BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Georg Friedrich Daumer:

Enthüllungen über Kaspar Hauser

 

1859

 

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[169]

XIII.

 

Mittheilung einiger besonderer Thatsachen und Vorfälle, die den Verdacht auf's Höchste zu steigern geeignet sind. Die Hauserische Geschichte hat allem Anscheine nach ihre Wurzeln in England. Feuerbach's wahrscheinlich nicht natürlicher Tod und ein Vorfall, der mich selbst betrifft.

 

Graf Stanhope war schon im Jahr 1829 zu Nürnberg, und zwar gerade um die Zeit, da sich in meinem Hause jener erste mißlungene Mordversuch begab. Damals vermied er die persönliche Annäherung und Anschließung an Hauser, mit dem er sich erst im Mai 1831 bekannt zu machen für gut befunden hat. 1) Als späterhin zu Ansbach der blutige Anschlag zu Ende geführt wurde, war St. auch wieder in der Nähe, da er sogleich nach Hauser's Begräbniß erschien und seine neue Rolle zu spielen begann. Man sagte, er habe mit seinem Wiedererscheinen so lange gezögert, bis die Katastrophe eingetreten war, um sofort als Ankläger des Gemordeten aufzutreten. Ich lasse das dahingestellt sein. Es mag die beiden Male [170] der sonderbarste aller Zufälle gewaltet haben und der Graf deßhalb vollkommen unschuldig sein. Aber Etwas muß ich berichten, was mich gegen den Mann, von dem ich zuvor durchaus nichts Arges dachte, im höchsten Grade verstimmt und eingenommen hat.

Stanhope kam nach Hauser's Tode zu mir und suchte mich zu bewegen, ein öffentliches Zeugniß gegen ihn abzulegen. Ich, als der Erzieher und aufmerksamste Beobachter des Findlings, bildete hier eine nicht unbedeutende Autorität, und wenn diese gegen ihn verwendet werden konnte, so war es völlig um ihn geschehen. Es kam darauf an, ob ich in das abscheuliche Complot zu ziehen sei. Der Graf machte mir deßhalb mehrere Besuche, bei denen er allmählig immer deutlicher zu erkennen gab, worauf es abgesehen war. Ich gerieth darüber in das größte Erstaunen und wußte mich bei dem arglosen Vertrauen, daß ich zu St. hegte, zunächst gar nicht in die Sache zu finden. Weibliche Augen pflegen in diesen Dingen schärfer zu sehen. Nicht ich, sondern meine Mutter war es, die einen schweren Verdacht faßte und gegen mich, als ich ihr meine Verwunderung über Stanhope äußerte, ein Wort aus­sprach, das ich mich zu wiederholen enthalte 2). Nun war es allerdings auch um mein [171] zutrauliches Verhältniß zu dem unheimlichen Manne geschehen. Als er das letzte Mal bei mir war, konnte ihm meine tiefe Verstimmung gegen ihn nicht entgehen; die Unterhaltung wurde ihm peinlich; auf einmal sprang er auf, lief, wie von den Furien gepeitscht, die Treppe hinab und zum Hause hinaus und ließ sich nicht mehr sehen.

Es ist erzählt worden, die Königin Karoline von Bayern habe zu dem Grafen gesagt: „Von Ihnen hat man eine schöne Meinung; man sagt, Sie hätten den Hauser umbringen lassen.“ Mag dies wahr oder falsch sein, so giebt es doch zu erkennen, daß man im Publikum nicht durchgängig so arglos und blind gegen das psychologisch Wunderbare und Unbegreifliche in dem Benehmen des Engländers war.

Es kam nach Hauser's Tode auch einmal ein anderer Engländer zu mir, der mir ebenfalls, doch in ganz anderer Weise und Richtung, ein Räthsel war. Es begleitete ihn seine Gattin, und sie erkundigten sich beide höchst angelegentlich nach dem Verstorbenen. Der Mann kam dabei in die größte Bewegung und Aufregung und sprach sich mit großem Pathos gegen den Mörder aus; der Dame war es hauptsächlich darum zu thun, zu erfahren, ob Hauser ein guter und liebens­würdiger Mensch gewesen. Alles verrieth, daß sie die Ueberzeugung hegten, H. sei ein ihnen entrissenes Kind. Der Mann war Hausern der Statur und Physiognomie nach sehr ähnlich. „Ich bin [172] reich,“ sagte er, und das will viel heißen in dem Munde eines Engländers. Als er in den Wagen stieg, bettelte ihn Jemand an. „Ah, du bist arm!“ sagte er und gab ihm ein großes Geldstück. Der Wagen rollte fort und ich habe auch von diesen Personen nichts wieder gesehen noch gehört.

Es kam endlich auch eine alte Engländerin, die ebenfalls ein ganz besonderes Interesse an der Geschichte des Findlings nahm. Sie hatte den Grafen scharf in's Auge gefaßt und jeden seiner Schritte belauert. Sie zeigte mir Zeitungsblätter und Fremdenanzeigen, die Stanhope's Namen enthielten und die ihr zu Documenten seines Aufenthaltes in Beziehung auf die wichtigsten Zeitpunkte der Geschichte Hauser's dienten.

Man sieht, es kommt viel zusammen, was auf England deutet. Außerdem führen sehr auffallende Spuren nach Ungarn hin. Ich gebe der Ansicht Raum, daß die Geschichte ihre Wurzeln in den aristokratischen Kreisen Englands habe, daß der Findling von daher stamme, einen Theil seiner Kindheit aber in Ungarn zugebracht habe. Näheres wird man eher in jenen Ländern, als bei uns herauszufinden im Stande sein. Eine Möglichkeit der Entdeckung muß man gefürchtet haben, sonst hätte man den Unglücklichen nicht so gewaltsam aus der Welt geschafft, hätte nicht zu gleicher Zeit, wofern der Schein nicht trügt, den wichtigen Mann, der an der Spitze der Untersuchung [173] stand und der sich ihr mit so großem Eifer gewidmet hatte, aus dem Wege geräumt.

In demselben Jahre, in welchem Hauser zu Grabe ging, starb nehmlich zu Frankfurt ganz unerwartet auch Feuerbach. In dem Bu­che: „Anselm Ritter v. Feuerbach's Leben und Wirken“ Bd. II. S. 346 wird dieses Todes in folgender Art gedacht.

„F. hatte sich von seiner vorangegangenen Schwäche ganz wieder erholt und des besten Wohlseins erfreut, als er auf einer Spazierfahrt nach Königstein plötzlich erkrankte und in der Nacht des folgenden Tages den 29. Mai 1833 den Geist aufgab. Bei der Leichenöffnung zeigten sich alle edlen Theile fehlerlos, die Krankheit wurde für nervös erklärt. Das Publikum aber schrieb seinen Tod einer Vergiftung wegen seiner Theilnahme an K. Hauser's Schicksal zu. Auffallend ist es allerdings, daß dieser noch in dem nehmli­chen Jahre ermordet wurde.“

Als Stanhope seine verdächtigenden und anklagenden Broschüren in die Welt streute, war der Landgerichtsarzt Dr. Albert, der für H. ein so entschiedenes Zeugniß abgelegt und namentlich den Verdacht des Selbstmordes, dem Sektionsbefunde, so wie den Lebens­verhältnissen, dem Charakter und der Stimmung Hauser's gemäß, so bestimmt zurückgewiesen hatte, auch schon nicht mehr unter denen, welche sprechen und erwiedern konnten. Ich sehe [174] dies aus Stanhope's „Materialien“ S. 59, wo jener Arzt, bei dem Versuche, seine Aussprüche und Nachweisungen zu entkräften, als „jetzt verstorbener“ aufgeführt wird. Der Brief an Merker, wo die Stelle vorkommt, ist dem beigesetzten Datum nach vom August 1834. Daß ein so charaktervoller und unbestechlicher Zeuge, eine so bedeutende wissenschaftliche Autorität dahin war, war dem Grafen ohne Zweifel ebenfalls sehr angenehm.

In diesen Zusammenhang von Thatsachen scheint endlich auch ein Vorfall zu gehören, der mich selbst betrifft. Ich erwähne desselben nur ungern und mit einer gewissen Selbstüberwindung, weil es scheinen könnte, als lege ich meiner an sich so unbedeutenden Person eine zu große Wichtigkeit bei. Ich glaube jedoch, da ich einmal mein vieljähriges Schweigen gebrochen, Alles sagen zu müssen, was zur Sache gehört und einen Zug des grauenhaften Gemäldes ausmacht, das ich zu entwerfen unternommen. Man wollte mich erst gewinnen; das mißglückte, und man hatte mir damit nur eine Waffe in die Hand gegeben, die ich in meiner Art benützen konnte. Was man vor Allem zu fürchten hatte, war weggeräumt; es ist nicht undenkbar, daß man, um ganz sicher zu sein, gern noch eine Person beseitigt hätte, die einzige, von der noch irgend Etwas zu besorgen war, – wie ich denn auch wirklich schon damals losbrechen wollte, und es unfehlbar gethan haben würde, wenn nicht Alles dagegen gewesen wäre und [175] so ernstlich abgerathen hätte, daß ich Muth und Lust verlor, und eine schon begonnene Schrift der bezüglichen Art unvollendet liegen ließ.

Es war im August 1835, als ich bei schon eingebrochener abendlicher Dunkelheit, in einem wenig betretenen Theile der Stadt, hinter der sogenannten Schütt, durch eine eben ganz stille und menschenleere Gasse ging. Da kam ein Mensch von großer Statur und etwas gemeinem Ansehen auf mich zu und fragte mit sonderbar abgebrochenen Worten, doch durchaus nicht etwa mit dem Tone und dem Benehmen eines Betrunkenen, nach der Wohnung Jemandes, indem er mir ganz nahe auf den Leib rückte und, da ich, hiedurch scheu gemacht, vor ihm zurückwich, mir auf eine sehr verdächtige Weise nachrückte, wobei er die rechte Hand versteckt hielt, auch besonders mit der rechten Seite sich mir zu nähern trachtete. Ein in die Gasse tretender Bürger scheint ihn verscheucht zu haben. Daß mich der Mensch habe bestehlen oder berauben wollen, ist sehr unwahrscheinlich, daß er aber Etwas auszuführen im Sinne gehabt, ist mir des beschriebenen Benehmens wegen kaum zweifelhaft. Schon früher hatte sich, da ich in der Dunkelheit des Abends an einem vor der Stadt gelegenen freien Platze saß, etwas weniger Auffallendes, doch aber schon meine Aufmerksamkeit Erregendes begeben, und ich glaubte dasselbe, nachdem sich der zweite Fall ereignet hatte, unter denselben Gesichtspunkt stellen zu dürfen. [176] Die Eingezogenheit meiner Lebensart war indessen zu groß und die Gelegenheiten, mir beizukommen, zu selten, als daß man vollbringen konnte, was man auch hier, wenn ich mich nicht getäuscht habe, im Schilde geführt.

 

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1) Vergl. „Materialien“ S. 108. 

2) „Siehst du denn nicht, daß dies der – – – – – – ist?“ rief sie.