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Hybridgebäude "Quartier Q49" - Johannes Schmid

Ressourcen-, klima- und kreislaufgerechte Nachverdichtung in Augsburg

 
Energieeffizientes Planen und Bauen – E2D

Projektbeschreibung

Bachelorarbeit WS 2022-23 von Johannes Schmid
Integraler Entwurf mit Schwerpunkt Nachhaltigkeitsbewertung, kreislauf- und klimagerechtem Materialeinsatz und hybride Nutzungen
Betreuung: Prof. Dr. Joachim Müller, Prof. Susanne Runkel
Studiengang: Energieeffizientes Planen und Bauen – E2D

Aus der Aufgabenstellung:

„Augsburg wächst. Wie viele städtische Großräume verzeichnet auch Augsburg steigende Einwohnerzahlen und steht vor der Frage, wie gleichzeitig der weiteren Zersiedelung in der Peripherie mit entsprechendem Bodenverbrauch entgegengewirkt werden kann. Eine zentrale Option hierbei ist die urbane Nachverdichtung.

Das Gelände der Hutfabrik Lembert ist für eine solche Entwicklung zur Aufwertung des gewachsenen städtischen Gefüges geeignet und wurde prototypisch untersucht. Es wird im Westen durch die Haunstetter Straße begrenzt, im Südosten durch die Inverness Allee und im Norden durch die Frischstraße. Als traditionsreicher Standort umfasst das Gelände heute neben der immer noch tätigen Hut-Manufaktur eine stark heterogene Nutzung. Auf dem an die Haunstetter Straße angrenzenden Teil des Geländes könnte exemplarisch ein neu zu errichtender Nutzungshybrid als wichtiger Stadtbaustein entstehen und zu einem Katalysator für die weitere Entwicklung eines vielfältigen und lebendigen Areals werden.

Das Programm umfasst einen Nachversoregungs-Markt für nachhaltig produzierte Lebensmittel, Werkstätten zur Registrierung, Dokumentation und Bearbeitung von Bauteilen im Sinne der Circular Economy, einen flexibel nutzbaren Veranstaltungsraum für Vorträge und Begegnung, ein Café/ Restaurant als weiterer Ort des Austauschs sowie eine heterogene Mischung verschiedener Wohnformen mit vielfältigen Wohnungsgrößen. Hier soll ein Angebot entstehen für ein breites Spektrum an Nutzer:innen (generationenübergreifend, soziale Mischung) mit hohe Flexibilität. Die privaten Wohnflächen werden dabei minimiert zugunsten gemeinschaftlicher Räume, die Wohnungen sind modular und mit hohem Vorfertigungsgrad konzipiert."

Die Ökobilanzierung mit Ermittlung des Global Warming Potentials, eine kreislaufgerechte Konstruktion mit nachhaltigem Materialeinsatz sowie die Konzeption einer minimierten Gebäudetechnik mit bauphysikalischer Quantifizierung und Optimierung sind integraler Teil des Entwurfsprojekts.

 
Lageplan mit Gebäudehybrid an der Zusammenführung von Haunstetter Straße (im Westen) und Inverness Allee (Osten). Im Norden begrenzung des Areals durch die Frischstraße. Umgebungsmodell M 1:500 mit Neubau (schwarz) im Kontext der Bestandsgebäude (weiß)
Lageplan mit Gebäudehybrid an der Zusammenführung von Haunstetter Straße (im Westen) und Inverness Allee (Osten). Im Norden Begrenzung des Areals durch die Frischstraße. Umgebungsmodell M 1:500 mit Neubau (schwarz) im Kontext der Bestandsgebäude (weiß)

Erläuterung des Entwurfs (Johannes Schmid):

Der Neubau bestehend aus einem Nichtwohngebäude im Erdgeschoss und Wohngebäuden im Obergeschoss. Er soll verschiedene Nutzungen vereinen. Im unteren Bereich befinden sich Café, Werkstatt und ein Bioladen. Diese Nutzungen steigern die Qualität der Wohnungen in Hinblick auf Arbeitsplätze, Kultur und Nahversorgung und geben Impulse in das gesamte Quartier.
Auf diesem Sockel befindet sich ein Mehrgenerationenquartier. Die Wohnflächen sind so angeordnet, dass kleine Gassen und Höfe mit Bänken und Grünflächen entstehen. Diese laden zum Zusammenkommen und Kommunizieren ein und bieten Flächen zum Spielen, Arbeiten und Entspannen. Die Außenanlagen sind so gestaltet, dass verschiedenste Generationen sich hier so viel wie möglich aufhalten können. In den zahlreichen Hochbeeten und Gewächshäusern soll Urban Farming betrieben werden.
Doch nicht nur für den Menschen sind die Außenanlagen attraktiv gestaltet. Auch heimische Vogelarten, Insekten etc. sollen sich hier ansiedeln. Die wilde Blumenwiese lockt Bienen an, die zahlreichen Sträucher, Bäume und Hecken bieten Nistplätze für Vögel. Und in und um die Gewässer sollen Frösche, Fische und Echsen leben.
Am Lochbach wird eine große Sitztreppe errichtet, an welcher sich die Nutzer des Gebäudes aufhalten. Ein künstlich angelegter Teich wertet das Quartier weiter auf und sorgt für ein angenehmeres Klima auf dem Grundstück.

Modell Ansicht Süd-West (von der Haunstetter Straße aus)
Modell Ansicht Süd-West (von der Haunstetter Straße aus) mit Sockel (Werkstatt, Lebensmittel-Nahversorgung, Cafe und Veranstaltungsraum) und Wohngebäuden

E2D-Themen der Nachhaltigkeit im Entwurf
Ein großes Augenmerk wurde auf die Rezyklierbarkeit bzw. Rückbaubarkeit gelegt. Das Gebäude ist nach seiner Nutzungsdauer nahezu komplett zerlegbar. Das wurde u.a. durch den Holzbau erreicht, welcher sortenrein getrennt werden kann: Die Wand- und Deckenelemente aus Brettsperrholz werden verschraubt, was das Lösen der Verbindungen ermöglicht. Der Dachstuhl der Wohngebäude besteht ebenfalls aus Holz und besitzt Zapfenverbindungen, welche lediglich durch Schrauben oder Nägel lagegesichert werden müssen. Zusätzlich wurde ein Tonestricht verbaut, welcher ebenfalls leicht trennbar ist.
Eine weitere Besonderheit im Hinblick auf die Rückbaubarkeit ist der Verbau von speziellen Schaumglasschottertaschen als Perimeterdämmung. Diese bestehen häufig aus geklebten XPS-Platten. Der verpackte Schaumglasschotter erfüllt seinen Zweck perfekt und kann nach seiner Nutzungsdauer problemlos ausgebaut und anderweitig eingesetzt werden.
Eine hohe Luftqualität in den Innenräumen ist ein weiterer essenzieller E2D-Gedanke. Neben der natürlichen Lüftung mit Unterstützung durch Wärmerückgewinnung kommen Lehmbauplatten und Lehminnenputze zum Einsatz. Lehm reguliert die Feuchtigkeit in der Raumluft und steigert die Luftqualität. Stampflehmwände im Gebäudeinneren erhöhen diesen Effekt zusätzlich. Dazu steigern diese Wände durch ihre enorme Masse die thermische Speicherfähigkeit des Gebäudes.

Grundriss Erdgeschoss mit Umgebung. Von Norden reihen sich die Nutzungen Bio-Laden, Werkstatt und Cafe/ Restaurant/ Veranstaltung mit Verknüpfungen in den Außenbereich.
Grundriss Erdgeschoss mit Umgebung. Von Norden reihen sich die Nutzungen Bio-Laden, Werkstatt und Cafe/ Restaurant/ Veranstaltung mit Verknüpfungen in den Außenbereich.

Das Gebäude: Grundrisse
Im Erdgeschoss wurde ein Gebäude in Riegelform gewählt. Hier befinden sich Nutzungen für ein Nichtwohngebäude. Ein Bioladen, eine Werkstatt und ein Café mit Veranstaltungsbereich. Zusätzlich sind notwendige Sanitär- und Büroflächen vorhanden. Die drei großen Hauptnutzungen werden immer durch eine sogenannte "dienende Zone" geteilt, in welcher sich Lagerflächen und sonstige Räume für ein Nichtwohngebäude dieser Art befinden. Zusätzlich wurde eine Anlieferungszone im Bereich der Werkstatt geplant, durch welche sowohl die Werkstatt als auch den Bioladen beliefert werden kann.
Im Obergeschoss befinden sich die einzelnen Wohngebäude. Hier wurden quadratische Grundrisse gewählt. Diese sind überwiegend barrierefrei geplant worden. Im Erdgeschoss der Wohnungen sind Wohnen, Küche und WC angesiedelt. Wahlweise auch ein Schlafzimmer. Im Obergeschoss sind überwiegend Schlafräume und Räume für eine mögliche Pflegekraft. In den Wohnung soll ein Mehrgenerationenwohnen stattfinden.
Die beiden Geschosse werden über eine offene Galerie sowohl optisch als auch thermisch mit einander verbunden, was einige Vorteile hat.
Belichtet wird der gesamte Komplex über intelligent angeordnete Fensteröffnungen. Viel Sonnenlicht wird auch über die Dachflächenfenster in den Wohnungen in die Tiefe des Baukörpers gebracht.

Grundrisse der Obergeschosse (auf dem Sockel) mit Mehrgenerationenwohnen
Grundrisse der Obergeschosse (auf dem Sockel) mit Mehrgenerationenwohnen
Ansichten Süd und Nord
Ansichten Süd und Nord
Ansicht West (von der Haunstetter Straße aus) mit Bestandsgebäuden
Ansicht West (von der Haunstetter Straße aus) mit Bestandsgebäuden
Modell Ansicht Süd-Ost
Modell Ansicht Süd-Ost

Erschließung
Ein bedeutendes Merkmal des Gebäudes ist die Außentreppe, welche in Form einer Sitztreppe ausgeführt wird. Diese ist in der nord-östlichen Ecke des Gebäudes angesiedelt und wurde in den Baukörper integriert. Die Treppe soll zum Zusammenkommen einladen. Gerade in den heißen Sommermonaten bietet diese einen schattigen Platz zum Entspannen und hat dabei den praktischen Nutzen einer Erschließung. In den Wohnung erfolgt eine klassische Erschließung über eine Wangentreppe. Um die Barrierefreiheit gewährleisten zu können,  befindet sich neben der Sitztreppe noch zusätzlich ein Personenaufzug.

Längsschnitt durch Sockel und Wohnungsbereich
Längsschnitt durch Sockel und Wohnungsbereich
Querschnitte durch Sockel und Wohnungsbereich
Querschnitte durch Sockel und Wohnungsbereich
Zusammenfassung Materialkonzept
Zusammenfassung Materialkonzept

Innenraum- und Materialkonzept
Bei den in den Innenräumen verbauten Materialien wurde stets auf ökologische und nachhaltige Baustoffe geachtet, welche sowohl die Raumluft aufwerten, als auch wieder rezyklierbar sind, also zurückgebaut und somit wieder in den Materialkreislauf zurückgeführt werden können.
Durch die unterscheidlichen Bodenaufbauhöhen zwischen der warmen Geschossdecke und dem Flachdach haben sich enorme Höhenunterschiede in den Erdgeschossen in den Wohngebäuden ergeben. Ein Zustand, welcher zunächst ein Problem dargestellt hat, wurde genutzt: Zum einen hat ein großzügiger Hohlraumboden den Vorteil, dass für die Gebäudetechnik ausreichend Raum vorhanden ist. Aber dieser Platz kann auch für den Nutzer als Variation der Wohnnutzung oder auch Stauraum genutzt werden.
Des Weiteren können durch den Höhenunterschied verschiedene Niveaus im Innenraum geschaffen werden, welche sowohl Raumhöhe als auch Abwechslung schaffen. Dieser Versprung kann auch genutzt werden um möglicherweise einen Tisch o. ä. aus dem Boden zu ziehen.
Die Innenräume sollen durch die hohen Decken, die offene Galerie und die hellen Wandfarben groß und offen wirken. Die dunklen Farben der Eiche, der Stampflehmwände und der Innentüren sollen hingegen eine gemütliche, warme Atmosphäre schaffen, in welcher man sich gerne und lange aufhalten möchte. Die großen Fenster speisen die Räume mit Sonnenlicht. Die großen Sitzfenster sollen zusätzlichen Platz schaffen.
Die Dachflächenfenster dienen der Belichtung in die Raumtiefe dienen. Auch der Effekt einer natürlichen und effektiven Kaminlüftung soll so geschaffen werden.

Gebäudetechnik
Das Gebäude wird über Luft-Wärmepumpen mit elektrischen Vorheizregister beheizt. Die Wärme wird über eine Wandheizung in Form von Wärmedämmplatten mit integrierten Rohrleitungen abgegeben.
Der Strom für das Gebäude wird aus der Sonnenenergie gewonnen. Spezielle Dachplatten mit integrierten PV-Modulen erzeugen den nötigen Strom zum allgemeinen Gebäudebetrieb. Der Vorteil der PV-Dachplatten ist, dass diese unauffällig sind und sich somit in die Umgebung einfügen. Zusätzlich erfüllen diese sowohl den Zweck der Wasserführung als auch die nachhaltige und erneuerbare Energiegewinnung. Mit den PV-Platten kann fast das gesamte Dach der Wohngebäude bedeckt werden.
Die Leitungsführung für HLSE erfolgt in der Horizontalen über die großzügig abgehängte Decke im Erdgeschoss. Hier ist ausreichend Platz für die gesamte Gebäudetechnik. Der dafür vorgesehene Technikraum ist ausreichend dimensioniert um die Lüftungsanlagen, Stromzähler, Pufferspeicher hier zu platzieren. Die Leitungsführung in der Vertikalen erfolgt über vertikale Schächte, welche sich meist zwischen den Wohngebäuden befinden. Hier ist zusätzlich Platz um Regenwasser in die Regenwasserspeicher zu führen. Diese Kommunalwände sind zusätzlich brandschutztechnisch ausgeführt, um einen Brandüberschlag zu verhindern.
Gerade in den Sommermonaten können sich die Gebäude enorm aufheizen. Um behagliche Innenraumtemperaturen zu erreichen, wurden Lüftungsklappen im Erdgeschoss im oberen Viertel der Pfosten-Riegel- Fassade verbaut, welche in Form einer automatisch gesteuerten Querlüftung das Gebäude nachts kühlen. Um die Innenraumluftqualität weiter zu verbessern, wurden die Ansaugtürme für die Lüftungsanlage des Wohn- und Nichtwohngebäudes in einem sich auf dem Gelände befindenden sauerstoffreichen Biotop aufgestellt. Somit wird eine qualitativ hochwertige Frischluft angesaugt und in das Gebäude geleitet.

Zusammenfassung der Ergebnisse aus energetischer Optimierung und Ökobilanzierung mit Global Warming Potential (kg CO2-Äquivalent pro m2 und Jahr)
Zusammenfassung der Ergebnisse aus energetischer Optimierung und Ökobilanzierung mit Global Warming Potential (kg CO2-Äquivalent pro m2 und Jahr)

Lastabtrag
Im Erdgeschoss werden die Lasten von der Geschossdecke aus Brettsperrholz aufgenommen und über Spiderprofile, welche eine weitere Spannweite der Massivholzplatten ohne Unterzug ermöglichen, an die Massivholzstützen übertragen. Im Obergeschoss wirken die Massivholzwände als Träger und ermöglichen eine Spannweite von 5 m und Auskragungen von 2 - 3 Metern problemlos.

Detailplanung der Gebäudehülle
Detailplanung der Gebäudehülle
Detailplanung der Gebäudehülle

Berichts- und Berechnungsteil

 

In einem umfangreichen Berichtsheft wurde als Anlage die Themen Bauteilkatalog, Analgentechnik, Tragwerkskonzept, Energiebilanzierung, Ökobilanzierung, sommerlicher Wärmeschutz nach BNK, Tageslichtquotient nach BNK, Barrierefreiheit nach BNK und eine umfangreiche Bewertung des Standortes mithilfe der DGNB Zertifizierungssteckbriefe SITE 1.1, 1.2 und 1.3 nachgewiesen (Mikrostandort, Verkehrsanbindung, Nähe zu nutzungsrelevanten Objekten und Einrichtungen). Diese Inhalte des integralen Entwerfens bilden einen zentralen Teil der Arbeit und wurden iterativ im Entwurf berücksichtigt.

Abgabeleistungen

 
  • Lageplan (M 1: 500), Grundrisse, Ansichten, Schnitte (M 1: 100/ 1:200)
  • Materialkonzept incl. Detaildarstellungen M 1:10 der Fassade. Ein besonderer Fokus liegt auf einem nachhaltigen Materialeinsatz incl. der Demontage- und Recycling-Fähigkeit
  • Energie- und Ökobilanzierung:
    _ Konzeptphase: Drei strategische Varianten mit qualitativer Beschreibung der Konzeption, Konstruktion und Technik sowie Kenndaten (U-Werte, Ökodaten, erneuerbare Energien …)
    _ Entwurfsphase Energiebilanzierung: mit Auswertung End- und Primärenergiebedarf Ist und Referenz, Einsatz erneuerbare Energien sowie passive Maßnahmen
    _ Entwurfsphase Ökobilanzierung (eLCA): mit Randbedingungen der Zertifizierung DGNB und mit folgender Auswertung (Zahlenwerte und grafisch): 
    - GWP Global Warming Potential (in kg CO2äquivalent pro m2NGF) Gesamt sowie differenziert nach Konstruktion und Nutzung
    - GWP Global Warming Potential (in kg CO2äquivalent pro m2NGF) der Konstruktion: Differenziert nach AW, DE+TR, DA, BP, FE, IW und TGA und differenziert nach den jeweiligen Modulen A bis D
  • Standort iund soziale Nachhaltigkeitskriterien:
    Individuelle Bewertung des Standortes gem. SITE 1.1, 1.3 und 1.4, Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes, Nachweis der Tageslichtversorgung, barrierearmer Zugang und Nutzungsmöglichkeiten.
  • Modelle M 1:500 / 1:100

Die Abgabeleistungen insbes. der Energie- und Ökobilanzierung sind in einem gesonderten umfangreichen Berichtsheft nachgewiesen.

 
 

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