itta ein rasch zubereitetes Mahl auf und lud ihn zum Essen ein. Er schüttelte den Kopf, setzte sich aber dennoch an den Tisch zu ihr.

Nach einer langen Pause sagte er gepreßt:

„Wie hätt'n wir so glücklich sein können, wenn i net so a schlechter Mensch g'wes'n wär'. Jetzt is koa Hoffnung mehr.“

„Wer woaß, ob's gar so arg wird!“ versuchte sie ihn zu trösten. „Ein paar Jahr vergeh'n endlich doch und es kann nachher noch Alles gut werd'n.“

„Ein paar Jahr'! Ja, wenn's nur a paar wär'n! – Und es würd' trotzdem nix mehr recht. Werd' i auch amal frei, so kimm i als a Handwerksbursch', noch schlechter, als a Zuchthäusler z'ruck.“

„Du hast Neamd'n was gstohl'n, Gottfried.“

„Nein, aber i werd selber arm. Den Hof, welcher übrigens über 's Dach verschuld't is, wird's G'richt versteigern.“

Sie fuhr hastig auf.

„Das g'schieht mir net, so lang i an Kreuzer hab', so lang i mi rühr'n kann!“ rief sie. „Gieb mir alle Vollmacht'n, i erhalt'n für dich.“

Noch war der Bursche an dieser Stelle verwundbar und seine Mienen wurden auffallend hart.

„I mag nix von dir, Itta“, sagte er kalt. „Hast du's denn schon wieder vergess'n? Wenn dir der Reutbauernhof ans Herz g'wachs'n is, dann kauf' dir'n für dich selber. Für mich is er verlor'n.“

„Das is wieder dei Stolz, Gottfried, der Stolz, welcher uns schon so unglücklich g'macht hat.“

„I kann mir net helfa.“

„So kauf' i 'n halt für mich“, sagte sie traurig.

Er erhob sich und griff nach seinem Hut. [85]

„Jetzt geh i, Itta. Vielleicht seh'n wir uns nimmer im Leb'n. Und hab' dich so gern gh'abt. – Bet' für mich, du bist ja brav und gut, – pfüat di Gott.“

In seinen dunklen Augen blitzten Thränen. Sie wollte sich mit einem Schmerzensruf an seinen Hals werfen, aber er hielt sie zurück, nickte der alten Herrnbäuerin, welche mit offenem Munde dastand, flüchtig zu und verließ dann rasch die Stube.

 

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1) die Tiefe.