BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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Feuer, und plaudern und reiben sich die Hände. Hier steht ein altes Mütterchen, vor ihr ein Priester, beide in wichtige Gespräche vertieft. Da reitet auf einem Maulesel eine schöne Bäuerin, die in einem großen Korbe, der seitwärts hängt, ihren stämmigen Jungen eingepackt mit sich führt. Kurz, mit jedem Schritte entdecke ich Neues. Bin ich verzaubert? frage ich mich oft, wenn ich, wo ich sonst in Deutschland nur auf Disteln und Dornen traf, hier vor den Riesenblättern der Aloe oder vor dem heiligen Palmbaume bewundernd stehe, oder ich zusehe, wie der Gärtner Getreide sät, und man unten im Thale immer von neuem die große Wiese mäht. Dann schaue ich wieder hinauf an den ewig blauen Himmel und hinüber in das sapphirblaue Meer, und wenn es Abend wird, und der Abendstern, der hier viel größer als bei uns und feuriger strahlt, mir mit seinem Lichte die Seele erheitert, dann frag' ich wieder, bin ich wirklich nicht verzaubert? Die alte Welt der Kinder- und Ammenmährchen erschließt mir ihre goldnen Pforten, und Grimm und Musäus reichen mir die Hände, und führen mich durch einen Frühling, noch reitzender, als der, der in Italien blüht!

 

«Mondbeglänzte Zaubernacht,

"Die den Sinn gefangen hält,

"Wundervolle Mährchenwelt,

"Steig auf in der alten Pracht.»

(Tieck.)

 

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Da ich nun einmal der Günstling des sogenannten Zufalls bin, so ward mir auch den 9. November ein seltenes Schauspiel, das des Paglione [Paillon] in seiner furchtbaren Pracht. Das breite Bett dieses merkwürdigen Flusses ist den größten Theil des Jahres ausgetrocknet und durch die großen Massen losgerissener Felstrümmer ein wüstes Feld der Zerstörung. Aber welch ein Anblick! wenn eine einzige Nacht hinreicht, es mit dem wildesten Strome zu füllen. Wir hatten so starkes Gewitter, daß durch Güsse von Regen, und durch den Schnee der Alpen sich alle Berggewässer mehrten; der Paglione nimmt sie alle auf und kein Wort kann dieses erhabene Gemälde schildern, dieß, wenn er so siegreich und verheerend sich über alle die Trümmer hinweg stürzt, und das Meer, dumpf tobend, mit seinen Wellen entgegen eilt, um den wilden Gesellen aufzunehmen. Ein Tag, und spurlos ist er verschwunden. Nur das Bett ist reicher an Trümmern, die Brücken sind einiger Pfeiler ärmer, und so weiß man, daß der furchtbare Paglione wirklich dagewesen. Im Jahr 1744 war er das Grab vieler tausend französischer und spanischer Truppen, die, im Krieg mit piemontesischen Soldaten, über den Fluß zu setzen versuchten.

 

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Am 4. Dezember.   

 

Wer dächte, daß den ganzen Tag beschäftigt wie ich es bin, mit der Mechanik des Unterrichts, also durch und durch  aschgraue  Theorie,  dennoch der Baum der Phanta-

 

 


 

 

Der Paglione (Paillon)