Seitenpfad:

Leitlinien einer Planetaren Ethik entwickelt

Einblicke in ein halbes Forschungsfreisemester

 
colourbox.de
02.11.2022

Der Entwicklung von praktikablen Leitlinien einer planetaren Ethik und eines neuen Kreislaufsystems für technische Produkte widmete Prof. Florian Hörmann sein halbes Forschungsfreisemester im vergangenen Sommersemester. Zusammen mit seinem Denk-Partner Ralph Kuschke zog sich Prof. Hörmann dazu in ein Ferienhaus in Italien zurück, um störungsfrei arbeiten und denken zu können.

 

Aufbauen konnten sie dabei auf vorangegangen Arbeiten, welche Formen technischer Produktion ausloteten, die den Planeten nicht weiter überstrapazieren. Bereits entwickelt war die Idee sogenannter RIS (Regionaler Industrieller Subsistenzgemeinschaften) - lokale Stätten, in denen Prosument:innen ihre eigenen, auf ihren persönlichen Bedarf angepassten technischen Gebrauchsgüter anfragen, selbst bauen, reparieren oder bei Neubedarfen umgestalten können.

Im Sommersemester gingen die beiden dann der Frage nach, wie sich eine suffiziente und subsistenteProduktionswirtschaft gesellschaftlich umsetzen ließe. Heraus kam dabei eine planetare Ethik, deren Implementierung ein fundamentaler, sozial-ökologischer, demokratisch legitimierter Wandel zugrunde liegen würde.

Das ethische Programm fußt dabei auf drei Prinzipien: (1) dem bedingungslosen Anerkennen der planetaren Grenzen. (2) Der Aufgabe einer Nachhaltigkeitsfiktion, die den Blick auf die tatsächlichen Folgen des Handelns verstellt. Und schließlich (3) dem Denken in einer holistischen Perspektive, in der alle Entitäten des Planeten als potenziell vom menschlichen Handeln betroffen wahrgenommen und mitgedacht werden. Zentraler Aspekt des holistischen Prinzips ist das Prinzip der ‚Egalität – Gleichheit‘ als stiftendem Element des Zusammenlebens aller Entitäten wie zum Beispiel Lebewesen und Artefakten.

Aus diesen Prinzipien folgt, dass es keine Produktion über Grundbedürfnisse hinaus gehen darf, um den Planeten und das Leben darauf zu schützen. Grundbedürfnisse sind im Ansatz von Hörmann und Kuschke in einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zu etablieren, der sich jedoch im Rahmen der plantaren Grenzen und einer holistischen Perspektive bewegen muss, um nachhaltig zu sein. Ziel ist es, die Weltinanspruchnahme durch den Menschen möglichst weit zu reduzieren. Die ingenieurstechnischen Disziplinen allgemein werden hier eine besondere Verantwortung genommen, technische Entwicklungen primär als Grundlage zerstörungsfreier Innovation dauerhaft und unwiderruflich zu ermöglichen. Vor allem die an der Hochschule Augsburg vertretene Fakultät Maschinenbau und Verfahrenstechnik bietet das Potential, diese notwendigen wesentlichen Veränderungen unserer Produktionsweise forschungstechnisch anzugehen und mitzugestalten. Es ist die Chance, eine Vorreiterrolle zu übernehmen für eine wirklich nachhaltig organisierte Gesellschaft.

Zur Erreichung dieses Ziels reicht im Ansatz von Hörmann und Kuschke der von den Gesellschaften bereits eingeschlagene Weg der Effizienzerhöhung, Einsparung und Wiederverwertung nicht aus. Stattdessen plädieren sie für eine Aufgabe der Produktion und Nutzung von technischen Artefakten, die über die auszuhandelnden Grundbedürfnisse hinausgehen. Bereits vorhandene darüber hinausgehende technische Artefakte sollen weitmöglichst rückgebaut bzw. in den Erhalt und die Produktion notwendiger Artefakte überführt werden.

 
Kreislaufwirtschaftsmodell von Hörmann und Kuschke im Gegensatz zum Kreislaufwirtschaftsmodell der EU-Parlaments
 

Neben diesen Leitlinien für die gesellschaftliche Umsetzung einer planetaren Ethik entwickelten sie ein durch das EU-Parlament vorgeschlagenes Kreislaufwirtschaftsmodell weiter, um den Anforderungen an Nachhaltigkeit im Sinne der planetaren Ethik gerecht zu werden (siehe Abbildung). Praktisch alle Bereiche des EU-Kreislaufwirtschaftsmodells sind darin drastisch reduziert. Ganz besonders der initiale Ressourceneinsatz. Ausgeweitet wird in zeitlicher wie mengenmäßiger Hinsicht nur ein Bereich, der der „Verwendung, Wiederverwendung, Instandhaltung, Reparatur und des Upcyclings.“ In diesem Segment der Kreislaufwirtschaft schließt das Modell auch wieder an die Idee der RIS an. Denn genau in diesen lokalen Einheiten würde sich ein Großteil der Arbeit am technischen Artefakt abspielen. Anders als die Abbildung nahelegt, wird das Kreislaufmodell jedoch nicht stringent durchlaufen, sondern durch Querverbindungen zwischen den einzelnen Bereichen durchbrochen. So können beispielsweise zwischen Design und Instandhaltung Austauschprozesse entstehen, die das Artefakt im Dialog mit den Nutzer:innen und Reperateur:innen verbessern. Zuletzt, aber nicht weniger wichtig ist hervorzuheben, dass das neue Kreislaufmodell einen beachtlichen Stofffluss als Rückführung in Wildnis bzw. zum Naturprodukt vorsieht, um partiell Schäden zu restituieren, also wieder gut zu machen.

Ein gelungenes halbes Forschungsfreisemester und ein spannender Ansatz von Ralph Kuschke und Prof. Hörmann, den sie im Netz auch in Videoform noch einmal nachvollziehen können. Zu den Vorarbeiten liegt bereits die Publikation „Haushaltsnahe industrielle Konsumgüter in einer Postwachstumsökonomie. Prosumenten in der Kreislaufwirtschaft“ vor.

Quellenangaben zur Publikation:
Hörmann, Florian; Kuschke, Ralph (2020): Haushaltsnahe industrielle Konsumgüter in einer Postwachstumsökonomie. Prosumenten in der Kreislaufwirtschaft. In: ökologisches Wirtschaften (2), S. 40–46.