E2D-Studierende holen Inspirationen für neuartige Materialsysteme

 
Inspiration Natur: E2D-Studierende in der Ausstellung "Baubionik" des Stuttgarter Naturkundemuseums (Foto: J. Müller)
Inspiration Natur: E2D-Studierende in der Ausstellung "Baubionik" des Stuttgarter Naturkundemuseums (Foto: J. Müller)
 

Exkursionsbericht:

Funktional gradierte und topologieoptimierte Beton-Schalensegmente nach dem Vorbild von Knochen-Strukturen, Segmentschalen aus Furniersperrholz-Elementen mit zahnartigen Verbindungen nach dem Vorbild des Seeigels oder gelenkfreie Verschattungselemente für mehrfach gekrümmte Gebäudehüllen nach dem Vorbild einer fleischfressenden Wasserpflanze: "Bionik ist eine der möglichen Inspirationen, um zu neuen, ressourcenoptimierten Materialsystemen zu kommen" ist sich Prof. Dr. Joachim Müller sicher, der mit Studierenden des Studiengangs "Energieeffizientes Planen und Bauen - E2D" in Stuttgart unterwegs ist. "Das Prinzipverständnis, nicht die 1:1-Übertragung, kann zu neuen und überraschenden Lösungen führen. Und genau dieses interdisziplinäre Grenzüberschreiten brauchen wir - zusammen mit einer guten Portion Freude am Experiment."

 
Topologie-optimierter Pavillon mit gradierten Beton-Porositäten (Foto: J. Müller)
Topologie-optimierter Pavillon mit gradierten Beton-Porositäten (Foto: J. Müller)

Materialgeprägte Innovationen sind ein Schwerpunkt, der auch in den kommenden Abschlussarbeiten der Studierenden hineinwirken wird. Das Ziel sind Material-Systeme als integrale Einheit des späteren Ganzen. Die Natur schafft es, Materialien und Konstruktionen bereits in der Phase der Entstehung derart zu manipulieren und zu strukturieren, dass sie den gestellten Aufgaben und Wechselwirkungen mit der Umwelt optimal gerecht werden. Lässt sich dieser Erfahrungsschatz also auch für das Bauen nutzen?

Die Ausstellung "Baubionik - Biologie beflügelt Architektur" im Stuttgarter Naturkundemuseum spiegelt in diesem Kontext aktuelle Forschungen wider und wartet mit spektakulären Ausstellungsobjekten auf. Das Verschattungssystem "Flectofold" etwa entstand aus der Beobachtung von Pflanzenbewegungen. Durch Prinzipübertragung ist eine gelenk- und weitestgehend verschleißfreie Verschattung komplex gekrümmter Fassadenflächen möglich - in der Ausstellung als mehrere Meter großes "Mock-Up" mit pneumatischen Aktoren in Funktion zu erleben. Eine mehrere Meter überspannende Installation zeigt funktional gradierte und topologie-optimierte Beton-Schalensegmente. Innovation hierbei ist auch die Herstellung mit neuartigen räumlichen Sandgußtechniken, die einen vollständiges Recycling der temporären Schalung erlauben.

Faserverbund-Struktur als geflochtener "Baum" mit optimierten Übergängen (Foto: J. Müller)
Faserverbund-Struktur als geflochtener "Baum" mit optimierten Übergängen (Foto: J. Müller)
Segmentschalen aus Furniersperrholz-Elementen mit zahnartigen Verbindungen nach dem Vorbild des Seeigels (Foto: J.  Müller)
Segmentschalen aus Furniersperrholz-Elementen mit zahnartigen Verbindungen nach dem Vorbild des Seeigels (Foto: J. Müller)

Die Entwicklungen solcher Strukturen bewegen sich dabei im Spannungsfeld zwischen einfachsten und schnell herstellbaren experimentellen Materialisierungen als "Proof of Concept" einerseits und immer komplexeren digitalen Prozessketten andererseits, die von der Gestaltung und Optimierung bis zur Fertigung reichen.

Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart - Räumliche Komplexität und überaschende Materialanwendungen (Foto: J. Müller)
Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart - Räumliche Komplexität und überaschende Materialanwendungen (Foto: J. Müller)

Die zweite Station führte die Studierenden ins Mercedes-Benz-Museum. Die räumliche Konzeption einer komplexen Erschließung in Form einer Doppel-Helix mit fließenden Raumübergängen, Blickbeziehungen und Lichtführungen faszinierte ebenso wie der innovative Materialeinsatz der Ausstellungsarchitektur. Und auch im Automobilbau nehmen die Themen Leichtbau, Materialeffizienz und Lebenszyklusbetrachtung eine immer zentralere Rolle ein - und werden in vielen Aspekten zum Designtreiber. So präsentierte Mercedes-Benz bereits 2005 die Studie "Bionic Car" mit topologieoptimierter Leichtbaustruktur und günstiger Aerodynamik nach dem Vorbild des Kofferfisches.

Differenzierter Materialeinsatz in der Lichtführung: Glas, perforiertes Metallblech, fluorpolymerbeschichtete Glasfaser-Membrane (Foto: J. Müller)
Differenzierter Materialeinsatz in der Lichtführung: Glas, perforiertes Metallblech, fluorpolymerbeschichtete Glasfaser-Membrane (Foto: J. Müller)
Überraschender Materialeinsatz in der Innenraumgestaltung: Bürstenartige Fasern als Wandoberfläche (Foto: J. Müller)
Überraschender Materialeinsatz in der Innenraumgestaltung: Bürstenartige Fasern als Wandoberfläche (Foto: J. Müller)

Als dritte Station besuchten die Studierenden schließlich die Stuttgarter Materialagentur "Raumprobe", die sich mit einer Ausstellung von über 50.000 Materialmustern und einer umfangreichen Datenbank auf die Inspiration und fachliche Beratung im Kontext des Bauens und des Designs spezialisiert hat. In einer Führung durch den Mitbegründer und Geschäftsführer Joachim Stumpp wurden Highlights vorgestellt, insbesondere aus den Bereichen nachhaltiger Materialinnovationen und Anwendungen in der Gebäudehülle. "Dem Leichtbau gehört die Zukunft, auch im Bauen", so ist sich Joachim Stumpp sicher und ist fasziniert vom Ansatz des E2D-Studiums, nachhaltigen Ressourceneinsatz auch beim Thema Material mit den Themen der Architektur zu verbinden. "Wir brauchen Hochschulen, die Innovationen denken und anstoßen!"

Materialien zum "Be-Greifen": Blick in die Sammlung der Materialagentur "Raumprobe" (Foto: L. Fritz)
Materialien zum "Be-Greifen": Blick in die Sammlung der Materialagentur "Raumprobe" (Foto: L. Fritz)
Inspirierende Materialinnovationen: Wölbstrukturiertes Lochblech (Foto: J. Müller)
Inspirierende Materialinnovationen: Wölbstrukturiertes Lochblech (Foto: J. Müller)