BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Georg Friedrich Daumer:

Enthüllungen über Kaspar Hauser

 

1859

 

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[261]

III.

Erinnerungen Hauser's

in Form des Traums und der Vision.

 

Am 14. September 1828 ging ich mit Hauser auf die Burg von Nürnberg, um ihm die daselbst befindliche Gemäldegallerie sehen zu lassen. Der Eingang in das Gebäude, wo sich dieselbe befand, war damals ein ganz anderer, als der jetzige. Gleich unten in dem Gebäude, ehe man zur Treppe gelangte, sah man die Flügelthüre eines Zimmers, bei deren Anblick sich H. plötzlich betroffen fühlte. Er hatte nach seiner bestimmten und wiederholten Versicherung eine solche Zimmerthüre zu Nürnberg nie gesehen. Dieser Art aber waren die Thüren des „großen Hauses,“ in welchem er sich in der Nacht zwischen dem 30. und 31. August träumend zu befinden geglaubt. Er [262] blieb lange Zeit vor dieser Thüre sinnend stehen und sah sich dann um, ob er hier noch eine andere Ähnlichkeit mit dem im Traume Gesehenen finden könne. Als wir die Treppe hinaufstiegen, sagte er, so eine Treppe sei er hinaufgegangen, aber mit schöneren Stufen. Oben in der Gallerie angelangt, stand er wieder, ohne die Bilder zu besehen, sinnend und mit convulsivischen Bewegungen, wie sie stets bei tiefem Nachsinnen bei ihm zu sehen waren; seine Erinnerung an den Traum wurde lebhafter und bestimmter; er erinnere sich, sagte er, eines großen Platzes, in dessen Mitte ein Röhrbrunnen gewesen, und um diesen Platz herum seien die Zimmer des Hauses herumgebaut gewesen. Wenn man die Thüren aufgemacht, habe man durch mehrere Zimmer hindurch sehen können. Altdeutsche Ritter- und Fürstenbilder erinnerten ihn an eine Statue, die an der Treppe mit dem Schwerdt in der Hand gestanden. Er sagte mit großer Bewegung, es sei ihm, als habe er einmal so ein Haus „gehabt“ und er wisse nicht, was er davon denken solle. Späterhin ward durch seine Beschreibungen noch Folgendes kund. An den äußeren Wänden des Gebäudes waren Säulen mit Steinbildern. Der Brunnen war wie der im Hofe des Nürnberger Rathhauses, aber größer und mit stärkerer Wasserströmung. Vom Schloßhof – denn dies scheint dieser Platz gewesen zu sein – führten keine Treppen zu den Thüren des Gebäudes. Die Zahl der Thüren oder Thore, durch [263] welche man in's Gebäude kam, wußte er nicht genau anzugeben; es mögen, sagte er, viere oder fünfe gewesen sein, zum Theil groß und offen, alle oben rund. Inwendig im Gebäude ging eine große, breite Treppe hienauf, vier oder fünfmal gebrochen; „man ging einmal so, dann so,“ zeigte er, immer unter rechtem Winkel sich wendend. Unten neben der Treppe stand ein runder Stein, so hoch als das Geländer der Treppe; darauf stand eine weiße, steinerne Bildsäule mit Schnurr- und Knebelbart und Halskragen, in der Hand ein bloßes gegen die Erde gestütztes Schwerdt. Oben war der Griff des Schwerdtes wie ein Löwenkopf geformt. Zwei Reihen von Zimmern befanden sich im Innern des Gebäudes; die eine Reihe war unten; zu der andern mußte man die Treppe hinauf steigen. Unten konnte man ganz herumgehen, so daß man durch die Thore auf den Brunnen hinaussehen konnte. Zu der untern Reihe der Zimmer führten Flügelthüren, dergleichen eine H. auf der Nürnberger Burg gesehen. Auch oben waren die Thüren von dieser Art. In jedem Zimmer der oberen Reihe waren zwölf Sessel, drei Commode und zwei Tische, einer in der Mitte und einer an der Wand, nur im Bibliothekzimmer waren keine Commode. Die Tische waren nicht alle gleich, wohl aber die Commode und Sessel. Eins der Zimmer war das größte; es war das erste, in welches man eintrat, das daneben befindliche war noch schöner. In allen Zimmern waren große Spiegel mit [264] goldenen Rahmen, auch kleinere mit solchen Rahmen; in vieren der Zimmer, – im Silber- und Bibliothekzimmer und in den beiden vorhin genannten – hingen von der Decke Lüstres. Im größten Zimmer war der Tisch länglich rund; Commode und Sessel waren von einer Art, die er sonst nie gesehen hatte. Die Commode hatten, nach altmodischer Art, in der Mitte der vorderen Seite eine hervortretende Rundung; jede Schublade hatte zwei Löwenköpfe, an welchen man sie herauszog, in der Mitte waren die Schlüssellöcher. Viele Bilder hingen an den Zimmerwänden. Im Bibliothekzimmer waren zwei Spiegel und ein großer Tisch. In einem der Zimmer waren silberne Schüsseln, Teller, Gabeln und Messer, auch Kaffeetassen, jedes dieser Geräthschaften besonders und alles hinter großen Glasthüren. Unter den Glasschränken waren hölzerne Schränke mit Flügelthüren, in welchen die meisten und schönsten Tassen standen. In dem großen Zimmer lag H. in einem Bette, da trat eine Frau zu ihm herein, mit gelbem Hut und weißen, dicken Federn darauf. Hinter ihr trat ein Mann herein in schwarzen Kleidern – der Rock war ein Frack – einen länglichen Hut auf dem Kopfe, einen Degen an der Seite und auf der Brust ein Kreuz an einem blauen Band. Die Frau trat an Hauser's Bett und blieb stehen. Der Mann blieb ein wenig hinter der Frau zurück. H. fragte die Frau, was sie wolle; sie antwortete nichts; er wiederholte die Frage, sie [265] gab wieder keine Antwort. Sie hielt ein weißes Sacktuch in der Hand gegen ihn hin, was er erst bei der zweiten Frage bemerkte. Hierauf ging der Mann und hinter ihm die Frau zur Thüre hinaus. Dann kam ich herein, H. stand auf und zeigte mir die Wohnung und die Zimmer, die er mit mir durchwanderte. Er ließ mich eines von ihnen zur Bewohnung auswählen. Ich wählte das größte; er bestimmte sich seine Wohnung in dem nebenanstoßenden, zwar kleinern, aber schöner ausmöblirten Zimmer. Auch meiner Mutter und Schwester wies er zur Wohnung einige Zimmer an. Jene, sagte er, habe ihm recht gut gekocht, und diese seine Zimmer recht schön gemacht. Zuletzt ging ich und H. in das Bibliothekzimmer; ich lehrte ihm aus lateinischen und griechischen Büchern und H. konnte sie alle lesen. Darüber wachte er auf und es that ihm sehr weh, daß dies alles nur ein Traum gewesen. Wenn nur das Eine geblieben wäre, äußerte er, daß er alle Bücher lesen gekonnt, so wolle er sich gern darüber trösten, daß alle die anderen Herrlichkeiten verschwunden seien.

Es mischt sich hier ächt traumartig die Gegenwart mit einem Bilde der Vergangenheit; denn daß das beschriebene Schloß auf einer Erinnerung aus der Kindheit des Findlings beruhte, kann nicht zweifelhaft sein. Er selbst schrieb in seiner damals noch ziemlich kindischen Manier Folgendes auf: [266]

„Ich habe einen Traum gehabt, ich habe ein recht großes Haus, da waren recht schöne Zimmer, in denen sind ville Sachen gewesen, in jedem Zimmer waren zwölf Stühle, drei Kommod, in einem Zimmer das war voll Bücher, diese habe ich alle lessen können. Dieses hat mich am besten Freude gemacht, in einen Zimmer da waren von Sülber Schüssl und Tehler die haben so schön glänzt, daß ich eine solche Freude gehabt habe, daß ich es nicht sagen kann. In meinen Hause hat die Mutter, der Herr Profesor und die Käthe gewohnt, die Mutter hat mir so gut gemacht alles, die Käthe hat mir recht schön gebuzt. In den Haus sind Menschen von Stein ausgehaut gewesen und in Ganzen ist alles voll Sache gewesen.“

In diesen Zusammenhang von Erinnerung scheint denn auch ein ihm im Nov. 1828 in visionärer Weise vor Augen tretendes Bild zu gehören. Ich fand ihn damals mit der Zeichnung eines männlichen Kopfes beschäftigt, die einen eigenthümlichen portraitartigen Charakter hatte. Er sagte mir, das Gesicht stehe vor ihm da, wie er es hier abgezeichnet. Als ich ihm bemerkte, daß das eine Auge nicht ganz nach der Richtung, wie das andere blicke, so sah er abwechselnd auf die Zeichnung und dann nach der Gegend hin, in welcher der Kopf nach seiner Aussage vor ihm schwebte, wie wenn Jemand ein Portrait sorgfältig mit dem vor ihm stehenden Original vergleicht: Hierauf sagte er, der Kopf schiele auch wirklich so, wie er ihn gezeichnet [267] habe. Er konnte wegen eintretender Augenschmerzen, an denen er damals bei Augenanstrengungen zu leiden pflegte, das Bild nicht vollenden und machte erst nach einiger Zeit unordentlich herabhängende Haare an demselben, welche letztere, von denen er sagte, daß er sie nach ungewisser Erinnerung gezeichnet habe, sich von dem übrigen Theile der Zeichnung merklich unterschieden. Die Farbe der Haare wußte er mir nicht mehr zu bestimmen. 1)

Als ich den Kopf dem Grafen Stanhope zeigte, schien er wenig davon halten zu wollen und legte ihn gleich wieder aus der Hand, als habe er eine gewisse Scheu davor.

 

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1) Vergl. das zu Nürnberg bei Julius März erschienene „Athenäum“ Heft I. Juli 1838, wo eine Copie der Hauserischen Zeichnung zu finden.