BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Philipp Moritz

1756 - 1793

 

Blunt oder der Gast

 

1780/81

 

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Blunt oder der Gast.

Fragment.

 

――――

 

(Mitternacht.)

(Eine düſtere Lampe brennt auf einem Tiſche. Blunt und ſein Weib Gertrude, in alte Decken gehüllt, ſitzen am Tiſche. Adelheid, ihre Tochter, ein Kind von ſechs Jahren, ſchläft auf einem Stuhle.)

 

Gertrude. Was ſitzeſt du da, Mann, und ſieheſt aus, als ob deine Seele mit Mord umginge?

Blunt. Stille, liebes Weib, ſtille! – wecke mich noch nicht auf – ich habe dir eben einen herrlichen Traum gehabt, aber – hin iſt er!

Gertrude. Gott, ſteh mir bei, ſeine böſe Stunde kömmt!

Blunt. Hin iſt er – und Fluch dir, daß du es mir entriſſeſt, das ſüſſe Blendwerk, das meiner Seelen ein Labſaal reichte, das ſie in zehn Jahren nicht geſchmeckt hat!

Gertrude. Er ſchläft und träumt mit ofnen Augen – Gott, mach' unſerm Leiden ein Ende!

Blunt. So recht! – Bete, Weib, immer bete! Ich will nachbeten: Gott mach unſerm Leiden ein Ende!

Gertrude. Erweiche ſein hartes Herz, und gieb ihm Thränen!

Blunt. Erweiche mein hartes Herz – nicht! und gieb mir – keine Thränen! – – Höre auf zu beten, Weib! Ich will keine Thränen, ich will Blut, Blut!

Gertrude. Morde mich, Mörder, und ſtille deinen Blutdurſt!

Blunt. Dich nicht, liebes Weib, dich nicht – du ſollſt noch an meiner Glückſeeligkeit Theil nehmen – und überdem ſollte es ja auch ein Mann ſeyn, den ich ihm opferte – Laß das gut ſeyn! – Sieh wie der Mond durch unſre alten zerbrochnen Fenſter ſcheint – So ſchien er auch einſt, als ich noch der feurige Jüngling war, mein edles Roß beſtieg, und zu dir flog in die Arme der Liebe, – und alle deine Anverwandten wünſchten dir Glück, daß Blunt dich zum Weibe nahm – aber dein alter Vater ſah dich an, und ſagte –

Gertrude. Es wird ein Schwerdt durch deine Seele gehn – –

Blunt. Recht, ſo wars. Was es doch für eine herrliche Sache ums Gedächtnis iſt, daß einem die Sachen, und ſogar die Worte wieder beifallen – Und als du mir einen Sohn gebarſt –

Gertrude. Ach, zum Elende hab' ich ihn geboren.

Blunt. Noch kann ich mir ihn vorſtellen, wie er in ſeinem Huſarenhabit vor mir ſtand, und blühte wie eine Roſe – Wo liegt er begraben, Weib?

Gertrude. In den Wellen des Meeres, Böſewicht, du verſtieſſeſt ihn – weil du arm wurdeſt – Armuth und Noth hätte er gerne mit uns getragen, und du haſt ihn verſtoſſen! –

Blunt. Gott hat mich ja verſtoſſen, Weib, und er iſt doch auch mein Vater –

Gertrude. O fliehe zu –

Blunt. Störe mich nicht! – Jezt halte ich mich wieder an einer ſüſſen Erinnerung – weißt du noch wohl, wie wir einmal ein herrliches Gaſtmahl gaben, wo alle unſre reiche Nachbarn verſammlet waren, die ſich nicht genug über unſre Tapeten und Schildereien verwundern konnten, und ſagten, daß ſie im churfürſtlichen Schloß nicht ſchöner wären – Stopfe doch einen Lumpen in die Fenſterſcheibe, daß die Luft nicht ſo hereingeht! – Und wie da mein hochtrabender Bruder, der kriechende Bürgermeiſter hereintrat, und ich konnte zu ihm ſagen: ſetz dich, iſs und trink, und ſey guter Dinge! aber das ſoll er nicht zu mir ſagen, ſowahr ich lebe, daß ſoll er nicht!

Gertrude. Warum nicht ſtolzer, barbariſcher Mann? – Weißt du nicht, daß wir geſtern unſern letzten Biſſen verzehrt haben, und morgen verſchmachten müſſen, wenn er ſich unſrer Noth nicht annimmt?

Blunt. Er ſoll ſich unſrer Noth nicht annehmen! – Fluchen will ich ihm, ſo lange meine Zunge noch ſtammeln kann, dem niederträchtigen, hohnlächelnden Verräther, der meiner im Unglück ſpotten, und ſagen konnte: Blunt, du biſt tief geſunken! – Aber höre Weib, Gefährtin meines kummervollen Lebens, ich will dir ein Geheimniß entdecken – wenn du ſchweigen und gehorchen kannſt – Mein Demon, wie du weißt, der mich oft des Nachts aus dem Schlafe ſchüttelt, und mir zuruft: Blunt, Blunt, du ſollſt noch einmal reich werden, reicher wie zuvor! – der führte mich eben itzt, da ich hier ſitze, und träume, auf eine ſteile Anhöhe, und zeigt mir unſägliche Schätze, und einen Pallaſt, der von Golde flimmerte, daß mir die Augen dunkel wurden, – und dies alles ſoll dein ſeyn, ſagte er, wenn du mir das Blut eines Mannes opferſt, den ich dir ſenden will! – Und ich ſchwur, die Haut ſchauderte mir, aber ich ſchwur: Sende mir den Mann, und ich will ihn opfern! bei allen Teufeln, ich will ihn opfern! (Die Lampe verliſcht.)

Gertrude. Ich bitte dich, Mann, höre auf – mir wird der Kopf ſchwer – Gönne mir doch eine Viertelſtunde Schlaf!

Blunt. Ja! – leg du dich mit dem Kopf auf den Tiſch, und ich will mich hier auf die beiden Stühle legen, und meine müden Glieder erquicken. Hätten wir den Fremden nicht beherbergt, ſo könnte wir im Bette ſchlafen; doch iſts auch recht gut, daß wir den Fremden beherbergt haben – Wie mir das im Kopf herumgeht – halb bin ich ſchon im Schlafe, und immer geht's mir noch im Kopf herum – Gute Nacht, Gertrude!

Gertrude. Gieb ihm Schlaf, gütiger Gott, daß ſeine zerrütteten Sinne ſich wieder ſammlen, und bewahre ihn vor gottloſen Gedanken, und läſterlichen Träumen! Ich will doch verſuchen, ob ich einſchlafen kann – wenn auch nicht – der Fremde wird uns ſein Nachtlager wohl gut bezahlen! (legt ſich mit dem Kopf auf den Tiſch.)

Adelheid (ſpringt vom Stuhl auf, und läuft ihrer Mutter in die Arme.) Mutter! Mutter!

Gertrude. Was iſt dir, Kind?

Adelheid. Ach ſiehſt du ihn nicht, ſiehſt du ihn nicht?

Gertrude. Wen?

Adelheid. Den Mann mit dem blanken Schwerdt und mit den glühenden Augen – wie er auf mich zukömmt! – O hülle mich in deine Decke!

Gertrude. Das iſt ein Leiden mit dir, daß du immer Geſichte ſiehſt! – Komm hierher an Fenſter, und reibe dir die Augen aus!

Adelheid. Das iſt ja auf einmal ſo helle, Mutter, und iſt doch kein Licht in der Stube.

Gertrude. Siehſt du nicht, daß der Mond ſcheint?

Adelheid. Ach ja! wie er da ſo hell und klar am Himmel ſteht! Aber ganz klar iſt er doch nicht. Das Schwarze iſt ja wohl der Mann im Mond, nicht wahr, Mutter?

Gertrude. O ſchweig, Mädchen, und ſetze dich wieder auf den Stuhl hin! Oben auf dem Boden liegt noch ein Bund Heu, da hätteſt du dich gleich hinlegen ſollen, ſo hätteſt du ruhig geſchlafen. – Setz dich hin! –

Adelheid. Aber liebe Mutter, ſchläft denn der fremde Herr noch in unſerm Bette?

Gertrude. Freilich.

Adelheid. O ich bin ihm recht gut! Es iſt auch ein hübſcher Herr – er ſagte ſo freundlich gute Nacht zu mir – Wenn er nur gut ins unſerm Bett ſchläft, ſo will ich gern auf den Stühlen liegen! – Da hängt noch ſein Überrock auf meinem Stuhle. Was das für goldne Treſſen ſind, und die Knöpfe, ach die blitzen! Ich muß ihn nur da wegnehmen, daß er nicht herunterfällt – weiß ich doch nicht, was unten oder oben iſt – Ach, was fällt da aus der Taſche heraus? wenn es nur nicht entzwei geht! Ich wills geſchwinde wieder aufheben – Hab' ich doch in meinem Leben ſo eine ſchöne Doſe noch nicht geſehn – Da oben ſteht gar ein Bild – ich kann nur nicht recht erkennen –

Gertrude. Was haſt du vor, Mädchen, kannſt du nicht ruhig ſeyn, und ſchlafen?

Adelheid. Ach Mutter, ſieh einmal! (zeigt ihr die Doſe.)

Gertrude (die ſie nimmt, und aufmerkſam betrachtet) Das muß ein reicher Gaſt ſeyn, den wir beherbergen – Wo haſt du die Doſe her?

Adelheid. Als ich den Überrock weghängen wollte, fiel ſie aus der Taſche. Nun? – wenn wir ſie beſehn haben, ſo wollen wir ſie gleich wieder hineinſtecken!

Gertrude (betrachtet noch immer die Doſe. Adelheid ſteht neben ihr. Eine Pauſe.)

Blunt (erwacht.) Bei allen Teufeln, ich will ihn opfern!

Gertrude (fährt zuſammen) Wen?

Blunt. Unſern Gaſt!

Gertrude. Was ſagſt du?

Blunt. Nichts! – Zeig, was haſt du in der Hand, das mir ſo in die Augen blitzt?

Gertrude (giebt ihm die Doſe) Sieh!

Blunt. Ei ſieh! – Eine goldne Doſe mit Brillanten beſetzt? Was meinſt du wohl, wieviel die werth wäre? – Höre, du Mädchen, auf dem Boden liegt noch ein Bund Heu – da leg dich hin, und ſchlaf! – Du magſt ja ſonſt gern im Heu ſchlafen.

Adelheid. Ach Vater, laßt mich doch unten bleiben! Auf dem Boden ſteht die Luke offen, da können ja Eulen und Fledermäuſe hereinkommen.

Blunt. Du kannſt die Luke zumachen – geh hinauf, ſag' ich! – (Adelheid geht.) Komm Gertrude! – Nimm die eiſerne Schaufel und den Spaden, die da hinterm Ofen ſtehn, und folge mir!

Gertrude. Was willſt du machen?

Blunt. Folge mir!

 

(Eine Kammer.)

 

Der Fremde (halbangezogen, ſitzt auf dem Bette.) Schon ein Uhr – Müde bin ich, daß mir die Augen zufallen möchten, und doch kann ich nicht einſchlafen – Wie mir das Herz ſchlägt! – iſt es Freude, iſt es Furcht, die mich nicht ſchlafen läßt? – Es iſt ſo todtenſtill, ſo eng' um mich her – Aber was fürcht' ich denn, bin ich nicht in dem Hauſe meiner Eltern, und ſo nahe bei ihnen? – Schlaft wohl, gute Eltern, noch dieſe Nacht, auf euren harten Betten, und in eurer ſchlechten Wohnung! bald ſollt ihr beſſer ſchlafen, und beſſer wohnen – Sind nun nicht alle, alle die Wünſche meines Herzens erfüllt? – Mariane! du willſt die Gefährtin meines Lebens werden, und meine Eltern leben beide noch, das war ja alles, was ich während meiner langen Wanderſchaft wünſchte und hoffte – O es giebt doch noch frohe Tag' im Leben, und nun fängt es erſt an, mir wieder lieb zu werden – Wie manchen Kummer, wie manche ängſtliche Beſorgniß wird mir der morgende Tag belohnen? wenn er doch ſchon anbräche! – – Aber horch! was war das für ein dumpfes Geräuſch, als ob einer mit einer eiſernen Schaufel in ein ſteinigtes Erdreich grübe – das iſt mir doch von Jugend auf ein widriger Ton geweſen – Noch immer währt es fort, kruſch, kruſch – wie mir's durch Mark und Bein fuhr! – Nun iſts vorbei – Nun will ich doch verſuchen, ob ich einſchlafen kann – Vorher aber will ich noch Marianens Bild betrachten – aber ich finde die Doſe nicht? – Sollt' ich ſie vielleicht im Überrock gelaſſen haben? – o wie unangenehm iſt wir das, koſtbares Geſchenk, auch nur auf eine kurze Zeit, dich zu entbehren – – Doch ich will einſchlafen, damit ich deſto heitrer wieder erwachen kann! – Aber warum hab' ich mich meinen Eltern nicht entdeckt? – wunderbar! was ſchadet's denn? Wie kann ich mir darüber Vorwürfe machen? – Als ob es nicht Morgen – Morgen eben ſo gut geſchehen könnte, wenn dieſe ängſtliche Nacht vorüber iſt – und warum wäre ſie denn ängſtlich? – – Kruſch, kruſch – ſchon wieder hebt das fatale Geräuſch an – Ich muß doch ſehn, was da für ein Nachtgeiſt iſt, der ſo ſpät vielleicht noch eine n Schatz graben will – Hier ſeh' ich nichts, als eine Mauer, die ſo dicht am Fenſter iſt, daß der Mond kaum dazwiſchen ſcheinen kann – Wie enge wird es hier um mich her, Gott! wie enge! wie enge! – Welch eine Angſt, welch ein Toben in meiner Bruſt! – O ich kann nicht hier bleiben, ich will meine Eltern aus dem Schlafe wecken, und ihnen zurufen: Ich bin eur Sohn, ich bin eur Sohn! – Aber würde ich nicht dadurch ihre erſte Freude in Schrecken verwandeln? – Und ſoll ich den Eingebungen einer thörichten Furcht gehorchen, die ganz gewiß blos ein Werk meiner erhitzten Einbildungſkraft iſt? – Nun hat das Graben aufgehört – Aber hört' ich nicht jemand gehen? – es kömmt immer näher – gerade auf meine Kammer zu – ob ich die Thüre verrammle? – – –

 

(Adelheid ſtürzt wild herein.)

 

Der Fremde (betroffen) Was ich doch für ein Thor war! – Was willſt du, liebes Kind?

Adelheid. Ach, laſſen Sie mich doch hier bei Ihnen in der Kammer bleiben. Ich will mich neben Ihrem Bette auf die Erde legen, und will ganz ſtille liegen!

Der Fremde. Was fehlt dir? Du ſiehſt ſo wild, ſo verſtört aus, warum biſt du denn aufgeſtanden?

Adelheid. Ach, ich lag auf dem Heuboden, und wollte ſchlafen, aber ich konnte nicht – Da war es immer, als ob einer grübe, und dann kam ein gräßlicher Vogel in die Luke herein, und gerade auf mich zugeflogen. Da fürchtete ich mich, und lief herunter.

Der Fremde. Warum haſt du denn aber nicht im Bette geſchlafen?

Adelheid. Ja, wir haben keins mehr, wie dies eine. Die andern ſind uns weggehohlt worden, weil ſie der Vater verkauft hat.

Der Fremde. Wo ſchlafen denn itzt deine Eltern?

Adelheid. Auf den Stühlen.

Der Fremde (für ſich) Entſetzlich! So gar weit konntet ihr herabſinken von eurer vorigen Gröſſe, wovon mir noch ein dunkles Bild aus den Jahren meiner Kindheit vor den Augen dämmert. Und ich machte euch eine ſchlafloſe Nacht? – Aber ich wollte auch von einem der froheſten Tage in eurem Leben gern von ſeinem Anfange an ein Zeuge ſeyn. – Wollte eure ganze Noth ſelbſt kennen lernen, weil ihr zu ſtolz dachtet, ſie jemanden zu entdecken. – Wollte – ja was wollt' ich? – und wenn es auch Grille wäre. Warum ſollte ich den gerade dieſe unſchuldige Grille unterdrücken, eine Nacht unerkannt in dem Hauſe meiner Eltern zuzubringen? – Wem ſchadet ſie? – Zwar Mariane rieth es mir ab – aber doch wollte ſie mir auch nicht mein Vergnügen rauben, wie ſie ſahe, daß ich darauf beſtand. – (zu Adelheid.) Hör' einmal, ſäheſt du es wohl gerne, wenn ich hier bei deinen Eltern bliebe? –

Adelheid. O, wenn Sie doch bei uns blieben, – Ich wollte Sie ſo lieb haben, als ob Sie mein Bruder wären –

Der Fremde. Haſt du denn einen Bruder, daß du weiſt, wie lieb man einen Bruder hat?

Adelheid. Ach nein! – Ich habe einen gehabt – den hab' ich aber gar nicht gekannt, und der ſoll auch ſchon lange todt ſeyn, ſagen meine Eltern – er ſoll im Waſſer ertrunken ſeyn – ich habe oft geweint, wenn ichs gehört habe – denn da iſt unſers Nachbarn Tochter, die hat einen Bruder, den hat ſie ſo lieb – ich aber bin ganz allein, und habe weder Bruder noch Schweſter.

Der Fremde. Gehſt du denn nicht zuweilen zu deinem Onkel, der am andern Ende der Stadt wohnt?

Adelheid. O ja, da geh ich wohl zuweilen hin. Der Onkel ſpricht auch eben ſo freundlich zu mir, wie Sie, und manchmal ſchenkt er mir auch was. Das darf aber mein Vater nicht wiſſen, ſonſt wär' ich ein unglückliches Kind.

Der Fremde. Warum darf das dein Vater nicht wiſſen?

Adelheid. Ja der mag den Onkel gar nicht leiden, und ſagt immer, wenn ich zu ihm gienge, ſo wollte er mich todtſchlagen.

Der Fremde. Kennſt du denn auch des Onkels ſeine Tochter wohl?

Adelheid. Marianen? – o ja! kennen Sie die auch? – o der bin ich recht gut, und ſie iſt mir auch gut – ſie nimmt mich immer auf den Schooß, und erzählt mir allerlei ſchöne Geſchichten, und ſagt, ich ſoll meinen Eltern hübſch gehorſam ſeyn.

Der Fremde. Biſt du denn das auch?

Adelheid. Ach nicht immer – denn ich gehe ja doch zuweilen zum Onkel hin, ob es der Vater gleich verboten hat – Ach der Onkel iſt immer ſo gut – aber mein Vater ſieht manchmal den ganzen Tag ſo böſe aus, und ſpricht kein Wort mit mir, und dann iſt er oft ſehr zornig, und ſchlägt mich. – – Aber ſagen Sie mir doch einmal, warum wohnt denn der Onkel in ſo einem groſſen ſchönen Hauſe, und in einer Straße, wo lauter ſchöne Häuſer ſtehn, und wir müſſen hier drauſſen wohnen, in ſo einem kleinen Hauſe, das halb in die Erde gebaut iſt.

Der Fremde. Das macht, weil dein Onkel reich iſt, und dein Vater nicht.

Adelheid. Warum iſt denn der Vater nicht reich?

 

(Blunt mit einem Licht tritt herein.)

 

Blunt. Was machſt du hier, Mädchen, und ſtörſt den Herrn in ſeiner Ruhe?

Der Fremde. Laſſen Sie's immer gut ſeyn! Wir plaudern ein wenig zuſammen, und ich konnte ohnedem nicht einſchlafen.

Blunt. Wenn Sie noch nicht geſchlafen haben, ſo werden Sie nun gewiß müde ſeyn. Komm Mädchen – ſag dem Herrn Gutenacht!

Adelheid. O ſchlafen Sie recht wohl! (giebt ihm die Hand.)

Der Fremde (drückt ſie feſt an ſeine Bruſt und küßt ſie) Schlaf auch du wohl, liebes Mädchen, ſchlaf ſanft und wohl, bis ich dich Morgen wiederſehe! – dann wollen wir noch mehr miteinander ſprechen.

Blunt. Komm, Adelheid! – Schlafen Sie wohl, mein Herr! – Wir ſind arme Leute – Sie müſſen ſchon einmal eine Nacht ſo mit uns vorlieb nehmen! (geht ab.)

Der Fremde. Mein Vater! – wie mir das Wort auf der Zunge erſtarb, als ich es auſſprechen wollte – Mein Vater! – Welche Güte! welche Beſorgniß für einen Fremden! – o ſein Herz iſt gut, wenn gleich das Alter ihn mürriſch gemacht, und der Kummer ſeine Stirn in düſtre Falten gezogen hat. – Itzt hätte ich mich ihm entdecken ſollen – aber warum denn itzt? – – Ich will nun mit den fröhlichen Gedanken einſchlafen, wie ich mich morgen meinen Eltern nach und nach zu erkennen geben werde – erſtlich will ich ihnen den Irrthum zu benehmen ſuchen, als ob ihr Sohn todt wäre; dann will ich ſie allmälig auf ſeine Ankunft vorbereiten, und ihnen zuletzt zu verſtehn geben, daß er in der Nähe ſey – bis ſie endlich fragen, wo iſt unſer Sohn, wo iſt unſer Wilhelm? und ich ihnen dann um den Hals falle, und ſage: ich bins! ich bins! – – Wie ruhig iſt nun meine Seele! – alle Schreckenbilder meiner Einbildungſkraft ſind verſchwunden – und ſanfter, ſtiller Friede kehrt wieder in meine Bruſt zurück – Aber noch hab' ich meine Schuld nicht abgetragen – noch hab' ich nicht dem Geber meines Daſeyns für die mannichfaltigen Freuden gedankt, die er mir heute gewährt hat, – das will ich erſt thun, und dann will ich einſchlafen – Vernimm denn meinen Dank, Allgütiger, daß du mich ſo reichlich geſegnet haſt, damit ich diejenigen glücklich machen kann, die meinem Herzen ſo nahe ſind. – Vernimm meinen heiſſeſten Dank, daß du mir eine Gattin giebſt, wie ich ſie oft von dir erbat, die mir nun die kummervollen Tage des Lebens durch treue ehliche Liebe verſüſſen wird. – Vernimm meinen Dank für alle die ſüſſen Erinnerungen an die Vergangenheit, die mich heute mit wunderbaren Entzücken durchſtrömten, als ich den Ort betrat, wo ich die unſchuldigen Jahre meiner früheſten Kindheit verlebt, und mich mit meinen Geſpielen ergötzte – bis hierher haſt du mich väterlich geleitet – und nach ſo manchen Kummer, nach ſo mancher ängſtlichen Beſorgniß, haſt du mir doch nun endlich meinen heiſſen Wunſch gewährt – – Siehe, ich habe nun ein feſtes Zutrauen zu dir gefaßt, – und will mich ganz in die Arme deiner Liebe werfen – wie ſanft werde ich da ruhen – wie ſanft – –

 

(Blunts Wohnſtube.)

Gertrude. Blunt.

 

Gertrude. Du ſiehſt ſtarr aus den Augen – Deine Miene iſt ſchrecklich – Blunt, Blunt, was willſt du thun? – Wozu ſoll die Grube?

Blunt. Laß mich zufrieden, Gertrude! Nichts will ich thun, gar nichts! Hernach will ich dir's ſagen – Du weißt ja wohl, an dem Orte. wo wir gruben, liegt der Schatz verborgen, wovon ich ſchon ſo lange geträumt, und wovon ich dir ſchon ſo lange geſagt habe – Jetzt will ich hin, und Bretter und Steine drüber legen, damit niemand die Grube ſieht – und morgen Nacht wollen wir tiefer graben! – Sey du nur ganz ruhig und unbekümmert! – Ich hoffe nun ſoll alles noch ein gutes Ende nehmen. (geht ab.)

Gertrude. Dieſe Sprache hör' ich itzt von ihm zum erſtenmale! – Gott, was mag er im Sinne haben! – Erſt ſprach er noch von Blut und Tod – und auf einmal ſcheint er nun ſo ruhig zu ſeyn, und doch iſt ſeien Miene ſo fürchterlich – das bedeutet nichts Gutes – Seine Sinne ſind zerrüttet – Welche Angſt! – als ob mir das Herz zerſpringen wollte – Sollt' er wohl? – ſchrecklicher Gedanke! – o ich muß ihm nach! ich muß ihm nach! wenns nur nicht ſchon zu ſpät iſt – Herr Gott, ſende deinen Engel, der ihn abhält, bis ich komme. (geht ab.)

 

(Die Kammer des Fremden,

welcher halbentkleidet auf dem Bette liegt,

und eingeſchlafen iſt.)

Blunt. (In der einen Hand ein Licht, und in der andern ein langes Meſſer, tritt herein, und ſchließt die Thüre hinter ſich zu. Er ſetzt das Licht auf den Tiſch, ſtellt ſich über das Bette, und zückt das Meſſer.)

 

Gertrude (drauſſen, klopft ſtark an die Thüre) Blunt! Blunt! was willſt du thun? – O mach auf, ich bitte dich um Gotteswillen, mach auf!

Blunt. (läßt das Meſſer ſinken, er zückt es zum zweitenmale.)

Gertrude (klopft noch ſtärker) Ach, Blunt, Blunt, mach auf! –

Blunt (Läßt noch einmal das Meſſer ſinken – ſchnell aber zückt er es zum drittenmale – ſeine Hand zittert noch –)

(Der Vorhang fällt zu.)

 

(Blunts Wohnſtube.)

Blunt. Gertrude.

 

Gertrude (ringt die Hände) Ach Blunt! Blunt!

Blunt. Ja, ich hab's gethan – – Ach er ſchlief ſo ſanft – Sieh, ich könnte wohl ſagen, ich wäre vom böſen Geiſt dazu getrieben worden – denn zweimal ließ ich die Hand ſinken – aber warum haſt du zum drittenmale nicht ſtärker geklopft? – Ach, da war es Zeit, da war es Zeit! – Da faßt' es meine Hand, und ſtieß ihm das Meſſer tief in die Gurgel – Weißt du wohl, wie die unſchuldigen Kinder ſagen, das hab ich nicht gethan, das hat meine Hand gethan – – Es war einmal eine Zeit, da waren dieſe Hände noch rein von unſchuldigem Blute – Sieh mir doch nicht ſo ſcharf in die Augen, Gertrude, ich bitte dich! Sage mir, was hab' ich gethan, daß du mich ſo anſiehſt?

Gertrude. Wohin willſt du fliehen? – Du haſt einen Menſchen ermordet!

Blunt. Hab' ich das gethan? – Was bin ich denn, und was war ich? – Ich war ein ſchwankend Rohr, das der Wind hin und her bewegte – Nun ſage mir einmal, kann das ſchwankende Rohr wohl dem Sturmwinde widerſtehen?

Gertrude. O täuſche dich nicht, Blunt, und ſchläfre dein Gewiſſen, nicht mit falſchen Gründen ein – Du biſt ein Mörder! das will ich ſo lange in deine Ohren rufen, bis es dir dein eignes Gewiſſen ſagt!

Blunt. Du thuſt mir Unrecht, Gertrude, ich habe ja den Mann geopfert, wovon ich dir ſagte – Du wußteſt ja um mein Geheimniß – – Sieh mir nicht ſo ſcharf in die Augen, ich bitte dich! – Aber wo iſt denn nun der flimmernde Pallaſt, wo ſind die unſäglichen Schätze? –

Gertrude. Komm, Blunt, und laß uns den Leichnam in die Grube tragen, die du für ihn gegraben haſt!

Blunt. Trag du ihn hin! – Mir iſt alles gleich – Es iſt mir, las ob ich meine Hand nicht mehr auſſtrecken mag – ſo gleichgültig iſt mir alles –

Gertrude. Willſt du auf dem Blutgerüſte ſterben?

Blunt. Ja, Gertrude!

Gertrude. Fühlſt du keine Reue über deine ſchreckliche That?

Blunt. Nein, Gertrude! – noch nicht! – aber eine entſetzliche Begierde hab' ich zum Schlafen – Zeig einmal deine Hände! – ſind ſie nicht mit Blut befleckt? – Nein! – Nun ſo bitte Gott für mich, daß er mich einſchlafen läßt!

Gertrude. Blunt! Blunt! der Tag bricht an – hilf mir den Leichnam in die Grube tragen! –

Blunt. Gertrude! – Suche doch ein paar kleine Nägel, und nagle die alte Decke vor das Fenſter, daß mir das Licht nicht ſo in die Augen ſcheint! –

Gertrude. Blunt, um Gotteswillen, hilf mir den Leichnam wegtragen!

Blunt. Muß das geſchehen? – Nun ſo geh nur voran! ich will dir immer folgen – (gehen ab.)

 

(Des Bürgermeiſter Blunts Wohnung.)

Blunt der Bürgermeiſter und Mariane ſeine Tochter

(ſtehen am Fenſter, nach dem Garten zu.)

 

Der Bürgermeister. Sieh, ſchon bricht der Morgen an – kein Wölkchen iſt am ganzen Himmel! –

Mariane. Es wird ein ſchöner Tag werden –

Der Bürgermeister. Das wird es, meine Tochter – und für uns vorzüglich ſchön – aber ſieh einmal, wie deine Nelken blühen –

Mariane. In einer Nacht – das iſt ja wunderbar – geſtern glaubt' ich noch, ſie würden alle verwelken, und nun haben ſie ſich auf einmal wieder erhohlt –

Der Bürgermeister. Was iſt das, Mariane? – Du weineſt? –

Mariane. O mein Vater, ich dachte eben daran, daß die Hofnung, meinen Blunt wieder zu ſehen, auch ſo wie dieſe Blumen verwelkte, und daß ſie nun faſt eben ſo ſchnell wieder erwacht, und – erfüllt iſt.

Der Bürgermeister. Und warum weineſt du?

Mariane. Sehen Sie nicht, wie der feuchte Thau auf den erfriſchten Blumen glänzt? –

Der Bürgermeister. Wohl, Mariane! – und möchteſt du niemals andre, als ſolche Thränen weinen!

Mariane. O ſehen Sie, mein Vater, da betracht' ich noch das grüne Pläzchen, wo ich mit meinem Blunt zu ſpielen pflegte, als wir beide noch Kinder waren – Ich erinnre mich ſo gern an das Vergangne – und doch macht es mich immer wehmüthig – Aber laſſen Sie uns gehen! – Jetzt wollen wir ihn, in aller Frühe, überraſchen, ehe er es ſich verſehen ſoll! – o kommen Sie!

Der Bürgermeister. Wie du willſt – recht gerne! (gehen ab.)

 

(Blunts Wohnung.)

Blunt. Gertrude. Adelheid.

 

Gertrude. Geh hinaus, Adelheid, und ſchließ die Thüre feſt zu!

Adelheid (geht hinaus und kömmt wieder herein.)

Blunt. Haſt du die Thüre zugeſchloſſen?

Adelheid. Feſt zu! – Iſt denn der fremde Herr noch nicht aufgeſtanden? –

Blunt. Gertrude, ſchließ du doch ſelber zu! –

Gertrude. Horch! da klopft jemand!

Blunt. Komm, Gertrude, wir wollen nicht aufmachen; wir wollen gehen, ſo weit wir können, und wollen uns verbergen! –

Gertrude. Wir müſſen aufmachen, wenn man uns nicht im Verdacht haben ſoll. (ſie geht hinaus und macht auf.)

 

Blunt der Bürgermeiſter und Mariane.

 

Der Bürgermeister. Was macht eur fremder Gaſt, ſchläft er noch?

Gertrude. Nein, er iſt ſchon aufgeſtanden.

Der Bürgermeister. Wo iſt er?

Gertrude. Schon vor einer Stunde wieder weggegangen –

Blunt (ſtammelnd) Er iſt ſchon vor einer Stunde wieder weggegangen! – – Biſt du nicht der Bürgermeiſter? – Ich habe ja nichts verbrochen, was willſt du bei mir? –

Der Bürgermeister. Bei dir, nichts – ich wollte mich nur nach deinem Gaſt erkundigen.

Blunt. Der iſt ſchon vor einer Stunde weggegangen – (ſieht Gertruden an) nicht wahr, Gertrude?

Gertrude (zitternd) Ja!

Blunt (ſieht Gertruden an) Ja!

Mariane (ängſtlich) Ach, mein Vater!

Adelheid (zu Marianen) Meine Eltern ſagen nur ſo – er iſt gewiß noch da, denn geſtern abend ſagte er zu mir, daß er bei uns bleiben würde.

Blunt. Schweig doch ſtill, Adelheid!

Gertrude. Schweig, Blunt!

Der Bürgermeister. Blunt, deine Farbe verwandelt ſich – wo iſt der Fremde?

Blunt (zitternd) Ich weiß es nicht, wie kannſt du denn von mir verlangen, daß ich das wiſſen ſoll?

Der Bürgermeister. Alſo iſt er wirklich vor einer Stunde von dir weggegangen? – Nun, damit du weißt, warum ich zu dir komme – vielleicht haſt du dem Fremden übel begegnet, denn ſonſt wüßt' ich nicht, warum er weggegangen wäre – aber der Fremde war dein Sohn, und ich komme mit meiner Tochter zu dir, um an deiner Freude übers ein Wiederkunft Theil zu nehmen.

Blunt. Wie kann das möglich ſeyn? – Mein Sohn iſt ja lange todt – das weißt du ſelber!

Der Bürgermeister. Dein Sohn iſt nicht todt – Er iſt der einzige, der aus dem Schiffbruch errettet wurde, wovon du gehört haſt – und nun iſt er wieder da, um ſeine Eltern glücklich zu machen, und meine Tochter iſt mit ihm verlobt – Und nun gieb mir die Hand, Bruder, und laß uns unſern alten Zwiſt beilegen, und von nun an wieder Freunde ſeyn! – Dein Elend hat nun ein Ende, du biſt nun wieder reicher, wie ich bin – Du brauchſt alſo von mir nichts anzunehmen, und darfſt nicht fürchten, daß dein Stolz beleidiget werde; denn was dein Sohn beſitzt, das gehört auch dir – alſo – von nun an laß uns wieder Freunde ſeyn – aber, ſage mir, wo iſt dein Sohn? – haſt du ihm übel begegnet, daß er weggegangen iſt?

Mariane. O wo iſt er? – Geſchwind ſagen Sie uns, wo iſt er?

Blunt. Ich kann nicht glauben, daß der Fremde mein Sohn ſeyn ſoll! Ich kann dir das nicht zutrauen – du willſt mich vielleicht nur quälen –

Der Bürgermeister. Warum quälen? – was willſt du damit ſagen? – Ihr zittert beide – wo iſt eur Sohn? – Ich frage euch, wo iſt eur Sohn? – (zu Blunt) Kennſt du dieſen Ring, den er am Finger trug, als du ihn von dir lieſſeſt?

Blunt. Der Ring kann ihm geſtohlen ſeyn –

Der Bürgermeister. Nun ſo lies dieſen Brief, den er an mich ſchrieb, eh er kam! – Heimlich wollt' er ſeine Eltern überraſchen – die erſte Nacht wollte er ſich ihnen nicht entdecken, um ſich auf den folgenden Morgen das größte Vergnügen aufzuſparen. Lies dieſen Brief, ſag' ich, und dann zweifle noch, ob der Fremde, der von dir wegging, dein Sohn war!

Blunt (lieſt den Brief – er läßt ihn fallen – eine fürchterliche Pauſe) Ja, ich habe meinen eignen Sohn erſchlagen! – erbarme dich meiner nicht, du gerechter Gott im Himmel, in meiner letzten Todeſſtunde, und ſende keinen Tropfen Lindrung in meine Seele, wenn der Angſtſchweiß vor meiner Stirne ſteht!

Mariane (mit wimmerndem Geſchrei, ſinkt ihrem Vater in die Arme)

Blunt. Schleudre mich in den tiefſten Abgrund der Hölle hinunter, und vergieb mir die Menge meiner Sünden nicht!

Gertrude (geht wütend auf ihn zu) O Böſewicht, Böſewicht! ſchaff mir meinen Sohn wieder!

Der Bürgermeister. Zwei Menſchen haſt du getödtet, mit einem verfluchten Streiche – ſieh, da liegt meine Tochter, ſchaff ſie mir wieder ins Leben, ſchaff ſie mir wieder!

Blunt. Ach, ich kann es nicht! ich kann es nicht! – o führt mich in den Kerker! führt mich zu dem Blutgerüſte! – Sprich mir das Urtheil, Bruder! – Gertrude, Adelheid, bittet ihn, daß er mir das Urtheil ſpricht! – Mariane, erwache, und bitte deinen Vater, daß er mir das Urtheil ſpricht!

Gertrude. Nein, Blunt, du ſollſt nicht allein büßen! ich will mit dir ſterben – ich bin Mitſchuldige, denn ich habe den Mord verhehlt!

Adelheid. O Mutter, ſieh, Mariane iſt todt –

Der Bürgermeister. Helft mir, Leute, um Gotteswillen! Helft mir meine Tochter retten!

 

(Des Bürgermeiſter Blunts Wohnung.)

Mariane. Der Bürgermeiſter.

 

Der Bürgermeister. Ich bitte dich, Mariane, rede doch nur ein Wörtchen, deinem alten Vater zu Liebe – du brichſt mir das Herz durch dieſen ſtarren Blick, und durch dies entſetzliche Stillſchweigen –

Mariane. Sehen Sie, mein Vater, wie meine Nelken blühn? – geſtern glaubt' ich noch, ſie würden alle verwelken –

Der Bürgermeister. O ſchrecklich! ſchrecklich! – ich bitte dich – ſchweig, meine Tochter!

Mariane. Kein Wölkchen am ganzen Himmel, es wird ein ſchöner Tag werden – nicht wahr, mein Vater?

Der Bürgermeister. Ihr Schmerz macht ſie wahnſinnig – Gott, wie wunderbar ſind deine Wege! – So ſoll auch mein armes, unſchuldiges Mädchen ein Opfer werden? – Ich bitte dich, Mariane, ermanne dich – wenn du kannſt – ich hoffte, du ſollteſt noch einmal der Troſt meines Alters ſeyn, ſollteſt mir die Augen zudrücken, wenn ich mein müdes Haupt zur Ruhe legte –

Mariane. Still, mein Vater! – Carl ſchläft – er hat ſein Haupt zur Ruhe gelegt – er liegt noch im tiefen Schlummer begraben – aber kommen Sie, wir wollen ihn überraſchen, eh' er es ſich verſehen ſoll – Nun ſind wir da – Carl! Carl! wach auf! – wart nur, du Schläfer, ich will dich bald wecken – aber deine Lippe iſt kalt – dein Geſicht iſt bleich – an deinem Halſe iſt Blut – Ach Hülfe! Hülfe! – er iſt todt! –

Der Bürgermeister. Ja, dein Bräutigam iſt todt! – keine Hülfe für ihn – ich will deine Wunde aufreiſſen, damit ich ſie heilen kann – Dein Bräutigam iſt todt – von ſeinem eignen Vater ermordet – o wein, Mariane, weine, ſo lange deine Augen noch Thränen haben! – und hänge nur nicht dieſer kalten Verzweiflung nach! –

Mariane. Wo iſt mein Bräutigam?

Der Bürgermeister. Todt iſt er – o täuſche dich nicht wieder mit falſchen Hoffnungen! – noch immer ſind deine Augen trocken – weine doch! – dein Geliebter, dein Bräutigam iſt todt! –

Mariane. Wo hat er ſein Haupt zur Ruhe gelegt?

Der Bürgermeister. Im Schlaf ermordete ihn ſein Vater, ohne zu wiſſen, daß es ſein Sohn war – ſeinen Leichnam trug er in die Grube, die er für ihn gegraben hatte.

Mariane. Wo iſt die Grube?

Der Bürgermeister. In der Grube liegt er nicht mehr – du ſollſt ſeine Leiche ſehen, ſollſt ſie mit Roſen umſtecken, und an ſeinem Sarge weinen!

Mariane. Ein Sohn iſt von ſeinem eignen Vater ermordet – – Es geſchehen doch entſetzliche Dinge in der Welt, mein Vater –

Der Bürgermeister. Noch keine Thräne – noch kein Gefühl des Schmerzes – Gott, ſteh mir bei, daß ich dies ſchwere Leiden trage! – meine einzge Tochter – – Komm, Mariane, gieb mir deinen Arm!

Mariane. Wohin, mein Vater? –

Der Bürgermeister. Folge mir! – Du ſollſt deinen Bräutigam im Grabe ſehen! –

Mariane. Sehen Sie, die Sonne geht blutroth unter –

Der Bürgermeister. Ja, das thut ſie – herrlich ging ſie heute auf, und verkündigte uns einen frohen Tag – Gott, was ſind die Schickſale der Menſchen! – – Komm, meine Tochter!

 

Blunt und Gertrude (im Kerker).

Blunt (liegt auf den Knieen, und betet).

Gertrude (ſitzt im ſtummen Schmerz verſunken).

 

Blunt. (ſteht auf). Gieb mir die Hand, Gertrude, und verzeihe deinem Manne! – Sieh, ich habe gebetet und – geweinet, wie du mir gerathen haſt – ach, du haſt mir viel Gutes gerathen, und ich bin dir immer nicht gefolgt – aber dieſmal hab' ich es doch gethan – und es iſt mir nun, als ob mein Herz etwas leichter würde – ach, es iſt doch gut, daß wir zuſammen ſind – du begleiteſt mich doch, Gertrude, wenn ich zum Gericht geführt werde? –

Gertrude. Ich werde dich begleiten, und werde mit dir ſterben – mich trift das Todeſurtheil ſowohl wie dich – hab' ich nicht den Mord verhehlt? hab' ich nicht den Leichnam helfen in die Grube tragen? –

Blunt. Das kann nicht möglich ſeyn, Gertrude – das wäre ja unrecht – Du haſt mich ja vom Morde abhalten wollen – du haſt dreimal an die Thüre geklopft, und haſt ſo laut gerufen, daß es unſre Nachbarn hätten hören müſſen, wenn ſie nicht im tiefſten Schlummer gelegen hätten – Nein Gertrude, du mußt nicht ſterben – du mußt Adelheiden erſt zur Gottesfurcht und Frömmigkeit erziehen, damit wir uns alle im Himmel wieder finden –

Der Kerkermeister. Jetzt iſts euch erlaubt, euren Sohn zu ſehen!

Blunt. Willſt du ihn ſehen, Gertrude?

Gertrude. Ja ich will – ich muß ihn ſehen – führt mich zu ihm! –

Blunt. Mich auch! – ich will ihn auch ſehen – ob ich ihn gleich ermordet habe –

Der Kerkermeister. So folgt mir!

 

(Blunts Wohnung.)

(Die Leiche des Ermordeten.)

Der Bürgermeiſter. Mariane. Adelheid.

 

Adelheid (hat Roſen und Nelken in einem Körbchen, und reicht ſie Marianen weinend zu, welche damit den Leichnam umſteckt).

Der Bürgermeister (nachdem er eine Weile in ſtummer Wehmuth zugeſehen hat) Kinder! Kinder! hört auf mit dieſem unſchuldigen Spiele, oder es wird uns das Herz brechen!

 

Blunt und Gertrude (werden hereingeführt –

Mariane ſinkt ihrem Vater in die Arme).

 

Blunt (zu Gertruden). Siehſt du ihn? – da liegt er! – da liegt er! – Geh du voran, Gertrude – ich bin der Mörder – ich darf nicht ſo nahe hinzutreten, wie du – aber ſehen muß ich ihn – ach ſieh, wie er lächelt! – o du Engel! vergiebſt du deinem Mörder noch im Tode? – Laßt mich näher hinzutreten! – Dieſe ſanfte, lächelnde Mine, dieſen verzeihenden Blick, will ich tief in mein Gedächtniß einprägen – er ſoll meine Gewiſſensangſt lindern, Gertrude, ſoll mich tröſten, bis an den Augenblick, wo mir mein graues Haupt abgeſchlagen wird – Ach, könnt' ich die Röthe wieder auf deine Wangen locken! – Könnt' ich mein fließendes Blut in deine Adern gießen – und wenn ich zehn Leben hätte, mit Freuden wollt' ich ſie hingeben – Armer, todter Leichnam! – Durch meinen Tod wird meine Blutſchuld weggewaſchen – aber was hilft das dir? – du mußt doch verweſen, wie dein Mörder –Könnt' ich das Geſchehne ungeſchehen machen – Könnt' ich den Augenblick nur einmal zurückrufen, wo ich mit dem gezückten Meſſer über deinem Haupte ſtand – und du wärſt erwacht – weggeworfen hätt ich das verfluchte Meſſer – hätte dich in meine Arme geſchloſſen – und du lebteſt – und dieſer Schreckenſtag wäre der glücklichſte Tag in meinem Leben geweſen – O daß doch dies alles ein Traum wäre! – daß es ein Traum wäre! –

 

Biſt du es, holde Phantaſie,

Die oft den kühnen Geiſt,

Mit ſchnellem Fittig, ohne Müh,

In andre Welten reißt?

 

So rufe mir den Augenblick,

Eh' noch die That geſchah,

Ruf' ihn mir noch einmal zurück!

Der Mörder ſtehe da

 

Noch mit dem Meſſer in der Hand

Auf ſeinen Gaſt gezückt

Wie er an ſeinem Bette ſtand

Zum Morde hingebückt.

 

Dann knüpfe du den Faden an,

Da, wo ich ihn zerriß!

Es brech' ein heitrer Morgen an,

Statt jener Finſterniß!

 

Ein Tag, dem nur die Freude lacht,

Und keine Stürme drohn,

Steig' auf! – Und jene Schreckenſnacht

Sey wie ein Traum entflohn! –

 

(Die Kammer des Fremden,

welcher halbangezogen auf dem Bette liegt

und eingeſchlafen iſt.)

Blunt (ſteht mit dem gezückten Meſſer über ſeinem Haupte).

Gertrude (drauſſen, thut einen ſtarken Schlag an die Thüre).

 

Der Fremde (erwacht, und indem er ſeine Augen aufſchlägt, ſagt er mit zitternder Stimme) Mein Vater!

Blunt. Was? – dein Vater? Nicht dein Vater! (er kämpft noch mit ſich ſelber – ſeine Hand bewegt ſich konvulſiviſch hin und her – er will dem Fremden das Meſſer an die Gurgel ſetzen –)

Der Fremde (ergreift ſeine Hand, und ſagt mit freundlichbittender, bebender Stimme) O mein Vater! –

Gertrude (drauſſen). Ach, Blunt, um Gotteswillen, bedenke, was du thun willſt! –

Blunt. (nach einem kurzen Kampf). Hinweg, verfluchtes Meſſer! ich hab' dich überwunden! (wirft das Meſſer weit weg) Dank! Dank! Dank! dir, Gertrude, ich hab' überwunden! Komm herein und ſieh (er macht auf) ſieh ich hab' überwunden! – Da liegt das verfluchte Meſſer –

Der Fremde (ſpringt auf und fällt Blunt mit Schluchzen um den Halſ). O mein Vater! mein Vater!

Blunt. O junger Mann – du kannſt mich Vater nennen, da ich im Begriff war, dein Mörder zu werden – Aber tauſend Dank! tauſend Dank! daß Sie erwacht ſind! – Ach, Gertrude, wie leicht iſt mir auf einmal mein Herz! – Ich bin aus einem ſchweren Traume aufgewacht, aus einem ſchweren Traume – Wo iſt Adelheid? – ruf ſie doch! – o wäre jezt mein Bruder hier, ſieh, Gertrude, alles wollt' ich ihm vergeben – ich wollte – in dieſem Augenblick wollt' ich mich mit ihm verſöhnen!

Gertrude (ruft Adelheiden).

Der Fremde (umarmt, nach der Reihe, Blunt, Gertrude und Adelheid). Mein Vater! – meine Mutter! – meine Schweſter! – Betrachtet mich inſkünftige als euren Sohn! betrachte mich als deinen Bruder! –

Blunt. Sieh, Gertrude, welche himmliſche Güte! – er war unſer Gaſt, und ich wollt' ihn im Schlaf ermorden – mein Blut und meine Thränen hätten die Sünden nicht wegwaſchen können, wenn ich's gethan hätte –

Adelheid. Sind Sie denn ſchon ſo früh aufgeſtanden? Sie haben die Nacht wohl wenig geſchlafen?

Der Fremde. Ich habe genug geſchlafen –

Blunt. Er hat genug geſchlafen, Adelheid – es war gut, daß er aufwachte – Komm, Adelheid, komm auf meinen Schoos, und küſſe mich!

Adelheid. Ach, lieber Vater, ſind Sie mir denn nun wieder recht gut?

Blunt. Ja, meine Tochter, ja!

Adelheid. Aber wollen Sie auch dem Onkel und Marianen gut ſeyn?

Blunt. Auch das will ich, Adelheid, Gertruden, dir, meinem Bruder, meinen Feinden, allen Menſchen will ich gut ſeyn! (man klopft an die Thüre.)

Gertrude (macht auf).

 

Der Bürgermeiſter und Mariane.

 

Blunt. Willkommen, Bruder! (giebt ihm die Hand) Sieh, Gertrude, wie mich der Himmel beim Worte hält – nun iſts recht gut ſo – o ich bin ſo froh! ſo vergnügt!

Der Bürgermeister. Alſo weißt du's doch ſchon, daß der Fremde da dein Sohn iſt? –

Blunt. Der Fremde da, mein Sohn? – nein das weiß ich nicht – das kann ich auch nicht glauben – wie wäre das möglich? – Du haſt ja ſelber die Nachricht von dem Tode meines Sohnes mit angehört –

Der Fremde (will ſich ſeinem Vater in die Arme werfen).

Der Bürgermeister (winkt ihm mit den Augen). Dieſe Nachricht war falſch – er war der einzige, der aus dem Schiffbruch gerettet wurde – wunderbare Schickſale hat dein Sohn erlebt, wunderbare Schickſale – aber davon ein andermal – iezt bin ich mit meiner Tochter zu dir gekommen, um an deiner Freude über ſeine Wiederkunft Theil zu nehmen – und nun gieb mir die Hand, Bruder, und laß uns unſern alten Zwiſt beilegen, und von nun an wieder Freunde ſeyn! – Dein Elend hat ein Ende, du biſt nun wieder reicher, wie ich bin – du brauchſt alſo von mir nichts anzunehmen, und darfſt nicht fürchten, daß dein Stolz beleidiget werde; denn was dein Sohn beſitzt, das gehört auch dir – alſo – gieb mir die Hand und laß uns von nun an wieder Freunde ſeyn!

Blunt. Die Hand will ich dir geben – und von ganzem Herzen will ich mich mit dir verſöhnen – aber – daß der Fremde da mein Sohn ſeyn ſoll – das Glück wäre für mich zu groß – das wäre ja, als ob Gott die entſetzlichſten Verbrechen auf friſcher That belohnen wollte – nicht wahr, Gertrude? –

Gertrude. O zweifle nicht länger, Blunt! – mir ſagt es mein Herz, daß er mein Sohn iſt – und dein Bruder wird dich nicht hintergehen –

Der Fremde (fällt ihr um den Halſ). O meine Mutter! –

Gertrude. Alſo iſts doch wahr? – So hab' ich dich wieder in meinen Armen? – dich, den ich unter meinem Herzen trug? – O laß mich – laß mich auſweinen – mein Entzücken – meine Freude – tödtet mich – Mein einzger – wiedergefundner Sohn! –

Adelheid. Alſo iſt dieſer mein Bruder, Mutter?

Gertrude. Ja, das iſt er!

Adelheid (läuft auf ihn zu, er ſchließt ſie in ſeine Arme, und küßt ſie) O nun weiß ich, warum ich Sie ſo lieb habe, und warum Sie mir dieſe Nacht verſprachen, daß Sie bei uns bleiben wollten –

Der Fremde. Weißt du das? – liebes, gutes Mädchen!

Adelheid. Aber Mutter, warum weineſt du denn, da du deinen Sohn wiedergefunden haſt?

Gertrude. O laß mich weinen, Kind, ich weine vor Freuden –

Adelheid. Nun ſo will ich auch vor Freuden weinen, daß ich einen Bruder wiedergefunden habe! – – Marianchen! kennſt du denn meinen Bruder ſchon, daß du immer ſo freundlich mit ihm ſprichſt?

Blunt (der die Zeit über wie betäubt geſtanden hat). Alſo wäre denn der Fremde wirklich mein Sohn?

Der Bürgermeister. Warum zitterſt du ſo? – warum verwandelt ſich deine Farbe? –Zweifelſt du noch, daß er dein Sohn iſt – nun ſo ließ dieſen Brief, den er an mich ſchrieb, ehe er kam! – Heimlich wollt' er ſeine Eltern überraſchen – die erſte Nacht wollt er ſich ihnen nicht entdecken, um ſich, auf den folgenden Morgen, das größte Vergnügen aufzuſparen. – Ließ dieſen Brief, ſag' ich, und dann zweifle noch, ob der Fremde dein Sohn iſt!

Blunt (ließt den Brief – er läßt ihn fallen – eine Pauſe). Ja – er iſts – er iſts – – Und ich grauer Böſewicht wollte meinen eignen Sohn ermorden? –

Der Bürgermeister. Was ſagſt du? –

Mariane. Gott, was ſagen Sie?

Blunt. Laßt mich iezt! – laßt mich iezt! – ihr ſollt alles erfahren! – (er kniet nieder und betet) Gott! – ich danke dir – daß du meinen Sohn erwachen ließeſt – ich danke dir, daß du meinen Arm zurückhielteſt, und meine Hand erſtarren ließeſt, da ich die ſchreckliche That vollbringen wollte – mein ganzes Leben – o Gott! – ich bin nicht werth der Barmherzigkeit, die Gott an mir gethan hat – Fluch und Strafe hätt' ich verdient, gerade da mir Gott die größte Freude in meinem Leben aufgeſpart hatte – Denn ſeht – vor wenig Augenblicken –

Der Fremde. (will ihn umarmen). O mein Vater! – ſchweigen Sie doch davon! –

Blunt. Laß mich erſt reden, mein Sohn, laß mich erſt meine Schuld geſtehen – dann komm' in meine Arme – – Vor wenig Augenblicken ſtand ich noch mit dem Meſſer über ſeinem Haupte – wollt' ihn im Schlaf ermorden – und hätte mein Weib nicht geklopft – und wäre mein Sohn nicht erwacht – ſo rauft' ich iezt mein graues Haar aus meinem Haupte, und verwünſchte und verfluchte den Tag meiner Geburt –

Der Bürgermeister. Wie kamſt du auf dieſen ſchrecklichen Gedanken?

Blunt. Aus Stolz und Verzweiflung – arbeiten mocht' ich nicht, und doch ſchämt' ich mich zu betteln –

Der Bürgermeister. Warum wollteſt du aber von mir keine Hülfe annehmen?

Blunt. Das weißt du! – Als ich geſtern Abend den Fremden ſahe, und ſein Gold erblickte, da wurde der Gedanke in meiner Seel' erzeugt: gottloſe, verführeriſche Träume nährten ihn, wie ich ſchlief, und die Mitternacht brütete ihn aus, daß er zum gräßlichſten Vorſatze reifte – Meinem Weibe ſagt' ich nichts, ſie mußte mir aber helfen eine Grube graben, ohne daß ſie um mein Vorhaben wußte – als ich den Mord vollbringen wollte, ſchloß ich die Thüre hinter mir zu – ſie aber klopfte mit immer ſtärkern Schlägen an, bis mein Sohn erwachte – und nun mein Sohn – Kannſt du es deinem alten Vater vergeben, daß er dich, als ſeinen Gaſt, im Schlaf ermorden wollte? –

Der Fremde. O quälen Sie mich doch nicht dadurch, daß Sie ſich ſelber Vorwürfe machen – Lag nicht die Schuld an mir? – warum entdeckt' ich mich Ihnen nicht gleich, da ich ſahe, daß Ihr entſetzlicher Zuſtand fähig war, Sie bis zur Verzweiflung zu bringen? –

Blunt. Nun ſo komm' in meine Arme! – Freilich verdien' ichs nicht! – Deine Entſchuldigung rechtfertigt mich nicht – Aber verzeihet doch ſonſt der Vater wohl dem Sohne, warum ſoll denn nicht auch der Sohn einmal ſeinem Vater verzeihen?

Der Fremde. O mein Vater! um eins bitt' ich, um eins beſchwör' ich Sie!

Blunt. Alles, mein Sohn, alles!

Der Fremde. Daß Sie von dieſer Sache inſkünftige kein Wort weiter reden – daß Sie dies alles, mit mir, wie einen Traum anſehen, der nun verſchwunden iſt – gewähren Sie mir noch dieſe Bitte – dann wird meine Freude ganz ſeyn!

Blunt. Es wird mir ſchwer werden, mein Sohn, meine Zunge zu binden, daß ſie nicht von meinem ſchrecklichen Falle und von meiner wunderbaren Errettung reden ſollte – aber du willſt es – und ich will ſchweigen –

Der Bürgermeister. Nun noch ein Anliegen, Bruder, in deines Sohnes Nahmen, da du doch einmal verſprochen haſt, ihm alles zu gewähren – Haſt du was darwider, daß er mit meiner Tochter verlobt iſt? –

Blunt. Mein Sohn mit deiner Tochter verlobt – was könnt' ich darwider haben – o laß immer das feſteſte Freundſchaftſband unter uns geknüpft werden – aber das iſt zuviel auf einmal – ich kann mir alle dieſe plötzlichen Veränderungen noch nicht recht denken – es iſt mir immer noch, wie im Traume – (zu Marianen) Alſo biſt nun auch meine Tochter?

Mariane (umarmt ihn). Ja, mein Vater, ſobald Sie es wollen!

Blunt. O ich will, ich will alles! – mit tauſend, tauſend Freuden! –

Der Fremde (umarmt Marianen). Alſo biſt du nun ganz die meinige?

Mariane. Die Deinige – auf ewig –

Der Fremde. Sieh, nun ſind unſre Wünſche erfüllt –

Mariane. O Dank der Vorſehung, daß ſie es ſind!

Blunt. Gott! – und dieſe innige Liebe – dieſes zärtliche Band hätt' ich bald –

Der Fremde (hält ihm den Mund zu) Mein Vater!

Blunt. Ich ſchweige, mein Sohn – ber Gertrude, warum biſt du ſo ſtumm? Hilf mir doch, mich freuen! – Die Freude wird mir allein zu ſchwer – ich kann ſie nicht ſo ertragen, weil ich ſie nicht verdient habe – deine Freude iſt gerechter als die meinige – ich darf mich noch nicht recht freuen –

Gertrude. Immer freue dich mit mir – denn das Vergangne iſt vergangen – Sieh, ich habe Gott im Stillen gedankt, und ſeiner wunderbaren Fügung nachgedacht – o meine Kinder, was ich wünſchte, wenn ich euch oft zuſammen ſpielen ſahe, da ihr beide noch klein waret, was mir ahndete, wenn ich ſchon damals eure unſchuldige Zuneigung bemerkte, das ſehe ich nun ſo plötzlich, ſo wider alles Vermuthen erfüllt, daß es mir ſchwer wird, mir dies alles auf einmal recht vorzuſtellen.

Adelheid (zum Bürgermeiſter). O ſehn Sie, wie ſich mein Bruder und Mariane gut ſind!

Der Bürgermeister. Freuet dich das, mein Kind? – mich freuet's auch – aber höre, Bruder, wir werden iezt alle einige Erquickung nöthig haben – Gerne hätt' ich heute ein Gaſtmahl veranſtaltet – aber dein Sohn wollte ſich das nicht nehmen laſſen – auch wollt' er es nicht in meinem, ſondern in deinem Hauſe geben – es wird ſchon alles dazu eingerichtet werden, daß dieſer Tag ein froher Tag für uns ſeyn ſoll, aber du mußt auch ganz vergnügt ſeyn –

Blunt. O ich wäre der ärgſte Böſewicht, wenn ich es ſeyn könnte – Immer laßt mir dieſe Schaam, dieſe Reue – denn das iſt mir ein Zeichen, daß ich noch nicht ganz von Gott verworfen bin –

Der Fremde. O mein Vater – Ihr Verſprechen –

Blunt. Gott! was haſt du mir für einen Sohn gegeben! – Ja ich will ſchweigen, mein Sohn – aber alle Morgen und alle Abend will ich Gott auf meinen Knieen danken, daß er mir mehr Gnade erzeigt hat, als ich Strafe verdient habe.