BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Glückel von Hameln

um 1646 - 1724

 

Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln

übersetzt von Alfred Feilchenfeld

 

Beispiele der im Original vorkommenden

erbaulichen Erzählungen.

 

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[309]

2.

Die falschen Freunde.

 

(S. 204-209 der Kaufmannschen Ausgabe.)

 

Es war einmal ein König, der schickte seinen Sohn in ein fernes Land um allerhand Weisheit zu erlernen. Der Sohn blieb dreizehn Jahre fort; da schrieb ihm der König, es wäre Zeit, daß er wieder nach Hause käme. Der Sohn zog nun heim zu seinem Vater und wurde von ihm mit großer Freude empfangen. Der König veranstaltete für ihn ein großes Festmahl. Bei dem Mahle sprach er zu ihm: „Lieber Sohn, hast du auch viele Freunde in der Stadt gehabt, in der du gelernt hast?“ Da antwortete [310] der Sohn: „Herr König und Vater, die ganze Stadt waren meine Freunde.“ Der König fragte weiter: „Wodurch sind sie deine Freunde geworden?“ Der Sohn antwortete: „Ich habe alle Tage Mahlzeiten veranstaltet und ihnen allezeit guten Wein gegeben.“ Da seufzte der König und schüttehe mit dem Kopf und sagte: „Ich habe gemeint, du hättest viele Weisheit gelernt; jetzt aber habe ich noch keine Weisheit von dir gehört. Du hältst deine Saufbrüder für Freunde, aber das ist falsch. Es ist kein Verlaß auf sie; so lange der Trunk währt, gibt es keine besseren Freunde auf Erden [und es ist so], als ob sie von derselben Mutter [wie wir] geboren wären. Aber wenn die Mahlzeit aus ist, so gehen sie davon, wischen sich den Mund ab und denken: ‹Wirst du mich mehr rufen, so gibt es keinen Zorn; rufst du mich nicht mehr, so habe ich dich geschorn.› Wenn du sie nicht rufst oder wenn sie bessere Zechbrüder bekommen, so werden sie dich nicht mehr achten und deine Brüderschaft ganz vergessen.“

Der Sohn fragte nun: „Herr Vater, welcher heißt ein Freund, daß ich mich auf ihn verlassen kann?“ Da antwortete der König: „Du sollst keinen für einen Freund halten, du habest ihn denn zuvor erprobt.“

„Womit soll ich ihn denn erproben“, sagte darauf der Sohn, „damit ich seinen Sinn und seine Gedanken kenne und seiner Freundschaft versichert bin?“ Da sagte der König: „Nimm ein Kalb und schlachte es, ohne daß jemand davon weiß, und tue es in einen Sack. Dann komme in der Nacht, nimm es über deine Achsel und gehe damit vor das Haus deines Hofmeisters, deines Kammerdieners oder deines Schreibers, rufe ihn zu dir [311] herab und sage ihm: ‹Ei, was ist mir geschehen! Ich habe den ganzen Tag getrunken und bin in der Trunkenheit über meines Vaters Hofmeister zornig geworden, der harte Worte gegen mich geredet hat. Das konnte ich nicht ertragen; da besann ich mich nicht lange, zog meinen Degen heraus und stach ihn tot. Nun fürchte ich, daß mein Vater es gewahr wird und sich in seinem geschwinden Zorn an mir rächen könnte. Darum habe ich den Toten in einen Sack getan, wie du hier siehst; nun bitte ich dich, hilf mir jetz in der Nacht ihn begraben.› Dann wirst du bald merken, was für Freunde du an ihnen hast.“

Der Sohn ging nun und tat also und er kam mit seinem Toten im Sack vor seines Hofmeisters Tür und klopfte an. Da schaut sein Hofmeister zum Fenster heraus und fragt: „Wer klopft so spät in der Nacht an meine Tür?“ Der Königssohn antwortet: „Ich bin es, dein Herr, des Königs Sohn.“ Der Hofmeister macht ihm geschwind die Tür auf und sagt: „Ei, was macht mein Herr allhier so spät in der Nacht?“ Da erzählt ihm der Königssohn die ganze Rede und sagt ihm: „Weil du mein getreuer Hofmeister bist, so hilf mir doch den Toten begraben, ehe es Tag wird.“ Als der Hofmeister dies hörte, sagte er: „Weiche ab von mir mit solchen Sachen!“ Der Königssohn bat den Hofmeister noch einmal gar sehr ihm doch zu helfen. Da wurde der Hofmeister sehr zornig und sagte: „Ich habe mit keinem Säufer und Mörder etwas zu tun, und wenn Ihr mich nicht als Hofmeister behalten wollt, so sind noch mehr Herren vorhanden.“ Mit diesen Worten schlug er die Haustür vor ihm zu und ließ ihn draußen stehen. [312]

Der Königssohn ging weiter vor seines Schreibers Tür; der antwortete ihm auch so. Dann ging er vor seines Kammerdieners Haus und erzählte auch alle die Worte und bat ihn, daß er ihm helfen sollte den toten Körper zu begraben. Der Kammerdiener antwortete ihm: „Es ist zwar wahr, daß ich verpflichtet bin dir zu dienen; aber ich habe mich nicht als Totengräber in deinen Dienst begeben. Ich würde dir auch gern den Gefallen tun; aber ich fürchte mich sehr vor deinem Vater, der so jähzornig ist; vielleicht könnte er es gewahr werden und würde dich und mich erschlagen. Doch begrabe du ihn selbst auf dem Begräbnisplatz, der nahe hierbei ist, und ich will dir Schildwache stehen und dich warnen, wenn jemand kommt.“ Sie taten so und er begrub das Kalb; darauf ging ein jeder wieder nach Hause.

Am Morgen kamen die drei zusammen; da erzählte der Hofmeister von dem bösen Stück, das dem Königssohn begegnet wäre, und wie er von ihm gefordert hätte, daß er den Körper des Erschlagenen begraben sollte, und wie er ihm so ablehnend hätte antworten müssen. Der Schreiber und der Kammerdiener sagten darauf, daß er bei ihnen auch gewesen sei; sie hätten auch keinen Anteil daran haben wollen und er hätte ihn allein begraben. Nun beredeten sie sich es dem König anzuzeigen und meinten, der König werde dann den bösen Sohn erschlagen und sie als getreue Diener annehmen. Sie taten also und zeigten es dem Könige an.

Da sprach der König: „Bei meiner Krone, wenn mein Sohn das getan hat, so soll es ihm sein Leben kosten!“ Er ließ nun den Sohn rufen und hielt ihm die Worte alle vor. Aber der Sohn wollte es nicht gestehen. [313] Da sprachen sie zu ihm: „Du hast ihn ja in einen Sack getan und auf dem Begräbnisplatz begraben.“ Als der König das hörte, sagte er: „Ich will geschwind meine Knechte dorthin schicken; geht ihr auch mit und zeigt ihnen das Grab.“ Sie taten so und brachten den Sack der mit dem Siegel des Königssohnes versiegelt war, zum Könige. Da sprach der König zu seinem Sohn: „Was sagst du nun dazu?“ Da antwortete der Sohn: „Lieber Vater, ich habe ein Kalb zum Opfer geheiligt, und wie ich es geschlachtet habe, da ist es nicht geraten und konnte nicht als Opfer verwendet werden. Es ist aber nicht recht, daß man es auf die Gasse wirft, weil ich es doch geheiligt habe; darum habe ich es in diesem Sack vergraben.“ Der König befiehlt nun den Sack aufzumachen und alles herauszunehmen. Da brachten sie ein totes Kalb zum Vorschein und die drei Diener standen nun vor dem Königssohn beschämt da. Er befahl, man sollte sie ins Gefängnis setzen, und man tat also.

Danach ließ der König seinen Sohn rufen und sagte zu ihm: „Sieh nun jetzt, ob einer für einen Freund zu halten ist, wenn er nicht erprobt ist.“ Der Sohn antwortete ihm: „Ich habe fürwahr jetzt mehr Verstand bekommen, als ich in den dreizehn Jahren gelernt habe, und ich habe nicht mehr als einen halben Freund unter meinen Leuten gefunden; das war der Kammerdiener, der mir auf der Schildwacht stand. Nun, mein lieber Vater, gebt mir jetzt einen guten Rat, was ich mit meinen Dienern machen soll.“ Da sagte der König: „Ich weiß keinen anderen Rat, als daß du alle deine Diener erschlagen sollst, damit dein Kammerdiener, der dir wenigstens Schildwacht gestanden hat, nicht die Untreue von [314] ihnen lerne.“ Da sprach der Sohn: „Wie sollte ich nun so viele Menschen wegen eines [einzigen] erschlagen?'* Darauf sagte der König: „Wenn ein Weiser unter tausend Narren gefangen wäre und es wäre kein Rat, wie man den Weisen von den Narren sollte entrinnen lassen, so riete ich alle tausend Narren zu erschlagen, damit dem Weisen geholfen werden könnte. So ist es auch besser, daß du alle deine ungetreuen Diener erschlägst, damit dein Kammerdiener aus einem halben Freund dir ein ganzer Freund werde.“ Der Königssohn tat also und sein Kammerdiener wurde ihm ein ganzer Freund. Der Königssohn sah nun ein, daß keinem Freunde zu trauen ist, man habe ihn denn erprobt.