BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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Woge sich thürmt, erhebt sich auch meine Brust. Wer trägt nicht in sich eine Welt voll Gefühle, die wohl wandelbarer sind als das Meer? Es ist Sonntag. Durch die frische Morgenluft bebt der Ton einer Glocke; zur Kirche ruft sie, aber das Toben des Meeres ruft noch gewaltiger an mein Herz: bete zu deinem Gott! - Dort ist die Insel St. Marguerite. Außer einem Schlosse, jetzt Festung, das einst Mauren erbauten, und die Residenz eines Mohrenkönigs gewesen, ist die Insel unbewohnt. Man erzählt, daß ein Zwillings-Bruder Ludwig des XIV. hier gefangen seine Jugend und spätern Iahre zugebracht habe. Ueberhaupt sagte unser Führer davon nicht geringe Wunderdinge. Ehemals, so behauptete er, sei die Insel voll von giftigen Schlangen gewesen, aber Gott ließ das Meer drüber hinfließen und befreite von den Schlangen die Einwohner. Das Wunder, meinte er, ist doch so außerordentlich nicht, puisque le bon Dieu avait l'eau tout près.

 

 

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Bald nach Cannes ist der Golf St. Juan, der aus ein paar ärmlichen Häusern besteht. Hier, so sagt man, sey Napo­leon nach Elba eingeschifft worden. Links erhebt sich ein Olivenberg, in der Mitte nackte Alpen, und dann ein Berg, den das sanfte Grün der Reben umschattet. Aber die Scene wechselt. Antibes erblicke ich, mit seinem prächtigen Ha­fen, seinen Arcaden und seinem hohen Leuchtthurm, der ganz dem von Ostia ähnlich seyn soll, und die Citadelle, die  eine  Halbinsel  bildet. Die Straße schlängelt sich durch

 

einen Garten voll üppigen Grüns, Feigen, Oliven und Orangebäumen in wilder Unordnung. Dort hoch oben die Städte: Cagnes und Grasses.

 

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Nizza, Villa Rey, im Oktober.   

 

Ich weiß nicht, soll ich der Eigenthümlichkeit meines Gemüths, oder der Organisation meines Körpers jenen Eindruck zuschreiben, der mich bei dem Anblick Nizzas überwältigte. Gewiß, bei jedem Genusse, sei er mir durch die schönste Natur, Musik oder Kunst überhaupt gegeben, überfällt mich eine Schwermuth, die selbst im Gefühl des Entzückens mich nie verläßt. Ist es Schmerz über die Unvollkommenheit des Schönen, oder Sehnsucht nach den unsichtbaren, ewigen Gütern? Hier in dem Belvedere bin ich so gerne! Der blaue Spiegel des mittelländischen Meeres scheint mit dem azurnen Horizonte sich zu vereinen. An der Küste rechts erkenne ich deutlich den Berg und Thurm von Toulon, und näher glänzt im Sonnenlichte Antibes und die Alpen Frankreichs, ernst und dunkel wie erhabene Schatten, beschränken das unersättliche Auge. Zu meinen Füßen, dicht an der Küste, liegt Nizza und umschließt jenen schroffen Berg mit der Ruine einer Festung. Dicht um mich her erheben sich schwellende   Hügel,   besäet   mit   freundlichen    Villas, und   dort,     halb     versteckt,     ragt   das   Thürmchen des  Klosters  St.  Stefano.  Der  Garten  unseres  Landhau­ses,  so  wie  die  nachbarlichen  Besitzungen  bestehen aus   steinigen   Anhöhen,   Olivenwaldungen,  dazwischen

 

 


 

Cannes, im Hintergrund St. Marguerite

 

Blick auf Antibes