BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Glückel von Hameln

um 1646 - 1724

 

Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln

übersetzt von Alfred Feilchenfeld

 

Viertes Buch.

 

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[111]

Viertes Buch.

Glanzvolle Hochzeit der ältesten Tochter in Cleve.

Erlebnisse auf der Rückreise.

Geschäftsverbindung mit Moses Helmstädt.

Andere Begebenheiten bis zum Tode Chajim Hamelns.

 

Meine Tochter Hanna ist nun aufgewachsen und ist ein gar kluges Kind gewesen, wovon ich vielleicht noch weiter berichten werde. Zu jener Zeit war ein ostindisches Schiff, auf dem sehr viele rohe Diamanten waren, dem König von Dänemark in die Hände gefallen und lag in Glückstadt. Jeder von der Schiffsmannschaft hat Diamanten gehabt. Daher sind Juden nach Glückstadt gereist und haben dort gekauft; es ist auch schöner Gewinn daran gewesen. Zwei Juden erfuhren, daß ein Bürger in Norwegen eine große. Partie von solchen Diamanten hätte; es war, wie mir deucht, ein Bäcker, den sie sehr wenig gekostet hatten. Da haben sie miteinander einen bösen Plan gemacht auf das Haus, in dem die Diamanten gewesen sind. Die beiden unsauberen Kumpane sind nach Norwegen gekommen, haben sofort Nachforschungen nach dem Bürger gehalten und sich in sein Haus hineingemacht. Sie sind endlich mit ihm bekannt geworden und der Bürger hat sie in seinem Hause beherbergt, so daß sie gewahr geworden sind, wo er seine [112] Schätze hatte. Dann sind sie ihm darüber gekommen und haben alles miteinander weggenommen. Am andern Morgen in der Frühe sind sie aus dem Hause gegangen, haben sich ein Schiffchen gedungen und sind der Meinung gewesen, sie hätten ihre Sache gar wohl verrichtet. Aber Gott der Allmächtige hat es nicht haben wollen und der Bürger ist frühmorgens aufgestanden und hat nach seinen beiden Gästen gefragt. Da hat der Hausknecht gesagt, sie wären des Morgens ganz früh aus dem Haus gegangen. Dem Bürger hat etwas auf dem Herzen gelegen; denn wer so einen Schatz hat, der ist allezeit dafür besorgt. So ist er über seine Kiste gegangen, in der er seinen Schatz hatte, hat aber nichts gefunden. Er hat sich nun gleich gedacht, daß ihm seine beiden Gäste das angetan hätten, und ist flugs ans Meer gelaufen und hat Schiffer gefragt, ob sie nicht zwei Juden hätten abfahren sehen. Darauf haben sie ihm gesagt: «Ja, der und der Schiffer hat sie vor einer Stunde hinweggeführt.» Nun hat er sogleich ein Schiff gedungen und es mit vier Ruderern besetzt und sie sind nachgefahren, und es dauerte nicht lange Zeit, da haben sie das Schiff mit den Dieben in Sicht bekommen. Die Diebe haben nun auch gesehen, daß man sie verfolgt; da sind sie gegangen und haben den ganzen Schatz ins Meer geworfen. Der Bürger hat sie dann eingeholt und sie haben mit ihm zurückfahren müssen. Die Diebe haben zwar sehr mit dem Bürger geschrieen: «Bedenke, was du tust; wir sind ehrliche Leute, es wird sich nicht finden, daß wir von dem Deinigen etwas haben, und du tust uns so einen Schimpf an; wir werden es wissen an dir heimzusuchen.» Denn sie haben es darum ins Wasser geworfen um die [113] Tat besser zu leugnen. Aber es steht geschrieben in unseren zehn Geboten: «Du sollst nicht stehlen.» Darum hat Gott ihnen auch nicht geholfen und sie sind wieder an den Ort gebracht worden, woher sie gekommen sind. Sie haben zwar alles geleugnet, nachdem man sie nackt ausgezogen und alles durchsucht hatte. Aber das hat ihnen nichts geholfen; man hat ihnen starke Folterqualen angetan, bis sie endlich bekannt haben, daß sie es getan haben. Nun sind sie beide zum Galgen verdammt worden. Der eine Dieb hat sofort den Christenglauben angenommen 1). Der andere aber, der bis dahin sein Leben lang ein frommer Mensch gewesen war und fromme Eltern hatte – er ist von Wandsbek gewesen – hat seinen Glauben nicht ändern wollen und lieber sein Leben dafür hingegeben. Ich habe ihn und seine Eltern gut gekannt; er hatte sich immer als ein frommer, ehrlicher Mann gehalten. Er muß von dem andern verführt worden sein, der sein Leben lang nichts Gutes gewesen ist. Darum hat sein Ende leider so sein müssen. Sicherlich hat er sich in seinen letzten Stunden das ewige Leben erworben. Ich mag wegen der Ehre der Familie seinen Namen nicht nennen; aber in Hamburg kennt man die ganze Geschichte gut. Gott wird sicher die Heiligung seines Namens angenommen haben, daß er sein Leben für Gott hingegeben hat, während er doch ebenso gut hätte davonkommen können wie sein Genosse. Aber er hat das Gebot erfüllt: «Du sollst Gott mit deiner ganzen Seele lieben» 2)und so ist sicher sein [114] Tod eine Sühne für alle seine Sünden gewesen. Darum soll sich jeder ein Exempel [daran] nehmen und sich nicht vom bösen Trieb nach dem leidigen Geld verführen lassen. – – –

Nun wieder von unseren Sachen anzufangen: ich bin mit meinem Sohn Mordechai ins Kindbett gekommen. Gebe Gott, daß sein Alter so glücklich und gut wäre wie seine Jugend! Aber was hilft es? Der höchste Gott hat schon alles beschlossen, was sein soll.

Ich habe schon in meinem dritten Buch (S. 60 ff.) von der Erlösung geschrieben, auf die wir gehofft haben, und schon erwähnt, daß mein sel. Schwiegervater uns zwei Fässer zugeschickt und gemeint hat, damit nach dem heiligen Lande zu ziehen, wenn ganz Israel sich dort versammelt. Aber da er nun gesehen hat, daß nichts daraus geworden ist, hat er seine Wohnung in Hameln aufgegeben und ist mit meiner Schwiegermutter nach Hildesheim gezogen, das eine hübsche, fromme Gemeinde und nur fünf Meilen von Hameln entfernt war. Als sie eine kurze Zeit dort gewohnt haben, hat mein sel. Mann, der seine Eltern gar sehr geliebt und in Ehren gehalten, mich gebeten: «Mein Glückelchen, laß uns nach Hildesheim reisen und meine Eltern besuchen; du hast sie mehr als zwölf Jahre lang nicht gesehen. Ich bin es zufrieden gewesen. Wir haben unsere Magd und unsern Jungen (= Diener) und drei Kinder mitgenommen und sind nach Hildesheim gereist. Ich habe damals meinen Sohn Mordechai, der noch kein Jahr alt war, gesäugt. Der Junge, der mit uns war, hat Samuel geheißen. Er war ein gar schöner Junge, darum hat man ihn den feinen Schmul genannt; denn wir haben noch einen [115] Jungen bei uns gehabt 3), den die Kinder den groben Schmul nannten.

 

Purim. Maskenball am Purim,

der bei den sephardischen Juden mit besonderem Pomp gefeiert wurde.

(Stich, unterzeichnet: P. Wagenaar jun. inv. et del. 1780. G. Philips Jacohz fecit.)

 

So sind wir nach Hildesheim gekommen. Meine sel. Schwiegereltern haben große Freude mit uns gehabt. Denn mein Mann ist ihr jüngstes Kind gewesen und es ist uns damals Gottlob sehr gut gegangen. Wir haben mitgenommen, was nach unserer Meinung in Hildesheim ein besonders schönes und ansehnliches Geschenk 3a)gewesen ist, und haben es ihnen mitgebracht. Wir sind bis in die dritte Woche dort geblieben und haben uns sehr miteinander gefreut. Danach sind wir gesund und glücklich wieder heimgereist. Mein Schwiegervater hat uns ein Kännchen geschenkt, das ungefähr 20 Taler wert war; es war uns aber so lieb, als wenn er uns 100 Taler gegeben hätte. Mein Schwiegervater war damals ein reicher Mann – sein Vermögen betrug mehr als 20 000 Taler – und hatte seine Kinder alle verheiratet. Uns hatte die Reise über 150 Reichstaler gekostet, und doch haben wir uns mit dem Kännchen sehr gefreut, nicht so wie die Kinder heute sind, die gern den Eltern alles, Haut und Haar, wegnehmen möchten und nicht fragen, ob diese es leisten können oder nicht.

So sind wir wieder nach Hause gekommen und haben unsere Kinderchen allesamt gesund gefunden. Meine Schwiegereltern haben vier oder fünf Jahre in Hildesheim gewohnt; dieser Aufenthalt hat sie gegen 10 000 Reichstaler gekostet. Wenn sie auch keine große Haushaltung geführt haben, so haben sie doch große Ausgaben gehabt. Die guten Leute haben nun gesehen, [116] daß das Wohnen in Hildesheim keinen Zweck für sie hatte. So sind sie denn von Hildesheim nach Hannover gezogen und haben dort im Hause meines Schwagers, des reichen Leffmann [Behrens], gewohnt. Dort sind sie auch geblieben und sind alle beide in Hannover mit gutem Namen und in hohem Alter gestorben, wovon ich noch manches berichten werde.

Wir sind [damals] gut im Geschäft gesessen. Mein ältestes Kind, meine Tochter Zipora, war nun bald zwölf Jahre alt. Da hat uns Loeb [Hamburger], der Sohn des Anschel, in Amsterdam die Heirat mit meinem [späteren] Schwiegersohn Koßmann, dem Sohne des Elia Cleve 4), vorgeschlagen. Weil nun mein sel. Mann doch zweimal im Jahre nach Amsterdam gereist ist, hat er diesmal seine Reise sechs Wochen früher als gewöhnlich gemacht und hat an den Heiratsvermittler geschrieben, er wollte zusehen, was [in der Sache] zu tun wäre. Damals war Krieg 5); darum hatte Elia Cleve seinen Wohnsitz (von Cleve weg) verlegt und war mit seinen Leuten nach Amsterdam gezogen. Als nun mein sel. Mann nach [117] Amsterdam gekommen war, ist sofort das Gerücht hierher gedrungen, daß er sich mit Elia Cleve verschwägern sollte. Dieses ist am Posttage gewesen, an dem die Leute ihre Briefe auf der Börse gelesen haben. Viele Leute haben es nicht glauben wollen; es ist sogar viel Geld auf der Börse darüber verwettet worden, ob die Heirat stattfinden würde. Denn Elia Cleve ist ein sehr reicher Mann gewesen und hat den Namen gehabt, 100 000 Reichstaler oder mehr zu besitzen, was auch die Wahrheit war. Mein Mann aber ist damals noch jung gewesen; wir waren eben erst emporgekommen und hatten ein Häuschen voll Kinderchen (Gott möge sie behüten!). Aber was der Höchste beschließt, das muß geschehen, wenn es Menschen auch nicht gerne sehen, und im Himmel wird vierzig Tage vor der Geburt eines Kindes ausgerufen: Der und der soll die Tochter von dem und dem nehmen 6).

 

Sabbath. Hauptbild: Sabbathgottesdienst in der Synagoge.

Mittelbild unten: Sabbathmahlzeit, Lichtsegen und «Kiddusch» im Hause.

Seitenbilder unten: links «Kiddusch» in der Synagoge, rechts «Hawdalah» in der Synagoge.

(Stich, unterzeichnet: G. Eichler inv. et del. G. P. Nusbiegel sculp.

Aus: Bodenschatz, Kirchliche Verfassung der heutigen Juden. II. S. 157, Fig. 5.)

 

So hat mein sel. Mann sich mit dem reichen Elia Cleve verschwägert und unserer Tochter 2200 Reichstaler in holländischem Geld als Mitgift bestimmt. Sie haben die Hochzeit auf 1 1/2 Jahre später festgesetzt und die Hochzeit sollte in Cleve sein. Mein sel. Mann sollte auch noch 100 Reichstaler als Beitrag zu den Kosten der Hochzeit geben.

Als nun die Zeit der Hochzeit herankam, sind wir zusammen – ich und mein sel. Mann und ein Säugling, den ich bei mir hatte, und meine Tochter Zipora, die Braut, und Rabbi Meïr von der Klaus, der jetzt Rabbiner in Friedberg ist, und unser Diener, der feine Schmul, und [118] eine Dienstmagd – also mit einer großen Suite zur Hochzeit gereist. Wir fuhren von Altona aus zu Schiff in Gesellschaft von Mordechai Cohen, Meir Ilius und Aron Todelche. Was wir für eine lustige Reise gehabt haben, kann ich nicht beschreiben. So sind wir glücklich in aller Lustigkeit und Vergnüglichkeit nach Amsterdam gekommen. Es ist aber wohl noch drei Wochen vor der Hochzeit gewesen 7). Wir haben bei dem erwähnten Loeb Hamburger gewohnt und haben jede Woche mehr als zwölf Dukaten verzehrt. Aber wir haben dieses nicht geachtet; denn in den drei Wochen, die wir vor der Hochzeit in Amsterdam waren, hat mein Mann die halbe Mitgift verdient.

 

Cleve um 1700

 

Vierzehn Tage vor der Hochzeit sind wir «mit Pauken und Reigentänzen», mehr als zwanzig Leute an der Zahl, nach Cleve gereist und sind dort mit allen Ehren aufgenommen worden. Wir sind da in ein Haus gekommen, das wirklich wie ein Königspalast und in aller Art wohl möbliert gewesen ist. Den ganzen Tag hat man keine Ruhe gehabt vor vornehmen Herren und Damen, die alle gekommen sind und die Braut haben sehen wollen. Wirklich ist meine Tochter gar schön gewesen und hat nicht ihresgleichen gehabt. Nun ist große Zurüstung zu der Hochzeit gewesen.

 

Prinz Friedrich, der spätere Kurfürst Friedrich III, von Brandenburg,

seit 1701 König Friedrich I. von Preußen

 

Zu jener Zeit ist in Cleve der Prinz 8) gewesen. Damals hat der älteste Prinz, welcher Kurprinz war, noch gelebt und dieser (Prinz Friedrich) ist ein junger Herr von ungefähr dreizehn [119] Jahren gewesen. Aber nicht lange danach ist der älteste Kurprinz gestorben und dieser ist an seiner Stelle Kurprinz geworden. Auch Prinz Moritz 9) und andere Fürstlichkeiten und vornehme Herren sind dort gewesen. Sie haben alle sagen lassen, daß sie bei der Kopulation sein wollten. Daher hat sich der Vater des Bräutigams, Elia Cleve, natürlich vorher auf so hohe Gäste eingerichtet. Am Hochzeitstage, gleich nach der Trauung, war eine vorzügliche Kollation von allerhand Konfitüren und auserlesenen fremden Weinen und Früchten hergerichtet. Nun kann man sich wohl denken, was für eine Verwirrung da gewesen ist und wie Elia Cleve und seine Leute alle ihre Gedanken darauf gerichtet hatten, solche vornehme Gäste zu traktieren und wohl zu akkomodieren (d. h. es ihnen bequem zu machen). Daher haben sie nicht einmal Zeit gehabt, einer dem andern die Mitgift zu liefern und vorzuzählen, wie es sonst üblich ist. So haben wir unsere Mitgift und Elia Cleve die seinige in Beutel getan und versiegelt, damit man sie nach der Hochzeit zählen sollte.

 

 

Hochzeit:

Die Hochzeitsprozession.

Das Brautpaar unter dem Trauhimmel.

(Aus: Bodenschatz, Kirchliche Verfassung der

heutigen Juden. IV. S. 126, Fig. 10. und 11.)

 

Wie man nun mit dem Brautpaar unter dem Trauhimmel stand, stellte sich heraus, daß man in dem großen Trubel vergessen hatte, die Ketuba 10) zu schreiben. Was [120] sollte man nun tun? Alle Vornehmen mit dem jungen Prinzen haben schon dagestanden und wollten zusehen. Da sagte der Rabbiner Meir [Raudnitz] 11), der Bräutigam solle einen Bürger stellen und sich verpflichten, sofort nach der Hochzeit eine Ketuba schreiben zu lassen. Der Rabbiner las darauf die Ketuba aus einem Buche vor 12). Nach der Trauung führte man alle Vornehmen in Elia Cleves großes Prunkgemach, das mit goldenem Leder ausgeschlagen war. Darin stand ein großer Tisch, auf dem die feinsten Leckerbissen waren. So hat man die Vornehmen nach ihrer Würde traktiert. Mein Sohn Mordechai war damals ein Kind von ungefähr fünf Jahren; es gab kein schöneres Kind in der Welt, und wir hatten ihn sehr schön und sauber gekleidet. Alle die Vornehmen haben ihn schier aufgefressen und besonders der Prinz hat ihn stets bei der Hand gehalten. Wie nun die Vornehmen von den Konfekten und Früchten gegessen und auch wohl von den Weinen getrunken hatten, hat man den Tisch abdecken lassen und hinausgetan. Dann sind verkleidete Leute hineingekommen und haben sich gar schön präsentiert und allerhand Possen gemacht, die zur [121] Ergötzlichkeit gedient haben. Zuletzt haben die Verkleideten einen Totentanz 13) aufgeführt, der sehr rar gewesen ist. Auf der Hochzeit waren auch viele vornehme Portugiesen, darunter war einer Namens Mocatta, ein Juwelier, der hatte ein schönes, goldenes, mit Diamanten besetztes Uehrchen im Werte von 500 Reichstalern bei sich. Elia Cleve hat das Uehrchen von Mocatta gefordert und wollte es dem Prinzen schenken. Aber ein guter Freund stand dabei, der sagte ihm: «Wozu soll dir das? Du willst dem jungen Prinzen so ein großes Geschenk geben? Wenn es noch der Kurprinz wäre, ließe es sich noch tun.» Aber, wie schon erwähnt, nicht lange danach ist der Kurprinz gestorben und der junge Prinz, der nun auch Kurfürst ist, an seine Stelle gekommen. Elia Cleve aber hat es später dem Freunde, der ihn gehindert hatte dem Prinzen das Geschenk zu geben, jedesmal, wenn er zu ihm kam, mit großem Aerger vorgeworfen. Gewiß hätte auch der junge Prinz, wenn Elia Cleve ihm das Geschenk gemacht hätte, es ihm in Ewigkeit nicht [122] vergessen; denn große Herren vergessen solche Sachen nicht. Nun, es hat keinen Zweck über Vergangenes zu klagen. Aber der junge Prinz samt dem Fürsten Moritz und allen Vornehmen sind doch sehr vergnügt hinweggegangen und kein Jude hat wohl in hundert Jahren solche Ehre gehabt. Also ist die Hochzeit in aller Freude zu Ende geführt worden.

Nach der Hochzeit bin ich nach Emmerich zu dem Grab meiner Schwester Hendel gefahren 14). Was ich für Kummer und Herzeleid [durch den Tod meiner Schwester] gehabt habe, ist Gott bekannt und es ist immer noch schade, daß ein so junges und über die Maßen schönes Menschenkind die schwarze Erde hat kauen müssen. Sie ist noch nicht 25 Jahre alt gewesen. Aber was hilft es? Was Gottes Wille ist, müssen wir uns gefallen lassen. Sie hat einen Sohn und eine Tochter hinterlassen. Der Sohn ist ein sehr feiner junger Mann gewesen und hat sehr gut gelernt 15); aber er ist leider jung und unverheiratet gestorben, was Freunde und Fremde sehr bedauert haben.

 

Überfahrt von Delfzyl nach Emden

 

Einen Tag nach der Hochzeit haben wir uns mit aller Vergnüglichkeit wieder auf die Rückreise begeben und sind wieder nach Amsterdam gereist um denselben Weg zurückzumachen, auf dem wir gekommen waren; [123] wie es heißt: «Er ging auf seinen Zügen» 15a) So sind wir wieder nach Amsterdam gekommen und sind ungefähr 14 Tage dort gewesen, da mein Mann noch ein wenig dort Geschäfte gemacht hat. Nachher sind wir von Amsterdam nach Delfzyl gefahren; da muß man über das Meer, das der Dollart heißt 16). Der stärkste Mensch, der das Meer nicht gewöhnt ist, muß da todkrank werden; denn da ist ein starker Wasserwirbel und das Schiff wird sehr gerüttelt. Als wir in das Schiff gekommen sind, haben wir unser Gesinde in der Kajüte gelassen, das ist soviel wie ein Haus, und ich und mein Mann haben uns vom Schiffer ein kleines Kämmerchen gedungen, damit wir darin allein sein konnten. In der Wand dieses Kämmerchens ist nach außen eine Luke gewesen, die man hat auf- und zumachen können. Aus der Luke hat man in die Kajüte hineinsehen und hinaus- und hineintun können, was man wollte. Wie wir nun in unser kleines Kämmerchen kommen, sind zwei Bänke darin gewesen, auf die man sich legen konnte. Da sagte mein Mann zu mir: «Glückelchen, da leg' dich hübsch auf eine Bank, ich will dich gut zudecken, und nimm dich in acht, rege dich nicht und liege ganz still, so wird dir das Meer nichts schaden.» Ich war noch niemals darüber gefahren; aber mein Mann war schon öfter über den Dollart gefahren und ist darin erfahren gewesen. [124] Ich bin zwar meinem Mann gefolgt und habe mich still hingelegt; aber in der Kajüte ist meine Magd mit meinem Säugling gewesen und wir haben ein sehr böses Wetter und konträren Wind gehabt. Das Schiff ist sehr hohl gegangen und alle, die in dem Schiffe waren, sind todkrank gewesen und haben sich – mit Erlaubnis zu sagen – übergeben müssen. Wirklich gibt es keine größere Krankheit in der Welt; ich glaube nicht, daß Todesnot schlimmer sein kann. Ich habe es zwar nicht gespürt, so lange ich still gelegen bin. Aber meine Magd ist auch krank gewesen und hat sich nicht regen können und sie hat doch mein Kind bei sich gehabt. Das Kind ist vielleicht auch nicht wohl gewesen und hat angefangen zu heulen und zu kreischen; die Magd hat sich selbst nicht rühren können und hat das Kind weinen lassen. Aber ich konnte es als Mutter, die mit ihrem Kind Mitleid hat, nicht länger mit anhören und mußte von meinem Lager aufstehen. Ich habe das Kind durch die Luke zu mir hereingezogen und es mir an die Brust gelegt. Aber, mein Gott! wie ist mir so weh geworden, es hat mich stracks Todesnot ergriffen. Ich habe mir gedacht, daß gewiß mein Ende da wäre, und habe angefangen das Sündenbekenntnis zu sprechen 17), so gut ich konnte und so viel ich davon auswendig wußte. Mein Mann lag still auf seinem Lager und wußte wohl, daß dies keine Sterbenskrankheit ist, sondern daß sie weggeht, sobald man nur die Füße auf das Trockene stellt. Wie ich nun so mein Sündenbekenntnis spreche [125] und mit aller Andacht an Gott denke, hat mein Mann dagelegen und gelacht. Ich habe das gehört und bei mir gedacht: «Ich liege da in Todesnot und mein Mann liegt da und lacht». Obschon ich nun darüber sehr erzürnt war, so ist doch damals keine Zeit gewesen mit meinem Mann darüber zu zanken; ich habe auch nicht die Kraft gehabt ein Wort zu reden. So mußte ich in meiner Krankheit liegen bleiben, bis wir nach etwa einer halben Stunde ans Land gekommen und aus dem Schiff gestiegen sind. Da ist unsere Krankheit Gottlob auf einmal weggewesen.

Als wir nach Delfzyl kamen, ist es schon vollständig Nacht gewesen und wir konnten nicht mehr in ein Wirtshaus einkehren und auch nicht in eines Juden Haus. Das Wetter war sehr schlecht und wir haben schon gemeint, daß uns nichts andres übrig bliebe als die Nacht auf der Straße zu liegen. Dabei mußten wir den anderen Tag fasten – denn es war der Rüsttag zum Neujahrsfeste – und wir hatten doch den ganzen Tag auf dem Schiffe keinen Bissen gegessen und waren noch matt von der Seekrankheit. Also wollte es uns nicht schmecken, daß wir ohne etwas zu essen und zu trinken auf der Gasse liegen bleiben sollten. Mein Mann ist endlich in der Nacht in das Haus eines Juden gegangen, dessen Bruder die Tochter von Chajim Fürst (in Hamburg) zur Frau hatte, und hat um Unterkunft für uns und unsere Kinder gebeten, damit wir doch wenigstens unter Dach kämen. Der Hausherr hat gleich gesagt: «Kommt in Gottes Namen; mein Haus steht euch offen, ein gutes Bett kann ich euch geben; aber Essen habe ich nicht» – denn es war schon sehr spät und seine Frau war nicht [126] zu Hause, sie war in Emden. So war mein Mann froh, daß wir nur Nachtquartier hatten, und hat uns gleich in das Haus gebracht. Wir hatten noch ein bißchen Brot bei uns, das haben wir den Kindern gegeben. Ich habe Gott gedankt, daß ich zu Bett gekommen bin; ich habe ein sehr gutes Bett gehabt, das war mir lieber als Essen und Trinken. Am andern Morgen sind wir früh aufgestanden und nach Emden gefahren 18). Dort waren wir bei Abraham Stadthagen zu Gast, der mit meinem Mann nahe verwandt war – sein Vater Moses Kramer von Stadthagen war meines Mannes Onkel 19). So sind wir während der Neujahrstage in Emden gewesen und haben sehr angenehme Festtage gehabt, so daß wir unsern Dollart ganz und gar vergessen haben. Abraham Stadthagen war ein vortrefflicher Mann; er hat nicht allein uns fein traktiert und uns alle Ehre in der Welt angetan; er hat auch noch sechs Pletten-Gäste 20) an seinem Tisch sitzen gehabt; die mußten von allem essen und trinken wie wir, und ich kann sagen, daß ich solches noch bei keinem Reichen gesehen habe.

Am Ausgang des Neujahrsfestes sind wir allesamt wieder von Emden weggereist, in der Meinung, daß wir noch zum Versöhnungstage zu Hause sein könnten, und sind ganz früh nach Wittmund gekommen. In Wittmund [127]haben wir uns ein Schiff nach Hamburg gedungen. Eine Tagereise von Wittmund liegt ein Ort Wangerood 21); da müssen die Schiffe anlegen um Zoll zu bezahlen und sich zu erfrischen.

 

Wangerooge

 

Wie wir nun nach Wangerood kamen, sagte uns der Richter 22): «Wo wollt ihr Leute hin?» Da sagte mein Mann: «Wir wollen nach Hamburg.» Darauf sagte der Richter: «Nehmt euch in acht, ihr könnt nicht fortkommen, denn das ganze Meer ist voll von Kaperschiffen, die nehmen alles weg, was sie kriegen können.» Nun war der Versöhnungstag nahe und wir hatten dem Schiffer schon 10 Taler für die Fahrt gegeben; das mußten wir alles verfallen lassen und uns wieder nach Wittmund begeben. Dort mußten wir den Versöhnungstag zubringen und waren bei Breinle, einem Geschwisterkind meines Mannes, zu Gast. Wir haben uns nun mit ihnen überlegt, wie wir fortkommen könnten; denn zu Wasser konnte man wegen der Kaper nicht fortkommen und zu Lande war überall, wo man nur hinkam, viel Militär. Also haben wir uns mit den Leuten in Wittmund besprochen. Die Witwe Breinle war von Hamburg, eine Tochter von Loeb Altona, und war eine sehr kluge, fromme Frau; dazu war sie eine nahe Anverwandte meines Mannes und ist allezeit mit uns gut Freund gewesen. Daher tat sie alles, was möglich war um uns fortzuhelfen. Endlich ist beschlossen worden, daß wir nach dem Versöhnungstage zu Lande heimfahren sollten, und mein Mann sollte sich in Aurich [128] vom General Buditz einen Paß geben lassen; denn der General hatte (so sagte man uns) bei verschiedenen Königen und Herzögen gedient und war bei allen sehr beliebt, so daß wir mit seinem Paß sicher durchkommen könnten. Zum Ueberfluß sollte Meier Aurich veranlassenj,, daß der General Buditz uns einen wackeren Offizier mitgäbe, der als Salveguardia (= Sicherheitswache) mit uns reiste. So ist mein Mann am Rüsttage des Versöhnungsfestes nach Aurich gereist und ist wiedergekommen, als wir gerade anfangen wollten (die letzte Mahlzeit vor Beginn des großen Fastens) zu essen. Er hatte alles nach seinem Wunsche ausgerichtet, auch einen Korporal, einen wackeren, ehrlichen Menschen mitgebracht, der mit uns bis Hamburg gereist ist. Gleich nach dem Versöhnungstage haben wir einen Wagen gedungen bis Oldenburg. Da haben wir beinahe Wagen und Pferde bezahlen müssen; denn es hat sonst keiner (die Fahrt) wagen wollen; jeder Fuhrmann hat für seine Pferde Furcht gehabt. Nun war mein Mann auch in großen Sorgen, wie man sich wohl denken kann, und war sehr unmutig. Ich habe meine guten Reisekleider ablegen und mir alte Lumpen anziehen müssen. Rabbi Meïr 23), der, wie schon erwähnt, bei uns war, sagte zu meinem Manne: «Mein Reb Chajim, warum seid Ihr so unmutig und warum verkleidet Ihr Eure Frau so scheußlich? Darauf erwiderte mein Mann: «Gott weiß, daß ich auf mich nicht achte und auch nicht auf das, was ich an Geld bei mir führe; ich habe nur Sorge um das Weibsvolk, meine Frau und die Magd. «Darum brauchst [129] du dir keine Sorge zu machen» sagte Rabbi Meïr; «ohne Spaß, Ihr irrt Euch in Eurer Frau; Ihr hättet sie nicht so scheußlich auszustaffieren brauchen, man hätte ihr doch nichts getan.» Mein Mann hat sich sehr darüber geärgert, daß Rabbi Meir solchen Scherz getrieben, während ihm doch sehr weh war. Wir sind nun nach Mitternacht von Wittmund weggereist und die Breinle und alle Leute in Wittmund sind ein gut Stück Weges mit uns gegangen und haben uns ihren besten Segen nachgesagt. So sind wir glücklich nach Oldenburg gekommen. Was soll ich noch schreiben, was wir bei Bremervörde 24) und an anderen Plätzen ausgestanden haben? Aber unser getreuer Korporal und unser guter Paß haben uns nächst Gott bis hierher geholfen. Wie wir nun in Oldenburg angekommen sind, hat der ganze Ort nur so von Militär gewimmelt und der Wagen, den wir von Wittmund mitgenommen hatten, hat nicht weiter mit uns fahren wollen, wenn wir ihm auch alles Vermögen der Welt gegeben hätten. Da ist mein Mann gelaufen und hat gesehen einen Wagen zu bekommen; zwei Meilen weit davon, auf einem Dorf, hat er ihn endlich für teures Geld bekommen. Nun sind wir aus Oldenburg herausgefahren und gegen Abend glücklich in das Dorf gekommen; dort sind wir über Nacht geblieben um von dort (am andern Morgen) weiter zu fahren. So sitzen wir nachts bei dem Feuer und unser Wirt und andere Leute aus dem Dorfe sitzen ebenfalls da und schmauchen Tabak. Dabei kommt man [130] auf die eine oder andere Ortschaft zu reden und ein Bauer erzählt vom Herzog von Hannover und sagt: «Mein Herr hat auch 12 000 Mann nach Holland geschickt 25).» Da war mein Mann sehr froh, als er hörte, daß er in dem Hannoverschen Land war. Denn die Lüneburgischen Herzöge halten ihr Land sehr rein; da darf kein Soldat ein Huhn kränken, geschweige denn etwas anderes. Da fragte mein Mann, wie weit Hannover von diesem Dorf wäre. Der Bauer antwortete ihm: Acht Meilen, da hat mein Mann mit dem Bauer ausgerechnet, daß er noch gut Zeit hatte vor dem Laubhüttenfeste in Hannover zu sein, wenn er am nächsten Tage wegreiste. Mein Mann hat nun sogleich einen Wagen gedungen und wir sind am Abend weggereist. Mein Mann hatte eine große Freude, daß es sich just so traf, daß er mit seiner Frau und seinen Kindern die Pflicht der Elternverehrung erfüllen und die Festtage bei seinem Vater und seiner Mutter verbringen konnte. Nach aller unsrer ausgestandenen Unruhe, Sorge und Not sind wir nun sehr vergnügt nach Hannover gekommen. Vor der Stadt ist uns mein Schwiegervater entgegengekommen wie ein Engel, wie der Prophet Elia, mit einem Stecken in der Hand und einem schneeweißen Bart bis an den Gürtel und seine Backen ritzrot. Kurz gesagt: wenn man einen alten, schönen Mann abmalen sollte, hätte man ihn nicht schöner abmalen können. Was wir nun sämtlich für eine Herzerquickung von diesem Anblick [131] gehabt und wie vergnüglich wir die ersten Tage des Hüttenfestes verlebt haben, ist nicht zu beschreiben. Aber in den Mittelfeiertagen sind wir gleich nach Hamburg weitergefahren. Obgleich meine Schwiegereltern gern gehabt hätten, daß wir die ganzen Festtage über bei ihnen geblieben wären, so haben es doch unsere Umstände nicht erlaubt und wir haben ihnen unsere Gründe gesagt. Dann sind wir ganz vergnügt von ihnen weggereist und ich habe sie, ach, alle beide auf dieser Welt nicht wiedergesehen. Gott soll mir die Gnade geben, wenn er mich aus dieser sündigen Welt abberuft, bei ihnen im Paradies zu sein! Obschon wir unsern Korporal gern von uns weggeschickt hätten und ihn gut belohnen wollten, so hat er uns doch gar sehr gebeten, wir möchten ihn mit nach Hamburg nehmen; denn er hätte so viel von Hamburg gehört und wäre in seinem ganzen Leben nicht dort gewesen. Da er sich nun auf dem Wege so gut betragen, hat es ihm mein Mann nicht abschlagen können und wir haben ihn mit nach Hamburg genommen. Wir sind auch richtig am Rüsttag des Schlußfestes nach Hamburg gekommen und haben Gottlob unsere ganze Familie in guter Gesundheit gefunden, wofür wir dem Höchsten sehr zu danken haben. Die Reise von unserem Hause bis wieder nach Hause zurück hat uns über 400 Taler gekostet. Aber wir haben uns nicht viel daraus gemacht; denn unsere Geschäfte sind Gottlob sehr gut gegangen. Gepriesen sei Gott, der uns seine Liebe und Treue nicht entzogen und uns bis hierher beigestanden hat! Nun sind wir nach ausgestandener Mühe wieder in unserem Hause gewesen. [132]

Jetzt will ich von einem Mann namens Moses erzählen, der einige Zeit in Helmstädt gewohnt hat. Das ist, wie mich dünkt, fünf Meilen von Hildesheim entfernt 26). Dort ist eine Hochschule, daher ist es (für Juden) ein böser Ort. Moses Helmstädt ist von dort ausgetrieben worden. Danach ist er nach Pommern gezogen und hat sich Stettin zum Wohnort ausgewirkt. Dort hat er sich mächtige Schutzbriefe verschafft und auch die Münze erhalten [d. h. das Recht], daß er und sonst keiner die Münzen in Stettin liefern dürfe. Es stand auch darin (d. h. in seinem Vertrage), wie teuer sie die Mark fein 27) annehmen sollten, und von der Regierung ist ein Kommissarius darüber gesetzt worden. Nun hat Moses Helmstädt nichts zu eigen gehabt um so ein großes Werk auszurichten. Darum hat er an meinen Mann geschrieben und seinen Schutzbrief mitgeschickt und angefragt, ob mein Mann ihn mit Silber versehen wollte; dann sollte er auch an der Münze Anteil haben und an allen Juwelen, die er kaufen und verkaufen würde.

 

Stettin um 1730

 

Stettin war ein bedeutender Ort und es hatte wohl hundert Jahre und darüber kein Jude dort gewohnt; aber es sind oft sehr viele Juden dorthin gereist, die Gelegenheit zu sehr billigen Ankäufen von Perlen und Edelsteinen dort gefunden haben. Es sind auch viele Edelsteine dort verkauft worden. Mein Mann hat sich nun berechnet, daß an den Dritteln, die in Stettin geschlagen [133] wurden, ein hübscher Verdienst zu machen sei, und wenn man 100 000 solche Drittel gehabt hätte, hätte man so gut wie neue Lüneburger und Brandenburger Drittel (= 1/3 Taler) dafür einwechseln können. Daher schrieb ihm mein Mann: wenn er sich ehrlich und redlich verhalten wolle, so wollte mein Mann mit ihm ein Kompagniegeschäft machen. Bevor er sich in Stettin niederließ, hatte er einige Jahre in Berlin gewohnt und war dort viel Geld schuldig geblieben, was wir aber leider nicht gewußt haben. Wir haben wohl gewußt, daß er kein reicher Mann war; aber wir haben gesehen, daß er an einem sehr bedeutenden Ort wohnte und vortreffliche Schutzbriefe hatte, daß ferner das ganze Land vor ihm offen war, so daß er und seiner zehn dort Großes hätte erreichen können. Aber zu unserm großen Schaden sind wir es [erst später] inne geworden (daß er so tief in Schulden steckte), wie weiter folgen wird. Meinen Sohn Nathan, der damals ein Junge von ungefähr 15 Jahren war, haben wir nach Stettin geschickt um ein wenig mit zuzusehen. Wir haben nun angefangen dem Moses Helmstädt große Partien Silber zu schicken und er hat sie auch gleich an die Münze geliefert und uns dafür die Stettinischen Drittel geschickt, die wir dann in einer Börsenzeit sogleich verkaufen konnten. Es war auch hübscher Verdienst daran, zuweilen zwei vom Hundert oder mehr, zuweilen auch etwas weniger, je nachdem der Kurs der Drittel an der Börse war. Wir haben auch verschiedene Partien Perlen von ihm bekommen und es wurde auch daran hübsch verdient, so daß wir ganz zufrieden waren. [134]

Ungefähr ein Jahr früher bin ich mit meiner Tochter Esther ins Kindbett gekommen. Damals sind uns für unsern Sohn Nathan einige Heiratspartien angetragen worden, darunter auch die verwaiste Tochter des reichen Gemeindevorstehers Eha Ballin 27a). Andererseits ist uns auch eine Verbindung mit der Tochter des reichen Samuel Oppenheim 28) angeraten worden und die Sache war schon fast fertig.

 

Samuel Oppenheimer (1630 - 1703)

 

Aber es scheint nicht von Gott bestimmt gewesen zu sein, daß daraus etwas werden sollte. Wir sollten nämlich alle beide 28a) unsere Mitgiften nach Frankfurt an meinen Schwager Isaak Heimeln schicken. Nun hatten wir stets Edelsteine im [135] Werte von einigen Tausenden bei meinem Schwager liegen und Samuel Oppenheim hatte gleichfalls seine Mitgift dorthin abgeschickt. Aber es war Winter und es war ein großes Hochwasser, so daß das Geld wohl 14 Tage über die bestimmte Zeit hinaus unterwegs war. Unterdessen haben die Heiratsvermittler sehr gedrängt und nicht nachgelassen die Verbindung mit Elia Ballins Tochter zu betreiben. Nun hat sich mein Mann gedacht: «Ich bekomme keinen Brief von meinem Bruder Isaak aus Frankfurt, daß er das Geld laut Akkord erhalten hat. Gewiß wird der reiche Samuel Oppenheim auf andere Gedanken gekommen sein, und wenn wir die Verbindung mit Elia Ballins Tochter auch fahren ließen, so säßen wir zwischen zwei Stühlen im Dreck.» Also haben wir uns resolviert zu Glück und Segen diese Verbindung einzugehen. Die Mutter der Waise 28b) verpflichtete sich ihr außer der ganzen Ausstattung 4000 Reichstaler Banko mitzugeben und wir haben unserm Sohn Nathan 2400 Reichstaler Banco gegeben. So hat die Verlobung zu allem Guten stattgefunden. Acht Tage danach bekamen wir ein Schreiben von meinem Schwager Isaak, daß das Geld angekommen sei; mein Mann sollte sofort und ohne Verzug Vollmacht schicken. Aber es war zu spät. Mein Mann hat nun an seinen Bruder geschrieben und sich exkusiert: er hätte gemeint, nachdem es schon 14 Tage über die Zeit gewesen, daß Samuel Oppenheim anderen Sinnes geworden sei, und da ihm die andre Partie auch genehm gewesen, so hätte er auf den Zweifel hin die Partie nicht mögen zurückgehen [136] lassen. Er wünschte Samuel Oppenheim, daß er für seine Tochter auch eine gute Partie finden möchte, die ihm Freude machte. Aber – mein Gott, was für eine zornige Antwort ist auf diesen Brief von meinem Schwager Isaak gekommen! Das mag ich gar nicht schreiben. Nun – geschehene Dinge sind nicht zu ändern; wir waren doch mit unserer Partie ganz zufrieden; es ist wirklich eine prinzipale Partie gewesen. Der verstorbene Elia Ballin war ein sehr wackerer, ehrliche[r] Mann gewesen, der unter Juden und Nichtjuden einen sehr guten Namen hatte 28c); er war viele Jahre bis zu seinem Tode Vorsteher in unserer Gemeinde gewesen und 4000 Taler Banco war auch eine schöne Mitgift. Wenn nur Gott dem jungen Paare vergönnt hätte so emporzukommen, wie Samuel Oppenheim von Tag zu Tag immer höher gestiegen ist, so wäre alles gut gewesen. Aber der große, barmherzige Gott teilt seine Gaben aus und zeigt seine Milde, wem es ihm beliebt; wir unverständigen Menschen können nichts davon reden und müssen dem guten Schöpfer für alles danken.

Als nun mein Sohn Nathan verlobt war, haben wir ihn (von Stettin) nach Hause kommen lassen, damit er seiner Braut ein Geschenk machte. Dies ist auch mit einer außerordentlich vornehmen Festmahlzeit geschehen und der Anfang ist Gottlob von beiden Seiten in großer Freude gewesen. Vierzehn Tage danach ist mein Sohn Nathan wieder nach Stettin gereist. Wir haben immer weiter mit Moses Helmstädt Geschäfte gemacht. Aber er ist falsch gewesen und die falschen Leute können [137] sich nicht gedulden, wenn sie Geld haben, ob es nun ihnen gehört oder nicht; wenn sie nur Meister darüber sind und es in Händen haben, schreiben sie es sich schon als ihr eigenes zu, wie wir das – Gott soll sich erbarmen – inne geworden sind. Das Schlimme hat damit angefangen, daß er dem Kommissarius oder Kassierer vorwarf, er hätte sich um 1000 Taler geirrt. Da dieser es nicht zugeben wollte und behauptete im Recht zu sein, so hat Moses Helmstädt angefangen mit dem Kassierer vor dem Tribunal in Stettin zu prozessieren, was viel Geld gekostet hat. Danach ist er ein aufgeblasener, dicker, ausgestopfter, hochmütiger Bösewicht gewesen. Er hat 10–12 000 Reichstaler Banco stets in Händen gehabt und hat nicht bedacht, daß dieses Geld nicht ihm gehörte und er es demjenigen wieder zustellen müßte, der es ihm kreditiert hat, wie es sich für einen ehrlichen Menschen zu denken geziemt. Aber sein Gedanke war nur, da er so viel Geld vor sich gesehen: er dürfe sich damit lustig machen, weil er es hat. So hat er sich eine vornehme Kalesche zugelegt mit zwei der besten Pferde, die in Stettin zu bekommen waren, hat sich 2–3 Diener und Dienerinnen gehalten und hat wie ein Fürst gelebt. Dabei war sein Geschäftsgewinn gar nicht sehr groß. Auch hatte er, wie schon erwähnt, bevor er nach Stettin kam, in Berlin gewohnt und hatte wegen Schulden und wegen Uneinigkeiten von dort wegziehen müssen. Aber da der aufgeblasene Narr nun das Geld des guten Chaim Hameln in Händen hatte, konnte er sich nicht länger zurückhalten und hat sich wahrscheinlich gedacht: Ich muß meinen Feinden in Berlin zeigen, was ich für ein Mann [138] geworden bin. So hat er sich seine Kalesche mit vier Pferden genommen und sich 2–3000 Reichstaler in Dritteln mitgenommen. Uns schrieb er, er wolle die Drittel in Berlin gegen Dukaten auswechseln und uns die Dukaten von Berlin aus mit der Post schicken – was jetzt sehr häufig geschieht. Denn es differiert um ein Prozent, so daß er besser daran täte das Geld in Dukaten zu schicken. Außerdem wären die Kosten für die Postsendung bei weitem nicht so groß wie mit Dritteln. Das wäre alles sehr gut und wohl gewesen. Aber als mein guter Moses Helmstädt nach Berlin kam, fing er an mit seinem Geld zu klappern; denn «ein Tier und Geld lassen sich nicht verbergen» 29). Dieses sind seine Gläubiger, Juden und Nicht-Juden, gewahr geworden und haben meinen guten Moses in Arrest nehmen lassen. Kurz gesagt – er hat nicht aus Berlin herausgekonnt, bis er 1800 Reichstaler bezahlt hatte; damit ist das Geld des guten Chaim Hameln weggegangen. Moses Helmstädt ist wieder nach Stettin gereist, hat aber an Chaim Hameln weder Dukaten noch Drittel geschickt. Zu dieser Zeit hat er mehr als 12000 Reichstaler Banco von uns gehabt. Endlich haben wir für 2000 Reichstaler Banco an Dritteln wiederbekommen und Moses Helmstädt hat [139] fortwährend geschrieben, man solle ihm Silber schicken, da die Münze leer stände. Obwohl meinem Sohn Nathan das Geschäft nicht genehm war, hat er doch nichts schreiben dürfen; denn alle seine Briefe sind aufgebrochen worden. Endlich hat er uns durch Kaufleute entbieten lassen, mein Mann solle durchaus nach Stettin kommen. Zu jener Zeit war Isachar Cohen eben aus Kurland hierhergekommen 30). Obwohl ich nun die ganze Geschichte dieses Isachar früher hätte beschreiben sollen, da er damals schon mehr als 10 Jahre bei uns war, so will ich es doch aufsparen und ihn besonders beschreiben. Es ist nichts daran gelegen, ob seiner früher oder später gedacht wird 30a).

So hat denn mein Mann zu Isachar Cohen gesagt: Du mußt mit mir nach Stettin; ich muß sehen, was dort vorgeht. Also sind sie zusammen nach Stettin gekommen und wollten mit Moses Helmstädt abrechnen. Aber er hat sie von einem Tag zum andern hingehalten und hat meinem Manne einige Wechsel auf Hamburg und etwas Perlen und Gold gegeben. Endlich wollte sich mein Mann nicht länger hinhalten lassen und Moses Helmstädt mußte mit ihm abrechnen. Da haben 5500 Reichstaler Banco gefehlt, die er in seiner Rechnung nicht nachweisen konnte. Nun kann man wohl denken, daß meinem Mann gar weh dabei zumute war. Moses Helmstädt hat nun zu meinem Mann gesagt: «Hör' zu, Bruder, ich sehe wohl, daß dir die Rechnung nicht gefällt, wie ich dir auch nicht verdenken kann. Ich habe [140] gefehlt, daß ich dir dein Geld festgelegt 30b) habe; sorge nicht, ich will dir Wechsel von meiner Hand geben; es soll keine 1 1/2 Jahre dauern, da wirst du deine völlige Bezahlung haben; komme nur mit mir hinauf in meine Betstube.» Mein Mann geht mit ihm hinauf in seine Betstube, die er in seinem Hause hatte. Da nimmt er die heilige Thorarolle aus dem heiligen Schrein in seinen Arm und schwört bei allen heiligen Buchstaben und bei anderem, was ich nicht nutzlos schreiben mag 31), er wolle zur rechten Zeit, wenn die Wechsel verfallen seien, meinem Mann ehrlich bezahlen; denn er hätte wohl etwas um zu bezahlen, er steckte nur mit seinem Gelde fest 30b) und wenn mein Mann bezahlt wäre, dann wollte er schon weiter machen, daß mein Mann mit ihm wohl zufrieden sein sollte. So redete er noch viele solche Worte, die nicht wert sind das Papier damit auszufüllen. Obschon dieses meinem Mann nicht geschmeckt hat und Isachar Cohen sehr wütend war und mit Gewalt haben wollte, daß mein Mann mit Moses Helmstädt prozessieren sollte, so wollte mein Mann doch nicht vor dem Tribunal in Stettin einen Prozeß führen, denn Schweden ist ein böses Land 32) . So ist denn mein Mann betrübt mit seinen Wechseln nach Hamburg gereist und hat mir die betrübte Zeitung gebracht. Obschon er mir solches nicht gern hat sagen wollen, so hat solches doch nicht vor mir verschwiegen bleiben können. [141]

Zu jener Zeit habe ich gerade meinen Sohn Loeb unter dem Herzen getragen. Man kann wohl denken, wie uns zumute gewesen ist; denn keine 14 Tage zuvor hatten wir bei einem Bankerott in Prag 1500 Taler verloren, bei einem Kaufmann in Hamburg 1000 Taler. Außerdem war mein Sohn Nathan verlobt und sollte in ungefähr 1/2 Jahr heiraten; das hat uns über 3000 Reichstaler gekostet. Kurz, wir haben berechnet, daß uns in diesem Jahre mehr als 11000 Reichstaler Banco aus den Händen gegangen sind. Dabei sind wir sozusagen noch junge Leute gewesen, hatten erst ein Kind verheiratet und haben unser Häuschen voll von Kindern (Gott behüte sie!) gehabt, so daß es uns sehr große Sorge machte unsern ehrlichen Namen zu erhalten, und wir mußten noch alles geheim halten. Ich bin vor Gram darüber ganz krank gewesen, aber vor der Welt habe ich solches auf meinen Zustand der Schwangerschaft geschoben. Aber «ein Feuer brannte in meinem Innern». Mein Mann hat mich getröstet, ich habe ihn getröstet, so gut wir gekonnt haben. Es war eben um die Zeit der Messe von Frankfurt am Main, zu der mein Mann reisen mußte, wie er zu jeder Messe dort war. Er ist am Donnerstag morgens von Stettin angekommen und gleich am Freitag mußte er wieder fort nach Frankfurt. So ist er mit traurigem Gemüt von mir fortgegangen. Ehe er fortgereist ist, habe ich Isachar Cohen um des Himmels willen gebeten, er möchte mit ihm reisen; weil er so sehr niedergeschlagen war, wollte ich ihn nicht gern allein reisen lassen. Aber wie Isachar uns allerwegen seine Bosheit bewiesen hat, so hat er es da auch getan und hat nicht mitreisen wollen, wenn mein [142] Mann ihm nicht verspräche ihm zwei vom Hundert von allem zu geben, was er einkauft oder verkauft. Was hat man tun sollen? Ich habe meinen Mann nicht allein reisen lassen mögen, so haben wir Isachar allen seinen Willen tun müssen. Mein Mann hat mit mir geredet und mich um Gottes willen gebeten nicht weiter daran (d. h. an die Angelegenheit mit Moses Helmstädt) zu denken; ich habe ihm die Hand darauf geben müssen, daß ich es vergessen will, und mein Mann hat mir auch zugesagt, er wolle nicht mehr daran denken. Dabei haben wir von den Wechseln (die uns Moses Helmstädt übergeben hatte) wenig gehalten, wie wir auch wirklich von all dem Geld nicht mehr als den einen Wechsel bezahlt bekommen haben; bei allen anderen hat er seine Unterschrift verleugnet und die Sache hat uns noch mehrere Hunderte gekostet. So ist denn mein Mann am Freitag nach Harburg gekommen und ist über den Sabbat, bis zur Abfahrt der Post nach Sabbatausgang, dort geblieben. Er hat mir noch von Harburg einen großen Brief mit lauter Tröstungen geschrieben: ich sollte mich doch zufrieden geben, Gott werde uns alles an anderer Stelle wieder ersetzen. Dieses ist auch wirklich geschehen und mein Mann hat in Frankfurt eine so gute Messe gehabt, wie er sie in seinem ganzen Leben nicht gehabt; er hat auf dieser Messe viele Tausende verdient. Dem Höchsten sei dafür gedankt, der seine Gnade und Barmherzigkeit nicht von uns abgewendet und allezeit zu der Wunde eine Heilung geschickt hat! Damals hatte ich mir gerade gedacht, daß keiner in der Welt mehr Kummer und innerliche Sorgen [143] hätte als ich, und hatte nicht (das Wort) beachtet: Die ganze Welt ist voll Pein, ein jeder find't das Sein'.

So gab es auch einen Philosophen, der auf der Gasse ging; da begegnete ihm einer von seinen guten Freunden; er grüßt ihn und fragt ihn, wie es ihm geht. Der Freund dankt ihm und sagt: «Es geht mir sehr schlecht; ich habe mehr Sorgen und Beschwerden als einer in der ganzen Welt.» Der Philosoph sagt darauf: «Nun, mein guter Freund, wenn du willst, komme mit mir auf das Dach; so will ich dir alle Häuser in der ganzen Stadt zeigen und will dir sagen, was für Leiden und Unglück in einem jeden Hause steckt, und wenn es dir beliebt, so wirf deine Leiden zwischen die andern Leiden hinein und nimm dir eins heraus; vielleicht kannst du etwas finden, was dich befriedigt.» Also gingen sie zusammen auf das Dach; der Philosoph zeigt seinem Freunde in diesem Hause dieses Unglück und in jenem Hause jenes. «Tue nun also, wie ich dir gesagt habe.» Darauf sagte er zu seinem philosophischen Freunde: «Ich sehe doch wohl, daß in jedem Hause so viel und vielleicht noch mehr Ungemach und Leiden stecken als die meinigen; ich will lieber die meinigen behalten.» So sind unsere menschlichen Gedanken; ein jeder meint, daß er am meisten zu leiden hat. Darum ist nichts besser als die Geduld; denn wenn Gott der Allmächtige will, kann er alles sehr bald von uns nehmen.

Nach dieser Zeit ist mein Vater sehr krank gewesen; er hat an Zipperlein gelitten, aber es war eine Krankheit, die zu seinem Tode geführt hat. Seine Glieder haben angefangen anzuschwellen und er hat länger als ein Vierteljahr auf dem Krankenlager gelegen. Wir sind [144] jede Nacht, oft bis Mitternacht, bei ihm gewesen und haben oft gemeint, daß es mit ihm zu Ende gehe. Als es nun bald so weit war, daß Gott ihn vom zeitlichen zum ewigen Leben hat nehmen wollen, da waren wir auch wieder bis spät in der Nacht bei ihm, und da ich hochschwanger war, so hat meine Mutter veranlaßt, daß ich mit meinem Mann heimgegangen bin. Als wir ungefähr eine Stunde lagen, kam jemand aus dem Hause meines Vaters und klopfte: mein Mann solle doch gleich nach meines Vaters Haus kommen. Nun waren wir gewöhnt, daß solches sehr oft geschehen ist. Daher hat mein Mann nicht leiden wollen, daß ich mitginge, und hat mich überredet liegen zu bleiben; wenn er sehe, daß es – Gott behüte – nötig wäre, wollte er nach mir schicken. Ich habe mich überreden lassen und bin liegen geblieben und sofort fest eingeschlafen. Wie nun mein Mann zum Hause meines Vaters kommt, ist mein Vater gerade in dem Augenblick verschieden gewesen; es war ungefähr um Mitternacht. Mein Mann wollte nicht leiden, daß man mich aufwecken sollte, und sagte, es wäre in zwei oder drei Stunden auch noch Zeit. Aber wie ich in meinem besten Schlaf liege, klopft etwas dreimal so stark an meine Tür, als wenn das ganze Haus umfallen sollte. Ich springe sogleich aus dem Bett heraus und frage, wer da klopft; aber keiner gibt eine Antwort. Da werfe ich mir sogleich meine Robe über und laufe nach dem Hause meines Vaters, wo ich alles so gefunden habe, wie eben erwähnt. Nun kann man wohl denken, wie mir zumute gewesen ist und wie wir uns gegrämt haben; da ich meinen lieben Vater habe verlieren müssen. Er ist am 24. Tebet in allen Ehren und in gutem Greisenalter [145] gestorben. Lange Zeit habe ich mich nicht zufrieden geben können, bis mir Gott nach dem Ende der 30tägigen Trauerzeit einen jungen Sohn beschert hat, durch den meines Vaters Namen Loeb wiedergeboren worden ist.

 

Gebräuche bei der Geburt:

a) Gebetsversammlung bei einer Wöchnerin;

b) Wachnacht bei einer Wöchnerin.

(Stich, unterzeichnet: 1. C. Müller inv. et sculpsit.

Aus: Bodenschatz, Kirchliche Verfassung , . . IV, S. 61, Fig. 5.)

 

Aber seine Geburt schien auf viele Widerwärtigkeiten zu zeigen; denn als er auf die betrübte Welt gekommen ist, hat er bis 24 Stunden beständig gelegen und gekrächzt, so daß die Hebamme und alle Weiber nicht anders gemeint haben, als daß man das Kind nicht werde durchbringen können. Aber dem lieben Gott hat es gefallen, daß das liebe Kind sich alle Tage gebessert hat und gut aufgewachsen ist, so daß ich mich mit dem Kind an Stelle meines lieben Vaters getröstet habe, und ich bin mit dem Sohn sehr erfreut gewesen. Meine liebe Mutter ist mit drei verwaisten Kindern zurückgeblieben. Mein seliger Vater hat meiner lieben Mutter 1600 Reichstaler und jedem seiner Kinde[r] ungefähr 1400 Reichstaler hinterlassen. Die Kinder hätten sogar mehr gehabt; aber sie sind um mehr als 1000 Reichstaler gekommen, wovon ich vielleicht noch schreiben werde. Mein Mann und mein Schwager Joseph 33) haben keinen Anteil an dem Erbe begehrt, obwohl sie jeder ein urkundliches Anrecht auf einen halben Sohnesanteil hatten, und haben alles für meine Mutter und ihre verwaisten Kinder stehen lassen. Die beiden haben auch meinen Bruder Wolf ein Jahr nach dem Tode meines Vaters mit der Tochter des Jakob [146] Lichtenstadt (in Prag) verlobt. Dieser war als ein sehr angesehener, wackerer Mann bekannt; er war bis zu seinem Tode Landesvorsteher und war hervorragend an Reichtum. Aber schließlich hatte er Streit mit seinem Stiefsohne Abraham Lichtenstadt, so daß er gegen Ende seines Lebens in seinen Vermögensverhältnissen herabgekommen ist. Mein Schwager Joseph ist mit meinem Bruder Wolf zum Verlobungsmahl gereist und mein Mann ist mit ihm um die Zeit der nächsten Leipziger Messe zu seiner Hochzeit gereist in Begleitung von Isachar Cohen, der damals Diener (= Angestellter) bei uns war. Mein Schwager Joseph und mein Mann sind vollständig auf ihre eigenen Kosten gereist und haben meiner Mutter keinen Pfennig Spesen angerechnet. Mein Schwager Joseph hat bei seiner Rückkehr von dem Verlobungsmahl Wunderdinge erzählt, wie vornehm alles dort gewesen und wie herrlich alles hergegangen ist; denn damals war Jakob Lichtenstadt noch auf seiner Höhe. Mein Mann ist mit dem Bräutigam zur Hochzeit gereist, die auch mit allen Ehren vor sich gegangen ist. Dann ist mein Mann wieder heimgereist und mein Bruder ist mit seiner jungen Frau noch eine Zeitlang dort geblieben.

Als mein Vater starb, hatte er all sein Vermögen in Juwelen festgelegt; da haben sich mein Mann und mein Schwager Joseph bemüht und eine Auktion gemacht und alles verkauft, damit meine Mutter ihre Töchter ausgeben (= verheiraten) könne, wenn ihr etwas Gutes vorkäme. So haben sie nicht lange darauf in Leipzig meine Schwester Mate mit dem Sohne des reichen und [147] gelehrten Rabbinatsbeisitzers Rabbi Model 34) verlobt und die Hochzeit ist hier in Hamburg gewesen. Es ist bekannt, was für ein vortrefflicher Mann der Rabbi Model war, und seine fromme Frau Pessele hatte an Bravheit nicht ihresgleichen in der ganzen Welt; seit den Stammüttern Sara, Rebekka, Rahel und Lea hat es sicher keine Frau gegeben, die an Frömmigkeit ihr gleich war. Dabei war sie auch eine sehr tüchtige Frau, sie hat das Geschäft geführt und ihren Mann und ihre Kinder reichlich ernährt, sowohl in Wien als auch später, da sie in Berlin gewohnt haben. Denn Model Ries ist allezeit ein bettlägeriger Mann gewesen, der wenig Geschäfte hat machen können. Aber er war doch ein Mann von hervorragender Klugheit, von dem die ganze Welt zu erzählen wußte, und war auch bei dem Kurfürsten von Brandenburg sehr beliebt. Dieser hat einmal gesagt: Wenn die Füße des Mannes so wären wie sein Kopf, so hätte er nicht seinesgleichen. Er und sie sind in [148] Berlin in Ehre und Reichtum gestorben. Merkwürdiges ist in dem Testament zu lesen, das sie gemacht hat; ich mag nichts davon schreiben; wer es lesen will, kann es noch bei ihren Kindern finden; denn sie werden es gewiß nicht weggeworfen haben.

Nun war noch meine jüngste Schwester Rebekka übrig. Sie hat sich (nachher) auch gut verheiratet und den Sohn meines Schwagers Loeb Hameln in Bonn zum Mann bekommen 35). Dieser Loeb Bonn, ein sehr wackerer Mann, ist viele Jahre Landesvorsteher in seiner Gegend gewesen und hat auch einen hübschen Reichtum gehabt. Er ist mit seinem Sohne Samuel hierhergekommen und hat hier [dessen] Hochzeit gefeiert. Es ist alles in Ehre und Freude vollendet worden. Man hat meiner lieben, frommen Mutter bei der Ausrichtung der Hochzeit nicht angemerkt, daß sie eine Witwe war, sondern es ist alles so schön und herrlich zugegangen, als wenn mein seliger Vater noch gelebt hätte. Keiner von den vornehmsten Leuten der Gemeinde ist ausgeblieben, ihr zu Ehren sind sie alle gekommen.

Nach der Hochzeit ist mein Schwager Loeb Hameln wieder nach Hause gereist und ist kaum ein halbes Jahr danach den Weg alles Irdischen gegangen; er ist in Reichtum und gutem Namen gestorben. Aber mein Schwager Samuel Bonn ist darauf mit meiner Schwester nach Bonn gezogen, um dort das Erbe seines Vaters anzutreten. Er hat auch glücklich dort gewohnt und einem jeden viel Gutes getan und sie haben ihn zum Gemeindevorsteher an Stelle seines Vaters gemacht. [149] Aber einige Jahre danach ist der Krieg gewesen, den der König von Frankreich mit dem Kaiser und mit Holland führte; da zogen die Franzosen vor Bonn und nahmen es ein 36). Dabei wurde sein Haus, das er vom Vater geerbt hatte, mit anderen Häusern verbrannt und geplündert. So kam er um alles Seinige und konnte sich dort nicht länger aufhalten; er kam dann nach Hamburg. Es wäre viel davon zu schreiben, wie er wieder zurechtgekommen und [dann] leider wieder zurückgekommen ist. Er ist ein wahrhaft frommer und gottesfürchtiger Mensch gewesen. Gott möge ihm und ganz Israel aus allen ihren Nöten helfen, auch seinen Kindern, die in Ehre und Reichtum geboren und erzogen und auch verheiratet worden sind und denen zum Teil leider das Glück gar nicht [wohl] gewollt hat! Gott möge sich in seiner großen Gnade wieder über sie alle erbarmen!

Meine Mutter hatte nun alle ihre Kinder in Reichtum und Ehre und in aller Vergnüglichkeit verheiratet. Als mein Vater starb, war sie ungefähr 44 Jahre alt. Obwohl ihr verschiedene gute Partien angetragen wurden, so daß sie wieder einen Mann hätte nehmen und zu großem Reichtum kommen können, ist die liebe, fromme Frau doch lieber in ihrem Witwenstande geblieben und hat sich mit dem wenigen, was sie übrig behalten, allein in ihrer Stille beholfen und sich damit redlich und schön ernährt. Dabei hat sie doch in ihrem eignen Häuschen [150] gewohnt und ihre Großmagd 37) bei sich gehabt und ruhig und gut gelebt. Möchte doch der gütige Gott jeder Frau, die – Gott behüte – ihren Mann verliert, auch eine solche Gesinnung geben! Wie vergnüglich die liebe Frau lebt und wie viel Gutes sie von dem bisselchen tut und wie geduldig sie in allem ist, was ihr Gott zuschickt, davon wäre viel zu schreiben. Was für ein Vergnügen wir Kinder und ihre Enkelchen von der lieben Frau haben, ist nicht zu sagen. Gott möge sie bis zu 100 Jahren gesund lassen!

Danach hatten wir meine Tochter Hanna mit Samuel, dem Sohne meines Schwagers Abraham Hameln 38), verlobt. Ob wir nun diese Partie gern oder nicht gern gemacht haben, so ist es doch von Gott so beschert gewesen; denn meine selige Schwiegermutter hat es haben wollen. Es war damals um die Zeit der Frankfurter Messe. So ist denn mein seliger Mann zusammen mit Jochanan und Mendel und Loeb Goslar dorthin gefahren. Als die Messe aus war, mußten sie von dort sogleich nach Leipzig reisen. Wie sie nun nach Fulda kamen, ist Jochanan dort krank geworden und nach vier bis fünf Tagen gestorben. Mein Mann und Mendel und Loeb Goslar wollten zusammen bei ihm bleiben; aber der fromme, brave Jochanan wollte es nicht leiden. So sind sie also nach Leipzig gereist; sein Sohn Ahron, der mit nach Frankfurt gereist war, ist bei dem Vater geblieben. Aber ehe die andern nach Leipzig kamen, [151] haben sie leider die traurige Nachricht vernommen, daß Jochanan tot ist. Nun kann man wohl denken, was für ein Schrecken unter den Leuten gewesen ist. In Leipzig hat sich gleich danach auch Mendele, der Sohn des gelehrten Michel Speyer aus Frankfurt, gelegt und ist nach 7–8 tägiger Krankheit leider auch gestorben. Was für ein Schrecken und was für eine Bestürzung darüber in Leipzig gewesen ist, kann man sich leicht denken. Wir haben alle die traurige Nachricht nach Hamburg bekommen. Nicht genug, daß sie das Leid vor sich sehen mußten, daß der junge, wackere Mensch, der noch nicht 24 Jahre alt war, so jämmerlich von der Welt gekommen ist – sein Schwiegervater Moses, der Sohn des Nathan, der auch in Leipzig war, hat nicht einmal gewußt, wie er ihn zu einem jüdischen Begräbnis bringen sollte; denn es war damals sehr schlimm und gefährlich in Leipzig 39). Kurz – mit großer Mühe und einflußreicher Vermittlung und vielem Geld haben sie es erreicht, daß man die Leiche wegbringen durfte. So haben sie die Leiche nach Dessau gebracht, welches die nächste jüdische Gemeinde von Leipzig war – es ist sechs Meilen von Leipzig entfernt. Das hat über 1000 Taler gekostet und sie haben noch Gott gedankt, daß sie die Leiche aus Leipzig herausbekommen haben.

Unterdessen sind mein seliger Mann und Loeb Goslar auch in Leipzig fast todkrank geworden und haben sich mitten aus der Messe in ihrer Krankheit nach Halberstadt bringen lassen. Mein seliger Mann hat Moses Schnauthan und Isachar Cohen bei sich gehabt. Als sie [152] nach Halberstadt kamen, war mein Mann so krank, daß man ihn schon aufgegeben hat. Also hat Isachar an mich geschrieben und mich getröstet, ich sollte mich nicht erschrecken, es wäre nicht so gefährlich, und er hat meinen Mann so lange gedrängt, bis er den Brief unterschrieben hat. Aber da hat einer eine Unterschrift sehen sollen! Kein Mensch hat einen Buchstaben erkennen können. Nun kann man sich wohl denken, wie mir und den Kindern zumute war. Den Brief habe ich am ersten Tag des Wochenfestes bekommen. Am Tage vor dem Feste waren alle unsere Familienväter von Leipzig heimgekommen, nur mein Mann nicht; es war auch nicht einmal ein Brief von ihm da. Alle Familienväter sind gleich nach ihrer Ankunft, ehe sie noch in ihre Häuser gingen, zu mir gekommen und haben mir zugeredet, daß ich mich beruhigen sollte; es würde alles gut werden. Aber was hat es helfen können? Man kann sich denken, was für Festtage wir verbracht haben. Während des Festes habe ich ja nichts tun können. Aber gleich am Tage danach habe ich meinen Sohn Mordechai und Jakob, den Sohn des Chaim Polak, und Chawa nach Halberstadt geschickt, ob sie meinen Mann noch lebendig fänden. Ich habe – Gott sei es nicht vorgehalten – fasten und beten lassen und sonstiges mit Buße, Gebet und Almosen 40) getan, so gut ich konnte. Gott hat sich auch erbarmt und hat meinem Mann geholfen, daß er ein bißchen zurechtgekommen ist und einen Wagen für sich hat mieten lassen. Isaak Kirchhain, bei dem er war, hat [153] ihm ein Bett mitgegeben, so daß er sich im Wagen niederlegen konnte, und außerdem noch einen Wagen, in dem seine Wärter gewesen sind. Bei ihm in seinem Wagen hat nur noch einer gesessen, der nach ihm gesehen hat. So ist mein Mann krank und kümmerlich nach Hause gekommen. Aber wir haben alle den lieben Gott höchlich gelobt und ihm gedankt, «daß er i[h]n uns und nicht der Erde gegeben hat 40a). Der gütige Gott hat ihm sein Leben noch sechs Jahre verlängert 41) und ihn noch zwei Kinder verheiraten lassen, wie später folgen wird.

Aber ich habe vergessen von dem Tode meines seligen Schwiegervaters zu schreiben, der viel früher war, wohl mehr als drei Jahre 42), bevor mein Mann krank aus Leipzig gekommen ist. Damals schrieb man meinem seligen Manne: «Siehe, dein Vater ist krank 43).» Da hat er all seine Geschäfte liegen lassen und ist nach Hannover gereist, um seinen Vater in seiner Krankheit zu besuchen. Er ist wohl drei Wochen dort geblieben. Mein Schwiegervater als ein Mann von 80 Jahren, dem seine Kräfte ohnedies vergangen waren, hatte gemeint, er würde sofort sterben, wenn er nur meinen Mann wiedergesehen hätte. Denn mein Mann war sein jüngstes [154] Kind und er liebte ihn sehr, «denn er war ihm ein Sohn des Alters 44)». Aber als mein Schwiegervater sah, daß sein Sohn Chaim drei Wochen bei ihm war und daß es Gott noch nicht gefiel ihn zu sich zu nehmen, da sagte mein Schwiegervater: «Mein Sohn, ich habe dich hierherkommen lassen und bin der Meinung gewesen, daß du bei meinem Ende sein sollst. Aber du bist ein großer Geschäftsmann und bist jetzt schon drei Wochen bei mir gewesen; du hast das Deinige getan. Ich befehle mich Gott; reise du in Gottes Namen wieder heim nach deinem Hause!» Wenn auch mein Mann sich geweigert hat und bei ihm bleiben wollte, so hat doch sein Vater ihm ausdrücklich befohlen heimzureisen; die andern Kinder, die bei ihm waren, sind auch wieder in ihre Heimat gereist.

Ehe aber mein Mann nach Hause kam, ist bei uns folgendes passiert. Gegenüber meinem Bett hat noch ein kleines Kinderbett gestanden. Damals lag meine Tochter Hanna, ein Mädchen von ungefähr elf Jahren, darin. Nun bin ich des Morgens zum Frühgebet aufgestanden und nach dem Bethaus gegangen. Unterdessen kommt die kleine Hanna ganz erschrocken aus ihrer Kammer gelaufen und kann sich vor Schrecken nicht regen. Das Gesinde fragt: Hanna, was fehlt dir? Warum siehst du so erschrocken aus? Da sagt das Kind: «Ach Gott, ich bin aufgewacht und habe sehen wollen, ob die Mutter noch liegt; da habe ich einen alten Mann in dem Bett liegen sehen mit einem großen Bart; ich habe mich sehr erschrocken und bin aus dem Bett gesprungen und die Treppe heruntergelaufen und habe mich dabei [155] nach dem Bett umgesehen. Da hat der alte Mann seinen Kopf aus dem Bett emporgehoben und sich immer nach mir umgesehen.»

Als ich aus dem Bethaus heimgekommen bin, ist noch ein Geflüster und ein Geschwätz unter meinem Gesinde gewesen; ich habe gefragt und wollte wissen, was vorgegangen ist, aber keiner wollte mir etwas sagen. Zwei Tage danach ist mein seliger Mann heimgekommen und er war kaum acht Tage wieder zu Hause, da bekam er die Nachricht, daß sein Vater, der fromme Rabbi Joseph, gestorben sei.

Meines Mannes Trauer und Schmerz ist nicht zu beschreiben. Gleich nach den sieben Trauertagen hat er sich zehn Talmudgelehrte gedungen und ein eigenes Zimmer in seinem Hause eingerichtet, worin man nur gemeinschaftlichen Gottesdienst abgehalten und Tag und Nacht nichts andres getan als Thora gelernt hat. Mein seliger Mann ist das ganze Trauerjahr nicht aus dem Hause gekommen (d. h. nicht weggereist) um nur keinen Kaddisch 45) zu versäumen. Zwölf Wochen nach dem Tode meines Schwiegervaters war mein Schwager Isaak Hameln in Wesel, wo sein Sohn Samuel Hochzeit machte. Von da aus reiste er nach Hannover, um das Grab des Vaters zu besuchen und die anderen Brüder kamen auch dorthin und schrieben an meinen Mann, er solle auch sogleich nach Hannover kommen. So ist er denn am anderen Tag in der Frühe aufgestanden und nach Harburg gefahren. Er hatte so viele Leute bei sich, daß er [156] Gebetsversammlung halten konnte 46), und hat auf der ganzen Reise kein Kaddischgebet versäumt, wenn es ihn auch viel Geld gekostet hat.

Als er nach Hannover kam, hat er das Testament gelesen. Es war wunderbar zu sehen, mit welcher Gottesfurcht und Weisheit es abgefaßt war. Sie haben auch erzählt, wie mein Schwiegervater als ein wahrer Weiser 46a) gestorben und ganz sanft «wie im Kusse» eingeschlummert ist – wie auch alle seine frommen Kinder so gestorben sind. Die Hinterlassenschaft meines Schwiegervaters haben seine Kinder ganz nach seiner letztwilligen Bestimmung geteilt; keiner hat gegen den andern ein ungebührliches Wort geredet. Mein Mann ist nur acht Tage in Hannover geblieben und hat seine liebe Mutter getröstet, so gut er konnte. Obwohl er seine Mutter sehr gebeten hat, mit ihm nach Hamburg zu ziehen, so hat doch die fromme Frau durchaus nicht gewollt und sich von ihrem frommen Manne auch im Tode nicht trennen wollen. Zwei Jahre darauf ist sie auch gestorben und ist neben meinem Schwiegervater beerdigt worden. Sie ist 82 Jahre alt geworden. Die beiden sind ein so liebes, gottgesegnetes Ehepaar gewesen, wie man seinesgleichen nicht findet. Gott möge uns ihr Verdienst genießen lassen! Wenn wir (mein Mann und ich) doch unsere Jahre in so gutem Alter gemeinsam zugebracht hätten! Aber es hat dem Höchsten anders gefallen. [157]

Nach dieser Zeit ist mein Mann nach Amsterdam gereist. Dort ist ihm für unsere Tochter eine Heirat mit Moses Krumbach 47) vorgeschlagen worden. Mein Mann hat sich zu dieser Heiratspartie etwas zu schnell entschlossen. Nachdem die Verlobung geschehen war, hat es mir mein Mann [erst] geschrieben. Das Verlöbnis hat in Cleve bei Elias Gomperz, dem Vater meines Schwiegersohnes (Koßmann Gomperz), stattgefunden; denn dieser hatte Vollmacht von Abraham Krumbach, in seinem Namen abzuschließen. Aber bevor ich die briefliche Nachricht von meinem Manne bekommen habe, daß meine Tochter Esther verlobt sei, habe ich von verschiedenen Seiten Briefe gehabt, worin man uns gemahnt hat die Partie nur ja nicht zu machen; denn der junge Mann hätte viele Fehler. Aber keinen Tag danach habe ich einen Brief von meinem Mann bekommen (worin er schrieb), daß er das Verlöbnis abgeschlossen hätte und sich sogleich auf den Weg hierher machen wolle. Man kann sich nun denken, wie mir zumute war und welche Freude ich mit der Partie gehabt habe. Ich habe aber nichts tun können, bis mein Mann nach Hause gekommen ist.

Eine Woche danach kam mein Mann nach Hause und meinte, ich würde ihn mit großer Freude empfangen und [158] wir würden uns beide zusammen mit der Partie sehr freuen. Statt dessen bin ich ihm mit großer Schwermut entgegengekommen und habe kaum meinen Mund aufmachen können. Mein Mann konnte mir wohl ansehen, daß mir etwas fehlte; aber wir beide wollten uns unser glückliches Zusammensein nicht zerstören. So vergingen einige Tage, ohne daß wir miteinander von der Partie sprachen. Unterdessen bekam mein Mann einen Brief von einem sehr guten Freunde, der ihm schrieb, er hätte gehört, wir wollten diese Partie machen; wir sollten es nur ja nicht tun oder wir sollten wenigstens den jungen Mann erst sehen. Mein Mann erschrak darüber sehr und sagte zu mir: Glückelchen, du mußt auch davon wissen; denn ich habe es an deinem Unmut gemerkt. Darauf zeigte ich meinem Mann alle Briefe, die ich vor seiner Rückkehr nach Hause bekommen hatte. Mein Mann erschrak und betrübte sich darüber sehr; denn es gab keinen Fehler, den man nicht von dem Jungen geschrieben hätte. Wir wußten uns keinen Rat zu geben; denn die Partie war schon abgemacht. So habe ich denn an Frau Jachet, die Mutter unsres zukünftigen Schwiegersohnes, geschrieben; ich erinnere mich noch genau an die Ausdrücke, die ich damals brauchte. Zuerst habe ich ihr und allen freundlich Glück gewünscht; dann habe ich geschrieben: es wären uns von einigen Seiten Briefe zugekommen, die uns mitteilten, daß der Bräutigam einige Fehler hätte. Wir wollten annehmen, daß es Lüge sei, und in diesem Falle bäten wir sehr, sie sollten doch wie üblich den Bräutigam zum Verlobungsmahl zu seiner Braut schicken, und wenn wir dann sähen, wie wir wohl nicht anders hofften, daß es Verleumder und Lügenkrämer [159] seien (die das Schlechte aufgebracht hätten), so würden wir den Bräutigam mit größter Freude und in aller Vergnüglichkeit empfangen, und es würde an feinen Geschenken und an aller Ehrenbezeigung nicht fehlen. Sollte es aber – was Gott verhüten wolle – Wahrheit sein, so bäten wir, ihn nicht zu schicken; denn wir würden unser Kind nicht so scheußlich betrügen. Wenn sie aber gedächten ihren Sohn doch zu schicken, weil wir ohnedies mit ihnen schon nahe befreundet und verschwägert wären, und meinten, daß wir die Fehler nicht beachten und geschehen lassen würden, was schon geschehen ist, so sollten sie es ja nicht tun. Wenn die Angaben über ihren Sohn – Gott behüte – wahr wären, so müßte man es von beiden Seiten verschmerzen und sie könnten alle Fehler in der Welt meiner Tochter anhängen – und solche Wendungen mehr.

Nun kann man sich wohl denken, wie der vornehmen Frau Jachet dieser Brief in der Nase gekribbelt hat. Sie hat [in einem Brief] voll Geringschätzung und Zorn darauf erwidert: Sie hätte die Absicht gehabt, ihren Sohn sofort zu seiner Braut zu schicken; aber da sie nun sehe, was wir schreiben, so müßten wir, wenn wir ihren Sohn sehen wollten, selbst kommen oder einen nach Metz schicken. Nun ist eine lange Zeit mit eitel verdrießlichem Briefwechsel hingegangen und wir haben zu keinem Entschluß kommen können. Ueberdies ist gerade damals ein großer Krieg zwischen dem französischen König und dem deutschen Reich gewesen 48), so daß einer nicht gut zu dem andern hat kommen können. [160]

Unterdessen haben wir die Hochzeit meiner Tochter Hanna mit aller Vergnüglichkeit gefeiert. Ich habe auch vergessen zu erwähnen, daß schon lange zuvor die Hochzeit meines Sohnes Nathan mit Mirjam, der Tochter des verstorbenen Elia Ballin, in Freuden gefeiert worden war. Mein Schwiegersohn Kosmann [Gomperz] und meine Tochter Zipora sind auch hingekommen und wir haben ihnen alle ihre Unkosten erstattet und noch Geschenke dazu gegeben. Auch Jakob Hannover 49) ist mit seiner Frau Süße zu dieser Hochzeit gekommen und sonst noch viele fremde Leute, so daß es eine sehr vornehme Hochzeit gewesen ist. Mir sind in demselben Jahre mehr als 10000 Reichstaler Banco aus Händen gegangen. Gepriesen sei der getreue Gott, der uns unsere Schäden allemal so reichlich wieder ersetzt hat! Hätte mir Gott nur die Krone meines Hauptes (= meinen Mann) gelassen, so wäre kein glücklicheres Ehepaar in der Welt gewesen als wir. Aber wegen unserer großen Sünden und um uns alles erleiden zu lassen, was der gnädige Gott über uns beschlossen, hat er meinen Mann zu sich in das ewige, glückliche Leben genommen und uns in dieser vergänglichen, mühseligen Welt gelassen. Wir wollen den Schöpfer bitten, daß unser Ende nach seinem Willen und Wohlgefallen sein soll und daß er uns, wenn es ihm beliebt, zu sich in den Garten Eden bringen möge. Amen! [161]

Als mein Mann, wie ihr schon gehört, von Hannover wiederkam und der Nachlaß von seinem Vater geteilt war, ist es etwa zwölf Wochen nach dem Tode meines Schwiegervaters gewesen. Ich war damals guter Hoffnung mit meinem Sohne Joseph. Die ganze Zeit meiner Schwangerschaft hat mein Mann immer gehofft, daß ich einen Sohn bekommen werde, damit er den Namen seines seligen Vaters erneuern könne – wie es dann auch Gottlob geschehen ist.

Ich will, meine lieben Kinder, hierbei ein Exempel schreiben, das Wahrheit ist. Wenn junge Weiber, die guter Hoffnung sind, Früchte oder sonst irgend etwas Eßbares sehen und nur irgend ein Verlangen danach haben, so sollen sie sogleich davon essen; denn es könnte sonst – Gott behüte – eine Lebensgefahr für sie sein und das Kind im Mutterleib könnte dadurch entstellt werden – wie ich das an mir selbst erfahren habe. Ich habe vorher immer darüber gespottet und gelacht, wenn ich gehört habe, daß eine Frau Gelüste nach etwas hatte und davon Schaden gehabt hat. Ich habe ganz und gar nicht daran geglaubt; vielmehr bin ich oft, wenn ich guter Hoffnung war, über den Markt gegangen und habe allerlei schöne Früchte gesehen und wohl darauf gemerkt, aber wenn sie mir zu teuer waren, habe ich sie stehen lassen und es hat mir auch in Wahrheit nichts geschadet. Aber es sind nicht alle Zeiten gleich; das bin ich eines Tages gewahr geworden, als ich mit meinem Sohn Joseph im neunten Monat der Schwangerschaft war. Meine Mutter hatte damals bei einem Advokaten zu tun, der auf dem Pferdemarkt 49a) wohnte; da bat [162] mich meine Mutter, ob ich nicht mit ihr gehen könnte. Obwohl der Weg von meinem Hause aus sehr weit und es schon kurz vor der Zeit des Nachmittagsgebetes 50) war – es war damals der Anfang des Monats Kislev – so wollte ich es doch meiner Mutter nicht abschlagen; denn ich war noch ganz frisch. So bin ich denn mit meiner Mutter in die Stadt hinein gegangen. Gegenüber dem Hause des Advokaten wohnte eine Frau, die Mispeln zu verkaufen hatte. Ich habe die Mispeln allezeit sehr gern gegessen; so sagte ich denn zu meiner Mutter: «Vergiß doch nicht, wenn wir wieder zurückgehen, will ich einige von den Mispeln kaufen.» Wir gingen nun zu dem Advokaten und verrichteten dort, was wir zu tun hatten. Als wir aber fertig waren, ist es sehr spät und fast Nacht gewesen, so daß wir unseres Weges gegangen sind und beide die Mispeln vergessen haben. Wie ich nun nach Hause komme, fange ich an, an die Mispeln zu denken, und ich denke bei mir und es tut mir leid, daß ich vergessen habe sie zu kaufen. Ich habe es aber eben nicht sehr beachtet, nicht mehr, als wenn einer etwas gern ißt, das er gerade nicht hat. Abends habe ich mich gutes Muts schlafen gelegt; aber nach Mitternacht habe ich Geburtswehen bekommen und die Hebamme holen lassen müssen und habe einen Jungen bekommen.

Man hat meinem Manne sogleich die Botschaft gebracht und er hat eine große Freude gehabt, daß er den Namen seines frommen Vaters wieder hatte. Aber [163] die Frauen, die in meinen Kindsnöten bei mir waren, haben arg die Köpfe zusammengesteckt und viel miteinander geflüstert. Ich habe das gemerkt und habe wissen wollen, was vorgeht. Endlich hat man mir gesagt, daß das Kind über seinen ganzen Leib und Kopf voll brauner Flecken wäre. Sie mußten mir ein Licht an mein Bett bringen, daß ich es sehen konnte. Da habe ich gesehen, daß das Kind nicht allein voll von solchen Flecken war, es hat auch dagelegen wie ein Häufchen Lumpen und hat nicht Hand noch Fuß gerührt, als wenn ihm Gott behüte sogleich die Seele ausgehen sollte. Es hat auch nicht saugen oder nur seinen Mund auftun wollen. Mein Mann hat es auch gesehen und sich sehr darüber betrübt. Das alles ist Mittwoch Nacht gewesen, am Donnerstag danach hätte die Beschneidung sein sollen; aber wir haben gar keine Wahrscheinlichkeit dazu gesehen; denn das Kind ist alle Tage schlaffer geworden 51). So ist der Sabbat gekommen; wir haben zwar Freitag Abend die Sochor-Feier 52) gemacht, haben aber keine Besserung an dem Kind verspürt. Am Sabbat-Ausgang, als mein Mann das Habdalah-Gebet 53) verrichtet hatte, war meine Mutter bei mir. Da sagte ich zu meiner Mutter: Ich bitte dich, laß meine Sabbatfrau 54) zu mir [164] kommen; ich will sie wegschicken. Meine Mutter fragt mich, warum ich sie wegschicken will. Da sage ich zu ihr: «Ich habe mir die ganze Zeit überlegt, warum das Kind die Flecken hat und warum es so schlaff ist. Da habe ich mir gedacht, ob nicht schuld daran ist, daß ich nach den Mispeln Verlangen hatte und sie nicht bekommen konnte. Wirklich bin ich ja in derselben Nacht ins Kindbett gekommen. Ich will die Frau hinschicken; sie soll mir für ein paar Schilling Mispeln holen, ich will dem Kinde davon ein bißchen in den Mund streichen; vielleicht wird Gott sich erbarmen und seine Hilfe geben, daß es besser wird.» Meine Mutter zürnte sehr über mich und sagte: «Ewig hast du solche Possen in deinem Kopf. Es ist ein Wetter, als wenn Himmel und Erde zusammengehn wollten, und die Frau wird gewiß in dem Wetter nicht hingehn; es sind auch bloß Torheiten.» Ich sagte aber: «Liebe Mutter, tut mir den Gefallen und schickt die Frau hin; ich will ihr geben, was sie verlangt, wenn ich nur die Mispeln bekomme; mein Herz ist sonst nicht ruhig.» So haben wir denn die Frau rufen lassen und sie hingeschickt etliche Mispeln zu holen. Die Frau ist heimgelaufen; es ist ein weiter Weg und ein Wetter in der Nacht gewesen, daß man keinen Hund hinausjagen sollte. Die Zeit hat mir gar lang gewährt, bis die Frau wiedergekommen ist, wie es gewöhnlich geht, wenn man ein Ding gern haben will, da währt einem jeder Augenblick eine Stunde lang. Endlich ist die Frau gekommen und hat die Mispeln gebracht. Nun weiß man wohl, daß die Mispeln kein Essen für so ein Kind sind; denn sie schmecken säuerlich. Aber ich habe doch meiner Wartefrau befohlen, sie solle das Kind aufwickeln, sich [165] mit ihm vor den Ofen setzen und ihm ein bißchen von den weichen Mispeln in den Mund streichen. Obschon mich alle wegen meiner Torheit ausgelacht haben, so habe ich doch darauf bestanden und sie hat also tun müssen. Wie nun die Wartefrau dem Kinde von den weichen Mispeln ins Mäulchen streicht, tut das Kind sein Mäulchen so begierig auf, als wenn es alles mit einem Male hineinschlucken wollte, und saugt begierig das Weiche von einer ganzen Mispel ein, während es vorher nicht sein Mäulchen öffnen wollte um ein Tröpfchen Milch oder sonst ein Zuckerpäppchen, wie man den Kindern macht, zu sich zu nehmen. Danach gibt mir die Wartefrau das Kind auf mein Bett um zu sehen, ob es saugen will. Sobald nun das Kind an die Brust kommt, fängt es an stracks zu saugen wie ein Kind von einem Vierteljahr und von da an bis zur Beschneidung sind ihm alle die Flecken von seinem Körper und seinem Gesicht weggegangen bis auf einen Flecken, der ihm an der Seite stehen geblieben ist, so groß wie eine breite Linse.

 

Gebräuche bei der Beschneidung: a) Die Zeremonie. b) Das Festmahl. c) Die Utensilien.

(Aus: Bodenschatz, Kirchliche Verfassung . . . IV, S. 61, Fig. 6.)

 

Bei der Beschneidung war das Kind frisch und gesund und wohlgestaltet; man hat Gottlob zur rechten Zeit die Beschneidung vollziehen können 54a) und es war eine gar vornehme Beschneidungsfeier, wie sie in langer Zeit in Hamburg nicht gewesen ist. Obwohl wir damals durch den Bankerott eines Portugiesen Isaak Vas 55) 1000 Mark Banco verloren haben, so hat doch mein Mann solches nicht geachtet gegenüber der Freude, die ihm durch die Geburt des Sohnes zuteil geworden [166] war. Ihr seht also daraus, liebe Kinder, daß es nicht bloße Torheit ist mit Weibergelüsten und daß man solches nicht allezeit verachten soll.

Nach dieser Zeit bin ich wieder mit einem Kinde guter Hoffnung geworden und es ist mir sehr übel ergangen. Als ich im siebenten Monat war, habe ich ein Fieber bekommen, das ganz unnatürlich war. Wenn ich es am Morgen bekommen habe, habe ich vier ganze Stunden Kälte gehabt; danach habe ich vier Stunden Hitze bekommen und danach vier Stunden – mit Verlaub zu sagen – Schweiß, was mir noch ärger als Hitze und Kälte gewesen ist. Man kann sich wohl denken, wie mich das abgemartert hat. Ich habe keinen Bissen essen können, obschon man mir die auserlesensten Gerichte gebracht hat. Einmal, an einem sehr schönen Sommertage, bittet mich mein Mann, ich sollte doch mit ihm ein wenig auf den Wall gehen, der nicht weit von unserem Hause war, um mich ein wenig zu divertieren; vielleicht würde mir dann das Essen besser schmecken. Ich sagte zu ihm: Ihr wißt ja wohl, daß ich nicht die Kraft habe zu gehen. Darauf sagte mein lieber Mann: Ich und die Wärterin wollen dich führen. So habe ich mich überreden lassen und habe mich so auf den Wall führen lassen, wo ich mich im grünen Gras niedersetzte. Unterdessen hat mein Mann den Todros bestellt, der Koch bei Texeira 56) war, und hat [167] eine Mahlzeit herrichten lassen, die auf eine königliche Tafel hätte kommen dürfen. Als sie fertig war, wurden wir heimgerufen und mein Mann dachte, wenn ich nach Hause käme und meinen Tisch gar schön ohne mein Vorwissen gedeckt und so feine Speisen darauf fände, würde ich Appetit zum Essen bekommen. Aber – mein Gott und Herr – sobald ich ins Haus und in das Zimmer gekommen bin, worin das Essen war, hat mich sogleich ein Ekel befallen, wie ich nur das Essen gerochen habe, und ich habe gebeten um der Barmherzigkeit willen mich oder das Essen wieder aus dem Zimmer zu tun.

So habe ich mich zwei ganze Monate gequält und gar keine Kraft in mir gehabt, so daß ich oft dachte: «Lieber Herr, wenn meine Zeit kommen wird, daß ich mein Kind haben soll, so habe ich ja weder Kraft noch Macht mir zu helfen.» Aber als meine Zeit gekommen war, da hat mir der getreue Gott so gnädiglich geholfen, daß ich das Kind fast ohne Schmerzen gehabt habe. Es ist nun zwar ein schönes, wohlgestaltetes Kind gewesen; aber es hat gleich das hitzige Fieber so wie ich gehabt, und obschon wir Doktoren und alle menschliche Hilfe angewendet haben, so hat solches doch alles nichts geholfen. Das Kind hat sich vierzehn Tage lang in dieser Welt gequält; dann hat Gott es zu sich genommen und mich als eine betrübte Wöchnerin ohne Kind zurückgelassen. Ich habe noch zwei- oder dreimal einen Anstoß von dem Fieber gehabt; aber bevor ich noch aus dem Wochenbett gekommen bin, bin ich wieder frisch und gesund gewesen. [168]

Danach bin ich mit meiner Tochter Hendelchen ins Kindbett gekommen, zwei Jahre danach mit meinem Sohn Samuel, dann mit meinem Sohn Moses, meiner Tochter Freudchen und meiner Tochter Mirjam; diese beiden Jüngsten haben ihren Vater nicht viel gekannt.

Was soll ich viel schreiben, was in der Zwischenzeit passiert ist? Ich habe alle zwei Jahre ein Kind gehabt und mich sehr gequält, wie es natürlich ist, wenn man so ein Häuschen voll Kinder – Gott behüte sie – beisammen hat, und habe mir immer gedacht, daß kein Mensch eine schwerere Last hätte und sich mehr mit Kindern quälen müßte als ich. Aber ich Unverständige habe nicht gewußt, wie wohl mir gewesen ist, wenn ich meine Kinderchen «wie Oelbaumschößlinge um meinen Tisch» 57) sitzen hatte.

Nun, meine herzlieben Kinder, da seht ihr die Geschichte eures verstorbenen Vaters Rabbi Chaim Hameln! Wie gut und schön wäre es gewesen, wenn Gott uns zusammen gelassen hätte, daß wir unsere Kinderchen (gemeinsam) unter den Trauhimmel hätten führen können. Aber was soll ich sagen? Meine Sünden haben dies bewirkt; ich Sünderin bin es nicht wert gewesen.

Mein Sohn Mordechai ist nun herangewachsen; er ist ein sehr schöner Junge geworden und ein wohlgeratenes, feines Kind. Gott soll es ihm bezahlen, wie er Vater und Mutter geehrt hat! In summa, er war in allen Dingen wohl geraten. Einmal war er mit meinem seligen Mann in Leipzig, da hat mein Mann die Kolik bekommen. Da hat alle Welt in Leipzig nicht genug Wunder davon zu erzählen gewußt, was der Junge da [169] an seinem Vater getan hat. Er hat die ganze Nacht bei ihm gewacht und hat nicht gegessen noch getrunken. Es war zwar seine Schuldigkeit an seinem Vater so zu tun; aber mein Sohn ist noch gar jung gewesen. Der liebe Gott hat ihm geholfen, daß sie glücklich und gesund zusammen wieder heimgekommen sind. Mein seliger Mann war leider nicht stark; darum hat er sehr geeilt seine Kinder zu verheiraten und den Tag gefürchtet, der uns leider begegnet ist. Mein Sohn Mordechai ist also früh verlobt worden; seine Braut war die Tochter des angesehenen Vorstehers Moses, des Sohnes des Nathan 58) Mein Mann hat ihm 2000 Reichstaler und Moses, der Sohn des Nathan, hat seiner Tochter 3000 Reichstaler in dänischen Kronen mitgegeben. Die Hochzeit haben wir beide auf gemeinsame Kosten gemacht; sie hat uns zusammen über 300 Reichstaler gekostet. Wir haben ihnen (dem jungen Paare) zwei Jahre lang Kost gegeben und sie bei uns gehabt. Aber kein halbes Jahr danach ist leider meines Mannes Zeit gekommen und unser Maß von Sünden voll gewesen, so daß Gott meinen frommen Mann, unseres Hauptes Krone, von uns genommen hat. Im Jahre 5449 (= 1689) ist Gottes Zorn über uns gekommen und er hat mir mein Liebstes entrissen. Mein seliger Mann hat mich mit acht unversorgten Kindern zurückgelassen und auch die vier, die schon verheiratet waren, hätten ihren treuen Vater noch sehr nötig gehabt. Nun, was soll ich sagen? Gott hat Sünden an uns gefunden, daß ich einen so lieben Mann und meine Kinder einen so vortrefflichen Vater haben verlieren müssen und wir wie Schafe ohne Hirten [170] zurückgeblieben sind. Ich hatte mir immer gedacht, ich würde das Glück haben, daß Gott mich zuerst von uns beiden zu sich nähme. Denn ich war bei Lebzeiten meines Mannes immer kränklich gewesen, und wenn mir etwas fehlte, hat der treue Mann sich immer gewünscht früher zu sterben. Er sagte immer: «Was sollte ich [dann] mit den lieben Kindern tun?» – die er doch so überaus herzlich geliebt. Aber augenscheinlich ist es seine Frömmigkeit gewesen, [die bewirkt hat,] daß Gott ihn früher von der Welt genommen und daß er in Reichtum und Ehre gestorben ist und nichts Böses vor sich gesehen hat. Er hat großen Reichtum gehabt und hat seine Kinder in Ehre und Reichtum verheiratet und er ist selbst ein wackerer Mann von sehr gutem Rufe gewesen. So ist er in Ehre und Reichtum von dieser Welt geschieden und hat seine Kinder so zurückgelassen, daß sie ehrlich durchkommen konnten. Man kann also von ihm sagen, daß er glücklich gestorben ist, wie Solon in seiner Erzählung gesagt hat.

Mich hat er leider in Elend zurückgelassen und es ist mir «jeden Morgen neues Leid» 59) zugekommen. Darüber werde ich in meinem fünften Buch berichten, welches leider ein Buch bitterer Wehklagen wie das Klagelied um Zion sein wird. Wenn mir mein seliger Mann auch genug Geld und Gut zurückgelassen hat, so ist dies doch gegen den großen Verlust gar nicht zu rechnen gewesen. Jetzt wollen wir das vierte Buch schließen – Gott möge uns wieder erfreuen, wie er uns Leiden gebracht hat, und du, einziger Gott, wollest dich meiner Waisen erbarmen! Amen!

 

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1) Er hat sich durch seinen Uebertritt zum Christentum von der Todesstrafe befreit.  

2) d. h. nach der traditionellen Deutung: mit Aufopferung deines Lebens.  

3) wahrscheinlich zu einer anderen Zeit.  

3a) Im Original; ein כבוד = Verehrung, Ehrenbezeugung. (Hebräisch) 

4) Elias Cleve, Sohn des Stammvaters der Familie Gomperz, des Landesrabbiners Mordechai Gumpel in Emmerich (siehe S. 20), hat sich besonders als geschäftlicher Vertrauensmann des Großen Kurfürsten und der kurbrandenburgischen Regierung in Cleve, nicht minder aber auch als Vorsteher und Wohltäter der Judenschaft der Graftschaft Cleve berühmt gemacht. Die Abschaffung des Leibzolls in der Grafschaft Cleve war ihm zu verdanken. Siehe Kaufmann-Freudenthal, Familie Gomperz, S. 18 ff.  

5) In dem Raubkriege Ludwigs XIV. gegen Holland, der 1672 begann, war der Große Kurfürst mit den Holländern verbündet. Seine Clevischen Besitzungen waren wegen ihrer exponierten Lage einem Angriff der Franzosen noch mehr ausgesetzt als das durch seine Küstenlage geschützte Holland.  

6) Talmudisches Zitat (Sota, fol. 2a). Vgl. das deutsche Sprichwort: Ehen werden im Himmel geschlossen.  

7) Genauer wohl: 3 Wochen vor der Abreise von Amsterdam nach Cleve, wie aus dem Folgenden hervorgeht.  

8) Prinz Friedrich, der spätere Kurfürst Friedrich III, von Brandenburg, seit 1701 König Friedrich I. von Preußen, wurde erst durch den Tod seines älteren Bruders Karl Emil (1674) Kurprinz.  

9) Fürst Moritz von Nassau, der damalige Statthalter des Herzogtums Cleve, zeigte sich auch den Juden gegenüber vorurteilslos und duldsam. Siehe Kaufmann-Freudenthal, Familie Gomperz, S. 20.  

10) Urkunde über eine Geldverschreibung, die der Bräutigam der Braut am Hochzeitstage (für den Fall seines Ablebens oder einer Scheidung der Ehe) ausstellte. Durch eine Synhedrialverordnung in der hasmonäischen Zeit ist die Ausstellung und Vorlesung einer solchen Urkunde als notwendiger Bestandteil einer rechtsgültigen jüdischen Eheschließung eingeführt worden.  

11) Rabbi Meïr Raudnitz war damals noch in ziemlich jungen Jahren Rabbiner in Cleve, später in Wesel. Er ist 1724 in Altona gestorben und auf dem dortigen alten Friedhof bestattet (Grabstein Nr. 712). Daß er Rabbiner in Kopenhagen gewesen sei, wird von Grunwald, Hamburgs deutsche Juden, S. 229 (im Anschluß an das Verzeichnis der Grabinschriften des Friedhofes zu Altona) mit Unrecht aus der Grabinschrift herausgelesen. Siehe Dukesz, Chachme AHW (Biographien und Grabinschriften hervorragender Männer von Altona-Hamburg-Wandsbek), Seite 7.  

12) Er las das vorgeschriebene Formular der Ketuba mit Einsetzung der Namen des Bräutigams und der Braut.  

13) Totentänze sind seit dem 14. Jahrhundert in Aufnahme gekommene dramatische Dichtungen und Schaustellungen, in denen durch eine Reihe allegorischer Gruppen unter dem vorherrschenden Bilde des Tanzes die Gewalt des Todes über das menschliche Leben veranschaulicht wurde. In Deutschland wie in Frankreich standen die Totentänze in enger Beziehung zur Kirche und wurden meist in oder bei Gotteshäusern aufgeführt. Die in ihnen enthaltenen Allegorien wurden vielfach in Kirchen und Klöstern bildlich dargestellt; besonders berühmt ist der Totentanz auf einem Gemälde in der Marienkirche zu Lübeck. Siehe W. Wackernagel, Der Totentanz (Kleinere Schriften, S. 302–75). Bemerkenswert ist, daß diese aus spezifisch christlicher Anschauung hervorgegangenen Darstellungen auch in jüdische Kreise Eingang fanden und bei Freudenfesten aufgeführt wurden.  

14) Ihre Hochzeit mit dem Sohne des Gumpel Emmerich ist S. 21 beschrieben.  

15) Die Beschäftigung mit dem Talmud hieß, gleichviel ob von Gelehrten oder von Anfängern die Rede war, «lernen» schlechtweg. Güdemann, «Gesch. d. jüd. Erziehungswesens», III, 68.  

15a) 1. B. Mos. 13, 3 wird von Abraham berichtet, daß er auf dem Rückwege von Aegypten nach Kanaan dieselben Stationen benutzt habe wie auf dem Hinwege (s. Raschi zur Stelle).  

16) Die Fahrt von Amsterdam nach Delfzyl führte nur in ihrem letzten Teile durch den Dollart, an dessen Westseite Delfzyl liegt.  

17) Gläubige Israeliten lassen sich, wenn sie ihre letzte Stunde gekommen glauben, das Sündenbekenntnis vorsagen, wie es am Versöhnungstage in den Bethäusern gesprochen wird.  

18) Die Reise von Delfzyl nach Emden, quer über den inneren Teil des Dollart scheint ohne Schwierigkeit vonstatten gegangen zu sein.  

19) Ein Bruder Josef Hamelns.  

20) Pletten-(=Billetten-)Gäste sind fremde Arme, die von der jüdischen Gemeinde des Orts durch Billetts wohltätigen Gemeindemitgliedern zugewiesen wurden und von diesen eine oder mehrere Mahlzeiten erhielten.  

21) Die (jetzt oldenburgische) Insel Wangeroog ist die östlichste der ostfriesischen Inseln. Dort wurde Zoll bezahlt und frisches Wasser eingenommen.  

22) vielleicht der Ortsvorsteher oder der Vorsteher des Zollamts.  

23) der Klausrabbiner, den sie von Hamburg mitgenommen hatten, s. S. 117.  

24) Bremervörde liegt auf dem Wege zwischen Geestemünde und Harburg, kann also auf der Fahrt von Oldenburg nach Hamburg nur auf einem großen Umwege berührt worden sein. Landau a. a. O., S. 37, vermutet, daß vielleicht ein Stadttor von Oldenburg den Namen Bremer Pforte führte.  

25) Daß Hannover in diesem französisch-holländischen Kriege gegen die Holländer und den Großen Kurfürsten von Brandenburg Partei genommen, erwähnt Berner, Geschichte des preußisches Staates, S. 193.  

26) In Wirklichkeit beträgt die Entfernung ca. 10 deutsche Meilen. In Helmstädt war seit 1576 eine herzoglich braunschweigische Hochschule, die erst 1809 von König Jérome von Westfalen aufgehoben wurde.  

27) d. h. die Mark reinen, unvermischten Edelmetalls.  

27a) Elia Ballin, Gemeindevorsteher, von dem Rabbiner der Hamburger deutschen Juden, Rabbi David Tebele aus Posen, als Gönner gepriesen. Grunwald, Hamburgs deutsche Juden, S. 117.  

28) Samuel Oppenheim aus Heidelberg, der erste Jude, der nach der Judenvertreibung von 1670 wieder nach Wien zog, erlangte als Hofbankier des Kaisers Leopold I. und als Armeelieferant der kaiserlichen Heere großes Ansehen und wußte durch seine geschickten Finanzoperationen den österreichischen Staatskredit sehr zu heben. Der damalige größte Staatsmann und Feldherr des Kaisers, Prinz Eugen, hielt große Stücke auf ihn. Der angesehenen Stellung Oppenheims war es zu verdanken, daß sich nach und nach wieder jüdische Familien in Wien ansiedelten. Er hat auch im Verein mit seinem Schwager Samson Wertheimer eine kaiserliche Verordnung erwirkt, durch die das Erscheinen des berüchtigten judenfeindlichen Buches von Eisenmenger im Gebiete des Deutschen Reiches verboten wurde. Siehe Graetz, Geschichte der Juden, X 278. Kaufmann, Samson Wertheimer (Wien 1888), S. 1, 6 ff.  

28a) d. h. die Eltern des Bräutigams und die der Braut.  

28b) Süsse, Witwe des Elia Ballin, gestorben 1703 (Grabstein Nr. 156 in Altona).  

28c) Im Original: «ist sehr vernahnt gewesen». Landau, a. a. O., S. 63 liest vernant = viel genannt, bekannt, angesehen.  

29) Im Original: a tir und geld lassen sich nicht bergen. Der Sinn der etwas dunkeln Stelle ist wohl: Geld läßt sich ebensowenig verbergen wie ein Tier, das man bei sich hat. Kaufmanns Lesung: «eine Tür» bietet keinen befriedigenden Sinn. Landau (a. a. O., S. 48) meint, daß a tir aus natur korrumpiert sei (wofür aber die Schriftzeichen keine genügende Handhabe bieten) und sieht in den Worten Glückels eine Variante des bekannten Sprichworts: Natur und Liebe lassen sich nicht bergen.  

30) Anscheinend war er im Auftrage Chaini Hamelns auf einer Geschäftsreise in Kurland gewesen.  

30a) Siehe die Anmerkung Nr. 12a zu S. 97.  

30b) Im Original: verstochen = festgesteckt, festgelegt (Landau).  

31) Der Name Gottes darf nach jüdischem Gesetz nicht unnütz ausgesprochen oder geschrieben werden.  

32) Stettin gehörte mit ganz Vorpommern bis zum Stockholmer Frieden (1720) noch zu Schweden.  

33) Joseph war mit Elkele, einer Schwester Glückels verheiratet, s. S. 228.  

34) Model Ries, früher Beisitzer des Wiener Rabbinats, gehörte zu den ersten Exulanten, die nach der Vertreibung der Juden aus Wien (1670) durch die Gnade des Großen Kurfürsten in Berlin Aufnahme fanden. Er war der Begründer des alten Gemeindefriedhofes in Berlin (1672) und ist als einer der ersten (gestorben 1675) dort begraben. Seine Gattin Pessel Ries, deren Tugenden von unserer Glückel hochgepriesen und denen der Stammütter an die Seite gestellt werden, war eine Tochter des Wiener Gemeindevorstehers David Jakob Neumark und eine Schwester des gleichfalls nach Berlin ausgewanderten und später zum Oberrabbiner der Drei-Gemeinden (Altona, Hamburg, Wandsbek) gewählten Rabbi Salomon Mirels Neumark. Der mit einer Schwester Glückels vermählte Sohn des Rabbi Model war Elia Ries, der oben (S. 103) schon erwähnt ist. Vgl. Kaufmann, Die letzte Vertreibung der Juden aus Wien, S. 211 ff.  

35) Ueber Loeb Hameln siehe oben S, 46.  

36) 1688, bei Beginn des 3. Raubkrieges Ludwigs XIV., fiel Bonn, die damalige Residenz des Kölner Erzbischofs, wahrscheinlich durch diesen selbst überliefert, in die Hände der Franzosen.  

37) Die Großmagd, die auf Landgütern die wichtigsten Dienste und die Oberaufsicht versieht, kommt hier auch in einem städtischen Haushalt vor. Landau, a. a. O. S. 54.  

38) Abraham Hameln lebte in Hannover, s. S. 40.  

39) Siehe S. 84.  

40) Das sind die drei Dinge, die nach jüdischer Anschauung (vgl. das Ritual des Neujahrs- und des Versöhnungsfestes) imstande sind das dem Menschen durch seine Sünden drohende böse Verhängnis abzuwenden.  

40a) Segensspruch über einen von schwerer Krankheit Genesenen. Talmud Berachot 54 b.  

41) Der erzählte Vorfall gehört also, wenn Glückel sich richtig erinnert hat, in das Jahr 1683.  

42) Nach dem Memoirbuche von Hannover, das von Kaufmann (S. 180, Anm. 6) zitiert wird, starb Joseph Hameln den 27. Schewat 5437 = 30. Januar 1677. Glückel hat also hier die Zeit zwischen diesem Todesfalle und der schweren Erkrankung ihres Mannes zu kurz angegeben.  

43) Zitat aus 1. B. Mos. 48,1.  

44) Zitat aus 1. B. Mos. 37,3.  

45) Kaddisch ist ein in aramäischer Sprache abgefaßtes Gebet, das zu Ehren verstorbener Eltern von deren Söhnen während des Trauerjahres bei jedem Gottesdienste vorgetragen wird.  

46) Im Original; daß er Minjan gehabt hat. Minjan ist die vorschriftsmäßige Anzahl von zehn Männern, die zur Abhaltung eines jüdischen Gottesdienstes nötig sind.  

46a) Gebräuchliche Wendung beim Sterben der Frommen. Vgl. Raschi zu IV. B. M. 20, 1 (beim Tode Mirjams).  

47) Moses Krumbach-Schwab war der Sohn des hochangesehenen Gemeindevorstehers Abraham Kr.-Schw. und der Agathe (Jachet), einer Tochter des berühmten Elias Gomperz aus Cleve. Die beiden Ehegatten errichteten später in gemeinsamer Stiftung eine reich fundierte Talmudklause in Metz, aus der nachmals das im Jahre 1859 nach Paris verlegte Rabbinerseminar hervorging. Siehe Kaufmann, Einleitung zu Glückel, S. XX. Kaufmann-Freudenthal, Familie Gomperz, S. 280 ff.  

48) Gemeint ist Ludwigs XIV. pfälzischer Raubkrieg, der im Jahre 1688 begann. Metz gehörte damals schon lange zu Frankreich.  

49) Jakob war der Sohn von Glückels Schwager Leffmann Behrens, s. S. 66. Seine Gattin Süße war eine Tochter von Elias Cleve-Gomperz. Siehe Kaufmann-Freudenthal, Familie Gomperz, S. 242.  

49a) Straße in Hamburg.  

50) In jener Jahreszeit – gegen Ende November oder Anfang Dezember – etwa eine Stunde vor Eintritt der Dunkelheit.  

51) Die Beschneidung ist bei einem gesunden Kinde am 8. Tage nach der Geburt vorzunehmen; bei einem kranken oder schwachen Kinde muß sie so lange verschoben werden, bis es die nötige Kraft erlangt hat.  

52) Häusliche Feier (Bewirtung mit Wein und Früchten u. dgl.) am ersten Freitag-Abend nach der Geburt eines Sohnes.  

53) Segenssprüche über Wein, Gewürze und Licht zu Ehren des scheidenden Sabbat. 

54) Sabbatfrau ist eine christliche Frau, die in jüdischen Häusern am Sabbat Lichter anzündet oder auslöscht, Oefen heizt usw. Vgl. Schudt, Jüdisclie Merkwürdigkeiten II, 267 ff.  

54a) Im Original: «Man hat . . . das Kind gejüdischt.»  

55) Grunwald, Portugiesengräber auf deutscher Erde, erwähnt (S. 126) einen Portugiesen Isaak Vas de Miranda, der am 15. Cheschwan 5489 = 1728 gestorben ist. 

56) Kaufmann will aus dem Worte «Discheri» den Namen eines sonst unbekannten Gasthauses «Die Schere» herauslesen. Gemeint ist Manuel Texeira, der schwedische Resident in Hamburg, der daselbst ein glänzendes Haus führte. Siehe A. Feilchenfeld, Anfang und Blütezeit der Portugiesengemeinde in Hamburg. Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte X, 226.  

57) Zitat aus Psalm 128,3.  

58) Schon oben (S. 151) erwähnt.  

59) Zitat aus Klagelieder 3,23.