BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Glückel von Hameln

um 1646 - 1724

 

Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln

übersetzt von Alfred Feilchenfeld

 

Drittes Buch, erste Hälfte.

 

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Drittes Buch, erste Hälfte.

Geschäftsgehilfen Chaim Hamelns.

Begeisterung für den falschen Messias Sabbatai Zewi.

Erlebnisse zur Zeit der Hamburger Pest von 1664.

 

Es ist gar nicht zu sagen, was für wunderliche Dinge uns sündigen Menschen alle passieren können. Ich bin [in der Zeit, von der ich jetzt schreiben werde], ungefähr 25 Jahre alt gewesen. Mein sel. Mann war sehr fleißig in seinem Geschäft und ich, obschon ich noch jung war, habe auch das Meinige dazu getan. Ich schreibe es nicht um mich zu rühmen: mein sel. Mann hat von keinem andern einen Rat angenommen und hat nichts andres getan, als was wir zusammen besprochen haben. Zu jener Zeit kam ein junger Mann namens Mordechai von Hannover, wo er bei meinem Schwager Leffmann gewesen war, nach Hamburg und war bei uns zu Gast. Er hat uns gut gefallen; darum haben wir ihn zu uns genommen, daß er für uns dahin reisen sollte, wo Geschäfte zu machen waren. Der junge Mann ist aus Polen gewesen und hat sehr gut Polnisch gesprochen. So haben wir ihn nach Danzig geschickt, da wir gehört haben, daß [55] dort viele Unzenperlen 1) zu kaufen seien – die Hauptsache vom Juwelengeschäft bestand aber damals in dem Handel mit Unzenperlen. Wir haben ihm einen Kreditbrief von einigen hundert Talern mit nach Danzig gegeben und ihn ein wenig unterwiesen, wie er Perlen einkaufen solle. Wenn wir damals so darauf aus gewesen wären in Danzig Juwelen zu verkaufen wie einzukaufen, hätten wir viel mehr verdienen können. Aber man war so auf das Geschäft mit Perlen versessen, daß man an gar kein anderes Geschäft gedacht hat. So ist der Mordechai nach Danzig gefahren und hat angefangen dort Perlen einzukaufen und sie hierher geschickt. Er hat auch ganz gut eingekauft, so daß schöner Verdienst daran war. Er wollte aber nicht länger in Danzig bleiben, da er schon in den Jahren war eine Frau zu nehmen. Darum ist er hierhergekommen und hat sich mit der Tochter des langen Nathan verlobt; die Hochzeit hat er schon für ein halbes Jahr später festsetzen lassen 1a). Mein sel. Mann wollte, daß er unterdessen bis zu seiner Hochzeit wieder nach Danzig reisen sollte. Aber es war leider ein Verhängnis von Gott, daß er nicht nach Danzig hat reisen wollen. Er sagte: «Es ist kein halbes Jahr mehr bis zu meiner Hochzeit; ehe ich hin und her reise, geht die Zeit weg. Ich will lieber in Deutschland reisen und Wein kaufen.» Mein Mann sagte ihm: «Wie kommst du auf diesen Einfall? Ich will an deinem Weingeschäft [56] keinen Anteil haben.» «So will ich allein auf meine Rechnung kaufen,» antwortete Mordechai. Obwohl mein Mann mit guten und bösen Worten auf ihn eingeredet und auch Mordechais zukünftigen Schwiegervater zu ihm geschickt hat, um ihn von der unglückseligen Reise abzubringen, so hat doch alles nichts helfen wollen. Es scheint, daß der gute Mensch anderen hat Platz machen müssen. Denn wenn ihm Gott sein Leben gelassen hätte, so wären vielleicht Juda Berlin und Isachar Cohen nicht zu ihrem Reichtum gekommen 2). So ist also Mordechai, da mein Mann mit ihm kein Kompagniegeschäft im Weinhandel machen wollte, für seine eigene Rechnung gereist und hat ungefähr 600 Reichstaler mitgenommen. Als er nach Hannover kam, hat er sein Geld meinem Schwager Leffmann [Behrens] gegeben; dieser sollte ihm das Geld an den Ort überweisen, wohin er reisen wollte, um Wein einzukaufen. Von Hannover mußte er auf Hildesheim zu reisen. Er war aber so ein karger Mensch, daß er sich nicht gegönnt hat von Hannover nach Hildesheim mit der Post zu fahren, oder vielmehr: Gott hat es nicht haben wollen. Also ist er allein zu Fuß gegangen; denn Hannover ist nur drei Meilen Weges von Hildesheim entfernt. Wie er vor Hildesheim kommt und keine Sabbatstrecke 3) mehr davon entfernt ist, begegnet ihm ein Wildschütz [57] und sagt zu ihm: «Jud', gib mir ein Trinkgeld oder ich erschieß' dich.» Der Mordechai lacht ihn aus; denn zwischen Hannover und Hildesheim ist es so sicher, wie zwischen Hamburg und Altona. Aber der Schütz sagt wieder zu ihm: «Du jüdisches Aas, was bedenkst du dich lang? Sag' ja oder nein!» Endlich nimmt der Schütz sein Gewehr und schießt den Mordechai gleich in den Kopf hinein, daß er stracks niederfällt und tot ist. Nun ist es auf diesem Weg keine Viertelstunde still und doch hat es sich leider so unglücklich treffen müssen, daß keine Wanderer vorbeigekommen sind. So hat der ehrliche, wackere, redliche Junge dort so früh sein Ende gefunden und, anstatt seine Hochzeit und seinen Ehrentag zu feiern, in die finstere Erde kriechen müssen und so schamlos 3a) [hingemordet]! Mein Gott, wenn ich noch daran denke, stehen mir meine Haare zu Berge. Denn er ist ein frommes, gutes, gottesfürchtiges Kind gewesen, und hätte ihm Gott sein Leben gegönnt, so wäre er zu großen Dingen gekommen und es wäre für uns auch gut gewesen. Gott weiß, wie herzlich es mich und meinen Mann geschmerzt hat und wie wir uns betrübt haben. Wie er nun noch nicht lange dagelegen ist und sich in seinem jungen Blute gewälzt hat, sind Leute von Hildesheim herausgegangen und haben ihn so elendiglich gefunden und ihn sogleich erkannt, denn er war bekannt in der ganzen Gegend. Sie haben sich also um ihn bemüht und ihn sogleich zu Grabe getragen. Was für [58] Jammern und Wehklagen in der ganzen Gegend gewesen ist, ist nicht zu beschreiben. Aber was hilft das alles? Sein junges Leben war dahin. Man hat uns von Hannover und Hildesheim sofort geschrieben; denn sie haben wohl gewußt, daß er mit uns in Geschäftsverbindung stand, und haben gemeint, daß er viel von uns bei sich gehabt hätte. Aber er hat nichts bei sich gehabt als etliche Reichstaler Zehrgeld. Obschon man in Hannover und Hildesheim viel nachgeforscht hat um den Mord zu rächen, ist doch nichts ausgerichtet worden. Denn der Mörder – Gott möge seinen Namen auslöschen – ist weggelaufen und seit der Zeit nicht wieder gesehen worden. Gott möge das Blut des Erschlagenen rächen mit dem der anderen Heiligen und Frommen!

 

Juda Berlin/Jost Liebmann

 

Jetzt hatten wir also niemanden, den wir zu solchem Geschäft hätten gebrauchen können. Aber es hat nur kurze Zeit gedauert, da ist der junge Juda Berlin 4a) mit einem Heiratsvermittler Jacob Obernkirchen hierhergekommen. Der hat ihm die Tochter des Pinchas Harburg angetragen. Aus der Partie ist nichts geworden; es war wohl von Gott nicht so bestimmt. So ist denn dieser Juda einige Zeit in meinem Hause Gast gewesen, denn er war als ein Vetter meines Schwagers Leffmann mit meinem Manne verwandt. Wie er nun einige Wochen bei uns war, hat er uns in jeder Beziehung sehr [59] gut gefallen. Er ist ein hübscher Thorakenner gewesen, hat auch gut von Geschäften reden können und sich sehr klug gezeigt. So sagte denn mein Mann zu mir: «Glückchen, was deucht dich, wenn wir den Jungen zu uns nehmen und ihn nach Danzig schicken? Ich halte ihn für einen recht klugen Jungen.» Ich sagte darauf zu meinem Manne: «Ich habe auch schon manchmal daran gedacht; wir müssen doch wieder jemanden haben.» Wir haben also mit ihm geredet und er ist es gleich zufrieden gewesen und ist keine acht Tage danach nach Danzig gereist. Was er bei sich gehabt hat, das war sein ganzes Gut; es bestand in Bernstein im Werte von 20 oder 30 Reichstalern. Das hat er meinem sel. Mann zurückgelassen, damit er es ihm verkaufen oder verwahren sollte. Nun, meine lieben Kinder, seht, wenn der getreue Gott einem helfen will, wie er aus wenig viel machen kann und wie Juda aus dem kleinen Kapital, das so gut wie nichts war, zu so großem Reichtum gekommen und so ein großer Mann geworden ist. So ist nun Juda einige Zeit in Danzig gewesen und hat gute Geschäfte gemacht und immer Unzenperlen gekauft. Aber er ist nicht so sehr dem Geschäft nachgelaufen; überdies ist in Hamburg der Kredit noch nicht so groß gewesen wie jetzt und wir waren junge Leute, die noch nicht so große Reichtümer hatten. Wir haben ihn aber doch mit Kreditbriefen versehen, ihm auch zuweilen Wechsel geschickt, so daß er an Geld keinen Mangel hatte. Er ist ungefähr zwei Jahre dort gewesen, und als er wiederkam, hat mein Mann mit ihm abgerechnet und ihm 800 oder 900 Reichstaler Gewinn auf seinen Anteil herausbezahlt. Damit ist er nach Hannover gereist und hat [60] sich dortherum (= in dieser Gegend) aufgehalten und sich verheiraten wollen.

 

Sabbatai Zewi (1626 - 1676),

Religionsgelehrter und als selbsterklärter Messias der Begründer

des nach ihm benannten Sabbatianismus.

 

Unterdessen bin ich mit meiner Tochter Mate ins Kindbett gekommen; sie ist ein sehr schönes Kind gewesen. Zu jener Zeit hat man angefangen von Sabbatai Zewi 5) zu reden. Aber «wehe uns, daß wir gesündigt» und daß wir es nicht erlebt haben, wie wir es gehört und wie wir es uns fast eingebildet hatten! Wenn ich daran denke, wie damals alte und junge Leute Buße getan haben – das ist ja in der ganzen Welt bekannt. [61] O, Herr der Welt, wie wir gehofft haben, daß du mit deinem Volk Israel Barmherzigkeit üben und uns erlösen würdest, da waren wir wie eine Frau, die auf dem Gebärstuhl sitzt und große Schmerzen und Wehen erleidet. Sie meint, nach allen ihren Schmerzen und Wehen werde sie mit ihrem Kind erfreut werden; aber sie hat nichts anderes als einen Wind gehört. So, mein lieber Gott und König, ist auch uns geschehen. Alle deine lieben Knechte und Kinder in der ganzen Welt haben sich mit Buße, Gebet und Wohltun sehr abgemüht und dein liebes Volk Israel ist zwei bis drei Jahre lang auf dem Gebärstuhl gesessen, aber es ist danach nichts als Wind herausgekommen. Nicht genug, daß wir nicht gewürdigt wurden das Kind zu sehen, um das wir uns so sehr gemüht und das wir schon für ganz sicher gehalten haben: wir sind leider stecken geblieben. Mein Gott und Herr, deswegen verzagt dein Volk Israel doch nicht und hofft täglich darauf, daß du es in deiner Barmherzigkeit erlösen wirst. Wenn sich die Erlösung auch verzögert, so hoffe ich doch an jedem Tage, daß sie kommen wird. Wenn es dein heiliger Wille sein wird, so wirst du deines Volkes Israel schon gedenken.

Was für Freude herrschte, wenn man Briefe bekam, [die von Sabbatai Zewi berichteten,] ist nicht zu beschreiben 6). Die meisten Briefe haben die Portugiesen bekommen. Sie sind immer damit in ihre Synagoge gegangen und haben sie dort vorgelesen. Auch Deutsche, jung und alt, sind in die Portugiesen-Synagoge gegangen. [62] Die portugiesischen jungen Gesellen haben sich allemal ihre besten Kleider angetan und sich grüne, breite Seidenbänder umgebunden – das war die Livrei von Sabbatai Zewi. So sind sie alle «mit Pauken und Reigentänzen» in ihre Synagoge gegangen und haben mit einer Freude, «gleich der Freude beim Wasserschöpfen» 7), die Schreiben vorgelesen. Manche haben Haus und Hof und alles Ihrige verkauft, da sie hofften jeden Tag erlöst zu werden. Mein sel. Schwiegervater, der in Hameln wohnte, ist von dort weggezogen, hat sein Haus und seinen Hof und alle guten Hausgeräte, die darin waren, stehen lassen und seine Wohnung nach Hildesheim verlegt. Von dort hat er uns hierher nach Hamburg zwei große Fässer mit Leinenzeug geschickt; darin waren allerhand Speisen, wie Erbsen, Bohnen, Dörrfleisch, Pflaumenschnitz und ähnlicher Kram und alles, was sich gut hält. Denn der alte Mann hat gedacht, man würde ohne weiteres von Hamburg nach dem Heiligen Lande fahren. Diese Fässer haben wohl länger als ein Jahr in meinem Hause gestanden. Endlich haben sie (meine Schwiegereltern) Furcht gehabt, das Fleisch und die übrigen Sachen würden zugrunde gehen. Da schrieben sie uns, wir sollten die Fässer aufmachen und die Eßwaren herausnehmen, damit das Leinenzeug nicht zu schanden werde. So haben die Fässer wohl drei Jahre gestanden und mein Schwiegervater hat immer gemeint, er sollte es zu seiner Reise [63] brauchen. Aber dem Höchsten hat es noch nicht gefallen [uns zu erlösen]. Wir wissen wohl, daß der Höchste es uns zugesagt hat, und wenn wir von Grund unsres Herzens fromm und nicht so böse wären, so weiß ich gewiß, daß sich Gott unser erbarmen würde. Wenn wir doch nur das Gebot hielten: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Aber Gott soll sich erbarmen, wie wir das halten! Die Eifersucht, der grundlose Haß, der unter uns herrscht – das kann nicht gut tun. Dennoch, lieber Herrgott, was du uns zugesagt hast, das wirst du königlich und gnädiglich halten. Wenn es sich auch durch unsere Sünden so lange verzögert, so werden wir es doch gewiß haben, wenn deine festgesetzte Zeit da ist. Darauf wollen wir hoffen und zu dir beten, großer Gott, daß du uns einmal mit der vollkommenen Erlösung erfreuest. Für diesmal will ich die Materie beschließen und wieder [mit meiner Erzählung] anfangen.

 

Pesthospital zu Hamburg (Kupferstich von C.Fritzsch)

 

Während ich mit meiner Tochter Mate im Kindbett lag, fing man in Hamburg an zu munkeln, daß – behüte Gott – die Pest in der Stadt wäre 8). Endlich hat sie so überhand genommen, daß auch drei oder vier [64] Judenhäuser davon ergriffen wurden und wirklich alle, die darin waren, ausgestorben sind, so daß die Häuser fast ledig standen. Es war eine arge Zeit der Not und des Elends; ist man doch sogar – Gott sei's geklagt – mit den Toten elend umgegangen. Da sind die meisten jüdischen Familien von Hamburg nach Altona gezogen. Die Leute hatten für einige Tausend Taler Pfänder, darunter solche von 10–30 und sogar bis 100 Taler im Wert. Denn wenn man Geschäfte mit Pfändern machte, mußte man ebensogut 20 Taler wie 5 Schilling auf Pfänder leihen. Nun war die Pest in der ganzen Stadt und wir hatten keine Ruhe vor dem Volk. Wenn wir auch wußten, daß sie sich schon angesteckt hatten, mußten wir ihnen doch ihre Pfänder zum Einlösen geben, und wären wir auch nach Altona gezogen, so wären sie uns auch dorthin nachgekommen. Darum haben wir uns entschlossen mit unseren Kinderchen nach Hameln zu reisen, wo mein Schwiegervater damals wohnte. So sind wir denn sogleich am Tage nach dem Versöhnungstage von Hamburg weggereist und sind einen Tag vor dem Laubhüttenfeste [Sukkot] in Hannover angelangt.

 

Hannover

 

Dort waren wir im Hause meines Schwagers Abraham Hameln zu Gaste, der zur selben Zeit noch in Hannover wohnte 8a). Weil es so nahe zum Festtage war, sind wir über das Laubhüttenfest in Hannover geblieben. Ich habe meine Tochter Zipporah bei mir gehabt, die damals vier Jahre alt war, meinen zweijährigen Sohn Nathan und meine sel. Tochter Mate, die ungefähr acht Wochen alt war. Mein Schwager Loeb Hannover 8b) hatte uns für die ersten [65] Tage des Festes eingeladen 9) und in seinem Hause war auch die Betschule.

 

Laubhüttenfest: Innenansicht der Amsterdamer sephardischen Synagoge,

auf deren mittlerer Estrade sieben Männer mit Thorarollen stehen.

Um die Estrade findet der Rundgang mit dem Feststrauß (Lulew) statt.

 

Als nun mein sel. Mann am zweiten Festtage morgens in der Betschule war, war ich noch unten in der Stube und wollte meine Tochter Zipporah anziehen … Wie ich sie nun angezogen habe, da hat sich das Kind sehr gekrümmt, wenn ich es angerührt habe. Ich fragte sie: «Was fehlt dir, liebes Kind?» Sie antwortete: «Liebe Mutter, unter meinem Arme tut es mir sehr weh.» Wie ich nun zusehe, was dem Kinde fehlt, hat es ein Geschwür unter dem Arm. Nun hatte mein Mann auch ein kleines Geschwür gehabt, da hatte ihm ein Barbier in Hannover ein kleines Pflästerchen aufgelegt. So sage ich denn zu der Magd, die ich bei mir hatte: «Geh zu meinem Mann – er ist oben in der Schul – und frage ihn, bei welchem Barbier er gewesen ist und wo er wohnt. Dann geh mit dem Kinde hin und laß ihm ein Pflaster auflegen.» Ich habe mir nichts Böses dabei gedacht. Die Magd geht nun hin, fragt meinen Mann danach und bekommt von ihm Antwort. Nun muß man durch die Weiberschul hindurchgehen, wenn man in die Männerschul gehn will. Wie nun die Magd herausgeht, sitzen meine Schwägerinnen Jente, Sulka und Esther in der Schul und fragen die Magd: «Was hast du in der Männerschul getan?» Da sagt die Magd ganz arglos, ohne an etwas Böses zu [66] denken: «Unser Kind hat ein Geschwür unterm Arm; da hab' ich meinen Herrn gefragt, bei welchem Barbier er sein Geschwür hat heilen lassen; da will ich mit dem Kind auch hingehen.» Die Weiber erschraken gleich sehr, da sie ohnedies in solchen Dingen große Feiglinge waren und weil wir von Hamburg, aus solchem Verdacht, gekommen sind. Sie steckten also eifrig die Köpfe zusammen und sprachen darüber. Nun war in der Frauenschul auch eine Fremde, eine alte Polin, die hörte auch von der Sache und sah, daß meine Schwägerinnen so sehr erschrocken waren. Da sagte sie zu ihnen: «Erschreckt euch nicht, es wird nichts sein; ich habe wohl schon zwanzigmal mit solchen Dingen zu tun gehabt; wenn ihr es haben wollt, so will ich hinaufgehen und das kleine Mädchen besehen und werde euch dann sagen, ob es gefährlich ist und was ihr dabei tun sollt.» Die Frauen waren es zufrieden und baten sie, doch ja genau zuzusehen, damit sie nicht – Gott behüte – in Gefahr kämen. Ich habe von diesem Gerede gar nichts gewußt. Da kommt die alte Polin herauf und fragt: «Wo ist das kleine Mädel?» Ich sage: «Warum?» «Ei,» sagt sie, «ich bin eine Heilkundige, ich will bei dem Mädel etwas anwenden 10), dann soll es bald besser werden.» Ich denke an nichts Böses und führe das Kind zu ihr. Sie besieht das Kind und läuft gleich von ihm weg; dann läuft sie wieder hinauf zu den Weibern und erhebt ein großes Geschrei: «Flieht alle hinweg, wer nur fliehen und laufen kann, denn ihr habt leider die richtige Pest [67] im Haus, das Mädel hat die Seuche ganz richtig an sich.» Nun kann man sich wohl denken, was da für ein Schrecken und Geheul unter den Weibern war, besonders bei solchen Angsthasen. Männer und Frauen sind alle sogleich mitten in den besten Gebeten am heiligen Festtage aus der Betschule gelaufen. Die Magd mit dem Kind haben sie gleich genommen und vor die Türe gestoßen und keiner wollte sie in sein Haus aufnehmen. Man kann sich wohl vorstellen, wie uns zumute war. Ich habe in einem fort geweint und geschrieen und die Leute um Himmels willen gebeten und gesagt: «Seht doch zu, was ihr tut; meinem Kind fehlt nichts; ihr seht ja wohl, daß mein Kind Gottlob frisch und gesund ist. Das Kind hat einen fließenden Kopf gehabt; bevor ich von Hamburg weggereist bin, habe ich es eingeschmiert; da hat sich der Fluß vom Kopf zum Geschwür gezogen. Wenn einer – Gott behüte – so etwas an sich hat [wie ihr meint], hat er zehnerlei besondere Zeichen an sich. Seht, mein Kind läuft doch auf der Gasse herum und ißt ein' Stuten 11) aus der Hand.»

 

Stuten

 

Aber das hat alles nichts geholfen. Sie sagten: «Wenn das zutage kommen sollte, wenn Seine Hoheit unser Herzog 11a) davon erfährt, daß man in seiner Residenzstadt so etwas hat, was sollte das für ein Elend geben!» Und die Alte hat sich vor mich hingestellt und mir ins Gesicht gesagt, sie wolle ihren Hals hingeben, wenn das Kind nicht etwas Böses an sich hat. Was sollten wir tun? Ich habe gebeten: «Um der Barmherzigkeit willen, laßt mich bei dem [68] Kinde bleiben! Wo mein Kind bleibt, da will ich auch sein. Laßt mich nur heraus zu ihm!» Das haben sie auch nicht leiden wollen. Schließlich haben sich mein Schwager Abraham [Hameln] und mein Schwager Leffmann [Behrens] und mein Schwager Loeb [Hannover] mit ihren Frauen zu einem Konsilium zusammengesetzt und überlegt, was zu tun sei: wo man die Magd mit dem Kinde hintue und wie man alles vor der Regierung geheim halte; denn es wäre große Lebensgefahr, wenn der Herzog es gewahr werden sollte. Sie sind also zu dem Beschluß gekommen: man solle dem Kinde und der Magd alte, zerrissene Kleider anziehen und sie sollten auf ein Dorf gehen, das keine Sabbatstrecke von Hannover entfernt ist. Das Dorf hat Peinholz 12) geheißen.

 

Hof in Hainholz

 

Dort sollte sie sich in ein Bauernhaus begeben und sagen, die Juden in Hannover hätten sie am Feiertag nicht beherbergen wollen, weil sie schon so viele arme Leute hätten, und hätten sie auch nicht einmal in die Stadt hineingelassen. So wollten sie bei ihnen auf dem Dorfe die Feiertage halten, und ihnen für ihre Mühe bezahlen. Auch wissen wir gewiß (so sollten sie hinzufügen), daß sie uns in Hannover Essen und Trinken schicken werden; denn sie werden uns über die Feiertage nicht Hunger leiden lassen. In Hannover ist ein alter Mann, ein Polack, zu Gast gewesen, den haben sie gedungen nebst der alten Poläckin, von der ich gesprochen habe; diese beiden sollten einige Tage bei ihnen bleiben, bis man sieht, wie es abläuft. Die beiden haben aber nicht von der Stelle gehen wollen, man solle ihnen [69] erst dreißig Taler geben, wenn sie sich in eine solche Gefahr begeben sollten. So haben denn meine Schwäger Abraham, Leffmann und Loeb wieder ein Konsilium abgehalten und den Lehrer in Hannover, der auch ein großer Talmudgelehrter war, hinzugenommen und darüber nachgelernt 13), ob man den Festtag entweihen dürfe, indem man ihnen Geld gebe. Schließlich haben sie alle darin übereingestimmt, daß man ihnen das Geld geben solle, weil es sich doch um eine Lebensgefahr handelte. Also haben wir unser liebes Kind am heiligen Festtage von uns schicken und uns einreden lassen müssen, daß das Kind – Gott behüte – etwas an sich hätte. Ich will jeden Vater und jede Mutter darüber urteilen lassen, wie uns zumute war. Mein sel. Mann hat sich in einen Winkel gestellt und geweint und zu Gott gefleht und ich in einen anderen Winkel 14). Es war sicher meines frommen Mannes Verdienst, daß Gott ihn erhört hat. Ich glaube nicht, daß unserm Erzvater Abraham, wie er seinen Sohn opfern sollte, weher zumute gewesen ist als uns damals. Denn der Erzvater Abraham hat solches auf Gottes Geheiß und aus Liebe zu Gott getan und hat darum in seinem Leid doch noch Freude empfunden. Aber uns ist unter Fremden so eine Schickung zugekommen, die uns gar sehr zu [70] Herzen gegangen ist. Aber was sollte man tun? Man muß sich mit Geduld in alles fügen. «Sowie man Gott für das Gute preist, so muß man ihn für das Schlimme preisen. Ich habe meiner Magd ihre Kleider verkehrt angezogen und das Zeug von dem Kind in Bündelchen gebunden, habe der Magd ein Bündel wie einer Bettlerin aufgebunden und dem Kind auch alte, zerrissene Lumpen angetan. So sind denn meine gute Magd mit meinem lieben Kinde und der alte Mann und die Frau nach dem Dorf abmarschiert. Man kann sich denken, was wir dem lieben Kind für einen Priestersegen 15) nachgesagt und mit wieviel hundert Tränen wir es von uns geschickt haben. Das Kind selbst ist lustig und fröhlich gewesen wie ein Kind, das noch von nichts weiß. Wir andern aber, so viele unser in Hannover waren, haben alle geweint und zu Gott gefleht und den heiligen Festtag in lauter Schmerz zugebracht. Die sind nun nach dem Dorf gegangen, sind auch in einer Herberge in einem Bauernhause wohl aufgenommen worden, da sie Geld bei sich hatten – und so lange man das hat, machen sich es die Leute zunutze. Der Bauer hat sie gefragt: «Es ist ja euer Festtag, warum seid ihr nicht bei Juden?» Darauf haben sie geantwortet, daß schon viele arme Leute in Hannover wären; darum' hätte man verboten sie einzulassen; aber sie meinten doch, daß die Juden von Hannover ihnen über die Feiertage Essen herausschicken würden. Wir sind unterdessen wieder in die Betschule gegangen; aber man hatte schon zu Ende[71] gebetet. Zu jener Zeit war Juda Berlin in Hannover, der damals noch ledig war und schön mit uns Geschäfte gemacht hatte. Auch war ein junger Mann aus Polen, namens Michel, dort, der die Kinder unterrichtete. Später hat er eine Frau aus Hildesheim genommen und wohnt jetzt in Reichtum und Ehre in Hildesheim und ist dort Vorsteher. Er war damals so ein halber Bedienter mit im Hause, wie dies Brauch in Deutschland ist, wenn sie Talmudjünger zum Unterrichten der Kinder bei sich haben. Wie man nun aus der Betschule gekommen war, hat mein Schwager Loeb uns zur Mahlzeit rufen lassen; denn er hatte uns, wie schon erwähnt, am Tage vor dem Feste zu sich eingeladen. Aber mein sel. Mann sagte: «Ehe wir essen, muß ich erst dem Kinde und den anderen etwas zu essen bringen.» «Ja, gewiß,» sagten die anderen, «du hast recht; wir wollen nicht eher etwas essen, als bis die draußen etwas haben.» Das Dorf war nämlich sehr nahe bei Hannover, etwa so wie Altona bei Hamburg. Darauf hat man Essen zusammengebracht, ein jeder hat von dem seinigen etwas hergegeben. «Wer soll es nur hinbringen?» hieß es jetzt. Ein jeder scheute sich davor. Da sagte Juda: «Ich will es ihnen bringen,» und Michel sagte: «Ich will mitgehen.» Mein sel. Mann, der das Kind sehr lieb hatte, ist gleichfalls mitgegangen. Aber die Hannoverschen wollten ihm nicht trauen; denn sie dachten, wenn mein Mann hinausginge, würde er es nicht unterlassen zu dem Kinde zu gehen. Darum ist mein Schwager Leffmann auch mitgegangen. So gingen sie zusammen und brachten das Essen hinaus. Unterdessen ist die Magd mit dem Kind und ihre Gesellschaft vor großem Hunger auf [72] dem Felde herumspaziert. Als das Kind meinen sel. Mann sah, war es voller Freude und wollte, wie es so ein Kind tut, gleich zum Vater laufen. Da schrie mein Schwager Leffmann, man solle das Kind zurückhalten und der alte Mann solle kommen das Essen zu holen. Meinen Mann mußten sie förmlich beim Strick halten, daß er nicht zu dem lieben Kind herankommen sollte. So hat er und das Kind geweint; denn mein Mann hat gesehen, daß das Kind Gottlob frisch und gesund war, und durfte doch nicht zu ihm kommen. So haben sie denn das Essen und Trinken auf das Gras niedergestellt und die Magd und ihre Gesellschaft haben es abgeholt; mein Mann und seine Gesellschaft sind dann wieder weggegangen. Das hat nun bis zum achten Tage des Hüttenfestes gedauert. Der alte Mann und die Frau haben Pflaster und Salbe bei sich gehabt und alles, was dazu gehört ein Geschwür zu heilen. Sie haben dem Kinde das Geschwür auch hübsch ausgeheilt und das Kind war frisch und gesund und ist wie ein junges Hirschchen auf dem Felde herumgesprungen. Nun sagten wir zu den Hannöverschen: «Was wird aus eurer Torheit werden? Ihr seht ja, daß das Kind frisch und gesund ist und gar nichts Gefährliches mehr hat; laßt das Kind doch jetzt wieder hereinkommen!» So haben sie wieder Beratung gehalten und sind dabei verblieben, daß man nicht eher als am Simchat Thora 16) das Kind mit seiner Gesellschaft wieder nach Hannover kommen lassen solle. Wir mußten uns auch das gefallen lassen. Am Simchat Thora ist Michel hinausgegangen und hat [73] das Kind mit seinen Leuten wieder nach Hannover gebracht. Wer die Freude nicht gesehen hat, die mein Mann und ich und alle Anwesenden hatten [der kann sich's nicht vorstellen]. Wir mußten vor großer Freude weinen und jeder hätte das Kind gern aufgegessen. Denn es war so ein schönes, zutunliches Kind, das nicht seinesgleichen hatte. So hat man das Kind lange Zeit nicht anders genannt als die Jungfrau von Peinholz.

 

Hameln

 

……Wir blieben noch bis gegen Anfang des Monats Marche­schwan 17) in Hannover; dann reisten wir mit unseren Kinderchen und der Magd nach Hameln und hatten vor dort nur so lange zu bleiben, bis in Hamburg wieder alles gut stände. Wir hatten aber doch keine Ruhe dort; denn wir steckten in großen Geschäften und hatten einen Mann in Polen, der «der grüne Moscheh» hieß. Von diesem erfuhren wir durch Briefe, daß er mehr als 600 Lot Unzen-Perlen beisammen habe und mit diesen nach Hamburg gekommen sei. Von dort schrieb er an meinen Mann, er sollte sofort nach Hamburg kommen. Mein Mann reiste aber nicht sogleich, sondern blieb noch ungefähr 14 Tage in Hameln; denn es stand noch sehr schlecht in Hamburg und meine Schwiegereltern wollten nicht leiden, daß mein Mann sich in Gefahr begäbe und nach Hamburg reiste. Sie wollten auch nicht einmal erlauben, daß wir einen Brief von dort annähmen, und wenn ein Brief ankam, so mußten wir ihn zwei- oder dreimal ausräuchern und, wenn wir ihn kaum gelesen hatten, ihn in das Wasser der Leine werfen 18). Einmal [74] sitzen wir beieinander und schwatzen; da kommt der grüne Moscheh plötzlich in die Stube hinein. Es war im kalten Winter und er hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen. Wir erkannten ihn aber sofort und winkten ihm, daß er hinausgehen solle. Denn es war kein anderer in der Stube, der ihn gesehen hatte, und wenn meine Schwiegereltern gewußt hätten, daß einer von Hamburg zu uns gekommen wäre, so hätten sie uns mit ihm weggejagt. Wirklich war es der Regierung gegenüber sehr gefährlich, es konnte einem sogar ans Leben gehen, wenn man jemanden von Hamburg bei sich hatte, und die Reisenden wurden auf allen Plätzen und unter allen Toren gar scharf examiniert. Wir fragten den grünen Moscheh: «Wie bist du in die Stadt hineingekommen?» Darauf sagte er: «Ich habe gesagt, daß ich ein Schreiber bei dem Amtmann von Hachem 19) bin – das ist ein Dorf nicht weit von Hameln.» Was sollten wir nun tun? Er war nun einmal da und hatte alle die Perlen bei sich. Nun konnten wir ihn doch nirgends so verstecken, daß es meine Schwiegereltern nicht erfuhren. Wir mußten es ihnen sagen, und wenn es ihnen auch nicht gefiel, so war es doch nicht zu ändern. Der grüne Moscheh ließ nun nicht nach zu bitten, daß mein Mann mit ihm reisen und die Perlen verkaufen sollte, damit er wieder wegfahren und neue Ware einkaufen könnte. Was sollte mein Mann nun tun? Es steckte viel Geld darin und es ist auch nicht gut solche Waren [75] lange liegen zu lassen; denn es ist kein großer Verdienst daran, und wenn sie lange liegen, wird durch die Zinsen der Verdienst aufgezehrt. So entschloß er sich mit dem grünen Moscheh nach Hamburg zu reisen, um sich zu bemühen, die Perlen dort zu verkaufen und auch zu sehen, wie es in Hamburg stände, daß ich mit den Kindern wieder in mein Nestchen kommen könnte. Denn ich war es sehr müde [in der Fremde zu sein]. Wenn wir auch an keinerlei Dingen Mangel hatten, so war ich doch an Hamburg gewöhnt und wir hatten dort unser Geschäft.

 

Hamburger Hafen um 1680 (Gemälde von Elias Galli)

 

So kam denn mein Mann nach Hamburg und ging sogleich mit seinen Perlen, die wohl 6000 Reichstaler Banko wert waren, zu Großkaufleuten, besonders zu einigen Moskaufahrern 20). Er war wohl bei sechs Kaufleuten, aber sie machten ihm alle kein gutes Angebot, so daß er zu wenig daran verdient hätte. Nun wußte mein Mann nicht, was er tun sollte. Damals stand man im Monat Schwat (Januar oder Anfang Februar). Er hatte Wechsel zu bezahlen, die er zum Einkauf der Perlen gebraucht hatte.

Im Monat Aw (etwa im Juli oder August) fahren die moskowitischen Schiffe alle von Hamburg weg; so war also im Tamus (etwa im Juni oder Juli) die beste Zeit, die Perlen zu verkaufen. Weil nun zu schlechte Preise geboten worden waren, entschloß sich mein Mann, die Perlen zu versetzen und ließ sich darauf 6000 Reichstaler [76] geben. Er dachte, er würde im Monat Tamus bessere Preise bekommen.

 

Krieg zwischen Polen und Moskowitern (Die Belagerung von Pskow)

 

Aber weit gefehlt – es kamen Briefe aus Moskovia 20a), [die meldeten], daß dort ein großer Krieg sei 21). Da verloren die Kaufleute alle den Mut Perlen zu kaufen. Jetzt mußte mein Mann den Posten verkaufen und bekam über 4000 Reichstaler weniger, als ihm früher geboten worden war, mußte außerdem auch noch für ein halbes Jahr Zinsen bezahlen. Darum ist allezeit der erste Käufer der beste; darauf muß man achten und ein Kaufmann muß wissen, ebenso schnell ja, wie nein zu sagen.

Mein Mann war nun in Hamburg und erkundigte sich, wie es dort stand. Da sagte ihm jeder, es wäre jetzt still, und es war auch wirklich so. Da schickte mir mein Mann einen Reisebegleiter, namens Jakob. Es war ein sehr treuer Mensch, aber er hatte den Fehler, daß er gern trank und sich [des Trinkens] wirklich gar nicht enthalten konnte. Mein guter Jakob kam also nach Hannover und schrieb mir von dort, daß ich mit meinen Kindern auch dorthin kommen sollte. Denn von dort nimmt man die Post nach Hamburg. Jetzt schrieb ich sofort nach Hildesheim an den jungen Abraham Kantor, der früher einmal bei uns gedient hatte; er solle sogleich zu mir nach Hameln kommen und mit mir nach Hamburg reisen. So fuhren wir nach Hannover und fanden unseren [77] «geschossenen Jakob» 22) dort. Der ging sofort zu dem Postverwalter, der sein geschworener Saufbruder war, mietete Freitag für uns die Post und wir blieben am Sabbat in Hannover. Es war ein sehr elendes Wetter und ich hatte drei kleine Kinder bei mir. Den ganzen Sabbat über haben mein Schwager Leffmann und meine Schwägerin Jente mit dem Jakob geredet und ihn gebeten, er solle ja gut auf uns acht geben und alle Vorsicht gebrauchen und sich nur ja nicht betrinken, wie seine Gewohnheit war. Er sagte ihnen auch mit Hand und Mund zu sich nicht zu betrinken und nur nach seinem Bedarf zu trinken. Aber wie er das gehalten hat, werdet ihr gleich vernehmen. Am Sonntag früh reisten wir von Hannover weg, ich und meine Kinder – Gott behüte sie – auch die Magd und der Diener und mein geschickter Gehilfe Jakob. Nun reist auf dieser Fahrt immer der Postverwalter selbst mit, und dieser war, wie schon erwähnt, Jakobs Saufbruder. Der Jakob half uns nun auf die Wagen und machte alles zurecht; dann ging er und der Postverwalter neben den Wagen her. Ich dachte, sie würden bis außerhalb des Tores gehen und sich dann zu uns auf die Wagen setzen. Als wir nun außerhalb des Tores waren, sagte ich zu Jakob, er solle sich nun mit dem Postverwalter auch setzen, damit wir uns nicht aufhielten und beizeiten in die Herberge kämen. Der Jakob aber sagte: «Fahrt ihr nur in Gottes Namen für euch; ich und der Postverwalter wollen noch um das Dorf gehen, weil der Verwalter einen im Dorfe sprechen [78] will. Wir wollen so schnell gehen, wie ihr fahrt, und werden gleich wieder bei euch sein.» Ich habe aber den geheimen Grund nicht gewußt.

 

Broyhan Teken

(Brauzeichen für das Broyhan- Bier)

 

Das Dorf liegt dicht bei Hannover und heißt Langenhagen – es ist eine ganze Meile lang, und im ganzen Lande gibt es keinen besseren Broyhan 23) als in diesem Dorf. So hat sich denn mein guter Helfer Jakob mit dem Posthalter hübsch in Langenhagen den ganzen Tag und ein gut Stück von der Nacht zum Trinken hingegeben. Ich wußte davon nichts; wir fuhren für uns und ich habe mich alle Augenblicke nach meinem Jakob umgesehen; aber wer nicht kam, war mein Jakob. So fuhren wir weiter bis an einen Paß, zwei Meilen von Hannover, wo man Zoll bezahlen muß 24). Der Postillon sagte mir: «Hier muß man Zoll bezahlen.» Ich bezahlte den Zoll und bat den Postillon weiterzufahren, damit wir beizeiten in die Herberge kämen.

 

Postkutsche im Winter

 

Denn es war ein Wetter, daß man keinen Hund hätte hinausjagen mögen – es war so um die Zeit von Purim 25) – es regnete und schneite so durcheinander, und wie es vom Himmel auf uns gefallen ist, so ist es gefroren. Die Kinder litten sehr darunter und auch ich [79] selbst. Ich bat den Postillon noch einmal, er sollte doch weiterfahren. «Er sieht ja wohl,» sagte ich «was das für ein Wetter ist, daß wir da unter freiem Himmel so stehen müssen.» Der Postillon sagte aber: «Ich darf hier nicht wegfahren, bis der Posthalter kommt; der hat mir befohlen, ich soll hier so lange auf ihn warten, bis er mit Jakob zu uns kommt.» Was sollte ich tun? Wir saßen so noch zwei Stunden, bis der Zöllner kam der uns vom Wagen steigen ließ und uns aus Mitleid in seine warme Stube nahm, wo sich die Kinder wieder durchwärmen konnten. Dort brachten wir auch noch eine Stunde zu. Dann sagte ich zu dem Zöllner: «Ich bitt' dich, Herr, mache doch, daß der Postillon fortfährt, damit ich vor Nacht mit meinen kleinen Kindern in die Herberge komme. Denn der Herr sieht ja wohl, was das für ein Wetter ist, daß man bei Tage nicht fortkommen kann. Wo soll man da in der finstern Nacht hin? Wenn – Gott behüte – in der Nacht ein Wagen umschlagen sollte, wäre es ja rein um den Hals zu brechen.» Der Zöllner sagte darauf zum Postillon, er solle stracks fortfahren. Der Postillon erwiderte: «Wenn ich fortfahre, bricht der Posthalter Petersen mir den Hals und ich kriege keinen Pfennig vom Fuhrlohn.» Aber der Zöllner war ein gar wackerer, guter Mann und er nötigte den Postillon mit uns fortzufahren. «Wenn die beiden versoffenen Schelme kommen,» sagte er, «mögen die jeder ein Pferd nehmen und nachreiten; ihr bleibt doch in der Herberge über Nacht liegen.» So fuhr nun der Postillon mit uns fort; es war zwar böses Wetter, als wir fortfuhren, aber wir kamen doch hübsch bei guter Zeit in der Herberge an, wo wir eine gute, warme [80] Stube und alles Entgegenkommen fanden. Obwohl die Stube voll von Fuhrleuten und anderen Reisenden steckte, daß es sehr eng darin war, so haben uns doch die Leute allen guten Willen gezeigt und Mitleid mit den Kindern gehabt, die keinen trockenen Faden an sich hatten. Ich habe ihre Kleiderchen zum Trocknen aufgehängt, so daß die Kinder wieder zu sich kamen. Wir hatten auch gutes Essen bei uns und in dem Wirtshaus gab es gar guten Broyhan. So konnten wir uns nach unserer mühseligen Reise an Essen und Trinken erquicken; wir haben noch lange in der Nacht aufgesessen und haben gemeint, daß unsere beiden Saufbrüder kommen sollten. Aber es kam niemand; da habe ich mir eine Streu machen lassen und mich mit meinen Kinderchen darauf gelegt. Ich konnte noch nicht schlafen, aber ich habe Gott gedankt, daß ich meine Kinder zur Ruhe gebracht hatte. So lag ich noch in Gedanken bis ungefähr um Mittemacht; da höre ich ein furchtbares Geschrei in der Stube. Der Posthalter kommt in seiner Trunkenheit mit bloßem Degen in die Stube und fällt über den Postillon her, um ihn zu töten, weil er für sich weitergefahren ist. Der Postillon verantwortet sich, so gut er kann. Der Wirt kommt auch herein und sie machen, daß der Posthalter sich endlich zufrieden gibt. Ich saß im Winkel und war so still wie ein Mäuschen 25a); [81] denn es ist ein Trunkenbold und ein Verrückter gewesen und ich bin doch in eitel Angst gesessen, daß ich den Jakob nicht gesehen habe. Ein Weilchen danach hat der Posthalter sich zum Essen hingesetzt und ich habe gesehen, daß ihm die Wut etwas vergangen ist. Da bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt: «Herr Petersen, wo habt Ihr denn meinen Jakob gelassen?» «Wo soll ich ihn gelassen haben? Er hat nicht weiter fortkommen können, da ist er an einem Zaun dicht an einem Wasser liegen geblieben; zur Stunde mag er schon versoffen sein.» Das hat mich nun sehr erschreckt, ich habe nicht gewußt, was ich tun sollte; es ist doch ein Mensch und ein Jude gewesen, und ich war allein. Ich habe den Wirt gebeten, er sollte mir zwei Bauern schicken; die sollten sehen, daß sie ihn finden und herbringen. So sind die beiden Bauern geritten und eine halbe Stunde vom Dorf haben sie meinen guten Jakob wie einen Erschlagenen gefunden, abgemartert vom Weg und von der Trunkenheit. Er hatte einen guten Mantel und noch ein bißchen Geld bei sich gehabt; das war alles weg. So haben die Bauern ihn auf ein Pferd gesetzt und in die Herberge gebracht. Obschon ich sehr böse über ihn war, habe ich doch Gott gedankt, als ich ihn wieder zu sehen bekommen habe. Es hat mich über sechs Taler gekostet. Nun habe ich ihm etwas zu essen gegeben und meinen schönen Diener, der auf mich und meine Kinder aufpassen sollte, habe ich bedienen müssen. Als es Tag geworden ist, haben die Fuhrleute die Wagen gebracht, daß wir wieder fort sollten. Ich habe mich mit meinen Kindern und der Magd und dem Diener zu Wagen gesetzt und zu meinem Jakob gesagt, er solle sich nun [82] auch hinsetzen und es nicht wieder so machen wie vorher. Er sagte: «Nein, ich will nur in die Stube gehen und sehen, ob nichts liegen geblieben ist.» Ich meinte, es wäre auch so. Aber mein guter Jakob hat sich hübsch wieder ins Wirtshaus gesetzt und wieder von vorn angefangen zu saufen. Ich habe die Fuhrleute hineingeschickt, sie (d. i. Jakob und der Posthalter) sollten doch herauskommen; wir hätten bei dem bösen Wetter schon so lange auf dem Wagen gesessen. Die Fuhrleute haben angefangen zu schreien, was das wäre; ihre Pferde würden zugrunde gehen, wenn sie so lange in dem Wetter stehen müßten. Aber das hat alles nichts helfen wollen; denn der Posthalter ist Meister gewesen, und die Fuhrleute haben wohl warten müssen. Also haben wir wieder zwei Stunden gesessen und sind nicht eher hinweggefahren, bis die beiden ganz betrunken waren und sich endlicn zu Wagen setzten. Nun, was soll ich weiter davon schreiben? Solche Händel haben wir wirklich in allen Herbergen gehabt.

 

Harburg

 

Aber Gott hat uns doch glücklich nach Harburg geholfen, das nur eine Meile von Hamburg entfernt ist. Da sind mein sel. Vater und mein sel. Mann uns entgegengekommen. Man kann sich leicht die Freude vorstellen, die wir miteinander hatten. Wir sind dann zusammen zu Wasser nach Hamburg gefahren und ich habe Gott gedankt, daß ich alle unsere Freunde gesund gefunden habe. Auch sonst sind wenig Judenhäuser betroffen worden, während ich draußen war. Aber der Sturm ist noch nicht recht gestillt gewesen und es hat noch hin und wieder ein wenig gezuckt. Aber bei Juden ist alles gut gewesen und auch geblieben. [83] Gott soll uns weiter behüten und aus allen Nöten erlösen!

 

Hamburg um 1680 (Gemälde von Elias Galli)

 

So sind wir wieder in unserm lieben Hamburg gewesen, nachdem wir ein halbes Jahr lang fortgewesen waren. Wir haben berechnen können, daß uns diese Zeit mit dem Verlust an Perlen und Zinsen über 1200 Taler gekostet hat. Aber wir haben doch den Höchsten gelobt und ihm gedankt, daß wir mit allen Unsrigen glücklich gerettet waren. An dem Geld ist wenig gelegen – «Gib mir die Person und die Habe nimm dir» (1. B. Mos. 14,21) –; das hat uns Gott noch immer wieder beschert. Nachher sind die Leute, die wegen der Pest von Hamburg nach Altona gezogen waren, einer nach dem andern wieder in die Stadt gekommen und ein jeder hat wieder angefangen seinem Geschäft nachzugehen. Denn zur Zeit der Pest ist wenig Geschäft gewesen, da man [als Hamburger] nirgends hat hinkommen können.

 

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1) «Unzenperlen» sind kleinste Perlen, die nicht nach Stückzahl, sondern nach Gewicht verkauft werden. Eine Unze war in Deutschland so viel wie 2 Lot.  

1a) Diese Festsetzung erfolgte in der damals üblichen Weise durch Vereinbarung einer Konventionalstrafe, die bei Ueberschreitung des Termins verfallen sollte.  

2) Die Auffassung, daß ein Unglück eines Menschen im göttlichen Weltenplan dazu nötig gewesen sei, um das Glück eines anderen herbeizuführen, begegnet bei Glückel nicht selten. Siehe oben S. 44 bei der Heirat des Leffmann Behrens. Vgl. ferner das bekannte niederdeutsche Sprichwort: Wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall.  

3) Sabbatstrecke = 2000 Ellen, d. i. die Strecke außerhalb eines Stadtgebietes, über die nach jüdischem Gesetz am Sabbat nicht hinausgegangen werden darf.  

3a) Der im Original gebrauchte Ausdruck schentlos = schandlos bedeutet: schamlos, niederträchtig (Grimm, Deutsches Wörterbuch 8, 2153). Landau, a. a. O., S. 60. Kaufmann erklärt: schuldlos.  

4) Juda Berlin ist der unter dem Namen Jost Liebmann bekannt gewordene Hofjuwelier des Großen Kurfürsten und seines Sohnes, des ersten preußischen Königs. Aus Glückels Darstellung erfahren wir, daß dieser später so vornehme und einflußreiche Mann als gänzlich mittelloser Jüngling in das Haus Chaim Hamelns kam und hier den Grund zu seinem großen Reichtum legte.  

5) Sabbatai Zewi, dessen Glanzperiode in die Jahre 1665–67 fällt, wurde zuerst in Jerusalem und anderen Großgemeinden des Orients als Messias und Erlöser der Juden anerkannt. Die Nachrichten von seinen Wundertaten und von dem Jubel, mit dem er begrüßt wurde, versetzte auch viele Gemeinden des Abendlandes in einen Taumel messianischer Begeisterung. Speziell die portugiesischen Juden in Hamburg und Amsterdam wurden von dem Glanz und dem Schimmer, den das vermeintliche Messiaskönigtum jenes Abenteurers den Juden verhieß, mächtig angezogen und zu lärmenden Demonstrationen für den neuen Wundertäter veranlaßt. In Hamburg erhoben nur wenig Besonnene, wie der fromme und gelehrte Jakob Sasportas, Einspruch gegen dieses schwärmerische Treiben, an dem sich auch sehr ernsthafte und vornehme Männer, wie der Arzt und Gemeindevorsteher Benedict de Castro und der bekannte schwedische Resident Manuel Texeira, aus voller Ueberzeugung beteiligten. Siehe Graetz, Gesch. d. Juden, X, 186 ff. Cassuto, Aus dem ältesten Protokollbuch der jüd.portug. Gemeinde in Hamburg (Jahrb. der Jüd.-liter. Gesellsch., Bd. X). – Bei den deutschen Juden in Hamburg zeigte sich die Begeisterung für den neuen Messias und das Verlangen nach Erlösung, ihrer gedrückten Lage entsprechend, nicht so laut und lärmend, aber dafür um so wahrer und inniger. Wie wir sehen, nahm auch unsere Glückel die Bewegung und die an sie geknüpften Erwartungen sehr ernst und beklagte in ergreifenden Worten die Sündhaftigkeit des damaligen Geschlechtes, die das Fehlschlagen dieser schönen Hoffnung verschuldet habe.  

6) Vielleicht ist an ähnliche Briefe wie die begeisterten Sendschreiben zu denken, die Nathan Ghazati, der Prophet des Messias Sabbatai Zewi, über dessen Auftreten an auswärtige Gemeinden sandte. Graetz, Gesch. d. Juden, X, 205.  

7) Zur Zeit des zweiten Tempels zu Jerusalem wurde in den Nächten des Hüttenfestes das zum Gußopfer des folgenden Tages erforderliche Wasser in feierlichem Zuge bei glänzender Beleuchtung der ganzen Stadt aus einer nahen Quelle geholt. «Wer die Freude beim Wasserschöpfen nicht gesehen hat, hat nie eine richtige Freude gesehen.» Mischna Sukka, V, 1.  

8) Die Pest, von der Glückel hier spricht, begann, wie Janibals Chronik von Hamburg berichtet, im Juli 1664 und zwar so stark, daß «etliche Häuser ledig sturben» und wöchentlich ca. 150 Menschen begraben wurden. Gl. erwähnt hauptsächlich das, was sie in ihrem engeren jüdischen Kreise von dem Auftreten der Pest wahrgenommen hat. Ihre Schilderung zeigt uns sehr deutlich, wie schon damals Leuten, die aus einer verseuchten Stadt kamen, in anderen Orten durch übertriebene Aengstlichkeit das Leben schwer gemacht wurde. Aehnliche traurige Erfahrungen sind vielen Hamburgern, die die schwere Cholera-Epidemie des Jahres 1892 mitgemacht haben, noch in lebendiger Erinnerung.  

8a) S. oben S. 40.  

8b) Er war mit Esther, der Schwester Chaim Hamelns vermählt, s. S. 65.  

9) Gl. gebraucht hier den noch heute in Hamburg zuweilen angewendeten Ausdruck «gepreit». Preien für Einladen ist im Jüdisch-Deutschen sehr gebräuchlich und ist wahrscheinlich aus dem französischen prier entstanden. Das zeigt sich besonders deutlich in dem Ausdruck «Mechiloh preien», d. i. einen Toten um Verzeihung bitten. Grünbaum, Jüdischdeutsche Chrestomathie, S. 35.  

10) «ich will dem maidel was brauchen.» Die Anwendung abergläubischer Kuren bezeichnet das niederdeutsche Volk mit: jemandem etwas gebrauchen. Landau, Glossar zu Glückel, S. 50.  

11) «Stuten» ist ein hamburgischer Ausdruck für kleine, weckenförmige Brötchen aus Weizenmehl.  

11a) Der in Hannover residierende Herzog der jüngeren Linie des Hauses Braunschweig-Lüneburg.  

12) Wahrscheinlich ist Hainholz gemeint, heutzutage ein Vorort von Hannover (s. Landau, a. a. O., S. 66).  

13) D. i. die einschlägigen talmudischen Bestimmungen darüber zu Rate gezogen.  

14) In Raschis Kommentar zur Thora wird die Bibelstelle Genesis 25,21 im Anschluß an eine talmudische Auffassung so gedeutet, daß Isaak und Rebekka sich jeder in einen anderen Winkel gestellt und wegen des noch versagten Kindersegens zu Gott gebetet haben; Gott habe aber den Isaak als den Sohn des frommen Abraham zuerst erhört.  

15) Bei der Abreise von Angehörigen und Freunden rufen fromme Juden den Scheidenden die Worte des Priestersegens (Numeri 6, 22 ff.) als Abschiedsgruß nach. 

16) Fest der Gesetzesfreude, d. i. der 9. Tag des Hüttenfestes.  

17) Dieser Monat beginnt eine Woche nach dem Hüttenfeste.  

18) Glückel verwechselt hier die Weser, an der Hameln liegt, mit der Leine, die ihr von Hannover her bekannt war.  

19) Ein kleiner hannöverscher Ort Hayen [Heyen] liegt an der Weser, etwas südlich von Hameln. Dagegen ist ein Ort Hochheim, den Kaufmann aus dem Worte herausliest, in dieser Gegend nicht zu finden.  

20) Die Hamburger Kaufleute, die nach einem und demselben Lande Handel trieben, schlossen sich schon im 14. und 15. Jahrhundert zu Handels- und Schiffahrtsgesellschaften zusammen, unter denen die Flandern-, England- und Schonenfahrer die angesehensten waren. Später kamen die Bergenfahrer, noch später die Moskaufahrer hinzu, die nach dem Moskowiterreiche Handel trieben.  

20a) = Rußland.  

21) Vermutlich handelte es sich um kriegerische Verwicklungen zwischen dem Moskowiterreiche und Polen, wie sie unter den ersten Zaren aus dem Hause Romanow sehr häufig waren.  

22) Unter diesem Namen ist der Mann schon (S. 39) als Diener der Familie Hameln erwähnt worden; dort ist auch erklärt, wie er zu seinem Beinamen gekommen ist.  

23) Broyhan ist eine Art Weizenbier von süßem, würzigem Geschmack, das seinen Namen von seinem «Erfinder» Curd Broyhan, einem Braumeister aus der Nähe von Hannover, erhalten haben soll. Der Name ist noch heute in H. gebräuchlich. (Mitteilung des Herrn Oberlehrer M. Zuckermann in Hannover.)  

24) Diese Zollgrenze lag wahrscheinlich beim Uebergang aus dem Calenberger Land in das Herzogtum Lüneburg-Celle, die damals zwei verschiedenen Linien des herzoglichen Gesamthauses gehörten. Siehe G. Droysen, Historischer Atlas, Karte 23 : «Die Welfischen Lande'' und den zugehörigen erläuternden Text.  

25) Purim = Fest der Lose oder jüdische Fastnacht, fällt in den Februar oder März.  

25a) Im Original: Ich bin nebbich gesessen in winkelchen und getasst als ein Mäuschen. Landau, a. a. O., S. 53 will getüsst lesen, vom niederdeutschen tüssen = beschwichtigen, zum Schweigen bringen, von der Interjektion tüss = stille! Vgl. Grünbaum, S. 261: «Sitz an Deinem Tisch und schweig as ein Maus, bis Du hast gebenscht ganz aus» (Buch des ewigen Lebens).